Jesus, wohin gehst du?
„Ich muss wandern heute und morgen und am dritten Tag werde ich vollendet.“
Inhaltsverzeichnis
- 1 Kapitel 1 : Die Geburt und Kindheit von Jesu
- 1.1 1.1 Jesus – seine menschliche Abstammung
- 1.2 1.2 Jesus Christus – sein göttlicher Ursprung
- 1.3 1.3 Gott spricht zu Josef im Traum
- 1.4 1.4 Maria besucht Elisabeth auf dem Gebirge Juda
- 1.5 1.5 Josef und Maria ziehen nach Bethlehem um
- 1.6 1.6 Bethlehem – der Geburtsort von Jesus
- 1.7 1.7 Geburt von Jesus in Bethlehem
- 1.8 1.8 Gott offenbart sich den Hirten
- 1.9 1.9 Die Beschneidung und Namensgebung
- 1.10 1.10 Darstellung von Jesus im Tempel
- 1.11 1.11 Besuch der Weisen aus dem Morgenland
- 1.12 1.12 Flucht nach Ägypten
- 1.13 1.13 Kindermord in Bethlehem durch Herodes
- 1.14 1.14 Rückkehr aus Ägypten und Niederlassung in Nazaret
Kapitel 1 : Die Geburt und Kindheit von Jesu
Eine Bibelstudienreihe über das Leben und den Dienst von Jesus Christus für Hauskreise von Paul Schüle und Hans-Ulrich Linke
Vorwort
Die vorliegende Bibelstudienreihe zum Leben und dem Dienst von Jesus Christus für Hauskreise von Paul Schüle und Hans-Ulrich Linke ist in 12 Kapitel unterteilt. Damit der Leser schnell zu den gewünschten Stellen findet, sind die Kapitel in Haupt- und Unterabschnitte aufgeteilt. Die Fragen bzw. Aufgaben am Ende von jedem Abschnitt sind eine Hilfe zur Vertiefung der Themen und regen zum Eigenstudium an. Die Zeichnungen sind signiert, die Fotos von den Urhebern genehmigt, bei weiterer Verwendung nur mit Quellenangabe bzw. Angabe der Webseite. Da die vorliegende Arbeit noch nicht abgeschlossen ist, werden die einzelnen Kapitel nach und nach hochgeladen und veröffentlicht.
Einleitung
Paul Schüle, Pforzheim, und Hans-Ulrich Linke, Biebesheim, stehen im Gespräch über manche Details des folgenden Textes. Oft erstellte Paul eine Vorlage, die dann bearbeitet wurde.
Die Bibelzitate sind direkt übersetzt oder stammen aus der Elberfelder Übersetzung (1985/1991), Lutherübersetzung (1984/85 und 2017) oder anderen am Ort genannten Bibelübersetzungen.
Die Bibelzitate (fett und kursiv) sind im Text bewusst eingefügt worden, um die Heilige Schrift selbst sprechen zu lassen.
Diese Ausarbeitung wurde geschrieben, da sich die beiden Autoren an der Debatte über die Bedeutung des historischen Jesus für unsere Theologie heute beteiligen wollen. Unser Projekt besteht darin, dass Leben und Werk unseres Herrn und Erlösers Jesus geordnet – wenn möglich – chronologisch wiederzugeben. Dabei gehen wir von der kanonischen Form der Heiligen Schrift aus und nehmen die vier Evangelien in gleichberechtigter Weise zur Grundlage. Während die synoptischen Evangelien vom irdischen Jesus geprägt einen Bericht geben, ist das Evangelium nach Johannes stark vom himmlischen Jesus her geprägt. Alle vier Berichte jedoch gehen nach unserer Erkenntnis als Bekenntnistexte auf Augenzeugen zurück. Ein gebräuchliches Wort für Augenzeugen, „Beobachter“, ist in der griechischen Literatur `έπόπται – epoptai`. Es wird in 2Petr 1,16 benutzt (Thiede 2006, 60). Diese sind wahrscheinlich in der 2. Hälfte des 1. Jahrhunderts verfasst worden und sind von der frühen Kirche gemeinsam in den Kanon aufgenommen worden. Carsten Peter Thiede merkt an: „Kenner der antiken Literatur und vor allem der Geschichte bevorzugen inzwischen frühe Datierungen, nämlich vor der Zerstörung des Tempels im Jahr 70 nach Christus.“ (Thiede 2006, 50)
Uns ist bewusst, dass es nicht „die Biographie” von Jesus geben kann, da Geschichte immer nur interpretierte Geschichte ist. Die Evangelisten hatten den Freiraum aus den ihnen vorliegenden Informationen bestimmte Aspekte hervorzuheben oder andere wegzulassen. Die so entstandenen unterschiedlichen Darstellungen bestärken unser Vertrauen in die Historizität dieser Berichte. Bei dieser Interpretation helfen uns in besonderer Weise Prophetien und Verheißungen des Alten Testaments und die daraus abgeleiteten jüdischen Endzeiterwartungen.
Zu beachten ist dabei die zweifache Art der jüdischen Textüberlieferung. Die strikte Textüberlieferung finden wir bei der Textüberlieferung für den Gottesdienstgebrauch, Studium und bei der Arbeit des Abschreibens. Wir kennen aber auch die freiere Textüberlieferung, wie wir sie in den Lehrschriften (Haggada der Midraschim) und in den Übersetzungen (Targumim) finden. Die freiere Überlieferung lässt Raum für die theologische Arbeit der Evangelisten in Bezug auf Anordnung und Gestaltung des Rahmens. Die Harmonisierung der Evangelien ist an vielen Stellen nicht möglich, da dies auch nicht das Ziel der Autoren und der frühen Gemeinden war. Darum sehen wir dies auch nicht als unseren Auftrag an. Bei der Einarbeitung der Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung interessieren uns besonders die literarischen Hinweise aus dem 1. Jahrhundert vor und nach der Geburt von Jesus, sowie die kulturellen Hinweise aus dieser Zeit. Uns ist dabei bewusst, dass die Evangelien für Gemeindeglieder verfasst wurden, die schon reichlich durch mündliche Berichte informiert waren. Doch genau diese mündliche – oft apostolische – Tradition als Hintergrundinformation (siehe Apg 10,36-43) fehlt uns heute. Im Vordergrund stehen das Kennen lernen der biblischen Informationen und eine vergleichende Bestandsaufnahme der vom Heiligen Geist inspirierten vier Evangelien. Diese sind jedoch Gelegenheitsschriften an jeweils eine besondere Zielgruppe. Wir sind uns dabei bewusst, dass auch das Lesen der Evangelien eine soziale Angelegenheit ist: Wir wollen uns immer wieder fragen: Wie dachte, empfand und handelte man damals im 1. Jahrhundert in Israel und wie wir Mitteleuropäer im 21. Jahrhundert. Die Unterschiede sind wesentlich zum Verständnis der Texte. Dazu konsultieren wir literarische und kulturelle Quellen, deren Ursprung sich mit diesem Raum und dieser Zeit verbinden lassen. Uns interessieren dabei insbesondere die vielen Details im Verhältnis des Juden Jesus zu seinen Zeitgenossen – ohne gleich die späteren theologischen Streitfragen der frühen Kirchengeschichte zu reflektieren. Jesus wurde schließlich von seinen gelehrten jüdischen Zeitgenossen weder als ein alles überragender Prophet noch als ein geachteter Schriftgelehrter betrachtet. Wir sehen unseren Schwerpunkt in der Darlegung seines Verhaltens (liebt die Gesellschaft mit „Sündern“) und seiner Taten (Heilungen) und schließen von dort auf seine Reden. Wir wollen also im Auge behalten: Wo erkennen wir Jesus als einen Juden in Harmonie mit seinen Zeitgenossen und wo war Jesus ganz anders, sodass er eine Bewegung gründete, die schließlich mit dem traditionellem Judentum brach.
Die Gliederung lässt sich von geographischen und folgenden chronologischen Gesichtspunkten leiten. Jesus war wie jeder gesetzestreue Jude verpflichtet, dreimal im Jahr zu den drei großen Festen nach Jerusalem zu reisen (2Mose 34,23-24). Besonders im Johannesevangelium finden wir einige Hinweise zu seinen regelmäßigen Jerusalembesuchen (Joh 2; 5; (6); 7; 12). So ist er mindestens einmal im Jahr nach Jerusalem zum Passahfest (Lk 2,41) hinaufgegangen. Daher ist es sinnvoll, seinen Dienst während seiner über drei Jahre dauernden Wirksamkeit nach seinen Aufenthalten anlässlich der Passahfeste in Jerusalem zu gliedern. Die erarbeitete Reihenfolge verstehen wir als einen möglichen Vorschlag, wobei wir manche Schwächen erkennen. Diese Arbeit ist ein gemeinsames Werk aller Beteiligten der Studiengruppen in Pforzheim und Biebesheim, da Anregungen fortlaufend einfließen. Das erarbeitete Material richtet sich darum an Studiengruppen und Hauskreise.
1.1 Jesus – seine menschliche Abstammung(Bibeltexte: Mt 1,1-17; Lk 3,23-38; 1Chr 1-3; 1Mose 5,1-32) 1.1.1 Der Stammbaum von JesusDer Evangelist Matthäus schreibt seinen Bericht an eine judenchristliche Leserschaft, passend mit einem Stammbaum der Hauptperson in der Form, wie wir sie auch im Alten Testament finden: von den Wurzeln hin zum Spross. Er beschreibt die Biografie über Jesus unter thematischen Gesichtspunkten. Der Evangelist Lukas dagegen ist mehr an einer chronologischen Reihenfolge interessiert. Dieser schreibt einen Stammbaum nach griechisch-römischer Tradition: vom jüngsten Namen zurück bis auf Adam; und „der war Gottes.“ Der Evangelist Matthäus beginnt seinen Bericht mit den Worten: „Buch des Ursprungs Jesu Christi, des Sohnes Davids, des Sohnes Abrahams.“ (Mt 1,1). Und er ordnet dann den Stammbaum in drei Reihen mit je 14 Namen, evtl. weil der Zahlwert der hebräischen Schreibweise von David „14“ ist. Der am Beginn des Matthäusevangeliums verwendete griechische Begriff `gene,sewj – geneseös` enthält mehrere Aspekte: Die Entstehung, den Ursprung, die Abkunft, die Geburt, die Geschichte. Matthäus 1,1 kann in Anlehnung an 1Mose 2,4 und 5,1 auch mit „Das Buch der Abstammung” übersetzt werden. Durch diese Stammtafel werden folgende Aspekte unterstrichen:
HINWEIS: Frauen und Ausländer werden eher schamvoll in einem Stammbaum verschwiegen. Während in früherer Zeit offenbar keine Bedenken bestanden, dass Israeliten Frauen aus anderen Völkern nahmen (1Mose 41,45 – Josef; 2Mose 2,21; 4Mose 12,1 – Mose; vgl. auch Ri 14,1; 2Sam 11,3), wobei sich diese Frauen selbstverständlich dem israelitischen Glauben anschlossen, wird später die Ehe mit fremdstämmigen und heidnischen Frauen wegen der Gefahr des Abfalls vom Glauben verboten (vgl. 5Mose 7,1-4; 20,16ff; 21,10ff; Esra 9.)Bewusst nennt Matthäus im Stammbaum vier Frauen, davon drei Nichtjüdinnen. – Rahab, eine Prostituierte aus Jericho; – Ruth, eine gottesfürchtige Moabiterin; – Tamar, von Judas geschwängert, da er seine Schwiegertochter für eine Prostituierte hielt; – Bathseba, von König David zur Ehefrau genommen (Kontext: Ehebruch, List und Mord).
Diese Abstammungslinie führt Matthäus von Abraham über David bis Josef. Dabei nennt er insgesamt 42(41) Generationen. Der Evangelist Lukas wählt den umgekehrten Weg und führt die Abstammungslinie von Jesus zurück über David und Abraham bis Adam. Er nennt insgesamt 77 Generationen/Glieder. Im Vergleich zu Matthäus (42) hat Lukas von Abraham bis Christus 57 Generationen genannt, also 15 mehr für den gleichen Zeitraum. Von Adam an bis Noah scheinen in den Stammeslisten keine Lücken zu sein. Von Noah bis Abraham gibt Lukas zusätzlich “Kenan” an, den Sohn des Arpachsad. Von Abraham bis zum König David lässt Lukas “Ram” aus, hat dafür zwei andere Namen (Admin und Arni), welche in den übrigen Stammeslisten nicht vorkommen. Von David an gibt es die Königslisten, wie in den Königs- und Chronikbüchern beschrieben. Auf diese stützt sich größtenteils Matthäus, wobei er einige Könige auslässt. Er folgt einem bestimmten Muster, bei dem dreimal je 14 Generationen von Abraham bis Jesus genannt werden. Anmerkung: Bei genauem Hinsehen stellen wir fest, dass es nur 41 Generationen sind. Da wir jedoch dem Zöllner Matthäus nicht unterstellen können, dass er sich verrechnet hätte, suchen wir nach einer plausiblen Erklärung für diese mathematische Ungereimtheit. Die Lösung könnte sein: David wird zweimal genannt, einmal am Ende der ersten Gruppe und das zweite Mal am Anfang der zweiten Gruppe (Mt 1,17). Die Zählung bei der ersten Vierzehnergruppe endet mit David und die zweite Vierzehnergruppe beginnt wieder mit David. Die zweite Vierzehnergruppe endet mit dem letzten rechtmäßigen König von Juda – Jechonia / Jojachin, der in die Babylonische Gefangenschaft kam (2Kön 24,8-15; 25,27-29). Die dritte Vierzehnergruppe beginnt mit Schealtiel dem Sohn Jojachins und endet mit Jesus. Dass in dieser Stammesliste einige Könige ausgelassen wurden, war wohl aus bestimmtem Grund so gewollt. Lukas muss wohl eine uns unbekannte Stammesliste genutzt haben. Sie führt nicht über Salomo, den rechtmäßigen Thronfolger Davids, sondern über Nathan, einen wenig bekannten Sohn Davids. Nathan war ein leiblicher Bruder von Salomo (1Chr 3,5; 14,4), seine Mutter hieß Bathseba (Bath Sua). Im 1. Chronikbuch, in den Kapiteln 1-12 gibt es eine umfassende Stammesliste von Adam über die zwölf Stämme bis zur babylonischen Gefangenschaft. Die Stammesliste von Adam bis Noah ist in allen Aufzeichnungen gleich (1Mose 5; 1Chr 1,1; Lk 3,36-38). Mit allen Orts- und Zeitangaben vor 1Mose 12 ist vorsichtig umzugehen. In der folgenden Tabelle sind die verschiedenen Stammeslisten zum Teil parallel aufgelistet. Dabei stellen wir fest, dass die Bibel für die Anfangszeit genauere Angaben macht, als für den Zeitraum nach der babylonischen Gefangenschaft. Die Stammeslisten geben keine lückenlose Abfolge der Generationen und daher sind die Jahreszahlen auch nicht geeignet für eine genaue Datierung. Manche Fragen bleiben unbeantwortet in Bezug auf die Unterschiede und Auslassungen in den Stammeslisten. Die Tatsache jedoch, dass es sie überhaupt gibt, unterstreicht die Geschichtlichkeit der Verwirklichung des Heilsplans Gottes mit seinem Sohn Jesus Christus in Raum und Zeit. HINWEIS: durch Adoption und durch Stamm- bzw. Erbtöchter, die evtl. nicht genannt werden und auch durch Leviratsehen (natürlicher Vater und gesetzlicher Vater differieren, da ein Bruder dem anderen Nachkommen „erweckt“ – 5Mose 25,5-6) werden Stammbäume recht kompliziert. Vaterschaft wurde im Judentum oft mehr unter gesetzlichen Gesichtspunkten und weniger nach der natürlichen Abstammung beurteilt. Dies trifft in besonderer Weise auf Jesus zu. Solche Stammbäume erinnerten das Volk daran, dass es Gott selbst war der Ehen stiftete und Nachkommen schenkte. 1.1.2 Stammesliste von Adam bis Jakob
1.1.3 Stammesliste von Juda bis Jesus
1.1.4 Die Zuordnung der StammbäumeDer Evangelist Matthäus formuliert in seinem Stammbaum: „Jakob aber zeugte (gr. εγέννησεν – egenn¢sen) Josef den Mann Marias, von welcher ist geboren (gr. εγεννήθη – egenn¢th¢) Jesus, der genannt wird Christus.“ (Mt 1,16). Während in allen Stammbäumen immer der Mann als aktiv Beteiligter/Zeugender hervorgehoben wird, betont Matthäus im Falle von Jesus, dass er von Maria geboren wurde und zwar ohne die Mitwirkung von Josef. Der Evangelist Lukas formuliert in seinem Stammbaum: „Er, Jesus war beginnend, etwa (ungefähr) dreißigjährig, (und) war Sohn, wie man dachte Josefs, des Eli, des Maththat, des Levi des Melchi (…).“ (Lk 3,23-24). Jesus wurde allgemein für einen Sohn Josefs gehalten (Joh 1,45; Lk 4,22), was rein formal-juristisch auch stimmte. Der klärende Einschub des Lukas: „(Jesus) war Sohn, wie man dachte Josefs“, macht jedoch auch deutlich, dass Jesus de facto nicht Sohn des Josef, sondern Sohn der Maria war (vgl. dazu auch Lk 1,31-33). Da man jedoch Frauen (Töchter) in die Stammeslinie nicht einzufügen pflegte, liegt es nahe, dass Lukas die Stammeslinie von Jesus zurück, nicht über Maria, sondern über Josef, den gesetzlichen Vater von Jesus, mit Eli verbindet und weiter zurück über Nathan, den leiblichen Bruder von Salomo bis David und schließlich bis Adam zurückführt (1Chr 3,5; 14,4; Lk 3,23-36). Nach Lukas 1,5 und 1,36 war Maria eine Verwandte von Elisabeth, der Frau des Priesters Zacharias und Mutter von Johannes dem Täufer. Da Elisabeth eine, wie es im Text heißt „aus den Töchtern Aarons“ war, kann angenommen werden, dass Maria ebenfalls aus priesterlichem Hause stammte. Aber müsste Maria nicht auch aus dem Hause Davids und dem Stamm Juda herkommen? Der Autor des Hebräerbriefes bestätigt die menschliche Herkunft von Jesus aus dem Stamm Juda, wenn er schreibt: „Denn es ist ja offenbar, dass unser Herr aus Juda hervorgegangen ist“ (Hebr 7,14). Und der Apostel Paulus engt die menschliche Herkunft von Jesus noch mehr ein, wenn er in Römer 1,3 schreibt: „der geworden ist (γενομένου – genomenou) aus dem Samen Davids nach dem Fleisch“. Damit wird (wenn auch nur indirekt) die blutsmäßige Herkunft von Maria aus dem Hause David hervorgehoben. So dass wir zum Ergebnis kommen, dass Maria auch aus dem Hause David stammte eben über die Stammeslinie ihres Vaters „Eli“. Wir stellen fest, dass Lukas im Gegensatz zu Matthäus, den von ihm beschriebenen Stammbaum in umgekehrter Richtung aufschrieb. Er muss dabei nicht wie Matthäus formulieren: „Eli zeugte Josef (den Mann Marias)“, sondern nur: „der (Josef) des Eli, des Maththat (…)“. In der Regel wurde darunter auch die blutsmäßige Abstammung verstanden, doch bei der Formulierung des Lukas wird der Moment der ausdrücklichen Zeugung durch den Mann vermieden und sie bietet Raum zu einer nicht blutsmäßigen Zuordnung – von Josef (als Schwiegersohn) zum Vater der Maria (dem Eli). Auffallend ist auch, dass sich beide Stammeslinien um die Zeit nach der Babylonischen Gefangenschaft durch die Personen Schealtiel und Serubbabel kreuzen (Mt 1,12; Lk 3,27). Beide Linien liegen demnach eng beeinander und gehen auf David zurück. Wir kommen daher zu dem Ergebnis, dass die Zuordnung der Lukanischen Stammesliste den Vorfahren der Maria, durch die oben genannten Textaussagen unterstützt wird. Somit war Jesus als `Mensch` leiblicher Sohn der Maria und gesetzlicher Sohn von Josef in jeder Hinsicht Nachkomme und Sohn Davids (Lk 1,31-33; Mt 1,1; 9,27; 12,23; 15,22; 20,30; 21,15). Fragen / Aufgaben:
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1.2 Jesus Christus – sein göttlicher Ursprung
(Bibeltexte: Mt 1,18-25; Lk 1,26-38; Joh 1,1-18)
Nach dem Betrachten der `menschlichen` Abstammung von Jesus Christus machen wir uns auf die Suche nach Textaussagen über seinen göttlichen Ursprung. Dieser ist besonders in seiner Menschwerdung sowie in seinem besonderen Dienst durch Wort und Tat zu erkennen.
Schon der Prophet Micha sagt über den Ursprung des Messias folgendes:
Und du Bethlehem Efrata, das du klein unter den Tausendschaften von Juda bist, aus dir wird mir der hervorgehen, der Herrscher über Israel sein soll, und seine Ursprünge sind von der Urzeit, von den Tagen der Ewigkeit her. (Micha 5,1).
Der Evangelist Lukas ist der Einzige, der die Botschaften des Engels Gabriel aufgeschrieben hat. Der Engel Gabriel wird außer in Lukas Kapitel 1 nur in Daniel 8,16-17; 9,21 erwähnt. Der Engel Gabriel erklärt dem Propheten Daniel die Visionen sowie deren Bedeutung und überbringt dem Priester Zacharias die Botschaft von der Geburt des Johannes (Lk 1,19). Zu Maria wird er von Gott gesandt, um ihr die Menschwerdung des Sohnes Gottes zu übermitteln.
Und so lesen wir in Lukas 1,31-32 von der Botschaft Gottes an Maria durch den Engel Gabriel:
Und siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, und du sollst ihm seinen Namen Jesus nennen. Dieser wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden.
Die verständliche Nachfrage der Maria: „Wie wird dies zugehen, da ich von keinem Mann weiß“ (Lk 1,34) gibt uns nicht nur einen Einblick in ihr korrektes Verhalten als Verlobte, sondern unterstreicht gleichzeitig, wenn auch nur indirekt, den göttlichen Ursprung von Jesus Christus. Natürlich kennt Maria Josef, ihren Verlobten, aber sie haben als Verlobte keinen geschlechtlichen Umgang miteinander. Aus der großen Perspektive Gottes ist es nicht vorgesehen, dass zwei junge Menschen, auch wenn sie schon verlobt sind, sexuell miteinander verkehren. Wenn Gott dies in die Beliebigkeit der Einzelnen gestellt hätte, wäre der biblische Hinweis auf die Jungfrauengeburt noch schwieriger nachzuvollziehen. Hier sollten wir die Hinweise Gottes aus 5Mose 22,16 kennenlernen (wir denken dabei an den polygamen Hintergrund des Kapitels). Das Zeichen der Jungfräulichkeit der Frau war das Laken/Decke, das in der Hochzeitsnacht genutzt wurde. Wenige biblische Hinweise finden wir für die Jungfräulichkeit des Mannes vor der Ehe. Als Grundtext für dieses Thema gilt: Epheser 5,23f (der reine Christus und seine reine Braut = die Gemeinde).
Gott hatte von Beginn an die Geburt seines Sohnes durch eine Jungfrau geplant, so bekommt auch die Ordnung für Verlobte einen Sinn (siehe 5Mose 22,14).
Der Engel Gabriel lässt Maria natürlich nicht in Unwissenheit über die Art und Weise der Zeugung, er erklärt: „Der Heilige Geist wird über dich kommen und die Kraft des Höchsten (= Gott) wird dich überschatten, darum wird auch das Heilige, das geboren werden wird, Sohn Gottes genannt werden.“ (Lk 1,35)
P. Thiede bemerkt hierzu: „Sie (Maria) muss genauso verwirrt gewesen sein, wie die Leser es seither sind, und die Erklärung, die der Engel gibt, zielt nicht darauf ab, Gynäkologen zufrieden zu stellen.“
Ob Maria es verstanden hat, ist nicht sicher, geglaubt hat sie es, denn ihre Antwort lautet: „Siehe, ich bin die Magd des Herrn; es geschehe mir nach deinem Wort.“ (Lk 1,38).
Kritiker des Neuen Testamentes behaupten, dass Götter und Söhne von Göttern in der heidnischen Antike auf ähnliche Weise geboren wurden. Doch wir weisen auf den unübersehbaren Unterschied zu den so genannten religionsgeschichtlichen „Parallelen“ hin. Der biblische Bericht ist zurückhaltend, nüchtern und beschreibt nicht den Vorgang der Empfängnis im Detail. Mit knappen Worten wird die Empfängnis aus der Gottesperspektive beschrieben. In der heidnischen Mythologie werden die Vorgänge aus menschlicher Perspektive, oft in pervertierter Ausschmückung beschrieben. Somit ist die Jungfrauengeburt tatsächlich ohne jegliche biblische oder gar religionsgeschichtliche Ähnlichkeit. Vergleichbar mit der jungfräulichen Empfängnis ist lediglich der alttestamentliche Gedanke des Wohnens (yTin>k;v; – scha½anti ich wohne = Schechinah, die Einwohnung) Jahwes bei den Menschen z. B. in der Stiftshütte (2Mose 25,8-9).
Der Engel Gabriel hat noch eine wichtige Zusatzbotschaft an Maria zu verkünden, nämlich:
Und der Herr, Gott, wird ihm den Thron seines Vaters David geben, und er wird über das Haus Jakob herrschen in Ewigkeit und seines Königtums wird kein Ende sein. (Lk 1,32b-33).
Diese Prophezeiung ist nicht neu, sie wurde schon rund eintausend Jahre vorher dem König David gegeben (2Sam 7,13b-16) und sie lautet:
Und ich werde den Thron seines Königtums festigen für ewig. Ich will ihm Vater sein, und er soll mir Sohn sein. (…) Dein Haus aber und dein Königtum sollen vor dir Bestand haben für ewig, dein Thron soll feststehen für ewig.
Gott hielt seine Zusage – „als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau (…).“ (Gal 4,4).
Der Evangelist Matthäus schreibt:
Mit der Geburt Jesu Christi verhielt es sich so; Als nämlich Maria, seine Mutter, dem Josef verlobt war, wurde sie, ehe sie zusammengekommen waren, schwanger gefunden von dem Heiligen Geist. (Mt 1,18).
Das Ungewöhnliche, das Besondere, das Einmalige wird hier betont. Maria wurde schwanger, „(…) ehe sie (Maria und Josef) zusammenkamen“. Hier betont auch der Evangelist Matthäus, dass Geschlechtsverkehr vor der Ehe nicht üblich war – Jesus also nicht natürlich gezeugt wurde. Für diese ungewöhnliche Zeugung fand er eine alttestamentliche Prophezeiung aus dem Buch des Propheten Jesaja:
Darum wird der Herr selbst euch ein Zeichen geben: Siehe, die Jungfrau wird schwanger werden und einen Sohn gebären und wird seinen Namen Immanuel nennen. (Jes 7,14).
Diese Prophezeiung ist, wie viele alttestamentliche Aussagen, mehrschichtig. Das Zeichen, dass eine junge Frau (auf natürliche Weise) schwanger würde, bezog sich zuerst auf Jesajas Zeitgenossen Ahas und das Volk Juda. Der hebräische Begriff `hm’l.[;h‘ ha±almah` bedeutet allgemein: die junge Frau im heiratsfähigen Alter, kann aber auch die weibliche Person bezeichnen, die noch keinen Geschlechtsverkehr hatte (was in Israel die Regel war). Aber wie viele andere Verheißungen des Alten Testamentes barg auch diese eine noch in der Zukunft liegende Erfüllung. Bei der Übersetzung des hebräischen Alten Testamentes in die griechische Sprache wurde an dieser Stelle der Begriff `parqe,noj parthenos – Jungfrau` gewählt.
HINWEIS: Die griechische Übersetzung des Alten Testamentes aus dem 2. Jh. vor Chr. wird Septuaginta/LXX (=Siebzig/lateinische Zahlen für 70) genannt, da angeblich 72 Übersetzer nach 72 Tagen diese Übersetzung im 2Jhd. v. Chr. anfertigten (Aristeasbrief 9-11.41.46.50.121.301f.307-311).
Dieser griechische Begriff meint im Neuen Testament an den meisten Stellen eine junge Frau, die noch nie Geschlechtsverkehr hatte (wörtlich/buchstäblich Lk 1,27; 2,36; Apg 21,9; 1Kor 7,25.28.34.36.37.38; im übertragenen Sinne; 2Kor 11,2; Offb 14,3-4). Der Evangelist Matthäus (aber auch Lukas) heben mit diesem Begriff die Jungfräulichkeit Marias hervor. So wie damals der Herr durch eine junge Frau mit ihrem Sohn den Zeitgenossen Jesajas ein Zeichen gegeben hatte, so wurde Maria von Gott auserkoren als `Jungfrau` schwanger zu werden und einen Sohn zu gebären als Zeichen zu ihrer Zeit.
Der Evangelist Johannes beginnt sein Evangelium mit den Worten:
Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott. Und das Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns, und wir haben seine Herrlichkeit angeschaut, eine Herrlichkeit als eines Einziggeborenen vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.” Johannes (der Täufer) zeugt von ihm und rief und sprach: Dieser war es, von dem ich sagte: Der nach mir kommt, ist vor mir, denn er war eher als ich. (Joh 1,1.14-15). Johannes der Täufer ruft aus: „Und ich habe gesehen und habe bezeugt, dass dieser der Sohn Gottes ist. (Joh 1,34).
Der Evangelist Markus beginnt sein Evangelium mit den Worten: „Anfang des Evangeliums Jesu Christi (des Sohnes Gottes).“ (Mk 1,1).
Weitere Bibelstellen zum göttlichen Ursprung von Jesus Christus: vgl. Ps 110,1 mit Mt 22,42-44; Joh 1,18; 3,16; 5,17-19; 8,58; 10,30-36; 20,28; 1Joh 5,20; Röm 1,1-3; 9,5; vgl. Ps 2,7 und 2Sam 7,14 mit Hebr 1,3-5ff.
In den folgenden Abschnitten unserer Bibelstudien wollen wir die verschiedenen Details der Menschwerdung und Geburt von Jesus zeitlich-chronologisch betrachten und zwar in dem historischen, geographischen und kulturellen Kontext der damaligen Zeit.
Fragen / Aufgaben:
- Lies zu Mt.1,18-25; Lk.1,26-38; Joh.1,1-18 in Ruhe die angegebenen Parallelstellen deiner Arbeitsbibel.
- Stelle den göttlichen Ursprung von Jesus Christus aufgrund der einzelnen Aussagen dar.
- Welche Aussagen betonen die Jungfräulichkeit Marias? War sexuelle Enthaltsamkeit vor der Ehe damals allgemeine Norm im Judentum? Worauf wurde dieses Verhalten gegründet?
- Welche Meinung herrschte unter dem Volk in Bezug auf den Ursprung/die Herkunft von Jesus?
- Warum ist es so wichtig am göttlichen Ursprung von Jesus Christus festzuhalten?
1.3 Gott spricht zu Josef im Traum
(Bibeltext: Mt 1,18-25)
Gott sucht sich einen Mann namens Josef, als Adoptivvater für seinen Mensch gewordenen Sohn. Dieser übernimmt die Fürsorgepflicht und die Verantwortung für die leibliche und materielle Versorgung von Jesus. Josef,- der Name bedeutet: Gott möge hinzufügen. Markus und Johannes erwähnen Josef nicht. Es könnte sein, dass der Evangelist Matthäus seine Information über Josef von Jakobus, dem Bruder von Jesus erhielt. Lukas könnte Jakobus selbst befragt haben.
Josef stammt vom Hause David ab, hat aber irgendwann die Heimatstadt Bethlehem, wahrscheinlich aus beruflichen Gründen, verlassen. So wohnt und arbeitet er in Nazaret, einer Kleinstadt im südlichen Galiläa.
Dort geht er seinem Beruf nach und baut Häuser (Mt 13,55; Mk 6,3). Der griechische Begriff für diesen Beruf ist `te,ktwn – tekt÷n` und beschreibt „einen, der Häuser baut“. Die Wortwurzel ist noch im deutschen `Archi-tekt` herauszuhören.
Der Evangelische Pastor Ludwig Schneller lebte und arbeitete Ende des 19. Jh. in Bethlehem und weist darauf hin, dass die Bewohner Bethlehems unter anderem gute Meister im Häuser bauen waren. Er nimmt an, dass es in Bethlehem nicht genug Arbeit gab und Josef mit anderen Berufskollegen außerhalb Bethlehems Arbeit suchte (Schneller 1890, 58ff).
Die nordeuropäische Vorstellung, dass er Zimmermann war und mit Holz arbeitete, ist vor dem Hintergrund des Waldreichtums in Nordeuropa zu sehen. Zur Zeit Martin Luthers baute man Häuser zum größten Teil aus Holz. In Palästina gab es allerdings bereits im Altertum wenige Wälder und damit wenig Holz. Schon der König David und sein Sohn Salomo ließen für den Bau des Tempels in Jerusalem Holz aus dem Libanon importieren (1Kön 5,15).
Josef wird von den Evangelisten Matthäus und Lukas als `di,kaioj –dikaios – gerecht` charakterisiert (Mt 1,19; Lk 1,27). Gerecht bedeutet im Neuen Testament grundsätzlich: dem Standard, Willen und Charakter Gottes entsprechend. Hier dürfen wir wenigstens feststellen: Josef lebt in einer aufrichtigen Beziehung zu Gott. Maria ist mit ihm verlobt und sie warten auf den geeigneten oder auch schon bestimmten Termin für ihre Hochzeit. Der Begriff Hochzeit oder Heirat, griechisch `ga,moj – gamos`, kommt zwar in diesen Texten nicht vor, wird aber umschrieben mit: `sunelqei,n – synelthein` zusammenkommen; andere Übersetzer weniger passend: heimholen. Der Satz: „ehe sie zusammengekommen waren” (Mt 1,18) lässt sogar die Vermutung zu, dass der Hochzeitstermin schon feststand. Dem Evangelisten Matthäus liegt viel daran zu betonen, dass die Schwangerschaft ohne Zutun des Josef zustande kam.
Es gibt nur eine Möglichkeit, wie Josef von der Schwangerschaft Marias erfährt. Nur sie selbst kann es ihm gesagt haben. Es entsteht der Eindruck, dass er ihr erst nicht glaubt und sie entlassen will, natürlich ohne Aufsehen und ohne sie bloß zu stellen (Mt 1,19).
HINWEIS: „Eine Verlobung aufzulösen, wurde wie eine Scheidung betrachtet = eine rechtlich wirksame Entlassung geschah meist schriftlich. Nach dem Gesetz hätte Maria bei ungenauer Untersuchung des Falles im Extremfall die Todesstrafe durch Steinigung gedroht (5Mose 22,20-27). Im 1. Jahrhundert wurde allerdings dieses Extrem meist vermieden“ (Strack 1982, 45f).
Josef hat das Recht Maria anzuzeigen, da sie seine Verlobte ist. In dieser, für Josef und Maria schwierigen Situation, greift Gott ein. Ein Engel erscheint Josef im Traum und nimmt ihm Furcht und Zweifel: „Josef, Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria, deine Frau zu dir zu nehmen, denn das in ihr gezeugte ist von dem Heiligen Geist. Und sie wird einen Sohn gebären und du sollst seinen Namen Jesus nennen, denn er wird sein Volk retten von seinen Sünden.“ (Mt 1,20b-21). Mehrfach offenbaren sich Josef Engel: Mt 1,20.24; Mt 2,13.19. Gut möglich, dass derselbe Engel Gabriel auch die Botschaft für Josef überbrachte. Auch er bekommt den Hinweis, dass die Empfängnis durch den Heiligen Geist geschehen ist. Gleichzeitig bekommt er den Auftrag, dem Kind den Namen Jesus zu geben. Josef, vom Schlaf erwacht, ändert sofort seine Einstellung und Meinung in Bezug auf Maria, seine Frau. Warum bezeichnet der Engel die Maria bereits als Frau von Josef (Mt. 1,20)?
„Diese Bezeichnung für eine Verlobte entspricht der Aussage in 5Mose 22,24. Niemand konnte ihnen etwas tun, da Josef das Kind Jesus legitimiert hatte, indem er Maria geheiratet und ihren Sohn adoptiert hatte“ (Thiede 2006, 67).
Josef zeigt sofortigen Gehorsam dem Wort des Herrn gegenüber. „Josef aber, vom Schlaf erwacht, tat, wie ihm der Engel des Herrn befohlen hatte, und nahm seine Frau zu sich.“ (Mt 1,25a). Dem Evangelisten Matthäus war noch wichtig zu betonen, dass Josef seine „Frau nicht erkannte, bis sie ihren erstgeborenen Sohn geboren hatte.“ (Mt 1,25b). Das griechische Wort `egi,nwsken – eginösken – erkannte` meint auf dem Gebiet der Ehe den Geschlechtsverkehr, das Ein-Fleisch-Werden (so in 1Mose 4,1: „Und Adam erkannte seine Frau Eva, und sie ward schwanger (…).“). Vielleicht hat der Evangelist Matthäus dies deswegen betont, damit bei den Lesern keine unnötigen Fragen oder Zweifel in Bezug auf die übernatürliche Schwangerschaft der Maria aufkommen. Zwei Menschen mit einem großen Geheimnis! Es sieht nicht danach aus, als hätten sie das Erlebte nun allen erzählt. Denn auch später herrscht die Meinung, dass Jesus der Sohn Josefs sei. In Lukas 3,23 (auch Joh 1,45; 6,42) heißt es: „Und er selbst, Jesus, (…) war, wie man meinte, ein Sohn des Josef.“
Fragen / Aufgaben:
- Welche Aussagen über Josef fielen dir auf? Beachte die Herkunft Josefs, seinen Beruf.
- Jede Empfängnis und Geburt ist ein „Wunder.“ Wo gibt es die großen Unterschiede zur Situation von Maria und Josef? Was ist ähnlich?
- Beschreibe das rücksichtsvolle Verhalten Josefs zu Maria im kulturellen Umfeld des Judentums. Was können Männer heute von ihm lernen?
- Wie reagierte Josef vor und nach dem Besuch des Engels?
- Was bedeuten „Engelbesuche“ – damals und heute? (170 mal im NT erwähnt; Hebr 13,2; 2Kor 11,14).
- Wie deuten wir den „blinden“ Gehorsam des Josef?
- In welchen Bereichen können wir das Verhalten Josefs als „gerecht“ beschreiben?
- Können wir Geheimnisse über die Herkunft von Kindern bewahren? Sollten wir es?
1.4 Maria besucht Elisabeth auf dem Gebirge Juda
(Bibeltext: Lk 1,39-56)
1.4.1 Die Umstände des Besuches
Der Evangelist Lukas macht hier eine Zeitangabe: „In diesen Tagen“ (Lk 1,39), d.h. nicht lange nach Beginn der Schwangerschaft reist Maria hinauf in das Gebirge Juda zu ihrer Verwandten Elisabeth. Dies ist ungewöhnlich, doch geschieht es wohl mit der Einwilligung Josefs. Ob er beruflich unabkömmlich war? Der Evangelist Lukas unterstreicht, dass Maria die Reise in Eile antritt. Dieser Besuch ist für Maria wichtig, da der Engel Gabriel ihr von Elisabeth und deren ungewöhnlichen Schwangerschaft im hohen Alter berichtet hatte (Lk 1,36). Elisabeth, die Frau von Zacharias, war aus dem Stamm Levi, wie wir aus Lk 1,5 erfahren. Nach Lukas 1,36 ist Maria Elisabeths Verwandte. Somit wäre Maria ebenfalls aus dem Stamm Levi. Rechtlich musste Jesus ja aus dem Hause David kommen und dies ist aufgrund der Adoption durch Josef gegeben. Doch scheint hier noch die Komponente der priesterlichen Herkunft (Stamm Levi) rechtlich gegeben. Demnach wäre der Status ‚Priester/König‘ bei Jesus damit indirekt angedeutet. Wahrscheinlich hat sich Maria nicht ganz allein auf den mühsamen Weg hinauf auf das Gebirge Judäa gemacht. Meist reiste man nicht allein (hier wenigstens 4-5 Tage), ohne dazu einen wichtigen Grund zu haben; schon gar nicht als junge, schwangere Frau. Entweder schließt man sich einer Karawane an oder Pilger tun sich in Gruppen zusammen (Lk 2,44). Wahrscheinlich wohnten Zacharias und Elisabeth nicht in Jerusalem, sondern in einer der Städte oder Ortschaften Judas. Den Priestern, Aarons Nachkommen waren Städte verteilt im Land und durch das Los zugeteilt worden. So lesen wir im 1. Chronikbuch:
Und sie gaben den Söhnen Aarons die Zufluchtstadt Hebron und Libna und seine Weideflächen und Jattir und Eschtemoa und seine Weideflächen und Holon und seine Weideflächen, Debir und seine Weideflächen und Aschan und seine Weideflächen und Bet-Schemesch und seine Weideflächen. (1Chron 6,42-43).
Wahrscheinlich wohnten Zacharias und Elisabeth nicht in Jerusalem, sondern in einer der oben im Text genannten Städte im Stammesgebiet von Juda, welche speziell für Priester und Leviten vorgesehen waren. Die Begrüßung ist sehr herzlich, so dass Elisabeth spürt, wie ihr Kind im sechsten Monat sich heftig regt.
Der ganze Abschnitt konzentriert sich auf zwei Frauen, von denen die eine von keinem Mann „weiß“, während der Mann der enderen verstummt war. Sie begrüßen als erste Menschen in der Kraft des Geistes den kommenden Herrn. Darum ist alles vom Jubel erfüllt.
1.4.2 Der Segens- und Jubelhymnus der Elisabeth
Und Elisabeth wurde mit Heiligem Geist erfüllt und rief mit lauter Stimme und sprach: Gesegnet bist du unter den Frauen, und gesegnet ist die Frucht deines Leibes. Und woher geschieht mir dies, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt? Denn siehe, wie die Stimme deines Grußes mir in die Ohren drang, hüpfte das Kind vor Freude in meinem Leib. Und glückselig, die geglaubt hat, denn es wird zur Erfüllung kommen, was von dem Herrn zu ihr geredet ist. (Lk 1,41b-45).
Bemerken wir die Freude über das Glück des anderen? Der Geist Gottes hat immer wieder gerade Frauen erfüllt und sie empfindsam gemacht für sein Wirken. Menschen unter der Leitung des Geistes Gottes werden sehr ehrlich und offen zueinander. Persönliche tiefe Empfindungen werden mit Freuden ausgesprochen. Die wunderbaren Führungen Gottes werden in der kleinen Hausgemeinde des Zacharias gerühmt. Elisabeths und noch mehr Marias Lobpreis wirken fast unheimlich, doch die allererste Christus-Erkenntnis ist schon eine Gabe des Geistes Gottes.
1.4.3 Marias Lobpreis (Magnificat)
Wir finden vier Lobgesänge im Lukasevangelium: von Elisabeth, Maria, Zacharias und Simeon. Nach ihrem lateinischen Beginn werden sie als Benedictat (benedicta tu inter mulieres = Elisabeth Lk 1,42-45), als Magnificat (Maria Lk 1,46-55), als Benidictus (Zacharias Lk 1,68-79) und als Nunc dimittis (Simeon Lk 2,29-35) bezeichnet. Seit Thomas Müntzer, Luthers Gegner, verstehen manche Marias Worte als eine Ermutigung zu einer Neuordnung der irdischen Verhältnisse, ja zum Umsturz und zur Revolution (auch Befreiungstheologie heute). Doch nicht der Mensch (auch nicht Maria!), sondern Gott ist der Adressat dieses Lobpreises. Maria preist den Herrn im Hause des Zacharias:
Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist hat frohlockt in Gott, meinem Heiland. Denn er hat hingeblickt auf die Niedrigkeit seiner Magd, denn siehe, von nun an werden mich glückselig preisen alle Geschlechter. Denn Großes hat der Mächtige an mir getan, und heilig ist sein Name. Und seine Barmherzigkeit ist von Geschlecht zu Geschlecht über die, welche ihn fürchten. Er hat Macht geübt mit seinem Arm, er hat zerstreut, die in der Gesinnung ihres Herzens hochmütig sind. (Lk 1,46-51).
Marias Lobpreis kann für unseren heutigen Lobpreis eine praktische Anleitung sein:
- Es preist meine Seele den Herrn,
- Gott ist mein Retter (hier wird dasselbe Wort für »Retter« benutzt, welches später Jesus bezeichnet (vgl. Mt 1,21!) – im Deutschen früher als »Heiland« wiedergegeben. »Mein Retter« heißt: Gott erlöst mich aus Sünde und Finsternis, er hilft mir ganz umfassend auf allen Gebieten meines Lebens, vor allem aber bringt er mich in sein ewiges Reich. Hier spiegeln sich Jes 63,16 und Hab 3,18 ganz deutlich wider, aber auch Ps 24,5; Ps 25,5; Ps 35,9. Die zweite Hälfte von Lk 1,47 stimmt sogar wörtlich mit dem Schluss von Hab 3,18 in der griechischen Bibel überein.
- In Jubel geraten ist mein Geist über Gott, meinen Retter,
- Er hat auf die Niedrigkeit seiner Dienerin hingesehen, (wörtlich auch: seine Aufmerksamkeit zuwenden)
- Von nun an werden mich glücklich preisen alle Generationen,
- Der Mächtige hat mir Großes getan, heilig ist sein Name,
- Seine Barmherzigkeit erfahren Generationen nach Generationen, wenn sie ihn fürchten; (wie oft wurde im AT diese Barmherzigkeit Gottes besungen! Vor allem gilt dies für Ps 103, an den sich Maria vielleicht angelehnt hat),
- Er übt Macht aus mit seinem Arm (2Mose 15,6; Ps 89,11; Ps 118,15),
- Er zerstreut die Übermütigen im Denken ihres Herzens,
- Die Mächtigen holt er herunter von den Thronen und erhöht Niedrige,
- Hungernde bekommen Gutes in Fülle, Reiche dagegen schickt er leer weg, (das Bild dieser Reichen hat Jesus im reichen Mann und armen Lazarus und im reichen Kornbauern eindrücklich gezeichnet (Lk 16,19ff.; 12,16ff),
- Er hat sich seines Volkes angenommen und will sich an die Barmherzigkeit erinnern, die er den Vätern, Abraham und seinem Nachkommen (im Singular – welcher ist Christus) für ewig in Aussicht gestellt hatte (Vgl. V. 55 mit Gal 3,16),
Wir beobachten hier:
- den Glauben einer, Gott aufrichtig dienenden jüdischen Frau
- eine ganze Linie von alttestamentlichen Frauen, die uns bis heute als Glaubensvorbilder dienen können: Lea, Rebekka, Hanna, Elisabeth, Maria;
- einen Lobpreis, der tatsächlich Gott und sein Wort in die Mitte stellt, und nicht etwa einen Aufruf an Menschen, die bestehenden Verhältnisse umzustürzen;
- eine echte Prophetie der Maria, worauf schon die Lehrer der Alten Kirche (z. B. Irenäus) hinwiesen;
- eine erstaunliche Bibelkenntnis der Maria, die sich auf die prophetischen Aussagen des Alten Testaments beziehen;
- eine nicht weniger erstaunliche Verwandtschaft mit der Verkündigung von Jesus, z. B. im Vaterunser und in der Bergpredigt (vgl. Mt 6,9.10; Mt 5,3.4. 6; Lk 6,20.21.22, aber auch Mt 23,12; Joh 8,56).
In Elisabeth hat Maria nicht nur eine Verwandte, sondern auch eine Freundin. In Nazaret kann Maria diese Freude nur mit Josef teilen. Hier im Haus des frommen Priesters Zacharias und seiner Frau kann offen darüber gesprochen werden. Das erfahrene Heil, belegt durch alttestamentliche Verheißungen, führt zu einem geistlichen Aufblühen von Elisabeth und Maria. Ihre Erfahrungen drängen sie, sich einander mitzuteilen.
Maria ist eine längere Zeit bei Elisabeth. Lukas, der nicht gerade sparsam mit Zeitangaben ist, schreibt in Kapitel 1,56: “Und Maria blieb ungefähr drei Monate bei ihr, und sie kehrte zu ihrem Haus zurück.” (Lk 1,56). So kehrt Maria nach etwa drei Monaten, noch vor der Geburt des Johannes, nach Nazaret zurück.
1.4.4 Der Lobpreis des Zacharias
Nach der Geburt seines Sohnes stimmt Zacharias einen Lobpreis an (Benedictus Lk 1,67-79). In diesem Hymnus/Lobpreis kehren gleiche Wörter in chiastischer (umkehrender) Reihenfolge wieder: a) besuchen (68b) – b) Volk (68b) – c) Heil (69) – d) Propheten (70) – e) Feinde (71) – f) Hand (71) – g) unsere Väter (72); dann umgekehrt g‘) unser Vater (73) – f‘) Hand (74) – e‘) Feinde (74) – d‘) Prophet (76) – c‘) Heil (77a) – b‘) Volk (77a) – a‘) besuchen (78b). Verheißungen, Bilder und feststehende Begriffe aus dem Alten Testament kann Zacharias auf seinen Sohn Johannes als Wegbereiter des HERRN beziehen:
Erlösung schaffen `gr. lu,trwsij – lytrösis` Vergebung, Befreiung; vgl. Ps 111,9 tWdP. pedût Loskauf, Auslösung, Lösegeld.
- „Das Horn des Heils wird die Feinde zerstreuen“ ist ein Beispiel für die Zerstörung durch das „Horn“ Dan 8,5-7: Das Horn des Gesalbten (1Sam 2,10) wird als Messias-Verheißung verstanden. Bis heute betet der gläubige Jude im sog. Achtzehngebet (Schemone Esre aus dem 9. Jh.): »Den Spross Davids lass bald sprießen, und sein Horn sei erhöht durch deine Hilfe. Gepriesen seist du, Jahwe. der du sprießen lässest das Horn des Heils«.
- Befreiung von allen, die uns hassen: Jesus wird die Festungen Satans zerstören! Siehe besonders Ps 68,2 und Offb 17,14!
- Erkenntnis des Heils und Vergebung: siehe hier Dan 9,9.
- Die herzliche Barmherzigkeit Gottes (dia, spla,gcna ele,ouj qeou, – dia splagxna eleous theou) besucht uns: hier werden die innersten Gefühle Gottes (innere Organe des Erbarmens unseres Gottes) offenbart.
- Zacharias spricht vom Aufgehen (LXX: hier Spross) eines Gestirns, des „großen Lichtes“ (Jes 9,1), der „Sonne der Gerechtigkeit“ (Mal 3,20) oder des „Sterns aus Jakob“ (4Mose 24,17; auch Jes 9,1; 60,1-2). Allerdings geht dieses Licht nicht über dem Horizont auf, sondern in der „Höhe“, wie das plötzliche Aufstrahlen eines Meteors. A. Schlatter sagt: „Er ist ein Ewiger, der von oben her aus Gottes Nähe heraus in die menschliche Gemeinschaft herab gesandt wird.“ Es ist auch nicht allgemeine Erhellung, sondern Licht, das „uns“ besucht, auf „uns“ hinschaut (s. zu V.68) und so allen Todesschatten aufhebt und die Menschen auf den richtigen Weg weist. Zacharias sieht in Christus Gott, der wieder in das Leben der Menschen eintritt und jenen, die in Finsternis leben, das Licht schenkt.
Fragen / Aufgaben:
- Warum zog es Maria zu Elisabeth?
- Welche Auswirkung hat das Verhalten einer schwangeren Frau auf ihr Kind? Stimmt es, dass Kinder im Mutterleib vieles von ihrer Umwelt wahrnehmen können?
- Welche Abschnitte im Lobpreis Marias sprechen dich an? Erläutere warum!
- Zeitangaben stehen nicht willkürlich in der Bibel. Vorschlag beim Lesen der vier Evangelien: Markiere die Zeitangaben zum Leben von Jesus in deiner Arbeitsbibel. Notiere sie weiter in einer Tabelle. So hast Du sie alle zusammen auf einen Blick.
- Wie würdest du aus diesem Text begründen, dass Abtreibung nie Gottes Wille, sondern Mord ist? Welche Hilfestellung können wir Frauen und Männern geben, die mit dieser Fragestellung als Betroffene kämpfen?
- Beschreibe deine persönliche Haltung zu Maria, der Mutter von Jesus? Kann es sein, dass wir hier etwas korrigieren müssen?
- In der kleinen Hausgemeinde des Zacharias florierte der Lobpreis! Wie können wir in unseren Hauskreisen, in unserer Gemeinde das Dichten und Komponieren von Lobpreis anregen?
1.5 Josef und Maria ziehen nach Bethlehem um
(Bibeltext: Lk 2,1-6)
Als Maria von Elisabeth nach Nazaret zurückkehrt, ist sie schon im vierten Monat schwanger. Josef wird durch seine Arbeit zuverlässig für den Lebensunterhalt gesorgt haben. Nach außen hin eine ganz normale junge Familie, die sich in froher Erwartung ihres ersten Kindes befindet. Womöglich wurden ihre Pläne durchkreuzt, denn:
Es geschah aber in jenen Tagen, dass eine Verordnung (δόγμα – dogma) vom Kaiser Augustus ausging, die ganze Ökumene (in Listen) einschreiben zu lassen. Diese Einschreibung (in Listen) war die erste während (der Zeit), da Quirinius Statthalter von Syrien war. (Lk 2,1-2).
„In jenen Tagen“ bedeutet in diesem Zusammenhang, in dem Zeitraum nach der Rückkehr der Maria nach Nazaret. Nur der Evangelist Lukas verbindet das Jesus-Evangelium mit der allg. Weltgeschichte. Das gr. Wort `οικουμενη – oikoumen¢` kommt im Neuen Testament 15 mal vor und meint meist die ganze Welt/den ganzen Erdkreis/alle Bewohner der Erde. In diesem Zusammenhang jedoch ist es auf alle Bewohner des römischen Reiches begrenzt (Vgl. dazu auch Apg 17,5; 24,1f).
Unser heutiger Text sagt aus, dass Josef seine Verlobte nahm um nach Bethlehem zu ziehen. In einem überlieferten Dokument aus Ägypten lesen wir, dass ein Ehepaar mit Grundbesitz bei der Einschreibung persönlich anwesend sein musste (Aalders 1938, 34.35). Hatte Josef Grundbesitz in Bethlehem? Maria wird hier die Verlobte (Anvertraute) genannt – doch nach Matthäus 1,24b.25 war sie bereits seine rechtmäßige Ehefrau. Warum diese Unterscheidung? Der Grund kann darin gesucht werden, dass die Ehe noch nicht durch Geschlechtsverkehr vollzogen war. So war Maria nach allen Rechten und nach dem Gesetz (sozusagen nach außen hin) die Frau von Josef, biologisch war sie jedoch noch Jungfrau und daher seine Verlobte.
Josef und Maria haben die Strecke zu Fuß zu bewältigen, was in der Antike etwa vier bis fünf Reisetagen entspricht. Zur Zeit des Augustus gab es im Römischen Reich auch im Osten bereits ein gut ausgebautes Straßensystem. Seit dem Bau der Via Appia von Rom nach Capua im Jahre 312 v. Chr. waren viele neue Staatsstraßen in Italien und in den Provinzen gebaut worden. Die Meilen (1,6 km) waren durch Meilensteine markiert, auf denen auch die Entfernungen zu den nächsten Städten eingemeißelt waren. Die Straßen sind hauptsächlich von Staatsdienern und Militärs benutzt wurden, dann auch von Kaufleuten, Pilgern und Privatreisenden. Es sind von Staats wegen alle va. 30 km Raststationen, Ställe und Wechselstationen für die Pferde errichtet worden, in denen auch Josef und Maria hätten einkehren können.
Beim Umzug von Nazaret nach Bethlehem müssen die beiden 110-150 km je nach Route zurücklegen. Nazaret liegt etwa 98 km nördlich von Jerusalem auf der Höhe des Sees Gennesaret, während Bethlehem etwa 8 km südlich von Jerusalem liegt.
Der Umzug wird vordergründig durch den kaiserlichen Erlass veranlasst. Doch hinter dem weltpolitischen Geschehen steht der Plan Gottes: der Messias soll aus Bethlehem kommen. Ob Josef an die Prophetie aus Micha 5,1 denkt, wird in diesem Zusammenhang nicht erwähnt, möglich ist es jedoch, da später die Schriftgelehrten diesen Vers auf den Messias beziehen (Mt 2,4-6; Joh 7,42). Die Tatsache, dass Josef und Maria nach der Geburt des Kindes noch längere Zeit in Bethlehem bleiben und nach der Rückkehr aus Ägypten zunächst wieder dorthin gehen wollen, spricht für eine gewisse Kenntnis dieser Schriftstelle. Doch nach dem Lukastext ist die kaiserliche Verordnung der Hauptgrund für den Umzug nach Bethlehem. Gott wählt hier ein weltpolitisches Ereignis um den Geburtsort von Jesus nach Bethlehem zu verlegen. Dieses politische Ereignis kann nebenbei auch noch über die Zeitbestimmung der Geburt von Jesus gewisse Auskunft geben (näheres dazu im nächsten Abschnitt „Die Geburt von Jesus in Bethlehem“).
Was die Umstände und die Zeit des Umzugs nach Bethlehem betrifft, so können wir Josef wesentlich mehr Verantwortung zugestehen, als in den üblichen Weihnachtserzählungen oft geschildert wird. Die beiden sind keineswegs wenige Tage vor der Entbindung von Nazaret aufgebrochen und am Vorabend der Geburt in Bethlehem angekommen, um dann festzustellen, dass alle Gasträume bereits überfüllt waren. Von früherer Zeit war das Grab Rahels, der Lieblingsfrau von Jakob nördlich von Bethlehem ein Mahnmal für die Reisenden im hochwangeren Zustand (1Mose 35,16-20). Josef ist ein besonnener, gottesfürchtiger und dazu noch praktisch veranlagter Mann. Der Satz: „Als sie dort waren, wurden ihre Tage erfüllt, dass sie gebären soll (…).“ (Lk 2,7), deutet an, dass Maria und Josef sich bereits einige Zeit in Bethlehem befanden. Dort wohnten sie entweder im Elternhaus oder bei einem seiner Verwandten. Josef kommt keineswegs als Fremder nach Bethlehem zurück. Der Evangelist Lukas vermerkt, „Und alle gingen hin, um sich einschreiben zu lassen, ein jeder in seine (Vater-) Stadt.“ (Lk 2,3). Die Eintragung in Listen setzt voraus, dass Josef in Bethlehem gemeldet ist und sehr wahrscheinlich von seinen Vorfahren her hier Grundbesitz hat. So hat er genug Zeit, um die geforderte Eintragung in die amtlichen Listen vorzunehmen, und auch Maria kann sich in aller Ruhe auf die Entbindung vorbereiten.
Fragen / Aufgaben:
- Nenne den Grund des Umzugs von Josef und Maria nach Bethlehem? Beschreibe auch die Reisebedingungen damals (Schau mal ans Ende deiner Bibel/Arbeitsbibel in die Karten oder forsche im Bibelatlas/Bibellexikon).
- Kamen Josef und Maria wirklich erst am Vorabend der Geburt ihres Sohnes in Bethlehem an, wie oft in den Weihnachtsgeschichten zu hören ist? Passt dies zu Josef? Beachte den genauen Wortlaut des Textes in Lukas 2,7.
- Nenne mindestens drei Bereiche aus unserem bürgerlichen Leben, bei denen das Gebot der Unterordnung unter die Obrigkeit (Röm 13,1-8) auch für uns bindend ist, also Geltung hat.
- Können wir Gottes Hand in den Daten und Orten unserer Lebensgeschichte erkennen?
- Ärgert es dich, wenn unsere Regierung immer wieder neue Steuergesetze erlässt?
1.6 Bethlehem – der Geburtsort von Jesus
Im Jahr 33, etwas mehr als 30 Jahre nach der Geburt von Jesus, war das Wissen über seinen Geburtsort allgemein nicht mehr bekannt (Joh 7,41-42). Und heute: Jedes Kind weiß, dass Jesus nicht nur in der Stadt Bethlehem, sondern auch noch in einem „Stall in Bethlehem“ zur Welt kam, weil Maria ihn nach der Geburt in eine Futterkrippe legt. In der Weihnachtszeit zeigen die Krippenspiele meistens auch noch einige Haustiere (Schafe, Esel, Ochsen), die daneben stehen und neugierig das Jesuskind in der Krippe beäugen.
Der Evangelist Lukas schreibt: „Und es geschah, als sie dort waren, wurden ihre Tage erfüllt, dass sie gebären sollte, und sie gebar ihren erstgeborenen Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, weil in dem Raum (gr. καταλυμα – katalyma) für sie kein Platz war.“ (Lk 2,6-7).
Beachten wir zunächst die Wendung: „während sie dort waren (gr. εν τω είναι αυτούς εκει – en tö einai autous ekei) erfüllte sich die Zeit (…)“ dass sie (Maria) gebären sollte. Das heißt, sie sind schon eine Zeitlang in Bethlehem. Die Formulierung: „während sie dort waren (sind)“ ist im gleichen Sinne wie „als sie dort verweilten“ oder „sich dort aufhielten“. So ähnlich wie es später von Jesus heißt:
- Es geschah aber während er in einer Stadt war – Lk 5,12); oder,
- Es geschah aber während er an einem Ort war und betete (Lk 11,1; 9,18).
Die gleiche Formulierung hat Lukas auch in Kapitel 2,6. Auch hier ist nicht das Ankommen betont, sondern die Handlung oder das Ereignis während des Aufenthaltes an einem bestimmten Ort. Und mit hoher Wahrscheinlichkeit wohnen sie in einem Haus ihrer Verwandten und nicht in einer Herberge oder Gaststätte. Denn das Handwerk, Häuser zu bauen, war wohl Tradition in der Familie von Josef. Und dass seine Vorfahren als Baumeister für die eigene Familie ein ordentliches Haus gebaut hatten, ist auch nahe liegend. Übrigens ist im Text auch keine Rede von einem Stall.
Heute steht mit vielfältigem Glanz die Geburtskirche über einer Felsgrotte.
Es war also nicht im Haus als Ganzes, sondern nur im üblichen Gästeraum (Wohnraum) kein Platz, für die Entbindung und wo man hätte das neugeborene Kind hinlegen können. Dieser übliche Raum wird vom Evangelisten Lukas als ´καταλυμα – katalyma´ bezeichnet. Er verwendet diesen Begriff noch einmal für ein Oberzimmer in einem Haus in Jerusalem, in dem Jesus mit seinen Jüngern das Passahlamm essen wollte. Dort heißt es:
Und ihr sollt zu dem Herrn des Hauses sagen: Der Lehrer sagt dir: Wo ist der Raum (καταλυμα – katalyma), wo ich mit meinen Jüngern das Passah essen kann? Und jener wird euch einen großen, mit Polstern belegten Obersaal zeigen, dort bereitet (Lk 22,11-12, vgl. dazu auch den Paralleltext aus Mk 14,14 wo der Evangelist Markus für den angefragten Raum den gleichen Begriff verwendet).
Diese Aussagen geben uns sogar einen gewissen Einblick in die Architektur eines Hauses in Jerusalem. Diese Bauweise ist heute noch überall im Mittelmeerraum gegenwärtig. Die Pontus-Griechen nahmen diese Bauweise sogar nach Mittelasien mit. Wenn es also einen Obersaal, oder Oberzimmer (durch αναγαιον – anagaion, der „obere“ angedeutet) im Hause gibt, dann gibt es eben auch Räume im Erdgeschoss, die wohl eher als Wirtschafsträume genutzt werden. Dort wohnen die regulären Hausbewohner während der Zeit der vielen Gäste – während die Gäste selbst im besseren oberen Raum unterkommen. Für die Entbindung und das neugeborene Kind ist in diesem Raum kein Platz. Sie wohnen also mit den regulären Bewohnern in den unteren Räumen.
Anmerkung: Allerdings muss diese Aussage vor dem Hintergrund der LXX eingeschränkt werden. Das griechische Wort steht dort für vier verschiede hebräische Worte, darunter definitiv auch für eine öffentliche Herberge (2Mose 24,4). Doch hier geben wir Lukas und Markus Vorrang mit der Zuordnung dieses Begriffes.
Darum ist die Übersetzung „Herberge“ in Lukas 2,7 missverständlich, weil er dafür ein anderes griechisches Wort verwendet, und zwar `πανδοχειον – pandocheion` (Lk 10,34), was so viel wie Khan, Karawanserei bedeutet. Dort geht es tatsächlich nur um eine Übernachtungsmöglichkeit für Pilger oder Geschäftsleute mit ihren Pferden, Eseln oder Kamelen. Aber Josef und Maria sind mit Jesus auch später noch, als die Weisen ankamen, in einem Haus (Mt 2,11). Dem sogenannten abweisenden „Gastwirt“ in Bethlehem wird häufig in den Weihnachtsanspielen Unrecht getan, zumal auch er im Text gar nicht vorkommt.
Wie kommt dann eine Krippe in den unteren Raum des Hauses? Wenn nach Lukas 22,11 καταλυμα – katalyma ein Oberzimmer beschreibt, kann es sich im Falle der Geburt von Jesus um einen im Erdgeschoss befindlichen Vielzweckraum des Hauses handeln, wo gelegentlich oder bei schlechtem Wetter, Jungtiere oder Kleinvieh zusammen mit den Hausbewohnern Unterschlupf finden und wo zu diesem Zweck selbstverständlich auch eine Futterkrippe steht.
Ludwig Schneller beschreibt die innere Ausstattung eines arabischen Hauses in Bethlehem aus dem Ende des 19. Jahrhunderts. Die Araber (überwiegend christliche Bewohner der Stadt) hatten zu der Zeit höchstwahrscheinlich eine andere Bauweise, doch gibt es auch Ähnllichkeiten zu der Zeit von Jesus:
„Die meisten Häuser in Bethlehem bestehen aus einem einzigen Raum. Im Winter und in der Regenzeit wird dieser nicht nur von Menschen, sondern auch von Tieren bevölkert. Es ist keine Seltenheit, dass in diesem Raum eine Krippe steht. Da es keinerlei Möbel, wie Betten und Schränke gibt, kann eine Futterkrippe als sehr günstiges Bettchen für einen Säugling dienen“ (Schneller 1890, 31).
Wer nun die beschriebenen unteren Räume eines Hauses in Bethlehem als Stall bezeichnen will, kann es tun, dieses Wort steht jedoch nicht im Text. Das griechische Wort αυλη, – aul¢ , welches Luther in Johammes 10,1.16 mit ‚Stall‘ übersetzt, kommt noch an folgenden Stellen des Neuen Testamentes vor:
- es beschreibt in Lk 22,55 und Paralleltexten den Hof (Palasthof) des Hohenpriesters;
- in Offb 11,2 den Vorhof des Tempels;
- und in Johannes 10,1.16 eben das Schafgehege.
Wenn also Josef und Maria schon rechtzeitig vor der Geburt des Kindes in Bethlehem wohnen und nach der Geburt nicht nur bis zur Darstellung im Tempel, 40 Tage danach (Lk 2,22), sondern auch noch als die Weisen aus dem Morgenland viele Monate später ankamen, in Bethlehem sind (Mt 2,1.7.16), dann passt die Vorstellung der Geburt von Jesus in einem Gehege (Schafstall) überhaupt nicht in den Zusammenhang. Viel einfacher ist die Vorstellung, dass Jesus in einem Haus bzw. in einem unteren Raum des Hauses, wo bei Kälte und regnerischem Wetter auch Haustiere Unterschlupf finden, zur Welt kommt und Maria ihn in eine sich dort befindliche Futterkrippe legt.
Seit dem 2. Jh. gibt es eine Tradition, dass Jesus in einer Felsgrotte, an die das Wohnhaus angebaut war, geboren sei. Doch auch dies passt in das Bild, das Jesus in dem Nebenraum eines Hauses geboren wurde – weil es im Hauptraum, den man Gästen anbieten würde, keinen Platz gab.
ANMERKUNG: Die Tatsache, dass die Hirten auf freiem Felde mit ihren Herden übernachten, lässt nicht auf das Vorhandensein von Tieren in den Häusern Bethlehems schließen. Dezember und Januar sind die niederschlagreichsten Monate des Jahres. Das sonst graue Land erstrahlt in frischem Grün und viele Hirten nutzen die zwar ungemütliche „Winterzeit“ und wandern mit ihren Herden über die näheren Winterweiden, während sie im Sommer wieder zu den weiter entfernt gelegenen Sommerweiden ziehen. Das Übernachten auf dem Felde weist eher auf eine Zeit von April bis November hin. Das Jesus mitten im Winter geboren wurde ist unsicher und eher unwahrscheinlich – siehe nächster Abschnitt: Der Zeitpunkt der Geburt von Jesus. Doch es bleibt dabei, niemand kann nach so langer Zeit mit Sicherheit den genauen Ort und den genauen Zeitpunkt für die Geburt von Jesus nennen.
Fragen / Aufgaben:
- Was ist das Besondere an dem kleinen Ort Bethlehem?
- Was könnte Josef empfunden haben beim Anblick und Einzug in seine Vaerstadt Bethlehem?
- Was schließen wir aus dem Umstand, dass Jesus im Vielzweckraum geboren wurde?
- Bewerte die Argumente, welche für die Geburt von Jesus in einem unteren Raum des Hauses sprechen.
- Hast du Informationen über die Umstände deiner Geburt?
1.7 Geburt von Jesus in Bethlehem
(Bibeltexte: Gal 4,4; Lk 2,7; Mt 1,25. 2,1; Hes 16,4.5)
1.7.1 Wann wurde Jesus geboren?
Jesus wurde geboren als „die Zeit (gr. χρόνος – chronos) erfüllt war.“ (Gal 4,4). Das konkrete Handeln Gottes wurde in unserer Geschichte offenbar. So gesehen ist es auffällig, dass im Neuen Testament wenig Wert auf konkrete Angaben zum Geburts- und Todesjahr gelegt wird. Thiede merkt an: „(…) in der Antike wurde Einzelheiten der Geburt, des Geburtsorts, der Kindheit und Jugend nicht als wesentliche Informationen betrachtet“ (Thiede 2006, 65). Die Ereignisse selbst stehen im Mittelpunkt der Berichterstattung. Es gibt jedoch eine Reihe von erwähnten Personen und anderer Details, die mehr Licht auf unsere Fragestellung werfen könnten. Diese sollen der Reihe nach untersucht werden.
Im Wesentlichen sind es fünf mögliche Schlüssel, die zum Geburtsjahr von Jesus führen könnten.
Der Tod des Herodes (des Großen)
Der Stern des Königs
Die Statthalterschaft des Quirinius
Die Einschreibung in Listen
Das Jahr des öffentlichen Auftretens von Jesus, minus ungefähr (knapp) dreißig Jahre
- Das Todesjahr des Herodes
Werner Papke kommt in seiner wenig beachteten Ausarbeitung („Der Stern des Messias“ 1995) zu dem Schluss, dass Jesus im Spätsommer des Jahres 2 v. Chr. geboren wurde. Wenn wir uns im Folgenden seinen Gedanken anschließen, soll deutlich werden, dass er seine Berechnungen plausibel begründet. In den gängigen Chronologien zum Leben Jesu wird das Jahr 4 v. Chr. als das Todesjahr des Herodes angegeben.
Diese Berechnung beruht auf der Aussage des Josephus in seinen „Jüdischen Altertümern“, Herodes sei nicht lange vor dem jüdischen Passafest gestorben. In dem Zusammenhang berichtet er von vielen Ereignissen und Tätigkeiten des Herodes (geboren 74 v. Chr., König seit 37 v. Chr.) unter anderem, dass er zwei namhafte Priester verbrennen ließ, während in der Nacht eine Mondfinsternis stattfand. Diese (parzielle, kaum bemerkbare) Mondfinsternis fand in der Nacht vom 12 auf den 13 März (Julianisch) 4 v. Chr. statt. Von 4 v, Chr. bis 1 v. Chr. fand jedoch keine totale Mondfinsternis statt, außer der vom 9./10. Januar 1 v. Chr.. Sie ist demnach als diejenige zu betrachten, die vor dem Tod des Herodes eintrat, so dass Jesus im Jahre 2 v. Chr. noch zu Lebzeiten des Königs Herodes geboren wurde, wie Matthäus berichtet (Papke, 1995, 94-99 auszugsweise). |
In den Texten der Evangelien gibt es nur indirekte Hinweise zum Datum der Geburt von Jesus.
„Eins müssen wir allerdings feststellen: Keine Aussage von Lukas dem Arzt als Historiker konnte widerlegt werden“ (Hendriksen 1978, 141).
- Der Stern des Königs
Leider hat Herodes die Kenntnis über das „wann der Stern erschienen sei“ (Mt 2,7), nicht veröffentlicht. Die Weisen aus dem Osten haben höchstwahrscheinlich das Datum dieser Beobachtung in ihrem Heimatland weitererzählt oder sogar aufgezeichnet. In den letzten Jahrzehnten ist auch das Jahr 7 v. Chr. als das Geburtsjahr von Jesus favorisiert worden. Zu diesem Schluss kam man, weil es im Jahr 7 eine größere Planetenkonjunktion von Jupiter und Saturn im Sternbild der Fische gegeben hat (Kroll. G. 1988, 65-66).
Diese Planetenkonjunktionstheorie (wie auch andere Konjuktionen um die Zeitenwende) widersprehen jedoch den Aussagen des Evangelisten Matthäus, der dreimal von einem Stern `αστόρ –ast¢r` spricht (Mt 2,2.9.10). Wir täten gut, diesem ausgebildeten Zöllner und Evangelisten mehr Kompetenz in der Astronomie zuzugestehen. Der Schluss, er könne nicht zwischen Stern und Planet unterscheiden ist vorschnell und im Kontext nicht haltbar.
Das Neue Testament erwähnt `αστέρες πλανέται –asteres plan¢tai` also Planeten und nennt sie „irrende Sterne“ (Judas 13). ‚Irrend‘ heißt, sie sind in ständiger Bewegung. Sie haben selbst keine Leuchtfähigkeit, sondern scheinen nur, wenn sie von einem Stern (Sonne) angestrahlt werden. Die oben genannte Planetenkonjunktion wiederholt sich im Laufe von Jahrhunderten – ist also kein so einmaliges Ereignis wie es in den Evangelien dargestellt wird. Da die Geburt (Menschwerdung) von Jesus jedoch einmalig ist, wäre die logische Folgerung, dass es sich bei dem Stern des Königs um ein einmaliges Ereigmis handelt. Das hieße auch, es kann durch astronomische Nachberechnungen nicht erfasst werden.
Das Jahr 7 v. Chr. als das Geburtsjahr von Jesus ist auch noch deswegen zu früh, weil der Beginn der Wirksamkeit von Jesus dann im Jahre 24 zu datieren wäre, doch zu diesem Zeitpunkt war Tiberius erst 10 Jahre im Amt. Nach Lukas 3,1 begann Johannes (Jesus kurze Zeit später) seinen Dienst jedoch im fünfzehnten Jahr des Tiberius. Tiberius trat seine Herrschaft am 19. August des Jahres 14 n. Chr. an.
- Die Zeit der Statthalterschaft des Quirinius
Der Evangelist Lukas liefert uns einige Angaben über die zeitlichen Umstände und Personen, welche im Zusammenhang der Geburt von Jesus bedeutend sind.
In Lukas 2,1-2 wird berichtet:
- Es geschah aber in jenen Tagen, dass eine Verordnung (gr. δόγμα – dogma)
vom Kaiser Augustus ausging, die ganze Ökumene (in Listen) einschreiben zu lassen. Diese Einschreibung (in Listen) war die erste während (der Zeit), da Kyrenius Statthalter von Syrien war.
Wüssten wir die Daten der Statthalterschaft des Quirinius, könnten wir das Geburtsjahr von Jesus leicht feststellen. Publius Sulpicius Quirinius (so sein vollständiger Name) wurde um das Jahr 45 v. Chr. in Lanuvium geboren, einer Stadt in der Nähe Roms. Seine Familie war wohlhabend, hatte aber weder Senatoren noch Magistrate hervorgebracht. Nach außerbiblischen Quellen nahm Quirinius in dem Jahrzehnt vor und dem Jahrzehnt nach der Zeitenwende eine hervorragende Stellung ein. Doch außer dem Evangelisten Lukas erwähnt niemand seine Statthalterschaft in Syrien zur Zeit der Geburt von Jesus. Wir kennen eine durchgehende Liste der Statthalter von Syrien für den Zeitraum 13/12 v. Chr. bis 6/7 n. Chr.. Nach diesen Angaben bleibt der Statthalterposten nur für den Zeitraum von Frühjahr 2 v. Chr. bis Herbst 2 v. Chr. unbesetzt. Könnte es sein, dass gerade in diesem Zeitraum Quirinius Statthalter von Syrien war und den von Saturninus begonnenen Zensus zu Ende geführt hatte? (Papke 1995, 99 – auszugsweise. Siehe auch Anhang – Quirinius, Statthalter von Syrien).
- Die Einschreibung in Listen
Kaiser Augustus regierte von 30 (31) v. Chr. – 14 n. Chr. (Andere Quellen: 27 v. Chr. bis 14 n. Chr.). Unter seiner Herrschaft erlebte das Römische Reich eine Festigung. Die verschiedenen Völker lebten in relativem Frieden. Zur Zeitenwende wurde das Wort Caesar = Kaiser als Beiname des Herrschers gebraucht. Erst später wurde „Kaiser“ zur Titulatur der römischen Herrscher. Im Jahre 27 v. Chr. erlangte er auf legalem Wege die Alleinherrschaft im römischen Reich, als ihn der Senat zum Princeps ernannte.
„Am 5. Februar des Jahres 2 v. Chr. wurde Augustus vom römischen Senat offiziell die höchste Auszeichnung des Staates verliehen: Augustus wurde zum Pater patriae ‚Vater des Vaterlandes’ ernannt, was den Höhepunkt in der politischen Laufbahn des Augustus bedeutete und ihm unumschränkte Macht im Römischen Reich einbrachte“ (Papke 1995, 98).
Das Jahr 2 v. Chr. war gleichzeitig auch das 25-jährige Jubiläum der Alleinherrschaft des Augustus. Dieses Jahr wurde dadurch auch mit Feiern im ganzen Reich begangen. Josephus spricht von einem Treueid, den Augustus etwa ein Jahr vor dem Tode des Herodes veranlasste. Und er ergänzt, dass 6000 Pharisäer den Treueid verweigerten, während die ganze jüdische Bevölkerung einen Eid ablegte, dem Kaiser treu zu sein (Josephus, Altertümer XVII 2,4). Sicher wissen wir über Pharisäer im Zeitraum vor 70 n. Chr.: eifrig im Studium und der Erkenntnis des Gesetzes, Glaube an die Auferstehung und Akzeptanz der Überlieferung der Ältesten. Josephus berichtet, dass Essener nie das Essen anderer anrühren (BJ II. 143f) – er sagt allerdings nichts dergleichen über Pharisäer aus (Sanders 1985, 188).
Das hier von dem Evangelisten Lukas gebrauchte Verb ,απογράφεσθαι – apografesthai – eingeschrieben werde` (in Listen) entspricht in etwa dem uns aus der römischen Geschichte wohl vertrauten „census civium“, der mit einer Volkszählung verglichen werden kann. Lukas schreibt, dass es die „erste“ Einschreibung war. Wohl die erste in ihrer Art, weil sie alle im Römischen Reich umfasste, denn auch vorher ist der römische Staat nicht ohne Steuern ausgekommen. Inschriftlich belegt ist ein „Zensus“ jeweils für das Jahr 9/8 v. Chr., 6/7 n. Chr. und 13/14 n. Chr. Der Zensus wurde gewöhnlich im Sieben-Jahresturnus durchgeführt. Dies würde einen Zensus im Jahre 2 v. Chr. bestätigen. Nach Gerhard Kroll umfasste der römische Provinzialzensus zwei administrative Akte:
– „Die `απόγραφη – apograf¢` – Aufschreibung und Aufnahme des Personalstandes, die Eintragung in die amtlichen Steuerlisten und die Erfassung des Grund und Hauseigentums“ (Kroll 1990, 12).
– „Die `αποτιμέσις – apotimesis` – Schätzung der Vermögenswerte und die Festlegung des jeweiligen Steuersolls.“
Der Evangelist Lukas verwendet nur den Begriff „apograf¢“ und präzisiert, dass es die „erste Einschreibung“ war. Die erste, in ihrer Art, weil sie das gesamte Römische Reich `πάσαν την οικουμένην – pasan t¢n oikoumen¢n` umfasste. Und er fügt hinzu, dass diese Einschreibung während der Statthalterschaft des Quirinius stattfand. Die Aussagen dieser genannten Quellen führen uns in das Jahr 2 v. Chr. für das angenommene Geburtsjahr von Jesus.
- Vom Zeitpunkt des Beginns der Wirksamkeit Jesu minus 30 Jahre
Es gibt jedoch noch einen weiteren Ansatz, um das Geburtsjahr von Jesus näher zu bestimmen. Dieser Ansatz ist so einfach und plausibel, dass er selten in Betracht gezogen wird. Rechnen wir vom Jahr des Beginns der Wirksamkeit von Johannes dem Täufer und von Jesus knapp 30 Jahre zurück (Lk 3,23), kommen wir in das Geburtsjahr von Jesus. Wenn Johannes im 15. Jahr des Tiberius Kaisers öffentlich auftrat, dann ist es die Zeit zwischen dem 19. August 28 und dem 18. August 29 n. Chr. Vielleicht hat Johannes schon im Herbst 28, spätestens jedoch im Frühjahr 29 seinen Dienst begonnen. Jesus kam etwa ein halbes Jahr später (entsprechend dem Altersunterschied zu Johannes) zu ihm an den Jordan. So könnte der Beginn des öffentlichen Wirkens von Jesus auf etwa Frühjahr bis Sommer des Jahres 29 datiert werden. Rechnen wir von Sommer 29 etwa 30 Jahre zurück, so kommen wir in den Sommer oder Spätsommer des Jahres 2 vor der Zeitenwende als dem Geburtsjahr von Jesus.
Unter zusätzlicher Einbeziehung der Daten der Wirksamkeit von Jesus so wie seines Todesjahres (3. April 33 unserer Zeitrechnung), scheint die Fixierung der Geburt von Jesus auf das Jahr 2 vor der Zeitenwende gut begründet zu sein.
Die uns ganz vertraute Rechnung der Jahre „nach Christus“, genauer: „nach Christi Geburt“, geht auf den römischen Mönch Dionysius mit dem bescheidenen Namen Exigus, der „ganz Kleine“, zurück. Dionysius führte im Jahre 525 n. Chr. die „christliche Ära“ ein, wobei er die Geburt Jesu ins Jahr Null setzte und das folgende Jahr als das erste „nach der Menschwerdung des Herrn“ (ab incarnatione Domini) zählte.
Der englische Benediktiner-Mönch Beda (ca. 672-735), Venerabilis, der „Ehrwürdige“, genannt, hat das Jahr 1 „nach Menschwerdung“ Christi bei Dionysius als das Jahr der Geburt Jesu selbst missverstanden; seinem Einfluss ist es zu verdanken, dass seitdem irrtümlich ein Jahr weniger gerechnet wird; das Jahr 1999 n. Chr. ist also eigentlich das Jahr 2000 n. Chr. Für die Zeitenwende gelten demnach folgende Entsprechungen: Das Jahr 2 v. Chr. entspricht dem Jahr „Null“ des Dionysius, das Jahr 1 v. Chr. entspricht dem Jahr 1 des Dionysius, das Jahr 1 n. Chr. entspricht dem Jahr 2 des Dionysius. (Beachte: auf das Jahr 1 v. Chr. folgt das Jahr 1 n. Chr.; es gibt kein Jahr „0“ in der seit Beda üblichen Bezeichnungsweise.) Dieser bescheidene Mönch hat bezüglich des Geburts-Jahres des Erlösers sich nicht, wie allgemein zu lesen ist geirrt, sondern im Gegenteil genau richtig gerechnet! (Papke, 1995, 93). |
1.7.2 Tabelle zum möglichen Datum der Geburt Christi
nach Lk 3,1 und 3,23
Zunächst müssen wir beachten, dass es kein Jahr 0 (im Sinne von 12 Monate-Dauer) gibt, wie der Mönch Dionisius in seinem Kalender festgelegt hatte. Null bildet de facto eine Linie zwischen dem Jahr eins vor und dem Jahr eins nach unserer Zeitrechnung.
Spätsommer 2 v. – 1 v. | Das erste Lebensjahr (Darstellung im Tempel – Lk 2,22ff; Besuch der Weisen – Mt 2,1-12; Flucht nach Ägypten (Mt 2,13ff;, Rückkehr und Niederlassung in Nazaret – Mt 2,22-23) |
1 v. – 1 n. | Das zweite Lebensjahr (Er nahm zu an Alter, Weisheit und Gnade – Lk 2,52) |
1 n. – 2 n. | Das dritte Lebensjahr (Er nahm zu an Alter, Weisheit und Gnade) |
2 n. – 3 n. | Das vierte Lebensjahr (Er nahm zu an Alter, Weisheit und Gnade) |
3 n. – 4 n. | Das fünfte Lebensjahr (Er nahm zu an Alter, Weisheit und Gnade) |
4 n. – 5 n. | Das sechste Lebensjahr (Er nahm zu an Alter, Weisheit und Gnade) |
5 n. – 6 n. | Das siebte Lebensjahr (Schulzeit – Synagogenbesuch) |
6 n. -7 n. | Das achte Lebensjahr (Schulzeit – Synagogenbesuch) |
7 n. – 8 n. | Das neute Lebensjahr (Schulzeit – Synagogenbesuch) |
8 n. – 9 n. | Das zehnte Lebensjahr (Schulzeit – Synagogenbesuch) |
9 n. – 10 n. | Das elfte Lebensjahr (Schulzeit – Synagogenbesuch) |
10 n. – 11 n. | Das 12. Lebensjahr (Jesus bleibt drei Tage allein im Tempel in Jerusalem – Lk 2,41ff) |
11 n. – 12 n. | Das 13. Lebensjahr (als 13-jähriger übernimmt Jesus mehr Verantwortung) |
12 n. – 13 n. | Das 14. Lebensjahr |
13 n. – 14 n. | Das 15. Lebensjahr (Berufsausbildung) |
14 n. – 15 n. | Das 16. Lebensjahr (Berufsausbildung) |
15 n. – 16 n. | Das 17. Lebensjahr (Berufsausbildung) |
16 n. – 17 n. | Das 18. Lebensjahr (Beruf/Handwerk) |
17 n. – 18 n. | Das 19. Lebensjahr (Beruf/Handwerk) |
18 n. – 19 n. | Das 20. Lebensjahr (Beruf/Handwerk) |
19 n. – 20 n. | Das 21. Lebensjahr (Berufsjahre) |
20 n. – 21 n. | Das 22. Lebensjahr (Beruf/Handwerk) |
21 n. – 22 n. | Das 23. Lebensjahr (Beruf/Handwerk) |
22 n. – 23 n. | Das 24. Lebensjahr (Beruf/Handwerk) |
23 n. – 24 n. | Das 25. Lebensjahr (Beruf/Handwerk) |
24 n. – 25 n. | Das 26. Lebensjahr (Verantwortung als Erstgeborener in Familie und Berufsleben) |
25 n. – 26 n. | Das 27. Lebensjahr (Verantwortung als Erstgeborener in Familie und Berufsleben) |
26 n. – 27 n. | Das 28. Lebensjahr (Verantwortung als Erstgeborener in Familie und Berufsleben) |
27 n. – 28 n. | Das 29. Lebensjahr (Verantwortung als Erstgeborener in Familie und Berufsleben) |
28 n. – 29 n. | Das 30. Lebensjahr |
29 n. (Sommer) | Jesus ist knapp 30 Jahre alt (Er lässt sich von Johannes im Jordan taufen, siegt in den Versuchungen in der Wüste, zieht anschließend von Nazaret nach Kapernaum um und beginnt mit seinem Dienst – (Lk 3,23; Mt 4,17). |
Dass wir heute die Geburt von Jesus am 24./25. Dezember feiern, ist eine Tradition der Westkirche. In Palästina wurde das Weihnachtsfest am 24./25. Dezember erst zu Beginn des 6. Jahrhunderts auf Drängen der Westkirche eingeführt. Das Kommen von Jesus in diese Welt ist zentraler Inhalt der Evangeliumsbotschaft, die ununterbrochen verkündigt werden soll. Doch tun wir gut, wenn wir uns an einem bestimmten Tag im Jahr an die Geburt von Jesus Christus im Besonderen erinnern.
1.7.3 Die Umstände der Geburt von Jesus
Die Geburt eines Kindes, speziell des ersten Sohnes, war ein freudiges, sehr bedeutsames Ereignis im Leben der orientalischen Familie. Die Geburt selbst war meist nicht so schwierig – die heute üblichen Zivilisationskrankheiten trugen hoffentlich nicht zur Erschwerung bei. Nur wenige Texte der Bibel machen Detailangaben über die Geburt eines Kindes. Wir lesen im Buch des Propheten Hesekiel von einigen Details, die nach der Geburt nicht beachtet wurden. Aus dieser recht leidvollen Beschreibung geht dennoch hervor, was das normale war.
Bei deiner Geburt war es so: Am Tag, als du geboren wurdest, wurde deine Nabelschnur nicht abgeschnitten; auch hat man dich nicht mit Wasser gebadet, damit du sauber würdest, dich nicht mit Salz abgerieben und nicht in Windeln gewickelt. Denn niemand sah mitleidig auf dich und erbarmte sich, dass er etwas von all dem an dir getan hätte, sondern du wurdest aufs Feld geworfen. So verachtet war dein Leben, als du geboren wurdest. (Hes 16,4-5).
Dennoch beschreibt der Hesekiel-Text die Details, die bei der Geburt zu beachten waren.
Was für ein Kontrast zum liebevollen Verhalten von Josef und Maria gegenüber ihrem Kind! Wir können also annehmen, dass nach der Geburt von Jesus:
- Die Nabelschnur behutsam abgetrannt wurde,
- Das Neugeborene mit oder im Wasser gebadet wurde,
- Danach (wohl zur Desinfektion) mit Salz abgerieben,
- Danach in Windeln gewickelt,
- Anschließend in eine mit Stroh und weichen Tüchern gepolsterte Futterkrippe gelegt.
- Beide, Maria und Josef wachten über dem Kind.
Nach 1Mose 35,17; 38,28, 2Mose 1,15-22 und 1Sam 4,20 waren immer andere weibliche Personen bei der Geburt als Hilfe anwesend. Dies waren Freundinnen der Mutter oder ältere Verwandte. Auch gab es wohl einen Geburtsstuhl 2Mose 1,16 wörtlich: „(…) wenn ihr sie auf dem Geburtsstuhl al ha‚obnajim seht (…)“ Über die Anwesenheit von anderen Frauen wird in den biblischen Texten nichts erwähnt (…) dennoch wäre es sehr außergewöhnlich, wenn nicht Frauen der erweiterten Sippe – auch bei sehr losen Beziehungen – hilfreich einer Erstgebärenden zur Seite gestanden hätten. Bei den Windeln handelt es sich um lange Stoffstreife n, mit den üblicher Weise die Glieder der Säuglinge festgebunden werden, damit sie „gerade“ wachsen.
So ist Jesus, wie auch viele andere Kinder in einem der unteren Wirtschaftsräume des Hauses zur Welt gekommen und weil es für sie oben in der guten Stube keinen Platz gab, legten sie ihn in Windeln gewickelt in die dort befindliche Futterkrippe.
Fragen / Aufgaben:
- Was ist dir über den Zeitpunkt, bzw. das Jahr der Geburt von Jesus bekannt? Wie kamen die Forscher zu den unterschiedlichen Ergebnissen?
- Ist Weihnachten (24/25. Dezember) wirklich der Geburtstag von Jesus?
- Suche auf einer Karte Bethlehem (Mt 2,1), beschreibe die geographische Lage der Stadt. Wo in der Bibel wird Bethlehem zum ersten Mal erwähnt? Welcher Prophet sagt etwas über den Geburtsort und den Messias voraus? Als wessen Stadt wird Bethlehem bezeichnet?
- Wenn du die Möglichkeit hättest in Bethlehem einen Tag zu verbringen, was würdest du dort machen?
- Kann es sein, dass Maria und Josef gerne Nazaret verließen und die Geburt im fernen Bethlehem ihnen eigentlich willkommen war? Wie war Marias Situation in Nazaret?
- Was fällt bei der Geburt von Jesus auf?
- In welcher Weise war die „Fülle der Zeit“ gekommen, als Jesus in Bethlehem geboren wurde? Welche politischen, kulturellen und religiösen Faktoren könnten es gewesen sein?
1.8 Gott offenbart sich den Hirten
(Bibeltexte: Lk 2,8-20; 2Kön 7,9)
1.8.1 Die Frohe Botschaft der Engel an die Hirten
Nicht an den Palästen der Herrscher und Großen dieser Welt offenbart sich Gott, sondern bei den Geringen, bei den Unbeachteten. Die Geschichte mit den Hirten berichtet uns nur der Evangelist Lukas.
,„Und es waren Hirten in derselben Gegend, die auf freiem Feld blieben und des Nachts Wache hielten über ihre Herde.“ (Lk 2,8 Elf.).
Hirten finden in Gottes Heilsgeschichte eine besondere Beachtung. Abel, die Patriarchen Abraham, Isaak, Jakob mit seinen Söhnen, Mose, David, Amos waren Hirten. Ja, selbst Jesus bezeichnet sich als den „guten Hirten“ (Joh 10,1). Gott scheint eine besondere Beziehung zu den Hirten zu haben.
In Palästina mussten Hirten besonders in der Nacht Wache halten, denn es gab in dieser Region wilde, reißende Tiere: Wölfe, Hyänen, Leoparden, Löwen und sogar Bären. Entweder trieb man die Schafe für die Nacht in die Gehege (Pferche) oder auch in die Höhlen, wo sie leichter zu bewachen und zu beschützen waren. Dass die Herde und die Hirten nachts draußen auf freiem Felde waren, deutet evtl. darauf hin, dass keine winterlichen Temperaturen herrschten. Der Evangelist Lukas schreibt: „Und ein Engel des Herrn stellte sich zu ihnen und die Herrlichkeit des Herrn umleuchtete sie.“ Es fällt hier gleich auf, dass der Engel des Herrn sich zu ihnen stellt. Paul Schüle: „Meine frühere Vorstellung, dass er über ihnen schwebte, ist damit verflogen!“ Die Reaktion der ansonsten furchtlosen Hirten ist große Furcht. Die Herrlichkeit des Herrn ist oft mit Licht, Feuer und wunderschönen Farben verbunden (siehe 2Mose 24,17; Mt 17,2; Offb 4,2ff). Durch die Botschaft des Engels werden uns ewige Wahrheiten von Gott offenbart.
Die Einleitung des Engels: „Fürchtet euch nicht, denn siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird“, ist zweiteilig. Die Hirten sollen aus ihrer Furcht heraus und in die Freude hinein geführt werden. Den Hirten wird „gute Nachricht” verkündigt (Jes 52,7). Höchstwahrscheinlich sprach der Engel mit den Hirten Hebräisch. Im Griechischen verband man damals mit dem Verb euangeli, zomai – euangelizomai die Verkündigung guter Nachricht; im griechisch-römischen Kontext auch die Bekanntgabe der Feiern des Kaiserkults – besonders an dessen Geburtstag.
Der Inhalt der Freude ist dreiteilig und wird am Ende auch noch lokalisiert.
- „Denn euch ist heute der Retter (swth,r –söt¢r) geboren (1Mose 3,15),
- welcher ist (der) Gesalbte (cristo,j – christos) (Jes 61,1),
- (der) Herr (ku,rioj – kyrios) (2Sam 7,12-14; Ps 110,1; Mt 22,42-44) in der Stadt Davids.“
Man sollte die Bildung bzw. Kenntnis der sonst einfachen Hirten-Menschen über Gott und seine Geschichte in Israel nicht unterschätzen. Wir werden in dem Zusammenhang an all die Hirten in der Geschichte Israels erinnert. Gerade diese standen Gott oft näher als die typischen Stadtbewohner. So ist es nicht verwunderlich, dass der Engel ihnen solche theologischen Inhalte vermitteln kann und sie diese sofort begreifen.
Die Botschaft des Engels lautete: „Und das ist für euch das Zeichen: Ihr werdet ein Kind (einen Säugling) finden in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen.“ (Lk 2,12) Begriff `βρέφος – brefos` bezeichnet entweder ein Neugeborenes oder auch ein noch nicht geborenes Kind im Mutterleib (1Petr 2,2; Lk 1,41.44).
-
Der Engel macht die Hirten auf zwei Äußerlichkeiten aufmerksam: das Kind ist in Windeln gewickelt und liegt in einer Futterkrippe. Windeln werden im Alten Testament nur zwei Mal erwähnt (Hiob 38,9: im übertragenen Sinne auf die Wolken des Himmels bezogen und in Hesekiel 16,4-5 wird indirekt die gewöhnliche Praxis im Umgang mit Neugeborenen nach der Geburt beschrieben).
Das Zeichen der Krippe zieht unsere Aufmerksamkeit auf sich. Die Krippe selbst wird in der Bibel nur selten erwähnt (hebr. ¢büs, gr. φάτνη – fatn¢). Im Alten Testament wird die Krippe nur vier Mal genannt (Hiob 6,5: LXX; 39,9; Spr 14,4; Jes 1,3). Die bekannteste Stelle ist in Jesaja 1,3: „Ein Ochse kennt seinen Herrn und ein Esel die Krippe seines Herrn, (…).“ Dies ist der einzige sehr indirekte Hinweis aus dem Alten Testament, aufgrund dessen angenommen wird, dass bei der Geburt von Jesus Ochsen und Esel anwesend waren. Im NT finden wir keinen Hinweis auf die so beliebten Figuren in Weihnachtsanspielen. Im Neuen Testament ist Lukas der Einzige, der außer bei der Geburt von Jesus (drei Mal: 2,7.12.16) noch in Kapitel 13,15 eine futterkrippe erwähnt. Maria und Josef legen das neugeborene Jesus-Kind in eine Futterkrippe. Dies war eventuell nicht die gängigste und beliebteste Praxis gewesen. Mit Nachdruck betont der Engel, dass die Krippe „das Zeichen“ sei (gr. σημείον s¢meion),
m den Retter zu identifizieren. Ein Zeichen steht nicht für sich da, sondern weist auf etwas Höheres oder jemand Höheren hin. Anhand dieses (besonderen) Zeichens konnten die Hirten, nachdem sie das Kind in einem der Häuser Bethlehems fanden, genau identifizieren.
Ludwig Schneller merkt an, dass er diese Praxis in Bethlehem viel später bei den Arabern Ende des 19. Jahrhunderts oft beobachtete – so mag sie eine Fortsetzung dessen sein, was damals mit Jesus noch etwas Besonderes war.
Der Hinweis des Engels auf die Windeln dagegen, könnte nicht als Zeichen (etwas Ungewöhnliches) bezeichnet werden, denn diese werden als gewöhnlicher Bestandteil bei Neugeborenen in Hesekiel 16,4 beschrieben (siehe weiter oben). Die Futterkrippe wird im Gegensatz zu den Windeln immer nur als Versorgungseinrichtung für das Vieh in Verbindung gebracht. Hier in der Krippe also liegt das Leben der Welt. Das „Lamm” beginnt seinen Weg in der Krippe aus Holz und beendet ihn am Holz-Kreuz auf Golgatha. Was für ein Zeichen!
Und nun kommt eine weitere Überraschung. Plötzlich ist bei dem Engel eine Menge der himmlischen Heerscharen (πλήθος στρατας – pl¢thos stratias), die lobsingen Gott: „Herrlichkeit Gott in den Höhen und Frieden auf Erden bei den Menschen des (seines) Wohlgefallens.“ (Lk 2,14). Nach welcher Melodie und in welcher Stimmlage sie wohl singen und so ganz ohne Instrumentalbegleitung? Doch eines verstehen wir sofort: Hier begegnet uns Lobpreis auf höchstem Niveau. Was für eine Anbetung angesichts solcher schlichter Umstände! Die Engel selbst waren wohl zu keinem Zeitpunkt der Weltgeschichte so gespannt und erstaunt.
- Zu beachten ist in diesem Satz der Genitiv (des Wohlgefallens), welcher im Griechischen untypisch ist und darum in einigen Handschriften nicht überliefert wurde. Hier geht es um ein kleines „s” = also ob hier ευδοκία eudokia oder ευδοκίας eudokias zu lesen ist. Dieses „s” macht den Unterschied bei den Übersetzungen und führt zu verschiedenen Interpretationen.
Hier die Versionen der Übersetzer des Textes in Lukas 2,14:
Griechisch ALTE LUTHER
LUTHER 1984/2017
ALTE ELBERFELDER
ELBERFELDER 1987
EINHEITSÜBERSETZUNG
SCHLACHTER 2000
NGÜ
HfA
Gute Nachricht
„δόξα έν υψίστοις θεώ καί έπί γής είρήνη έν άνθρώποις εύδοκίας.“ „Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen.“
„Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.“
„Herrlichkeit Gott in der Höhe, und Friede auf Erden, an den Menschen ein Wohlgefallen!“
„Herrlichkeit Gott in der Höhe, und Friede auf Erden in den Menschen des Wohlgefallens!“
„Verherrlicht ist Gott in der Höhe, und auf Erden ist Friede bei den Menschen seiner Gnade.“
„Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden, an den Menschen ein Wohlgefallen!“
»Ehre und Herrlichkeit Gott in der Höhe, und Frieden auf der Erde für die Menschen, auf denen sein Wohlgefallen ruht.«
»Ehre sei Gott im Himme! Denn er bringt der Welt Frieden und wendet sich den Menschen in Liebe zu.«
»Groß ist von jetzt an Gottes Herrlichkeit im Himmel; denn sein Frieden ist herabgekommen auf die Erde zu den Menschen, die er erwählt hat und liebt!«
Dieses Beispiel macht deutlich, wie wichtig es für das sorgfältige Bibelstudium sein kann, verschiedene Übersetzungen heranzuziehen und nach Möglichkeit auch den griechischen Text beachten.
Die ältere Lutherübersetzung formuliert: „Frieden auf Erden und an den Menschen ein Wohlgefallen.“ Doch es gab schon damals keinen Frieden auf Erden. Der Friede Gottes kann sich nur auf die Menschen beziehen, die seines (Gottes) Wohlgefallens sind. Es geht um den Frieden, den Jesus persönlich verkörpert und den er seinen Jüngern später gegeben, bzw. gelassen hatte (Eph 2,14; Joh 14,27) und es ist auch der Friede, der nur auf die Menschen kommt, welche die Botschaft Gottes annehmen und durch Vergebung ihrer Sünden mit Gott versöhnt werden (Mk 5,34; Lk 7,50; 10,5-6; siehe auch Röm 5,1.2; 2Kor 5,18-21). Trotz aller bedenklicher Gemeindeerfahrungen: je mehr Menschen mit Jesus Frieden vor Gott und Mitmenschen finden, desto mehr haben wir auch Frieden in den Strukturen dieser Welt.1.8.2 Der Besuch der Hirten in Bethlehem
Der Evangelist Lukas schreibt weiter:
Und da die Engel von ihnen gen Himmel fuhren, sprachen die Hirten untereinander: Lasst uns nun gehen gen Bethlehem und die Geschichte (gr. τήμα –r¢ma – den Ausspruch, das Gesagte) sehen, die da geschehen ist, die uns der Herr kundgetan hat. Und sie kamen eilend und fanden beide, Maria und Josef, dazu das Kind (βρέφος – brefos – Säugling) in der Krippe liegen. Da sie es aber gesehen hatten, breiteten sie das Wort (ρήματος –r¢matos – den Ausspruch, das Gesagte) aus, welches zu ihnen von diesem Kinde gesagt war. Und alle, vor die es kam, wunderten sich über die Rede, die ihnen die Hirten gesagt hatten. (Lk 2,15-18).
Dies ist immer ein kritischer Moment. Was die Hirten tun sollen ist klar – Gottes Auftrag ist oft zu klar! Doch jetzt kommt die Umsetzung, die Disziplin, der Gehorsam! Wie nach einer Predigt kommt nach dem Hören das Tun! Lukas drückt durch den Gebrauch einer griechischen Verbform die Spannung aus: `ευρήσετε –eur¢sete – ihr werdet finden`. Die Hirten können gar nicht anders als alles liegen zu lassen, um das Gehörte zu prüfen. Schnell machen sie sich auf nach Bethlehem um nach einem Neugeborenen zu suchen und sie finden alles so vor, wie ihnen der Engel gesagt hatte. Das kleine Städtchen Bethlehem kommt in dieser Nacht in freudige Bewegung. Diese Männer haben sich vor nichts zurückschrecken lassen – weder vor fragenden Blicken der einwohner Bethlehems, noch vor der vermeintlichen Ruhestörung bei einer jungen Frau kurz nach der Entbindung.
Auch Maria wird durch den Besuch und die gute Nachricht der Hirten erneut in Staunen versetzt. Von ihr heißt: „Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen.“ (Lk 2,19). Sie sammelt sozusagen alle Informationen und bekommt immer mehr Einblick in den Heilsplan Gottes mit seinem Sohn. Wir wissen wenig von dem Glaubensleben Marias. Doch nach Johannes 2,5; Apostelgeschichte 1,14 können wir erkennen, dass sie von der Mutter zur Gläubigen heranwuchs. Wenn Maria hier auch an erster Stelle noch vor ihrem Mann genannt wird, so ist es auch für Josef eine weitere Bestätigung dass Gott seine Verheißung erfüllt hat (Mt 1,20-21). Und er bekommt auch die Anerkennung für seine treue Fürsorge und disziplinierte Zurückhaltung in der Ehe (Mt 1,24-25).
Es wird schon deutlich, dass sich diese Ereignisse damals in jener Gegend rasch herumgesprochen haben. Der Text erweckt den Eindruck, dass die Hirten noch in der Nacht mit der Ausbreitung dieser `Frohen Botschaft` begannen. Die Reaktionen der Menschen waren: Staunen und Verwunderung.
Die Hirten – kräftige, mutige, gestandene Männer reden begeistert von Engeln, von einem himmlischen Chor und einem Säugling in der Krippe. Sie lobpreisen Gott, das ist wahre Anbetung, die angemessene Antwort auf die Kundgebung und das Reden Gottes.
Fragen /Aufgaben:
1. Siehst du einen Grund, warum Gott die Geburt seines Sohnes zuerst den Hirten verkündigt hat?
- 2Kön 7,9 wird von der guten Nachricht zweier Leprakranker berichtet. Sie können nicht anders (…), sie müssen die Botschaft verkünden! Gibt es diese Dringlichkeit auch heute noch?
- Wie nimmst du den Lobpreis der Engel auf? Was könnte daraus für deinen Alltag folgen?
- Lerne den Lobeshymnus der Engel aus Lk 2,14 auswendig und zwar nach der revidierten Lutherübersetzung.
- Was fällt uns bei Maria besonders auf?
- Was ist mit Josef? Wie oder was konnte er in all diesem Geschehen empfunden haben?
- Was können wir aus der Reaktion der Hirten lernen (Lk 2,16-20)?
1.9 Die Beschneidung und Namensgebung
1.9.1 Die Beschneidung von Jesus am achten Tag
Der Evangelist Lukas schreibt: „Und als acht Tage um waren und er beschnitten werden sollte, gab man ihm den Namen Jesus, welcher genannt war von dem Engel, ehe er im Mutterleib empfangen war.“ (Lk 2,21). Für Jesus gab es keine Sonderbehandlung, er wurde unter das Gesetz gestellt, wie es im Judentum seit etwa 2 Jahrtausende Tradition war. Dies bestätigt später auch der Apostel Paulus: (…) als aber die Fülle der Zeit (το πλήρωμα του χρόνου – to pl¢röma tou chronou) kam, sandte Gott seinen Sohn aus, geboren von einer Frau, geboren unter Gesetz. (Gal 4,4).
Damit hatte Jesus alle Pflichten des mosaischen Gesetzes zu erfüllen. Hierzu gehörte die rituelle Beschneidung als Zeichen der Zugehörigkeit zum Bund Gottes mit Abraham. Dies war zugleich ein unterscheidbares körperliches Merkmal aller männlichen Glieder des Volkes Israel. Im Nahen Osten ist die männliche Beschneidung bei Juden (am 8.Tag), Christen (kurz nach der Geburt) und Muslimen – ohne koranisches Gebot – (im Alter von 7-10 Jahren) verbreitet.
Die Beschneidung am achten Tag hat ihren Ursprung in Abrahams Handlungen nach dem Bundesschluss (1Mose 17,11) und wurde im Gesetz am Sinai verankert (3Mose 12,3). Bei der Beschneidung wird die Vorhaut des männlichen Gliedes entfernt.
Wenn der entsprechende achte Tag auf einen Sabbat fiel, dann stand Gebot gegen Gebot (Joh 7,21-23). In diesem Fall stand das Gebot “am achten Tag soll alles Männliche beschnitten werden”, dem Gebot “am Sabbattag sollst du keinerlei Arbeit tun”, entgegen. Bei Einhaltung des Beschneidungsgebotes übertraten die Juden das Sabbatgebot (natürlich nur dem Buchstaben nach).
Im Neuen Testament bekommt die Beschneidung eine tiefe, geistliche Bedeutung. Denn in Christus Jesus ist die natürliche Beschneidung belanglos und nutzlos geworden (Gal 6,15), Es geht nun
- um die Beschneidung des Herzens (Röm 2,29),
- oder die Beschneidung durch Christus (Kol 2,11).
Nach dem Beschluss der Apostel und Ältesten in Jerusalem im Jahre 48 n.Chr., werden die Heidenchristen befreit von der alttestamentlichen Beschneidungsvorschrift und somit auch von allen anderen rituellen Vorschriften (Apg 15,1-6; 19f). Zur Beschneidung heute siehe Anhänge.
1.9.2 Die Namensgebung von Jesus
In alttestamentlicher Zeit und auch zur Zeit von Jesus fiel die Namensgebung bei Knaben mit der Beschneidung am achten Tag zusammen (Lk 1,59; 2,21; 1Mose 21,1ff). Die Namen hatten in der Regel eine Bedeutung. Deshalb wird er auch schon in der himmlischen Geburtsankündigung erwähnt. In Lukas 1,26 erscheint der Engel Gabriel der Maria und verkündet ihr die Geburt eines Sohnes an, den sie ‚Jesus‘ nennen soll.
Die Herkunft des Namens Jehoschua und der abgeleiteten Form Jeschua ist nicht endgültig geklärt. Ältere Lexika der hebräischen Sprache weisen auf eine mögliche Abstammung aus der Zusammensetzung von J H W (Kurzform von JHWH, dem Gottesnamen der hebräischen Bibel) und schua΄ („edel“, „freigiebig“, „vornehm sein“) hin oder erkennen eine Ableitung aus dem Verb jascha΄ („retten“) wie in dem Namen Hosche΄a. Für eine Herleitung aus der Wurzel „retten, befreien“ spricht auch eine Aussage des Matthäusevangeliums zur Bedeutung des Namens: Jesus. Dort heißt es in Mt 1,21 ELB: „und Du sollst seinen Namen Jesus nennen; denn er wird sein Volk retten von seinen Sünden.“
Hier eine Aufstellung der verschiedenen Variationen dieses Namens
Sprache | Schreibweise(n) |
Masoretischer Text | יְהוֹשׁוּעַ; יְהוֹשֻׁעַ (lehöschü ±a); יֵשׁוּעַ (l¢schü΄a) |
Syrische Versionen | Jeschua |
Septuaginta und Neues Testament griechisch (russisch) | Ιησους – I¢sous (I¢süs); Ωσηε (Ös¢e);[1] Ιασων (Iasön) Иисус |
Vulgata | Iosue; Iesus |
Deutsche Übersetzungen | Josua; Jesua; Jesus |
Englische Übersetzungen | Joshua; Jehoshua; Jesus |
Gottes Auftrag für Jesus war die Rettung der Menschheit von ihren Sünden. In diesem Fall wurden sowohl Maria als auch Josef beauftragt, ihrem Sohn diesen Namen zu geben. Der Evangelist Lukas unterstreicht außerdem die Tatsache, dass der Name gegeben wurde, bevor Jesus im Mutterleib empfangen wurde (Lk 2,21).
Der Name Jesus kommt schon im Alten Testament vor und mehrere Menschen tragen ihn auch zur Zeit des Neuen Testamentes (Jesus – Barabbas Mt 27,16-17, Bar Jesus Apg 13,6-12, Jesus – Justus Kol 4,11).
Eine Namensgebung hatte immer weit reichende Bedeutung. Wir erinnern uns, dass Jesus selbst seinen Jüngern Zunamen oder Beinamen gegeben hat. Er legte damit in deren Leben ein bestimmtes Konzept hinein (Joh 1,40ff; Mk 3,16). An diese Praxis lehnten sich auch die Apostel an (Apg 4,36).
Jesus spricht nicht nur von den Namen derer, die im Himmel angeschrieben werden (Lk 10,20), sondern auch davon, dass diese einen neuen Namen bekommen werden (Offb 2,17; 3,12). Es entsteht der Eindruck, dass im Himmel jeder einen individuellen Namen tragen wird, der in völliger Übereinstimmung mit der jeweiligen Person sein wird.
Fragen / Aufgaben:
- Auf welche Anordnung geht das Ritual der Beschneidung am achten Tag zurück? Welchen geistlichen Sinn wird der Beschneidung im Neuen Testament zugemessen? Siehe: Kol 2,11; Phil 3,3; Gal 5,6; Gal 6,15; 1Kor 7,19; Röm 2,25-29.
- Was bedeutet der Name ‚Jesus‘? In welcher Weise war er wirklich das Programm Gottes?
- Legst du Wert auf die Bedeutung der Namen, deines Namens, heute? Warum gibt man den Menschen oft noch einen Beinamen?
- Weißt du, dass dein Name im Himmel bekannt ist und es für dich einen neuen Namen gibt im Himmel? Siehe Offb 2,17 und 3,5.
1.10 Darstellung von Jesus im Tempel
(Bibeltexte: Lk 2,22-40; 2Mose 13,1-8. 12-16; 4Mose 3,39-51; 18,5-7)
1.10.1 Reinigungsopfer der Maria
Jüdische Familien hatten drei Pflichten nach der Geburt des Erstgeborenen zu beachten:
- Beschneidung und die damit verbundene Namensgebung
- Darstellung / Auslösung im Tempel
- Reinigungsopfer der Mutter (nach 40 Tagen für Söhne und 80 Tagen für Mädchen).
Der Evangelist Lukas schreibt dazu: „Und als die Tage ihrer Reinigung nach dem Gesetz des Mose um waren, brachten sie ihn hinauf nach Jerusalem, um ihn dem Herrn darzustellen,
wie geschrieben steht im Gesetz des Herrn (2. Mose 13,2; 13,15): »Alles Männliche, das zuerst den Mutterschoß durchbricht, soll dem Herrn geheiligt heißen«, und um das Opfer arzubringen, wie es gesagt ist im Gesetz des Herrn: »ein Paar Turteltauben oder zwei junge Tauben« (3. Mose 12,6-8). Josef erfüllt alle drei Pflichten und bringt mit Maria 40 Tage nach der Geburt das Kind Jesus in den Tempel. Hier stellen sie ihren Erstgeborenen dem Herrn dar und bringen das Brandopfer und Sündopfer, wie es Gott im Gesetz durch Mose angeordnet hatte (3Mose 12,1-8)..
Diese Vorschrift hatte ihre Wurzel zunächst in der wunderbaren Befreiung Israels aus der ägyptischen Knechtschaft (2Mose 13,1-8). Dort wurde die männliche Erstgeburt bei den Israeliten durch das Blut eines Lammes, mit dem die Türpfosten angestrichen wurden, vom Tod bewahrt, während alle Erstgeborenen der Ägypter starben. Später in der Wüste Sinai hatte Gott anstelle aller Erstgeborener in Israel den gesamten Stamm Levi für sich ausgesondert. Dabei wurde bei der Zählung der Erstgeburten unter den elf Stämmen Israels 22273 männliche Erstgeburten (ab einem Monat) gezählt. Dies ergab einen Überhang von 273 männliche Personen im Vergleich zur Zahl der Leviten welche 22000 (ab einem Monat) zählten. Die restlichen 273 mussten nun mit einer Zahlung von 5 Schekeln ausgelöst werden. Gott sagte, dass alle Erstgeburt sein Eigentum ist. Dieser Anspruch gründete sich auf Jakobs Erstgeburtsrecht, nachdem Esau seine Erstgeburt verkaufte. So wurde Jakob der von Gott begnadete und geliebte Stammvater und mit ihm wurde das gesamte Volk Israel gesegnet. Vor Pharao bekennt und bezeichnet Gott das gesamte Volk Israel als seinen erstgeborenen Sohn: „Israel ist mein erstgeborener Sohn.” (2Mose 4,22; Hos 11,1; Mt 2,14). Im Neuen Bund sind alle an Christus Gläubigen Erstgeborene, wobei Christus selbst der Erstgeborene und auch Einziggeborene vom Vater ist (Joh 1,18; Hebr 1,6; 12,23). Weitere Hinweise zum Recht des Erstgeborenen finden wir in 5Mose 21,16ff.
Zum Brandopfer benötigten Maria und Josef ein Lamm oder wenn sie nicht genug Geld hatten auch eine Taube oder Turteltaube (3Mose 12,6-8) und für das Sündopfer eine Taube. Die Turteltaube ist ein Zugvogel (Jer 8,7). Opfertauben konnten im Tempel gekauft werden (Mt 21,12). Der Evangelist Lukas schreibt nicht, was für ein Opfer Josef und Maria dem Herrn dargebracht haben. Auch hier wird wieder unterstrichen, dass Jesus unter das Gesetz gestellt wurde (Gal 4,4). Weiter fällt auf, dass Josef alle seine Vaterpflichten vorbildlich erfüllt (wohl wissend, dass er nur der Adoptivvater ist).
Der Erlöser der Welt wird „ausgelöst”!
1.10.2 Lobpreis Simeons „Nunc dimittis”
(Bibeltexte: Lk 2,25-35; Jes 40,1; 39,13)
Simeon war gerecht, gottesfürchtig und er wartete auf den Trost für Israel. Der Name Simeon hat mit dem hebr. „hören” zu tun. Auffällig dann, dass er die Stimme des Heiligen Geistes gehört und verstanden hatte, der sagte:
Du wirst den Tod nicht schmecken, bevor du den Christus des Herrn gesehen hast (Lk 2,26).
Er als „Laie” hatte gelernt auf die Stimme des Geistes zu hören. Dieser Geist Gottes regt ihn an, in den Tempel zu gehen und gerade in dieser Zeit befinden sich Josef und Maria mit dem Jesuskind im Tempel. Nachdem er Jesus auf die Arme nahm, spricht er, bzw. lobpreist er Gott:
Nun entlässt du, Herr, deinen Diener (Sklaven) gemäß deinem Wort in Frieden, denn meine Augen haben dein Heil gesehen, (…). (Lk 2,29).
In der Prophetie Simeons wird die Dimension und das Konzept des Dienstes von Jesus verdeutlicht: alle Völker sind in diese Rettung eingeschlossen.
(…) das du bereitet hast im Angesicht aller Nationen ein Licht zur Offenbarung für die Nationen und zur Herrlichkeit deines Volkes Israel. (Lk 2,31.32).
An dieser Stelle darf die alttestamentliche Universalität des Heilsangebots Gottes beleuchtet werden. So lesen wir im Jesajabuch:
Es ist zu wenig, dass du mein Knecht bist, um die Stämme Jakobs aufzurichten und die Bewahrten Israels zurückzubringen. So mache ich dich auch zum Licht der Nationen, dass mein Heil reiche bis an die Enden der Erde. (Jes 49,6).
Siehe, du wirst eine Nation herbeirufen, die du nicht kennst; und eine Nation, die dich nicht kannte, wird zu dir laufen um des HERRN willen, deines Gottes, und wegen des Heiligen Israels. Denn er hat dich herrlich gemacht. (Jes 55,5).
So spricht der HERR: Wahret das Recht und übt Gerechtigkeit! Denn mein Heil ist nahe, dass es kommt, und meine Gerechtigkeit, dass sie geoffenbart wird.
Glücklich der Mensch, der dies tut, und das Menschenkind, das daran festhält: der den Sabbat bewahrt, ihn nicht zu entweihen, und seine Hand davor bewahrt, irgend etwas Böses zu tun!
Und der Sohn der Fremde, der sich dem HERRN angeschlossen hat, soll nicht sagen: Der HERR wird mich sicher von seinem Volk ausschließen. Und der Verschnittene sage nicht: Siehe, ich bin ein dürrer Baum!
Denn so spricht der HERR: Den Verschnittenen, die meine Sabbate bewahren und das erwählen, woran ich Gefallen habe, und festhalten an meinem Bund,
denen gebe ich in meinem Haus und in meinen Mauern einen Platz und einen Namen, besser als Söhne und Töchter. Einen ewigen Namen werde ich ihnen geben, der nicht ausgelöscht werden soll.
Und die Söhne der Fremde, die sich dem HERRN angeschlossen haben, um ihm zu dienen und den Namen des HERRN zu lieben, ihm zu Knechten zu sein, jeden, der den Sabbat bewahrt, ihn nicht zu entweihen, und alle, die an meinem Bund festhalten:
die werde ich zu meinem heiligen Berg bringen und sie erfreuen in meinem Bethaus. Ihre Brandopfer und ihre Schlachtopfer sollen mir ein Wohlgefallen sein auf meinem Altar. Denn mein Haus wird ein Bethaus genannt werden für alle Völker. (Jes 56,1-7).
Ich aber, ich kenne ihre Taten und ihre Gedanken, und ich bin gekommen, alle Nationen und Sprachen zu versammeln. Und sie werden kommen und meine Herrlichkeit sehen.
Ich richte unter ihnen ein Zeichen auf und sende Entkommene von ihnen zu den Nationen, nach Tarsis, Put und Lud, zu denen, die den Bogen spannen, nach Tubal und Jawan, zu den fernen Inseln, die die Kunde von mir nicht gehört und meine Herrlichkeit nicht gesehen haben. Und sie verkünden meine Herrlichkeit unter den Nationen. (Jes 66,18-19).
Im Alten Testament sehen wir also neben Fluchworten über die Fremdvölker auch folgendes Bild: Völker ziehen nach Jerusalem, werden dort aber von Jahwe nicht unterworfen, sondern bekehren sich zu ihm und dürfen sogar am Gottesdienst teilnehmen. Am deutlichsten findet sich diese Vorstellung von der Bekehrung der Völker bei Jesaja. Durch Jahwes Handeln an Israel werden die Völker zu der Erkenntnis kommen, dass Jahwe ein machtvoll handelnder Gott ist (Jes 45,14; 42,10-12; 56,3-8; 66,18-22). Auffällig ist, dass Jesaja 66,18-22 mit der Ankündigung der Pilger nach Zion Jesaja 2,2-5 entspricht und mit diesem Text eine Klammer um das ganze Jesajabuch legt. Das Jesaja-Buch hat somit einen fremdenfreundlichen Rahmen und darf deswegen trotz anderer Aussagen in Jesaja 13-27 als ein äußerst fremdenfreundliches Buch gelten.
Nach Jesaja 56,3-8 wird Jahwe selbst Ausländer, die ihm dienen und die Gebote beachten, zum Tempel führen, der ein Bethaus für alle Völker sein soll. Anders als in der Aufnahme dieser Zusage in der neutestamentlichen Erzählung von der Vertreibung der Händler aus dem Tempel (Mt 21,13; Mk 11,17; Lk 19,46), liegt der Akzent hier nicht darauf, dass der Tempel ein Bethaus ist, sondern dass er ein Bethaus für alle Völker sein wird. Nach Jesaja 66,18ff wird Jahwe auch Ausländer zu Priestern machen. Micha 4,3-4a beschreibt ein umfassendes Friedensreich. Jahwe wird die Konflikte zwischen den Völkern schlichten und allen zu ihrem Recht verhelfen. Dann werden die Völker nicht mehr den Krieg, sondern die Tora erlernen und ihre Waffen zu Werkzeugen schmieden, Schwerter zu Pflugscharen und Speere zu Winzermessern. Jesaja 19,18-25 kündigt Ägypten und Assur (gemeint sind die Weltmächte) das Heil an.
An jenem Tag werden fünf Städte im Land Ägypten sein, die die Sprache Kanaans reden und dem HERRN der Heerscharen schwören werden. Eine wird Ir-Heres heißen.
An jenem Tag wird mitten im Land Ägypten dem HERRN ein Altar geweiht sein und ein Gedenkstein für den HERRN nahe an seiner Grenze.
Und er wird zu einem Zeichen und zu einem Zeugnis für den HERRN der Heerscharen im Land Ägypten werden: Wenn sie zum HERRN schreien werden wegen der Unterdrücker, dann wird er ihnen einen Retter senden; der wird den Streit führen und sie erretten.
Und der HERR wird sich den Ägyptern zu erkennen geben, und die Ägypter werden an jenem Tag den HERRN erkennen. Dann werden sie dienen mit Schlachtopfern und Speisopfern und werden dem HERRN Gelübde tun und sie erfüllen.
Und der HERR wird die Ägypter schlagen, schlagen und heilen. Und sie werden sich zum HERRN wenden, und er wird sich von ihnen erbitten lassen und sie heilen.
An jenem Tag wird es eine Straße von Ägypten nach Assur geben. Assur wird nach Ägypten und die Ägypter nach Assur kommen, und die Ägypter werden mit Assur dem HERRN dienen.
An jenem Tag wird Israel der Dritte sein mit Ägypten und mit Assur, ein Segen inmitten der Erde.
Denn der HERR der Heerscharen segnet es und spricht: Gesegnet sei Ägypten, mein Volk, und Assur, meiner Hände Werk, und Israel, mein Erbteil. (Jes 19,18-25)!
Sie werden also Jahwe verehren, aber nicht am Zion, sondern – das ist neu – in ihren Heimatländern. Von der zentralen Bedeutung Jerusalems ist hier nichts zu spüren. Dieser Zukunftsentwurf war so provozierend, dass schon die griechische (Septuaginta) und die aramäische Übersetzung (Peschitta) den Text nicht wörtlich wiedergegeben haben. Die Septuaginta überträgt in Jesaja 19,25 die Segnung Ägyptens und Assurs auf die dort lebenden Israeliten: „Gesegnet ist mein Volk, das in Ägypten weilt und unter den Assyrern.“
Ferner sagt Simeon die paradoxe Reaktion des Volkes Israel auf diesen Retter voraus: Einige werden sich an Jesus stoßen und fallen, andere werden durch ihn auferstehen. Ähnlich klingt es dann im Johannesevangelium:
Er kam zu den Seinen und die Seinen nahmen ihn nicht auf, wie viele ihn aber aufnahmen, denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden. (Joh 1,11-12).
Bis heute entscheiden sich Menschen für oder gegen Jesus. Jesus ist bis heute das Zeichen, dem widersprochen wird. Sollte es uns als seinen Nachfolgern anders ergehen?
Und Simeon segnete sie und sprach zu Maria, seiner Mutter: Siehe, dieser ist gesetzt zum Fall und Aufstehen vieler in Israel und zu einem Zeichen, dem widersprochen wird – aber auch deine eigene Seele wird ein Schwert durchdringen – damit Überlegungen aus vielen Herzen offenbar werden. (Lk 2,34-35).
Auch Maria muss wie viele andere Mütter den ganzen Schmerz einer Mutter, die ihren Erstgeborenen liebt und doch verliert, erfahren. Schon hier finden wir einen Hinweis auf die schweren Stunden/Tage, die sie zwischen der Verhaftung Jesu im Garten Gethsemane und der Auferstehung am ersten Tag der Woche durchlitten hat. Es ist auch ein Hinweis auf die unterschiedlichen Gedanken und Überlegungen der Schriftgelehrten, der Ältesten, der Jünger, des römischen Offiziers, der Mitverurteilten, des Volkes, weil diese gerade im Hinblick auf die Person von Jesus ins wahre Gotteslicht gerückt werden.
1.10.3 Das Zeugnis der Prophetin Hanna
Hanna, eine Prophetin, Tochter Penuels, aus dem Stamm Asser, ist eine Witwe. Asser war der Sohn Jakobs von Leas Leibmagd Silpa (1Mose 30,13). Sein Name bedeutet: Glück. Dieser Stamm gehört zu den verlorenen 10 Stämmen des Nordreiches die 722 v. Chr. unwiderruflich zerstreut wurden. Dies ist einer der sehr wenigen Hinweise, dass Menschen ihre Herkunft auf einen dieser Stämme noch nachweisen konnten. Nur sieben Jahre lebte Hanna mit ihrem Mann, doch jetzt ist sie in einem hohen Alter. Entweder war sie 84 Jahre alt oder seit 84 Jahre eine Witwe (damit mindestens: 14+7+84=105 Jahre alt). Bei Simeon wissen wir das Alter nicht! Doch bei Hanna ist das hohe Alter in der damaligen Kultur der Grund für besonderen Respekt. Ihr Dienst und ihre Worte haben somit ein besonderes Gewicht. Fasten und Beten ist ihre tägliche Aufgabe. Sie verlässt den Tempel nicht … dies kann buchstäblich oder auch im übertragenen Sinne gemeint sein – sie ist also zumeist im Tempel anzutreffen. Man bedenke, dass es bei dem häufig nur noch formalen Gottesdienst zu jener Zeit, doch Menschen gibt, die Gott ergeben einen wahren Gottesdienst „leben.” Gott beschenkt Hanna mit der besondern Gabe der Prophetie. Die prophetische Gabe bei Frauen und der damit verbundene prophetische Dienst war zur Zeit des Alten Testaments nicht selten und wird im Neuen Testament bestätigt (siehe Apg 21,9). Dies geschieht in einer Zeit, die wir meist als eine Zeit des Schweigens betrachten, da Gott keine Propheten mehr berief. Doch Hanna hält die Hoffnung Israels auf den Messias wach. Sie spricht zu allen, die auf die Erlösung Jerusalems warten. Es gibt deutliche Parallelen zu den Aussagen Simeons (Lk 2,25). Zur rechten Zeit ist sie (wahrscheinlich im Vorhof der Frauen) an der Stelle, wo auch Josef und Maria zum Gottesdienst kommen. Wahrscheinlich sieht und hört auch sie die Handlung und die Worte Simeons. Sie schließt sich diesen Worten an und lobt Gott! So dienen Simeon und Hanna Gott zu ihrer Zeit – als Teil des gottesfürchtigen Überrestes im Volk Gottes. Gott bereitet sie zu ihrer Hauptaufgabe zu, die dann nur wenige Minuten dauert. Doch Gott bringt alles sehr präzise zur richtigen Zeit am richtigen Ort zusammen.
Wohl uns, wenn wir zur rechten Zeit an der richtigen Stelle das Richtige tun.
1.10.4 Βerichtslücke bei Lukas
Der Evangelist Lukas lässt die Geschichten mit den Weisen und der damit verbundenen Flucht nach Ägypten völlig aus. Diese sogenannten Lücken bemerken wir bei allen Evangelisten, da jeder von ihnen sein eigenes Ziel mit jeweils unterschiedlichem literarischem Stil verfolgt. Keiner der Evangelisten erhebt den Anspruch auf lückenlose Berichterstattung. Nicht einmal alle vier Evangelien zusammengenommen ergeben eine lückenlose Beschreibung des Lebens von Jesus. Auch diese Bibelstudienreihe ist nur ein Versuch aufgrund der uns vorliegenden Berichte eine vermutete Chronologie herzustellen, die sich nicht widerspricht und in der alle wichtigen inhaltlichen Details ihren Platz einnehmen.
Fragen / Aufgaben:
- Beschreibe die alttestamentliche Verordnung in Bezug auf den Erstgeborenen Sohn. Womit war die Darstellung verbunden? Lies auch: 3Mose 12,4-8: 2Mose 13,2.12. 15; 4Mose 3,40ff; 18,5f.
- Was ist mit dem Trost Israels gemeint (Lk 2,25; Jes 40,1f)?
- Suche nach Beispielen aus den Evangelien, wo der Fall und das Auferstehen in Israel deutlich werden (siehe auch Joh 1,11-12).
- Die Witwe Hanna, aus dem Stamm Asser versieht besondere Dienste in schwierigen Zeiten. Was können wir von ihr lernen?
- Kannst du dir vorstellen, dass Gott für dich eine besondere Aufgabe vorgesehen hat?
- Warum ist es wichtig, dass wir die Evangelienberichte miteinander vergleichen?
- Beschreibe den Lobpreis des Simeon. Was fällt im Vergleich mit dem Lobpreis der Elisabeth, Maria und des Zacharias auf?
1.11 Besuch der Weisen aus dem Morgenland
1.11.1 Wer sind sie, wann und woher kamen sie?
Die Geschichte vom Besuch der Weisen in Bethlehem berichtet uns nur der Evangelist Matthäus. Er schreibt: „Da Jesus geboren war zu Bethlehem in Judäa zur Zeit des Königs Herodes, siehe, da kamen Weise aus dem Morgenland nach Jerusalem (…).“ (Mt 2,1). Der griechische Begriff `μάγοι – magoi ` mit dem die Weisen (im Plural) bezeichnet werden, wirft dem aufmerksamen Bibelleser einige Fragen auf. Von einem Magos berichtet auch der Evangelist Lukas in der Apostelgeschichte 13,8ff, doch dort ist der Begriff eindeutig negativ besetzt: Elymas ist „Zauberer.” So hat der Begriff zwar einen negativen Sinn, doch ursprünglich hatte er auch die Bedeutung von „weiser” Mensch, z.B. als Ratgeber für einen Herrscher. Auffallend ist, dass diese Begriffsbezeichnung in 5Mose 18,10-14 nicht vorkommt. In Jesaja 47,13 (LXX) werden die Sterngucker/Sternseher `αστρόλογοι – astrologoi ` genannt. Für unser Verständnis ist es eher unwahrscheinlich, dass Gott Sterndeuter im Sinne von Astrologen, berufen hätte, seinem Sohn zu huldigen. Im Gesetz und den Propheten geht Gott mit jeglicher Art der Sterndeuterei und ähnlichen abgöttischen Praktiken ins Gericht (Jes 47,13; 5Mose 18,10-14). Die Weisen aus dem Osten (Morgenland) sind auf jeden Fall auch sternkundige Menschen.
Thiede verweist auf ein berühmtes Sternobservatorium in Sippar bei Babylon (Thiede 2006, 74). Dort wurden Tontafeln mit Keilschrift gefunden, auf denen Sternberechnungen verzeichnet sind.
Das griechische Wort `ανατολών – anatolön` steht im Plural, ist also ein geographischer Terminus und meint das Morgenland, oder den Osten allgemein (1Mose 25,6). Es wird angenommen, dass es sich dabei um das Gebiet im Zweistromland (heute Irak/Iran) handelt. Hinweis: den Osten der Türkei bezeichnen wir bis heute als „Anatolien.” Der Evangelist Matthäus nennt allerdings nicht die Zahl der Weisen.
„Da die Weisen in Jerusalem großes Aufsehen erregten, wird allgemein angenommen, es sei eine Gruppe gewesen. Fresken in den Katakomben in Rom zeigen 4 Könige. Johannes Chrysostomos nimmt in seinem Kommentar zum Matthäusevangelium an, dass es 14 Magier waren. Andere Varianten sind, zwölf oder acht Magier. Einer der ersten, der von drei Magiern sprach, war Origenes – vielleicht aufgrund der drei genannten sehr kostbaren Gaben“ (Papke 1995,127.128). Die westliche Kirche hat fälschlicherweise das Fest der Erscheinung von Jesus, welches in der Ostkirche am 6. Januar gefeiert wurde, zum Fest der Erscheinung des Sterns von Bethlehem, bzw. zum Dreikönigstag gemacht. „Das Fest der Erscheinung „Epiphanie”, am 6. Januar, wurde nachweislich schon 311 als Tag der Geburt von Jesus gefeiert. Als dann seit 354 der Geburtstag von Jesus nach und nach auf den 25, Dezember vorverlegt wurde, musste der 6. Januar zwangsläufig als der Tag, an dem die Magier nach Bethlehem gekommen waren, umgedeutet werden (Papke Werner 1995, 125).
Natürlich stimmen dann die zeitlichen Einordnungen nicht. Denn wäre Jesus gemäß der Auffassung der Westkirche am 24/25. Dezember geboren worden, könnten die Weisen nicht schon zwölf Tage später in Bethlehem angekommen sein. Der Besuch der Weisen ist deshalb nach unserer Auffassung keine Weihnachstlektüre im engeren Sinne. Ausgehend von den Zeitangaben des Textes kommen die Weisen mindestens mehrere Monate nach der Geburt von Jesus in Jerusalem bzw. Bethlehem an. Wir geben zu bedenken: die Darstellung im Tempel erfolgte 40 Tage nach der Geburt, danach kehrten Josef und Maria wieder (nicht nach Nazaret, wie Lukas in seiner Kurzfassung sagt-Lk 2,39) sondern nach Bethlehem zurück. Die Weisen kommen wohl erst danach nach Jerusalem bzw. Bethlehem. Zur Feststellung der Reisegeschwindigkeit kann die Reisezeit der jüdischen Rückwanderer unter Esra dienen. Das Volk benötigte fast vier Monate von Babylon nach Jerusalem (Vgl. Esra 7,9 mit 8,31)
1.11.2 Die Weisen bei Herodes in Jerusalem
Die Weisen planen wie selbstverständlich als Reiseziel Jerusalem. Dort angekommen fragen sie: „Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern aufgehen sehen und sind gekommen, ihn anzubeten. Als das der König Herodes hörte, erschrak er und mit ihm ganz Jerusalem,“ (Mt 2,2-3). Uns würde interessieren wie die Weisen auf den Gedanken kommen, dass im Volk der Juden ein neuer, ja ein besonderer König geboren wurde? Welche mündliche oder sogar schriftliche Informationen lagen ihnen vor? Gab es noch von der Zeit des Exils (Daniel, Nehemia) Aufzeichnungen in den Staatsarchiven über die besondere Geschichte des Volkes Israels? Jerusalem war sowohl der Sitz der politischen Verwaltung (Regierungssitz des Königs Herodes und des römischen Prokurators Pilatus) als auch der wesentlichsten religiösen Institutionen des Judentums: des Tempels mit allen bedeutenden Gelehrten und Priestern. Die Frage der Weisen „Wo ist der (neu)geborene König der Juden?“ versetzt jedoch die Einwohner Jerusalems und besonders Herodes in Schrecken. Jerusalem hatte damals ca. 35.000 Einwohner (Malina 2003,7). Herodes ist zu der Zeit ängstlich bemüht seine begrenzte Macht zu sichern und schreckt auch nicht vor der Ermordung seiner Söhne zurück. Seine argwöhnische Reaktion passt also gut in das Bild, welches uns außerbiblische Berichte überliefern. So beginnt Herodes ein weiteres Doppelspiel. Äußerlich lässt er sich nichts anmerken – wohl wissend auf wen die Frage nach einem neugeborenen König der Juden aus königlichem Geschlecht sich beziehen muss. Außerdem fürchteten viele Herrscher der Antike astronomische Sondererscheinungen als astrologische Vorzeichen ihres Untergangs. Matthäus schreibt über Herodes: „und er ließ zusammenkommen alle Hohenpriester und Schriftgelehrten des Volkes und erforschte von ihnen, wo der Christus geboren werden sollte. Und sie sagten ihm: In Bethlehem in Judäa; denn so steht geschrieben durch den Propheten (Micha 5,1): »Und du, Bethlehem im Lande Juda, bist mitnichten die kleinste unter den Fürsten Judas; denn aus dir wird kommen der Fürst, der mein Volk Israel weiden soll.« (Mt 2,4-6). Die Hohenpriester und Schriftgelehrten sind bestens informiert über die Herkunft und den Ort, aus dem der Christus hervorgehen soll und können darüber dem König genaue Auskunft geben. Damals gab es so gut wie kein Privatleben – fast alles geschah öffentlich. Heimlichkeiten waren an sich schon wenig ehrenhafte Angelegenheiten. Anhand der Frage des Herodes lässt sich seine relativ gute Kenntnis des Themenkreises: „Jüdische Messiaserwartung” erkennen. Aus eigenem Interesse hat er sich Detailkenntnisse über diese brodelnden Messiaserwartungen des jüdischen Volkes verschafft. Dieser Retter war die Hoffnung Israels im Gegensatz zum Haus des Herodes. Der König kann dieser „Messias-Gefahr” nur mit einem hinterlistigen Doppelspiel begegnen. Der Evangelist Matthäus arbeitet durch die Schilderung seiner Fragen den unehrlichen und bösen Charakter des Königs deutlich heraus.
Die Frage der Weisen wird mit dem Aufgehen des besonderen Sterns in Verbindung gebracht. „Wir haben seinen Stern beim Aufgehen gesehen”. Der griechische Begriff `ανατολή, – anatol¢` (im Singular) ist ein astronomischer Terminus und bedeutet soviel wie `aufgehen, aufleuchten, aufstrahlen, erscheinen`, wie auch 2Petrus 1,19 nahe legt – „und der Morgenstern in euren Herzen aufgeht“. Deswegen lautet die Begründung der Weisen nicht: „Wir haben seinen Stern im Osten gesehen”, sondern genauer: „wir haben seinen Stern beim Aufgehen gesehen” – also bei der Ersterscheinung. Deutlich wird hier auch die Bezeichnung Stern `τον αστέρα – ton astera` (Akk.) im Gegensatz zu Planeten `αστέρες πλανήται – asteres plan¢tai` hervorgehoben (Judas 13). Planeten sind irrende Sterne, die ständig in Bewegung sind und so nie auf einem Platz sich befinden. Die vielfach vertretene Theorie, dass die Planetenkonjunktion von Jupiter und Saturn im Sternbild der ‚Fische’ im Jahre 7 v. Chr., der Stern des Messias sein muss, entspricht nicht dem biblischen Befund. Gleiches kann auch von anderen Planetenkonjuktionen, die um die Zeitenwende beobachtet wurden, gesagt werden. Gerne wollen wir dem gebildeten Zöllner und späterem Evangelisten Matthäus die Fachkompetenz bei der richtigen Wortwahl in diesem Zusammenhang zubilligen. Die genaue Erklärung für diese Himmelserscheinung bleibt jedoch offen. Gott, der Schöpfer des Universums war durchaus imstande einen einmaligen Stern zu schaffen, der die einmalige Geburt seines menschgewordenen Sohnes zeichenhaft ankündigte (1Mose 1,14-16).
Die Schriftgelehrten können auf das Nachforschen des Herodes antworten und anhand von Micha 5,1 den Hinweis auf den Geburtsort des Messias geben. Zwar können die Gelehrten hier mit ihrem Wissen glänzen, doch sie selber wollen daraus keine klaren Konsequenzen ziehen. Im Text deutet nichts daraufhin, dass sie sich öffentlich oder heimlich selbst nach dem verheißenen Kind erkundigen. Sie reagieren äußerlich neutral – weder positiv noch negativ. Doch streng genommen, gibt es keine neutrale Haltung zu Gott. Hier verpassen sie schon ihre dritte Chance.
- Die erste hatten sie, als die Kunde über die Geburt von Jesus von den Hirten überall erzählt wurde. Es wäre eher unwahrscheinlich, dass diese Botschaft, welche in der gesamten Umgebung verbreitet wurde, nicht auch das nur 8 Kilometer entfernte Jerusalem erreicht hätte (Lk 2,17-18).
- Die zweite, als Jesus im Tempel dargestellt wurde und sowohl Simeon, als auch die allen bekannte und anerkannte Prophetin Hanna über das Jesuskind öffentlich Zeugnis gaben (Lk 2,21-38).
- Und nun auch hier, als sie durch die Fremden auf ihren Messias aufmerksam gemacht werden (Mt 2,1-5).
Indirekt lehnen sie ihn, den Messias schon gleich zu Beginn durch ihr Verhalten ab. Wider besseres Wissen und wohl auch aus Furcht vor Herodes, bringen sie nicht die erforderliche Huldigung ihrem Messias entgegen. Es bleibt also den weisen Heiden aus dem Osten überlassen, dem neugeborenen König der Juden zu huldigen. Übrigens spricht die Huldigung dem Messias/König durch die Repräsentanten aus den Heiden für die Universalität des Heilsangebotes Gottes.
Da rief Herodes die Weisen heimlich zu sich und erkundete genau von ihnen, wann der Stern erschienen wäre, und schickte sie nach Bethlehem und sprach: Zieht hin und forscht fleißig nach dem Kindlein; und wenn ihr’s findet, so sagt mir’s wieder, dass auch ich komme und es anbete. (Mt 2,7-8).
Folgende Reihenfolge der Ereignisse ist laut dem Textinhalt erkennbar:
- Die Weisen haben eine öffentliche (wahrscheinlich mit einem Dolmetscher) Audienz beim König Herodes. Nach dem Treffen werden sie entsprechend dem Gastrecht untergebracht.
- Danach ruft Herodes die Oberen aus dem Volk zu sich und erkundigt sich bei ihnen über den Geburtsort des Christus.
- Nachdem diese wieder weg sind, ruft er erneut die Weisen zu sich, diesmal zu einer heimlichen Unterredung.
- Anschließend schickt er die Weisen nach Bethlehem mit dem heimtückischen Auftrag.
Der Evangelist Matthäus setzt seinen Bericht fort mit den Worten: „Als sie nun den König gehört hatten, zogen sie hin.“ (Mt 2,9a).
Aus dem späteren Bericht des Evangelisten erfahren wir, dass Herodes sich sehr genau (gr. ακριβώς – akribös) nach der Ersterscheinung des Sterns erkundigt hatte (Mt 2,16). Schon jetzt hegt er einen heimtückischen Plan in seinem Herzen. Womit er nicht rechnet ist: – »Der Herr kennt die Gedanken der Weisen, dass sie nichtig sind.« (Ps 84,11; 1Kor 3,20).
Sicher hätte Gott die Weisen durch den Lauf des Sterns auch direkt nach Bethlehem führen können, doch dann wäre ihr Zeugnis in Jerusalem sehr wahrscheinlich nicht bekannt geworden. So bindet Gott sie mit ein, um die Führung Israels zu einer Stellungnahme herauszufordern. Auf diese Weise werden Gedanken und Motive der Menschen offenbar.
1.11.3 Die Weisen in Bethlehem
Der Evangelist Matthäus berichtet weiter:
Als sie nun den König gehört hatten, zogen sie hin. Und siehe, der Stern, den sie hatten aufgehen sehen, ging vor ihnen her, bis er über dem Ort stand, wo das Kindlein war. Da sie den Stern sahen, wurden sie hocherfreut und gingen in das Haus und sahen das Kindlein mit Maria, seiner Mutter, und fielen nieder und beteten es an und taten ihre Schätze auf und schenkten ihm Gold, Weihrauch und Myrrhe. (Mt 2,9-11).
Als die Weisen sich auf ihren Kamelen (wahrscheinlich) frühmorgens auf den Weg nach dem nur zwei Stunden entfernten Bethlehem machen, sehen sie wieder den Stern, den sie bereits beim Aufgehen/Erscheinen gesehen hatten. Im Text heißt es, dass der Stern ihnen voranging. Nun haben sie zwei Wegweiser – die Schriftaussage und den Stern. Für den letzten Wegabschnitt sind sie auf den Stern angewiesen, da dieser exakt über dem (Ort/Stelle/Haus) stehen bleibt, wo das Kind war (Mt 2,9). Die Pilger erfüllt eine überaus große Freude – endlich haben sie das Ziel ihrer Reise erreicht. Sie gehen in das Haus und sehen das Kind mit Maria seiner Mutter. Dies ist eine beachtliche Reihenfolge in der orientalischen Kultur, in der eher Männer zuerst genannt werden, seltener Frauen und Kinder. Die Weisen bringen ihre Huldigung zum Ausdruck, indem sie vor dem Kind Jesus knien oder niederfallen. Danach öffnen sie ihre Schätze und beschenken das Kind. Drei verschiedene Geschenkarten werden genannt. Gold, Weihrauch und Myrrhe (χρυςόν, λίβανον, σμύρναν – chyson, libanon, smyrnan). Origenes deutete die Geschenke so: Gold für den König; Myrrhe für den Sterblichen und Weihrauch für Gott. Was auch immer die Weisen zu diesen Gaben bewog – unwissend werden hier Eigenschaften des Kindes verehrt. Im Orient kennt man diese Huldigungsform nur für Götter oder Könige. Beides trifft auf den Gottessohn und König Jesus von Nazaret zu. Man kann sich weiter vorstellen, dass die Weisen zwar Heiden waren, aber im Gegensatz zu den meisten Mittelmeervölkern keine Anhänger des Polytheismus, sondern möglicherweise waren sie Anhänger der altiranischen Religion Zoroasters (Zarathustras). Weihrauch und Myrrhe waren typische orientalische Kostbarkeiten, die weit in den Mittelmeerraum hinein exportiert wurden.
Wir können uns das Staunen von Josef und Maria über diesen besonderen Besuch und die Huldigung vorstellen, denn auch bei den vorhergehenden Begegnungen und Bekundungen über ihr Kind hat Maria alles sorgfältig aufgenommen und in ihrem Herzen bewegt.
Die Weisen bekommen von Gott im Traum die Anweisung, nicht wieder zu Herodes zurückzukehren. Daher ziehen sie auf einem anderen Weg wieder zurück in ihr Land (Mt 2,12). Die Hauptstraße in Richtung Norden führt von Bethlehem direkt nach Jerusalem und dann über Syrien weiter nach Osten. Angesichts ihres umfangreichen Reisetrosses können die Weisen sich Jerusalem nicht unbemerkt nähern.
Es gibt überhaupt keine größere Straße, auf der sie hätten nach Hause reisen können, ohne die relative Nähe von Jerusalem zu passieren. Deshalb ziehen sie wahrscheinlich zunächst nach Hebron und dann auf der sehr schlechten Straße an der Küste nach Gaza, von wo aus sie eine andere Route nach Norden nehmen können. (Craig 1998, Bd. 1; 58). Eine Alternativroute wäre über die Aravasenke nach Petra und dann weiter nach Nordosten durch die Syrische Wüste. Der Ausdruck „in ihr Land”, weist eher darauf hin, dass sie aus einem Land kamen und nicht wie in der Tradition über die so genannten „Drei Könige” aus drei verschiedenen Ländern.
Herodes hatte sie zwar bei einem zweiten geheimen Treffen im Detail über Zeitpunkt der Himmelserscheinung befragt und dann in die Pflicht genommen zu ihm zurück zukehren, doch erscheint es ihnen in diesem Fall legitim, für die Rettung oder Erhaltung des Lebens eine solche Verpflichtung zu missachten, zumal sie im Traum von Gott eine klare Anweisung erhielten – zu Herodes nicht mehr zurückzukehren. Hier gilt damals wie heute: man muss dem rettenden Gott mehr gehorchen als den offensichtlich unehrlichen Menschen (Apg 5,29). Die meisten Könige reagierten extrem feindselig auf Gerüchte über etwaige „Thronräuber” und astrologische Weissagungen über ihren Untergang. Der Text sagt jedoch nichts, dass die Weisen Herodes ein Versprechen gaben, lediglich: „als sie den König gehört hatten, zogen sie hin“. Doch wird schon hier deutlich – Matthäus offenbart seine Absicht: Die Darstellung von Jesus als den Retter für Juden und Heiden.
Fragen / Aufgaben:
- Woher haben die Weisen Kenntnis über Israel und den erwarteten König der Juden?
- Wenn Gott die Astrologie und andere abgöttische Praktiken verboten hat (5Mose 18; Jes 47,13), warum werden die Weisen (Magier) von Matthäus so positiv dargestellt? Oder sind die Weisen gar keine Astrologen?
- Charakterisiere Herodes, nenne und begründe mindestens vier Charakterzüge des Herrschers.
- Herodes berief die Schriftgelehrten und Ältesten, um von ihnen den Geburtsort des Christus zu erfahren. Haben sie den Test bestanden?
- Information (Wissen) berpflichtet. Was haben die drei Gruppen (Herodes, Schriftgelehrte, Weise) mit diesen Erkenntnissen gemacht?
- Was für eine Bedeutung hat für dich die Schrift im Vergleich mit Zeichen/Wundern, persönlichen oder gehörten Erfahrungen?
- Was tun wir, wenn sich Gottes Gebot zur Barmherzigkeit/Rettung Unschuldiger mit den Anliegen hinterlistiger Menschen nicht vereinbaren lassen?
1.12 Flucht nach Ägypten
(Bibeltext: Mt 2,13-15)
Die Weisen aus dem Morgenland sind sicher von der „himmlischen Anweisung”, nicht den Rückweg über Jerusalem zu nehmen, überrascht. Wir können annehmen, dass sie auch Josef und Maria diese Anweisung mitteilen. Ob sie etwas von den heimtückischen Gedanken des Herodes ahnen und damit auch, dass ihr Besuch nicht ohne Folgen für das Neugeborene Kind in Bethlehem bleiben wird? Wir können weiter annehmen, dass auch Josef und Maria in dieser Atmosphäre vorsichtiger werden. Sie können von den Weisen die Details der Nachforschungen des Herodes erfahren haben. Schon hier wird etwas Typisches für das weitere Leben von Jesus sichtbar: die Herrlichkeit (königliche Geschenke, besondere Ehrerbietung) und das Leid (die Flucht) liegen so nah beieinander. So gibt Gott Josef im Traum eine deutliche Anweisung:
Steh auf, nimm das Kind und seine Mutter und flieh nach Ägypten und bleibe dort, bis ich dir sage, denn Herodes wird das Kind suchen, um es zu töten. (Mt 2,13).
Hier beginnt das „Schwert” von dem Simeon in Lukas 2,34.35 sprach, durch Marias Seele zu dringen.
Später wird Jesus an diesen Umstand erinnern (Mt 23,37; Lk 13,34): „Jerusalem, Jerusalem, die du tötest die Propheten und steinigst, die zu dir gesandt sind (…).” Und noch später stellt der Apostel Paulus in Galater 4,29 fest, dass der nach dem Fleisch gezeugte den verfolgte, der nach dem Geist gezeugt wurde. Auch Jesus ergeht es so schon in sehr jungen Jahren und erinnert an:
- Abel, der von Kain;
- Isaak, der von Ismael;
- Jakob, der von Esau;
- David, der von Saul und eben
- Jesus, der von Herodes verfolgt wird.
Was Jesus hier trifft, trifft später auch seine Gemeinde. Denn Jesus sagte in Johannes 15,20: „Haben sie mich verfolgt, werden sie auch euch verfolgen (…).” Jünger von Jesus müssen wie ihr Meister mit Verfolgung rechnen!
Gott offenbart sich Josef in der immer überraschenden Form – durch einen Engel im Traum (Mt 1,20; 2,13; 2,19-20; 2,22). Engel sind „dienstbare Geister, welche Gott ausgesandt hat für den Dienst derer, die die Seligkeit ererben sollen.” (Hebr 1,14). Ein Traum von Gott hat Bedeutung für eine Person, eine Familie oder ein ganzes Volk. Gott redete zu verschiedenen Zeiten durch Träume und verhieß seinem Volk Träume zu bekommen (vgl. Apg 2 mit Joel 3). Doch wir werden auch zur Vorsicht vor undefinierbaren Träumen aufgerufen (Jer 23,28).
Josef ist der Stimme des HERRN gehorsam, die er, trotz aller Überraschung, bereits kennt. Natürlich hat er zu dieser Zeit noch keine Ahnung von der Erfüllung einer alttestamentlichen Prophetie. Eher dachte er an die Erfahrung so mancher Israeliten, die bei Verfolgung im eigenen Land eben nach Ägypten flohen und dort in der Regel Asyl fanden.
Später sagte Jesus seinen Jüngern: „Wenn sie euch verfolgen in dieser Stadt, flieht in die andere.” (Mt 10,23). Wieder sehen wir einen Ausschnitt aus Gottes Heilsplan und finden auch in diesem Detail ein biblisches Prinzip, an dem sich Christen in ähnlichen Situationen orientieren können.
Warum soll Josef nach Ägypten fliehen, in das Land der Knechtschaft? Hat Gott nicht andere Möglichkeiten? Wir hören von der Erfüllung einer Prophetie, die ihre Wurzeln in der Geschichte Israels hat (Vgl. 1Mose 25,29ff mit Hosea 11,1 und 2Mose 4,22 – zur Ergänzung lesen wir noch Jer 31,1-3). Im Kontext der Hoseastelle lesen wir vom Propheten und seiner untreuen Frau, die dennoch umsorgt, geliebt und sogar zurückgekauft wird. In gleicher Weise liebt und umsorgt der HERR sein untreues Volk und befreit es aus dem Land der Sklaverei. Wir wollen jedoch hier bei der Hoseastelle weniger nach dem Kontext fragen… sondern dem inspirierten Evangelisten folgen und fragen, was bedeutete diese alttestamentliche Stelle für das Leben von Jesus? In welcher Weise fand diese Aussage eine Erfüllung?
So wie Jakob und die wenigen Stammväter damals nach Ägypten (in das östliche Nildelta, in eine Art „Brutkasten” mussten, um zu überleben und sich stark zu mehren) und später von Gott als seinem „Erstgeborenem” wieder herausgerufen wurde, so soll Jesus um zu überleben nach Ägypten fliehen. Man kann es auch umgekehrt formulieren: Weil Jesus viel später nach Ägypten muss, um dort zu überleben, musste schon viel früher auch Jakob/Israel nach Ägypten ziehen. So wird Ägypten zuerst Zufluchtstätte für die Nachkommen Jakobs und dann für den Retter Jesus. Für das alttestamentliche Gottesvolk wurde Ägypten später zum Land der Sklaverei und der unerträglichen Unterdrückung. Hier finden wir das widersprüchliche biblische Bild in Bezug auf das Land und Volk der Ägypter:
Einerseits ist es der Ort des Überlebens, der Zuflucht – doch dann wieder das Land der Sklaverei, der Unterdrückung – Feindesland.
Josef zögert nicht, den Befehl Gottes auszuführen. Auch Maria hat keine Zweifel, Josef zu folgen, hat er doch ihr ganzes Vertrauen gewonnen durch seine Gottesfurcht und seinen Gehorsam gegenüber Gott und seine treue Fürsorge ihr gegenüber. Mit den nötigen Mitteln ausgestattet, müssen sie eine beschwerliche Reise unternehmen. Es bleibt keine Zeit, sie müssen noch bei Nacht aufbrechen.
Die Strecke nach Ägypten, mehr als 500 km, bedeutete viele Gefahren, und war mit einem kleinen Kind ein hohes Risiko.
Der Zufluchtsort in Ägypten ist nicht bekannt, doch nach einer alten Überlieferung fanden sie in der Stadt Heliopolis Zuflucht. Heliopolis,- griechisch `Sonnenstadt`. Zurzeit von Jesus lebten in Ägypten etwa eine Million Juden. Etwa ein Drittel der Einwohner Alexandrias waren Juden – größtenteils wohlhabend und griechisch gebildet. In Elephantine existierte schon seit ca. 650 v. Chr. auf einer Nilinsel im Bereich der heutigen Stadt Assuan eine jüdische Kolonie (Schriftstücke aus der Zeit 495-399 v. Chr. sind erhalten geblieben). Dort gab es zu jener Zeit mehrere jüdische Synagogen, was für ein reges jüdisches Leben in dieser Stadt spricht und eben auch geeignet war für den Aufenthalt Josefs und Marias mit Jesus.
Fragen / Aufgaben:
- Nenne alle Situationen in denen Gott sich Josef offenbarte und beauftragte! War dies typisch oder eher ungewöhnlich? Nenne einige andere Beispiele aus der Schrift.
- Auf welchen geschichtlichen Zusammenhang will uns Matthäus aufmerksam machen, wenn er schreibt: „Damit erfüllt wird (…)”?
- Wodurch wird der Glaube und Gehorsam von Josef unterstrichen?
- Warum schreibt Matthäus immer wieder in folgender Reihenfolge: „Nimm das Kind und dessen Mutter”?
- In einer Nacht eine Auswanderung vorzubereiten und umzusetzen… kann Gott so etwas verlangen? Gibt Gott auch heute noch „seltsame” Aufträge?
1.13 Kindermord in Bethlehem durch Herodes
(Bibeltexte: Mt 2,16-18; Jer 31,15)
Die zornige Reaktion von Herodes ist verständlich, da sein heimtückischer Plan misslungen ist. Wahrscheinlich wollte er das Kind Jesus ohne Aufsehen töten. Doch er hat noch weitere Mittel zur Verfügung. Der Evangelist Matthäus berichtet:
Als Herodes nun sah, dass er von den Weisen betrogen war, wurde er sehr zornig und schickte aus und ließ alle Knaben in Bethlehem töten und in der ganzen Gegend, die zweijährig und darunter waren, nach der Zeit, die er von den Weisen genau erkundet hatte. Da wurde erfüllt, was gesagt ist durch den Propheten Jeremia, der da spricht (Jeremia 31,15): »In Rama hat man ein Geschrei gehört, viel Weinen und Wehklagen; Rahel beweinte ihre Kinder und wollte sich nicht trösten lassen, denn es war aus mit ihnen.«
Mit den Informationen der Weisen, kann er den Geburtstermin und damit auch das Alter des Kindes ermitteln. Allerdings hält der Evangelist Matthäus diese Informationen nicht fest und so ist es für uns schwierig, das Alter von Jesus zu diesem Zeitpunkt zu bestimmen. Damit verbunden ist dann auch die traurige Vielzahl der später getöteten Knaben in Bethlehem.
- Herodes setzt aufgrund der Zeitangaben der Weisen einen Altersstichtag von oben nach unten fest, Die Frage ist hier, wo ist dieser Stichtag zu suchen? Die Altersangabe im Griechischen: από διετούς και κατωτέρω – apo dietous kai katöterö, wird in der Interlinearübersetzung mit „von ab einem Zweijährigen und darunter” übersetzt. Diese Angabe ist typisch orientalisch unklar. Sie kann bedeuten:
- Alle Knaben, die sich bereits im zweiten Lebensjahr befinden und einschließlich die Einjährigen.
- Alle Knaben, die sich unterhalb der Grenze (dem Übergang) zum zweiten Lebensjahr befinden, also nur Einjährige.
Anmerkung: In unserem Sprachgebrauch sind Zweijährige, die sich bereits im dritten Lebensjahr befinden. Diese Zählweise schließen wir auf in diesem Fall (weil nicht orientalisch) aus.
Trotzdem bleibt der Stichtag also verworren offen: „von ab“ dem Übergang vom ersten zum zweiten oder zweiten zum dritten Lebensjahr? Bibelleser haben bemerkt, dass im Alten Testament jedes begonnene Jahr als Ganzes gerechnet wurde (so der Vergleich von 1Kön 15,25 mit 15,33). Ähnlich zählt man auch die Tage, so sagte Jesus: „am dritten Tag oder nach drei Tagen werde ich wieder auferstehen”. Tatsache ist, dass Jesus keine drei volle Tage mit 24 Stunden im Grab blieb, aber jeder noch nicht zu Ende gegangener und schon begonnener Tag wurde als voller Tag gerechnet. Damit wäre nach unserer Zählweise ein Kind im Alter von einem Jahr und einem Monat in der damaligen Zeit bereits zweijährig (bei uns sagt man in diesem Fall – ein Jahr alt). Es ist eher wahrscheinlich, dass die Weisen sich schon bald nach der Erscheinung des Sternes auf den Weg gemacht haben. Warum sollten sie auch warten? War doch dieses Ereignis die größte Erfahrung ihres Lebens. Wenn wir weiter annehmen, dass mit dem Morgenland oder Osten in der Bibel das Gebiet bis einschließlich das Zweistromland bezeichnet wird (4Mose 23,7), würden für die Reise bis Jerusalem etwas mehr als drei Monate benötigt werden (siehe Esra 7,9; 8,31).
Nach den Vorschlägen von Werner Papke (Papke 1995, 125f), ist Jesus im Spätsommer des Jahres 2 vor unserer Zeitrechnung geboren und Herodes im Frühjahr des Jahres 1 vor unserer Zeitrechnung gestorben. So lägen zwischen der Geburt von Jesus und dem Tod des Herodes etwa 7 Monate. Ausreichend Zeit für die Weisen, sich für die Reise vorzubereiten und noch einige Monate vor dem Tod des Herodes in Bethlehem dem neugeborenen König der Juden zu huldigen. Herodes will also sicher gehen und setzt das Alter der infrage kommenden Knaben auf unter zwei Jahren (von ab einem zweijährigen und darunter) fest und meint damit, den neugeborenen König getötet zu haben. Ist Herodes ein besonders grausamer Herrscher?
„Einer der Konkurrenten, ein beim Volk sehr beliebter junger Hoher Priester, erlitt in einem nur einen Meter tiefen Brunnen einen „tödlichen Unfall”; seine Lieblingsfrau ließ er umbringen, weil er sich geärgert hatte; zwei seiner Söhne ließ er auf Grund eines Täuschungsmanövers – unschuldig – hinrichten; einen anderen Sohn der allerdings wirklich schuldig war – ließ er noch vom Sterbebett aus exekutieren.“ (Keener 1998, Bd. 1, 59).
Doch Herodes ist keine Ausnahme, die meisten vor und nach ihm handelten gleichermaßen. Eigentlich müsste Herodes sich wenig Sorgen um seinen Thron machen, doch gerade in dieser Situation wird sein aktiver Unglaube deutlich. Heimtückisch missbraucht er die Heilige Schrift und die arglosen Magier, um seine boshaften Pläne auszuführen. Er zeigt äußerlich keine Gottesfurcht und schreckt nicht davor zurück seine Hand an den Gesalbten Gottes zu legen. Es wird mindestens dreimal im Text festgestellt, dass Herodes „genau” (im Griechischen: `akribisch` Mt 2,7.8.16) erkundete. Dies betont die bewusste, berechnende Schlauheit und Bosheit des Herrschers. In Sachen Kindermord ist er zuverlässig gewissenhaft. Bei den Rabbinern lesen wir zum Tode Herodes:
„(…) das ist der Tag, an welchem Herodes der Hasser der Gelehrten starb; denn es ist Freude vor Gott, wenn die Gottlosen von der Welt scheiden;… Und an demselben Tage, an welchem Herodes starb, machten sie ihn zu einem Festtag… (Strack 1982, 90).
Leider reiht sich auch dieses traurige Ereignis ein in die grausamen Verlustgeschichten Israels. Auch viele Könige, aus den eigenen Reihen des Volkes erwählt, handelten ähnlich.
Solch eine erste Verlustgeschichte wird uns in 1Mose 35,16-20 erzählt. Rahel die Lieblingsfrau Jakobs/Israels stirbt bei oder nach der Geburt ihres Sohnes Benjamin und wird in Bethlehem, bzw. in dessen Nähe begraben.
Von einer weiteren Verlustgeschichte berichtet uns der Prophet Jeremia (Jer 31,15ff). Dort geht es um das Weinen und Trauern wegen der Kinder Israels, die in die babylonische Gefangenschaft weggeführt wurden. Auch dieses traurige Ereignis ist lokalisiert. Die Stadt Rama, im Grenzgebiet zwischen Benjamin und Ephraim, hatte in alttestamentlicher Zeit eine strategisch wichtige Bedeutung.
Es ist überhaupt auffallend, wie alttestamentliche Geschichten von Propheten aufgegriffen und als Prophetenwort erweitert werden, um sich dann in einer späteren Phase heilsgeschichtlich zu erfüllen. So wird von der Identifikation des Leidens der Mütter Bethlehems mit Rahel, welche ihrerseits durch den eigenen frühen Tod sozusagen ihre Kinder verlor, berichtet. Rahel, die Lieblingsfrau Jakobs wird so zum Sinnbild für die weinenden Mütter Israels. So wird auch der Verlust der Kinder in Bethlehem sinnbildlich durch Rahel (Mutter Israels) beweint.
Doch sind die Leiden der Schuldlosen bei Gott keineswegs vergessen. Er wird für sie eintreten und die Gewalttäter bestrafen, wenn seine Zeit kommt. Für Irenäus (ca. 135-202 n. Chr.) sind die Kinder eigentlich die ersten Märtyrer, die zwar noch nichts von Christus wussten, und ihn noch nicht durch Worte rühmen konnten, aber die Christus durch ihr stellvertretendes Sterben verherrlichen konnten. Während die griechische Liturgie 14.000 ermordete Knaben nennt und mittelalterliche Autoren bis zu 144.000 Opfer annahmen, sprachen spätere Theologen (Joseph Knabenbauer, August Bisping) auf Grund der anzunehmenden Größe des Ortes Bethlehem (max. 1000 Einwohner) zu biblischen Zeiten immerhin noch von etwa sechs bis zwanzig erschlagenen Kindern.
Bis heute hören wir vom Leiden, Unrecht und der brutalen Gewalt, denen die Kinder `Bethlehems` in Palästina und weltweit ausgesetzt sind. Sind wir über Herodes oder einen der neuzeitlichen Herrscher und Diktatoren wegen ihrer Grausamkeiten erbost? Doch was ist mit den millionen Kindern, die noch vor ihrer Geburt von Müttern (oft unter dem Druck der Väter oder Erzeuger) mit Hilfe von Ärzten, ermordert werden? Wollen wir die Tränen der Kinder und Mütter zur Kenntnis nehmen? Jesus entkam ähnlich wie Mose diesem Schicksal. Die Gründe für das Leid sind damals wie heute vielschichtig und kaum einsichtig. Viele fragen sich nach dem Heil oder Unheil für diese Kinder. Doch die Kinder Bethlehems selbst stehen unter der Gnade Gottes und seinem Rechtsspruch – dieser Rechtsspruch wird gerecht und gut sein. Fragen / Aufgaben:
Gott kommt zu seinem Ziel. Sind wir bereit, den Leidensweg mit Christus zu gehen? |
1.14 Rückkehr aus Ägypten und Niederlassung in Nazaret
(Bibeltexte: Mt 2,19-23; Lk 2,39-40)
Der Evangelist Matthäus leitet einen neuen Abschnitt mit den Worten ein:: „Als aber Herodes gestorben war (…).” (Mt 2,19). Nach dem Tode des Herodes befiehlt Gott Josef im Traum, ins Land Israel zurückzukehren. Das Todesjahr des Herodes, 4 v. Chr. (seit Jahrzehnten allgemein angenommenes Datum) ist nicht eindeutig belegt. Werner Papke (wie bereits erwähnt) kommt aufgrund seiner historischen Forschungen auf das Jahr 1 v. Chr. Dies würde in unseren angenommenen zeitlichen Rahmen passen. Wieder ist es der Engel des Herrn, der Josef im Traum erscheint und ihn auffordert:
Nimm das Kind und seine Mutter und ziehe wieder in das Land Israel, denn sie sind gestorben, die dem Kind nach dem Leben trachteten. (Mt 2,20).
Archelaus einer der Söhne des Herodes führt zunächst den Titel König (gr. βασιλεύς – basileus). Doch er muss diesen, von seinem Vater Herodes übernommenen Titel zunächst vom Kaiser Augustus gegen die Ansprüche seines Bruders Antipas bestätigen lassen. Nach dem Willen des Vaters sollte er nur den Titel Volksfürst (gr. έθναρχ – ethnarch) führen. Auch Augustus verweigerte ihm den Königstitel und ernannte ihn nur zum `Ethnarchen` über Judäa, Samaria und Idumäa, versprach ihm aber den Königstitel, wenn er gut regiere. Im Jahr 6 n. Chr. wurde Archelaus allerdings nach massiven Beschwerden aus Samaria und Judäa wieder abgesetzt und nach Vienna in Gallien verbannt. Sein Herrschaftsgebiet wurde in eine römische Provinz umgewandelt.
Für Josef war es selbstverständlich, dass seine Rückreise wieder nach Judäa, also nach Bethlehem in die Stadt Davids führen würde. So schreibt der Evangelist Matthäus:
Und er stand auf und nahm das Kind und seine Mutter zu sich, und er kam in das Land Israel. Als er aber hörte, dass Archelaus über Judäa herrschte anstelle seines Vaters Herodes, fürchtete er sich, dahin zu gehen; und als er im Traum eine göttliche Weisung empfangen hatte, zog er hin in die Gegenden von Galiläa und kam und wohnte in einer Stadt, genannt Nazareth; damit erfüllt würde, was durch die Propheten geredet ist: „Er wird Nazoräer genannt werden. (Mt 2,21-23).
Josef hat erhebliche Bedenken nach Bethlehem zurückzukehren, herrscht doch über Judäa Archelaus, dem nicht zu trauen ist. Gott kennt seine Bedenken und offenbart ihm, was er zu tun hat. So geht er auf den Befehl Gottes in seine (zweite) Heimatregion zurück und wählt Nazaret als Wohnort. Dies ist nahe liegend, ist es doch seine bzw. ihre gemeinsame Stadt (Lk 2,39). Auch wurde Jesus als Menschensohn vom Heiligen Geist hier in Nazaret empfangen. Nazaret war ein kleines Städtchen, ohne besondere Bedeutung. Und hätte Jesus nicht dort seine Kindheit und Jugendjahre verbracht, wäre dieser Ort nie in die Weltgeschichte eingegangen. Heute liegt Nazaret im palästinensischen Teil und dort leben überwiegend arabischsprechende Menschen, unter ihnen viele Christen.
In diesem Abschnitt verbindet der Evangelist Matthäus den Städtenamen Nazaret mit einer bestimmten Bedeutung in Bezug auf die Person von Jesus. Im Neuen Testament kommen diese Bezeichnungen 18 mal vor und im Griechischen gibt es dafür zwei Schreibweisen, die hier in einer Tabelle aufgelistet sind und deren Bedeutung untersucht werden soll.
Ναζωραίος – Nazöraios
– Mt 2,23 – Lk 18,37. – Joh 18,5 . – Joh 18,7. – Mt 26,71 – Joh 19,19. – Apg 2,22 – Apg 3,6 – Apg 4,10 – Apg 6,14 – Apg 22,8 – Apg 26,9 |
Ναζαρήνος – Nazar¢nos
– Mk 1,24 – Lk 4,34 – Mk 10,47 – Mk 14,67. – Mk 16,6 – Lk 24,19
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Zwölf Mal wird also der Begriff `Ναζωραίος – Nazöraios ` verwendet:
(Matthäus, das Volk, die Wache, die Magd, Pilatus, Petrus, Jesus, Paulus).
Sechs mal wird der Begriff `Ναζαρήνος – Nazar¢nos ` verwendet:
(die Dämonen, das Volk, die Magd, die Engel am Grab, die Emmausjünger).
Beide Begriffe sind Synonyme, wie der Vergleich von Mk 10,47 mit Lk 18, 37 und Mk 14,67 mit Mt 26,71 zeigt. In Johannes 1,45 und Apostelgeschichte 10,38 wird Jesus „der von Nazaret” bezeichnet, also aus Nazaret kommend.
Der bestimmte Artikel betont die Besonderheit der Person von Jesus. Im Laufe seiner Wirksamkeit hat sich dann der Beiname ` Ναζωραίος – Nazöraios bzw. Ναζαρήνος– Nazar¢nos ` mehr und mehr verbreitet. Da Nazaret im Alten Testament nicht erwähnt wird und somit mit keiner Person von Bedeutung in Verbindung gebracht werden konnte, war es schon etwas besonderes, dass gerade aus solch einem verachteten Ort (Joh 1,46) eine solche Persönlichkeit kommt, wie Jesus. Da auch Jesus selbst sich mit diesem Beinamen identifiziert (Apg 22,8), ist es als ob Gott damit einen tieferen Sinn verbindet, als nur eine Herkunftsbezeichnung. Nicht in Jerusalem wächst er auf, ja nicht einmal in Bethlehem, wo man an die Davidstradition so gut anknüpfen konnte (dass hätte ihm mehr Anerkennung eingebracht Joh 7,41f +52). Mit den Galiläern, die einen schlechten Ruf bei denen in Jerusalem hatten, will er sich identifizieren. Nazaret liegt übrigens in Sichtweite zur griechischen Stadt Sephoris.
Der Evangelist Matthäus sieht in der Niederlassung in Nazaret die Erfüllung einer Prophetie, ohne jedoch diese aus dem AT konkret zu nennen. Maier erklärt diesen Begriff:
Mt 2,23 geht zurück auf Jes 11,1 „und es Wird ein Reis hervorgehen aus dem Stamm Isais und ein Zweig aus seiner Wurzel Frucht bringen”. Der “Zweig/Spross” heißt hebräisch “nezer”. Im Hebräischen schreibt man jedoch für gewöhnlich nur die Konsonanten. Lässt man bei „Nazoräer” die Endung weg und schreibt man nur die Konsonanten: n-z-r, dann hat man eben den “Zweig”, den n-z-r von Jes. 11,1. (Vgl. Jes 53,2; Jer 23,5; 33,15; Sach 3,8; 6,12) (Maier 2007, 44).
Keener merkt an:
„Die Schriftsteller seiner Zeit mischten manchmal Texte miteinander, und Juden wie Griechen hatten eine Vorliebe für Wortspiele. Der Ausspruch könnte also ein Wortspiel mit dem hebräischen Wort nezer Spross sein – das ist ein Messiastitel (Jer 23,5; Sach 3,8; 6,12; vgl. Jes 11,1)” (Keener 1998, Bd. 1, 61).
Der Evangelist Lukas fügt noch hinzu: „Aber das Kind wuchs und wurde stark, erfüllt mit Weisheit und die Gnade Gottes war über ihm.“ (Lk 2,40). Er betont, dass Jesus in diesem Kindesalter an Weisheit zunahm. In ähnlicher Weise wird in der Bibel von Samuel und Johannes dem Täufer gesprochen. Der Umstand, dass Jesus als Kind überdurchschnittlich gute Fortschritte machte, wird durch die anderen Beispiele nur noch unterstrichen.
Fragen / Aufgaben:
- Woraus können wir schließen, dass Josef davon ausging nach Bethlehem zurückkehren zu müssen/wollen? Stelle daher den Zusammenhang zu Lk 2,3 her, wo von “seiner Stadt” die Rede ist.
- Nazaret wird zum Wohnort mit Bedeutung. Jesus identifizierte sich gerne mit den „Verachteten”! Nenne Beispiele! Wie können wir heute unsere Solidarität mit ihnen zeigen?
- Bist du schon öfters umgezogen? Was für eine Bedeutung hat der Wohnort für dein Leben?
Was heißt es zu „wachsen“, „mit Weisheit erfüllt zu sein“ und „die Gnade Gottes“ über sich zu wissen?