5. Kapitel: Jesu Wirken in Galiläa

Kapitel 5: Jesu Wirken in Galiläa

5.1 Heilung des Sohnes des königlichen Beamten von Kapernaum

(Joh 4,43-54)

Zur zeitlichen Einordnung dieses Zeichen-Wunders. Nach dem Passahfest in Jerusalem hält sich Jesus noch eine Zeitlang in Judäa auf, bevor er durch Samarien wieder zurück nach Galiläa wandert. In Joh 4,35 weist Jesus auf die reifen Felder[106], will aber eigentlich auf die reife geistliche Ernte unter den Samaritern hinweisen. Wollte Jesus mit dem Hinweis: „Sagt ihr nicht: Es sind noch vier Monate, und die Ernte kommt“? auf den Abschluss der Jahresernte Ende September /Anfang Oktober (Laubhüttenfest) hinweisen? Dann wäre es in der Zeit um die Mitte Juni des Jahres 30.

Jesus geht nach Galiläa, da er weiß, dass er im eigenen Vaterland (hier meint er wohl Judäa mit Jerusalem, vgl. auch Joh. 1,11) keine Ehre hat. Im Gegensatz dazu nehmen ihn die Galiläer gerne auf. Die Wunder während des Festes in Jerusalem (Joh 4,45) beeindrucken sie.

5.1.1 Die Notsituation

Ausgangspunkt dieses Berichtes ist ein leidender, gequälter Mensch! Jesus und der Notleidende – darauf konzentrieren sich in den Evangelien die Geschichten von Heilungen. Hier ist es wahrscheinlich ein Hofbeamter von Herodes Antipas. Aus Joh 4,48 wird deutlich, dass er zusammen mit den Schaulustigen Jesus anspricht. Ob es der einzige Sohn ist, ob er jung oder alt ist, ja sogar an welcher Krankheit er leidet spielt in der Geschichte keine Rolle. Er war krank und litt an einem hohen Fieber. Es bestand Gefahr. Man sah das Ende schon kommen.

Warum werden Menschen krank, verunglücken, gehen viel zu früh von uns? Paulus bittet viel später um Heilung eines uns unbekannten körperlichen Leidens drei Mal. Er bekam die Antwort:

Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. 2Kor 12,9

Auch der Theologe Paulus fand keine andere Antwort. Alle scheinbare Seelsorge, die verborgene Sünden als Grund für Leid aufdecken will ist damit hinfällig – auch alle Selbstprüfungen und Selbstvorwürfe und besonders die selbstauferlegten Qualen.

5.1.2 Die Begegnung mit Jesus

Woher auch immer – dieser Mann hatte die entscheidende Info: … der neue Rabbi Jesus soll die Gabe der Krankenheilung haben! Doch der Beamte wohnt in Kapernaum und Jesus ist in Kana. Dort ist Jesus bei den Menschen, erreichbar, nahe – einer der zu Fuß im Dorf unterwegs ist, den man ohne Scheu ansprechen darf.

Was jetzt folgt ist Gottes Programm: Hilfe kommt nicht gönnerhaft von oben her – sondern als Hilfe von unten her. Inkarnation = Fleischwerdung nennt man dies in der theologischen Fachsprache. Gott als der Souverän dieser Welt will von unten her den Menschen begegnen. Darin wird Gottes ds,x chesed Gnade deutlich. Das hebräische Wort, am besten übersetzt mit dem alten deutschen Wort Huld (engl.: lovingkindness). Gott will liebevolle, freundliche Gemeinschaft. Gott sieht sich selbst weniger als ein Richter, der mal ein gnädiges Urteil fällt, sondern als ein Vater der von Anfang an und dann immer wieder die Gemeinschaft will. GOTTES Gemeinschaftssinn ist der Grund, dass er für uns ist – trotz Leid, Not und Krankheit. Ja Gott ist für uns mit oder ohne Heilung! Auch wenn uns das eine viel lieber ist, als das andere!

Typisch Jesus: Er wird vom königlichen Beamten in seiner großen Sorge nicht im Palast, sondern mitten bei den Menschen – bei Ihrer Not angetroffen! Jesus wird also vom Beamten angesprochen, nachdem er von Kapernaum nach Kana geeilt war, um Jesus schnell zu seiner Familientragödie zu rufen! Wir wissen heute nicht genau wo Kana liegt. Der nächste Ort, der in Frage kommt ist wenigstens 20 km Luftlinie von Kapernaum entfernt – allerdings ist dies eine bergige Gegend. Rettungsdienste, Notärzte kennen dass, schnell, schnell kommen Sie zu unserer unendlichen Not! Jede Minute zählt so unendlich viel. Was wird der Vater gerannt sein!

Jesus hört die Bitte bei dieser Begegnung zwei Mal (einmal in indirekter Rede und einmal in direkter Rede): Herr, komm herab, ehe mein Kind stirb!“ (Joh 4,49). Die Antwort von Jesus ist erst einmal seltsam… doch sie ist der eigentliche Schlüssel: Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder seht, so werdet ihr nicht glauben (Joh 4,48). Ja, Jesus genau dass ist das Problem – wir wollen Zeichen und Wunder sehen! Hier und heute vor allen! Kann das Jesus? Ja! Doch wie ist mein Verhältnis zu Jesus, wenn ich heute nach Hause gehe und mein Leid wieder mitnehme. Dürfen wir in allem Nichtverstehen dann noch DANKE – sagen – auch wenn dann ein Gemeindeglied Jahrzehnte in unserer Mitte leidet?

Der Vater fasst sich nach diesem Hinweis von Jesus ein Herz und drückt all seinen Glauben in dieser wiederholten Bitte aus: Herr, komm herab, ehe mein Kind stirbt!

5.1.3 Das Lösungswort

In Joh 4,50 finden wir die Worte von Jesus: „Geh hin, dein Sohn lebt!“ und dann weiter: „Der Mensch glaubte dem Wort, das Jesus zu ihm sagte, und ging hin.“ Typisch Jesus: Er legt keinen Wert auf Sensation und Reklame. Das wunderschaffende Wort zur Aufhebung dieser menschlicher Not ist im Griechischen und deutschen sogar sehr kurz nur vier Worte: „Geh, dein Sohn lebt!“ Dies ist die Antwort von Jesus auf die Notlage des Hilfesuchenden. Jesus spricht keine magischen Zaubersprüche – es sind ganz schlichte Worte. Jesus sagt nicht: dein Sohn wird irgendwann einmal in Ewigkeit leben… ER LEBT JETZT! Die Allmacht und das Allwissen von Jesus werden in dieser Situation sehr deutlich. Der Sohn wird wieder völlig gesund! Der Vater steht vor dem Rabbi Jesus. Er hat nur dessen Wort. Was soll er machen? Er glaubt und geht!

Auf dem Nachhauseweg wird der Vater die Szene immer wieder reflektieren: So anders ist dieser Jesus! So anders diese angebliche Heilung! Gar nicht wie ich mir das gedacht habe! Keine Berührung des Kranken, kein an die Handfassen, auch keine Medizin – doch der Vater glaubt ohne Beweis. Er glaubt und geht!

Hier kommt etwas in Spiel, was wir nie ganz zusammenbekommen. Während wir noch beten, bitten und Gott sagen, was er bei mir, in meiner Familie, in meiner Region oder in meinem Land noch alles ändern solle, handelt Gott. Die Familie in Kapernaum merkt, dass es dem Sohn rapide sehr viel besser geht. Doch in Kapernaum weiß keiner warum! Also werden Boten gesandt: „Holt den armen verzweifelten Vater von seiner verzweifelten Mission zurück! Alles hat sich „von allein“ gelöst. Wir brauchen keinen Arzt mehr – auch keinen JESUS. Alles ist von allein gut geworden. Klar so dachte die Familie in Kapernaum, weil sie nicht nach Kana schauen können. So treffen die Freuden-Boten und der besorgte glaubende Vater aufeinander: DEIN SOHN LEBT! Schnell wird der Zeitpunkt der Besserung ausgetauscht: ein Uhr nachmittags (die siebte Tagesstunde).

5.1.4 Die Wirkung

Der Vater und sein Haushalt (Frau, Kinder, Verwandte, Bedienstete!) glauben. Auch ihr Glauben musste wachsen. Wir sehen die Glaubensschritte hier recht deutlich:

  • verzweifelter Glaube an irgendeinen Wunderheiler (Strohhalmglaube: Kann ja nicht schaden!)
  • Glaube an das Wort von Jesus: Dein Sohn lebt
  • Glaube an die Person Jesus mit der ganzen Familie

Jesus als Gottes Sohn – nichts ist ihm unmöglich! Wunder berichtet uns der Evangelist Johannes als Zeichen für die Gottessohnschaft von Jesus. Er lässt nie den Anschein entstehen, Jesus sei der professionelle Wundermann, der von sich aus Wunder tut, um die Leute in einer Art Show mit seinen Wunderkräften zu beeindrucken.

Die Heilungserzählung von damals möchte aber auch uns heute beteiligen! Im Echo des Wunders fragen wir uns: Wie handelt Jesus bei heutigem Leid, heutiger Not? Greift er ein? Spricht er das Lösungswort?

Wie wird Jesus mit deinem Leid verfahren? Darum wollen wir auch heute unsere Not zu ihm rufen – gemeinsam – dann soll er, Jesus, so handeln wie er entscheidet.

Wundergeschichten wie diese in den Evangelien machen uns als Nachfolger von Jesus deutlich: Wir können nicht so weiter leben, als seien Krankheit und Not, Gebundenheit und Tod die letzte Wirklichkeit unseres Lebens. Bei Jesus gibt es Befreiung aus unentrinnbarer Gefangenschaft!

Wollen wir uns so sehen: Wir sind in Kapernaum und rufen und beten … Jesus handelt in Kana… Doch wie, dass wissen wir nicht. Wir wollen auf Jesus unser Vertrauen setzen – auch wenn wir Tag für Tag die Not der Menschen sehen. Wir können und wollen uns entscheiden: Wir vertrauen Jesus!

Fragen:

  1. Wie können wir dazu beitragen, dass Jesus wieder zur Anlaufstelle in Krisen wird?
  1. Wie wollen wir die gute Nachricht von Gottes HULD heute praktisch Mitmenschen mitteilen?
  1. Wie sieht ein „inkarnatorischer“ Lebensstil heute aus?
  1. Glaube an die Heilung und Kraft zum Tragen einer Krankheit – wie verhalten sich diese beiden Haltungen zueinander?
  1. Heilungen geschehen ohne dass wir es ahnen – wie kann das unser Gebet verändern?

5.2 Das Gleichnis vom Sämann

(Mt 13,1-23; Mk 4,1-20; Lk 8,4-15 )

Man kann sich vorstellen, dass Jesus nach Kapernaum hinab geht. Nach den Evangelisten Matthäus und Markus erzählt Jesus im Rahmen seiner Lehrtätigkeit dieses Gleichnis am Ufer des Sees in der Nähe von Kapernaum (Mt. 13,1-2;  Mk 4,1.35). Markus ergänzt, dass Jesus wegen der großen Volksmenge in ein Boot einsteigt und so vom Wasser aus die Menschen lehrt. Nach Abschluss der Gleichnissreden von Jesus sagt Matthäus, dass Jesus von dort weg geht (Mt. 13,53). Markus berichtet präzis: „Und an jenem Tag sagt er zu ihnen, als es Abend geworden war: Lasst uns zum jenseitigen Ufer übersetzen“ (Mk 4,35f). Lukas verbindet das Gleichnis nicht direkt mit dem Übersetzen von Jesus an das andere Ufer (Lk 8, 22). Wir folgen hier der Anordnung des Evangelisten Markus.

 

Wir finden das Gleichnis in allen drei synoptischen Evangelien. In allen Berichten erklärt Jesus (auf ausdrücklichen Wunsch seiner Jünger) die Bedeutung der Details des Gleichnisses. Alle drei Evangelisten ergänzen hier einander.

Die Zuhörer von Jesus, auch seine Jünger, sind mit den alltäglichen Details der Landwirtschaft hinreichend vertraut. Ein Gleichnis vom Säen eignet sich daher für diese Zuhörerschaft gut, um damit göttliche Wahrheiten zu verdeutlichen. Zwar verstanden alle die natürlichen Vorgänge, aber den tiefen Sinn und Wahrheitsgehalt des Gleichnisses verstanden nicht einmal seine Jünger.

In Palästina wird eine hundertfache Ernte als ein hervorragender Ertrag angesehen (1Mo 26,12): „Und Isaak säte in dem Lande und erntete in jenem Jahre hundertfältig; denn der HERR segnete ihn“. Dabei ist unter Umständen schon eine Ernte mit dreißigfachem Ergebnis als eine gute Ernte angesehen worden, verglichen mit den gänzlich fruchtlosen Jahren, in denen das Saatgut ohne jeglichen Ertrag verloren ging.

In der folgenden Tabelle sind die Gleichnistexte aller drei Evangelien zur besseren Übersicht parallel aufgelistet.

Matthäus 13,3-9. 18-23 Markus 4,3-9. 13-20 Lukas 8,5-8. 11-15
Siehe, es ging ein Sämann aus zu säen.

Und indem er säte, fiel einiges auf den Weg; da kamen die Vögel und fraßen’s auf.

Einiges fiel auf felsigen Boden, wo es nicht viel Erde hatte, und ging bald auf, weil es keine tiefe Erde hatte. Als aber die Sonne aufging, verwelkte es, und weil es keine Wurzel hatte, verdorrte es.

Einiges fiel unter die Dornen; und die Dornen wuchsen empor und erstickten’s.

Einiges fiel auf gutes Land und trug Frucht, einiges hundertfach, einiges sechzigfach, einiges dreißigfach.

Wer Ohren hat, der höre!

Hört zu! Siehe, es ging ein Sämann aus zu säen. Und es begab sich, indem er säte, dass einiges auf den Weg fiel; da kamen die Vögel und fraßen’s auf.

Einiges fiel auf felsigen Boden, wo es nicht viel Erde hatte, und ging alsbald auf, weil es keine tiefe Erde hatte. Als nun die Sonne aufging, verwelkte es, und weil es keine Wurzel hatte, verdorrte es.

Und einiges fiel unter die Dornen, und die Dornen wuchsen empor und erstickten’s, und es brachte keine Frucht.

Und einiges fiel auf gutes Land, ging auf und wuchs und brachte Frucht, und einiges trug dreißigfach und einiges sechzigfach und einiges hundertfach.

Und er sprach: Wer Ohren hat zu hören, der höre!Es ging ein Sämann aus zu säen seinen Samen.

Und indem er säte, fiel einiges auf den Weg und wurde zertreten, und die Vögel unter dem Himmel fraßen’s auf.

Und einiges fiel auf den Fels; und als es aufging, verdorrte es, weil es keine Feuchtigkeit hatte.

Und einiges fiel mitten unter die Dornen; und die Dornen gingen mit auf und erstickten’s.

Und einiges fiel auf gutes Land; und es ging auf und trug hundertfach Frucht.

Als er das sagte, rief er: Wer Ohren hat zu hören, der höre!So hört nun ihr dies Gleichnis von dem Sämann: Wenn jemand das Wort von dem Reich hört und nicht versteht, so kommt der Böse und reißt hinweg, was in sein Herz gesät ist; das ist der, bei dem auf den Weg gesät ist.

Bei dem aber auf felsigen Boden gesät ist, das ist, der das Wort hört und es gleich mit Freuden aufnimmt; aber er hat keine Wurzel in sich, sondern er ist wetterwendisch; wenn sich Bedrängnis oder Verfolgung erhebt um des Wortes willen, so fällt er gleich ab.

Bei dem aber unter die Dornen gesät ist, das ist, der das Wort hört, und die Sorge der Welt und der betrügerische Reichtum ersticken das Wort, und er bringt keine Frucht.

Bei dem aber auf gutes Land gesät ist, das ist, der das Wort hört und versteht und dann auch Frucht bringt; und der eine trägt hundertfach, der andere sechzigfach, der dritte dreißigfach.

Und er sprach zu ihnen: Versteht ihr dies Gleichnis nicht, wie wollt ihr dann die andern alle verstehen? Der Sämann sät das Wort.

Das aber sind die auf dem Wege: wenn das Wort gesät wird und sie es gehört haben, kommt sogleich der Satan und nimmt das Wort weg, das in sie gesät war.  Desgleichen auch die, bei denen auf felsigen Boden gesät ist: wenn sie das Wort gehört haben, nehmen sie es sogleich mit Freuden auf,  aber sie haben keine Wurzel in sich, sondern sind wetterwendisch; wenn sich Bedrängnis oder Verfolgung um des Wortes willen erhebt, so fallen sie sogleich ab.

Und andere sind die, bei denen unter die Dornen gesät ist: die hören das Wort, und die Sorgen der Welt und der betrügerische Reichtum und die Begierden nach allem andern dringen ein und ersticken das Wort, und es bleibt ohne Frucht.

Diese aber sind’s, bei denen auf gutes Land gesät ist: die hören das Wort und nehmen’s an und bringen Frucht, einige dreißigfach und einige sechzigfach und einige hundertfach.Das Gleichnis aber bedeutet dies: Der Same ist das Wort Gottes.

Die aber auf dem Weg, das sind die, die es hören; danach kommt der Teufel und nimmt das Wort aus ihrem Herzen, damit sie nicht glauben und selig werden.

Die aber auf dem Fels sind die: wenn sie es hören, nehmen sie das Wort mit Freuden an. Doch sie haben keine Wurzel; eine Zeit lang glauben sie und zu der Zeit der Anfechtung fallen sie ab.

Was aber unter die Dornen fiel, sind die, die es hören und gehen hin und ersticken unter den Sorgen, dem Reichtum und den Freuden des Lebens und bringen keine Frucht.

Das aber auf dem guten Land sind die, die das Wort hören und behalten in einem feinen, guten Herzen und bringen Frucht in Geduld.

Alle Evangelisten berichten über die verschiedenartigen Saatuntergründe in der gleichen Reihenfolge. Vom Textumfang her fasst sich Lukas am kürzesten. Während Matthäus beim guten Ackerboden mit dem hundertfachen Fruchtbringen beginnt, fängt Markus mit dreißigfachem an und Lukas hat nur das hundertfache Fruchtbringen festgehalten. Während bei Matthäus und Markus diese Staffelung in der gleichen Reihenfolge auch bei der Deutung des Gleichnisses wiederholt wird, unterstreicht Lukas lediglich das Fruchtbringen in Geduld.

Abbildung 12 Aus einem Weizenkorn entstehen dutzende Körner (Foto am 14. August 2016).

Wichtig und unbedingt notwendig ist also, dass überhaupt Frucht gebracht wird. Es gibt jedoch Unterschiede im Umfang und der Intensität des Fruchtbringens.

Wir fragen an dieser Stelle: Was sagen andere Bibelstellen der Schrift über das Fruchtbringen?

  • Im Gleichnis vom Weinstock und den Reben spricht Jesus vom Fruchtbringen, von mehr Frucht bringen, von viel Frucht bringen, ebenso von Fruchtlosigkeit – letztlich jedoch, dass unsere Frucht eine bleibende Frucht sein soll (Joh 15,1-16).
  • So wie der Umfang und die Qualität der Frucht von der Beschaffenheit des Bodens abhängt, so hängt auch das „Viel-Frucht-Bringen“ von der Aufnahmebereitschaft unseres Herzens und der Hingabe unseres Lebens an Gott ab (Mt 19,29): „Und wer Häuser oder Brüder oder Schwestern oder Vater oder Mutter oder Kinder oder Äcker verlässt um meines Namens willen, der wird’s hundertfach empfangen und das ewige Leben ererben“ (Vgl. auch Mk 10,30). Beim Säen, oder Investieren in das Reich Gottes, verspricht Jesus also hundertfaches Ergebnis, oder eine hundertfache Vermehrung.
  • „Ich will euch aber nicht verschweigen, liebe Brüder, dass ich mir oft vorgenommen habe, zu euch zu kommen – wurde aber bisher gehindert -, damit ich auch unter euch Frucht schaffe wie unter andern Heiden“ (Röm 1,13). Durch die Verkündigung des Wortes Gottes, entsteht geistliche Frucht unter den Heiden in Form von Menschen, die für Gott gewonnen werden.
  • Seht zu, bringt rechtschaffene Frucht der Buße (Mt 3,8). Der Mensch wird aufgefordert, das Wort Gottes tief und vertrauensvoll in sein Herz aufzunehmen. Dabei kann niemand sich auf seine Herkunft, gute Werke, fromme Leistungen oder auf eine äußerliche Zugehörigkeit zu einer christlichen Gemeinschaft stützen.
  • „Lass aber auch die Unseren lernen, sich hervorzutun mit guten Werken, wo sie nötig sind, damit sie kein fruchtloses Leben führen“ (Tit 3,14). Die Gläubigen, in diesem Fall Mitarbeiter sind aufgerufen, sich keinesfalls ein ruhiges oder faules Leben zu leisten, sondern in allem den jüngeren Christen (auf Kreta) ein nachahmendes Vorbild zu sein.
  • So lasst uns nun durch ihn Gott allezeit das Lobopfer darbringen, das ist die Frucht der Lippen, die seinen Namen bekennen(Hebr 13,15). Kleine, oft unscheinbare Bekenntnisse zu Jesus (stilles Tischgebet in der Öffentlichkeit, oder, andere schlichte Bekenntnisse zu Christus) ehren Gott und werden von Gott als geistliche Frucht angesehen und bewertet.
  • Nicht, dass ich das Geschenk suche, sondern ich suche die Frucht, damit sie euch reichlich angerechnet wird (Phil 4,17). Paulus freut sich über die finanzielle Unterstützung der Philipper (hat er ihnen doch das Evangelium verkündigt), doch in erster Linie lernen sie dabei ihre Einkommen und ihren Besitz zu teilen und dies sieht Gott als geistliche Frucht an.

Fragen:

  1. Warum kommt das Gleichnis vom Sämann in allen drei Evangelien vor?
  1. Warum erklärt Jesus dieses Gleichnis nur seinen Jüngern?
  1. Suche nach Informationen über die optimale Bodenvorreitungen vor der Saat. Erkläre den geistlichen Sinn, der durch die vier verschiedenen Saatuntergründe verdeutlicht wird?
  2. Was sagt das Gleichnis über den säenden Bauer und über das Saatgut aus?
  3. Erkennst du in deinem Leben geistliche Frucht?

5.3 Jesus stillt den Sturm auf dem See

(Mt 8,23-27; Mk 4,35-41; Lk 8,22-25)

Nach dem Ende seiner Gleichnisrede wünscht Jesus, dass seine Jünger eine Überfahrt zur anderen Seite des Sees Gennesaret organisieren (Mk 4,35). Lukas und Matthäus verbinden diese Überfahrt nicht mit den vorhergehenden Gleichnisreden. Daher orientieren wir uns in Bezug auf die Reihenfolge der Darstellung nach dem Bericht des Evangelisten Markus.

Die Jünger sind bereit mit Jesus weiter zu wandern – auch wenn die Kosten hoch sind. Im Gegensatz dazu werden im Matthäusevangelium im gleichen Kapitel kurz vorher zwei Jüngeraspiranten erwähnt, denen diese Kosten zu hoch sind. So findet sich bald die ganze Gruppe um Jesus auf mehreren Fischerbooten (Mk 4,36) unterwegs auf dem See – dem vertrauten Arbeitsplatz mancher Jünger. Die Bauweise dieser Boote ist heute recht genau nachvollziehbar, da ein ähnliches Boot am Seeufer ausgegraben wurde: 2000 Jahre alt, 8 Meter lang und mehr als 2 Meter breit.[107] Doch bald geraten alle Passagiere in ein plötzliches Unwetter. Der Evangelist Markus spricht von einem großen Wirbelsturm – Matthäus nennt es eine große seismo.j seismos Erschütterung auf dem See. Am nördlichen Ende des Jordantals liegt der See etwa 209-215m unter N.N. Er ist bis zu 21 km lang, 12 km breit und mit einem Umfang von ca. 53km (Tendenz abnehmend, da in den letzten Jahren mehr Wasser entnommen wurde, als zufloss – 50% des Wasserbedarfs Israels wird von hier gedeckt).

Die Berge an der Ostseite des Sees ragen relativ steil empor. Die kühlen Fallwinde vom Berg Hermon (2814 m) stoßen besonders heftig von Mai bis Juli auf die heiße Luft der Jordansenke, was den schnellen Wetterwechsel mit Sturmwind erklärt. Hinzu kommen die heftigen Winde die entstehen, weil kühlere Luftströme vom Mittelmeer das galiläische Gebirge überwinden und auf die über den See auf steigenden warmen Luftmassen stoßen. Für Boote ohne Kiel sind diese Stürme und die Wellen von bis zu 3 m Höhe eine Gefahr, da die Steuerung sehr schwierig ist und ein Kentern droht. Panik bei den Profis im Boot – doch Jesus schläft auf einem Kissen tief. Jesus hat viel gearbeitet und ist sehr müde. Als der Sturm sie in Lebensgefahr bringt, wecken die Jünger Jesus mit einem Gemisch aus Furcht und Glaube (wir können nicht mehr – kannst du Jesus?). Was die Wellen und der Wind nicht schaffen – die Jünger können es. Jesus wacht auf. Jesus spricht in dieser bedrohlichen Situation seltsamerweise die Jünger auf ihren Kleinglauben an. Woher können die Jünger denn wissen, dass es keinen Grund für eine Panik gibt? Doch mit Jesus im Boot und einem großen Auftrag – wer soll diese Passagiere aus der Hand Gottes reißen? Schließlich sind die Jünger als Apostel berufen und haben in der Zukunft noch viel im Reich Gottes zu tun – noch ist ihr Lebensende nicht da. NUR – wer im Boot weiß dies? Noch ist nichts unter Kontrolle. Doch Jesus steht auf und bedroht Wind und Wellen – und es entstand eine große Stille. Jesus hat Autorität – sogar über die Mächte der Natur. Was uns verwundert ist, dass auch der starke Wellengang sofort aufhört. Die Jünger realisieren: Jesus ist immer noch größer als sie denken können!

Fragen:

  1. Nenne Situationen, in denen du in Panik geraten bist?
  1. Was bedeutet das Schlafen von Jesus – damals… heute?
  1. Warum trifft uns der Vorwurf des Kleinglaubens heute noch stärker?
  1. Nenne Erlebnisse mit Jesus, in denen er dich positiv überraschte.
  1. Warum neigen wir immer wieder zu Kleinglauben?

5.4 Jesus heilt dämonisch Belastete im Bereich der Dekapolis

(Mt 8,28-34; Mk 5,1-20; Lk 8, 26-39)

Die unterschiedlichen geo- und topographischen Angaben der Evangelisten zu dieser Heilung lassen sich so zusammenfassen:[108]

  • Gebiet der Gerasener (Mk 5,1)
  • Galiläa gegenüber (Lk 8,26)
  • Land der Gadarener (Mt 8,28)
  • in der Nähe von Grabhöhlen (Mt 8,28; Mk 5,5; Lk 8,27).
  • in der Nähe einer Stadt (Mt 8,34.39)
  • in der Nähe einer Stadt und einigen Dörfern (Mk 5,14; Lk 8,34).
  • im Bereich der Dekapolis (Mk 5,20).

Man kann vermuten, dass der Ort des Geschehens in der Nähe der Stadt El Kursi liegt.

Weitere Unterschiede in den Berichten:

  1. Nach dem Bericht des Evangelisten Matthäus begegneten ihnen nach dem Landgang zwei Besessene (Mt. 8,28). Die anderen beiden Evangelisten sprechen von einem Belasteten Menschen. Der Evangelist Matthäus hat hier wohl mehr Interesse an der genauen Anzahl, als die anderen beiden Evangelisten. Dies bestätigen seine weitere Berichte z. B. heilte Jesus zwei Blinde bei Jericho (Mt 20,30)
  2. Lukas berichtet, dass der Belastete von der Stadt kam (Lk 8,27). Die anderen Evangelisten berichten, wie er/sie von den Grabhöhlen kam/en.
  3. Matthäus bezeichnet die Belasteten als calepoi chalepoi hart, schwierig, bösartig oder gewalttätig. Sie belästigen Menschen auf der Straße. Markus nennt viele Details des ungewöhnlichen Verhaltens. Lukas nennt den Umstand, dass er kein Obergewand trug (i`ma,tion himation bezeichnet Kleidung allgemein, aber besonders das Obergewand).

Jesus und seine Reisegruppe gehen also bewusst in einer heidnischen Gegend an Land. Jesus weicht damit von seinem Dienstprogramm und seiner eigentlichen Zielgruppe den Verlorenen Kindern Israels zeitweise ab und wendet sich bewusst den Heiden zu. Als erstes trafen sie in jener Gegend auf belastete Menschen in einem jämmerlichen Zustand. Der Durcheinanderbringer raubte ihnen jegliche Menschenwürde und quälte sie weiter dadurch, dass sie auch andere in Not und Gefahr brachten. Wird der Fürst der Dunkelheit gerade sie  als Empfangskomitee für den Fürsten des Lichts gesandt haben? Die Menschen werden vom Evangelisten Matthäus als Dämonenbesessene bezeichnet. Im weiteren Bericht wird deutlich, dass diese Menschen einen Kontrollverlust über ihr Denken, Sprechen und Verhalten erlitten haben. Wie zu erwarten werden diese kranken Menschen stigmatisiert und aus der Gesellschaft ausgeschlossen. Man mied möglichst ihren bekannten Aufenthaltsort: die örtlichen Bestattungshöhlen. Doch genau in dieser bekannt unangenehmen Gegend hält sich Jesus mit seiner Gruppe wohl kaum aus Versehen auf.

Jesus wird aus dem Mund der jämmerlichen Menschen vom geistlich gesehenen Fürsten recht offensiv als Sohn Gottes angesprochen und somit als Feind der bestehenden geistlichen Machtverhältnisse erkannt. Auch wird deutlich, dass diese dunklen Mächte um ihre nur noch begrenzte Macht und Zeit wissen (siehe Eph 2,2; 6,12).

Die dunklen Mächte wissen um das Ende ihrer Zeit als Quälgeister und bitten Jesus um einen Aufenthaltsort in den ca. 2000 Schweinen (Mk 5,13), um diese zu quälen und zu vernichten – natürlich auch um ihren Besitzern großen Schaden zuzufügen. Sollten diese Besitzer so gegen Jesus aufgehetzt werden? Wir finden in den Texten keinen Hinweis darauf, warum Jesus dieser Bitte entspricht – also lassen wir diese Frage bewusst offen.

Doch eines wird klar – geheilte Menschen sind vielmehr wert, als sehr viele Schweine (Mensch oder Besitz). Selbst die wahrscheinlich etwas entfernt zu schauenden Schweinehirten stellen diese Verbindung sofort her: hier endlich Heilung von sehr schwierigen Zeitgenossen und dort der sehr große Verlust von Tieren. Ihr Bericht wird in den angrenzenden Ortschaften als vertrauenswürdig eingestuft und so kommen die geschädigten Bewohner und bitten erstaunlich milde Jesus nur die Region wieder zu verlassen. Es ist wohl die Macht des Aberglaubens, der durch diese Bitte hindurch scheint.

  • Doch wo bleibt die Freude der Familien über die Heilung der beiden Unausstehlichen?
  • Warum bringen sie nicht weitere Belastete und ihre vielen Kranken?

Am Ende ihrer Berichte zeichnen die Evangelisten Markus und Lukas ein sehr differenziertes Jesusbild. Er, der den Bitten der dunklen Mächte und sogar der geschädigten abergläubischen Bewohner jeweils entspricht, widerspricht der Bitte des Geheilten. Die positive oder negative Beantwortung der Anliegen lässt also an sich noch keine weiteren Schlüsse zu. Die beiden Evangelisten berichten von der Sendung des Geheilten zu den Bewohnern der Gegend. Jesus selbst sorgt so für die weitere Verbreitung der Siegesbotschaft. Wahre missionarische Aktivität beginnt zu Hause. Dort muss das Handeln von Jesus berichtet, erklärt und glaubwürdig gelebt werden. Jesus sieht den Widerstand und hört die Bitte zu gehen – doch er unterläuft diese Aufforderung in seiner Art. Heiden hören die siegreiche Botschaft!

Fragen:

  1. Wie ist der bewusste Aufenthalt von Missionaren in einer problematischen Gegend (in religiöser, kultureller, politischer Hinsicht) Gegend zu beurteilen?
  1. Warum sendet der Fürst der Dunkelheit gerne Empfangskomitees? Wo sehen wir heute seine Macht?
  1. Wie gehen wir mit einem JA oder einem NEIN von Jesus um?
  1. Verpassen wir den Segen von Jesus auch heute manchmal?
  1. Wo sehe ich meinen konkreten Missionsauftrag?

Gadara: Befreiung zweier Besessener

Mt 8,28 Καὶ ἐλθόντος αὐτοῦ εἰς τὸ πέραν εἰς τὴν χώραν τῶν Γαδαρηνῶν ὑπήντησαν αὐτῷ δύο δαιμονιζόμενοι ἐκ τῶν μνημείων ἐξερχόμενοι, χαλεποὶ λίαν, ὥστε μὴ ἰσχύειν τινὰ παρελθεῖν διὰ τῆς ὁδοῦ ἐκείνης.

29 καὶ ἰδοὺ ἔκραξαν λέγοντες· τί ἡμῖν καὶ σοί, υἱὲ τοῦ θεοῦ; ἦλθες ὧδε πρὸ καιροῦ βασανίσαι ἡμᾶς;

30 ἦν δὲ μακρὰν ἀπ᾽ αὐτῶν ἀγέλη χοίρων πολλῶν βοσκομένη.

31 οἱ δὲ δαίμονες παρεκάλουν αὐτὸν λέγοντες· εἰ ἐκβάλλεις ἡμᾶς, ἀπόστειλον ἡμᾶς εἰς τὴν ἀγέλην τῶν χοίρων.

32 καὶ εἶπεν αὐτοῖς· ὑπάγετε. οἱ δὲ ἐξελθόντες ἀπῆλθον εἰς τοὺς χοίρους· καὶ ἰδοὺ ὥρμησεν πᾶσα ἡ ἀγέλη κατὰ τοῦ κρημνοῦ εἰς τὴν θάλασσαν καὶ ἀπέθανον ἐν τοῖς ὕδασιν.

33 οἱ δὲ βόσκοντες ἔφυγον, καὶ ἀπελθόντες εἰς τὴν πόλιν ἀπήγγειλαν πάντα καὶ τὰ τῶν δαιμονιζομένων.

34 καὶ ἰδοὺ πᾶσα ἡ πόλις ἐξῆλθεν εἰς ὑπάντησιν τῷ Ἰησοῦ καὶ ἰδόντες αὐτὸν παρεκάλεσαν ὅπως μεταβῇ ἀπὸ τῶν ὁρίων αὐτῶν.

Mk 5, 1 Καὶ ἦλθον εἰς τὸ πέραν τῆς θαλάσσης εἰς τὴν χώραν τῶν Γερασηνῶν.

2 καὶ ἐξελθόντος αὐτοῦ ἐκ τοῦ πλοίου εὐθὺς ὑπήντησεν αὐτῷ ἐκ τῶν μνημείων ἄνθρωπος ἐν πνεύματι ἀκαθάρτῳ,

3 ὃς τὴν κατοίκησιν εἶχεν ἐν τοῖς μνήμασιν, καὶ οὐδὲ ἁλύσει οὐκέτι οὐδεὶς ἐδύνατο αὐτὸν δῆσαι

4 διὰ τὸ αὐτὸν πολλάκις πέδαις καὶ ἁλύσεσιν δεδέσθαι καὶ διεσπάσθαι ὑπ᾽ αὐτοῦ τὰς ἁλύσεις καὶ τὰς πέδας συντετρῖφθαι, καὶ οὐδεὶς ἴσχυεν αὐτὸν δαμάσαι·

5 καὶ διὰ παντὸς νυκτὸς καὶ ἡμέρας ἐν τοῖς μνήμασιν καὶ ἐν τοῖς ὄρεσιν ἦν κράζων καὶ κατακόπτων ἑαυτὸν λίθοις.

6 καὶ ἰδὼν τὸν Ἰησοῦν ἀπὸ μακρόθεν ἔδραμεν καὶ προσεκύνησεν αὐτῷ

7 καὶ κράξας φωνῇ μεγάλῃ λέγει· τί ἐμοὶ καὶ σοί, Ἰησοῦ υἱὲ τοῦ θεοῦ τοῦ ὑψίστου; ὁρκίζω σε τὸν θεόν, μή με βασανίσῃς.

8 ἔλεγεν γὰρ αὐτῷ· ἔξελθε τὸ πνεῦμα τὸ ἀκάθαρτον ἐκ τοῦ ἀνθρώπου.

9 καὶ ἐπηρώτα αὐτόν· τί ὄνομά σοι; καὶ λέγει αὐτῷ· λεγιὼν ὄνομά μοι, ὅτι πολλοί ἐσμεν.

10 καὶ παρεκάλει αὐτὸν πολλὰ ἵνα μὴ αὐτὰ ἀποστείλῃ ἔξω τῆς χώρας.

11 ἦν δὲ ἐκεῖ πρὸς τῷ ὄρει ἀγέλη χοίρων μεγάλη βοσκομένη·

12 καὶ παρεκάλεσαν αὐτὸν λέγοντες· πέμψον ἡμᾶς εἰς τοὺς χοίρους, ἵνα εἰς αὐτοὺς εἰσέλθωμεν.

13 καὶ ἐπέτρεψεν αὐτοῖς. καὶ ἐξελθόντα τὰ πνεύματα τὰ ἀκάθαρτα εἰσῆλθον εἰς τοὺς χοίρους, καὶ ὥρμησεν ἡ ἀγέλη κατὰ τοῦ κρημνοῦ εἰς τὴν θάλασσαν, ὡς δισχίλιοι, καὶ ἐπνίγοντο ἐν τῇ θαλάσσῃ.

14 Καὶ οἱ βόσκοντες αὐτοὺς ἔφυγον καὶ ἀπήγγειλαν εἰς τὴν πόλιν καὶ εἰς τοὺς ἀγρούς· καὶ ἦλθον ἰδεῖν τί ἐστιν τὸ γεγονὸς

15 καὶ ἔρχονται πρὸς τὸν Ἰησοῦν καὶ θεωροῦσιν τὸν δαιμονιζόμενον καθήμενον ἱματισμένον καὶ σωφρονοῦντα, τὸν ἐσχηκότα τὸν λεγιῶνα, καὶ ἐφοβήθησαν.

16 καὶ διηγήσαντο αὐτοῖς οἱ ἰδόντες πῶς ἐγένετο τῷ δαιμονιζομένῳ καὶ περὶ τῶν χοίρων.

17 καὶ ἤρξαντο παρακαλεῖν αὐτὸν ἀπελθεῖν ἀπὸ τῶν ὁρίων αὐτῶν. 18 Καὶ ἐμβαίνοντος αὐτοῦ εἰς τὸ πλοῖον παρεκάλει αὐτὸν ὁ δαιμονισθεὶς ἵνα μετ᾽ αὐτοῦ ᾖ.

19 καὶ οὐκ ἀφῆκεν αὐτόν, ἀλλὰ λέγει αὐτῷ· ὕπαγε εἰς τὸν οἶκόν σου πρὸς τοὺς σοὺς καὶ ἀπάγγειλον αὐτοῖς ὅσα ὁ κύριός σοι πεποίηκεν καὶ ἠλέησέν σε.

20 καὶ ἀπῆλθεν καὶ ἤρξατο κηρύσσειν ἐν τῇ Δεκαπόλει ὅσα ἐποίησεν αὐτῷ ὁ Ἰησοῦς, καὶ πάντες ἐθαύμαζον.

Lk 8,26 Καὶ κατέπλευσαν εἰς τὴν χώραν τῶν Γερασηνῶν, ἥτις ἐστὶν ἀντιπέρα τῆς Γαλιλαίας.

27 ἐξελθόντι δὲ αὐτῷ ἐπὶ τὴν γῆν ὑπήντησεν ἀνήρ τις ἐκ τῆς πόλεως ἔχων δαιμόνια καὶ χρόνῳ ἱκανῷ οὐκ ἐνεδύσατο ἱμάτιον καὶ ἐν οἰκίᾳ οὐκ ἔμενεν ἀλλ᾽ ἐν τοῖς μνήμασιν.

28 ἰδὼν δὲ τὸν Ἰησοῦν ἀνακράξας προσέπεσεν αὐτῷ καὶ φωνῇ μεγάλῃ εἶπεν· τί ἐμοὶ καὶ σοί, Ἰησοῦ υἱὲ τοῦ θεοῦ τοῦ ὑψίστου; δέομαί σου, μή με βασανίσῃς.

29 παρήγγειλεν γὰρ τῷ πνεύματι τῷ ἀκαθάρτῳ ἐξελθεῖν ἀπὸ τοῦ ἀνθρώπου. πολλοῖς γὰρ χρόνοις συνηρπάκει αὐτὸν καὶ ἐδεσμεύετο ἁλύσεσιν καὶ πέδαις φυλασσόμενος καὶ διαρρήσσων τὰ δεσμὰ ἠλαύνετο ὑπὸ τοῦ δαιμονίου εἰς τὰς ἐρήμους.

30 ἐπηρώτησεν δὲ αὐτὸν ὁ Ἰησοῦς· τί σοι ὄνομά ἐστιν; ὁ δὲ εἶπεν· λεγιών, ὅτι εἰσῆλθεν δαιμόνια πολλὰ εἰς αὐτόν.

31 καὶ παρεκάλουν αὐτὸν ἵνα μὴ ἐπιτάξῃ αὐτοῖς εἰς τὴν ἄβυσσον ἀπελθεῖν.

32 ἦν δὲ ἐκεῖ ἀγέλη χοίρων ἱκανῶν βοσκομένη ἐν τῷ ὄρει· καὶ παρεκάλεσαν αὐτὸν ἵνα ἐπιτρέψῃ αὐτοῖς εἰς ἐκείνους εἰσελθεῖν· καὶ ἐπέτρεψεν αὐτοῖς.

33 ἐξελθόντα δὲ τὰ δαιμόνια ἀπὸ τοῦ ἀνθρώπου εἰσῆλθον εἰς τοὺς χοίρους, καὶ ὥρμησεν ἡ ἀγέλη κατὰ τοῦ κρημνοῦ εἰς τὴν λίμνην καὶ ἀπεπνίγη.

34 Ἰδόντες δὲ οἱ βόσκοντες τὸ γεγονὸς ἔφυγον καὶ ἀπήγγειλαν εἰς τὴν πόλιν καὶ εἰς τοὺς ἀγρούς.

35 ἐξῆλθον δὲ ἰδεῖν τὸ γεγονὸς καὶ ἦλθον πρὸς τὸν Ἰησοῦν καὶ εὗρον καθήμενον τὸν ἄνθρωπον ἀφ᾽ οὗ τὰ δαιμόνια ἐξῆλθεν ἱματισμένον καὶ σωφρονοῦντα παρὰ τοὺς πόδας τοῦ Ἰησοῦ, καὶ ἐφοβήθησαν.

36 ἀπήγγειλαν δὲ αὐτοῖς οἱ ἰδόντες πῶς ἐσώθη ὁ δαιμονισθείς.

37 καὶ ἠρώτησεν αὐτὸν ἅπαν τὸ πλῆθος τῆς περιχώρου τῶν Γερασηνῶν ἀπελθεῖν ἀπ᾽ αὐτῶν, ὅτι φόβῳ μεγάλῳ συνείχοντο· αὐτὸς δὲ ἐμβὰς εἰς πλοῖον ὑπέστρεψεν.

38 ἐδεῖτο δὲ αὐτοῦ ὁ ἀνὴρ ἀφ᾽ οὗ ἐξεληλύθει τὰ δαιμόνια εἶναι σὺν αὐτῷ· ἀπέλυσεν δὲ αὐτὸν λέγων·

39 ὑπόστρεφε εἰς τὸν οἶκόν σου καὶ διηγοῦ ὅσα σοι ἐποίησεν ὁ θεός. καὶ ἀπῆλθεν καθ᾽ ὅλην τὴν πόλιν κηρύσσων ὅσα ἐποίησεν αὐτῷ ὁ Ἰησοῦς.

5.5 Die Frage nach dem Fasten

Mt 9,14-17; Mk 2,18-22; Lk 5,33-39

Nach Matthäus 9,18 folgt nach der Frage in Bezug auf das Fasten unmittelbar die Auferweckung der Tochter des Jairus: „Während er dieses zu ihnen redete, siehe, da kam ein Vorsteher herein…“. Nach Mk. 5,21-22 predigt Jesus am Ufer des Sees, als der Synagogenvorsteher Jairus zu ihm kommt. In diese Begegnung platzt eine Frau mit ihrem Heilungswunsch. So haben wir hier die zeitliche und örtliche Einordnung der Geschichte, bzw. der Doppelgeschichte. Details zum Fasten siehe Kap. 3.11.

5.6 Jesus heilt die an Blutfluss leidende Frau

(Mt 9,20-22;  Mk 5,25-34;  Lk 8,43-48)

Die Krankheit der Frau wurde durch ihre Familie und Umgebung so eingestuft, als hätte sie seit zwölf Jahren andauernde Menstruationsblutungen. In 3Mo 15,19-33 war geregelt, dass Frauen während dieser Zeit als zeremoniell unrein galten. Diese Frau war somit ständig sozial und religiös diskriminiert, mit einem Makel behaftet und ins Abseits abgeschoben. Es ist nachvollziehbar, dass mit der Regelung in 3Mo 15 Frauen ein Schutzraum während der Menstruation und nach Geburten geboten wurde. Da sie bestimmte Tätigkeiten ihrer hausfraulichen Pflichten nicht durchführen durften und Gesellschaften meiden mussten, Daher mussten andere Verwandte diese Aufgaben zeitweise übernehmen. Doch als diese Frau zu Jesus kommt, wird deutlich, dass Schutzräume des Gesetzes zu einem Werkzeug des Frauenhasses karikiert wurden. Jede Art von Körperausfluss – besonders bei Frauen – wurde mit Abscheu betrachtet. So steht nicht nur eine Frau mit einem gynäkologischen Problem vor Jesus, sondern insgesamt der weibliche Körper und die sehr negative Beziehung der Männer zum weiblichen Körper und zur weiblichen Sexualität. Diese Frau konnte entweder nie heiraten oder war wahrscheinlich inzwischen geschieden worden. Sie lebt in vielfacher Hinsicht am Rand der Gesellschaft. Der Evangelist Markus erwähnt die vielen kostspieligen Arztbesuche – Dr. Lukas stellt fest, dass sie nicht geheilt werden konnte.

Die unbekannte Frau wusste, dass wenn sie einen Mensch berührt, dieser für den Rest des Tages wie sie selbst zeremoniell unrein wird (3Mo 15,26-27). Alle Evangelisten machen klar, dass Jesus von einer Menschenmenge dicht umgeben ist. Die Frau hätte sich nicht in dieser Menschenmenge aufhalten dürfen. „Viele Schriftgelehrte vermieden es grundsätzlich, Frauen zu berühren, um gar nicht erst in Gefahr zu geraten, sich zu verunreinigen“ (Keener 1998, 97). In einem damals als Unverschämtheit empfundenen Glaubensakt berührt sie den Saum des Gewandes[109] von Jesus. Wir können darunter die tciyc ƒiƒit oder ~ylidIG> gedilim Quasten verstehen, die sich gesetzestreue Juden an den vier Enden ihres Obergewandes und später am Gebetsschal anbringen ließen (4Mo 15,38-41 und 5Mo 22,12). Diese Quasten waren aus blauweißer Kordel (Keener 1998, 97). Die Frau nähert sich Jesus von hinten, um so unerkannt geheilt zu werden und sich wieder schnell zu entfernen. Dieser seltsame Wunsch geht in Erfüllung – trotz unserer Bedenken angesichts mancher fast magischer Vorstellungen und Äußerungen in diesem Zusammenhang. Die Heilungskraft scheint bei der Berührung wie eine Energie aus Jesus zu fließen – Jesus scheint dabei passiv zu sein, denn er sagt später, dass eine Kraft von ihm gegangen sei. Die Frau meint, eine Berührung von Jesus sei notwendig und auch, dass Jesus es nicht bemerken würde. Trotz dieser Vorstellung wird sie sofort und vollständig gesund. Jesus äußert sich erst missverständlich (V. 30 …wer hat mein Gewand angerührt?) – doch er lobt dann ihren Glauben, der zwar nicht der Grund aber doch der Kanal für diese Heilung ist. Die Frau fasst sich entgegen der damalige Sitte ein Herz und berichtet öffentlich von ihrer Krankheit und der spontanen Heilung. Petrus versteht den Zusammenhang wie auch viele von uns heute erst einmal nicht und fragt milde lächelnd: Meister das Volk drängt dich und du fragst wer hat mich angerührt? Jesus nennt diese Frau liebevoll Tochter und nimmt sie wieder in die Gesellschaft mit einem umfassenden Schalom auf.

Fragen:

  1. Beschreibe den verborgenen Glauben der Frau. Wo kann uns solch ein verborgener Glaube heute begegnen?
  1. Der Glaube wird trotz ungewöhnlicher Wege belohnt. Geschieht dies auch heute?
  1. Der Glaube der Frau wird von Jesus öffentlich gemacht – trotz der peinlichen Umstände. Warum ist das öffentliche Bezeugen des Glaubens u.U. hilfreich?
  1. Wie verhalten wir uns in Gemeinde und Familie gegenüber Frauen verachtenden Tendenzen? Wie sieht ein positiver Umgang mit unser Körperlichkeit aus?

Mt 9,18 Ταῦτα αὐτοῦ λαλοῦντος αὐτοῖς, ἰδοὺ ἄρχων εἷς ἐλθὼν προσεκύνει αὐτῷ λέγων ὅτι ἡ θυγάτηρ μου ἄρτι ἐτελεύτησεν· ἀλλὰ ἐλθὼν ἐπίθες τὴν χεῖρά σου ἐπ᾽ αὐτήν, καὶ ζήσεται.

19 καὶ ἐγερθεὶς ὁ Ἰησοῦς ἠκολούθησεν αὐτῷ καὶ οἱ μαθηταὶ αὐτοῦ.

20 Καὶ ἰδοὺ γυνὴ αἱμορροοῦσα δώδεκα ἔτη προσελθοῦσα ὄπισθεν ἥψατο τοῦ κρασπέδου τοῦ ἱματίου αὐτοῦ·

21 ἔλεγεν γὰρ ἐν ἑαυτῇ· ἐὰν μόνον ἅψωμαι τοῦ ἱματίου αὐτοῦ σωθήσομαι.

22 ὁ δὲ Ἰησοῦς στραφεὶς καὶ ἰδὼν αὐτὴν εἶπεν· θάρσει, θύγατερ· ἡ πίστις σου σέσωκέν σε. καὶ ἐσώθη ἡ γυνὴ ἀπὸ τῆς ὥρας ἐκείνης.

Mk 5,22 Καὶ ἔρχεται εἷς τῶν ἀρχισυναγώγων, ὀνόματι Ἰάϊρος, καὶ ἰδὼν αὐτὸν πίπτει πρὸς τοὺς πόδας αὐτοῦ

23 καὶ παρακαλεῖ αὐτὸν πολλὰ λέγων ὅτι τὸ θυγάτριόν μου ἐσχάτως ἔχει, ἵνα ἐλθὼν ἐπιθῇς τὰς χεῖρας αὐτῇ ἵνα σωθῇ καὶ ζήσῃ.

24 καὶ ἀπῆλθεν μετ᾽ αὐτοῦ. καὶ ἠκολούθει αὐτῷ ὄχλος πολὺς καὶ συνέθλιβον αὐτόν.

25 Καὶ γυνὴ οὖσα ἐν ῥύσει αἵματος δώδεκα ἔτη

26 καὶ πολλὰ παθοῦσα ὑπὸ πολλῶν ἰατρῶν καὶ δαπανήσασα τὰ παρ᾽ αὐτῆς πάντα καὶ μηδὲν ὠφεληθεῖσα ἀλλὰ μᾶλλον εἰς τὸ χεῖρον ἐλθοῦσα,

27 ἀκούσασα περὶ τοῦ Ἰησοῦ, ἐλθοῦσα ἐν τῷ ὄχλῳ ὄπισθεν ἥψατο τοῦ ἱματίου αὐτοῦ·

28 ἔλεγεν γὰρ ὅτι ἐὰν ἅψωμαι κἂν τῶν ἱματίων αὐτοῦ σωθήσομαι. 29 καὶ εὐθὺς ἐξηράνθη ἡ πηγὴ τοῦ αἵματος αὐτῆς καὶ ἔγνω τῷ σώματι ὅτι ἴαται ἀπὸ τῆς μάστιγος.

30 καὶ εὐθὺς ὁ Ἰησοῦς ἐπιγνοὺς ἐν ἑαυτῷ τὴν ἐξ αὐτοῦ δύναμιν ἐξελθοῦσαν ἐπιστραφεὶς ἐν τῷ ὄχλῳ ἔλεγεν· τίς μου ἥψατο τῶν ἱματίων;

31 καὶ ἔλεγον αὐτῷ οἱ μαθηταὶ αὐτοῦ· βλέπεις τὸν ὄχλον συνθλίβοντά σε καὶ λέγεις· τίς μου ἥψατο;

32 καὶ περιεβλέπετο ἰδεῖν τὴν τοῦτο ποιήσασαν.

33 ἡ δὲ γυνὴ φοβηθεῖσα καὶ τρέμουσα, εἰδυῖα ὃ γέγονεν αὐτῇ, ἦλθεν καὶ προσέπεσεν αὐτῷ καὶ εἶπεν αὐτῷ πᾶσαν τὴν ἀλήθειαν.

34 ὁ δὲ εἶπεν αὐτῇ· θυγάτηρ, ἡ πίστις σου σέσωκέν σε· ὕπαγε εἰς εἰρήνην καὶ ἴσθι ὑγιὴς ἀπὸ τῆς μάστιγός σου.

Lk 8, 42 ὅτι θυγάτηρ μονογενὴς ἦν αὐτῷ ὡς ἐτῶν δώδεκα καὶ αὐτὴ ἀπέθνῃσκεν. Ἐν δὲ τῷ ὑπάγειν αὐτὸν οἱ ὄχλοι συνέπνιγον αὐτόν.

43 Καὶ γυνὴ οὖσα ἐν ῥύσει αἵματος ἀπὸ ἐτῶν δώδεκα, ἥτις [ἰατροῖς προσαναλώσασα ὅλον τὸν βίον] οὐκ ἴσχυσεν ἀπ᾽ οὐδενὸς θεραπευθῆναι,

44 προσελθοῦσα ὄπισθεν ἥψατο τοῦ κρασπέδου τοῦ ἱματίου αὐτοῦ καὶ παραχρῆμα ἔστη ἡ ῥύσις τοῦ αἵματος αὐτῆς.

45 καὶ εἶπεν ὁ Ἰησοῦς· τίς ὁ ἁψάμενός μου; ἀρνουμένων δὲ πάντων εἶπεν ὁ Πέτρος· ἐπιστάτα, οἱ ὄχλοι συνέχουσίν σε καὶ ἀποθλίβουσιν.

46 ὁ δὲ Ἰησοῦς εἶπεν· ἥψατό μού τις, ἐγὼ γὰρ ἔγνων δύναμιν ἐξεληλυθυῖαν ἀπ᾽ ἐμοῦ.

47 ἰδοῦσα δὲ ἡ γυνὴ ὅτι οὐκ ἔλαθεν, τρέμουσα ἦλθεν καὶ προσπεσοῦσα αὐτῷ δι᾽ ἣν αἰτίαν ἥψατο αὐτοῦ ἀπήγγειλεν ἐνώπιον παντὸς τοῦ λαοῦ καὶ ὡς ἰάθη παραχρῆμα.

48 ὁ δὲ εἶπεν αὐτῇ· θυγάτηρ, ἡ πίστις σου σέσωκέν σε· πορεύου εἰς εἰρήνην.

49 Ἔτι αὐτοῦ λαλοῦντος ἔρχεταί τις παρὰ τοῦ

5.7 Jesus weckt die Tochter des Jairus vom Tod auf

(Mt 9,18-19. 23-26; Mk 5,21-24.35-43; Lk 8,40-42.49-56)

Der Evangelist Matthäus gibt den Hinweis, dass Jesus Jairus in Kapernaum trifft (Mt. 9,1 seine eigene Stadt). Markus weist uns daraufhin, dass er danach in seine Vaterstadt nach Nazaret geht (Mk 6,1). Markus gibt noch das Detail an, dass die Bitte am Ufer des Sees an Jesus herangetragen wird. Matthäus ist im Vergleich zu Markus und Lukas in seiner Berichterstattung sehr kurz. Er spricht nur von einem Vorsteher, von einem Ältesten, während Lukas neben seinem Namen Jairus[110] auch noch seine Amtsbezeichnung nennt, nämlich: „Vorsteher der Synagoge“ (Lk 8,41). Markus ergänzt, dass Jairus einer der Synagogenvorsteher war (Mk 5,22). Das heißt, dass es einen aus mehreren Personen bestehenden Synagogenvorstand gibt. Lukas erwähnt in Lk 7,5 dass der in Kapernaum stationierte Zenturio das Volk (der Juden) liebte und ihnen die städtische Synagoge erbaut bzw. finanziert hatte. War Jairus in eben dieser Synagoge in verantwortlicher Position? Noch heute können wir in Kapernaum recht gut erhaltene Synagogenreste aus dem 2. Jh. sehen, die mit Wahrscheinlichkeit am selben Ort stehen.

Das Mädchen war nach Lukas die „einziggeborene[111] Tochter des Jairus und ungefähr[112] zwölf Jahre alt. Markus nennt das Alter des Mädchens mit 12 Jahren (5,42).

Die Evangelisten Markus und Lukas überliefern uns die Worte des Vaters:

Meine Tochter befindet sich im letzten Zustand, (im Endstadium ihrer Krankheit);Meine Tochter ist eben gestorben“. Wie soll man diese zwei Aussagen zuordnen?

Eine mögliche Lösung:

Matthäus fängt mit seiner Erzählung dort an, wo die Diener (Lk. spricht von einem) des Jairus kommen und die Meldung bringen: „Deine Tochter ist soeben gestorben, was bemühst du noch den Meister“ (Mk. 5,35; Lk. 8,49)? Dann ist folgender Gesprächsablauf denkbar:

  • Jairus kommt zu Jesus fällt ihm als Zeichen der Ehrfurcht und Verehrung zu Füßen und bittet ihn inständig: „Meine einziggeborene Tochter von etwa zwölf Jahren befindet sich in den letzten Zügen; komm, in mein Haus, lege ihr die Hände auf, damit sie gerettet wird und lebt!“ Nur einem sehr viel Höherstehenden (etwa einem König) oder Gott werfen sich die Zeitgenossen von Jesus zu Füßen. Hier drückt dieser hochrangige Vorsteher der Synagoge sehr deutlich aus, wie groß in seinen Augen die Macht von Jesus ist (Keener 1998, 97)
  • Jesus ist sofort bereit mit ihm zu gehen, doch während Jesus Jairus folgt, umdrängen ihn viele Menschen. Dann folgt die Geschichte der Heilung der kranken Frau. Während Jesus der Frau Rettung und Frieden zusagt, kommen einige und berichten Jairus:Deine Tochter ist soeben gestorben, was bemühst du noch den Meister?
  • Jesus hört diese Worte nebenbei mit.
  •  Jairus spricht Jesus erneut an und teilt ihm mit (Mt 9,18b):Meine Tochter ist soeben gestorben“.
  • Jesus sagt daraufhin zu dem Synagogenvorsteher: Fürchte dich nicht, glaube nur und sie wird gerettet werden“!
  • Jairus, ermutigt durch diese Zusage, sagt: Komm und lege die Hand auf sie, und sie wird leben!“
  • Nach dem Bericht des Markus nimmt Jesus nur Petrus, Jakobus und Johannes mit ins Haus des Jairus. Als er in das Haus des Jairus kommt, findet er schon die Flötenspieler[113] und eine lärmende Menge vor, welche die Tote beweinen und betrauern[114]. Die größere Anzahl der Klagefrauen und Flötenspieler weist auch auf die hohe Stellung und das hohe Vermögen von Jairus hin (Keener 1998, 97).
  • Jesus spricht zu ihnen: „Weint nicht, Geht weg! Denn das Mädchen ist nicht gestorben, sondern es schläft“. Dies ist weniger ein Hinweis auf einen Koma-Zustand (auch nicht bei Lazarus Joh 11,11-14), sondern Worte von Jesus, die nicht wörtlich zu verstehen sind ( so auch: Joh 2,20.21; 3,3.4; 4,14,15.32.33; 6,51.52; 7,34.35; 8,51.52; 11,11.12.23.24; 14,4.5). Nicht die wörtliche Auslegung, sondern die übertragene Aussage von Jesus ist hier wesentlich: Der Tod hat nicht das letzte Sagen (Hendriksen 1974, 433)
  • Die Anwesenden lachen über ihn, wissend, dass das Kind gestorben ist. Jemanden wörtlich: „auslachen“ indem man mal kurz das Klagen unterbricht, zeigt die innere Haltung der bezahlten Klagenden. Zwar gibt es auch ein im Westen weniger bekanntes Lachen um Schamgefühle zu überspielen. Doch hier will man Jesus bewusst demütigen.
  • Jesus treibt alle hinaus und nimmt nur den Vater und die Mutter des Kindes zu sich und geht mit seinen drei Jüngern in das Zimmer in dem das Kind liegt.
  • Jesus ist sich bewusst, dass die schlimmste rituelle Verunreinigung im jüdischen Bewusstsein die Berührung von Toten ist, dennoch ergreift er die Hand[115] des Mädchens und ruft aramäisch: „Talita kum(i), was bedeutet: „Mädchen[116], steh auf!
  • Sogleich kehrt ihr Geist[117] zurück (Lk 8,55), sie steht sofort auf und geht umher.[118]
  • Ihre Eltern geraten außer sich vor Freude. Jesus befiehlt ihnen aber nachdrücklich, diese Heilung für sich zu behalten.
  • Jesus weist sie an, dem Mädchen Essen zu geben. Diese kleine Nebensächlichkeit offenbart die innere Einstellung von Jesus. Er ist besorgt, umsichtig und offensichtlich mitfühlend in seiner Zuwendung zu diesem Mädchen und seinen Eltern.

Fragen:

  1. Warum lässt sich Jesus nicht aus der Ruhe bringen? Warum lässt er es zu, dass die Frau ihn aufhält?
  1. Wie verhält sich Jesus angesichts des Todes? Wie denkt er, wie fühlt er?
  1. Was können wir daraus lernen?
  1. Welches Ziel hat Jesus im Auge?
  1. Wie gehen wir mit außergewöhnlichen Ereignissen in der Seelsorge um?

5.8 Jesus heilt drei Menschen mit Behinderungen

(Mt 9,27-34)

Auch diese Heilungsgeschichte finden wir nur beim Evangelisten Matthäus. Wahrscheinlich ereigneten sie sich am gleichen Tag, wie auch die Auferweckung der Tochter des Jairus und die Heilung der Frau. Matthäus schildert uns diesen arbeits- und ereignisreichen Tag in vielen liebevollen Details. Als Jesus das Haus des Synagogenvorstehers Jairus verlässt, folgen ihm zwei Blinde, die in der Art der Bettler unaufhörlich und störend laut rufen: Erbarme dich unser, Sohn Davids!“ (Mt 9,27). Diese Bettler sprechen Jesus auf ganz besondere Weise an. Obwohl die Details der Geburt von Jesus in Bethlehem zu dieser Zeit in Galiläa wenig bekannt sind, ist es allgemein bekannt, dass Josef und damit auch Jesus aus Bethlehem stammt und ein Nachkomme Davids ist. Weiterhin wird hinter dieser Anrede auch der Messiastitel zu verstehen sein. In 2Sam 7,12.13 lesen wir von der Zusage Gottes, dass er einem leiblichem Nachkommen Davids …den Thron für ewig festigen wird. Der Evangelist Matthäus bekräftig diese Verbindung von Sohn Davids und Messias am Ende seiner Schrift: Mt 21,9 und 22,41-45.

Jesus hat trotz des Rufens und der besonderen Verehrung nicht auf diese beiden Menschen reagiert. Ob ihm die irdischen und zumeist politischen Hoffnungen, die mit diesem Titel verbunden waren, eher zurückhaltend reagieren ließen? Matthäus schreibt nur sehr wage, das Jesus „in das Haus gekommen war.“ Hier fragen wir uns, ob es „sein“ Haus in Kapernaum war. In Mt 4.13 haben wir den Eindruck, dass uns der Evangelist Matthäus mitteilen möchte, dass Jesus einen ständigen Wohnsitz in Kapernaum hat – wir nehmen an das Haus eines seiner Jünger.[119] Wir haben den Eindruck, dass Jesus später dann das Haus von Martha und Maria in Betanien als sein „Zuhause in Juda“ betrachtet. Die blinden Menschen können Jesus ins Haus folgen – im realen und übertragenen Sinn gibt es für behinderte Menschen einen barrierefreien Zugang.

Der Evangelist Matthäus überliefert uns aus dem Gespräch zwischen Jesus und den beiden Blinden nur die Frage von Jesus: „Glaubt ihr, dass ich dies tun kann?“ Nun war der Glaube der Menschen an Jesus als den Messias nicht die Bedingung, dass Jesus an Menschen ein Wunder vollbringen kann (Mt 8,28ff; 11,20-24; und Lk 17,17), doch hier fragt Jesus diese beiden Menschen, ob sie ihm die Heilung der Blindheit zutrauen. Das griechische Wort pisteu,w pisteuœ glauben hat einen weiten Bedeutungsumfang – hier passt recht gut: habt ihr Vertrauen in mir? Doch nicht der Glaube der beiden Blinden bewirkt die Heilung – es war allein das Handeln von Jesus. Die sehr respektvolle Antwort „Ja, Kyrie (Herr)“ weist auf ihre Einschätzung von Jesus hin. So antwortet man nur einer sehr hochstehenden Persönlichkeit. Jesus berührt mitfühlend ihre Augen – so kommt Jesus in einen für Blinde sehr wichtigen Körperkontakt. Sie spüren es ist Jesus, der sie berührt – von ihm geht die Heilung aus. Jesus will rettenden Glauben ermöglichen. Bei den beiden Blinden geschieht dies durch eine spontane vollständige Heilung. Ihre Augen werden aufgetan. Das erste was sie sehen ist Jesus! Das Sehvermögen an sich wiederzuerlangen ist ein gewaltiges Erlebnis. Doch gleichzeitig den Messias, den Erlöser der Welt zu sehen – wirklich umwerfend. Jesus allein zu sehen, nie wieder diesen Jesus zu vergessen und trotz mancher Dunkelheit alle Hoffnung auf ihn zu setzen wird die Lebensaufgabe dieser beiden Männer sein. Dies ist auch unsere Lebensaufgabe. Jesus trägt ihnen vergeblich auf, aus dieser Heilung keine „große öffentliche Sache“ zu machen. Jesus weiß, dass diese beiden Heilungen das öffentliche Interesse noch weiter in falscher Weise auf ihn lenken wird. Er will diese falsche Aufmerksamkeit in keiner Weise. Doch hier erscheint er uns in ganz menschlicher Weise – gegen Neugierde und Sensationslust (nicht nur der Presse) scheint auch Jesus machtlos zu sein.

Doch kaum geht die eine Gruppe kommt schon die nächste. Es scheint fast wie in einem Wartezimmer zuzugehen. Diesmal wird ein Stummer zu Jesus gebracht. Der Evangelist Matthäus teilt uns mit, dass dämonische Mächte die Ursache für diese Behinderung sind. Hier fällt dem Bibelleser auf, dass der Evangelist Matthäus nicht alle Krankheiten und menschlichen Abnormalitäten Dämonen zuschreibt. Trotz sehr ähnlicher Symptome unterscheidet er zwischen Krankheit und Besessenheit (siehe Mt 12,22 im Vergleich mit Mt 15,30). Nach Matthäus reicht auch die Erklärung, dass Besessenheit auf eine multiple Persönlichkeit hinweise nicht aus. Denn gemäß dem Evangelisten können Dämonen Menschen verlassen, in Schweine fahren und seien immer böse und destruktiv. Besessene werden vom Evangelisten in einem Zustand beschrieben, in dem eine unterscheidbare fremde böse Macht Einfluss über ihre Persönlichkeit gewinnt. Diese Macht könne sogar in unterscheidbarer Weise in Kontakt mit der Umwelt des Besessenen treten (Mk 5,7-10; Lk 4,41; Apg 16,18; 19,13-15).

Dieser in mehrfacher Weise ausgegrenzte Mensch wird geheilt. Der Evangelist nennt hier keine Details – nur die Tatsache, dass der Dämon ausgetrieben wird. Hier haben Horrorfilme und ungesunde „Sensations-Seelsorge“ ein scheinbar spektakuläres Umfeld geschaffen. Der Evangelist schildert diese Heilung sehr nüchtern, fast in Nebensätzen und vermeidet alle Details. Doch die erstaunte Reaktion der Zeitzeugen beschreibt der Evangelist im Detail. Diese Befreiung zum Leben, zum Sprechen und zur Gemeinschaft ist für sie einzigartig. Dieses Staunen kann sich auf alle Heilungen und Befreiungen dieses besonderen Tages beziehen. Doch wie schon öfter, ist die Reaktion nicht einhellig positiv. Religiöse Eiferer – hier die Pharisäer – leugnen zwar nicht die Befreiung, aber sehr wohl die Quelle. Sie schreiben diesen freisetzenden Einfluss dem Obersten der Dämonen zu. Diese schwerwiegende Auseinandersetzung wird uns noch im Detail beschäftigen, wenn wir zu Mt 12,24 kommen. Aufmerksame Leser der prophetischen Texte dagegen werden an Jes 35,5.6 erinnert:

Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet. Dann wird der Lahme springen wie ein Hirsch, und jauchzen wird die Zunge des Stummen.“

Fragen:

  1. Warum hört Jesus nicht auf alle Hilferufe? Wie gehen wir mit den vielen Hilferufen unserer Zeit um?
  1. Als was sehen wir Jesus im normalen Alltag?
  1. Sind unsere Häuser für Hilfesuchende barrierefrei?
  1. Hat uns Jesus seine „neue Sicht“ für unsere Umwelt gegeben?
  1. Wer hinderte damals – wer hindert heute Menschen am mutigen lauten Sprechen der Wahrheit?
  1. Warum ist die Stille und eine verschwiegene umsichtige Seelsorge hier dringend notwendig?
  1. Wollen wir heute auch mutig die Quelle für Heilung und Befreiung nennen?

5.9 Jesus in der Stadt Nain

(Lk 7,11-17)

Der Evangelist Lukas verbindet diesen Bericht eng mit dem Bericht von der Heilung des Knechtes des Hauptmanns (Lk 7,1-10). In der Bibel erwähnt nur der Evangelist Lukas die Ortschaft Nain und nur einmal in diesem Zusammenhang. Man nimmt an, dass der Ort in der Nähe des heutigen Ortes Nein liegt – auf dem nordwestlichen Abhang des Jebel ed-Duchy (Berg Moreh) 10 km südöstlich von Nazareth und 40 km südwestlich von Kapernaum. Anhand der Ruinen und der ausgedehnten Grabanlagen kann man annehmen, dass dies eine wichtige Ortschaft war. Lukas erwähnt besonders ein befestigtes Stadttor war.

Jesus nähert sich diesem Ort mit seinen Jüngern und vielen anderen Begleitern. In der ersten Phase seines Dienstes – in der „Beliebtheitsphase“ zog Jesus Menschenmassen an, die auch weite Wegstrecken nicht scheuten (Joh 6,66). Menschen wollten Jesus sehen und hören, denn seine Botschaft war anders (Mt 7,28.29) und für ihre Kranken und Belasteten war er die Hoffnung (Lk 4,42; 5,29; 6,17-19; 9,37; 14,25).

Gerade als Jesus die Stadt betreten will, fordert uns der Evangelist Lukas als seine Leser auf, eine Szene genau zu betrachten: „Siehe!“ Ein Trauerzug verlässt gerade den Ort. Tote wurden immer außerhalb der Stadt bestattet. Was wie purer Zufall aussieht – war doch ein wichtiger Punkt in Gottes Plan für alle Beteiligten. Bibelleser kennen manche dieser „Zufälle“:

  • Abraham findet sofort ein Ersatzopfer (1Mo 22,13)
  • Abrahams Knecht findet an einer Viehtränke die Braut für Isaak (1Mo 24,15)
  • Gideon hört bei seiner Spionagetour durch das feindliche Lager einen Traum und die für ihn ermutigende Auslegung (Ri 7,9-25)
  • Ruth sammelt Ähren genau auf dem Feld ihres späteren Lösers und Ehemann Boas
  • Jeremia wird gerade noch rechtzeitig durch den afrikanischen Knecht aus einer Zisterne gerettet (Jer 38,7; 39,1ff)

Waren nicht alle diese menschlich gesehen ungeplante Zufälle wichtige Teile des göttlichen Planes, der dennoch die menschliche Verantwortung nicht schmälert.

Der Tote, der aus dem Ort getragen wird, ist der einzige Sohn einer Witwe.[120] Für diese Frau ist neben dem schrecklichen Verlust als Mutter auch die Existenz an sich gefährdet. Ihr Sohn ist Garant für Schutz und Versorgung. Durch ihn allein würde sie Enkelkinder haben, die dann die Familientradition aufrechterhalten würden. Doch nach dem frühen Verlust ihres Ehemanns muss sich diese Frau fragen, ob nicht auch Gott sie verlassen hat. Sie muss sich unaufhörlich die Frage stellen lassen oder sogar selbst stellen, ob nicht ein Fluch Gottes auf ihr liegt. Gab es eine Gesetzesübertretung, ein Handeln, ein Reden… dass Gott erzürnen ließ und sie nun die Strafe bekommt? Die vielen Hinweise im Gesetz (z.B. 2Mo 22,21) und bei den Propheten (z.B. Jer 7,6) zum Schutz der Witwen und Waisen als Zeichen für wahre Frömmigkeit, machen deutlich, das ihr unsicherer Status sich durch die Jahrhunderte zog und auch zurzeit von Jesus noch bestand. Als Einschränkung dieser Aussagen dürfen wir etwas aufatmend vom Evangelisten Lukas zur Kenntnis nehmen, dass die Witwe von einem recht großen Trauerzug auf dem letzten Gang begleitet wird. Es sind Anteilnahme und damit auch soziale Bindungen erkennbar.

Doch der Evangelist Lukas wendet den Fokus zu Jesus – hier nennt ihn Lukas als Autor bewusst HERR – auch über den Tod. Jesus spricht die Witwe an, die mit an der Spitze des Trauerzuges ist. Lukas nennt uns die herzliche innerliche Anteilnahme/Bewegung von Jesus an ihrer Trauer. Doch es muss sehr seltsam klingen, als Jesus zur Witwe die allen Grund zu vielen Tränen hat, die auch berechtigt von vielen anderen Weinenden begleitet wird, spricht: „Weine nicht!“ Solche Worte können nur dann tröstend sein, wenn der eigentliche Grund für die Tränen weggenommen wird – alle anderen Lebensweisheiten sind hier wenig tröstend. Doch die Trostworte von Jesus sind zutiefst aufrichtig – nicht aufgesetzt, gespielt oder gar geheuchelt. Jesus benötigt auch keine hilflosen Opfer um seine Selbstbestätigung als Helfer zu erhalten – noch ist die Not anderer ein Mittel sich selbst und anderen die eigene Unersetzbarkeit („kein anderer sieht die Not und hilft wie ICH!“) zu beweisen. Die Anteilnahme von Jesus ist tief (siehe Jes 53,4 und Mt 8,17), echt und dann auch effektiv.

Im weiteren Bericht des Lukas wird deutlich, dass niemand Jesus etwas bittet, da der Tod schon eingetreten ist – da gibt es absolut keine Hoffnung mehr! Jesus handelt aus eigener Initiative heraus. Doch der HERR über Leben und Tod hält allein die Schlüssel des Todes und des Hades in seinen Händen (Offb 1,18). Mit dem Bewusstsein dieser Autorität tritt Jesus an die Tragbahre heran und stoppt die Träger durch seine Berührung. Wieder sehen wir, wie Jesus sich nicht um die rituelle Verunreinigung kümmert, die damit einhergeht (4Mo 19,11-22; vgl. Tit 1,15). Jesus überwindet nicht nur die Verunreinigung durch den Tod, sondern den Tod selbst. Jesus spricht dann zu dem Toten: Jüngling (neani,ske neaniske) ich sage dir, steh auf!“  In noch zwei weiteren Berichten erfahren wir von den Evangelisten, dass Jesus zu den Toten sprach:

  • Tochter des Jairus (Lk 8,54)
  • Lazarus (Joh 11,43)

Die ausgesprochenen Worte von Jesus gelangen nach dem Bericht des Lukas in wiederbelebte Ohren. Die eigentliche Auferweckung geschah in dem äußerst kurzen Zeitraum zwischen dem Senden und dem Empfangen dieser Lebensbotschaft – dies ist geheimnisvoll und zu groß für unser Verständnis! Doch trotz aller Zweifel – damals wie heute – der Evangelist und Arzt Lukas mutet es uns zu: der junge Mann setzt sich auf und beginnt zu sprechen – er war wirklich und vollständig ins Leben zurück gekehrt. Es fällt uns auf, dass alle Auferweckungsberichte der Evangelien Jesus im Mittelpunkt sehen und in besonderer Hinsicht ein Zurückbringen in die Familie sind. Jesus und sein himmlischer Vater lieben die Familie und wollen sie stärken, schützen und wo möglich wiederherstellen. Während Elia (1Kön 17,20-22) und Elisa (2Kön 4,32-35) lange kämpfen mussten, bis das Leben den Tod verdrängte, spricht der HERR über den Tod ein Wort und die Tochter, der Sohn oder der Freund kehren ins Leben zurück.

Alle Anwesenden sind durch dieses Ereignis tief beeindruckt: „…Furcht ergriff sie und sie verherrlichten Gott und sprachen: Ein großer Prophet ist unter uns erweckt worden, und Gott hat sein Volk besucht.“[121] Die Menschen sehen ganz unerwartet Gottes Kraft aber auch sein liebendes Erbarmen. Gott kommt den Menschen ganz nahe – sein Sorgen, seine praktische Hilfe, seine Liebe zu Menschen wird ganz real. Gott hat sein Volk besucht – dies ist ein Zitat aus dem Alten Testament (Ruth 1,6 z.T. auch 1Sam 2,21). Jesus wird als bevollmächtigter Prophet Gottes gesehen – doch in aller Konsequenz setzt sich diese Einsicht nicht in der Breite des Volkes durch – denn Jesus beansprucht schließlich auch noch mehr. Er weiß von seinem Status als Messias und Gottes Sohn.

Die Nachricht von Jesus – seinen Worten und Taten verbreitet sich überregional, selbst bis nach Judäa und die anderen angrenzenden Regionen.

Fragen:

  1. Berichte von sogenannten Zufällen, die sich für dich doch als Wirken Gottes entpuppten.
  1. Berichte von deinen Eindrücken angesichts von einem hoffnungslosen Fall.
  1. Was empfindest du beim Gang zur „Letzten Ruhestätte“?
  1. Die Worte von Jesus sind Worte des Lebens! Hast du solche Worte schon gehört?
  1. Hat Gott deiner Familie Gutes getan? Hat er deinen Wohnort schon mal „besucht“?

5.10 Die Frage des Täufers

(Mt 11,1-19;  Lk 7,18-35)

Dieser Bericht lässt sich in folgende Abschnitte aufteilen:

  • Jünger des Johannes übermitteln Jesus dessen Zweifel (1-3)
  • Die Antwort von Christus (4-6)
  • Das Lob von Jesus auf Johannes dem Täufer- (7-19)

Der Evangelist Lukas verbindet seinen Bericht mit der Verbreitung der Sensationsmeldungen von Jesus bis hin nach Judäa und Peräa. Dort erreichen sie auch Johannes den Täufer, der im Gefängnis von Herodes Antipas wahrscheinlich in Machärus eingekerkert ist (Mt 4,12; 14,3.4). Der Evangelist Matthäus dagegen verbindet diesen Bericht mit einer Lehreinheit von Jesus in Galiläa (Judäa vor?) nach einem Kurzzeiteinsatz seiner zwölf Jünger. Matthäus leitet seinen Bericht mit dem Hinweis auf die ausgedehnte regionale Lehr- und Predigttätigkeit von Jesus ein.

Der Unterschied zwischen Predigen und Lehren ist zwar u. U. nicht so groß, doch vor dem Hintergrund der benutzten griechischen Worte schon erheblich. Das griechische Wort khru,ssw k¢ryssœ bedeutet laut (wie ein Herold) verkünden, bekannt machen (Öffentlichkeitswirkung). Das griechische Wort dida,skw didaskœ  bezeichnet die detaillierte Information, die einer Ankündigung folgt (Inhaltsvermittlung).

Die Kerkerhaft des Johannes ist hart, aber dennoch darf er Kontakt zu seinen Jüngern halten. Von diesen erhält er aktuelle Nachrichten – auch von den Jesustaten. Doch die Erwartungen und Prophetien von Johannes in Bezug auf Jesus als den „gekommenen“ Messias decken sich nicht mit dessen aktuellen Aktionen. Johannes fragt sich, ob sie jetzt doch auf „einen ANDEREN warten sollen? Johannes hatte damals am Jordan verkündet, dass Jesus gekommen sei zu bestrafen und zu zerstören (Mt 3,7.10; Lk 3,7.9). Diese Worte waren eine göttlich inspirierte Botschaft – doch wie schon die alttestamentlichen Propheten vor ihm, konnte er nicht zwischen dem ersten und dem zweiten Kommen des Messias unterscheiden. Diese schwierige Unterscheidung zwischen dem Vergangenen, Gegenwärtigen und dem Zukünftigen muss auch heute noch der Leser der prophetischen Abschnitte der Bibel treffen. Johannes trifft hier eine gute Entscheidung, er schweigt nicht leidend, schwätzt nicht mit anderen Nichtinformierten darüber, sondern sendet eine Abordnung zur richtigen Person. So hofft Johannes zu Recht, dass sein Problem gelöst wird. Als Jesus von den Gesandten die Frage überbracht bekommt, antwortet er gleich, in dem er sie auffordert zu Johannes mit dem Dienstresümee aus seinem eigenen Mund zurückzukehren. Dies wird Johannes recht vertraut vorkommen, da es unter anderem ein kombiniertes Zitat aus Jes 35,5-6a und 61,1 ist. Im Jesajabuch lesen wir:

„Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet. Dann wird der Lahme springen wie ein Hirsch, und jauchzen wird die Zunge des Stummen..“ (Jes 35,5-6a).

„Der Geist des Herrn, HERRN, ist auf mir; denn der HERR hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, den Elenden frohe Botschaft zu bringen“ (Jes 61,1a).

Jesus formuliert von diesen Texten ausgehend: „Blinde werden sehend, und Lahme gehen, Aussätzige werden gereinigt, und Taube hören, und Tote werden auferweckt, und Armen wird gute Botschaft verkündigt“ Mt 11,5.

Zwar wird Johannes von den Taten an sich gehört haben, aber diese heilsgeschichtliche Einordnung durch Jesus eröffnet ihm eine neue Sichtweise. Jesus sieht diese Messiasverheißungen in seinem Dienst erfüllt und damit als Messias-Beweis. Beide Verheißungen beziehen sich auf Heilungen und das Predigen der frohen Botschaft. Jesus erweitert diese Zusammenfassung noch mit dem noch recht aktuellen Fall der Totenauferweckung in Nain. Jesus schließt seine Antwort mit dem Hinweis: „…glückselig ist, wer sich nicht an mir ärgern wird“(Mt 11,6). Man kann fast ahnen, dass in diesen Worten auch ein sanfter Tadel an einen lieben Freund steckt – an einen, der durch den so ganz anderen „Christus“ ins Zweifeln geraten ist (entäusch und verärgert war). Doch der erste Teil dieses Schlusssatzes darf nicht übersehen werden: „Glückselig…!“ Jesus geht mit Johannes genauso liebevoll um, wie mit dem Blindgeborenen, der Ehebrecherin, Petrus, Thomas… letztlich mit jedem der sich an Jesus reibt. Doch bei Johannes war die Situation beengter – er war enttäuscht. Jesus geht auf diese Enttäuschung ein – so korrigiert Jesus in sanfter und offener Art die Messiaserwartung bei seinem Freund (siehe auch Lk 24,25).

Dieser zutiefst sensible und liebevolle Umgang mit dem zweifelnden Johannes wird deutlich, wenn wir das höchste Lob bedenken mit dem Jesus nach diesen Worten Johannes überschüttet. Jesus nimmt Johannes den Täufer vor Kritik in Schutz. Er erinnert seine Zuhörer an ihre begeisterte Wanderung hinab ins Jordantal, um dort Johannes predigen zu hören. Johannes war nicht das vom Zeitgeist hin- und herbewegte Schilfrohr – sondern die standhafte Eiche im Wetter. Jesus wählt dann das Stilmittel der Ironie, als er die weiche (teure) Kleidung des Johannes als Grund für den Andrang der Massen nennt. Johannes ist ja genau für das absolute Gegenteil bekannt: er ist der Mann im sehr kratzigen Kamelhaarmantel, der in offensichtlichen Spannungen mit den weich gekleideten „Bücklingen“ am Königshof steht.

Jesus weiß, dass Johannes als Prophet damals der Volksheld war. Doch in den Augen von Jesus ist er noch mehr. Er ist der Wegbereiter des Messias – sein Wegbereiter, wie er in Mal 3,1 angekündigt wurde. Jesus beschreibt Johannes als den Größten unter uns Menschen. Die Gründe für diese hohe Stellung können sein:

  • Er verkündigt das unmittelbare Kommen des Messias und offenbart seinen Zuhörern, wer dieser Messias ist (Joh 1,29).
  • Er betont die Umkehr (Buße) als notwendigen Schritt, um in das Reich des Messias eintreten zu können (Mt 3,2).
  • Er ist bereit angesichts des gekommenen Messias in den Hintergrund zu treten (Joh 3,30).

Doch im Licht von Mt 13,16.17 ist auch der Geringste, der ins Reich Gottes eingeht, noch größer als dieser Große Johannes. Die Zeitgenossen und Zuhörer sind nicht wie Johannes von Jesus durch Mauern getrennt. Sie können die Zeichen des angebrochenen Gottesreiches mit den eigenen Augen sehen. Auch werden alle Jünger nach Johannes, der im Gefängnis sitzt und dort sterben wird, Golgatha, Ostern und die Himmelfahrt erleben. Weiter beschreibt Jesus den Anteil von Johannes an der Erfüllung seiner eigenen Mission mit respektvollen Worten. Der Dienst von Johannes ist für ihn wesentlich und keineswegs vergeblich.

Der Begriff: dem Reich der Himmel wird Gewalt angetan lässt sich auch so übersetzen: das Reich Gottes (= der Himmel) drängt kräftig vorwärts. Unter Gewalttuenden die es an sich reißen verstehen wir: Männer drängen entschlossen vorwärts, um das Reich anzunehmen. Diese jeweiligen Übersetzungsvarianten unterscheiden sich erheblich. Betrachtet man die sehr frühen Übersetzungen, sieht man, dass auch damals schon diese beiden Sätze kaum verstanden wurden.

Wir wollen unsere Übersetzung begründen: Wir merken beim Lesen, dass eine negative Bedeutung nicht durch den Kontext gestützt wird. Beide Aussagen hängen an dem nur hier und im Paralleltext (Lk 16,16) im Neuen Testamen vorkommenden Verb bia,zw biazœ.  Dieses Verb hat im Passiv und im Medium (griechische Mittelform zwischen Aktiv und Passiv) eine identische Schreibweise. Liest man es im Passiv hat es eine negative Bedeutung (jemandem wird Gewalt angetan), liest man es dagegen im Medium kommt man zu der positiveren Richtung der „Gewalt.“[122] (kraftvoll vordringen). Mit anderen Worten – das Reich breitet sich kraftvoll aus, aber keiner kommt schlafend ins Reich Gottes, sondern es fordert entschlossenes Handeln (Lk 13,24; 16,16; Joh 16,33; Apg 14,22).

Jesus macht weiter deutlich, dass mit Johannes der Paradigmenwechsel begonnen hat. Das Gesetz und die Propheten (= das Alte Testament) kommen zu einem Ende. In Johannes als den Wegbereiter erfüllen sich die Verheißungen für die Wende. Er hält beides zusammen: das Alte und das Neue. Er ist der Volksheld für eine ganze Generation, doch welche Konsequenzen ziehen seine Zuhörer und Zeitgenossen aus seiner Predigt? Jesus weist auf das kindische Verhalten einer spielenden Gruppe von Kindern auf einem leeren Marktplatz. Einige wollen erst Hochzeit und dann eben Beerdigung spielen – doch die Spielkameraden spielen jeweils nicht mit. Da werden natürlich, die Kinder mit den Ideen ärgerlich und beschimpfen die lustlosen Mitspieler. Jesus wirft seinen Zeitgenossen dieses kindische Verhalten vor: den einen ist Johannes ein seltsamer Außenseiter, der noch nicht einmal richtig mit den Menschen feiern kann. Den anderen ist aber ist Jesus der Weinsäufer und Fresser, der Freund der Mafia und anderer Gesetzesloser –  einer der nicht richtig „fromm“ ist und zuviel mit den falschen Menschen herumhängt.

Weisheit ist gerechtfertigt worden aus ihren Werken.“ Die Weisheit von Johannes, der am Bußruf angesichts des anbrechenden Gottesreiches festhält und die Weisheit von Jesus, der die Hoffnung auf das Heil – auch für die Randexistenzen – hoch hält, wird in den Herzen und Leben derer offenbar, die aus tiefem Herzen mit Glauben antworten. „Kinder der Weisheit“(Lk 6,35) sind alle Menschen, die die Botschaft von Johannes und Jesus zu Herzen nehmen. So ist es Gottes Weisheit, dass aus dem Spottnamen: Freund der Zöllner und Sünder die hoffnungsvollste Ehrenbezeichnung für Jesus wurde.

Fragen:

  1. Kennst du Zeiten der Enttäuschung? Hast du Mut Gründe für deine Zweifel zu nennen?
  1. Welche Beweise siehst du heute in deiner Gemeinde für die Realität des angebrochenen Reiches Gottes?
  1. Was können wir von Jesus im Hinblick auf den enttäuschten Johannes lernen?
  1. Was bedeutet menschliche „Größe“ in den Augen von Jesus?
  1. Wie gehen wir mit Menschen um, die meinen „schlafend“ in den Himmel zu kommen?
  1. Welches kindische Verhalten begegnet uns auch heute noch bei Erwachsenen?

5.11 Jesus im Haus des Simon

(Lk7,36-50)

Diesen Bericht überliefert nur der Evangelist Lukas, deshalb ist er zeitlich schwierig einzuordnen. In beiden Werken des Evangelisten Lukas spielt das ´Haus´ eine wesentliche heilsgeschichtliche Rolle – so auch hier. Jesus ist wie so oft zu einem Bankett eingeladen. Gastgeber ist ein nicht näher bezeichneter Simon, einer der am häufigsten im Neuen Testament vorkommenden Namen. Dieser hält sich zur Gruppe der Pharisäer. Die Gründe für diese Einladung werden uns nicht genannt – war es kritische Neugierde? Zurzeit von Jesus legt man sich an einen niedrigen Tisch, bzw. auf den gepolsterten Boden. Es wird zwar im Bericht nicht ausdrücklich betont, aber wir können doch damit rechnen, dass außer Jesus und seinen Jüngern noch viele andere geladen waren. Simon muß ein wohlhabender Pharisäer gewesen sein und entsprechend war dann auch sein Haus groß genug, um viele zum Mahl einzuladen. Bei dieser festlichen Versammlung spielt sich folgende ungewöhnliche Szene ab. Eine Frau, die Simon später als „eine Sünderin“ [123] bezeichnet, betritt den Festraum. Die Bezeichnung Sünderin regte die Phantasie besonders männlicher Leser seit vielen Generationen an. Manche betrachten sie als Prostituierte. Doch wir müssen fair bleiben. Im Text wird diese Frau nicht als solche bezeichnet. Auch muss man die sehr zu Lasten der Frau gehenden Regeln im Umgang der Geschlechter kennen. Junge Frauen wurden nicht selten gegen ihren Willen zu Objekten von sexuellen Handlungen, bei denen sich oft nur der Mann ehrenhaft herauswinden konnte. Frauen dagegen konnte dann lebenslang ein schlechter Ruf angehängt werden, auch wenn sie u. U. nur die Opfer waren. Diese Frau hört von Jesus und eilt zum Haus des Pharisäers. Sie bringt allen Mut auf, um gerade bei diesem Festessen ganz nahe zu Jesus zu gelangen. Wieder weist uns der Autor Lukas mit dem Wort „Siehe!“ auf eine ungewöhnliche Szene – die Frau betritt vor aller Augen das Haus des strikten Pharisäers. Hat sie die rettende Botschaft von Jesus an einem anderen Ort selbst gehört? Wir haben den Eindruck, dass sie die Botschaft der göttlichen Vergebung durch die Jesusworte erlangte und jetzt ein „Liebesopfer“ aus Dank bringen möchte. Dazu hat sie sich einen Plan zurechtgelegt, denn sie bringt ein teures Alabaster-Parfümgefäß mit sich. Dieses gipsartige Gefäß hat einen langen Hals, der zum Öffnen abgebrochen wird.

Trotz aller inneren und äußeren Barrieren findet diese Frau einen Weg zu Jesus, der mit anderen zu Tisch liegt, den Kopf mit der linken Hand abgestützt und die Füße jeweils nach außen gestreckt. So kann die Frau hinter ihn treten und die Füße salben. Ihr sehr teures Parfüm ist Narde aus Indien[124]. Ihr früheres Leben, gerade mit der uns nicht bekannten Not, tut ihr von Herzen leid. Demjenigen, der ihr die Vergebung und Wiedereingliederung in die Gemeinschaft angeboten hat, dem will sie damit die Füße salben. Nichts ist ihr dafür zu kostbar. Ihr Herz scheint von einer Mischung aus Ehrfurcht und überfließender Liebe zu Jesus erfüllt zu sein. Sie kann bei Jesus angekommen nicht mehr anders und bricht in Tränen aus, die auf die Füße von Jesus tropfen. Entgegen aller damaligen Konventionen löst die Frau ihre Haare, versucht damit die Füße zu trocknen, zu küssen und zu salben.

Der Pharisäer Simon fühlt sich als Gastgeber durch dieses ungehörige Verhalten tief beleidigt. Das Verhalten der Frau und die Duldung durch Jesus bringen ihn in ein schlechtes Licht. Er gerät durch diese Szene in noch größere Zweifel, ob dieser Jesus wirklich ein Prophet sei. Als Prophet hätte er die Frau als Sünderin erkennen und von sich stoßen müssen. Interessant ist hier die Frage – woher kannte denn Simon diese Frau und ihr Vergehen so genau. War hier ein kaltherziger Richterspruch gefällt worden, an dem er beteiligt war? Oder sollte er sogar in ehrenrühriger Beziehung zu ihr gestanden haben? Der selbstgerechte Simon kann die gute Nachricht für Sünder – ihre Rettung durch Gnade nicht akzeptieren (Lk 5,31.32; 15,1.2; 18,14).

Doch in den Versen Lk 7,40-48 beweist Jesus,

  • dass er die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Frau kennt;
  • dass er die verborgenen Gedanken von Simon kennt;
  • dass er wirklich ein Prophet ist, der die Regungen des Herzens und des Verstandes unterscheiden kann und
  • dass er selbst der von gottgesandte Retter ist, der die Autorität zur Sündenvergebung hat.

Jesus verdeutlicht diese Selbstoffenbarung durch die Erzählung eines kurzen Gleichnisses aus der Finanzwelt. Ein Schuldner hat eine Schuld von 500 Arbeitstagen bei einem Geldverleiher, der andere von 50 Arbeitstagen. Da beide nicht zurückzahlen können, wirft er sie nicht etwa ins Gefängnis, bis ihn die Verwandten herauslösen, sondern erlässt beiden die Schuld. Vermutlich schaut Jesus Simon in die Augen und fragt dann, wer den Geldverleiher jetzt mehr liebt. Simon kann nicht anders, als zuzugeben, dass es wohl derjenige sein wird, dem die größere Schuld erlassen wurde.

Geduldig erklärt Jesus, dass Simon mit seiner Antwort richtig liege. Doch dann weist Jesus auf die Frau und fragt ihn, ob er sie sehe und ob er ihre Aktion verstünde. Dann beschreibt Jesus, wie er in Simons Haus kam (er lässt weg: auf deine Einladung hin!) und wie alle Regeln des orientalischen Gästeempfangens ignoriert wurden (kein Fußbad, kein Willkommenskuss, keine Salbung). Doch gerade „diese“ Frau habe das verpasste alles wett gemacht. Es war sogar vielmehr als notwendig, statt Olivenöl Nardenöl, statt Wasser Tränen, statt einem Fußtuch die eigenen Haare. Sie liebt viel, weil ihr viel vergeben wurde. Jesus endet in einer indirekten Frage, die das Verhältnis von Simon zur unbekannten Frau auf den Kopf stellt: „Ist der Person, die wenig liebt, wenig vergeben worden?“ Liebe ist also Reaktion auf Vergebung, aber nicht Voraussetzung.

Jesus entlässt die Frau mit der öffentlichen Zusicherung der Sündenvergebung. Dies war die Zusicherung dessen, was sie ja zu Jesus getrieben hatte. Simon und seine Kollegen verharren in ihrer Kritik an den, der sich so unmöglich benimmt und dann noch Sünden vergibt.

DOCH JESUS INGNORIERT SIE!

Nur Menschen die von der Vergebung leben – gehen/leben im Frieden!

Fragen:

  1. Welches Stigma wird heute noch Mitmenschen verpasst – von dem sie sich kaum lösen können?
  1. Welche Liebes-Taten des Dankes für die erlangte Vergebung sind heute vorstellbar?
  1. In welchen Bereichen sind die bürgerlichen „Benimm-Dich-Regeln“ für das Evangelium ein Hindernis?
  1. Wie äußert sich heute bei mir der Beginn der Selbstgerechtigkeit?
  1. Wie kann ich in einem Leben der Vergebung bleiben?
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