7. Kapitel: Jesu Wirken in Galiläa und Dekapolis

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 7: Jesu Wirken in Galiläa und Dekapolis

Einleitung

In den folgenden Abschnitten begleiten wir Jesus und seine Jünger nach Nazaret, in die Gegend um den See Genezaret, nach Tyrus und Sidon, in das Gebiet der Dekapolis, dann hoch in den Norden in das Stammesgebiet Dan nach Cäsarea Philippi, der Trachonitis der Tetrarchie des Herodes Philippus. Nachdem die Jünger von Jesus aus ihrer Missionstätigkeit zurückgekehrt waren, erkennt man eine Veränderung im Dienst von Jesus. Er meidet die Zentren, er hält sich mehr in unbewohnten Gegenden auf. Doch die Menschen suchen ihn auf, egal wohin er auch geht. Zeitlich gesehen, ist es wohl der längste Dienstabschnitt in Galiläa und Umgebung.

Abbildung 1 Von Gadara aus, dem heutigen Umm Qais, reicht der Blick weit über den nur zehn Kilometer weit entfernten See Genezaret in seiner vollen Ausdehnung. Links dahinter sieht man die Berge von Obergaliläa. Und direkt im Norden, östlich des Jordan war die Tetrarchie des Herodes Philippus. Im Vordergrund unterhalb der Anhöhe verläuft der Fluss Jarmuk. Dahinter rechts sieht man die Ausläufer der Golanhöhen, das ehemalige Gebiet der Dekapolis (Foto: 3. November 2014).

Jesus besucht Nazareth

(Mt 13,53-58; Mk 6,1-6a; Lk 4,16-30)

Die Zeit, die Umstände und Details des Besuches

„Und er ging von dort weg und kommt in seine Vaterstadt..“

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Abbildung 2 Die heutige Stadt Nazaret in Südgaliläa mit überwiegend arabisch-christlicher Bevölkerung ist Anziehungspunkt für die meisten Pilger, welche aus aller Welt nach Israel kommen (Foto: Juli 1994).

Alle drei Evangelisten berichten uns dieses Ereignis. Lukas berichtet ausführlich über diesen Besuch am Anfang seines Evangeliums. Die Berichte des Matthäus und Markus sind sehr kurz und ergänzen sich. Lukas dagegen berichtet uns auch vom Inhalt der Predigt und der Reaktion der Bewohner Nazarets. Markus ergänzt noch, dass die Jünger von Jesus mit dabei waren. Wir folgen hier jedoch der Chronologie des Markus, bei dem sich der Bericht über die Aussendung der Zwölf an den Besuch in Nazaret anschließt. Zeitlich könnte dies im Jahr 32 n. Chr. also etwas 2 ½ Jahre nach Beginn seines öffentlichen Auftretens gewesen sein. Der Evangelist Matthäus jedoch bettet das Geschehen in Nazaret in den Kontext der Gleichnisse über das anbrechende Königreich Gottes ein. Die bitteren Konsequenzen das anbrechende Königreich Gottes zu verpassen – weisen so auf eine Realität hin, die wir auch heute bedenken sollten.

Nach dem Abschluss der Predigten über das anbrechende Königreich verlässt Jesus die Region des Sees Genesaret und wandert nach Nazaret.[129]

Zu Beginn wollen wir einige allgemeine, aber doch interessante Details beachten:

  • Die synoptischen Evangelisten berichten nur von einem Besuch in Nazaret während der Dienstzeit von Jesus.
  • Als Geburtsort wird für Jesus, obwohl in Bethlehem geboren, offiziell Nazareth genannt (πατρίδι patridi Vaterstadt Lk 4,23.24).
  • Lukas betont, dass Jesus dort erzogen worden war (Lk 4,16).
  • Hier erlernte er von Josef seinen Beruf als Bauhandwerker (te,ktwn tektōn Mk 6,3; Mt 13,55; LÜ: Zimmermann).
  • Jesus hielt sich in Nazaret einige Tage auf und wohnte mit aller Wahrscheinlichkeit  bei seinen dort wohnenden Verwandten: seiner Mutter Maria, seinen leiblichen Brüdern Jakobus, Josef (Joses), Simon und Judas und mehreren ungenannten leiblichen Schwestern[130] (Mk 6,3).

Wir können uns vorstellen, dass eine erwartungsvoll-festliche Stimmung im Ort herrscht, besonders bei seiner Mutter Maria. Endlich ist er, den sie schon mal in Kapernaum suchten und zurechtweisen wollten (Mk 3,21) nach Hause gekommen. Doch eine innere Beziehung zu seinen Brüdern ist nicht da – sie glauben nicht an ihn (Joh 7,3). Keine gute Voraussetzung für eine gute Aufnahme seines Dienstes in seiner Heimatstadt.

In Nazaret trifft Jesus auf eine spannungsvolle Enge, viele Vorurteile, Bestrebungen der Mächtigen und Einflussreichen und die „lieben“ Angehörigen – hinzukommt natürlich die erweiterte Sippe. Mittlerweile ist das Ansehen von Jesus erheblich angewachsen. Viele Wundertaten waren auch Gesprächsstoff in den Gassen Nazarets. Nochmals hat der Ort seine letzte große Chance seinen „Sohn“ als Rabbi, Propheten und noch mehr als Messias zu erleben. Wie wenig war noch bekannt von den Worten des Zacharias, der Hirten, des Simeon, der Hanna oder der Mutter Maria – der Sand der Zeit überdeckte die Worte von der göttlichen Herkunft.

Inhalt der Predigt in der Synagoge von Nazareth

Entsprechend seiner Gewohnheit geht Jesus am Sabbat in die Synagoge. Dieses Versammlungshaus ist ihm sehr vertraut, hatte er doch fast 30 Jahre in Nazareth verbracht. Dort legt Jesus das Wort am Sabbat seinen oft namentlich bekannten Mitbürgern aus – noch einmal haben sie die Chance seine Bestimmung zu erkennen. Rabbis, die auf Besuch in einer Stadt sind, werden nach der damaligen Sitte gerne eingeladen, nach den Schriftlesungen eine Ansprache an die Versammelten zu halten. Zum Lesen des Textes steht ein Jude auf – zur anschließenden Auslegung dagegen setzt er sich. Eine feste Ordnung der im Jahreskreis zu lesenden Texte gibt es zurzeit von Jesus noch nicht. Wahrscheinlich entschied der u`phre,thj hypēretēs (hebr. Chazan) Synagogendiener aus welcher Rolle gelesen wurde. Jesus nahm die Schriftrolle in Empfang und rollte sie bis zur gewünschten Schriftstelle ab. Dann liest er Jes 61,1-2[131] in der Israels Zukunft mit dem Bild des Jubel- oder Erlassjahres aus 3. Mose 25 beschrieben wird (Keener 1998,320):

Der Geist Gottes des HERRN ist auf mir, weil der HERR mich gesalbt hat. Er hat mich gesandt, den Elenden gute Botschaft zu bringen, die zerbrochenen Herzen zu verbinden, zu verkündigen den Gefangenen die Freiheit, den Gebundenen, dass sie frei und ledig sein sollen; zu verkündigen ein gnädiges Jahr des HERRN“ (Jesaja 61,1-2).

Einige Details zum Kontext der Predigt:

  • Die Bewohner Nazarets hatten Erwartungen an ihn „Denn wie große Dinge haben wir gehört, die in Kapernaum geschehen sind! Tu` so auch hier in deiner Vaterstadt“ (Lk 4,23).
  • Es gibt keine besonderen Privilegien für die Bewohner Nazarets, höchstens eine größere Verantwortung. Es fällt geradezu auf, dass Jesus keineswegs versucht sich bei seinen Verwandten oder Heimatgenossen einzuschmeicheln, oder gar sie besonders privilegiert zu behandeln.
  • Die Verwunderung bei den Bewohnern Nazarets über die Weisheit und Wunder von Jesus macht indirekt deutlich, dass Jesus vor seinem Dienstbeginn in Nazaret keine Wunder oder Zeichen wirkte.

Einige Hinweise auf inhaltliche Aspekte:

Das angenehme Jahr des Herrn Mt 4,19; Jes 61,1ff; 3Mo 25,8ff wird auch als Erlassjahr, Halljahr oder Jobeljahr[132] bezeichnet. Das Erlassjahr gehört zur sozialen und wirtschaftlichen Ordnung, die der Bundesgott seinem Volk befahl. Im Jahr nach 7 Sabbatjahren (7×7 + 1= 50Jahren) soll Grundbesitz und der Status der Sklaven wieder in den ursprünglichen Zustand zurück versetzt werden. Hier wird Gottes Anspruch deutlich, d.h. Gott verfügt letztlich über Menschen und Land. Darum ist die Verfügungsgewalt des Mitmenschen über Grundstücke und Personen zeitlich begrenzt. Interessant ist hier, dass Jesus sich nur auf die Freiheit von Menschen bezieht. Die Verfügung über den Landbesitz erwähnt er nicht. Während das siebenjährliche Brach- und Erlassjahr in der Kulturgeschichte des Gottesvolkes eine wichtige Rolle spielt, haben wir in Bezug auf das Jobeljahr in der jüdischen Sozialgeschichte der persischen, hellenistischen und römischen Zeit keine Hinweise (Kessler, 2009). Darum sind wir unsicher ob der Brauch des Erlassjahres zurzeit von Jesus noch praktisch umgesetzt wurde. Doch hier in der Synagoge von Nazaret ruft Jesus dieses Erlassjahr aus. Die Aussage über das unmittelbar bevorstehende Hereinbrechen des Verheißenen markiert Jesus deutlich mit dem Wort sh,meron sēmeron heute! Dieses Wort ist der Auslöser für die immer deutlicher werdende Ablehnung von Jesus. Durch seine Person sind die ursprünglichen Absichten Gottes voll zur Entfaltung gekommen (3Mo 25; Jes 61,1ff). Die angesprochenen Inhalte des Erlassjahres sind:

  • Armen/Bettlern gute Botschaft zu bringen
  • Gefangenen Entlassung/Freilassung zu predigen[133]
  • Blinden das Augenlicht wieder herstellen
  • Gebrochene (Misshandelte, Unterdrückte) befreien, entlassen, freilassen;

Jesus weist in seiner prophetischen Rückschau auf Ereignisse während der Dienstzeit der Propheten Elia und Elisa hin. Damals gab es in Israel viele Witwen und viele Aussätzige, doch nur eine heidnische Witwe in Sarepta bei Sidon bekam von Elia Besuch und erhielt die damit verbundenen Segnungen (Speise und die Rückkehr ihres Sohns aus dem Tod). So wurde auch von den vielen Aussätzigen in Israel nur Naeman aus dem heidnischen Syrien gesund. Jesus gibt damit einen deutlichen Hinweis, dass das große Erlassjahr mit all seinen Segnungen Heiden mit einschließt und ungläubige Juden ausschließt.

Die Reaktion der Nazarener auf die Predigt von Jesus

Die Andeutung in seiner Predigt wird von den Bewohnern Nazarets sofort verstanden. Ihr anfängliches Verwundern und Staunen (Mt 13,54) weicht nach diesen Worten der Abneigung gegenüber Jesus, ja sogar Ärger und Zorn kommen auf. In Mt 13,57 finden wir das Wort `σκανδαλίζω – skandalizō` . Ja das war ein Skandal, der die Bewohner ärgerte, schockierte und sogar in Wut versetzte. Seine Worte lösen ein Erstaunen aus – doch hier in Nazaret ist es ein Erstaunen des Unglaubens über den Sohn der Maria, den Sohn eines örtlich bekannten Bauhandwerkers. Hier ist die Bibelübersetzung das buch von Roland Werner recht präzis. Im 5 km entfernten griechischen Nachbarort Sepphoris (Hauptstadt Galiläas) wurden in dieser Zeit nach einer Brandschatzung durch die Römer viele Gebäude neu errichtet. Hier haben die Bauhandwerker wie Josef aus Nazaret wahrscheinlich viele Aufträge erhalten. Jesus war als Heranwachsender sicher oft in diesem Ort und kannte wohl auch die griechische Sprache.

Abbildung 3 Auf der Zeichnung sind alle in den Evangelien genannten Familienmitglieder von Josef und Maria anonym dargestellt. Auch die Aufgabenteilung könnte dem Alltag der Familie sehr nahe kommen (Zeichnung von Joela Schüle am 6. Oktober 2018).

In Matthäus13,55 sagen die Leute aus Nazareth verärgert über Jesus:  „Ist er nicht der Sohn des Zimmermanns (Bauhandwerker) Heißt nicht seine Mutter Maria? Und seine Brüder: Jakobus und Josef, Simon und Judas? Und seine Schwestern (im Plural), sind sie nicht alle bei uns? Und sie ärgerten sich über ihn.“ Für die Mitbewohner ist Jesus in der Zeit vor seinem Auftreten nicht sonderlich aufgefallen. Er war einer unter seinen Geschwistern.

Am Ende staunt auch Jesus, allerdings über ihren Unglauben. In ihrem Verstehenshorizont sind die Weisheit und die Kraft zu den berichteten Wundertaten unerklärbar. Damals wie heute lehnen Zuhörer unerklärbare Zusammenhänge schnell und vehement ab. Die Weisheit können sie bei der Wortauslegung erkennen – doch die Kraft zu Heilungen bleibt den meisten verborgen – bleibt für sie nur eine Nachricht vom Hörensagen. Doch beides ist unerklärlich – dieser Sohn des Ortes hatte schließlich keine weiterführende Ausbildung genossen – er kam doch wie alle auch nur aus Nazareth.

Das Ergebnis dieses Besuches fällt sehr ernüchternd aus: Nur wenige Bewohner Nazareths schenken ihr Vertrauen Jesus, die meisten schließen sich dem zornerfüllten Mob an. Diese Menschen sind so verhärtet, dass ihr Ärger in offenen Zorn übergeht und sie beschließen Jesus umzubringen. Das Haus der Versammlung, der Schriftlesung und des Gebetes wird zu einem Haus in dem ein Mord geplant wird. Ein wütender Mob rennt aus der Synagoge und versucht ihn von einer Klippe zu stürzen (Lk 4,29). Heute führt in Nazareth ein so genannter Jesus-Trail zum Berg Kedumim, von wo aus man eine gute Aussicht über das Jesreel-Tal hat. Auch: Mount Precipice / precipitation, arab. Jabal qafzeh, hebr. har haqafizeh.

Der Glaube ist zwar oft nicht die Voraussetzung einer erfahrenen Heilung – doch wenigstens soviel kann man hier aussagen: Der Unglaube ist ein wesentliches Hindernis die Kraft von Jesus im eigenen Leben und Leib zu erfahren. Dass man Jesus hier so genau „kennt“, dass man meint über seine Familie Bescheid zu wissen, macht es den Menschen hier „unmöglich“ zu glauben. Offenbar gehört zu dem Menschen, der Gottes Wort ausrichten will und soll, eine gewisse Fremdheit; man will und soll gar nicht so viel über ihn wissen. Wer zu viel weiß, neigt dazu, den Boten Gottes kleiner zu machen, als er ist. Ist das der Grund dafür, weshalb wir im Johannesevangelium und bei Paulus so wenig Persönliches und Biografisches über Jesus erfahren (Berger 2004, 429)?  Hinzu können wir wohl eine Spur von Neid in den Worten: „Ist er denn nicht…“ Mk 6,3 erkennen. Der Unterton könnte sein: „Was macht er auch sich selbst“ (Joh 8,53?

Übrigens wird hier nur Maria als Mutter erwähnt – in einer Gesellschaft, in der Männer im Zentrum aller Überlegungen stehen, ist es schon ungewöhnlich. Die meisten Ausleger schließen aus dieser Lücke, dass Josef schon länger verstorben war. Seine schlichte Herkunft sagt in den Augen der Bürger Nazareths mehr aus, als alle anderen Weisheiten oder Berichte – im Sinne von: „… wir kennen ihn schon länger! Uns macht keiner was vor!“ Nun ist das „Sich wundern“ auf der Seite von Jesus zu finden. Er weist auf den allezeit gültigen Umstand hin, dass ein Prophet überall Ehre, Respekt und Echo erwarten kann, nur nicht in seinem Heimatort. Allerdings dürfen wir wenigstens in Bezug auf seine leiblichen Brüder in die Zukunft schauen: später erkennen sie ihren Bruder als den Messiaskönig und Retter (Apg 1,14). Das Thema des verfolgten, in seiner Heimat abgelehnten Propheten ist im Judentum gut bekannt und eng mit dem Propheten Jeremia verknüpft (Jer 1,1; 11,21-23.

Am Ende des Berichtes steht Jesus mit seinem Heilsangebot den Erwartungen der Bewohner Nazareths sehr konträr gegenüber. Die Reaktion in Nazareth ist aggressiv: Wir wollen nicht, dass dieser über uns herrsche. Lukas lässt die Begebenheit mit dem Hinweis enden, dass Jesus nach dem Herauswurf umkehrt und „…mitten durch sie hinweg ging.“ War es seine ruhige und hier wohl auch majestätische Reaktion, die seine potentiellen Mörder erstarren ließ?

Fragen / Aufgaben:

  1. In welcher Phase seines Dienstes besuchte Jesus Nazaret?
  2. Wie bewertest du den Besuch in Nazaret – warum ging Jesus dorthin?
  3. Beschreibe die Haltung der Verwandten von Jesus.
  4. Bewerte den Inhalt der Predigt von Jesus in der Synagoge von Nazaret.
  5. Was war das Ergebnis seines Besuches in Nazaret?
  6. Entdecken wir die Gefahr beim Sprechen/Singen über Jesus, wenn wir uns Jesus in verschiedenster Weise distanzlos als „Bruder“ oder gar als „Kumpel“ andienen?

Aussendung der Zwölf Apostel

(Bibeltexte: Mt 10,5-15;  Mk 6,7-13;  Lk 9,1-6)

Alle drei synoptischen Evangelien berichten von der Aussendung der Jünger (Schüler) als Apostel (Gesandte). Für diese Aussendung gibt es mehrere Gründe:

  • Jesu Dienstzeit in Galiläa nähert sich ihrem Ende – Jesus drängt darauf, dass alle galiläischen Städte und Dörfer mit der Frohen Botschaft erreicht werden.
  • Die relativ unerfahrenen Apostel müssen noch unter seiner Anleitung praktische Erfahrungen sammeln.
  • Das ganze Volk Gottes (zunächst die zwölf Stämme Israels Jes 49,1-6) sollen geistlich gesehen gesammelt und unter einem Hirten vereint werden. Ursprünglich war das Volk Gottes nach den Söhnen bzw. Enkeln Jakobs in 12 Stämme eingeteilt. Jesus wählte sich darum auch zwölf Apostel aus.[136] Allerdings kamen im 5. Jahrhundert im wesentlichen nur die Stämme Juda, teilweise Levi und Benjamin aus dem Exil nach Palästina zurück. Dennoch blieb die Zahl 12 – die symbolische Zahl für das ganze Volk Gottes zu dem Jesus sich gesandt weiß.

Jesus betont, dass die Jünger nicht auf die Straßen zu den Heiden gehen sollen, sondern zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel. Diese Bezeichnung finden wir schon in Jeremia 50,6:

„Mein Volk war eine verlorengehende Schafherde: ihre Hirten leiteten sie irre auf verführerische Berge. Sie gingen von Berg zu Hügel, vergaßen ihre Lagerstätte.“

„Und sie zerstreuten sich, weil sie ohne Hirten waren, und wurden allen Tieren des Feldes zum Fraß. So zerstreuten sich und irrten umher meine Schafe. Auf allen Bergen und auf jedem hohen Hügel und über das ganze Land hin sind meine Schafe zerstreut worden, und da ist niemand, der nach ihnen fragt, und niemand, der sie sucht. (Hes 34,5-6).

Dies macht deutlich, wie sehr Jesus daran gelegen ist, zuerst das alttestamentliche Gottes Volk geistlich zu sammeln, bevor er dann später zur Heidenmission aufruft (Mt 15,24; Jesaja 49,6; Mt 28,19). Gottes Plan sieht vor: …den Juden zuerst (dann) auch den Griechen (Röm 1,16). Jesus beschränkt die Aufgabe der Apostel auf jüdische Siedlungen in Palästina, wohl wissend dass es viele griechische und samaritische Orte in der Nachbarschaft gibt.

Die Namen der Apostel sind:

  1. Simon (Simeon) Petrus (Kephas), Sohn des Johannes (Jonas),
  2. Jakobus des Zebedäus Sohn,
  3. Johannes, Sohn des Zebedäus und Bruder des Jakobus,
  4. Andreas, Bruder des Simon Petrus,
  5. Philippus aus Betsaida,
  6. Bartholomäus (Nathanael aus Kana in Galiläa),
  7. Thomas, genannt Zwilling,
  8. Matthäus (Levi) der Zöllner,
  9. Jakobus der Sohn des Alphäus,
  10. Taddäus, (mit einem weiteren Namen `Judas`, er war Sohn des Jakobus),
  11. Simon der Kanaanäer (der Zelot, Eiferer),
  12. Judas, der Sohn von Simon Iskariot, der Verräter.

Sie alle wurden wohl mehrfach ausgesandt:

Mk 3,14 „Und er setzte zwölf ein, die er auch Apostel nannte, dass sie bei ihm sein sollten und dass er sie aussendete zu predigen

Lk 22,35 „Und er sprach zu ihnen: Als ich euch ausgesandt habe ohne Geldbeutel, ohne Tasche und ohne Schuhe, habt ihr da je Mangel gehabt? Sie sprachen: Niemals“.

Für den evangelistischen Reisedienst gab Jesus seinen Jüngern den Auftrag:

  • die GUTE NACHRICHT zu predigen ( hier: κηρύσσω kēryssō laut proklamieren, öffentlich bekanntmachen, predigen). Dazu gehört das Hingehen, das mutige Auftreten, das laute Reden/Verkünden. Dabei denken wir an die Predigt von Johannes. Die Jünger sollen rufen: „Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen;“
  • alle Arten von Krankheiten zu heilen; nach dem Motto ihr habt gesehen was ich tat, nun geht und setzt dies Werk fort;
  • Tote aufzuwecken, Aussätzige zu reinigen und
  • in Vollmacht unreine Geister (Dämonen) auszutreiben (Mt 10,1. 8).

Jesus gibt bei der Aussendung konkrete Anweisungen und Einschränkungen für ihren Reisedienst:

  • Keine Reisetasche,
  • Kein Gold, Silber, Kupfer (Geld) in den Gürteln,
  • Kein Brot, Lebensmittel,
  • Keinen Stab, (bei Markus jedoch – allein einen Stab – möglicherweise wurde diese Anweisung bei einer nicht erwähnten Aussendung gemacht)
  • Keine Schuhe, (nach Markus – aber Sandalen an euren Füßen – möglich, dass auch  diese Anweisung im Markusevangelium bei einer anderen, nicht erwähnten Aussendung gemacht wurde, vielleicht abhängig von der Jahreszeit.
  • Nicht zwei Hemden

Die Begründung dafür gibt er in Matthäus 10,10 mit den Worten: „Denn ein Arbeiter ist seiner Speise (Lohnes) wert. Die Jünger müssen so lernen täglich in völliger Abhängigkeit von Gott und Menschen zu leben. Jesus möchte sicher gehen, dass seine Jünger sich trennen von Gier, cleveren Geschäften im Zusammenhang mit dem Evangelium, Habsucht und jede Form des Geizes. Alles dürfen sie frei empfangen und alles dürfen sie frei weitergeben. Prediger der Guten Nachricht, die durch ihren Dienst zu relativem Reichtum und Besitz gelangen, sind nach den Worten von Jesus in sich selbst ein Paradoxon.

Wir können uns vorstellen, dass die Zweierteams in eine Ortschaft kommen. Dort predigen sie am Tor, an einer Straßenecke, auf einem Platz oder auf Einladung sogar in der Synagoge. Unter den Zuhörern werden die aufrichtig Interessierten bald zu finden sein. Interessant sind hier die weiteren präzisen Anweisungen von Jesus:

  • Forscht nach einem Haus für die Unterkunft, das άξιος axios wert, würdig, passend ist und kehrt dort ein (Mt 10.11f). Wahrscheinlich werden dies Menschen sein, die auf den Trost Israels (Luk 2,25) oder auf die Erlösung Jerusalems (Lk 2,38) warten.
  • Bleibt in diesem Haus solange, bis ihr weiterzieht. Das heißt, zieht nicht von Haus zu Haus, um überall die anfänglich große Gastfreundschaft auszunutzen.
  • Sprecht diesem Haus den Frieden zu. Dies war zwar die übliche Begrüßung (shalom alechem = Friede auf euch) doch die Jünger wünschen nicht nur Frieden – sie bringen den Frieden als Abgesandte des Messias Jesus Christus. Darunter können wir auch verstehen: macht dieses Haus zu eurem Hauptquartier und Brückenkopf in die Ortschaft hinein. Von diesem Haus aus soll die GUTE NACHRICHT in die anderen Häuser des Ortes gebracht werden, sodass auch dort der Friede von Jesus Raum gewinnt.
  • Sollte dieser Friede nicht gewünscht werden, d.h. sollten die Jünger nicht aufgenommen werden, so wird dieser Friede auch nicht aktiv wirksam sein können. Die Jünger sollen dann das Haus oder gar den Ort verlassen und den Staub des Ortes von ihren Füssen schütteln und weiterziehen. Diese Geste des Staubabschüttelns hatte sich damals bei gesetzestreuen Juden nach der Durchquerung eines griechischen Ortes eingebürgert. So wollten sie alle unreinen Partikel von sich werfen. Diese Geste nach dem Verlassen eines jüdischen Hauses oder einer jüdischen Ortschaft ist die starke Aussage: die Ablehnung der GUTEN NACHRICHT wird wie die rituelle Unreinheit der Heiden betrachtet.

So ziehen die Jünger als Apostel aus und predigen das Reich Gottes, Buße (Sinnesänderung), heilen die Kranken und befreien viele Menschen von unreinen Geistern. Wenn wir bedenken, dass sie als Zweierteams gleichzeitig an sechs verschiedenen Orten sein können, dann hätten sie bei einer Woche Aufenthalt an jedem Ort, in 6 Wochen insgesamt 36 Städte und Dörfer besucht. Wir können bei Jesus ein strategisches Vorgehen erkennen, darum ist vorstellbar, dass er sich auch mit seinen Jüngern abspricht, wohin die Zweierteams gehen und wo und wann sie sich wieder treffen würden. Jesus sieht die Annahme dieser Botschaft – aber auch die massive Ablehnung voraus. Das klassische und sehr bekannte Beispiel für eine himmelschreiende Bosheit sind für jeden Zeitgenossen der Apostel die untergegangenen Orte Sodom und Gomorra. Jesus sieht die Verantwortung für die evangeliums-resistenten Orte noch gravierender. Ihr Gericht wird noch schrecklicher als das Gericht über Sodom und Gomorra sein (Mt 10,15).

Fragen / Aufgaben:

 1. Wir fragen uns heute: Welche Anweisungen haben eine universale Gültigkeit und welche muss man in dem jeweiligen Kontext verstehen? Wir lesen u. a. Lk 10,7; 1Tim 5,18; 1Kor 9,14; Phil 4,16; Lk 22,26.

 2.  Warum sollten die Jünger zu zweit unterwegs sein?

  1. Warum sollten sie niemand grüßen auf dem Weg?
  1. Warum sollten sie nicht zu den Heiden gehen?
  1. Was sind Häuser des Friedens, die würdig sind, dass die Apostel in ihnen einkehren? (siehe Mt 10,13). Was sind heute „Häuser des Friedens; Männer/Frauen des Friedens die als Brückenköpfe für die Verbreitung des Evangeliums dienen können?
  1. Was sollten die Apostel tun?

Der Tod Johannes des Täufers

(Mt 14,1-12;  Mk 6,14-29)

Die Geburtstagsparty des Herodes Antipas wurde zum Todestag für Johannes den Täufer – welch eine Ironie! Herodes Antipas bekam die Herrschaft über Galiläa und Peräa und trug den Titel „Tetrarch“ Vierfürst, da er nur etwa den vierten Teil des Herrschaftsgebietes seines Vaters zugeteilt bekam. Wenn er gelegentlich mit dem hohen Titel König bezeichnet wird, so entsprach es keineswegs dem offiziellen römischen Standart (Lk 3,1ff), sondern eher dem Wunschdenken des Herrschers und seiner Anhänger. Manche Details aus dem Leben des Herodes’ sind uns vom jüdisch-römischen Geschichtsschreiber Josephus Flavius überliefert (Jüdische Altertümer 18).

Der Evangelist Markus schreibt:

Und es kam ein gelegener Tag, als Herodes an seinem Geburtstag ein Festmahl gab für seine Großen und die Obersten und die Vornehmsten von Galiläa. Da trat herein seine Tochter, die von Herodias, und tanzte, und sie gefiel Herodes und denen, die mit zu Tisch lagen. Da sprach der König zu dem Mädchen: Bitte von mir, was du willst, ich will dir’s geben. Und er schwor ihr feierlich: Was du von mir bittest, will ich dir geben, bis zur Hälfte meines Königreichs. Und sie ging hinaus und fragte ihre Mutter: Was soll ich bitten? Die sprach: Das Haupt Johannes des Täufers. Da ging sie sogleich eilig hinein zum König, bat ihn und sprach: Ich will, dass du mir gibst, jetzt gleich auf einer Schale, das Haupt Johannes des Täufers. Und der König wurde sehr betrübt. Doch wegen der Eide und derer, die mit zu Tisch lagen, wollte er sie nicht abweisen. Und alsbald schickte der König den Henker hin und befahl, das Haupt des Johannes herzubringen. Der ging hin und enthauptete ihn im Gefängnis und trug sein Haupt herbei auf einer Schale und gab’s dem Mädchen, und das Mädchen gab’s seiner Mutter. Und da das seine Jünger hörten, kamen sie und nahmen seinen Leichnam und legten ihn in ein Grab. (Mk 6,21-29; vgl. mit Mt 14,6-12).

Der zeitliche Aspekt

Die Dienstzeit des Johannes kann in drei Perioden unterteilt werden.

Die erste Dienstperiode beginnt mit dem Taufdienst am Jordan und geht bis zur Taufe von Jesus, verbumden mit dem öffentlichen Zeugnis über den Messias. Damit erreicht sein Dienst ihren Höhepunkt. Seine Aussagen über Jesus sind sein wichtigster und spezieller Auftrag, den er erfüllen sollte. Der Ap. Paulus unterstreicht dies in der Apostelgeschichte 13,25: „Als aber Johannes seinen Lauf (seinen Auftrag) erfüllte, sagte er: ich bin nicht der, den ihr vermutet …“. Die erste Dienstperiode könnte ein halbes Jahr gedauert haben, was dem Altersunterschied zu Jesus entspräche.

Die zweite Dienstperiode kann als die Periode des Abnehmens bezeichnet werden, wie er selber  sagte: „Jener (Jesus) muss wachsen, ich aber muss abnehmen.“ (Joh 3,30). Diese zweite Periode wird etwas weniger als ein Jahr (ca. zehn Monate) gedauert haben (Joh 3,23). Die erste Dienstperiode des Johannes (ein halbes Jahr) lehnt sich an den Altersunterschied zu Jesus an. Die zweite Dienstperiode des Johannes ist durch folgende Etappen im Paralleldienst von Jesus markiert. Wenn wir annehmen, dass Jesus etwa im Sommer des Jahres 29 n. Chr. getauft wurde, ging er nach sieben Wochen nach Galiläa, begann seinen Dienst und ging zum nächsten Passa (30 n. Chr.) hinauf nach Jerusalem (Joh 2-3). Danach ging er an den Jordan (Joh 4,1ff). Erst in dieser Zeit wird Johannes gefangen genommen (vgl. Joh 3,24 mit 4,3) und Jesus begibt sich wieder und nun schon zum zweiten Mal nach Galiläa, diesmal über Samarien. Dies geschah etwa Ende Mai, Anfang Juni des Jahres 30 n. Chr. (Joh 4,35). Daher lässt sich die zweite Dienstperiode des Johannes auf etwa zehn Monate berechnen.

Den dritten Abschnitt seines Dienstes, der mit etwa 1 ¾ Jahre auch der längste ist, verbringt er im Gefängnis. So fixieren wir den Tod des Johannes auf die Vorpassazeit des Jahres 32 n. Chr. (vgl. Joh 6,1ff mit Mt 14,12.13ff). Diese Zeitangabe ist ziemlich sicher, wenn angenommen wird, dass das nicht namentlich genannte Fest der Juden in Johannes 5,1 ein Passafest war.

Demnach dauerte die gesamte Dienstzeit des Täufers etwas mehr als drei Jahre.

Wo starb Johannes der Täufer?

Es kommen hauptsächlich drei Orte in Betracht. Sowohl Herodes der Große als auch sein Sohn Herodes Antipas hielten sich selten an einem Ort lange auf. Sephoris (etwa 6 km NNW von Nazaret) war die eigentliche Residenz des Vierfürsten. Die Stadt Tiberias am See Genesaret benutzte er als Winterresidenz wegen des milden Klimas. Auch die Landschaft Peräa gehörte zu seinem Herrschaftsgebiet, sie lag östlich des Jordan, gegenüber Jericho und erstreckte sich bis etwa zur Mitte des Ostufers vom Toten Meer. Im Süden grenzte Peräa an das Nabatäerreich. In Grenznähe lag die Festung Machärus. Welche Gründe sprechen für den Aufenthalt des Johannes im Gebiet von Peräa und welche für einen Gefängnisaufenthalt in Galiläa?

  1. Für Galiläa (Sephoris) spräche, dass hier die Hauptresidenz war. Dort konnte Herodes Antipas mit voller Macht und Pracht die große Geburtstagsfeier ausrichten, zu der er alle seine Großen einlud. Dort kann man sich die Anwesenheit von Herodias mit ihrer Tochter als selbstverständlich vorstellen. Was für die abgelegene Festung Machärus nicht so einfach gewesen wäre.
  2. Für Machärus spräche, dass Johannes am Ostufer des Jordan, also in Peräa mit seiner Tauftätigkeit begann und sie später in der Jordangegend fortsetzte. Also eine Tätigkeit oder Aufenthalt in Galiläa nicht ausdrücklich bezeugt ist. Da das Grenzgebiet zu den Nabatäern unruhig war musste Herodes sich oft in jener Gegend aufhalten.
  3. Für Tiberias, der Winterresidenz des Herrschers spräche, dass Johannes einige Wochen vor dem Passafest (also Februar) enthauptet wurde. In dieser Zeit konnte sich Herodes dort aufgehalten haben. Auch hierher hätten die vielen geladenen Gäste aus Galiläa keinen besonders weiten Weg gehabt.
  4. Abbildung 4: Das Gelände des Termalbades in Tiberias-Hamat. Seit Jahrtausenden sprudelt hier eine heiße Quelle. In dieser Gegend hatte Herodes Antipas seine Winterresidenz (Foto: 28. Januar 2019).

    In dieser Zeit konnte sich Herodes dort aufgehalten haben. Auch hierher hätten die meisten seiner geladenen Gäste binnen ein bis zwei Tagen kommen können.

    Wir ziehen das Gebiet von Galiläa (Sephoris oder noch eher Tiberias) aus folgenden Gründen der Festung Machärus vor. Der Ev. Markus betont, dass Herodes alle seine Edlen (die Großen, die Hauptleute über tausend und die Ersten von Galiläa) zu seinem Fest einlud (Mk 6,21). Für die meisten bedeutete dies höchstens ein bis zwei  Tagereisen. Die gesamte Elite von Galiläa nach Machärus (4-6 Tagereisen) einzuladen wäre wesentlich komplizierter gewesen. Dazu noch im Grenzgebiet zum verfeindeten Nabatäerreich ein großes Fest zu veranstalten scheint nicht so richtig zu passen. Tiberias befand sich nicht weit vom Jordantal entfernt, in dessen gesamter Gegend Johannes seine Tauftätigkeit ausübte (Lk 3,3).

    Das Reich nach Herodes dem Großen

    Das Reich nach Herodes dem Großen

    Herodes Archelaus, nach 6 Provinz Judäa

    Herodes Antipas

    Herod Philip II

    Salome I. (Jabneh, Azotas, Phaesalis)

    Römische Provinz Syria

    Unabhängige Städte (Dekapolis)

    Was war der Auslöser für den Tod von Johannes?

    Herodes lebt eine ungesetzliche Beziehung öffentlich aus. Diese Beziehung kann nicht als eine legitime Ehe bezeichnet werden, es war eher eine Ehebruchsbeziehung. Herodias war die Ehefrau von Philippus, dem Halbbruder des Herodes Antipas, der in Rom lebt. Herodes warb ihm dessen Frau anlässlich eines Rombesuchs ab. Herodias brachte dann ihre Tochter Salome in diese neue Beziehung mit.

    Herodes ruft häufiger Johannes zu sich, um ihn zu hören. Dabei kommt auch das Thema „Ehe“ zur Sprache. Johannes schmeichelt seinem Fürsten nicht, sondern tadelt dessen unverantwortlichen Lebensstil. Da am Fürstenhof kaum etwas verborgen bleibt, kommt dieser Gesprächsinhalt Herodias zu Ohren. Sie kann keine Kritik in dieser Hinsicht vertragen und entschließt sich das Problem nach der Sitte ihres Standes aus der Welt zu schaffen: das Todesurteil für Johannes wird beschlossen (Mk 6,19). Doch Johannes steht noch unter dem direkten Schutz ihres Lebenspartners. Herodes ist hin und her gerissen – die Texte lassen uns diese Labilität deutlich erkennen:

    • Er fürchtete (Ehrfurcht) Johannes, wissend, dass dieser ein gerechter und heiliger Mann war. Auch rief er ihn oftmals und hörte ihn gern (Mk 6,20),
    • Herodes schützte Johannes vor Herodias, die ihn gerne getötet hätte (Mk 6,19).
    • Er hätte ihn gern getötet, fürchtete jedoch das Volk (Mt 14,5),
    • Er war (sehr) traurig (betrübt) über die Forderung seiner Stieftochter (Mt 14,9; Mk 6,26).

    Die Unentschlossenheit des Herodes ist Teil des Plans der Herodias zur Beseitigung des unbequemen ‚Moralpredigers’ Johannes.

    In der fortgeschrittenen Feststimmung macht Herodes eine gefährliche Aussage, bzw. ein Versprechen an die tanzende Tochter der Herodias: Bitte von mir, was du willst, bis zur Hälfte meines Königreichs, ich will es dir geben (Mk 6,22-23). Das Versprechen war mit einem Eid bekräftigt worden und deshalb sah Herodes sich gebunden, sein Wort zu halten. Ungewöhnlich, wenn man seine Wankelmütigkeit im Vorfeld betrachtet! Jetzt zeigt er Charakterstärke, er will das Mädchen nicht enttäuschen. War er so verblendet, dass er die Intrige der Herodias nicht mehr durchschauen konnte? Dies ist jedoch unwahrscheinlich, war es doch nicht schwer zu erahnen, warum das Mädchen hinausging, dann aber eilends wieder hereinrannte und eine Bitte aussprach, die niemals von ihr selber hätte kommen können. Doch Sünde macht blind und schwach, sie trübt klares Denken und gerechtes Urteilsvermögen. Menschengunst tritt ins Zentrum und Gottesfurcht in den Hintergrund. Die Festgesellschaft des Herodes lässt sich die reichhaltigen Speisen und Getränke, natürlich auch Wein – gut schmecken. Angeheitert lassen sie sich durch Tänzerinnen weiter aufreizen. Meist haben diese Tänzerinnen keinen besonders guten Ruf – oft sind sie Sklavinnen. Der Auftritt eines Mitglieds des königlichen Hauses bei solch einem Fest ist ungewöhnlich – wir kommen nicht umhin zu vermuten, dass es sich um eine öffensichtliche Intrige der Herodias handelt. Skizzieren wir noch einmal die Reihenfolge des Geschehens. Der Ev. Matthäus schreibt kurz: „Und wie sie zuvor von ihrer Mutter angestiftet war, sprach sie: Gib mir hier auf einer Schale das Haupt Johannes des Täufers!“ Wann fand diese Anstiftung von Seitens der Mutter statt? Der Ev. Markus ergänzt und präzisiert: „Und sie ging hinaus und fragte ihre Mutter: Was soll ich bitten? Die sprach: Das Haupt Johannes des Täufers. Da ging sie sogleich eilig hinein zum König, bat ihn und sprach: Ich will, dass du mir gibst, jetzt gleich auf einer Schale, das Haupt Johannes des Täufers.“ Die bereits zuvor erfolgte Anstiftung von der Matthäus spricht, erfolgte nach dem klärenden Text des Markus während die Tochter zwischendurch bei ihrer Mutter draußen war. Wie gut, dass die Evangelisten sich auf diese Weise ergänzen und es uns erleichtern, die Vorgänge und Abläufe richtig einzuordnen.

    An dieser Stelle wollen wir folgender Frage nachgehen: Hätte Herodes sich von seiner, unter Eid ausgesprochenen Zusage an das Mädchen, wieder lösen können oder war er total an sein Versprechen gebunden? (lies dazu 3Mose 19,12; 4Mose 30,3).

    • Ein Eid konnte aufgelöst (bzw. musste nicht eingelöst) werden wenn es irgend eine Abweichung oder Veränderung im Verhalten der in den Eid einbezogenen Personen gegeben hätte (1Mose 24,8.41; Josua 2,14-20). Dies war bei Rebekka und Rahab nicht der Fall, wohl aber bei der Tochter der Herodias. Um eine Bitte zu formulieren, hatte sie ihre Mutter zu Rate gezogen, es war also nicht ihre eigene Bitte. Dies war eindeutig eine Abweichung  vom Wortlaut des Versprechens „Bitte von mir, was du willst, ich will dir’s geben. Und er schwor ihr feierlich: Was du von mir bittest“ (nicht deine Mutter). Lies dazu die Geschichte aus 1Könige 2,13-25). Dort verweigert der König Salomo seiner Mutter Bat Seba deren Fürbitte zugunsten Adonias, obwohl er ihr (auf seinem Thron sitzend) zusagte, sie mit ihrem Anliegen nicht zu beschämen. Allerdings hatte Salomo (wohl weislich) seiner Mutter die Zusage „sie nicht zu beschämen, nicht zu enttäuschen“ ohne Eid gemacht. Hier galt das Prinzip: Zur Abwendung eines größeren, ja, gravierenderen Übels kann und soll ein König seine Zusage zurücknehmen, bzw. entkräften.
    • Waren nicht auch die Berater des Vierfürsten in der Pflicht gewesen, damit Herodes nicht in weitere Blutschuld gerate? Lies die Geschichte aus 1Samuel 24,18-45: das Vplk (die Kriegsleute) lösen den Schwur von König Saul auf, zugunsten des Lebens von Jonatan.
    • Wenn der Eid inhaltlich gegen eins der schwerwiegenderen Gebote Gottes verstieß. Grundsätzlich galt das Gebot: „Töte nicht“ (2Mose 20,13), doch unter bestimmten Voraussetzungen wurde sogar nach Anweisung Gottes getötet (2Mose 21,12). Was von Gott absollut verboten war, seinen Zorn und Vergeltung hervorrief war – unschuldiges Blut zu vergießen (5Mose 19,10; 24,27; 27,25; 1Sam 25,31; 2Kön 21,16; Ps 94,21; Jer 26,15; Mt 23,35; Lk 11,51). Daher hätte Herodes das Leben eines unschuldigen Menschen seinem Worthalten (wenn auch unter Eid ausgesprochen) vorziehen können und müüssen. Sein Gesichtsverlusst und die Enttäuschung der Bittenden wogen unendlich mal weniger als das Leben eines gerechten und heiligen Mannes (Mk 6,20).

    Ein unüberlegtes Versprechen – wahrscheinlich im angetrunkenen Zustand – im Zusammenhang mit einer erotischen Darbietung führte Herodes in eine Falle. Wir werden später sehen, wie er gegen besseres Wissen, Jesus zu Pilatus zurückschickt, anstatt ihn frei zu lassen (was in seiner Vollmacht stand Lk 23,6-12).

    Herodes schickt den Scharfrichter (gr. Spekulator) ins Gefängnis und lässt dort Johannes enthaupten. So rächt sich Herodias an Johannes. Und was sagt Gott dazu? Schweigt er? Schaut er tatenlos zu oder weg? Lässt er zu, dass seine Propheten auf solch grausame Weise ihr Leben verlieren? Was empfand Johannes, als er ahnungslos von einigen Soldaten niedergestreckt wurde? Viele, ja die meisten Fragen bleiben hier unbeantwortet. Das Leben eines Propheten geopfert für eine blutige „Party-Überraschung“.

    Das heißt aber keineswegs, dass Gott tatenlos dem Treiben der ungerechten Herrscher zuschaut. Noch wenige Monate oder sogar Wochen vorher hatte sich Jesus klar und eindeutig vor dem Volk zu Johannes gestellt und seinen Freund mit einer persönlichen Botschaft ermutigt (Mt 11,4-19). Ja, das Zeugnis des Herrn lautete: „Er ist der Größte unter den Propheten“.

    In all dem Schrecklichen ist der treue Dienst der Jünger des Täufers bemerkenswert, die auch im Gefängnis ihn besuchen, und nach seiner Enthauptung seinen Leichnam ehrenvoll bestatten. Sie kommen später zu Jesus und berichten ihm das Geschehene (Mt 14,12). So starb Johannes der Täufer, der größte unter allen Propheten, der Glücklichste, weil er dem Messias den Weg vorbereiten konnte? Er sah das erlösende Lamm Gottes mit eigenen Augen und teilte mutig den Weg und das Los der Propheten: den Tod um des Reiches Gottes willen.

    Fragen / Aufgaben:

    1. Johannes, der Täufer, in welche drei Perioden kann seine Dienstzeit eingeteilt werden?
    2. Wie lange hatten diese Dienstperioden gedauert?
    3. Nenne einige persönliche Details aus dem Leben von Herodes, seinem Privatleben, seine religiöse Einstellung, seiner Herrschaft, seinem Charakter.
    4. Was war der Anlass des Todes von Johannes?
    5. Wie verliefen die Festgelage in den Herrscherhäusern jener Zeit?
    6. Wie stand es mit einem Versprechen unter Eid in Israel nach dem Gesetz?
    7. Ist Herodes ein Vorbild im Wort halten? Welche Praxis in Bezug auf das Schwören war unter den Juden zur Zeit von Jesus üblich? Lies dazu Mt 23,16-22.
    8. Konnte Herodes sich von seinem Versprechen unter Eid lösen? Hätte er anders handeln können oder sollen?
    9. Wo geht Jesus auf den Gedanken ein, dass unter gewissen Umständen das Gebot der Liebe und Barmherzigkeit einer anderen Verordnung (Gebot) vorzuziehen ist? Lies dazu Mt 12,1-10; Hosea 6,6; Joh 7,22-24.
    10. Beschreibe die Haltung von Jesus zu Johannes vor und nach dessen Enthauptung?
    11. Wie war das Los der meisten Propheten und wie steht Gott dazu?

Herodes sucht Jesus zu sehen

(Bibeltexte: Mt 14,1-2; Mk 6,14-16; Lk 9,7-9)

Der Ev. Lukas schreibt: „Es kam aber vor Herodes, den Landesfürsten (Vierfürsten), alles, was geschah; und er wurde unruhig, weil von einigen gesagt wurde: Johannes ist von den Toten auferstanden; von einigen aber: Elia ist erschienen; von andern aber: Einer von den alten Propheten ist auferstanden. Und Herodes sprach: Johannes, den habe ich enthauptet; wer ist aber dieser, über den ich solches höre? Und er begehrte ihn zu sehen.“ (Lk 9,7-9). Der Ev. Matthäus ergänzt, indem Herodes eine bestimmte Version des Volkes übernimmt und diese zu seiner eigenen Meinung umformuliert: „Zu der Zeit kam die Kunde von Jesus vor den Landesfürsten (Vierfürsten) Herodes. Und er sprach zu seinen Knechten: Das ist Johannes der Täufer; er ist von den Toten auferstanden, und darum wirken solche Kräfte in ihm.“ (Mt 14,1-2; ähnlich auch Mk 6,14-16). Herodes Antipas führt offiziell den Titel ´τετράρχης tetrarch¢sVierfürst´, er beherrscht in etwa den vierten Teil des Territoriums seines Vaters. Warum der Ev. Markus ihn mit dem Titel ´βασιλεύς basileus König´ nennt, ist nicht klar, es könnte seinem Wunschdenken entsprechen und beeinflusste auf diese Weise seine Untertanen, so dass es nach Jahrzehnten seiner Herrschaft im Volk zur Standartbezeichnung wurde.

Der Ev. Matthäus vermerkt (14,1), dass Herodes in jener Zeit mitbekommt, was Jesus tut. In jener ´Zeit´ (gr. καιρώ kairö) meint nicht einen genauen Zeitpunkt, sondern bezieht sich auf einen Zeitraum nach dem Tod von Johannes dem Täufer und in einer Zeit in dem die Inhalte und Ereignisse durch das Wirken von Jesus und seiner Jünger immer öffentlicher wurden. Trotzdem kann man in etwa an die Vorpassazeit des Jahres 32 n,Chr. denken (vgl. Mt 14,12-13 mit Joh 6,4). Wir können jedoch annehmen, dass schon früher allgemeine Informationen zu Herodes gelangten. So lesen wir in Markus 3,6: „Und die Pharisäer gingen hinaus und hielten alsbald Rat über ihn mit den Anhängern des Herodes, wie sie ihn umbrächten.“ Das griechische Wort `συμβούλιον symboulion`  weist auf die Beratung der Pharisäer mit Vertretern des Herodes hin. Die Initiative für ein Komplott geht in diesem Fall von den Pharisäern aus. Es erscheint uns unwahrscheinlich, dass die Vertreter/Beamten des Herodes eigenmächtig, ohne Wissen ihres Fürsten, ein Todesurteil über Jesus hätten fällen können. Hier wird mal wieder deutlich, dass sich die Religionsführer des Öfteren der weltlichen Macht bedienen, um ihre Ziele zu erreichen (Mt 27,2; Apg 13,50ff; 17,6ff; 18,12ff; 24,1ff). Herodes sah in Jesus (im Gegensatz zu seinem Vater) keinen Konkurrenten, wie die spätere Episode des Verhörs deutlich macht (Lk 23,8ff). Johannes der Täufer dagegen war ständig in seinem Blickfeld, weil jener ihn immer wieder auf seine unmoralische Lebensführung hinwies.

Nun aber ist der lästige Mahner nicht mehr da und Jesus ist im dritten Jahr seines Dienstes bereits so bekannt, dass immer mehr Nachrichten von und über seine Taten zum Vierfürsten durchdringen. Und nun wird Jesus und seine Jünger Gesprächsthema am Hof des Fürsten. Er stellt wohl auch laut die Frage: Wer ist dieser, von dem ich solches höre?“ Jetzt werden die verschiedenen Versionen, welche über die Person und Identität von Jesus kursieren gehört und analysiert. Der Ev. Lukas vermerkt, dass Herodes „in Verlegenheit geriet, unruhig wurde, weil von einigen gesagt wurde:

„Johannes der Täufer ist von den Toten auferstanden…“ (Lk 9,7).

Er ist Elia“ (Mk 6,15;  Lk 9,8;  Mal 3,23-24).

Er ist Jeremia“ (nur bei Mt 16,14).

Er ist ein Prophet wie einer der Propheten“ (Mk 6,15;  Lk 9,8).

Bis dahin hört sich Herodes die Meinungen der Leute an. Nun aber fängt er an zu überlegen: „Johannes, den habe ich enthauptet; wer ist aber dieser, über den ich solches höre“ (Lk 9,9). Dann entschließt er sich für die Version, welche ihm am meisten passt: „Das ist Johannes der Täufer; er ist von den Toten auferstanden, darum tut er solche Taten.“ (Mt 14,2; Mk 6,16). Warum entschließt er sich für diese Meinungsvariante? Warum sucht er nach einer Möglichkeit, um Jesus zu sehen, so der Ev. Lukas schreiben kann: „Und er begehrte (suchte) ihn zu sehen“ (Lk 9,9). Vielleicht hoffte er, sein belastetes Gewissen zu beruhigen, wenn er feststellt, dass Johannes wieder lebt? Ob er  bewusst an die Auferstehung der Toten glaubte, ist offen, doch äußerlich steht er der Auferstehungstheologie der Pharisäer nahe (Apg 23,8). Gibt es nicht auch heute Menschen, welche bestimmte theologische Standpunkte bejahen, aber ihr Leben ist voll von Selbstsucht, Wankelmütigkeit und Eitelkeit? Herodes hatte Johannes den Täufer nicht aus eigener Überzeugung enthaupten lassen. Er war wankelmütig und eitel. Nun blieb sein Suchen nach Jesus zunächst erfolglos, denn Jesus wollte keine Begegnung mit dem Landesfürsten. Es war die Zeit, in der er immer wieder weiter entferntere Gegenden aufsuchte.

Im weiteren Verlauf äußert Herodes noch zwei Mal Interesse an Jesus – wenn auch aus unlauteren Motiven (Lk 13,31-32; 23,7-12). Und so verweigert sich Jesus einem Menschen, der ihn aus unlauteren Motiven sucht zu sehen.

Fragen / Aufgaben:

  1. In welchen zeitlichen Zusammenhang fällt das Interesse des Herodes an Jesus?
  2. Wie bildeten sich damals Meinungen in Bezug auf die Person von Jesus?
  3. Welche Meinungen/Ansichten über die Person von Jesus gibt es heute? Was sagen wir, wer Jesus sei? Für wen halten wir ihn?
  4. Wie reagiert Herodes auf die Meinungen des Volkes und welche Meinung machte er sich zu seiner eigenen und warum?
  5. Warum suchte Jesus nicht den Kontakt zu dem Landesfürsten? Welche Vorteile haben Christen durch gute Beziehungen zu Regierungsbeamten und wo liegen die Gefahren?
  6. Was hältst du von den Aussagen: „Die Leute sagen, die Geschwister meinen …“? Aus welchen Quellen bilden wir unsere eigenen Meinungen und Standpunkte?
  7. Das Gewissen des Herodes ist belastet und entsprechend reagiert er. Zu welchen Überlegungen kann auch uns das schlechte/belastete Gewissen führen? Oder sind die Christen heute immer ehrlich?
  8. Wie sieht Machtmissbrauch in Gesellschaft, Familie und Gemeinde aus? Was ist Manipulation?
  9. Warum verweigert sich Jesus dem Herodes, sogar dann, als er vor jenen gestellt wird?

Die Ruhepause nach dem Missionsdienst der Jünger

(Bibeltexte: Mt 14,13a; Mk 6,30-32; Lk 9,10-11; Joh 6,1-4; 16-17)

Jesus befindet sich an einem bestimmten Ort in Seenähe. Die Rückkehr seiner Jünger und die Nachricht über den Tod von Johannes dem Täufer sind zeitlich ineinander verflochten. Gut möglich, dass es eine Absprache gegeben hatte bezüglich Zeit und Ort des Treffens. Ob gleichsam oder nach und nach treffen die Jünger bei Jesus ein.

Abbildung 5: Von Magdala aus reicht der Blick weit hinais auf den See: im Boot ist die Mannschat unter sich, weit weg vom Geschehen auf dem Land (Foto: 23. Januar 2019).

Der Ev. Markus schreibt dazu:

Und die Apostel kamen bei Jesus zusammen und verkündeten ihm alles, was sie getan und gelehrt hatten. Und er sprach zu ihnen: Geht ihr allein an eine einsame Stätte und ruht ein wenig. Denn es waren viele, die kamen und gingen, und sie hatten nicht Zeit genug zum Essen. Und sie fuhren in einem Boot an eine einsame Stätte für sich allein“ (Mk 6,30-32). Und der Ev. Lukas ergänzt: „Und die Apostel kamen zurück und erzählten Jesus, wie große Dinge sie getan hatten. Und er nahm sie zu sich und zog sich mit ihnen allein in eine Stadt zurück, die heißt Betsaida.“ (Lk 9,10).

Die zwölf Jünger (in diesem Zusammenhang werden sie Apostel genannt) kehren von ihrem mehrere Wochen dauerndem Missionseinsatz zurück (kommen bei Jesus zusammen) und berichten ihrem Lehrer alles, was sie während dieser Zeit getan und gelehrt hatten. Die Evangelisten nennen keine Details, doch wohl sind ihre Erfahrungen ähnlich gewesen wie die der 70, welche Jesus später aussandte (Lk 10,17). Jesus selbst ordnet seinen Jüngern eine Ruhepause an. Folgende Gründe werden dafür angegeben:

  • Sie sollten sich ein wenig ausruhen. Das griechische Verb ´ἀναπαύσασθε ὀλίγον – anapausesthe oligon` kann wörtlich mit `pausiert ein wenig` übersetzt werden (Mk 6,31).
  • Viele Menschen kamen mit ihren Anliegen und Fragen, so dass sie nicht einmal Zeit (Gelegenheit) hatten zu essen (Mk 6,31).
  • Die Nachricht vom Tod des Johannes fällt auch in diese Phase und wird auch als Grund für seinen Weggang genannt (Mt 14,12-13a).

Das Treffen mit den zurückgekehrten Jüngern fand wahrscheinlich am NW-Ufer des Sees statt. Alle drei synoptischen Evangelien berichten, dass Jesus zusammen mit seinen Jüngern in einem Boot weggefahren ist. Nach Matthäus und Markus steuern sie eine einsame Gegend an. Lukas nennt den Ort, wohin Jesus sich mit seinen Jüngern im Boot zurückzieht: Betsaida. Eine mögliche Erklärung für die unterschiedlichen Angaben kann sein, dass die Jünger während der Bootsfahrt aus bestimmten Gründen die Richtung änderten und so weiter östlich der Stadt Betsaida an Land gingen. Der Ort der darauffolgenden Brotvermehrung ist also weiter östlich von Betsaida zu suchen. Das Nordostufer war im Vergleich zum Nordwest- und Westufer wenig besiedelt. Nach Übereinstimmung aller vier Evangelisten fand die Speisung in der „Wüste“ statt. Das Wort Wüste hat jedoch auch die Bedeutung von „einsamer Ort“, „unbewohnte Gegend“ (Mt 14,13.15; Mk 6,31.32.35; Lk 9,12; Joh 6,1-14 u.a.).

Aber schon beim Ablegen am (Nordwestufer) merken sich viele Menschen die Richtung – so berichtet es der Ev. Markus. Man sieht vom Ufer weit auf den See hinaus. Viele Menschen beeilen sich daher zu Fuß am Nordufer entlang in Richtung Osten zu gehen. Einige kommen sogar vor dem Jünger-Team ans andere Ufer. Während der relativ ‚langsamen’ Bootsfahrt (es war Frühling – Vorpassazeit Joh 6,4) können sich Jesus und seine Jünger nicht nur ausruhen, sondern auch die Erlebnisse der letzten Wochen und Tage in aller Ruhe reflektieren. Wer einmal mit einem Ruder oder Segelboot (ohne Motor) unterwegs war weiß, wie erholsam solch eine Fahrt sein kann (Nachahmung empfohlen). Nach dem Landgang steigt Jesus mit seinen Jüngern auf einen nahe gelegenen Berg (Hügel) und setzte sich dort (Joh 6,3). Auch der Ev. Johannes berichtet: „Danach ging Jesus weg ans andre Ufer des Galiläischen Meeres, das auch See von Tiberias heißt. Und es zog ihm viel Volk nach, weil sie die Zeichen sahen, die er an den Kranken tat. Jesus aber ging hinauf auf einen Berg und setzte sich dort mit seinen Jüngern. Es war aber kurz vor dem Passa, dem Fest der Juden.“ (Joh 6,1-4). Aus Johannes 6,16-17 geht eindeutig hervor, dass die Jünger mit dem Boot unterwegs waren.

Fragen Aufgaben:

  1. Warum legt Jesus Wert auf Ruhepausen und wie werden sie begründet? Welche Arbeit oder Aufgaben strengen dich an und machen dich müde?
  2. Wohin zieht sich Jesus mit seinen Jüngern zurück? Hast du schon mal eine Bootsfahrt gemacht auf ruhiger See?
  3. Wie erleben die Jünger diese Zeit des Rückzugs in die Stille? Wie gestaltest du deine Ruhepausen, deinen Urlaub?
  4. Wie lange können Jesus und die Jünger unter sich bleiben? Musstest du auch mal unerwartet deinen Liegestuhl im Garten verlassen oder gar deinen Urlaub abbrechen?
  5. Achtung! Je bewusster und aktiver wir unsere Ruhepausen (Urlaub) gestalten, um so erholter und fähiger kehren wir zu unseren täglichen und regulären Aufgaben zurück.

Jesus speist die Fünftausend (+Frauen und Kinder)

(Bibeltexte: Mt 14,13b-21; Mk 6,33-44; Lk 9,11-17; Joh 6,2-15)

Zweimal hat Jesus eine große Menschenmenge mit Brot und Fisch gespeist. Bei der ersten Speisung waren es ungefähr 5000 Männer. Man könnte demnach noch einige Tausend Menschen hinzurechnen. Es war nicht üblich in Israel, dass Frauen und Kinder bei Zählungen mitgerechnet wurden (2Mose 12,37). Beim zweiten Mal waren es ungefähr 4000 Männer ohne Frauen und Kinder (Mt 15,29-39; Mk 8,1-10). In Matthäus 16,6-12 und Markus 8,17-21.nimmt Jesus noch einmal Bezug auf beide Wunder/Zeichen.

Im Vordergrund der Geschichte steht die Stillung des natürlichen Bedürfnisses – der Hunger der vielen Menschen. Neben diesen mehr äußerlichen Details werden uns besonders die geistliche Botschaft und die Bedeutung dieses Zeichens beschäftigen.

Der Ort der ersten Brotvermehrung

Der Ev. Johannes schreibt: „Danach fuhr Jesus weg über das Galiläische Meer, das auch See von Tiberias heißtUnd es zog ihm viel Volk nach, weil sie die Zeichen sahen, die er an den Kranken tat.“ (Joh 6,1-2) (Joh 6,1-2).

Abbildung 7 Der Nordostabsschnitt des Sees vom sogenannten Berg der Seligpreisungen aus gesehen. Bethsaida lag zur Zeit Jesu westlich der Jordanmündung, also noch in Galiläa. Heute liegen die Ruinenreste von Bethsaida  östlich des Jordan, weil der Fluss im Mündungsbereich seinen Lauf geändert hat. Das dahinter liegende Land im Nordosten des Sees war auch schon im Altertum wenig besiedelt (Foto: Juli 1994)

Jesus befand sich vor der Abfahrt irgendwo am Nordwestufer des Sees, entweder in Kapernaum oder westlich davon. Viele Menschen, die das Wunder der Brotvermehrung erlebten, waren Bürger aus der Stadt Kapernaum, so die Hinweise aus Johannes 6,24.59. Das Volk, welches ihm daraufhin nachfolgte, war nicht mit Booten, sondern zu Fuß unterwegs. Das heißt, sie gingen am Ufer entlang in die gleiche Richtung, wohin auch das Boot mit Jesus fuhr, so die Bemerkung des Ev. Matthäus: „Und als das Volk das hörte, folgte es ihm zu Fuß aus den Städten.“ (Mt 14,13). Der Ev. Markus ergänzt: „Und man sah sie wegfahren, und viele hörten es und liefen aus allen Städten zu Fuß dorthin zusammen und kamen ihnen zuvor.“ (Mk 6,31-33). Die Menschen hatten eine gute Übersicht über den See und die Richtung, in welcher das Boot mit Jesus fuhr. Sie machten sich also zu Fuß auf den Weg und viele von ihnen kamen dort vor Jesus an. Der Ev. Lukas nennt den Ort in dessen Nähe dieses Speisungswunder geschah: „Und er (Jesus) nahm sie zu sich und zog sich mit ihnen allein in eine Stadt zurück, die heißt Betsaida..“ (Lk 9,10). Die Evangelisten betonen, dass es ein einsamer Ort, bzw. unbewohnte Gegend war, in der Jesus das Volk speiste. Aus all diesen Hinweisen können wir mit einiger Sicherheit sagen, dass sich der Ort der Brot- und Fischvermehrung in der Gegend südöstlich von Bethsaida befand. Dies wäre in der Trachonitis, also im Herrschaftsgebiet des Herodes Philippus (Lk 3,1; vgl. dazu auch Joh 6,16).

Abbildung 8 Das Mosaik mit Brot und Fisch in der Kapelle bei Tabgha, westlich von Kapernaum gelegen. Es oll an die wunderbare Brot- und Fischvermehrung für die 5000 erinnern (Foto: April 1986).

Bereits im 4./5. Jh. entstand eine Tradition, der zufolge die Brot- und Fischvermehrung für die 5000 am Nordwestufer des Sees stattgefunden haben soll. Dort wurde über den Resten frühchristlicher Bauten eine neue Kirche erbaut. Seit 1888 gehört das Gelände der Deutschen Katholischen Palästinamission. Für die Verlegung der Tradtion vom Nordostufer auf das Nordwestufer könnten folgende Gründe angeführt werden:

  • Unzureichende Textkenntnisse der Evangelienberichte.
  • Der Bau einer Kirche mitten im Niemandsland in unbewohnter Gegend wäre aufwendig gewesen.
  • Praktische Überlegungen in Bezug auf die Pilger, welche mit dem beginnenden 4. Jh. vermehrt nach Palästina strömten, um die Stätten, die mit dem Wirken von Jesus in Verbindung gebracht wurden, aufzusuchen. So wurde hier in unmittelbarer Nähe zu Kapernaum, Tabgha, dem Berg der Seligpreisungen, auch der Brotvermehrungstradition ein Denkmal gestiftet. Auf dem Weg ans Nordostufer musste man das Joprdandelta überqueren oder die weiter oben gelegene Brücke benutzen. So ähnlich geschah es auch mit der Taufstelle von Jesus, die in den späteren Jahrhunderten auf das Westufer des unteren Jordan verlegt wurde (Siehe 3. Kapitel, Abschnitt: „Die Taufe von Jesus im Jordan“).

Die zeitliche Einordnung

Nach Johannes 2,13 und 5,1(?) war Jesus bereits zweimal in Jerusalem beim jährlichen Passafest gewesen. Nach Johannes 6,4 stand das seit Beginn der Wirksamkeit von Jesus (dritte ?) jüdische Passafest kurz bevor, d.h. Jesus wirkte bereits etwa 2 ¾ (2 ¼) Jahre. Vor ihm lag also noch ein Jahr des Dienstes. Übrigens sagt Johannes nichts über den dritten Passabesuch von Jesus (Joh 6,4). Es ist durchaus möglich, dass er zu diesem Passa nicht gegangen ist, sondern erst im Herbst zum Laubhüttenfest (Joh 7,1ff). Jesus begann mit seiner Wirksamkeit etwa im Sommer 29 des 1. Jh.. Im Jahr 32 fiel der 14. Nisan auf Montag den 14. April. Das Speisungswunder hatte damit etwa Ende März, Anfang April stattgefunden.

Die Details des Wunders

Bei der Schilderung des Speisungswunders ergänzen sich die Evangelisten, so dass die folgende Reihenfolge der Geschehnisse vorstellbar wäre:

  • Jesus steigt mit seinen Jüngern am Nordostufer des Sees aus dem Boot. Doch bereits davor konnte man Menschen sehen, die am Nordostufer entlang gingen. Eigentlich wollte er sich mit seinen Jüngern an einem einsamen Ort ein wenig ausruhen. Doch er nimmt die vielen Menschen wahr, die zu Fuß zu ihm geeilt waren. Einige sind bereits schon da und erwarten ihn. Er geht auf den nahe gelegenen Berg/Anhöhe (Joh 6,3) und setzt sich dort mit seinen Jüngern.
  • Er beobachtet, wie viele Menschen sich ihm nahen und empfindet Erbarmen mit ihnen. Für ihn sind sie wie Schafe, die keinen Hirten haben (Mt 14,14b; Mk 6,34b).
  • Er heißt sie willkommen (Lk 9,11a).
  • In einer langen Lehreinheit spricht er zu ihnen über das Reich Gottes und heilt Kranke (Lk 9,11b; Mk 6,34c).
  • Mittlerweile ist es schon spät geworden (Lk 9,12a; Mk 6,35a). Matthäus beschreibt den Zeitpunkt des Herantretens der Jünger zu Jesus: „Als es aber schon Abend geworden war (…)“ (Mt 14,15a). Der Ev. Johannes, nennt den Zeitpunkt des Abschlusses des Mahls: „Als es aber Abend geworden war, gingen seine Jünger hinab an den See.“ (Joh. 6,16).
  • Der lichte Tag endet nach damaliger Auffassung mit dem Sonnenuntergang, um diese Jahreszeit ist dies etwa 18.30-19 Uhr.
  • Matthäus berichtet, dass die Zwölf mit der Bitte zu Jesus kommen, die Menschen doch zu entlassen, damit sie in die nahe gelegenen Orte gehen könnten, um sich Speise zu kaufen (Mt 14,15; Mk 6,35-36; Lk. 9,12).
  • Jesus entgegnet ihnen: „Es ist nicht nötig, dass sie hingehen, gebt ihr ihnen zu essen“ (Mt 14,16; Mk 6,37a; Lk 9,13a).
  • Jesus fragt Philippus, der aus dem benachbarten Bethsaida stammte (Joh 6,5; 1,44; 12,21): „Woher sollen wir Brote kaufen, damit diese essen können“? „Aber dies sagte er, um ihn zu versuchen (prüfen), denn er wusste, was er tun wollte“ (Joh 6,6).
  • Nun ist Philippus der weitere Sprecher der Jünger, obwohl es heißt, dass sie sich alle am Gespräch beteiligten.
  • In Lukas 9,13 stellen zunächst alle die Frage: „sollen wir denn hingehen und für diese alle Brot kaufen“?

Philippus argumentiert (Joh 6,7): „Für zweihundert Denare Brote reichen nicht für sie hin, dass jeder auch nur ein wenig bekomme“. Ein ´δημαριος – d¢narios – Denarius/Denar/Dinar (röm. Währung) entsprach dem Tageslohn eines Tagelöhners (Mt 20,2. 9). Zweihundert Tageslöhne (bei Leiharbeiter) würden heute (pro Tag 60,- €) ca. 12.000 € ausmachen. Ein Kilo Brot kostet heute zwischen 2,50 bis 4,00 €. Demnach könnte man heute für zweihundert Tageslöhne rund 4000 kg Brot kaufen. Laut Berechnung der Jünger konnte man damals für zweihundert Denare bei weitem nicht so viele Brote kaufen, dass ein jeder nur ein wenig davon bekommen hätte. An der Berechnung und vorläufigen Aussage haben alle teilgenommen (Mk 6,37;  Lk 9,13b).

  • Jesus fragt sie: „Wie viele Brote habt ihr hier, geht hin und erkundigt euch“ (Mk 6,38).
  • Nach der Erkundigung übernimmt das Wort Andreas, der Bruder des Simon Petrus: „Es ist ein Junge hier, der hat fünf Gerstenbrote und zwei Fische, aber was ist dies für so viele“ (Joh 6,9; siehe Mt 14,17;  Mk 6,38b)? Rechnet man pro Person etwa ein ½ kg Brot, dann sind die fünf Brote von Jesus mehr als tausendfach vermehrt worden. Die griechische Bezeichnung `’παιδάριον – paidarion`  meint einen kleinen Jungen zwischen acht und zehn Jahren.
  • Jesus aber sagt: „Lasst die Leute sich lagern auf das Gras“ (Joh 6,10a). Ende März ist noch Regenzeit in Israel. Darum ist besonders diese Region rund um den See Gennesaret mit einem grünen Grasteppich und bunten Feldblumen übersät. Fern vom Lärm der Städte, mitten in Gottes wunderschöner Natur erleben Tausende durch den Dienst von Jesus und seinen Jüngern Erquickung an Leib und Seele. Lukas ergänzt: „In Gruppen zu je fünfzig“ (Lk 9,15). Markus präzisiert: „In Gruppen zu je hundert und je fünfzig“ (Mk 6,40). Jesus legt also großen Wert auf Ordnung durch Übersicht.
  • Jesus dankt (Joh 6,11) segnet das Brot und die Fische (Mt 14,19; Mk 6,41; Lk 9,16), bricht sie, gibt sie den Jüngern und diese teilen alles aus.
  • Nach dem Essen ordnet Jesus an, dass die übrigen Brocken eingesammelt werden. Der Vergleich von Mt 15,27 mit 14,20 macht deutlich, dass hier die übriggebliebenen Brocken gemeint sind,- gr.´κλάσματων – klasmaton´, nicht ´Brohsamen gr. ´πσιχιων – psichion´.Zwölf Körbe voll mit Resten bleiben übrig (Mt 14,20; Mk 6,43; Lk 9,17; Joh 6,13). Die griechische Bezeichnung `κόφινοςkophinos` für Handkorb, nutzte man in Galiläa. Dagegen bezeichnete man diese Art von Körben im Osten des Sees `σπύρις – spyris`, was bei der Speisung der viertausend eine Bedeutung hat (Mk8,8). Diese Zahl Zwölf kann man zunächst als einen Hinweis auf die zwölf Stämme Israels verstehen, welche Jesus auf eine neue und geistliche Weise zusammenführen wollte (Mt 15,24). Vielleicht auch auf die zwölf Apostel des Herrn, sozusagen, jeder hatte am Ende einen Korb in der Hand, was aus einer vorhergehenden Aussage von Jesus „gebt ihr ihnen zu essen“ abzuleiten wäre. Alle vier Evangelisten verstehen dies wohl als einen besonderen Hinweis darauf, dass mit Jesus die geistliche Sammlung des Gottes Volkes beginnt (siehe auch Jes 49,6).

Die Bedeutung des Speisungswunders

Wie wir bereits bei dem Wasser/Wein-Wunder gesehen haben, deutet auch die Brotvermehrung zeichenhaft auf den Messias hin. „Als die Menschen das Zeichen sahen, sprachen sie: „Dies ist wahrlich der Prophet, der in die Welt kommen soll.“ (Joh 6,14). Das griechische Wort `shmei/on s¢meion` übersetzen wir als Hinweis. Die Taten von Jesus weisen darauf hin, dass er der von Gott gesandte Gesalbte/Messias ist. Die Menschen erkennen in Jesus den von Gott durch Mose verheißenen Propheten. Dies kann ein Anklang an 5Mose 18,15 sein: „Einen Propheten wie mich wird dir der HERR, dein Gott, aus deiner Mitte, aus deinen Brüdern, erstehen lassen“. Doch wie setzen die Menschen ihre Erkenntnis um? Es folgt eine politische Reaktion der Masse – sie wollen Jesus zu ihrem (Gegen-) König machen. Doch Jesus weicht dieser menschlichen Ehre und Verantwortung aus. Er ist nicht an einem irdischen Königreich interessiert – er will auch mit keinem politischen Würdenträger verglichen werden – auch mit keinem Revolutionsführer.

Jesus gibt der Menge reichlich Brot zum Leben, Darüber hinaus ist er in Person das Brot des Lebens (Joh 6,33-35) – was für eine überreiche Gabe!

Fragen / Aufgaben:

  1. Durch welche Zeitangaben im Johannesevangelium lässt sich das Speisungswunder im Leben von Jesus einordnen und zu welcher Jahreszeit fand es statt?
  2. Wo fand diese Speisung statt? Aufgrund welcher Textaussagen können wir den ungefähren Ort, bzw. Gegend des Geschehens feststellen?
  3. Wer waren die vielen Menschen, woher kamen sie? Warum wurden damals die Frauen und Kinder nicht mitgezählt?
  4. An welche alttestamentlichen Geschichten erinnert uns diese Brotvermehrung (2Mose 16,31; 5Mose 8,3.16; 1Kön 17,12-16)?
  5. Was steht im Vordergrund, wenn Jesus Menschen dient?
  6. Was beschäftigte die Jünger gegen Abend in erster Linie?
  7. Welche Jünger von Jesus werden in Johannes 6 namentlich genannt?
  8. Was denken wir über den nicht namentlich genannte Jungen mit seinen fünf Broten und zwei Fischen?
  9. Löse die Rechenaufgaben in dieser Geschichte. Wie viele Gerstenbrote hätte man gebraucht, wie viel Geld wäre dafür nötig gewesen? Wie viel Brot stand am Ende dem Einzelnen zur Verfügung?
  10. Warum legt Jesus so großen Wert auf Sitzordnung und sorgfältigen Umgang mit Übriggebliebenem, was bedeutet es heute für uns?
  11. Wie viele Körbe mit Brocken wurden aufgehoben und auf was könnten sie hindeuten?
  12. Wozu dienen die Wunder von Jesus, welchen Zweck erfüllen sie?
  13. Wo nimmt Jesus noch Bezug auf das Brot? Welche geistliche Bedeutung kommt dem Brot zu?
  14. Warum lehnt Jesus ein politisches Amt ab? (selbst die Ehrenbezeichnung!)
  15. Wie schließt Jesus diese Tagesversammlung ab?

Jesus kommt zu seinen Jüngern auf dem See

(Mt 14,22-33; Mk 6,45-52; Joh 6,16-21)

Nach dem reichlichen Mahl befiehlt Jesus die übrigen Brocken in Körbe zu sammeln. Danach drängt Jesus seine Jünger ins Boot zu steigen und vor ihm nach Betsaida hinüber zu fahren (Mk 6,45). Anschließend entlässt er das Volk, bzw. verabschiedet sich von ihnen und steigt auf einen Berg um allein zu beten. Er hat das dringende Bedürfnis allein mit seinem Vater Gemeinschaft im Gebet zu pflegen.

In der Nacht sieht Jesus in seinem Geist, wie sich die Jünger auf dem Wasser abmühen, denn der Wind bläst ihnen ungünstig entgegen (Mk 6,48). Nach Mt 14,24 sind sie schon viele Stadien vom Land entfernt. Johannes gibt die Entfernung mit 25-30 Stadien[151] an (Joh 6,19), das sind etwa 4,6-5,5 km. Der See Gennesaret misst an seiner breitesten Stelle ca. 12 km. Zwischen 3 und 6 Uhr morgens (in der vierten Nachtwache Mk 6,48) kommt Jesus zu den Jüngern und stellt sich, als wollte er vorübergehen (Mk 6,49). Im griechischen Text steht: „als sie aber etwa fünfundzwanzig oder dreißig Stadien gerudert hatten“, kommt Jesus auf sie zu – auf dem Wasser. Der stürmische Westwind erschwerte das Vorankommen so stark, dass sie für die 5,5 km 8-9 Stunden[152] benötigten.

Die Jünger sehen Jesus, doch erkennen ihn nicht. So schreien sie vor Furcht, in der Annahme, es sei ein Gespenst: fa,ntasma – phantasma. Auch in den meisten europäischen Sprachen verbindet man mit diesem Wort etwas, was der Fantasie der Menschen entspringt: ein irreales Gebilde oder eine fantasievolle Vorstellung welche den Menschen Schrecken einjagt. Dahinter kann sich auch eine Variante von Aberglauben verbergen.

Man stelle sich in aller Ruhe mal die Situation vor: zwölf starke Männer – einige von ihnen erfahrene Fischer – geraten in solch eine Panik, dass sie vor Furcht schreien. Die übermäßige Anstrengung beim Rudern führte zur physischen Erschöpfung, das Sehen von etwas Ungewöhnlichem, nie Dagewesenem (ein Mensch geht auf dem Wasser) führt zum Erschrecken und Panik (Schreien). Nach alten heidnischen Vorstellungen bedeutet eine stürmische See zugleich einen zornigen Gott z. B. einen zornigen Poseidon, der mit Strafe oder Rache Menschen verfolgt (Vgl. auch Jona 1,5). Doch Jesus lehrt seine Jünger sich in einem Sturm nicht zu fürchten. Wer auf Befehl oder Anordnung Gottes in seinem alltäglichen oft auch gefährlichen Dienst steht, kann sicher sein, dass Gott ihm nahe ist und nicht die Dämonen.

Auf diese Weise befreit Jesus seine Jünger von Aberglauben und lehrt sie mit äußerst schwierigen Situationen richtig umzugehen. Panik und Furcht sind keineswegs hilfreiche Begleiter in Stresssituationen, sondern der Glaube an den gegenwärtigen Herrn. Die Verlegenheit des Menschen ist meistens Gottes Gelegenheit zum ungewöhnlichen Eingreifen. Jesus lässt seine Jünger nicht lange im Ungewissen: „Ich bin’s! Fürchtet euch nicht!“, ruft er ihnen zu.

Fragen:

  1. Warum befielt Jesus seinen Jüngern allein im Boot wegzufahren? Weiß er nicht, dass sie in der Nacht in große Not geraten werden?
  1. Warum gönnt Gott (der die Macht hat über Winde und Stürme) den Jüngern keine romantische Bootsfahrt bei Nacht?
  1. Woher haben die Jünger die Vorstellung von einem Gespenst?
  1. Was für ein Ziel verfolgt Jesus mit seiner Zurückhaltung (nicht früher zu Hilfe zu kommen)?

Petrus geht auf dem Wasser

(Mt 14,28-33)

Nur Matthäus hat diese einmalige Episode schriftlich festgehalten. Viele seiner Leser in Palästina konnten sich noch gut an die wundersame und wunderbare Brotvermehrung erinnern. Für diese Leser ist der Bericht über die besondere Erfahrung des Petrus nachts auf dem See wichtig und glaubensstärkend.

Wie schon so oft und auch bei späteren Gelegenheiten ist es Petrus, der wieder einmal etwas Besonderes sagt, fragt, oder wie hier eine ungewöhnliche Idee hat. Kaum hat Jesus seine Jünger im Boot mit den Worten: „Ich bin’s! Fürchtet euch nicht“ beruhigt, da meldet sich schon Petrus zu Wort: „Herr, wenn du es bist, so heiß mich zu dir kommen auf dem Wasser“. Man bedenke dabei, es stürmt unvermindert weiter und die Wellen schlagen ins Boot.

Anhand folgender Fragen wollen wir diese besondere Episode mit Petrus detaillierter betrachten:

Fragen:

  1. Wie kam Petrus auf solch eine Idee?
  1. Wie lange hielt das Wasser Petrus aus? Wie lange oder wie weit ging Petrus auf dem Wasser?
  1. Wann begann er zu sinken?
  1. Warum ruft er: „Herr, rette mich“ – konnte er nicht schwimmen?
  1. Wie reagiert Jesus auf den Hilferuf von Petrus? Was tut er, was sagt er?
  1. Was bedeutet Kleinglaube? Gibt es auch einen großen Glauben oder einen mittleren?
  1. Was ist Zweifeln? Wie werden Zweifel formuliert, wie klingt die Stimme, wenn man zweifelt? Was drücken Zweifel aus?
  1. Welche Folgen haben Zweifel?
  1. Was lernen wir über den Charakter des Petrus? Wer unter uns hat einen ähnlichen Charakter? Hättest du gerne auch solchen Charakter wie Petrus, oder bist du mit deinem zufrieden?
  1. Ging Petrus wieder auf dem Wasser, nachdem Jesus ihn herausgerettet hatte?
  1. Als Jesus zusammen mit Petrus ins Boot steigt, legt sich der Wind. Wenn Jesus mit uns im Lebensboot unterwegs ist, ist es dann immer windstill?
  2. Wie reagieren die

Jesus lehrt in der Synagoge von Kapernaum

(Bibeltext: Joh 6,22-65)

Der Zusammenhang zwischen der Brotvermehrung und der Rede über das Brot des Lebens

Nach dem Text des Ev. Markus, ordnet Jesus seinen Jüngern an ins Boot zu steigen und vor ihm nach Bethsaida zu fahren (Mk 6,53-56), Doch dort kamen sie, warum auch immer, nicht an. Nach dem Text des Ev. Matthäus, gehen die Jünger, bereits mit Jesus im Boot, am nächsten Morgen in Gennesaret an Land (Mt 14,34-36, – gemeint ist wahrscheinlich die Gegend im Nordwesten des Sees). Doch letztlich landeten sie in Kapernaum, wie der Ev. Johannes berichtet (Joh 6,24-25.59).

Viele vom Volk, die jenseits des Sees durch die Danksagung des Herrn satt geworden waren, übernachteten dort im Freien. Noch am Abend haben sie beobachtet, dass die Jünger ohne Jesus ins Boot gestiegen und abgefahren waren (Joh 6,22-24). Am nächsten Morgen kamen weitere Boote aus Tiberias und legten in der Nähe der Stelle am Ostufer an.

Abbildung 11 Unten am Ufer von Tiberias-Stadt. Der Wasserspiegel könnte mindestens 4 Meter höher sein. Ein Fischerboot mit einigen Fischern schaukelt unweit des Ufers (Foto: 30. Januar 2019).

Diese unscheinbare Bemerkung ist ein deutlicher Hinweis auf einen regen Boots- und Schiffsverkehr auf dem See zur Zeit von Jesus. Tiberias, am Westufer des Sees gelegen, war die Winterresidenz des Vierfürsten Herodes Antipas.

Viele Menschen erlebten für sich oder ihnen Nahestehenden umfassende Zuwendung durch Jesus – Heilung von körperlichen Gebrechen, Lehre vom Reich Gottes und am Ende der Versammlung eine sättigende Mahlzeit mit Brot und Fisch. Doch, das Einzige, was vom Messias Gottes an jenem Tag (zumindest von Einigen) erkannt wurde war, dass es sich um den Propheten aus 5Mose 18,15 handeln könnte, der in die Welt kommen soll. Und als sie am Morgen Jesus nicht fanden, stiegen sie in Boote und fuhren hinüber nach Kapernaum. Dort suchten sie Jesus und fanden ihn in der Synagoge lehrend.

 Jesus ist das vom Himmel gekommene Brot des ewigen Lebens

Dieser lange Lehrabschnitt ist gekennzeichnet durch Fragen und Antworten. Eine nicht untypische Lehrart im Judentum. Sowohl die Fragen als auch die Antworten sind spontan. Das Ganze fand in der Synagoge zu Kapernaum statt.

Erste Frage der Juden:Und als sie ihn fanden am andern Ufer des Meeres, fragten sie ihn: Rabbi, wann bist du hierhergekommen“? (Joh 6,25). Was sie mit ihrer Frage eigentlich meinen, erfahren wir erst aus der Erklärung von Jesus. Denn hinter ihrer Frage, die nach Neugier aussieht, verbirgt sich das Begehren nach ständiger materieller Versorgung. Daher geht Jesus nicht auf den oberflächlichen Wortlaut ihrer Frage ein, sondern deckt die wahren Absichten und Gedanken ihres Herzens auf.

Antwort von Jesus: „Jesus antwortete ihnen und sprach: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ihr sucht mich nicht, weil ihr Zeichen gesehen habt, sondern weil ihr von dem Brot gegessen habt und satt geworden seid.“ (Joh 6,26). Jesus ist die Wahrheit in Person und er liebt und fördert die Wahrhaftigkeit bei den Menschen. Die Fragesteller müssen überrascht gewesen sein über diese schonungslose Offenlegung ihrer eigentlichen Absichten. Sie wollten nur die natürlichen Vorteile, nicht aber den Geber (Menschensohn) mit  seinem geistlichen Angebot. Sie wollten ihn für ihre Bedürfnisse und ihre Zwecke einspannen, ja, einen König nach ihrer Vorstellung könnten sie gebrauchen, der sie umfassend versorgt und äußere Sicherheit gibt.

Aufforderung von Jesus: „Müht euch nicht um Speise, die vergänglich ist, sondern um Speise, die da bleibt zum ewigen Leben. Dies wird euch der Menschensohn geben; denn auf ihm ist das Siegel Gottes des Vaters.“ (Joh 6,27). Doch Jesus nutzt das materielle Begehren der Menschen nach Brot, um auf sein geistliches Angebot hinzuweisen. Mit der Aufforderung: „Speise wirken (aufnehmen, verarbeiten, essen) die da bleibt“ weist Jesus auf eine immaterielle Nahrung hin, welche der Menschensohn ihnen zu geben vermag. Denn auf ihm ist Gottes Siegel, der Heilige Geist, die Salbung, er ist der Bevollmächtigte vom Vater (Jes 61,1-3; Mt 3,17; Joh 1,31-34). Wenn sie am Vortag in ihm den durch Mose verheißenen Propheten erkannten (5Mose 18,15), dann hat er absoluten Anspruch, um gehört zu werden (5Mose 18,19). Und er fordert sie heraus, ihre vom Materiellen durchdrungene Denkweise zugunsten einer wesentlich höheren und geistvollen zu  verändern.

  • Mit Hilfe von Mose auf ihn den wahren Propheten zu hören,
  • Mit Hilfe des materiellen Brotes an die geistliche Speise, das `Wort Gottes`  zu denken.

Zweite Frage der Juden: „Da fragten sie ihn: Was sollen wir tun, dass wir Gottes Werke wirken?“ (Joh 6,28). Das gesamte Erlösungskonzept der Juden war fälschlicherweise auf das eigene `Tun, bzw. Lassen` von bestimmten Vorschriften ausgerichtet und nicht auf die gnadenvolle Zuwendung Gottes, die auch  in den alttestamentlichen Ritualen erkennbar war.

Antwort von Jesus: „Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Das ist Gottes Werk, dass ihr an den glaubt, den er gesandt hat.“ (Joh 6,29). Jesus kehrt die Dinge um, bzw. er stellt sie wieder richtig – es handelt sich nicht um die Leistung oder Vorleistung des Menschen durch Gott Opfer darbringen nach alter Vorschrift, sondern um Gottes Werk, welches sich im Glauben, also der Annahme dessen, den er gesandt hat, ausdrückt. Der Glaube ist demnach ein demütiges und dankbares ANNEHMEN der Gabe Gottes – Jesus Christus als Lamm Gottes, Retter und Erlöser der Welt. (Joh 1,29; 1,12: „Wie viele ihn aber aufnahmen, denen gab er das Recht Kinder Gottes zu werden, denen, die an seinen Namen glauben“, demnach ist glauben gleich aufnehmen).

Dritte Frage der Juden: „Da sprachen sie zu ihm: Was tust du für ein Zeichen, auf dass wir sehen und dir glauben? Was wirkst du? Unsre Väter haben Manna gegessen in der Wüste, wie geschrieben steht (Psalm 78,24): »Brot vom Himmel gab er ihnen zu essen.« (Joh 6,30-31)

Abbildung 12 Die Synagoge in Kapernaum (aus dem 4. Jh.) erinnert uns an die Synagoge aus der Zeit von Jesus, welche damals mit Unterstützung des römischen Hauptmanns erbaut wurde. In der Regel baute man die nachfolgenden Synagogen auf den Fundamenten älterer Synagogen. (Foto: 23. Januar 2019).Abbildung 12 Die Synagoge in Kapernaum (aus dem 4. Jh.) erinnert uns an die Synagoge aus der Zeit von Jesus, welche damals mit Unterstützung des römischen Hauptmanns erbaut wurde. In der Regel baute man die nachfolgenden Synagogen auf den Fundamenten älterer Synagogen. (Foto: 23. Januar 2019).

Die Juden in der Synagoge lassen sich auf das Gespräch ein. Sie stellen eine weiterführende Frage, bzw. Doppelfrage. Es ist eine klare Herausforderung, im Sinne von: unsere Väter bekamen das Manna vom Himmel – das war doch ein deutliches Zeichen von Gott in Gegenwart von Mose. Was für ein Zeichen gibst du uns, welches erkennbare Werk vollbringst du, damit wir sehen und dir glauben? Dabei zitieren sie einen Psalm, in dem an das Manna in der Wüste erinnert wird. Ihre dreißte Herausforderung erstaunt schon, wenn man bedenkt, dass sie erst am Tag zuvor bei der Brotvermehrung in Jesus den durch Mose verheißenen Propheten erkannten (vgl. Joh 6,14 mit 5Mose 18,15). Was für Zeichen als Beweis wollen sie noch sehen?

Antwort von Jesus:Da sprach Jesus zu ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Nicht Mose hat euch das Brot vom Himmel gegeben, sondern mein Vater gibt euch das wahre Brot vom Himmel. Denn dies ist das Brot Gottes, das vom Himmel kommt und gibt der Welt das Leben. (Joh 6,32-33). Jesus bleibt geduldig. Zum einen korrigiert er ihr Verständnis in Bezug darauf, dass damals nicht Mose der Geber des Manna war und zum anderen lenkt er ihren rückwärts gewandten Blick auf das Heute – den Geber des Himmelsbrotes – es ist der Vater von Jesus. Dieses Brot ist für das Leben der Welt bestimmt.

Vierte Frage/Bitte der Juden:Da sprachen sie zu ihm: Herr, gib uns allezeit solches Brot.“ (Joh 6,34). Es scheint, als ob sie nun bereit wären, das von Jesus angebotene Brot des Lebens anzunehmen, doch eigentlich sind sie nicht weiter im Verstehen der Worte Jesu, als zuvor die Samariterin am Jakobsbrunnen (Joh 4,15: „Herr, gib mir von diesem Wasser, damit ich nicht dürste und nicht mehr herkommen muss um zu schöpfen“). Auch sie befinden sich immer noch im materiellen Denken. Ja, die Wundergabe des Brotes, der Brotvermehrung hätten sie gerne angenommen. Paradiesische Zustände: nicht mehr im Schweiße des Angesichts das Brot verdienen zu müssen. Es scheint so, als ob hier in zwei unterschiedlichen Sprachen gesprochen würde.

Antwort von Jesus:Jesus aber sprach zu ihnen: Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten. Aber ich habe euch gesagt: Ihr habt mich gesehen und glaubt doch nicht. Alles, was mir der Vater gibt, das kommt zu mir; und wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen. Denn ich bin vom Himmel gekommen, nicht damit ich meinen Willen tue, sondern den Willen dessen, der mich gesandt hat. Das ist aber der Wille dessen, der mich gesandt hat, dass ich nichts verliere von allem, was er mir gegeben hat, sondern dass ich’s auferwecke am Jüngsten Tage. Denn das ist der Wille meines Vaters, dass, wer den Sohn sieht und glaubt an ihn, das ewige Leben habe; und ich werde ihn auferwecken am Jüngsten Tage.“ (Joh 6,35-40). Nun folgt eine Lehreinheit mit weiteren Erklärungen zum Thema `Brot des Lebens`, Offenlegung der wahren Haltung der Zuhörer, aber auch der Einblick in Gottes wunderbaren Willen (Ratschluss) und dessen Wirken.

  • Tatbestand: Jesus ist vom Himmel gekommen und in Person das Brot des Lebens!
  • Die Einladung: Wer zu ihm kommt, den wird  nicht hungern, wer an ihn glaubt, den wird nimmermehr dürsten.
  • Der Vorwurf: „Ihr habt mich gesehen und glaubt doch nicht“. Sie sahen die Herrlichkeit Jesu in der einzigartigen Brotvermehrung, aber auch in den vorangegangenen Wundern und Heilungen aller Art. Ja, sie erkannten sogar in der Person von Jesus den durch Mose verheißenen Propheten (5Mose 18,15). Gesehen, erkannt und doch nicht angenommen, doch nicht geglaubt. Welche Härte des Herzens!
  • Hinter den Kulissen: „Alles, was mir der Vater gibt, kommt zu mir“. Welch göttliches, souveränes und auch geheimnisvolles Wirken des Vaters im Hintergrund! Er gibt seinem Sohn Menschen und diese kommen zu ihm. Und wer zu dem Sohn kommt, wird nicht ausgestoßen, sondern aufgenommen.
  • Die wahre Herkunft von Jesus: Im Vergleich zu allen vorangegangenen Propheten ist Jesus von himmlischer, ja, göttlicher Herkunft.
  • Seine Unterordnung unter den Vater: Als Sohn des Vaters hat er zwar die Fähigkeit zu einem eigenen Willen, doch freiwillig und bewusst tut er den Willen seines Vaters. Welch eine Größe, welch ein Vorbild!
  • Gottes Absicht: Der Wille (Ratschluss) des Vaters für seinen Sohn war und ist, dass er nichts verliert von dem was ihm der Vater gegeben hat. Ja, dass er es (diese Menschen) auferwecke am jüngsten Tage.
  • Was will der Vater noch? Eingeschlossen in diesen Vater-Willen ist auch: Wer den Sohn sieht und an ihn glaubt, ewiges Leben habe und der Sohn ihn am jüngsten Tage auferwecke. Das ewige Leben beginnt mit der Aufnahme Jesu durch den Glauben (Joh 1,11-12; 3,16-17; 5,24). Die Auferweckung, bzw. die Gabe des neuen Körpers bekommt der Gläubige bei der Auferstehung der Toten am jüngsten Tage (Joh 5,28-29).

Das Murren und die fünfte Frage der Juden: „Da murrten die Juden über ihn, weil er sagte: Ich bin das Brot, das vom Himmel gekommen ist, und sprachen: Ist dieser nicht Jesus, Josefs Sohn, dessen Vater und Mutter wir kennen? Wie kann er jetzt sagen: Ich bin vom Himmel gekommen?“ (Joh 6,41-42). Immer wieder rufen die Worte von Jesus bei den Zuhörern nicht nur Erstaunen, sondern wie hier Unzufriedenheit und Empörung aus. Diesmal ist es die Aussage über seine Herkunft. Es macht zum einen deutlich, dass zum damaligen Zeitpunkt die eigentliche Herkunft von Jesus höchstens im kleinen Familienkreis bekannt war, aber es ist fraglich, ob seine eigenen Brüder es geglaubt haben (Lk 1,31-36; Joh 7,6) und zum anderen, dass sich wohl niemand ernsthaft Gedanken darüber gemacht hat, wo Jesus wirklich geboren wurde. Anstatt Jesus direkt zu fragen, wie er das meint „ich bin vom Himmel gekommen“, murren sie darüber. Zu fest sitzt in ihnen die Vorstellung, dass der Messias nur eine irdische Abstammung hat, nämlich: `Sohn Davids` zu sein.

Antwort von Jesus:Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Murrt nicht untereinander. Es kann niemand zu mir kommen, es sei denn, ihn ziehe der Vater, der mich gesandt hat, und ich werde ihn auferwecken am Jüngsten Tage. Es steht geschrieben in den Propheten (Jesaja 54,13): »Sie werden alle von Gott gelehrt sein.« Wer es vom Vater hört und lernt, der kommt zu mir. Nicht dass jemand den Vater gesehen hätte; nur der, der von Gott ist, der hat den Vater gesehen. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer glaubt, der hat das ewige Leben. Ich bin das Brot des Lebens. Eure Väter haben in der Wüste das Manna gegessen und sind gestorben. Dies ist das Brot, das vom Himmel kommt, damit, wer davon isst, nicht sterbe. Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel gekommen ist. Wer von diesem Brot isst, der wird leben in Ewigkeit. Und das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch – für das Leben der Welt“ (Joh 6,43-51).

Geistliche Rede wirkt anstößig, weil sie sich natürlicher Worte und Redewendungen bedient, die manchmal keinen (logischen) Sinn ergeben. Doch Jesus entschied sich, die menschliche Sprache zu verwenden, auch wenn sie der weiteren Erklärung bedarf. Hätte er sich einer himmlischen Redeweise bedient, wäre es für die Menschen noch schwieriger gewesen ihn zu verstehen (Joh 6,61-63; vgl. dazu auch den Dialog mit Nikodemus und der Bemerkung von Jesus in Joh 3,12). Wenn Jesus seine Zuhörer tadelt und sagt: „Murrt nicht untereinander“, dann hat er das Recht dazu. Denn nichts ist so hinderlich für das Verstehen und das Wirken Gottes, als die sofortige Blokade und ständige Ablehnung ohne ehrliches Nachfragen. Und wieder greift Jesus den Gedanken auf, dass die erste Initiative von Gott dem Vater ausgeht. Und er tut alles, damit niemand sich seiner Verantwortung entziehen kann. Jesus zitiert den Propheten Jesaja: „Sie werden alle von Gott gelehrt (gr. διδακτοὶ didaktoi, didaktoi – unterrichtet, unterwiesen) sein.“ Und er interpretiert es mit: „Wer es vom Vater hört und lernt, der kommt zu mir.“ Vom Vater hören und lernen ist also die Verantwortung des Menschen. Wie und wann hat Gott seinen Willen (didaktisch) mitgeteilt? Er tat es seit Beginn durch Mose und die Propheten (Joh 5,46-47). Doch seit den Tagen des Zacharias hat Gott auf besondere Weise das Volk Israel auf das Kommen des Messias vorbereitet (Lk 1,76-79). Mit dem Auftreten des Johannes blieb wohl niemand mehr in Unkenntnis darüber, dass das Kommen des Messias kurz bevorsteht. Und Johannes wies alle Israeliten darauf hin, an den (nach ihm) Kommenden zu glauben (Lk 3,4-6;; Jes 40,1-5; Joh 1,7: „Der (Johannes) kam zum Zeugnis, damit er von dem Licht zeuge, auf dass alle durch ihn glaubten“. (lies dazu auch Joh 1,19-34). Damit war das Volk Israel grundsätzlich in Kenntnis gesetzt und herausgefordert zu `lernen` also, hinhörende und aufnehmende Schüler zu sein. Und Jesus sagt: „Wer es vom Vater hört und lernt, der kommt zu mir“.

Dann fügt Jesus noch eine wichtige Bemerkung hinzu. Niemand hat den Vater gesehen, nur der Sohn (vgl. dazu auch Joh 1,18; 5,37). Damit wird seine einzigartige Beziehung zu Gott dem Vater hervorgehoben.

Nochmal erinnert Jesus an das Manna in der Wüste und daran, dass jene die das Manna gegessen haben gestorben sind. Im gegensätzlichen Vergleich dazu gibt es keinen Tod für die, welche von dem Brot des Lebens essen werden. Dann eröffnet er eine weitere Seite der geistlichen Rede. Das Brot, welches er geben will, bezieht er auf sein Fleisch (Körper), den er für das Leben der Welt hingeben wird. Es ist ein Hinweis auf sein stellvertretendes Sterben als Lamm Gottes (Joh 1,29. 36). Wenn Jesus vom essen seines Fleisches spricht, dann tut er dies in Anlehnung auf das Opferlamm in Ägypten, welches von den Israeliten (jedem Haus) ganz aufgegessen werden musste. Dies diente zur Errettung des Volkes Israels (2Mose 12,1-10).

Sechste Frage der Juden: „Da stritten die Juden untereinander und sprachen: Wie kann dieser uns sein Fleisch zu essen geben?“ (Joh 6,52). Immer verwirrter scheinen die Juden zu reagieren, weil sie nur auf der Ebene des natürlich/physischen denken.

Antwort von Jesus:Jesus sprach zu ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr nicht esst das Fleisch des Menschensohns und trinkt sein Blut, so habt ihr kein Leben in euch. Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der hat das ewige Leben, und ich werde ihn am Jüngsten Tage auferwecken. Denn mein Fleisch ist die wahre Speise, und mein Blut ist der wahre Trank. Wer mein Fleisch isst und trinkt mein Blut, der bleibt in mir und ich in ihm. Wie mich gesandt hat der lebendige Vater und ich lebe um des Vaters willen, so wird auch, wer mich isst, leben um meinetwillen. Dies ist das Brot, das vom Himmel gekommen ist. Es ist nicht wie bei den Vätern, die gegessen haben und gestorben sind. Wer dies Brot isst, der wird leben in Ewigkeit. Das sagte er in der Synagoge, als er in Kapernaum lehrte.“ (Joh 6,53-59). Was für eine Rede! Nicht genug mit „sein Fleisch essen“, nun bietet er auch noch an „sein Blut zu trinken“. Die Schere zwischen der bildhaften Rede von Jesus und dem Missverstehen der Menschen, ging immer weiter auseinander. Dabei führt Jesus seine Zuhörer in die tiefsten Geheimnisse des Erlösungsplanes ein, Sie jedoch werden ihm gegenüber immer ärgerlicher und ablehnender.

  • Im Vergleich zu „Fleisch essen“, gibt es zu „Blut trinken“ in der Passageschichte nur einen indirekten Bezug. Insgesamt war das `Blut trinken` ein absolutes Tabu (3Mose 7,26; 3Mose 17,12; 5Mose 19,26). Dafür gab Gott zwei Gründe an: „Denn des Leibes Leben ist im Blut, und ich habe es euch für den Altar gegeben, dass ihr damit entsühnt werdet. Denn das Blut wirkt Entsühnung, weil das Leben in ihm ist.“ (3Mose 17,11). Der Gedanke dabei könnte sein: Die Trennung des Blutes vom Körper hat im allgemeinen gesehen, den Tod zur Folge. Wenn aber das Blut des Opfertieres nach Anordnung Gottes auf den Altar kam, bewirkte es Sühnung. Diese Gesetzmäßigkeit hatte ihre Wirkung im endgültigen Sinne bei Jesus. So lesen wir in Hebräer 9,12: „Er ist auch nicht durch das Blut von Böcken oder Kälbern, sondern durch sein eigenes Blut ein für alle Mal in das Heiligtum eingegangen und hat eine ewige Erlösung erlangt.“ Und die Teilhabe am Leib und Blut Christi (im Brot und Kelch vorgebildet Mt 26,26) wirkt Leben – EWIGES LEBEN!
  • Das Manna, welches Gott den Israeliten in der Wüste gab, kam von oben und ist ein deutlicher Hinweis, dass das physische Überleben der Israeliten nur durch die spezielle Brotgabe aus dem Jimmel, möglich war.
  • Die Brotvermehrung jenseits des Sees ist ein Zeichen/Hinweis darauf, dass in der Person von Jesus die Leben spendende Quelle verborgen liegt. Er ist der LOGOS aus Gott, das Wort Gottes. Denn „der Mensch lebt nicht vom Brot allein …“ (5Mose 8,3; Mt 4,4).
  • Allein in diesem Text betont Jesus mindestens sechs Mal, dass er aus dem Himmel gekommen ist. Durch die Erklärung über seine Herkunft und Bestimmung, bekommen die Ereignisse wie `das Manna` und `die Brotvermehrung` ihre endgültige Bedeutung – sie weisen auf den von Gott vom Himmel her gesandten Messias als Lamm Gottes.

Jesus fordert die Menschen heraus:

  • auf ihn zu hören
  • ihm zu gehorchen
  • ihm zu glauben
  • ihn aufzunehmen
  • ihm nachzufolgen
  • in ihm zu bleiben.

Dies ist Gottes Wille für uns Menschen, dies ist Gottes Werk in uns – dies ist der einzige Weg zum ewigen Leben.

Besondere Aussagen und Merkverse:

  • Brot“ kommt 15 Mal vor, überwiegend im übertragenen Sinne auf den Menschensohn bezogen (6,26. 32; 43-51; 53 und weitere). Später verbindet Jesus die geistliche Speise „Brot“ mit seinem Körper, seinem „Fleisch – gr. „sarx“, welches er dahingeben wird für das Leben der Welt.
  • Vom „Manna“ ist mindestens viermal die Rede
  • Das Verb „glauben“ an den Menschensohn kommt häufig vor
  • Das hebräische `Amen, Amen` = „Wahrlich, wahrlich“ wird an allen Stellen unverändert ins Griechische übertragen (ἀμὴν ἀμὴν – am¢n), auch im Deutschen, wenn es am Ende eines Ausrufsatzes oder Grußes steht. Zu Beginn einer Aussage jedoch wird es überwiegend mit `wahrlich` übersetzt. Es hat die Bedeutung einer betonten Bestätigung. In diesem Text beginnt Jesus viermal einen Abschnitt mit dem doppelten `Amen, amen` (6,26. 32. 47. 53).
  • Viermal „Auferwecke am Jüngsten Tage“ (Joh 6,39. 40. 44. 54)
  • 6,40: „Denn dies ist der Wille meines Vaters, dass jeder, der den Sohn sieht und glaubt an ihn, ewiges Leben habe, und ich werde ihn auferweckcn am jüngsten Tage.“
  • 6,44 „Niemand kann zu mir kommen, wenn nicht der Vater, der mich gesandt hat, ihn zu mir zieht und ich werde ihn auferwecken am jüngsten Tage“.
  • 6,47 „Wahrlich, wahrlich ich sage euch: der Glaubende hat ewiges Leben.
  • 6,48 „Ich bin das Brot des Lebens.“

Fragen / Aufgaben:

  1. Wo und wann lehrte Jesus vom Brot des Lebens?
  2. Was war der Auslöser für diese lange Lehreinheit?
  3. Welche Lehrart benutzt Jesus in dieser Situation?
  4. Warum benutzt Jesus Bilder aus dem Alltag und dem Alten Testament? Wie können wir heute Bilder nutzen?
  5. Was ist das Anstößige bei den Bildern, die Jesus benutzte? Was geschieht, wenn bestimmte Worte und Bildreden von Jesus buchstäblich ausgelegt und angewendet werden (V. 61-63)?
  6. Woran denken wir heute beim Brot essen? In welcher Weise ist Jesus heute unser Brot?
  7. Wie verstehen und empfinden wir die Hinweise auf Blut und Fleisch?
  8. Wenn Jesus das Brot des (ewigen) Lebens ist, was bedeutet dies für Menschen die Jesus ablehnen?
  9. Wie konnten so großartige Dinge wie Speisung einer großen Menschenmenge und die Heilung von vielen Menschen so wenig im geistlichen Bereich auslösen? Wenn dies bei Jesus geschieht – dann darf scheinbare Erfolglosigkeit alle späteren Nachfolger nicht aus der Bahn werfen.
  10. Warum verließen viele Jünger Jesus?

Die Entscheidung der Jünger und das Bekenntnis zu Jesus

(Bibeltext: Joh 6,63-71)

Der Ev. Johannes beschreibt die Reaktion im erweiterten jüngerkreis und das Bekenntnis des Petrus:

Viele nun seiner Jünger, die das hörten, sprachen: Das ist eine harte Rede; wer kann sie hören? Da Jesus aber bei sich selbst merkte, dass seine Jünger darüber murrten, sprach er zu ihnen: Nehmt ihr daran Anstoß? Wie, wenn ihr nun sehen werdet den Menschensohn auffahren dahin, wo er zuvor war? Der Geist ist’s, der da lebendig macht; das Fleisch ist nichts nütze. Die Worte, die ich zu euch geredet habe, die sind Geist und sind Leben. Aber es sind etliche unter euch, die glauben nicht. Denn Jesus wusste von Anfang an, wer die waren, die nicht glaubten, und wer ihn verraten würde. Und er sprach: Darum habe ich euch gesagt: Niemand kann zu mir kommen, es sei ihm denn vom Vater gegeben. Von da an wandten sich viele seiner Jünger ab und gingen hinfort nicht mehr mit ihm. Da sprach Jesus zu den Zwölfen: Wollt ihr auch weggehen? Da antwortete ihm Simon Petrus: Herr, wohin sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens; und wir haben geglaubt und erkannt: Du bist der Heilige Gottes. Jesus antwortete ihnen: Habe ich nicht euch Zwölf erwählt? Und einer von euch ist ein Teufel. Er redete aber von Judas, dem Sohn des Simon Iskariot. Der verriet ihn hernach und war einer der Zwölf.“ (Joh 6,60-71).

Schon bei der vorherigen Brotpredigt  kann man die Zuhörer in mindestens drei Gruppen einteilen:

  • Menschen mit falschen Erwartungen und unlauteren Motiven
  • Jünger/Nachfolger im erweiterten Sinne
  • die Zwölf
  • Im Text nicht ausdrücklich genannte Bürger von Kapernaum und Umgebung, Menschen unterschiedlicher Einstellungen zu Jesus. Da waren Sympathisanten, Hilfesuchende und Unbußfertige.

Die erste Gruppe ist diskussionsfreudig und stellt Fragen, allerdings aus einem materialistischen Denken heraus. Die zweite und dritte Gruppe überschneidet sich, aber dennoch dürfen wir damit rechnen, dass es Hunderte sind, die Jesus in Galiläa folgen. Nach dem Ende der Lehreinheit sind viele Jünger aus dem erweiterten Kreis (wahrscheinlich sogar auch Judas Iskariot) mit Jesus unzufrieden und murren. In Bezug auf die Rede sagen und fragen sie: „Es ist eine harte (gr. sklhro,j skl¢ros) Rede, wer kann sie hören?Hart im Sinne von, nicht verständlich, nicht verdaulich, sogar im Widerspruch zu bestimmten Aussage Gottes in Bezug auf die Unantastbarkeit des menschlichen Körpers (1Mose 9,4-5). Natürlich war ihnen nicht nur die Rede von Jesus, sondern er selbst anstößig. Sie waren entsetzt! Mit dem `Brot essen`, konnten sie noch was anfangen, aber menschliches Fleisch essen und menschliches Blut trinken? Welche Sprache spricht dieser Rabbi, woher bezieht er seine Theologie?

Jesus fragt daraufhin die Jünger direkt: „Ärgert euch dies?“ Hier lesen wir im Grundtext `skandali,zei skandalizei`. Dies Wort bedeutet im Griechischen: sich ärgern, anstoßen, in eine Falle zu leiten – also: verärgert diese Rede die Menschen, ist sie anstößig, leitet sie  zur Falle/Sünde? Doch sind es nicht die harten Worte von Jesus, sondern die harten Herzen, die diese Jünger bewegen, die Jesusnachfolge aufzugeben? Der tiefere Sinn der Worte erschließt sich nur wenigen – das buchstäbliche Verständnis ist in der Tat entsetzlich. Ein geistliches Verständnis seiner Worte gibt das Leben – das rein materielle Denken führt in eine Falle (Joh 6,63). Viele verlassen Jesus! Sie sind noch nicht reif für das angebrochene Königreich Gottes. Die Massen gehen – auch viele vom erweiterten Jüngerkreis.

Folgende Aussage von Jesus wird leicht übersehen und überlesen: „Wie, wenn ihr nun sehen werdet den Menschensohn auffahren dahin, wo er zuvor war?“ Das noch Kommende ist für Jesus gegenwärtig. Er ist nicht gekommen, um hier zu bleiben.  Nach Vollendung seines Werkes – wenn er sein Leben hingegeben hat – will und wird  er zu seinem Vater wieder zurückgehen – hinaufsteigen. Damit enttäuscht er noch mehr die Jünger, welche auf seine irdische Thronbesteigung hofften. Eine weitere Bemerkung des Ev. Johannes über Jesus lautet: „Er kannte die, welche nicht glaubten“. Welche Tragkraft, Geduld und Langmut, trotz der Ablehnung, sich weiter diesen Menschen zuzuwenden.

Jesus fragt nun die zwölf: „Wollt ihr etwa auch weggehen?“ Aus der Art der Fragestellung können wir entnehmen, dass er seine Jünger sehr direkt herausfordert, eine erneute und bewusste Entscheidung zu treffen. Wieder ist es Simon Petrus, der als Sprecher der Zwölf, diesmal die äußerst bemerkenswerte prägnante Antwort gibt: „Herr, zu wem sollten wir gehen? Du hast Worte (Aussprüche) ewigen Lebens; und wir haben geglaubt und erkannt, dass du der Heilige Gottes bist“ (Joh 6,68-69). Wir Menschen brauchen jemanden, zu dem wir gehen können, jemand der Worte des Lebens hat. Was für ein einzigartiges Bekenntnis: Jesus gehört zu Gott, er ist der Heilige, der Ausgesonderte, der Gesalbte. Jesus weiß allerdings auch, dass sich nicht alle Jünger diesem Bekenntnis des Petrus anschließen. Und so sagt er: „Habe ich nicht euch zwölf auserwählt (gr.,e,xelexa,mhn exelexam¢n)?“ Dieses Verb, drückt die souveräne Willensentscheidung von Jesus aus, bestimmte Menschen für bestimmte Dienste auszuwählen und zu berufen. Doch auch diese, für bersondere Dienste ausgewählte Personen werden immer wieder  herausgefordert, sich bewusst für Jesus zu entscheiden.

Jesus fährt fort: „und einer von euch ist ein (dia,boloj diabolos Verleumder)“. Verborgen bleibt uns, wieso Jesus in den Kreis der Auserwählten einen Verräter beruft und aufnimmt? Er gibt hier einen versteckten und warnenden Hinweis auf den Verräter im Jüngerkreis. Der Ev. Johannes, der ja so viele Jahre später diesen Bericht niederschreibt, erklärt seinen Lesern, dass Jesus damit den Jünger Judas Iskariot meint. Zwar berichtet uns der Ev. Johannes keine Reaktion auf diesen Hinweis, aber es treffen wohl alle Zwölf die Entscheidung Jesus weiter zu folgen.

Fragen / Aufgaben:

  1. Was ist für uns im Worte Gottes anstö0jg? Was empfinden wir in der Jesusnachfolge als Skandal? Was ist für uns schwierig zu verstehen und zu verdauen?
  2. Was empfinden Menschen, die weggehen und was empfinden Jünger die bleiben?
  3. Was können wir nach Jahren der Jesusnachfolge rückblickend sagen? Hat es sich gelohnt?
  4. Was empfinden wir beim Gedanken, dass ein „schwarzes Schaf“ im Kreis lange geduldet wird?
  5. Können auch Auserwählte fallen, ausbrechen?

7.8 Jesus bezieht Stellung zu den Reinheitsvorschriften der Ältesten und tadelt die Pharisäer wegen der Auflösung der Gebote Gottes

(Bibeltexte: Mt 15,1-20; Mk 7,1-23)

7.8.1 Der Vorwurf der Pharisäer und die Stellungnahme von Jesus

In der Zeit zwischen der bedeutenden Rede von Jesus in der Synagoge zu Kapernaum und dem Ausflug nach Syro-Phönizien, berichtet sowohl Matthäus als auch Markus über eine heftige Diskussion mit den religiösen Leitern des Volkes. Pharisäer und einige Schriftgelehrte waren aus Jerusalem angereist. Diese Diskussion fand in der Öffentlichkeit statt und zwar bei einer Gelegenheit, während Jesus zum Volk redete (Mk 7,14a).Wahrscheinlich befand sich Jesus noch in Kapernaum.

Abbildung 13 Ein Teil der Stadt Kapernaum wurde freigelegt. Hier sind Fundamentreste von Wohnhäusern zu erkennen. In den Evangelien werden die Häuser von: Petrus, Matthäus, Jairus, vom römischen Hauptmanns, dem königlichen Beamten erwähnt und sicher hatte die Familie des Zebedäus dort auch ein Haus  (Foto am 23. Januar 2019).

Die pauschale Anklage der Pharisäer lautete: die Jünger von Jesus missachten die Überlieferungen der Ältesten. Der konkrete Punkt ist die Unterlassung der rituellen Waschung der Hände vor dem Essen. So schreibt der Ev. Markus:

Und es versammelten sich bei ihm die Pharisäer und einige von den Schriftgelehrten, die aus Jerusalem gekommen waren. Und sie sahen, dass einige seiner Jünger mit unreinen (gemeinen), das heißt ungewaschenen Händen das Brot aßen. Denn die Pharisäer und alle Juden essen nicht, wenn sie nicht die Hände mit einer Handvoll Wasser gewaschen haben, und halten so an der Überlieferung der Ältesten fest; und wenn sie vom Markt kommen, essen sie nicht, bevor sie sich gewaschen haben. Und es gibt viele andre Dinge, die sie zu halten angenommen haben, wie: Becher und Krüge und Kessel und Bänke zu waschen. Da fragten ihn die Pharisäer und die Schriftgelehrten: Warum wandeln deine Jünger nicht nach der Überlieferung der Ältesten, sondern essen das Brot mit unreinen (gemeinen) Händen?“ (Mk 7,1-6).

Die Pharisäer wussten sich zuständig für die Einhaltung des Gesetzes (entsprechend der Auslegung der Ältesten) sowie deren genauen Anwendung im Alltag. In diesem Fall haben sie die Jünger von Jesus beim Essen, bzw. vor dem Essen genau beobachtet und gemerkt, dass einige von ihnen ihre Hände nicht gewaschen hatten. Dies nehmen sie zum Anlass, um bei Jesus (der als Rabbi für seine Jünger verantwortlich war) vorzusprechen. „Warum übertreten deine Jünger die Überlieferungen der Ältesten; denn sie waschen ihre Hände nicht wenn sie Brot essen.“ Wir merken sofort, worauf sie ihren Vorwurf gründen. Nicht auf die Vorschriften Gottes im Mosaischen Gesetz, sondern auf die Überlieferungen der Ältesten (gr. para,dosin twn presbute,rwn paradosin tön presbyterön). Das im Deutschen oft verwendete Wort `Tradition`, kommt aus dem Lateinischen  und meint auch `Überlieferung`. Oft handelte es sich dabei um eine erweiterte Erklärung bestimmter Aussagen aus dem Gesetz Moses.

Der griechische Begriff `koino,n – koinon – gemein`, wird in den meisten Übersetzungen mit `unrein` wiedergegeben, dadurch ist der Text einfacher zu verstehen. Doch eigentlich steht dort nicht `un-rein`, sondern `gemein`. womit der absolute Gegensatz von `rein` exakt herausgestellt wird. Natürlich bedarf dieses Wort der Erklärung. Die Kriterien im Gesetz Moses für `rein` oder `gemein` waren für alle Lebensbereiche festgelegt. Sie sind jedoch durch die Überlieferungen der Ältesten erweitert worden. So war etwas oder jemand `gemein`, wenn es (er, sie) dem rituellen Reinheitsstandart nicht entsprach. Wenn es sich außerhalb der für Gott geweihten, geheiligten Sphäre befand und daher unbrauchbar, verwerflich, unrein wurde (3Mose 11,2-22; Apg 10,15.28; 11,3-9; 21,28: „diese Stätte gemein gemacht und daher entweiht“).   

Als nächstes fragen wir, ob der Vorwurf der Pharisäer berechtigt ist? Die Formulierung: „mit unreinen (gemeinen), das heißt mit ungewaschenen Händen“, war laut dem Verständnis der Pharisäer: ungewaschen = gemein/unrein, auch wenn die Hände an sich sauber sind. Die Folge: Wenn die nicht gewaschenen Hände als gemein angesehen werden, dann hat es Auswirkungen auch auf die ansonst reinen Speisen, weil diese mit der Hand in den Mund geführt werden. Denn nach dem Gesetz wurde die Unreinheit durch Berührung übertragen (4Mose 19,22: „Und alles, was der Unreine berührt, wird unrein werden, und wer ihn berührt, soll unrein sein bis zum Abend.“ Es ist jedoch nicht vorstellbar, dass sich Jesus und seine Jünger bewusst und absichtlich mit schmutzigen Händen an den Tisch gesetzt hätten. So bezeugt Petrus noch Jahre später: „O nein, Herr; denn es ist nie etwas Gemeines oder Unreines in meinen Mund gekommen.“ (Apg 11,8). Der Vorwurf an die Jünger traf bei einer anderen Gelegenheit auch Jesus selbst. So lesen wir in Lukas 11,38: „Als das der Pharisäer sah, wunderte er sich, dass er (Jesus) sich nicht vor dem Essen gewaschen hatte.“ Es bestand demnach für Jesus (und zwar konkret in diesem Fall) nicht die Notwendigkeit zur Waschung, denn bei einer anderen Gelegenheit hätte Jesus sehr gerne eine Waschung (Fußwaschung) in Anspruch genommen, doch dort wurde diese ihm verweigert (Lk 7,44).

Eigentlich deckt der von den Pharisäern ausgesprochene Vorwurf an die Adresse der Jünger, die Oberflächlichkeit der überlieferten Vorschrift auf. Weil dabei nicht die Frage nach der Notwendigkeit des Händewaschens gestellt wurde, sondern, nach der äußeren Befolgung der Vorschrift – eine handvoll Wasser und der Buchstabe ist erfüllt. Die Verordnung `Hände waschen` ist in den Reinheitsvorschriften des Mosaischen Gesetzes explizit für die rituelle Reinheit und Dienstbereitschaft der Priester vorgeschrieben worden (2Mose 30,19-20; 2Mose 40,32 u.a.m.). Ansonsten ist öfters von `Füße waschen` die Rede, aber auch Waschungen zum Zwecke der rituellen Reinheit (1Mose 18,4; 24,32; 3Mose 15,11 u.a.m.). Vielleicht kommt die Verordnung für das Händewaschen nicht so oft vor, weil beim Waschen anderer Körperteile, Kleider oder Gegenstände, die Hände gleichzeitig auch gewaschen wurden. Jedoch ist das Waschen der Hände `vor dem Essen` im Gesetz Moses nicht ausdrücklich vorgeschrieben. Aus rein praktischen, gesundheitlichen Überlegungen und zum Zwecke der Erfrischung, nutzte man gerne die Gelegenheiten für körperliche Hygiene (1Mose 43,31; 2Sam 12,20; Hes 16,9; Joh 2,6).

Es fällt auf, dass Jesus in diesem Fall auf den Vorwurf der Pharisäer zunächst nicht eingeht. Doch bei einer anderen Gelegenheit (bei der Jesus selbst das Händewaschen unterlassen hatte) tadelt er sehr bewusst die Pharisäer mit den Worten: „Ihr Pharisäer, ihr haltet die Becher und Schüsseln außen rein; aber euer Inneres ist voll Raub und Bosheit. Ihr Narren, hat nicht der, der das Äußere geschaffen hat, auch das Innere geschaffen? Doch gebt als Almosen von dem, was da ist; siehe, dann ist euch alles rein.“(Lk 11,37-41; vgl. auch mit Mt 23,25-26). Mit dem „Äußeren“ meint Jesus sehr wahrscheinlich den Körper, mit dem „Inneren“ das Herz, den inneren Menschen. Der Ev. Markus erläutert im Detail die von Jesus angesprochene Praxis der Pharisäer. „Wenn die Juden vom Einkaufen nach Hause kommen, waschen sie mit einer Hand voll Wasser ihre Hände vor dem Essen. Auch achteten sie sorgfältig darauf, ihre Trinkgefäße, Kessel und Tonkrüge zu waschen (Mk 7,3-4). Auf diese Weise entwickelte sich im Laufe der Zeit aus einer durchaus sinnvollen Waschungspraxis eine feste Tradition, bei der nicht mehr der tiefe Sinn, sondern die äußere Form im Vordergrund stand. Und dies tadelte Jesus, nicht jedoch die Waschung an sich, wenn die Notwendigkeit und auch die Möglichkeit dazu bestand.

7.8.2 Jesus tadelt die Pharisäer wegen der Auflösung der Gebote Gottes

Jesus nennt die Pharisäer „Heuchler“ (Schauspieler), weil er ihr Herz sieht und weiß, was sie denken und aus welchem Grund sie seine Jünger und damit auch ihn selbst anklagen. Jesus erklärt und rechtfertigt nicht das Verhalten seiner Jünger, sondenr geht sofort in die Offensive und klagt die Pharisäer an. Dabei zitiert er den Propheten Jesaja. Damit deckt er auf und begründet das heuchlerische Verhalten der ‚Pharisäer: „Dies Volk ehrt mich mit den Lippen; aber ihr Herz ist fern von mir. Vergeblich dienen sie mir, weil sie lehren solche Lehren, die nichts sind als Menschengebote“ (Jes 29,13).

Jesus hat sicherlich nichts gegen persönliche Hygiene einzuwenden, hatte er doch selber beim Besuch des Pharisäers Simon bemängelt, dass jener ihm kein Wasser gegeben hatte, um seine Füße zu waschen (Lk 7,44). Er will aber deutlich machen, dass die Pharisäer die Praxis dieses Rituals nicht wegen der Liebe zu Gott, sondern wegen ihres eigenen Ansehens einhalten und von anderen einfordern (Joh 5,42; Lk 11,46). Durch die penible (legalistische – gesetzliche) Einhaltung dieser äußerlichen Verordnungen, traten die viel wichtigeren Gebote Gottes in den Hintergrund. Durch die einseitige Überbetonung, wurde die Absicht der Gebote Gottes falsch verstanden und sogar verdreht, wie das nächste Beispiel von Jesus als Vorwurf an die Pharisäer, zeigt:

Ihr verlasst Gottes Gebot und haltet der Menschen Satzungen“. Und er sprach zu ihnen: „Wie fein hebt ihr Gottes Gebot auf, damit ihr eure Satzungen aufrichtet! Denn Mose hat gesagt (2Mose 20,12; 21,17): »Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren«, und: »Wer Vater oder Mutter flucht, der soll des Todes sterben.« Ihr aber lehrt: Wenn einer zu Vater oder Mutter sagt: Korban – das heißt: Opfergabe soll sein, was dir von mir zusteht -, so lasst ihr ihn nichts mehr tun für seinen Vater oder seine Mutter und hebt so Gottes Wort auf durch eure Satzungen, die ihr überliefert habt; und dergleichen tut ihr viel“ (Mk 7,10-13).

Jesus will das die Pharisäer ihr Denken und ihre Lebenspraxis korrigieren, indem er ihre Lehr- und Lebensweise im Lichte der alttestamentlichen Schriftaussagen bewertet. Seit der Zeit von Jesaja hat sich wohl nichts geändert, denn was Gott vor Jahrhunderten durch seinen Propheten dem Volk vorgeworfen hat, bezieht Jesus ebenfalls auf seine Landsleute und Zeitgenossen. Dabei greift er aus der Vielzahl ein konkretes Beispiel heraus und beleuchtet es. Das Stichwort ist `Korban (hebr.)`, so ist es auch in die griechische und deutsche Sprache übernommen worden. Glücklicherweise wird der Begriff entweder durch Jesus selbst oder den Evangelisten erklärt, mit: „Opfergabe ist (soll sein), was ich (euch Eltern) schulde“. Im Gesetz verankert war nicht nur das Verbot, was Kinder niemals tun sollten, nämlich: den Eltern `fluchen`, sondern auch das Gebot `Eltern zu ehren`. Dies schloss nicht nur Unterordnung und Respekt ein, sondern bei Bedarf auch jede Art Hilfeleistung. Ehre und Achtung der Eltern bestand eben auch darin, dass die Kinder (Söhne) ihre Eltern im Alter materiell versorgten. Die `Korban–Opfergabe` wollte Gott nicht, aber die Priester im Tempel nahmen diese gern an, weil dadurch der Tempelschatz zusätzlich aufgefüllt wurde.

Jesus selbst ist im Bereich „Ehre Vater und Mutter“ uns ein Vorbild:

  • Jesus rief Simon zwar von der Familie weg in seine Nachfolge, doch er kümmerte sich für dessen Schwiegermutter, heilte sie und „sie stand auf und diente ihnen“ (Lk 4,39).
  • Dort wo kein Mann und Sohn mehr da war, kümmerte er sich um die Witwe: „Und als der Herr sie (die Witwe) sah, erbarmte er sich über sie und sprach zu ihr: Weine nicht! Und er trat hinzu und rührte den Sarg an; die Träger aber standen still. Und er sprach: Junger Mann, ich sage dir: Steh auf! Und der Tote setzte sich auf und fing an zu reden; und er gab ihn seiner Mutter.“ (Lk 7,13-15).
  • Sorgte er sich noch um seine Mutter, als er sich selbst in großen Schmerzen und Leiden des Todes befand: „Darauf spricht er zu dem Jünger: Siehe, deine Mutter! Und von der Stunde an nahm sie der Jünger zu sich.“ (Joh 19,27).
  • In der Situation, in der die Witwen (meist waren es Frauen) von ihren Familienangehörigen (aus welchen Gründen auch immer) nicht versorgt wurden, übernahm die Gemeinde diese Fürsorgepflicht (Apg 6,1ff).
  • Auch der Ap. Paulus hebt die Verantwortung der Kinder und sogar Enkel gegenüber ihren Eltern und Großeltern hervor: „Wenn aber eine Witwe Kinder oder Enkel hat, so sollen diese zuerst lernen, am eigenen Haus gottesfürchtig zu handeln und den Eltern Empfangenes zu vergelten; denn das ist gut und wohlgefällig vor Gott., sich um die verwitwete Mutter zu kümmern“ (1Tim 5,4).

Werden sich die Pharisäer von Jesus überzeugen und korrigieren lassen? Werden sie einsichtig und Jesus recht geben? Werden sie sich demütigen unter das Wort Gottes und die Autorität von Jesus?

7.8.3 Jesus wendet sich an das Volk und disqualifiziert die Pharisäer

Bis jetzt hatte sich Jesus den Pharisäern und Schriftgelehrten zugewandt, doch als er merkt, dass sie sich nicht belehren lassen wollen, wendet er sich von ihnen ab und dem Volk wieder zu. So schreibt der Ev. Matthäus:

Und er rief das Volk zu sich und sprach zu ihnen: Hört zu (Mk: Hört mir alle zu) und begreift: Nicht (Mk: nichts) was zum Mund hineingeht, macht den Menschen unrein (gemein); sondern was aus dem Mund herauskommt, das macht den Menschen unrein (gemein). Da traten die Jünger hinzu und sprachen zu ihm: Weißt du auch, dass die Pharisäer an dem Wort Anstoß nahmen, als sie es hörten? Aber er antwortete und sprach: Alle Pflanzen, die mein himmlischer Vater nicht gepflanzt hat, die werden ausgerissen. Lasst sie, sie sind blinde Blindenführer! Wenn aber ein Blinder den andern führt, so fallen sie beide in die Grube.“ (Mt 15,10-14).

Wir merken gleich, dass Jesus, wie bereits bei anderen Vergleichen, sehr scharfkantige Aussagen macht. Doch das Volk ist mit der kurzen Aussage herausgefordert nachzudenken und sich darüber selbst ein Urteil zu bilden. Aber wir fragen: meint Jesus wirklich buchstäblich, dass es egal ist, was sich ein Mensch in den Mund steckt? Sicherlich nicht, denn er bewegt sich mit der scheinbar weitreichenden Aussage im Rahmen der angesprochenen Thematik und auch im Rahmen des Gesetzes? An anderer Stelle warnt er eindringlich vor Maßlosigkeit gerade beim Essen und Trinken: „Wenn aber jener Knecht in seinem Herzen sagt: Mein Herr lässt sich Zeit zu kommen, und fängt an, die Knechte und Mägde zu schlagen, auch zu essen und zu trinken und sich vollzusaufen,“ (Lk Lk 12,45).

Doch wer sich laut zu Wort meldet, sind die Pharisäer. Sie tun es aber nicht so offensichtlich vor Jesus, sondern sprechen sich wohl eher untereinander aus. Ihre Reaktion ist: `Verärgerung, gr. eskandalisth¢san – sie nahmen Anstoß` an der Aussage  von Jesus. Es wundert darum nicht, dass sie Jesus vorwarfen `Fresser und Weinsäufer` zu sein“ (Mt 11,19). Die Reaktion der Pharisäer als Verärgerung, übermitteln die Jünger ihrem Lehrer. Doch Jesus bleibt gelassen. Menschen, die sich Gott und seinem Wort verschließen und sogar widersetzen, sind gleich dem Unkraut, welches zu seiner Zeit entfernt wird (Mt 13,30). Jesus bezeichnet sie als blinde Blindenführer, das ist ein hartes Wort und ein denkbar schlechtes Zeugnis, damit disqualifiziert er sie ihrer theologischen Kompetenz und ihres Amtes als Hirten des Volkes (Hes 34; Joh 10,1ff; Mt 23).

7.8.4 Jesus erklärt seinen Jüngern den tiefen Sinn dieses Gleichnisses

So schreiben die Evangelisten Markus und Matthäus weiter:

Markus: „Und als er von dem Volk ins Haus ging, fragten ihn seine Jünger nach diesem Gleichnis.“ Matthäus: „Da antwortete Petrus und sprach zu ihm: Deute uns dies Gleichnis! Er sprach zu ihnen: Seid denn auch ihr noch immer unverständig? Versteht ihr nicht, dass alles, was zum Mund hineingeht, das geht in den Bauch und wird danach in die Grube ausgeleert? Was aber aus dem Mund herauskommt, das kommt aus dem Herzen, und das macht den Menschen unrein (gemein). Denn aus dem Herzen kommen böse Gedanken, Mord, Ehebruch, Unzucht, Diebstahl, falsches Zeugnis, Lästerung. Das sind die Dinge, die den Menschen unrein (gemein) machen. Aber mit ungewaschenen Händen essen macht den Menschen nicht unrein (gemein).“ (Mt 15,15-20).

Als Jesus mit seinen Jüngern allein im Hause ist, meldet sich Petrus (in Absprache mit den anderen Jüngern) bei seinem Lehrer: Deute uns dies Gleichnis. Jesus ist nicht ungeduldig, doch will er schon mal von seinen Jüngern etwas mehr Mitdenken und Verstehen erwarten. Trotzdem wiederholt er seine Sicht, dass alles, was zum Munde eingeht, den Menschen nicht unrein (gemein) macht. Und die Ergänzung bei Markus: „denn es geht nicht in sein Herz, sondern in den Bauch und kommt heraus in die Grube. Damit erklärte er alle Speisen für rein.“ (Mk 7,19). Das griechische Wort: `afedröna` kommt zwar nur in diesem Zusammenhang vor, doch beschreibt es die Grube (den Abort), entsprechend der Vorschrift im Gesetz Moses (5Mose 23,14). Und dann fügt der Evangelist noch hinzu: „Damit erklärte er (Jesus) auch alle Speisen für rein“ (Mk 7,19b). Der griechische Text ist an dieser Stelle sehr kurz und nicht ganz eindeutig: „kaqari,zwn pa,nta ta brw,mata katharizön panta ta brömata – reinigend alle (die) Speisen“. Diese Deutung haben die meisten deutschen Übersetzungen. Damit hätte Jesus (zumindest andeutungsweise) die Einschränkungen im jüdischen Speiseplan, bzw. Teilung in `rein und gemein`, aufgehoben (3Mose 11,1-47). Dies wäre für die Pharisäer durchaus ein Grund gewesen, sich über Jesus zu ärgern. Aber hat Jesus dies gemeint oder sagen wollen? Wollte er für die Juden diese Begrenzungen aufheben?

Allerdings gibt es auch eine andere Variante der Übersetzung dieses Textes, wie zum Beispiel

  1. Schlachter 2000: „und wird auf dem natürlichen Weg, der alle Speisen reinigt, ausgeworfen“, oder
  2. Menge: „und auf dem natürlichen Wege, der alle Speisen reinigt, wieder ausgeschieden wird“, ähnlich auch
  3. Elberfelder in der Fußnote.

Dies ergibt dann einen anderen Sinn, weil sich der Zusatz ` katharizönreinigend` auf den Verdauungsprozess und die Ausscheidung in die Grube bezieht. Damit hätte Jesus die Vorschriften für reine und unreine Speisen (Tiere, Vögel, Fische aus 3Mose 11,1-47) nicht aufgehoben. Hat er doch erst gerade den Pharisäern vorgeworfen, die Gebote Gottes aufgehoben zu haben. Doch eigentlich geht es Jesus nicht um die Aufhebung der Speiseverordnungen Gottes an Israel, auch nicht um die Frage: was ist für den menschlichen Körper mehr oder weniger bekömmlich, was ist mehr oder weniger gesund oder sogar giftig, sondern es geht um dass Grundprinzip, nämlich: die Speisen, welche den Mund passieren (mit oder ohne Handwäsche) gehen in den Bauch und nicht ins Herz. Damit spielen alle Speisen, im Vergleich zu den Ausscheidungen des Herzens, eine untergeordnete Rolle und können (wie wir später sehen und erkennen werden) in dem jeweiligen zeitlichen und kulturellen Kontext angemessen bewertet und angewandt werden. In dem aktuellen Kontext geht es zunächst um die Waschung der Hände vor einer Mahlzeit und indirekt auch um die vom Gesetz definierten reinen Speisen. Hat sich doch Jesus selbst an alle Vorgaben des Gesetzes gehalten, sicher auch an die Speisevorschriften. Es geht hier in erster Linie und vordergründig um die Frage: Werden Speisen, Körper und sogar das Herz gemein/unrein, wenn jemand seine Hände vor dem Essen nicht gewaschen hat? Und Jesus sagt: „Aber mit ungewaschenen Händen essen, das verunreinigt den Menschen nicht“, oder: „das macht ihn nicht gemein“ (Mt 15,20).

Trotzdem wollen wir uns in diesem Zusammenhang mit der Frage beschäftigen, wie sich Christen damals in Bezug auf Speisen verhalten haben? Gibt es in Bezug auf Speisen in der Bibel eine Kontinuität – Festlegung für alle Zeiten und für alle Menschen, oder erkennen wir eine Diskontinuität, eine Vielfalt nach dem Motto: „Alles ist mir erlaubt — aber nicht alles ist nützlich! Alles ist mir erlaubt — aber ich will mich von nichts beherrschen lassen! Die Speisen sind für den Bauch und der Bauch für die Speisen; Gott aber wird diesen und jene wegtun.“ (1Kor 6,12-13). Aber nun der Reihe nach.

Was steht im Anfang, bevor das Gesetz durch Mose gegeben wurde, in Bezug auf die Speisen für den Menschen? Im Garten Eden konnte sich der Mensch (von einer Ausnahme abgesehen) nach Belieben von den Früchten der Bäume ernähren (1Mose 2,15-17). Bei der Aufnahme der Tiere in den Kasten (die Arche) machte Gott einen Unterschied zwischen reinen und unreinen Lebewesen – sieben Paare, bzw. zwei Paare (1Mose 7,2). Nach der Flut brachte Noah Gott Brandopfer (Ganzopfer) dar von reinem Vieh und reinen Vögeln (1Mose 8,20; vgl. 1Mose 4,4). Danach lesen wir  in Bezug auf die Nahrung für den Menschen folgendes: „Alles, was sich regt und lebt, soll euch zur Nahrung dienen; wie das grüne Kraut habe ich es euch alles gegeben. Nur dürft ihr das Fleisch nicht essen, während sein Leben, sein Blut, noch in ihm ist!“ (1Mose 9,3-4). Für die Opferung kamen auch nach der Sintflut nur reine Tiere in Frage (1Mose 8,20; 4,4). Aber für den allgemeinen Verzehr gab der Herr eine große Auswahl an Fleischspeisen frei. Es gab nur eine Einschränkung – kein Blut, bzw. kein Fleisch, in dem noch Blut ist, dies bedeutete auch kein Fleisch erstickter Tiere. Auf dem Speiseplan standen auch allerlei Kräuter.

In 3Mose 11,1-47 jedoch listet Gott Tiere, Vögel und Fische auf und nennt bestimmte Kriterien, anhand derer die Israeliten die reinen von unreinen unterscheiden können. Seit der Zeit gibt es in Israel ein eingeschränktes aber doch ausreichendes Menüangebot für gesunde Ernährung. Diese Einschränkung könnte ihre Begründung im Gesamtkontext der vielseitigen Absonderung des Volkes Israel von den Heiden und deren Gebräuchen, haben (5Mose 18,9-15; Esra 9,11). Dazu gab es in der Geschichte Israels weitere Einschränkungen für Menschen in bestimmten Diensten (Ri 13,1-14; Dan 11,1-14; Lk 1,15). Doch häufig hilten sich die Israeliten nicht an die Vorgaben des Herrn (Jes 65,4; 66,17).

Doch Petrus hat sich noch Jahre später an die jüdischen Speiseeinschränkungen gehalten (Apg 10,14-15; 11,9). Die Stimme aus dem Himmel: „Was Gott gereinigt hat, mache du nicht gemein“ bezog sich im übertragenen Sinne auf Menschen nicht jüdischer Herkunft, wie die Interpretation des Petrus bei Kornelius deutlich macht (vgl. Apg 10,15 mit 10,28.34-35). Aber steckt da vielleicht auch schon ein indirekter Hinweis darauf, dass Gott die Einschränkung (bei den Israeliten) um des Evangeliums willen (den Nationen) nicht auflegen wird? Sicher ist, dass diese Speiseeinschränkungen bei dem Aposteltreffen in Jerusalem im Jahre 48 n.Chr. den Heidenchristen nicht auferlegt wurden (unter Verbot stand weiterhin: Blut oder Fleisch in dem noch das Blut ist und Ersticktes, so wie Götzenopferfleisch und Unzucht Apg 15,5.23-29). Damit haben sich die Apostel und Älteste in Jerusalem sehr wahrscheinlich auf 1Mose 9,3-4 bezogen, also auf die Praxis, die vor dem Mosaischen Gesetz für alle Menschen üblich war. Das Verbot des Verzehrs von Götzenopferfleisch wurde später von dem Ap. Paulus in 1Kor 8,1-13 detailiert erklärt. Er gibt die meisten Erklärungen zu diesem Thema in seinen Briefen (vgl. Röm 14,1-23; 1Tim 4,3-5. In Kolosser 2,16-17 schreibt er: „So lasst euch von niemand richten wegen Speise oder Trank, oder wegen bestimmter Feiertage oder Neumondfeste oder Sabbate, 17 die doch nur ein Schatten der Dinge sind, die kommen sollen, wovon aber der Christus das Wesen hat.“ Ähnlich schreibt auch der Autor des Hebräerbriefes: „allein mit Speise und Trank und verschiedenen Waschungen. Dies sind irdische Satzungen, die bis zu der Zeit der Besserung auferlegt sind.“ (Hebr 9,10).

Fazit: Die Gläubigen an Jesus Christus aus den Nichtjuden bekamen, was die Äußerlichkeiten wie zum Beispiel: (Essen, Trinken, Kleidung, Waschungen, sonstige Rituale) betrafen, große Freiheit. Doch wurden sie angehalten, Rücksicht zu nehmen auf ihre Glaubensgeschwister aus den Juden und ebenso Rücksicht auf die Schwachen im Glauben. Auch für uns heute gilt: weises und rücksichtsvolles Verhalten in dem jeweiligen Kulturkreis um des Evangeliums willen, nach dem Vorbild des Ap. Paulus: „Denn obwohl ich frei bin von jedermann, habe ich doch mich selbst jedermann zum Knecht (Sklaven-zu Diensten) gemacht, auf dass ich möglichst viele gewinne. 20 Den Juden bin ich wie ein Jude geworden, damit ich die Juden gewinne. Denen unter dem Gesetz bin ich wie einer unter dem Gesetz geworden – obwohl ich selbst nicht unter dem Gesetz bin –, damit ich die unter dem Gesetz gewinne. 21 Denen ohne Gesetz bin ich wie einer ohne Gesetz geworden – obwohl ich doch nicht ohne Gesetz bin vor Gott, sondern bin im Gesetz vor Christus –, damit ich die ohne Gesetz gewinne. 22 Den Schwachen bin ich ein Schwacher geworden, damit ich die Schwachen gewinne. Ich bin allen alles geworden, damit ich auf alle Weise etliche rette. 23 Alles aber tue ich um des Evangeliums willen, auf dass ich an ihm teilhabe.“ (1Kor 9,19-23).

Jesus geht insbesondere auf die Frage seiner Jünger ein, denn auch sie hatten den Kern der Aussage nicht verstanden. Es geht um das verdorbene Herz des Menschen, aus dem viele böse Dinge durch den Mund herauskommen und den Menschen unrein (gemein) machen. Die Liste bei Markus ist lang und wird von Matthäus noch ergänzt:

Böse Gedanken – οἱ διαλογισμοὶ οἱ κακοὶ – oi dialogismoi oi kakoi (jm Plur., auch bei Mt). An für sich ist dieses Wort `dialogismos` wertneutral. Die Vorsilbe `dia – durch`, hat teilende Wirkung; die Wortwurzel `logis`, erinnert an Logik; die Endung `moi` bezeichnet die Mehrzahl. So kann das griechische Wort besser mit einem `Dialog in Gedanken, Überlegungen` wiedergegeben werden. In diesem Text werden böse Gedanken im Herzen hin und her bewegt, um anschließend eine innere Teilung vorzunehmen und eine bewusste Entscheidung zu treffen. (Beispiele: Lk 2,35; Mk 2,6;  Lk 5,22; 6,8; 9,46; Mt 16,8; Lk 24,38; Röm 1,21). Und nun folgen die einzelnen bösen Dinge, welche Jesus beim Namen nennt:

  1. Unzucht – πορνεῖαι – porneiai (im Plur., auch bei Mt). Sexualität gehört nach Gottes Wort und Willen in die Ehe zwischen Mann und Frau (1Mose 1,26-28; 2,24-25; 4,1). Der Begriff `porneia`, (im Text Plural) umfasst alle Arten und Formen von geschlechtlicher (sexueller) Entgleisungen, immer beginnend in Gedanken des Herzens
    • Mt 5,28-32; 19,9: Fremdgehen in Gedanken ist Ehebruch und Ehebruch ist `porneia – Unzucht`. Und  wenn jemand (ein Ehepartner) eine sexuelle Beziehung mit einer dritten Person eingeht (fremdgeht) begeht er Ehebruch, auch dies bezeichnet Jesus als `porneia – Unzucht`. und fügt hinzu, dass `porneia` ein Grund für Scheidung wäre.
    • Mt 21,31-32: Nach den Worten von Jesus haben die `pornai – Unzüchtigen` eher eine Chance ins Reich Gottes zu kommen, als die widerspenstigen und selbstgerechten Pharisäer, welche Jesus mit Heuchler bezeichnete.  
    • Lk 15,30; Joh 4,17-18; 8,41; Apg 15,20; 21,25; Röm 1,27-31; 1Kor 5,1.9.10.11; 6,9.13.15.16.18; 7,2.21; 10,8; 2Kor 12,21; Gal 5,19; Eph 5,3.5; Kol 3,5; 1Thes 4,3; 1Tim 1,10; Hebr 11,31; 12,16; 13,4; Jak 2,25; Offb 2,14.20.21; 9,21; 14,8; 17,1.2.4.5.15.16; 18,3.9; 19,2; 21,8; 22,15).
  2. Diebstähle – κλοπαί – klopai (im Plur., auch bei Mt). Auch dieser Begriff ist umfassen und bezeichnet die verschidenen Arten von `an sich nehmen`, was einem nicht gehört oder `zurückbehalten`, was einem  nicht zusteht (Joh 10,1.8.10; 12,6; Röm 2,21; 1Kor 6,10; Eph 4,28; 1Petr 4,15).
  3. Morde – φόνοι – fonoi (im Plur., auch bei Mt). 2Mose 20,13; Mt 5,21: „töte nicht – οὐ φονεύσεις – ou foneuseis“. Mord ist Tötung mit bewusster und gezielter Absicht (Mk 15,7: Mt 22,7;  Apg 9,1; Der Teufel wird von Jesus `gr. anthropoktonos – Menschenmörder genannt (Joh 8,44); Wer seinen Bruder hasst, ist auch Menschenmörder (1Joh 3,15; 2Petr 4,15).
  4. Ehebruch – μοιχεῖαι – moicheiai (im Plur., auch bei Mt). Ehebruch ist wie Treuebruch mit schwerwiegenden Folgen.
  5. Habgier – πλεονεξίαι – pleonexiai (im Plur.). Lk 12,15: „hütet euch vor jeder Art von Habgier“; Röm 1,29; 1Kor 9,5; Eph 4,19; 5,3; Kol 3,5; 1Thes 2,5: 2Petr 2,3.14.
  6. Bosheit – πονηρίαι – pon¢riai (im Plur.). Auch die Bosheit, gleich Schlechtigkeit äußert sich in verschiedenen Varianten des menschlichen Verhaltens: Mt 5,11.37.39.45; 6,13.23; 7,11.17.18: 9,4; 12,34.35.39.45;13,19.38.49; 16,4; 18,32; 20,15; 22,10.18; 25,26.
  7. Arglist – δόλος – dolos . Arglistig, tückisch, hinterhältig, Falschheit, in den Rücken fallen (Joh 1,47: ohne falsch; Apg 13,10: voller Arglist; Röm 1,29: voller Arglist; 2Kor 4,2: ohne falsch; 1Petr 2,1: voller Arglist; 1Petr 2,22: Jesus war frei davon; 3,10: „der hüte seine Zunge, dass sie nicht Falsches redet“),
  8. Ausschweifung – ἀσέλγεια – aselgeia. Maßlosigkeit, hemmungslose Hingabe an Genüsse: Lk 21,34; 2Kor 12,21; Gal 5,19; Eph 4,19; 2Petr 2,7; 1Kor 15,32-33.
  9. Missgunst – ὀφθαλμὸς πονηρός – ofthalmos pon¢ros (wörtlich – böses Auge. So auch in Mt 20,15). Weitere Beispiele: 1Mose 26,14; 37,4 (Apg 7,9); 1Sam 18,8-9).
  10. Lästerung – βλασφημία – blasf¢mia (auch bei Mt). 3Mose 24,11; Mt 12,31; 26,65; 27,39; Mk 2,7; 3,28-29; 15,29; Lk 12,10; 23,39; Joh 10,33.36; Apg 6,11; 13,45; 18,6; 19,37; 26,11; Röm 2,24; 3,8; 14,16; 1Kor 10,30; Eph 4,31; Kol 3,8; 1Tim 1,13.20; 6,1.4; 2Tim 3,2; Tit 2,5; 3,2; Jak 2,7; 1Petr 4,4; 2Petr 2,2.10.11.12; Jud 8.9.10; Offb 2,9; 13,1.5.6; 17,3.
  11. Hochmut – ὑπερηφανία – yper¢fania. Überheblichkeit, Übermut, Hochmut, Stolz, Die Vorsilbe `ὑπερ – yper`,  überhöht die Wortwurzel `φαν – fan – scheinen`, das heißt: sich auf ein übermäßig hohes und irreales Niveau zu stellen. In unserem Text spricht Jesus von einem Menschen, der über jedes normale Maß hinaus, viel von sich hält, sich über andere erhebt, auf andere herablassend herabschaut und diese Haltung in seinen Überlegungen, seinen Worten und seinem Handeln ausdrückt. Der oben genannte Begriff kommt an folgenden Stellen des AT und NT vor: 2Mose 18,21: Mose soll siebzig Männer zu Ältesten berufen, welche die Überheblichkeit und den Hochmut hassen – μισοῦντας ὑπερηφανίαν“; 3Mose 26,19: „und ich werde den Übermut (die Anmaßung) eures Hochmuts brechen – καὶ συντρίψω τὴν ὕβριν τῆς ὑπερηφανίας ὑμῶν“;  5Mose 17,12: „wenn jener in seinem Hochmut (seinem Übermut, seiner Vermessenheit) dem Pridester nicht gehorcht – ἂν ποιήσῃ ἐν ὑπερηφανίᾳ τοῦ μὴ ὑπακοῦσαι τοῦ ἱερέως“: Ps 101,5: „hochmütiges Auge – ὑπερηφάνῳ ὀφθαλμῷ“; Lk 1,51: „die Hochmütigen im Denken ihres Herzens – ὑπερηφάνους διανοίᾳ καρδίας αὐτῶν“; Röm 1,30: „Übermütige (extreme Ausdrucksform der Selbstüberschätzung), Hochmütige, Prahler – ὑβριστὰς ὑπερηφάνους ἀλαζόνας“; 2Tim 3,2: „prahlerisch, Hochmütig, Lästerer – ἀλαζόνες ὑπερήφανοι βλάσφημοι“; Jak 4,6: „Gott widersteht den Hochmütigen (Übermütigen, Überheblichen), aber den Demürigen gibt er Gnade – ὁ θεὸς ὑπερηφάνοις ἀντιτάσσεται, ταπεινοῖς δὲ δίδωσιν χάριν.“ (So auch in 1Petr 5,5). Sowohl Jakobus als auch Petrus zitieren aus Sprüche 3,34 nach der LXX Übersetzung.
  12. Unvernunft – ἀφροσύνη – afrosyn¢. Unvernünftig, unverständig, unkluug (Mt 6,24; 7,24; 10,16; Lk 11,40; Röm 1,31;; 2Kor 11,1.16.17.19.21; Eph 5,17; 2Petr 2,15). Im Gegenteil dazu steht die Vernunft, die Klugheit, der Kluge, Vernünftige: Mt 24,45; 25,2.4.8.9;  Mk 5,15.
  13. Falsche Zeugnisse – ψευδομαρτυρίαι – pseudomartyriai (im Plur., nur bei Mt). 2Mose 20,16; 1Kön 21,1-20; Mt 19,18; 26,60; Apg 6,13.

Alle diese bösen Dinge kommen aus dem Inneren des menschlichen Herzens heraus und machen den Menschen gemein/unrein (Mk 7,21-23;  Mt 15, 19-20).

Fragen / Aufgaben:

  1. Wo fand diese Diskussion statt und wer war dabei beteiligt?
  2. Was war der Anlass zu dieser Diskussion?
  3. Warum beachtete Jesus und seine Jünger gelegentlich nicht die Waschung ihrer Hände vor einer Mahlzeit? Hat Jesus etwas gegen körperliche Reinheit oder Körperpflege?
  4. Wie ist die Motivation der Pharisäer und Schriftgelehrter bei ihrer Fragestellung einzuschätzen? Um was ging es ihnen eigentlich?
  5. Welche Kenntnisse hast du über die Reinheitsvorschriften im Alten Testament und wozu wurden sie gegeben?
  6. Warum reagiert Jesus mit solch einer Schärfe? In welchen Situationen ist Klarheit und Eindeutigkeit heute gefragt?
  7. Die speisevorschriften, bzw. Einschränkungen nahmen in Israel einen breiten Raum ein. Wurden diese immer eingehalten?
  8. Welche zusätzliche Sonderregelungen gab es in Israel im Bereich essen und trinken?
  9. Hielt sich Jesus selbst an die regulären Einschränkungen aus 3Mose 11,2-22?
  10. Wie verstehst du die Erklärung des Evangelisten Markus: „damit erklärte er alle Speisen für rein“? Wären durch diese Aussage die alttestamentlichen Speisevorschriften aufgehoben? Gibt es auch eine Alternative zu dieser Übersetzung und mit welchem Ergebnis?
  11. Wie wurde dieser Bereich in der neutestamentlichen Gemeinde geregelt? Was blieb, was wurde verändert?
  12. Wie gehen wir heute mit den verschiedenen Ansichten in Bezug auf Speisevorschriften um? Welche Hilfestellung gibt uns der Apostel Paulus dazu?
  13. Erstelle eine Liste von den bösen Dingen, welche Jesus beim Namen nennt und vergleiche diese mit den Sündenlisten bei den Aposteln.
  14. Wie ist es zu erklären, dass im Herzen des Menschen so viele bösen Dinge verborgen sind?
  15. Welche Hilfestellung gibt es, um von diesen Dingen loszukommen?

7.9 Jesus heilt die Tochter einer griechischen Frau bei Tyrus

(Bibeltexte: Mt 15,21-28; Mk 7,24-31)

Jesus sucht sich für eine Klausur mit seinen Jüngern bemerkenswerter Weise das benachbarte Syro-Phönizien aus (die Gegend bei Tyrus und Sidon im Südwesten des heutigen Libanon). Jesus selbst beschließt Galiläa zu verlassen, ohne dass ihn ein Nichtjude darum bittet. Jesus sucht die Abgeschiedenheit – doch selbst dort ist es nicht möglich unerkannt zu bleiben (Mk 7,24). So mancher alttestamentliche Bericht hat seine Parallele im Neuen Testament. Im Alten Testament lesen wir, dass Menschen den Propheten eine Not vortrugen und sich trotz eines Neins nicht wegschicken ließen. Manche erlebten, wie ihre Bitten erhört wurden. Hier sind besonders die Frauen aus Sidon (1Kön 17,18-19) und Schunem (2Kön 4,28) zu nennen, die die Propheten Elia und Elisa zu Gast hatten und eine Wende in ihrer großen Not erlebten, indem sie ihre Kinder wiederbekamen.

Eine kanaanäische Frau aus jener Gegend schreit immer wieder[1] aus größter Not Jesus nach und bittet um die Heilung/Befreiung für ihre Tochter, die von einem bösen Geist geplagt wird. Die Evangelisten nennen hier keine Details – ebenso keine Details von der Heilung. Kanaanäer waren im Alten Testament die Feinde des Volkes Gottes. Viele Kanaanäer hatten sich in Phönizien niedergelassen. Indem der Evangelist Matthäus die Frau, als kanaanäische Frau bezeichnet, nimmt er bewusst rassistische Vorurteile strenger Juden in Kauf. Da die Frau Jesus jedoch ehrfurchtsvoll als Herrn und Sohn Davids und damit als Messias anerkennt, wird offenbar, dass der Evangelist Matthäus in seinem literarischen Kontext (siehe Mt 15,1-20) diese Frau den Juden als vorbildliche Gläubige darstellen möchte. Markus bezeichnet die Frau als eine Griechin, die von Geburt her aus dem syro-phönizischen Kulturkreis stammt. Jesus gibt ihr zunächst keine Antwort. Für die Jünger war das Schreien eine nicht auszuhaltende Störung, deshalb bitten sie Jesus diese Frau zu entlassen. Ob die Jünger mit dem ´entlassen´ meinten, dass Jesus doch endlich ihrer Bitte entspäche? Die Antwort von Jesus ließe solch eine Deitung zumindest zu: „Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel“ (Mt 15,24). Doch Jesus macht Ausnahmen:

  • Er führt ein langes evangelistisches Gespräch mit einer Samariterin (Joh 4,1-42) was zu einer Öffnung des ganzen Ortes führt.
  • Er heilt den gelähmten Burschen eines römischen Hauptmanns, wobei der Glaube dieses Römers hervorgehoben wird (Mt 8,5-13)
  • Jesus wirkt und heilt im Bereich der Dekapolis (Mk 7,31-37)

Der Hinweis von Jesus schließt die spätere Mission bis an die Enden der Erde nicht aus. Doch es gibt eine bestimmte Reihenfolge in der Ausbreitung der Heilsbotschaft. Der Knecht Gottes in Jes 53,6-8 leidet für die verlorenen Schafe seines Volkes (vgl. 40,11), doch sein Leiden und Sterben gilt allen Menschen (Jes 42,6; 49,6-7).

Auch wenn die Worte harsch und unhöflich klingen – immerhin spricht Jesus mit ihr. Die Frau wirft sich zu den Füßen von Jesus nieder und spricht die kurze Bitte aus: „Herr, hilf mir!“ Ihre große Mutterliebe zu ihrer Tochter wird damit allen Umstehenden überdeutlich vor Augen geführt. Die Belastung der Tochter und die Not der Mutter sind eins! Jesus fährt fort mit dem Hinweis: „Es ist nicht schön, das Brot der Kinder zu nehmen und den Hündchen hinzuwerfen.“ Gemeint sind hier nicht die Straßenhunde, sondern eher mit der Verniedlichungsform das Schoßhündchen im Haus. Immerhin schwingt hier die Vorstellung mit, dass Griechen von den Frommen Israels gerne als Hunde bezeichnet wurden.[2]

Wir fragen uns hier natürlich, warum hilft Jesus nicht sofort? Warum muss die Frau solange warten? Oft wurde daraufhin gewiesen, dass Jesus ihren Glauben prüfen wollte. Schien es nicht oft so, dass Gott im Alten Testament oder Jesus im Neuen Testament zu spät kam?

  • Isaak wurde beinahe durch Abraham geopfert 1Mose 22,1-19.
  • Die Tochter des Jairus verstarb, während Jesus auf dem Weg zu ihr war Mk 5,35).
  • Ging Jesus nicht scheinbar unberührt an den beiden blinden Hilferufenden vorbei (Mt 9,27-29).
  • Ließ er nicht auch die zwei Schwestern von Lazarus warten, bis deren Bruder gestorben war (Joh 11,7)?

Auf der anderen Seite, wird uns kein Fall im Neuen Testament berichtet, in dem Jesus einer in tiefer Not geäußerten Bitte nicht nachkam. In diesem Fall ist es die Frau, die ihren tiefen Glauben (Vertrauen) trotz widriger Umstände ausdrückt.

Der Glaube der Frau besteht in ihrer schlagfertigen, optimistischen, aber dennoch demütigen Art, in einer eigentlich negativen Antwort einen Hoffungsschimmer für sich zu entdecken. Es sind die unter den Tisch fallenden Krumen/Brotkrümel auf die sie ihre Hoffnung bezieht. Das Brot reicht für alle am Tisch und sogar für die Hündchen. Die Frau hat keine Scheu, wenn sie schon nicht zu den Kindern am Tisch gerechnet werden darf, sich dann wenigstens zu den Hündchen unter dem Tisch zu rechnen. Sie geht davon aus, dass der Hausherr selbst das Hündchen unter dem Tisch gut versorgen wird. Sie nimmt diese eigentlich diskriminierende Stellung in Kauf, da sie darin Hoffnung auf die Heilung ihrer Tochter hat. So dreht diese Frau die peinliche Ablehnung ihrer Bitte in einen freudigen Sieg ihres Glaubens um. Zu ihrem momentanen Glauben kommt Ausdauer und ihr Durchhaltevermögen!

An dieser Stelle bricht aus dem scheinbaren kühlen Jesus tiefe göttliche Liebe hervor. Mit einer tiefen Anerkennung ruft er aus: „Oh, Frau!“ Wie damals beim Hauptmann von Kapernaum (Mt 8,10.11) preist Jesus den Glauben der Heiden. So bekommen Mutter und Tochter ihren tiefen Wunsch erfüllt: die vollständige und bleibende Heilung/Befreiung aus der Distanz.

Fragen:

  1. Warum sucht Jesus eine Auszeit? Ist dies ein Hinweis für uns heute?
  1. Wie bewerten wir Ruhestörungen?
  1. Warum antwortet Jesus damals und heute nicht immer sofort auf dringende Bitten? Wie gehen wir mit Wartezeiten um?
  1. Woraus dürfen wir Hoffnung schöpfen?
  1. Wie können wir Ausdauer im Gebet üben?
  1. Welche Botschaft steckt in der Annahme der Position des Hündchens durch die Frau?
  1. Warum preist Jesus besonders den Glauben von Nichtjuden?

7.10 Jesus heilt einen Taubstummen im Gebiet der Dekapolis

(Mk 7,31-37)

Und wieder verlässt er die Gegend von Tyrus und kommt über Sidon an den See von Galiläa inmitten des Gebiets der Zehnstädte“ (Mk 7,31).

Nach dem Aufenthalt in der Gegend von Tyrus, macht sich Jesus auf und reist über die etwa 27km nördlich gelegene Stadt Sidon zurück an das Galiläische Meer und zwar in die Mitte des Zehnstädtegebiets, welches an das Ostufer des Sees grenzte. Dies war eine mehrtägige Reise, bei der Jesus viel Zeit für seine Jünger hatte. Eine war eine Strecke (Luftlinie) von ca.130km – im Straßenverlauf allerdings könnte es fast das Doppelte gewesen sein. Es ist das letzte laufende Dienstjahr von Jesus (etwa Frühsommer-Mai 32 n. Chr.). Er sucht die Einöde, die Stille, meidet nach Möglichkeit bekannte Städte und Orte, geht immer öfters ins benachbarte Ausland.[3]

Im Zehnstädtegebiet ist Jesus nicht zum ersten Mal. In der Anfangszeit machte er schon mal einen Ausflug über den See und heilte zwei von Dämonen besessene Gerasener (Mt 8,28-34). Auf die Bitte der Einwohner verließ er damals recht schnell wieder jene Gegend. Doch durch das Zeugnis der beiden Freigewordenen wurde Jesus in dem gesamten Gebiet bekannt. Mit dem erneuten Besuch von Jesus, bekommen nun diese Menschen eine zweite Chance. Matthäus ergänzt, dass Jesus auf einen Berg gegangen war und sich dort setzte (Mt 15,29). Recht bald hat es sich herumgesprochen, dass der Prophet aus Israel wieder da ist.

Der Evangelist Markus berichtet uns von der Heilung eines Taubstummen Mannes. Diese Begebenheit wird oft und leicht übersehen, weil gleich im Anschluss die offensichtlich bekanntere Speisung der Viertausend berichtet wird.

Um so mehr erstaunt es uns, dass Jesus sich Zeit für einen Einzelnen und dessen Not nimmt. Markus schreibt: „Und sie bringen zu ihm einen Taubstummen und bitten ihn, damit er ihm die Hand auflege“ (Mk 7,32). Der Gehör- und Sprachbehinderte kann nicht für sich selbst reden, er hätte auch keine Antwort gehört und so finden sich Menschen, die ihn zu Jesus bringen und für ihn Fürbitte tun. Inzwischen kommen immer mehr Menschen zusammen. Da jedoch die Befreuung/Heilung der zwei Besessenen am Ostufer in der Gegend der Gadarener, sich weit herumgesprochen hatte, ist es kein Wunder, dass nun viele Menschen ihre Abneigung gegenüber Jesus in Zuneigung und Staunen verändert haben. Was Jesus hier tut ist ungewöhnlich, er geht mit diesen Menschen allein zur Seite. Steckt seine Finger in die Ohren und berührt mit Speichel die Zunge des Behinderten, sieht auf gen Himmel, seufzt und spricht: „hefata“, das heißt: „tu` dich auf“! „Und sofort öffneten sich sein Gehör und die Bande der Zunge löste sich und er redete richtig“ (Mk 7,34-35).

Wir bemerken das einfühlsame Vorgehen von Jesus bei dieser Heilung. Danach untersagt Jesus dem Geheilten und seinen Begleitern jede Art von Werbung oder Publizität, – natürlich vergeblich, denn sie konnten nicht schweigen – schon gar nicht der Geheilte. Endlich kann er sprechen und zwar vollkommen richtig. Er muss also nicht erst das Sprechen lernen wie ein Kind, sondern ist sofort imstande richtige Sätze zu bilden und zu formulieren.

Gott wurde die Ehre gegeben, indem die Menschen sagten: Er hat alles wohl gemacht, die Tauben macht er hörend, die Sprachlosen redend. Dieser letzte Satz ist auf folgendem Hintergrund zu sehen. Matthäus berichtet von vielen Heilungen an demselben Ort, bevor er die Speisung der 4000 erzählt. Mt 15,30-31:„Und es kam eine große Menge zu ihm; die hatten bei sich Gelähmte, Verkrüppelte, Blinde, Stumme und viele andere Kranke und legten sie Jesus vor die Füße, und er heilte sie, so dass sich das Volk verwunderte, als sie sahen, dass die Stummen redeten, die Verkrüppelten gesund waren, die Gelähmten gingen, die Blinden sahen; und sie priesen den Gott Israels.“

Der letzte Satz unterstreicht zusätzlich, dass es sich hier um nichtjüdische Menschen handelte. Es ist wie so oft, hier bei den Fremden bekommt Jesus mehr Anerkennung und Annahme, als bei den Seinen. Hierzu passt die prophetische Aussage des Jesaja (Jes 42,1-4), welche Jesus schon früher zitierte (Mt 12,18-21): »Siehe, das ist mein Knecht, den ich erwählt habe, und mein Geliebter, an dem meine Seele Wohlgefallen hat. Er wird nicht streiten noch schreien, und man wird seine Stimme nicht hören auf den Gassen; das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen, bis er das Recht hinausführt zum Sieg; und die Heiden werden auf seinen Namen hoffen.« So wird schon zu Lebzeiten von Jesus das Heil unter den Heiden verkündigt und Heiden beginnen auf den Namen des Herrn zu hoffen und zu vertrauen.

Fragen:

  1. Skizziere die Reiseroute von Jesus.
  1. Wie kann man die Tatsache erklären, dass Jesus öfters ins benachbarte Ausland geht?
  1. Wie ist es zu erklären, dass schon kurz nach der Ankunft von Jesus im Zehnstädtegebiet so viele Menschen ihn aufsuchten? Welche Vorgeschichten sind dir bekannt?
  1. Erzähle diese besondere Heilungsgeschichte mit den Ergänzungen von Matthäus. Wo sind heute die Menschen, welche Kranke und in Notgeratene zu Jesus bringen?
  1. Wie drückten die Menschen ihre Anerkennung aus?
  1. Können wir schon hier den Beginn der Erfüllung der Jesajaprophetie (Jes 42,1-4; Mt 12,18-21) sehen?

7.11 Jesus speist die 4000 im Gebiet der Dekapolis

(Bibeltexte: Mt 15,29-39; Mt 16,9.10; Mk 8,1-9; Mk 8,18-21)

Nach dem Aufenthalt in der Gegend von Tyrus und Sidon folgt eine lange Reise quer durch das nördliche Galiläa an das Ostufer des Sees Gennesaret. Die Orts- und Zeitangaben der Evangelisten sind vage. Wir nehmen an, dass Jesus sich im weniger besiedelten Gebiet im Bereich der Dekapolis (Gebiet der Zehn-Städte) aufhält (Mt 15,33; Mk 8,4). Jesus weiß um seinen  Auftrag für das Volk Israel. Doch in dieser Phase seines Dienstes nimmt er bewusst die heidnische Bevölkerung ins Auge. Nach seiner Ankunft steigt Jesus auf einen Berg und setzt sich. Die Nachricht über seine Anwesenheit breitet sich rasch im Gebiet der Dekapolis aus. Wieder strömen die Menschenmassen mit unterschiedlichsten Nöten zu ihm. Jesus heilt die Kranken, die sich ihm zu Füßen werfen. Heilungen dieser Art und in solcher Zahl sind damals wie heute etwas Außergewöhnliches und führen ins Staunen. Diese Art der Zusammenfassung durch den Evangelisten Matthäus erinnert an Jes 35,5-6:

Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet. Dann wird der Lahme springen wie ein Hirsch, und jauchzen wird die Zunge des Stummen. Denn in der Wüste brechen Wasser hervor und Bäche in der Steppe“

und Jes 29,18.19.23:

An jenem Tag werden die Tauben die Worte des Buches hören, und aus Dunkel und Finsternis hervor werden die Augen der Blinden sehen. Und die Demütigen werden mehr Freude im HERRN haben, und die Armen unter den Menschen werden jubeln über den Heiligen Israels. Denn wenn er, wenn seine Kinder das Werk meiner Hände in seiner Mitte sehen, werden sie meinen Namen heiligen; und sie werden den Heiligen Jakobs heiligen und den Gott Israels fürchten.“

Das erste Speisungswunder sollte kein Einzelfall bleiben. Jesus ist vielmehr imstande, es jederzeit zu wiederholen (Keener 1998, 129). Menschen in Not berühren Jesus – besonders wenn sie in großer Zahl zu ihm strömen (Mt 9,36; 14,14; 20,34). Jesus möchte das auch seine Nachfolger sich in ihren Herzen berühren lassen (Mt 14,16.18.19; Joh 6,5). So findet eine Unterweisung mitten im arbeitsreichen Alltag statt. Die Menschen, zu denen Jesus diesmal drei Tage lang spricht sind vorwiegend Heiden. Sie wollen jedes Wort hören – jede Heilung sehen – da bleibt man gerne!

Als die Nahrungsmittelvorräte aufgebraucht sind, erkennt Jesus, dass die Masse nicht mehr in der Lage sein wird den Weg zu den nächsten Einkaufsmöglichkeiten zurückzulegen. In vertrauter Weise bespricht Jesus diese Not mit seinen Jüngern. Diese wissen keinen Ausweg aus dieser Lage – denn woher sollen sie an diesem einsamen Flecken Nahrung für Tausende beschaffen. Wieder mal wird unser „Unmöglich“ zum Anfang des wunderbaren Eingreifens von Jesus. Doch die Jünger müssen das bringen, was vorhanden ist – zusammen mit der göttlichen Kraft kann vielen geholfen werden. Dies bezeichnen Theologen als den göttlichen Synergismus. Gottes unendliche Kraft und Weisheit bindet die menschlichen Möglichkeiten mit ein. Diesmal sind es sieben Brote und wenige kleine Fische (Mt 15,34) bzw. einige kleine Fische (Mk 8,7). Wie viel wir Menschen Gott bringen ist nicht ausschlaggebend für den Segen den er wirken kann. Ob fünf oder sieben Brote – Jesus kann damit mehr als 5000 oder 4000 Menschen sättigen. Wieder möchte Jesus, dass sich die Masse in Gruppen organisiert und dann auf der Erde niederläßt. Entsprechend der vorangeschrittenen Jahreszeit, kann man jetzt nicht mehr von Gras reden, auf dem man sich ausbreiten kann – dies ist wahrscheinlich schon wieder verdorrt. Jesus segnet die Speise in der Art des jüdischen Hausvaters. Dieses Gebet ist ein Segen über die Speisen, aber auch ein Dank, der meist zu Beginn der Mahlzeit an Gott gerichtet wird. Und du wirst essen und satt werden, und du sollst den HERRN, deinen Gott, für das gute Land preisen, das er dir gegeben hat“ (5Mo 8,10). Danach lesen wir nur noch wie ständig alle mit dem Geben beschäftigt sind. Die griechische Verbform unterstreicht dieses ständig wiederholte Geben. Alle werden an diesem Tag satt – Brot und Fisch scheinen so wie immer sehr gut geschmeckt zu haben. Die Reste werden in 7 großen Körben eingesammelt. Im Gegensatz zu Mt 14,20-21 sind es nicht Handkörbe (ko,finoj kophinos), sondern große für die Gegend typische Körbe spuri,j spyris in der später in Damaskus Paulus in großer Not an der Stadtmauer heruntergelassen wurde (Apg 9,25).

Nach dieser Speisung verabschiedet sich Jesus recht rasch. Ob er eine Wiederholung der Reaktion der Massen verhindern wollte? Jesus hat kein Interesse nochmals zum König der Hungrigen gekürt zu werden. Der Evangelist Matthäus beschreibt seine Abreise mit dem Boot nach Magadan dem Heimatort von Maria Magdalena. Es wurde mit Taricheä  identifiziert, einem Fischerstädtchen. Markus nennt als Ziel der Bootsreise Dalmanuta am Westufer des Sees. Südlich der Ebene Gennesaret ist eine Höhle mit dem traditionellen Namen Talmanutha bekannt.

Fragen ( Aufgaben:

  1. Wie beurteilen wir (Massen-) Heilungen damals wie heute?
  2. Wie steht es mit dem Glauben der Einzelnen? Welche Erkenntnis war zu einer erfahrenen Heilung notwendig?
  3. Was darf heute unser Herz berühren? Welche Not ist zeitlich – welche ewig?
  4. Wie kann Jüngerschaft heute praktisch eingeübt werden?
  5. Was können wir Jesus bringen – was kann er daraus machen? Werden unsere Mitmenschen es dankbar annehmen?
  6. Wie halten wir es mit dem Tischgebet?
  7. Sind wir unzufrieden, wenn wir im Gemeindeleben ständig mit dem Geben beschäftigt sind?
  8. Wie ist es mit dem Danken, den Ehrenbeweisungen nach guten Erfolgen?

7.12 Herodes sucht Jesus zu sehen

(Bibeltexte: Mt 14,1-2; Mk 6,14-16; Lk 9,7-9)

Der Ev. Lukas schreibt: „Es kam aber vor Herodes, den Landesfürsten (Vierfürsten), alles, was geschah; und er wurde unruhig, weil von einigen gesagt wurde: Johannes ist von den Toten auferstanden; von einigen aber: Elia ist erschienen; von andern aber: Einer von den alten Propheten ist auferstanden. Und Herodes sprach: Johannes, den habe ich enthauptet; wer ist aber dieser, über den ich solches höre? Und er begehrte ihn zu sehen.“ (Lk 9,7-9). Der Ev. Matthäus ergänzt, indem Herodes eine bestimmte Version des Volkes übernimmt und diese zu seiner eigenen Meinung umformuliert: „Zu der Zeit kam die Kunde von Jesus vor den Landesfürsten (Vierfürsten) Herodes. Und er sprach zu seinen Knechten: Das ist Johannes der Täufer; er ist von den Toten auferstanden, und darum wirken solche Kräfte in ihm.“ (Mt 14,1-2; ähnlich auch Mk 6,14-16). Herodes Antipas führt offiziell den Titel ´tetra,rchj tetrarch¢sVierfürst´, er beherrscht in etwa den vierten Teil des Territoriums seines Vaters. Warum der Ev. Markus ihn mit dem Titel ´basileu,j basileus König´ nennt, ist nicht klar, es könnte seinem Wunschdenken entsprechen und beeinflusste auf diese Weise seine Untertanen, so dass es nach Jahrzehnten seiner Herrschaft im Volk zur Standartbezeichnung wurde.

Der Ev. Matthäus vermerkt (14,1), dass Herodes in jener Zeit mitbekommt, was Jesus tut. In jener ´Zeit´ (gr. kairw, kairö) meint nicht einen genauen Zeitpunkt, sondern bezieht sich auf einen Zeitraum nach dem Tod von Johannes dem Täufer und in einer Zeit in dem die Inhalte und Ereignisse durch das Wirken von Jesus und seiner Jünger immer öffentlicher wurden. Trotzdem kann man in etwa an die Vorpassazeit des Jahres 32 n,Chr. denken (vgl. Mt 14,12-13 mit Joh 6,4). Wir können jedoch annehmen, dass schon früher allgemeine Informationen zu Herodes gelangten. So lesen wir in Markus 3,6: „Und die Pharisäer gingen hinaus und hielten alsbald Rat über ihn mit den Anhängern des Herodes, wie sie ihn umbrächten.“ Das griechische Wort `sumbou,lion symboulion`  weist auf die Beratung der Pharisäer mit Vertretern des Herodes hin. Die Initiative für ein Komplott geht in diesem Fall von den Pharisäern aus. Es erscheint uns unwahrscheinlich, dass die Vertreter/Beamten des Herodes eigenmächtig, ohne Wissen ihres Fürsten, ein Todesurteil über Jesus hätten fällen können. Hier wird mal wieder deutlich, dass sich die Religionsführer des Öfteren der weltlichen Macht bedienen, um ihre Ziele zu erreichen (Mt 27,2; Apg 13,50ff; 17,6ff; 18,12ff; 24,1ff). Herodes sah in Jesus (im Gegensatz zu seinem Vater) keinen Konkurrenten, wie die spätere Episode des Verhörs deutlich macht (Lk 23,8ff). Johannes der Täufer dagegen war ständig in seinem Blickfeld, weil jener ihn immer wieder auf seine unmoralische Lebensführung hinwies.

Nun aber ist der lästige Mahner nicht mehr da und Jesus ist im dritten Jahr seines Dienstes bereits so bekannt, dass immer mehr Nachrichten von und über seine Taten zum Vierfürsten durchdringen. Und nun wird Jesus und seine Jünger Gesprächsthema am Hof des Fürsten. Er stellt wohl auch laut die Frage: Wer ist dieser, von dem ich solches höre?“ Jetzt werden die verschiedenen Versionen, welche über die Person und Identität von Jesus kursieren gehört und analysiert. Der Ev. Lukas vermerkt, dass Herodes „in Verlegenheit geriet, unruhig wurde, weil von einigen gesagt wurde:

„Johannes der Täufer ist von den Toten auferstanden…“ (Lk 9,7).

Er ist Elia“ (Mk 6,15;  Lk 9,8;  Mal 3,23-24).

Er ist Jeremia“ (nur bei Mt 16,14).

Er ist ein Prophet wie einer der Propheten“ (Mk 6,15;  Lk 9,8).

Bis dahin hört sich Herodes die Meinungen der Leute an. Nun aber fängt er an zu überlegen: „Johannes, den habe ich enthauptet; wer ist aber dieser, über den ich solches höre“ (Lk 9,9). Dann entschließt er sich für die Version, welche ihm am meisten passt: „Das ist Johannes der Täufer; er ist von den Toten auferstanden, darum tut er solche Taten.“ (Mt 14,2; Mk 6,16). Warum entschließt er sich für diese Meinungsvariante? Warum sucht er nach einer Möglichkeit, um Jesus zu sehen, so der Ev. Lukas schreiben kann: „Und er begehrte (suchte) ihn zu sehen“ (Lk 9,9). Vielleicht hoffte er, sein belastetes Gewissen zu beruhigen, wenn er feststellt, dass Johannes wieder lebt? Ob er  bewusst an die Auferstehung der Toten glaubte, ist offen, doch äußerlich steht er der Auferstehungstheologie der Pharisäer nahe (Apg 23,8). Gibt es nicht auch heute Menschen, welche bestimmte theologische Standpunkte bejahen, aber ihr Leben ist voll von Selbstsucht, Wankelmütigkeit und Eitelkeit? Herodes hatte Johannes den Täufer nicht aus eigener Überzeugung enthaupten lassen. Er war wankelmütig und eitel. Nun blieb sein Suchen nach Jesus zunächst erfolglos, denn Jesus wollte keine Begegnung mit dem Landesfürsten. Es war die Zeit, in der er immer wieder weiter entferntere Gegenden aufsuchte.

Im weiteren Verlauf äußert Herodes noch zwei Mal Interesse an Jesus – wenn auch aus unlauteren Motiven (Lk 13,31-32; 23,7-12). Und so verweigert sich Jesus einem Menschen, der ihn aus unlauteren Motiven sucht zu sehen.

Fragen / Aufgaben:

  1. In welchen zeitlichen Zusammenhang fällt das Interesse des Herodes an Jesus?
  2. Wie bildeten sich damals Meinungen in Bezug auf die Person von Jesus?
  3. Welche Meinungen/Ansichten über die Person von Jesus gibt es heute? Was sagen wir, wer Jesus sei? Für wen halten wir ihn?
  4. Wie reagiert Herodes auf die Meinungen des Volkes und welche Meinung machte er sich zu seiner eigenen und warum?
  5. Warum suchte Jesus nicht den Kontakt zu dem Landesfürsten? Welche Vorteile haben Christen durch gute Beziehungen zu Regierungsbeamten und wo liegen die Gefahren?
  6. Was hältst du von den Aussagen: „Die Leute sagen, die Geschwister meinen …“? Aus welchen Quellen bilden wir unsere eigenen Meinungen und Standpunkte?
  7. Das Gewissen des Herodes ist belastet und entsprechend reagiert er. Zu welchen Überlegungen kann auch uns das schlechte/belastete Gewissen führen? Oder sind die Christen heute immer ehrlich?
  8. Wie sieht Machtmissbrauch in Gesellschaft, Familie und Gemeinde aus? Was ist Manipulation?
  9. Warum verweigert sich Jesus dem Herodes, sogar dann, als er vor jenen gestellt wird?

7.13 Die Pharisäer und Sadduzäer fordern ein Zeichen von Jesus

(Bibeltexte: Mt 16,1-4; Mk 8,10-13)

7.13.1 Das Zeichen des Jona

Jesus steigt aus dem Boot am Westufer des Sees. Die Orte sind unterschiedlich angegeben. Erkennbar ist aber, dass sie an einem besiedelten Ort an Land gingen. So schreibt der Ev. Matthäus:

Und die Pharisäer1 und Sadduzäer kamen herbei; und um ihn zu versuchen, baten sie ihn, er möge ihnen ein Zeichen aus dem Himmel zeigen. Er aber antwortete und sprach zu ihnen: Wenn es Abend geworden ist, so sagt ihr: Heiteres Wetter, denn der Himmel ist feuerrot; und frühmorgens: Heute stürmisches Wetter, denn der Himmel ist feuerrot und trübe. Das Aussehen des Himmels wisst ihr zwar zu beurteilen3, aber die Zeichen der Zeiten könnt ihr nicht beurteilen. Ein böses und ehebrecherisches Geschlecht verlangt nach einem Zeichen; und kein Zeichen wird ihm gegeben werden, als nur das Zeichen Jonas. Und er verließ sie und ging weg. (Mt 16,1-4).

Nach der Überfahrt über den See Genezaret, kommen Jesus und seine Jünger in der Gegend von Magadan (nach Markus Dalmanutha) an. Die Ortsbezeichnung Magadan oder Dalmanutha ist in der Bibel sonst nicht bekannt, doch könnte Magadan mit Magdala identisch sein. Auf jeden Fall handelt es sich um eine Ortschaft am Westufer des Sees Genezaret. Da man mit den Fischerbooten überall an Land gehen konnte und Jesus zu dieser Zeit Städte mied, ist es verständlich, dass er außerhalb dieser Ortschaft an Land ging, denn der Ev. Matthäus vermerkt, dass sie in die Gegend von Magadan kamen (Mt 15,39; Mk 8,10: in die Gegend von Dalmanuta). Dennoch blieb seine Ankunft nicht unbemerkt.

Es treten Pharisäer und Sadduzäer zu ihm und entfachen eine Diskussion mit Jesus und fordern, wie schon bei einer anderen Gelegenheit (Mt 12,38ff; Lk 11,29-30) ein Zeichen vom Himmel. Woran denken sie?

  • Etwa an das Manna in der Wüste (2Mose 16,31)?
  • An den Donner und Regen zur Zeit der Weizenernte unter Samuel (1Sam 12,1)
  • An das Feuer vom Himmel durch Elia (1Kön 18,38)?

Markus vermerkt, dass Jesus in seinem Geist aufseufzt (Mk 8,12). Er durchschaut sie, denn es ging ihnen nicht um ehrliches suchen und erkennen wer Jesus ist, sondern sie suchten einen Anknüpfungspunkt und eine Ursache, ihn in eine Falle zu locken (Mk 8,11). Der gr. Begriff `peira,zontej peirazontes (ihn) versuchend` ist in diesem Zusammenhang negativ besetzt, wie auch bei der Versucgung von Jesus in der Wüste (Mt 4,1ff). Ihr Ziel war also Jesus eine Falle zu stellen, damit sie einen Grund zur Anklage hätten.

Nach Matthäus weißt Jesus sie auf die Zeichen der Natur im Bereich der Wettervorhersage hin.

ANMERKUNG: Im griechischen Neuen Testament ist der Text von Matthäus 16,2-3 in Klammern gesetzt, was darauf hinweist, dass er nicht in allen frühen Handschriften zu finden ist.

Die Zeichen der Zeit, auf die Jesus die Pharisäer hinweist, sind offensichtlich in seiner Person und seinem sichtbaren und wahrnehmbaren Dienst deutlich zu erkennen. Das Reich Gottes ist angebrochen und die Zeichen dafür sind offensichtlich. Den griechischen Zeitbegriff, welchen Jesus hier gebraucht ist nicht „chronos“, sondern „kairo,j kairos“, was auf den Inhalt der Zeit hinweist, also wie die Zeit ist oder womit diese Zeit ausgefüllt ist. Gott wendet sich seinem Volk offensichtlich in sehr unterschiedlicher Weise zu:

  • durch körperliche Heilungen,
  • durch Wunderkräfte,
  • durch Befreiungen aus der Gewalt böser Mächte,
  • durch Totenauferweckungen,
  • durch vollmächtige Verkündigung.

Doch niemals lässt sich Jesus herausfordern. Niemals befriedigt er die Neugier der Menschen und er lässt sich schon gar nicht von Gegnern missbrauchen. Stattdessen deckt er den Grund der Herzen seiner Herausforderer auf. Er offenbart ihre Heuchelei, ihre Boshaftigkeit und ihren Unglauben, wenn er sagt: „Dies böse und ehebrecherische Geschlecht (gr. geme,a genea – Art) sucht ein Zeichen und es wird ihm kein Zeichen gegeben werden, als nur das Zeichen des Propheten Jona“.

Bei einer vorangegangenen Begegnung erklärt Jesus noch, was er unter dem Zeichen des Jona verstanden haben will, nämlich seinen Tod, sein Begräbnis und seine Auferstehung nach drei Tagen (Mt 12,39-40; Lk 11,30). Hätten die Pharisäer damals auf due Aussage von Jesus genauer hingehört, hätten sie den göttlichen Plan mit seinem Messias aus der alttestamentlichen Geschichte erkennen können. Später werden sie versuchen diese Information gegen Jesus und seine Jünger zu verwenden und dabei scheitern (Mt 27,62ff).

Hier wird auch deutlich, wie Jesus die Geschichte oder Teile der Geschichte Israels interpretiert und anwendet. Mit dem „bösen und ehebrecherischen Geschlecht ist nicht das gesamte Volk oder ein einzelner Stamm gemeint, sondern der ungläubige Teil des Volkes mit ihrer Führung. Auch beschränkt sich die Aussage von Jesus nicht allein auf jene Menschen, die vordergründig vor ihm standen, sondern diese Bezeichnung umfasst alle Gegner zu allen Zeiten, die sich in gleicher Opposition zur der Gnade Gottes befinden und bewusst Jesus ablehnen. Die Haltung und Position der Pharisäer und Sadduzäer gegen Jesus steht im krassen Gegensatz zu der Haltung der Menschen im Zehnstädtegebiet, wo Jesus sich am Vortag aufhielt (Mt 15,31). Die Bemerkung des Markus: „Und er ließ sie stehen, stieg wieder ein und fuhr an das jenseitige Ufer“ (Mk 8,13), unterstreicht auch, dass Jesus manchmal mit seinen Kritikern nicht gerade zimperlich umging.

Auch heute sind die Neugier und das Begehren nach Wundern und Zeichen bei vielen Menschen größer als die Bereitschaft kindlich zu glauben.

 

Fragen / Aufgaben:

  1. Woher kommen die Jünger mit Jesus und wo landen sie an?
  2. Was haben sie kurz davor erlebt?
  3. Welches Anliegen haben die Pharisäer und Sadduzäer? Was sind ihre Beweggründe?
  4. Worin sind sie sich einig und worin unterscheiden sie sich?
  1. Warum und womit widersteht Jesus der Vorderung der Pharisäer und Sadduzäer? Was meint Jesus mit dem Ausdruck „Dieses böse und ehebrecherische Geschlecht?
  2. Warum lässt er sie stehen und geht weg?
  3. Wohin geht die Reise weiter? Suche auf der Karte nach dem nächsten Zielort.
  4. Was bewegt Jesus während der Fahrt im Boot und auf was macht er seine Jünger aufmerksam?
  5. Erkläre die Bedeutung und Anwendung von Sauerteig? Wofür wird er im biblischen Kontext gebraucht? (Lies dazu 2Mose 12,15.19; 13,7; Lk 12,1; 1Kor 5,6-8 und vergleiche es mit Mt 13,33 und Lk 13,21.
  6. An welche Lehren (auch falscges Verhalten) der beiden Gruppen (auch des Herodes) erinnern wir uns?
  7. Warum verstehen die Jünger ihren Lehrer so falsch? Womit beschäftigen sie sich, was für Sorgen haben sie?
  8. Womit ist unser Denken gefüllt? Von was hängt unser Denken ab? Wer und was steuert uns im Denken und Handeln?
  9. Wie geduldig geht Jesus mit seinen Jüngern um und wann findet er auch mal klare Worte des Tadels? An was erinnert er seine Jünger, worauf lenkt er ihre Gedanken, ihr Denken?
  10. Wie weit verbreitet ist heute Heuchelei, als Lebensstil unter Christen?
  11. Welche Bedeutung misst Gott seinen Werken in der Geschichte bei?
  12. Wie gut ist unser Erinnerungsvermögen geübt, trainiert? An was sollen wir uns immer wieder erinnern und was können und sollen wir vergessen?
  13. Wie kommen wir im geistlichen Wachstum besser voran?

7.13.2 Jesus warnt vor dem Sauerteig der Pharisäer und Sadduzäher

  • Und er verließ sie und stieg wieder in das Boot und fuhr hinüber über den See an das jenseitige Ufer, nach Betsaida“ ().

Unterwegs greift Jesus das Thema wieder auf und fordert seine Jünger heraus, sich vor dem Sauerteig der Pharisäer und Sadduzäer zu hüten (Markus ergänzt noch: „hütet euch vor dem Sauerteig des Herodes“ Mk 8,15). Einige Male bezog sich Jesus auf Herodes und bewertete damit dessen Charakter und Lebensweise. Diese Bewertung fiel leider immer negativ aus.

Die Jünger sind jedoch so sehr mit den Gedanken an Brot beschäftigt, dass sie die Bildrede von Jesus nicht verstehen. Sie hatten nämlich nur ein einziges Brot mit sich im Boot und dachten, dass Jesus sie auf ihre Nachlässigkeit oder Sorglosigkeit anspricht. Einige Male hatten sie nicht ausreichend Proviant mit sich und daher allein bei dem Wort „Sauerteig“ dachten sie sofort nur an das Materielle Brot und machten sich weiter keine Gedanken über den tiefen Sinn der Bildrede ihres Meisters.

Etwas vorwurfsvoll fragt Jesus sie, ob sie sich noch erinnern können an die zwei wunderbaren Speisungen? Und er wiederholt diese Erfahrungen in Kurzfassung (Mt 16,9-10; Mk 8,19-20). Ja, das wussten sie noch und so erklärt Jesus ihnen mit Geduld den wichtigen Sachverhalt seiner Bildrede. Sauerteig,- kann auch im positiven Sinn als Bild verwendet werden, wie das Gleichnis vom Sauerteig Mt 13,33 und Lk 13,21 deutlich macht. Unter dem Sauerteig versteht Jesus in diesem Zusammenhang die Lehren und die Heuchelei der Pharisäer und Sadduzäer, ebenso die heuchlerische oder scheinheilige Lebensweise von Herodes (Lk 12,1; 13,32). Die Heuchelei, griechisch: `upo,krisij ypokrisis`  hat von der Wortwurzel her etwas mit „richten“ zu tun und zwar mit verdecktem Richten oder Urteilen:

  • nicht das wahre Gesicht zeigen, nur eine Rolle spielen, schauspielen
  • als Scheinheiliger sein wahres Gesicht verstecken,
  • auf andere zeigen, um von sich abzulenken,
  • von anderen fordern, es selber aber nicht tun,
  • andere verurteilen, um sich zu rechtfertigen, oder ins bessere Licht zu stellen.

Diese Verhaltensweise zeichnete manche Pharisäer und Sadduzäer aus, bei manchen ist es zum Lebensstil geworden. Daher deckt Jesus diese Sünde schonungslos auf und warnt seine Jünger eindringlich davor.

Nun verwendet Jesus das Bild vom Sauerteig, weil es die Wirkung solch einer Lebensweise sehr deutlich macht. Der Wert der bildhaften Rede liegt auch noch in der Dauerhaftigkeit der Erinnerung, sobald man mit diesem Bild (Sauerteig/Brot) konfrontiert wird, erinnert man sich sofort an den Inhalt und die damit verbundene Wahrheit. So nutzt Jesus jene Bootsfahrt zur Reflexion der vorangegangenen Auseinandersetzung mit den Pharisäern und zugleich zur Stärkung des Glaubens seiner Jünger.

Merke: Mit Jesus im Boot (auch im Boot des Lebens) ist das Wenige (hier nur ein Brot) ausreichend.

7.14 Jesus heilt einen Blinden in Bethsaida

(Mk 8,22-26)

Von dieser Heilung berichtet uns nur der Evangelist Markus.

Und sie kamen nach Betsaida. Und sie brachten zu ihm einen Blinden und baten ihn, dass er ihn anrühre. Und er nahm den Blinden bei der Hand und führte ihn hinaus vor das Dorf, tat Speichel auf seine Augen, legte seine Hände auf ihn und fragte ihn: Siehst du etwas? Und er sah auf und sprach: Ich sehe die Menschen, als sähe ich Bäume umhergehen. Danach legte er abermals die Hände auf seine Augen. Da sah er deutlich und wurde wieder zurecht gebracht, sodass er alles scharf sehen konnte (Mk 8,22-25).

Als Jesus mit seinen Jüngern aus dem Boot steigt, warten auf ihn schon wieder einige Menschen. Sie bringen einen Blinden zu ihm. Klar, der Blinde kann nicht von sich aus zu Jesus kommen. Es gibt also Menschen, denen es wichtig ist, Hilflose zu unterstützen. Auch hier fällt auf, dass Jesus nicht sofort öffentlich eingreift, sondern den Behinderten an der Hand nimmt und ihn vor das Dorf hinausführt – abseits der Menge. Es ist eine ähnliche Vorgehensweise, wie bei dem Taubstummen im Bereich der Dekapolis (Mk 7,31-36). Jesus verzichtet oft ganz bewusst auf die Öffentlichkeitswirkung seiner Heilungen. Er stellt niemals seine Macht zur Schau. Wie schwer fällt es uns dagegen über unsere Erfolge zu schweigen, ja es anderen zu überlassen, darüber zu berichten oder zu schreiben.

Das Bild, wie Jesus den Blinden bei der Hand ergreift und ihn zum Dorf hinausführt, hat etwas Geheimnisvolles aber auch sehr persönliches an sich. In der Sichtweite der Menge und doch abseits trägt er Speichel auf dessen Augen (wörtlich: spuckte auf seine Augen), legt ihm die Hände auf und fragt: „Siehst du etwas?“ „Ich sehe Menschen wie Bäume umhergehen,“ antwortet der ehemals Blinde. Er sieht also zunächst alles in viel größerem Maßstab und undeutlich. Danach legt Jesus ihm wieder die Hände auf seine Augen und er kann alles richtig sehen. Nun gibt Jesus ihm eine klare Anweisung: Geh nicht in das Dorf hinein, sondern nach Hause. Seine Familie soll Gottes Zuwendung als erste erfahren. Er soll nun seinen Pflichten als Mann oder Vater neu und zuerst nachkommen. Ein Hinweis für uns, wo und wie wir mit unserem Zeugnis beginnen sollten.

Fragen:

  1. Wo heilt Jesus diesen Blinden?
  1. Wie verfährt Jesus hier mit der Heilung, was macht er?
  1. Warum schickt Jesus den Geheilten nach Hause?
  1. Was will Jesus vermeiden?
  1. Wie behutsam gehen wir mit unseren Gaben und Erfolgen um?
  1. Wo beginnt unser Zeugnis für Jesus?

7.15 Jesus besucht die Gegend von Cäsarea Philippi

(Matthäus 16,13-20; Mk 8,27-30; Lk 9,18-21; Lk 9,7-9; Mk 6,16; Joh 1,19-27)

Die Evangelisten berichten, dass Jesus einen besonderen Ort, bzw. eine ungewöhnliche Gegend aussucht, um dort die letzte Phase seines Dienstes einzuleiten. Er weiß, dass seine Leidenszeit gekommen ist und dass er seine Jünger darauf vorzubereiten hat. Doch muss die wichtige Frage geklärt werden: Wer ist Jesus wirklich?

Lukas vermerkt, dass Jesus sich zurückzog um zu beten (Lk 9,18). Nach Lukas erfolgte diese Aussprache nach der Speisung der 5000. Markus hat zwischen der Speisung der 5000 und dem Bekenntnis des Petrus noch eine Reihe von Ereignissen berichtet, einschließlich der Speisung der 4000 (die Speisung der 4000 hat auch der Ev. Matthäus). Das letzte bei Markus handelt von der Heilung des Blinden in Betsaida (Mk 8,22-26). In diesem Fall geben uns die Evangelisten Matthäus und Markus die genauen geographischen Angaben zum Ort des Bekenntnisses von Petrus.

Cäsarea Philippi darf nicht mit dem am Mittelmeer gelegenen im Neuen Testament oft erwähnten Cäsarea verwechselt werden. Cäsarea Philippi liegt an der nördlichen Grenze in der Nähe der Jordanquelle im alten Stammesgebiet von Dan. Die Entfernung zum See Genezaret beträgt etwa 40 km – allerdings beträgt der Höhenunterschied 562 m, da der See Genezaret 212 m unter dem Meeresspiegel und Caesarea Philippi 350 m über dem Meeresspiegel liegt. In der Nähe der Stadt liegt eine Grotte, die dem griechischen Gott Pan geweiht war. Dort gab es zur Zeit von Jesus in Nischen bildliche Darstellungen aus der griechischen Götterwelt. Dies Heiligtum ist an die Stelle einer früheren Verehrungsstätte des Baal getreten. Herodes hatte in der Stadt einen Tempel für den Kaiserkult bauen lassen. Der Hermon ist ein 2814 m hoher meist schneebedeckter Berg an dessen Süd- bzw. Westseite die drei Jordanquellen Hazbani, Dan und Banyas (auch Hermonfluss genannt) entspringen. Der genaue Ort des Bekenntnisses ist jedoch nicht genannt, lediglich die Gegend „bei Cäsarea Philippi“.

Nachdem Jesus durch seinen Vater in der Stille gestärkt wurde, kommt er zu der schlichten – aber zentralen Frage für alle Menschen: „Wer sagen die Leute, dass des Menschen Sohn[4] sei?“

Erste Meinung: Du bist Johannes der Täufer! Und zwar, dass Johannes von den Toten auferstanden sei (diese Meinung hat später auch Herodes Antipas übernommen).

Zweite Meinung: Du bist Elia!

Dritte Meinung: Du bist Jeremia!

Vierte Meinung: Du bist einer der alten Propheten, der auferstanden ist!

Die Jünger verschweigen hier immerhin ihrem Meister die Auffassung, dass es auch Menschen gibt, die ihn mit Beelzebub (dem obersten Dämonen) identifizieren (Mt 10,25).

Obwohl die meisten Schriftgelehrten zurzeit von Jesus der Meinung sind, dass die Zeit der Propheten vorbei sei, rechnet das Volk mit der Neubelegung der Prophetie .Wie bildet sich solch ein Gerücht?

  1. a) Zu Johannes dem Täufer:

Und dies ist das Zeugnis des Johannes, als die Juden aus Jerusalem Priester und Leviten zu ihm sandten, damit sie ihn fragen sollten: Wer bist du? Und er bekannte und leugnete nicht, und er bekannte: Ich bin nicht der Christus. Und sie fragten ihn: Was denn? Bist du Elia? Und er sagt: Ich bin’s nicht. Bist du der Prophet? Und er antwortete: Nein. Sie sprachen nun zu ihm: Wer bist du? Damit wir Antwort geben denen, die uns gesandt haben. Was sagst du von dir selbst? Er sprach: Ich bin die «Stimme eines Rufenden in der Wüste: Macht gerade den Weg des Herrn», wie Jesaja, der Prophet, gesagt hat. Und sie waren abgesandt von den Pharisäern. Und sie fragten ihn und sprachen zu ihm: Was taufst du denn, wenn du nicht der Christus bist, noch Elia, noch der Prophet? Johannes antwortete ihnen und sprach: Ich taufe mit Wasser; mitten unter euch steht, den ihr nicht kennt, der nach mir kommt, vor dem ich nicht würdig bin, den Riemen seiner Sandale zu lösen. (Joh 1,19-27)

 

  1. b) Zu Elia:

 Siehe, ich sende euch den Propheten Elia, bevor der Tag des HERRN kommt, der große und furchtbare. (Mal 3,23)

 

Und die Jünger fragten ihn und sprachen: Was sagen denn die Schriftgelehrten, dass Elia zuerst kommen müsse? Er aber antwortete und sprach zu ihnen: Elia kommt zwar und wird alle Dinge wiederherstellen. Ich sage euch aber, dass Elia schon gekommen ist, und sie haben ihn nicht erkannt, sondern an ihm getan, was sie wollten. Ebenso wird auch der Sohn des Menschen von ihnen leiden. Da verstanden die Jünger, dass er von Johannes dem Täufer zu ihnen sprach. (Mt 17,10-13)

 

Und er wird vor ihm hergehen in dem Geist und der Kraft des Elia, um der Väter Herzen zu bekehren zu den Kindern und Ungehorsame zur Gesinnung von Gerechten, um dem Herrn ein zugerüstetes Volk zu bereiten (Lk 1,17).

Manche der Wunder von Jesus erinnern auch an die Wunder des Propheten Elia.

 

  1. c) Zu Jeremia:

Die Bannsprüche von Jesus über die Städte Galiläas erinnern an die Verkündigung des Jeremia.

Dann fing er an, die Städte zu schelten, in denen seine meisten Wunderwerke geschehen waren, weil sie nicht Buße getan hatten: Wehe dir, Chorazin! Wehe dir, Betsaida! Denn wenn in Tyrus und Sidon die Wunderwerke geschehen wären, die unter euch geschehen sind, längst hätten sie in Sack und Asche Buße getan. Doch ich sage euch: Tyrus und Sidon wird es erträglicher ergehen am Tag des Gerichts als euch. Und du, Kapernaum, meinst du, du werdest etwa bis zum Himmel erhöht werden? Bis zum Hades wirst du hinab gestoßen werden; denn wenn in Sodom die Wunderwerke geschehen wären, die in dir geschehen sind, es wäre geblieben bis auf den heutigen Tag. Doch ich sage euch: Dem Land Sodoms wird es erträglicher ergehen am Tag des Gerichts als dir. (Mt 11,20-24)

 

Flieht, ihr Söhne Benjamin, aus Jerusalem hinaus, in Tekoa stoßt ins Horn und richtet ein Signal auf über Bet-Kerem! Denn Unheil erhebt sich drohend von Norden: ein großer Zusammenbruch. Die Schöne und die Verzärtelte vernichte ich – die Tochter Zion. Über sie kommen Hirten mit ihren Herden. Sie schlagen rings um sie her Zelte auf, weiden sie ab, jeder seinen Bereich. «Heiligt einen Krieg gegen sie! Macht euch auf und lasst uns noch am Mittag hinaufziehen!» – «Wehe uns! Denn der Tag hat sich geneigt, schon strecken sich die Abendschatten.» «Macht euch auf und lasst uns in der Nacht hinaufziehen und ihre Paläste zerstören!» Denn so hat der HERR der Heerscharen gesprochen: Fällt Bäume und schüttet einen Wall gegen Jerusalem auf! Sie ist die Stadt, die heimgesucht werden soll; sie ist voll Unterdrückung in ihrem Innern (Jer 6,1-6).

Auch die Relativierung der Bedeutung des Tempels erinnert an Jeremia

Ich sage euch aber: Größeres als der Tempel ist hier. (Mt 12,6)

Und verlaßt euch nicht auf Lügenworte, wenn sie sagen: Der Tempel des HERRN, der Tempel des HERRN, der Tempel des HERRN ist dies! (Jer 7,4)

  1. d) Zu „einer der Propheten“:

Als nun die Leute das Zeichen sahen, das Jesus tat, sprachen sie: Dieser ist wahrhaftig der Prophet, der in die Welt kommen soll. (Joh 6,14).

 

Einen Propheten wie dich will ich ihnen aus der Mitte ihrer Brüder erstehen lassen. Ich will meine Worte in seinen Mund legen, und er wird zu ihnen alles reden, was ich ihm befehlen werde. (5Mo 18,18)

Schon vorher hatte Jesus von seinen Jüngern auf seine Frage im Boot eine Antwort gehört, kurz nachdem Petrus ins Boot zurückkehrte riefen sie: „Wahrhaftig, du bist Gottes Sohn“ (Mt 14,33). Schon zu Beginn bei der Taufe am Jordan sagte Andreas seinem Bruder Simon: „Wir haben den Messias gefunden, was bedeutet, den Christus“ (Joh 1,41). Auch der Samariterin stellt sich Jesus als der Christus vor (Joh 4). Doch jetzt fragt Jesus seine Nachfolger ausdrücklich nach ihrer Meinung: „Ihr aber, was sagt ihr, wer ich bin?“ (Mt 16,15). Hier geht es um eine sehr persönliche Haltung zu Jesus, die jeder Mensch finden darf. Petrus ruft hier wohl als Sprecher für alle Jünger:

Evangelist Markus: Du bist Christus![5] (Mk 8,29).

Evangelist Matthäus: Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes (Mt 16,16)

Petrus glaubt dies, seit er es von seinem Bruder Andreas am Jordan hörte (siehe Joh 1,41). Er geriet durch die enttäuschenden Umstände nicht ins Wanken. Sofort antwortet Jesus entschlossen, warmherzig und lobend: „Glückselig bist du, Simon, Bar (Sohn des) Jona; denn Fleisch und Blut haben es dir nicht geoffenbart, sondern mein Vater, der in den Himmeln ist.“ Simon wird einerseits von Jesus deutlich auf seinen irdischen Vater Jona hingewiesen, aber andererseits verdeutlicht er ihm, das ihm diese Erkenntnis der himmlische Vater offenbart hat. Nicht durch menschliches Forschen, Erkennen, Ahnen oder auf Grund irgendeiner menschlichen Tradition kann Petrus zu dieser Erkenntnis kommen – nur der Vater im Himmel kann dies einem sterblichen Menschen bis heute offenbaren. Hier fällt uns Lesern auch das liebevolle: „mein Vater“ auf – offenbart es nicht die herzliche Liebe zwischen Vater und Sohn im Rahmen der Dreieinigkeit.

Jesus fährt dann fort und sagt: „Du bist Petrus, und auf diesem Felsen werde ich meine Gemeinde bauen“ (Mt 16,18). Die Auslegung dieses Verses fiel im Laufe der Jahrhunderte sehr unterschiedlich aus. Oft wurde darauf hingewiesen, dass Jesus Petrus und den Fels auf dem die Gemeinde gebaut wird in einen engen Zusammenhang bringt. Einmal wird im griechischen Neuen Testament das Wort petros (männlich – da der Eigenname eines Mannes) gebraucht und dann petra (weiblich – da das Wort „Fels“ im griechischen weiblich ist). Wir müssen allerdings in diesem Zusammenhang daran denken, dass Jesus aramäisch sprach – im Aramäischen wird beides Mal das gleiche Wort gebraucht Kepha. Damit sagt Jesus: Und ich sage zu dir, du bist Kepha und auf diesem kepha will ich bauen meine Gemeinde.  Hierzu wollen wir anmerken:

  • von Natur aus war Kephas = Simon Petrus sicherlich kein verlässlicher Fels – er war eher der Wackelmann
  • Jesus sieht hier nicht Petrus allein, da das Binden und Lösen in Mt 16,19 dem Petrus gesagt wird, aber in Mt 18,18 ein Auftrag an alle Jünger ist. Jesus, die anderen Jünger und auch Petrus selbst haben diese Worte nie so verstanden, dass Simon Petrus eine besondere Schlüsselstellung oder gar Schlüsselgewalt habe (Mt 18,1; 20,20-28; 1Petr 5,2-4)
  • Kephas = Simon Petrus ist nicht das eigentliche Fundament der Gemeinde, sondern Petrus steht genau wie alle anderen Jünger auf dem Grund JESUS CHRISTUS (lies 1Kor 3,11; Eph 2,20-22; Mt 7,24-29; siehe besonders auch: 1Petr 2,5-8). Petrus gehört somit zusammen mit den anderen Aposteln zum Fundament gebaut auf dem Fels bzw. mit dem Eckstein JESUS CHRISTUS. Diese erste und wichtige Schicht im Gemeindebauwerk wird auch in Apg 2,42 beschrieben.
  • Jesus sagt in diesem Zusammenhang ausdrücklich: „Ich will bauen meine Gemeinde…“ Es ist immer seine Gemeinde. Es ist nie Petrus noch ein angeblicher Nachfolger (manche meinen der Papst in Rom) der die Autorität über die Gemeinde hat.
  • Beim Durchblättern der Apg 1-12 fällt auf, dass der Name Simon über 50-mal erscheint. Er war ein nützliches Werkzeug in der Hand seines Meisters. Doch im weiteren Verlauf der Apg 13-28 wird er von Paulus abgelöst.

Jesus fährt fort „…und des Hades Pforten werden sie nicht überwältigen.“ Hades (hebr. scheol) steht hier wie in Mt 11,23 im scharfen Kontrast zu Himmel, bedeutet also Hölle. Dies ist ein Ort der in den Bildworten von Jesus mit den Begriffen: Leid und Flammen umschrieben wird. Der Begriff Hades ist hier ein Metonym, d.h. ein Begriff der für etwas Ähnliches steht = hier steht Hades natürlich für Satan und seine Legionen, die in diesem Bildwort aus den Toren der begrenzten Hölle drängen mit dem Versuch die Gemeinde zu überwältigen. Hier ist nicht die Gemeinde die von satanischen Legionen umzingelte und bedrohte Stadt, sondern die Hölle wird als umfasst und mit Toren versehen dargestellt – doch durch diese Tore darf nur hindurch, was letztlich die Gemeinde nicht überwältigt. Christus und die Gemeinde wird letztendlich siegen (Joh 16,33; Röm 16,20; Eph 6,10-13; Offb 17,14; 20,7-10).

Jesus gibt dann das Gebot des Bindens und Lösens und verbindet dies mit den „Schlüsseln“ (Bruce 1985, 122). Schlüssel eines königlichen oder sonst vornehmen Hauses wurden einem Verwalter oder Haushofmeister anvertraut. Früher trug er sie an seiner Schulter Dort dienten sie zugleich als Zeichen der ihm anvertrauten Autorität. Um 700 v. Chr. gab ein Spruch Gottes bekannt, dass diese Autorität im königlichen Palast von Jerusalem einem Mann namens Eljakim anvertraut werden sollte: „Ich will Schlüssel des Hauses Davids auf seine Schulter legen, dass er auftue und niemand zuschließe, dass er zuschließe und niemand auftue“ (Jes 22,22). So würde Petrus in der neuen Gemeinschaft, die Jesus bauen sollte, sozusagen der Verwalter sein. Wie wir oben erwähnten, erfüllte Petrus besonders am Pfingsttag (Apg 2,14f) und bei der Überwindung der Grenze zu den griechischen Heiden diese Schlüsselrolle (Apg 15,7)..

„Binden“ und „Lösen“ waren im rabbinischen Judentum Ausdrücke für die Festlegung von Regelungen, die bestimmte Aktivitäten (z.B. rund um die Sabbatgebote) verboten oder erlaubten. Die Vollmacht zu binden und zu lösen, die hier dem Petrus gegeben wird, erhalten wie oben erwähnt in Matthäus 18,18 alle Jünger. Auch hier bietet die Apostelgeschichte eine Illustration. Als es um Gemeindezucht ging, wurde die mündliche Zurechtweisung von Ananias und Saphira durch Petrus dramatisch vom Himmel her bestätigt (Apg 5,1-11). Durch die Verkündigung der Frohen Botschaft durch Jünger wird Sünde ans Licht gebracht und Vergebung angeboten (Joh 20,22.23). Durch den Glauben nehmen Menschen das Heil in Christus an und werden erlöst und gelöst von Bindungen und dem Sklavenleben der Sünde. Dieser Auftrag zum Binden und Lösen erstreckt sich auf Dienst wie Heilung und Befreiung von bösen, unreinen Geistern. Paulus und seinem Missionsteam besaßen die Vollmacht des Lösens und Bindens (Apg 13,6ff; 16,18). Aufgrund dieses Auftrages dürfen auch Jesusnachfolger heute mutig die Macht der Finsternis binden und durch Zuspruch des Wortes Gottes und des Heiligen Geistes in Freiheit führen.

Fragen:

  1. Warum könnte Jesus diesen „seltsamen“ Ort gewählt haben, um hier die entscheidende Frage zustellen? Was wissen wir aus der Bibel von Baal?
  1. Wie bewerten wir die Tatsache, dass Jesus mit verschiedenen alttestamentlichen Propheten identifiziert wurde?
  1. Warum muss jeder Mensch selbst ein Bekenntnis zu Jesus finden?
  1. Wie empfinden wir das Bekenntnis des Petrus? Warum war er für die erste Gemeinde so wichtig?
  1. Wer ist der Fels und wer hat die Schlüssel für das Himmelreich?
  1. Was könnte das Binden und Lösen heute sein?

Fragen / Aufgaben:

  1. Warum wählt Jesus diese Gegend aus für das Gespräch mit seinen Jüngern?
  2. Welche zentrale Inhalte werden bei dieser Aussprache von Jesus mit seinen Jüngern angesprochen?
  3. Warum fragt Jesus seine Jünger nach der Meinung des Volkes, weiss er es denn nicht?
  4. Welche Bedeutung und Auswirkung hat die Meinung des Volkes damals wie heute?
  5. Wie anfällig sind wir, wie stark lassen wir uns beeinflussen von Meinungen anderer?
  6. Wie wurde und wird Meinungsbildung betrieben?
  7. Wie ist es mit unserer eigenen Meinung in Bezug auf zentrale Fragen des Glaubens und Lebens? Haben wir eine feste Meinung, oder schließen wir uns viel lieber Meinungen anderer an?
  8. Welche Meinung oder gar Überzeugung in Bezug auf Jesus hatten die Jünger? Wie und wodurch bildete sich ihre Meinung über Jesus?
  9. Welche Meinung über Jesus jaben wir und wie wirkt sie sich auf unser Leben aus?
  10. Weitere Fragen:

7.16. Hinweise auf das Leiden von Jesus

Nach dem Auftrag zum Lösen und Binden nimmt Jesus seine Jünger unter strengste Schweigepflicht. Sie sollen niemandem sagen, dass er der Christus ist (Mt 16,20). Eine ähnliche Schweigepflicht legte er später den drei Jüngern auf dem Berg der Verklärung auch auf (Mt 17,9). Dieses Verbot konnte zum einen in der falschen Erwartung des jüdischen Volkes begründet sein (Lk 24,21), aber auch in der prinzipiellen Vorgehensweise von Jesus nach dem Motto: alles zu seiner Zeit.

Seit der Zeit fing Jesus an, seinen Jüngern zu zeigen, wie er nach Jerusalem gehen und viel leiden müsse von den Ältesten und Hohenpriestern und Schriftgelehrten und getötet werden und am dritten Tage auferstehen“ (Mt 16,21).

 

Hier in Cäsarea Philippi ist also eine deutliche zeitliche Markierung zu erkennen. Hier wird von Jesus seine letzte entscheidende Etappe, nämlich die Leidenszeit eingeleitet. Alle drei Evangelisten unterstreichen diesen Zeitpunkt. Viermal hat Jesus seine Jünger mit seinem kommenden Leiden konfrontiert:

  1. Leidensankündigung (Mt 16,21; Mk 8,31; Lk 9,23)
  2. Leidensankündigung (Mt 17,12b; Mk 9,12b)
  3. Leidensankündigung (Mt 17,22-23; Mk 9,30-32; Lk 9,44-45)
  4. Leidensankündigung (Mt 20,17-19; Mk 10,32-34; Lk 18,31-34)

Wir beachten auch die Rückblenden:

  1. Erfüllte Prophetie zum Leiden von Jesus: (Mt 26,67; Mk 14,65; Mt 27,27-30; Mk 15,16-19)
  2. Prophetische Rückblende (Lk 24,44-47; Apg 2,23-24; 17,2-3; 18,5)

Markus vermerkt, dass Jesus in aller Offenheit mit ihnen darüber redet bzw. darüber lehrt (Mk 8,31-32). Ausdrücklich grenzt Jesus die Gruppe derer, die ihn überantworten werden auf die Ältesten, Hohenpriester und Schriftgelehrten ein – jedoch nicht das ganze Volk. Die Ablehnung von Jesus ging also keineswegs vom Volk aus, sondern von der Führung des Volkes, wie wir später sehen werden.

Fragen:

  1. Warum hat Jesus nicht schon früher seine Jünger auf sein Leiden vorbereitet, sondern erst jetzt?
  1. Wie oft wiederholte Jesus diese Ankündigung und warum so oft?
  1. Wer ist Hauptverantwortlich für den Tod von Jesus? Wird dies in der Schrift differenziert beurteilt?
  1. Ist die These, dass die Juden die Christusmörder sind, haltbar?

7.17. Petrus – ein Ärgernis für Jesus?

Und Petrus nahm ihn beiseite und fuhr ihn an und sprach: Gott bewahre dich, Herr! Das widerfahre dir nur nicht! Er aber wandte sich um und sprach zu Petrus: Geh weg von mir, Satan! Du bist mir ein Ärgernis; denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist (Mt 16,22-23).

Petrus, der nun beflügelt ist von all den Autoritäten und Privilegien, welche ihm Christus übertragen hat, meint hier energisch eingreifen zu müssen. Dieses: „Er fuhr ihn an“ klingt bedrohlich. Dieses griechische Wort benutzen die Evangelisten an den Stellen, wo Jesus einigen Geheilten mit scharfen Worten verbietet, von der Heilung zu reden. Der Ton macht die Musik, so auch in diesem Fall.

Mit der gleichen Schärfe des Ausdrucks wendet sich Jesus dem Petrus zu. Aber wenn Jesus Petrus auch „Satan“ nennt, ist hier nicht der Teufel in Person gemeint. Dieser hebräische Begriff meint in diesem Textzusammenhang ‚Gegner`. Also Gegner des göttlichen Willens und Planes. Der Inhalt dieser Gegnerschaft ist in der menschlich gut gemeinten Aussage enthalten: „Erbarmen dir, Herr, keinesfalls möge dir dieses widerfahren“. Petrus denkt menschlich nicht göttlich, Jesus weiß genau, aus welcher Quelle solches Denken hervorkommt. Damit macht er eine klare Unterscheidung zu den direkten Versuchungen des Teufels (Mt 4,4ff boshaft, hinterlistig) und den Versuchungen, welche im Herzen eines menschlich (fleischlich) denkenden Menschen hervorgehen. Petrus denkt typisch menschlich – Leben bewahren, schützen, sich nicht in Gefahr begeben. Natürlich tut er dies mit guter Absicht. Er will seinen geliebten Meister vor Leid bewahren. Doch die deutliche und scharfe Kritik von Jesus ist angebracht. Die Jünger wollen sich noch immer nicht von der typischen jüdischen Erwartung eines materiellen, irdischen Königreiches Israel abbringen lassen. Sie erwarten zu Lebzeiten wie der Messias als König auf dieser Erde sein ewiges Reich aufrichtet.

Da antwortete ihm das Volk: Wir haben aus dem Gesetz gehört, dass der Christus in Ewigkeit bleibt; wieso sagst du dann: Der Menschensohn muss erhöht werden? Wer ist dieser Menschensohn? Joh 12,34 (Vgl. Ps 16,8-11; 2Sam 7,12-16).

Ist die Aussage des Petrus tatsächlich eine gefährliche Versuchung für Jesus, weil es heißt: „Du bist mir ein Ärgernis?“ Ärgernis, griechisch skandalon, und meint hier einen Anstoß zum Fall geben. Wenn Jesus noch in Gethsemane den Vater bittet, dass dieser Leidenskelch an ihm vorübergehen möge (Mt 26,42f), dann liegt in dem Anstoß des Petrus eine reale und schmerzliche Versuchung für Jesus. Mit den Worten: „Gehe hinter mich“, macht Jesus sehr deutlich, wer wem nachzufolgen hat.

 

Fragen:

  1. Warum will Petrus seinen Meister schützen?
  1. Was für ein Verständnis von Christus hatten die Jünger?
  1. Wie erklärst du die sehr direkte Reaktion von Jesus?
  1. War Petrus mit seiner Argumentation für Jesus wirklich eine Versuchung? Wenn ja, wie lässt sich dies begründen?
  1. Was bedeutet der griechische Begriff `skandalon` heute?
  1. Wer geht voran und wer hat zu folgen?

7.18 Der Preis der Nachfolge

Denn wer sein Leben erhalten will, der wird’s verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird’s erhalten.

(Mk 8,35; Mt 16,25; Lk 9,24)

Nun wendet sich Jesus zu seinen Jüngern (nach Markus bezieht er auch das Volk ein) und erklärt ihnen, was der Preis der Nachfolge ist. Das heutige Zeichen oder Symbol des Kreuzes hatte damals ausdrücklich die Bedeutung des schmerzlichen Sterbens und des Todes. Das Leben zu verlieren um des Namens von Jesus und um des Evangeliums willen heißt:

  • in aufopfernder Hingabe die Kosten der Nachfolge auf sich zu nehmen;
  • um Jesu willen sich selbst in den Hintergrund zu stellen;
  • sich für Jesus nicht zu schämen;
  • materielle Einbußen und Verluste bereit sein einzustecken und
  • den Vorteil des Nächsten zu suchen.

Auch hier trifft zu, was Jesus in Matthäus 6,33 gesagt hat: „Sucht zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit …“. Matthäus ergänzt noch mit den Worten: „Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nehme doch Schaden an seiner Seele“ (LÜ84 Mt 16,26).

Das Leben des Einzelnen in der Nachfolge wird von Jesus bei seiner Wiederkunft bewertet und beurteilt:

Denn es wird geschehen, dass der Menschensohn kommt in der Herrlichkeit seines Vaters mit seinen Engeln, und dann wird er einem jeden vergelten nach seinem Tun.“ (Mt 16,27)

Jesus denkt umfassend bis zum Ziel und bis zum Ende. Dieser Ausblick gibt uns Mut, die vor uns liegende Wegstrecke im Vertrauen auf ihn zu gehen. Die letzte Aussage in Mt 16,28 bereitet vielen Kopfzerbrechen, da sie in der Tat nicht einfach zu verstehen ist.

Wahrlich, ich sage euch: Es stehen einige hier, die werden den Tod nicht schmecken, bis sie den Menschensohn kommen sehen in seinem Reich

(Mt 16,28; Mk 9,1; Lk 9,27).

Der Evangelist Markus notiert: „bis sie das Reich Gottes in Kraft werden kommen sehen.“ Beim Vergleich der Aussage von Jesus bei allen drei Evangelisten liegt die Einsicht nahe, dass es sich beim hier angesprochenen Kommen von Jesus um das Kommen des Heiligen Geistes handelt. Die Wendung „in Kraft“ verwendet Jesus auch in Apg 1,8 „…sondern ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen.“ Dies wurde am Pfingsttag Realität. Diese Auslegung wird gestützt von:

„Aber der Tröster, der heilige Geist, den mein Vater senden wird in meinem Namen, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe…Ihr habt gehört, dass ich euch gesagt habe: Ich gehe hin und komme wieder zu euch.“ (Joh 14,26.28a)

„…als die Jünger zusammengekommen waren, fragten ihn und sagten: Herr, stellst du in dieser Zeit für Israel das Reich wieder her ? …aber ihr werdet die Kraft des heiligen Geistes empfangen, der auf euch kommen wird, und werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an das Ende der Erde“ (Apg 1,6.8).

Durch das Hingehen von Jesus (zum Vater) und das Wiederkommen im Heiligen Geist bricht das Reich Gottes an.

Folgende Etappen beim Offenbarwerden des Reiches Gottes sind erkennbar:

  • Johannes der Täufer und auch Jesus verkündeten: „…das Reich Gottes ist nahe gekommen.“ (Johannes: Mt 3,2; Jesus Mt 4,17)
  • Die Pharisäer fragten Jesus, wann das Reich Gottes komme. Doch Jesus antwortete ihnen, dass das Reich Gottes in seiner Person mitten unter ihnen gegenwärtig ist (Lk 12,20-21).
  • Als kurz vor der Passionszeit die Naherwartungen in Bezug auf das anbrechende Reich Gottes überbrodelten, wies Jesus mit einem Gleichnis daraufhin, dass seine Zeitgenossen in falscher Haltung auf die Aufrichtung des Königreiches warten       (Lk 19,12ff)

Vorher wurde verkündet: das Reich Gottes ist nahe herbei gekommen – doch mit dem Kommen des Heiligen Geistes ist der Anbruch des Reiches für alle Jünger sichtbar markiert.

Fragen:

  1. Wie hoch ist der Preis der Nachfolge hier und heute? Beschreibe dann die Situation von dir bekannten verfolgten Christen.
  1. Was bedeutet es im Detail Jesus nachzufolgen und sich selbst zu verleugnen?
  1. Wie lässt sich die Aussage von Jesus in Matthäus 16,28 und Parallelen verstehen?

7.19 Die Verklärung von Jesus auf dem Berg

(Mt 17,1-13;  Mk 9,2-13;  Lk 9,28-36;  2Petr 1,16-18)

Dieser Abschnitt nimmt in gewisser Weise die Auferstehung und Himmelfahrt von Jesus vorweg. Jesus und drei Jünger: Petrus, Johannes und Jakobus werden durch dieses Gipfelerlebnis auf das Leiden vorbereitet – denn nach dem Leid kommt die Herrlichkeit (Hebr 12,2). Diese Passage enthält so viele Anspielungen auf die Offenbarung Gottes vor Mose am Sinai, dass die meisten jüdischen Leser gar nicht umhin konnten, den Hinweis zu verstehen. (Keener 1998, 134).

Der Evangelist Matthäus beginnt mit dem Hinweis, dass das Ereignis sechs Tage später statt fand (siehe auch 2Mo 24,6). Dies muss nicht im Gegensatz zu Lk 9,28 stehen, da dort der Evangelist Lukas von etwa acht Tagen nach diesen Worten spricht. Lukas will keine präzise Angabe machen – auch kann er einen anderen Anfangspunkt oder Endpunkt im Auge haben.

Jesus teilt dieses Erlebnis mit seinem engsten Jüngerkreis, wie auch:

  • die Auferweckung der Tochter des Jairus (Mk 5,37; Lk 8,51);
  • den Gebetskampf in Gethsemane (Mt 26,37; Mk 14,33.

Für die Begrenzung auf drei Begleiter finden wir keinen biblischen Hinweis – außer dass Jesus hier an das Prinzip der 2 oder 3 Zeugen denkt (), die dieses Ereignis nach seiner Auferstehung glaubhaft bezeugen können.

Für den Berg der Verklärung kommt kaum der Berg Tabor in Frage,

  • da er nicht nördlich, sondern südwestlich von Cäsarea Philippi liegt;
  • da der Berg Tabor kein hoher Berg ist, wie Matthäus und Markus uns berichten;
  • da dort zurzeit von Jesus eine Festung war.

Andere Vorschläge sind der Jebel Jermuk/Jermak, die höchste Erhebung im nördlichen Galiläa. Man wählt diesen Berg in einer jüdisch besiedelten Gegend, da Jesus nach dem Abstieg vom Berg von einer großen Menschenmenge inklusive Schriftgelehrte begrüßt wird. In der maronitischen Kirche Libanons gibt es eine lange Tradition, dass dieser „hohe“ Berg weit nördlich von Cäsarea Philippi in den Bergen des Libanon zu suchen sei. Dies könne nur der Berg Hermon sein. Der baptistische Prediger und Bibelschullehrer argumentiert hierfür in seinem Buch: Ghassān Īlīyā Khalaf. 1985. Lubnān fī al-Kitāb al-Muqaddas. Manṣūrīyat al-Matn, Libanon: Dār Manhal al-Ḥayāh; S. 290f.. Im Alten Testament wird dieser hohe Berg oft positiven Zusammenhängen erwähnt (Ps 89,13; 133,3). Da auch hier keine konkreten biblischen Angaben zur Verfügung stehen, muss der genaue Ort offen bleiben.

Der Evangelist Lukas berichtet, dass Petrus und seine Kollegen beschwert vom Schlaf sind, dann aber völlig aufwachen. Sie sehen, wie sich das Aussehen von Jesus verändert. Sein Angesicht leuchtete wie die Sonne, seine Kleider aber wurden weiß wie das Licht (siehe auch 2Mo 34,29). Der Text gibt uns keine Erklärung für diese Erscheinung, somit haben wir unsere Wissbegierde zu begrenzen. Dann erscheinen sichtbar zwei Männer aus der anderen Welt: Mose und Elia – wahrscheinlich als Repräsentanten für das Gesetz und die Propheten. Wieder teilt uns die Schrift nicht mit wie, sondern nur, dass die drei Jünger diese beiden erkennen können. Jesus, Mose und Elia sind in einem Zustand der Herrlichkeit und besprechen nach Lukas den ´exodos´- Ausgang, Auszug, Weggang, das heißt, sie besprachen den Tod, die Auferstehung und die Erhöhung von Jesus. Die Zeitgenossen von Jesus erwarten die Rückkehr von Mose und Elia erst am Ende der Zeit. Beiden war Gott am Sinai oder Horeb erschienen (2Mo 24,15.16; 1Kön 19,8).

Petrus hat sofort eine geniale Idee, die er ohne weitere, tiefere Überlegungen äußert: Er will drei temporäre Übernachtungsplätze errichten (nicht vier: eine für sich selbst; auch nicht 6 für jeden eine!). Doch brauchen diese drei Gesprächspartner solch einen Schutz vor der Kälte und dem Wetter? Petrus will diese „himmlische Szene“ verlängern und damit auch das „Tal“ mit den bitteren Aussichten des Todes verdrängen. Petrus erhält von Jesus keine Antwort. Doch wie zur Antwort wird das Überschatten durch eine Wolke (siehe 2Mo 25,15 und 40,34). Die Gegenwart Gottes wird in der Bibel oft mit einer Wolke verbunden: 2Mo 13,21; 16,10; 40,35; 1Kön 8,10.11, Neh 9,19; Ps 78,14; Hes 1,4: Offb 14,14-16. Diese Wolke verdeckt die drei „himmlischen“ Personen und alle hören eine himmlische Stimme: Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe. Ihn hört!

Abbildung 14 „Wer Ohren hat der höre“ (Zeichnung: 2016).

Wir erinnern uns an die Worte der himmlischen Stimme bei der Taufe von Jesus am Jordan Mt 3,17: Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe. Die drei Jünger werden dringend aufgefordert auf die Worte des geliebten Sohnes zu hören (siehe auch 5 Mose 18,15). Dieses Worte finden ihren Niederschlag bei Petrus 2Petr 1,16-18:

Denn wir haben euch die Macht und Ankunft unseres Herrn Jesus Christus kundgetan, nicht indem wir ausgeklügelten Fabeln folgten, sondern weil wir Augenzeugen seiner herrlichen Größe gewesen sind. Denn er empfing von Gott, dem Vater, Ehre und Herrlichkeit, als von der erhabenen Herrlichkeit eine solche Stimme an ihn erging: «Dies ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe.» Und diese Stimme hörten wir vom Himmel her ergehen, als wir mit ihm auf dem heiligen Berg waren.

Dieses erhebende und stärkende „Gipfelerlebnis“ offenbart die liebende und fürsorgende Art des himmlischen Vaters, der seinen Sohn und auch die Jünger auf die kommende Leidenszeit vorbereitet. Zwar ist die erste Reaktion der Jünger Furcht – sie fallen auf den Boden und verdecken ihr Gesicht. Doch diese Reaktion hat viele biblische Vorbilder: 1Mo 3,10; Ri 6,22; 13,22; Jes 6,5; Dan 8,17; 10,9; Hab 3,16; Offb 1,17. Eine liebevolle Berührung durch Jesus erlöst die Drei aus ihrem Schrecken. Jesus spricht dabei die für ihn so typischen Worte: …fürchtet euch nicht! Als die drei Jünger dann wieder aufblicken sehen sie nur Jesus – alles war wieder wie üblich! Auf dem Weg zum Tal erklärt Jesus, dass dieses Erleben vorerst nicht weiter verbreitet werden soll. Das vorzeitige öffentliche Verkünden seines Anspruchs und seines Auftrags soll so vermieden werden. Doch später – zum richtigen Zeitpunkt: nach der Auferstehung, dann soll dieses Ereignis verkündet werden.

Der Evangelist Matthäus rundet diesen eindrücklichen Bericht mit den Erklärungen ab, warum Johannes der Täufer der im Alten Testament verheißene wiederkommende Elia sei (Mal 3,23.24). Im Gegensatz zu den Schriftgelehrten seiner Zeit ordnet Jesus diese Prophezeiung als in Johannes dem Täufer erfüllt ein. Jesus lehrt hier die symbolische Erfüllung der Prophezeiung – nicht die wörtliche. Deutlich fordert Jesus in seinen Worten die Jünger auf sowohl Johannes, als auch ihn selbst als von Gott gesandt anzunehmen. In diesem Zusammenhang findet sich die zweite Leidensankündigung (Mt.17,12b; Mk.9,12b).

Fragen:

  1. Wie empfinden wir die Ausgrenzung der 9 und die Bevorzugung der 3 Jünger?
  1. Warum sucht Jesus einen hohen Berg auf?
  1. Welche „Gipfelerlebnisse“ prägen dein Leben?
  1. Was für ein Kontrast – hier schläfrige Müdigkeit – dort die schönste Herrlichkeit!
  2. Warum liegt das Alltägliche oft so nah am Göttlichen?
  1. Jesus in Gemeinschaft von Mose und Elia – was wird uns hier deutlich?
  1. Warum können wir Gipfelerlebnisse nicht fest betonieren?
  1. Nach dem Gipfelerlebnis kommt der Abstieg ins Tal der menschlichen Not – können wir auch darin Gottes Fürsorge erkennen?

 7.20 Die Heilung eines mehrfach belasteten Jungen

(Mt 17,14-21; Mk 9,14-29; Lk 9,37-43)

Gipfelerlebnisse und unsere Nöte, Ängste und Sorgen gehören zusammen – Jesus erfuhr auf dem Berg die besondere Fürsorge seines Vaters im Himmel. Im Tal trifft er auf einen hilfesuchenden Vater in der Mitte einer Menschenmenge. Sein einziges Kind leidet an Epilepsie[6]. Seine Bitte beginnt mit dem verzweifelten Schrei: „Herr, erbarme dich meines Sohnes!“ Jesus erfährt die Details: Fallen ins Wasser oder gar Feuer, Zähneknirschen, Schaum vor dem Mund und Krämpfe. Als Erschwernis kommt hier noch hinzu, dass der Junge taub und stumm ist (Mk 9,25). Allerdings gipfelt dieser Krankenbericht darin, dass der Junge nach dem Bericht aller drei Evangelisten von einem unreinen Geist geplagt wird. Dieser Fall überfordert die zurückgebliebenen neun Jünger – sucht doch der Vater schon von vornherein die Hilfe von Jesus – nicht von den Jüngern (Mk 9,25). Dieser Vorfall zeigt auch, dass die Jünger zu diesem Zeitpunkt in den Heilungs- und Befreiungsdienst miteingebunden sind (Mt 10,11; Mk 6,13; Lk 9,6f). Der Vater spricht Jesus respektvoll mit Lehrer (Mk und Lk) und HERR (Mt) an. „Ich habe meinen Sohn zu dir gebracht“, sagt der Vater sorgenvoll nach dem missglückten Heilungsversuch der Jünger. Jesus beginnt seine Antwort mit einem tief bewegt „Oh!“ Darin liegt das Mitleiden und die Empörung des Gottes Sohnes angesichts dieses menschlichen Leidens. Jesus richtet seine Worte nicht an die zurückgebliebenen neun Jünger, sondern an seine Zeitgenossen: …ungläubiges Geschlecht! Bis wann soll ich bei euch sein? Bis wann soll ich euch ertragen? Jesus sieht den wankenden Glauben des Vaters (wenn du das kannst), die streitenden Schriftgelehrten, denen der Misserfolg Wasser auf ihren Mühlen ist (Mk 9,14), die selbstsüchtige Menschenmenge (Joh 6,22) und die im Gebet versagenden Jünger (Mk 9,29). Doch sind nicht alle Generationen gebetsarm, glaubenslos… angesichts eines solchen Falles? Hier spricht der leidende Gottessohn zu uns sterblichen Menschen – sehnt er sich nach seinem Ende in diesem Erdenleid?

Jesus reagiert vorbildlich in dieser stressgeladenen Atmosphäre angesichts der streitsüchtigen glaubensschwachen Mitmenschen: Er wendet sich dem unglücklichen Jungen in seiner liebevollen Art zu. Doch diese Zuwendung wird sofort mit einem der häufigen Anfälle erwidert. Alle Evangelisten arbeiten bewusst den Zusammenhang zwischen der Begegnung mit Jesus, dem Anfall und der dämonischen Belastung heraus. Jesus erkundigt sich wie ein mitfühlender Arzt nach dem Beginn dieser Zustände – der Vater offenbart allen Umstehenden das lange Leid in der Familie – er erklärt mit seinen Worten, dass der böse Geist seit früher Kindheit immer wieder versuchte den Jungen und damit die Familie zu zerstören. Der Vater ist überzeugt, dass Jesus helfen will – doch kann er auch? Die Bitte ist der Form nach eine intensive Bitte um rasche Hilfe für die ganze Familie – achte: hilf uns! Jesus verweist auf den Glauben, durch den alles möglich sei. Die sehr überraschende Antwort weist auf unser menschliches Dilemma: wir würden gerne… können aber nicht in dieser Tiefe glauben! Wir alle kennen unsere Zweifel und Befürchtungen. Ich glaube und hilf (immer wieder ständig) meinen Unglauben. Die etwas weiter entfernt zuschauende Volksmenge beginnt sich ihnen wieder zu nähern, da es wohl jetzt bald etwas zu sehen gab. Wir wissen, dass Jesus keine Heilungsshows anbot. So hat er auch angesichts dieses sehr komplexen Krankheitsbildes und den vielen Zuschauern den Überblick und bringt die Heilung rasch und vollständig. Er bedroht mit seiner einzigartigen Autorität den unreinen Geist als stummen und tauben Geist und befiehlt ihn den Jungen zu verlassen und nicht wieder zu belästigen. Ein letzter schwerer Anfall wirft den Jungen zu Boden… manche befürchten gar sein Ende. Wieder stellt der Evangelist Markus den Zusammenhang zwischen den Jesusworten und dem Anfall klar heraus. Er muss Petrus oder den anderen Aposteln sehr sorgfältig zugehört haben, so dass er diese Details wiedergeben kann. Jesus kommt dem Jungen sehr nahe, ergreift ihn wie auch bei vielen anderen Heilungen (Mk 1,31; 5,41) an der Hand und stellt ihn auf seine Füße. Der Junge gewinnt seine Kräfte wieder und stellt sich mit eigener Kraft auf und beginnt sein Leben. Lukas beschreibt in seiner feinen Art, wie Jesus den Jungen seinem Vater zurückgibt.

Nach dieser Heilung geht Jesus mit seinen Jüngern (nach Kapernaum?) in ein Haus und wird dort dann im engsten Kreis nach dem Grund für den Misserfolg der neun Jünger befragt. Wir finden folgende Antworten:

  • Evangelist Matthäus – Kleinglauben ist der Grund (Mt 17,20)[7]
  • Evangelist Markus – Gebetslosigkeit ist der Grund (Mk 9,29)

Natürlich gehören beide Hinweise zusammen, da eins das andere bedingt. Es wird auch deutlich, dass es im Bereich der dämonischen Belastungen erheblich Unterschiede gibt. Der Schlüssel ist das Gebet – nie das Aufsehen oder gar die Show.

Fragen:

  1. Warum gehören im Glaubensleben „Gipfel und Tal“ unbedingt zusammen?
  1. Wie wollen wir auf die Not reagieren – bereitet die spirituelle Reise, das Erleben
  • des Geistes uns auf die Not vor?
  1. Worin bestand das Leid a) bei Jesus, b) beim Sohn und c) beim Vater?
  1. Wie können wir heute Notleidende zu Jesus bringen?
  1. Wie sieht heute Glaube, Kleinglaube und Unglaube aus?
  1. Wie wollen wir bei Belastungen beten?

7.21 Jesus wieder in Kapernaum – die Frage nach der Tempelsteuer

(Mt 17,24-27)

Jesus und die zwölf Jünger sind schon eine längere Zeit nicht mehr in Kapernaum gewesen. Doch jetzt sind sie wieder zurück in ihrem ´Hauptquartier´. Hier werden sie in finanzielle Angelegenheiten verwickelt – nicht in das übliche Problem zur Zeit der römischen Besatzung: die leidigen Steuern – sondern in Bezug auf die Tempelsteuer. Die Tempelsteuer war für Juden in Palästina und in der Diaspora eine feste Institution und ein Symbol jüdischer Identität und Einheit. Das Geld war für Opfer und Arbeiten im Tempel bestimmt und hatte daher auch einen hohen religiösen Symbolwert. Die Steuer galt als heiliges Geld oder als Lösegeld. Die Abgabenhöhe betrug einen halben Silberschekel (siehe auch 2Mo 30,13) bzw. eine tyrische Doppeldrachme. Dies entspricht zwei römischen Dinar – also den üblichen Lohn für zwei Arbeitstage. Jeder männliche Israelit älter als zwanzig Jahre bis zum fünfzigsten Lebensjahr hat regelmäßig zum Betrieb und Erhalt des Tempels einen festgesetzten Betrag zu zahlen (2Mo 30,12-14; 38,26; 2Chr 24,6.9).[8] In fast jeder Ortschaft gibt es zurzeit von Jesus eine Kasse für die heiligen Gelder, in die man einzahlt. Zu festgesetzten Zeiten wird das Geld von zuverlässigen Leuten nach Jerusalem überbracht.[9] Da die Tempelsteuer nur in jüdischen Münzen gezahlt werden kann, verdienen Geldwechsler auch ihren Teil an dieser Steuer.

Da weder Petrus noch Jesus diese Steuer entrichtet hatten – eventuell weil sie außerhalb von Kapernaum unterwegs waren, wird Petrus wohl auf der Straße nach der Steuer gefragt. War es Respekt, der sie hinderte den Rabbi Jesus direkt mit ihrer Forderung zu konfrontieren? Auf jeden Fall wird Petrus als Ansprechpartner aus den vielen Nachfolgern identifiziert. Zahlt euer Lehrer nicht die Doppeldrachmen?“ (Mt 17,24). In dieser Frage muss keine Kritik mitschwingen, wahrscheinlich ist es nur das Nachfragen nach der Steuerzahlung. Petrus bestätigt, dass Jesus ein ganz normaler steuerzahlender Bürger ist. Petrus setzt seinen Weg fort und folgt Jesus samt den anderen Jüngern in „ihr“ Haus (Mt 9,28). Dort spricht ihn Jesus auf dies Thema an, noch bevor Petrus vom Gespräch berichten kann: „Was meinst du, Simon? Von wem erheben die Könige der Erde Zoll oder Steuer, von ihren Söhnen oder von den Fremden?“ Jesus macht damit deutlich, dass er im engeren Sinn eigentlich als Sohn Gottes nicht tempelsteuerpflichtig sein kann. Diesem Gedankengang muss auch Petrus zustimmen. War nicht Jesus in „seines Vaters Haus?“ (Lk 2,49; Joh 2,16). War er nicht sogar größer als der Tempel (Mt 12,6). Doch Jesus will aus dieser Sichtweise keine neue Schwierigkeit entwickeln – eine Weigerung die Tempelsteuer zu entrichten, musste von den Zeitgenossen falsch interpretiert werden. Petrus erhält von Jesus den Auftrag zum See zum Angel zu gehen. Dort würde der erste anbeißende Fisch die erforderliche Münze im Maul haben, um damit die Steuer für Petrus und Jesus zahlen zu können (wörtlich: stathera stat¢ra = vier Drachmen = ein Schekel). Es ist fast überflüssig zu erwähnen, dass es genauso geschieht.

Fragen:

  1. Wie verstehen wir die Kenntnis von Jesus in Bezug auf das Gespräch des Petrus mit den Steuereintreibern?
  1. Welche Lehre wollen wir als steuerzahlende Bürger aus diesem Bericht ziehen? Welchen Schluss können wir in Bezug auf unseren Beitrag zum Haus Gottes ziehen?
  1. In welcher Weise wird hier deutlich, dass gemäß dem Evangelisten Matthäus Jesus deutlich beansprucht, der Sohn Gottes zu sein.
  1. Was zeigt uns die Episode mit der Münze im Maul des Fisches?

7.22 Wahre Größe im Reich der Himmel

(Mt 18,1-5; Mk 9,33-37; Lk 9, 46-48)

Zwischen dem vorangegangen Abschnitt und diesem besteht ein enger Zusammenhang. Besonders Matthäus stellt diese Berichte mit einem Interesse an Petrus zusammen, da er diesen öfter als die anderen Jünger erwähnt – so als hätte Jesus ihn hervorgehoben.

Folgender Ablauf ist vorstellbar:

  • Lk 9,46 Die Jünger denken unterwegs über die Rangfolge nach
  • Mk 9,33 Ein offener Rangfolgestreit entsteht
  • Petrus wird zwischenzeitlich von den Steuereintreibern in Kapernaum aufgehalten
  • Jesus spricht Petrus im Haus daraufhin an
  • Jesus schickt Petrus zum Angeln an den See
  • Jesus fragt nach dem Thema der Diskussion auf dem Weg
  • Mk 9, 34 Die Jünger schweigen zunächst
  • Lk 9,47 Jesus kannte allerdings die Motive der Diskussion
  • Mt 18,1 Die herausgeforderten Jünger sprechen offen mit Jesus über das Streitthema

Denn die Frage der Jünger nach der Rangfolge ist weder kindisch noch unschuldig – eher politisch zu bedenken. Ihre Vorstellungen vom anbrechenden Reich sind zwar verschwommen und widersprüchlich, doch sie sind sich einig, dass es wesentlich sein wird, wer in der Rangfolge als erster in der Öffentlichkeit auftreten darf. Aus unserer Sicht ist dieser Wettstreit angesichts der nahen Leidenszeit von Jesus mehr als ärgerlich! Wie wenig rücksichtsvoll und sensibel sind hier die Jünger gegenüber Jesus.

Jesus antwortet mit dem Hinweis auf ein Kind – mindestens eins ist sogar in ihrer Nähe – denn Kinder sind bei allen öffentlichen und häuslichen Ereignissen zugegen. Im Umfeld der Tätigkeit von Jesus werden Kinder bei folgender Gelegenheit erwähnt: Mt 14,21; 15,38; 18,3; 19,13; 21,15.16; 23,37 (auch: Mk 10,13.14; Lk 18,15.16). Kinder liefen gerne zu Jesus und Kinder werden im Jüngerkreis (= wie viel mehr in der Gemeinde!) besonders beachtet und wertgeschätzt. Jesus hat ein herzliches Verhältnis zu ihnen. Wann immer Jesus ein Kind herbeirufen wollte, war auch schnell eins in der Nähe. Jesus stellt das Kind in den Kreis der „GROSSEN.“ Wir können annehmen, dass das Kind angesichts der beruhigenden Gegenwart von Jesus auch im Kreis der rauen bärtigen Jünger nicht verängstigt ist. Es stand nahe bei Jesus (Lk 9,47) und wurde von ihm schützend in den Arm genommen (Mk 9,36) und war so sicher und in ihm ruhend – wir können uns sogar vorstellen, dass es erwartungsvoll in das Gesicht des Meisters schaut, als dieser zu den Erwachsenen spricht: Wahrlich, ich sage euch, wenn ihr nicht umkehrt (στραφήτε) und werdet wie die Kinder, so werdet ihr keinesfalls in das Reich der Himmel hineinkommen. Darum, wenn jemand sich selbst erniedrigen wird wie dieses Kind, der ist der Größte im Reich der Himmel..“ (Mt 18,2-4). Jesus sagt damit: Ihr streitet darüber wer der Größte im Reich sein wird, so als wäret ihr schon sicher drin. Doch wenn ihr weiterhin nur versucht euch gegenseitig zu übertrumpfen und einer den anderen zu beherrschen, dann werdet ihr gar nicht dabei sein.“

Jesus spricht den menschlichen Hang zur selbstsüchtigen Machtausübung und Unterdrückung anderer an. Im Reich Gottes kann keiner Verantwortung und Leitung übernehmen, der nicht gründlich davon abgekehrt ist. Hier sei an das Gebet „Ephraims“ in Jer 31,18 erinnert: …Lass mich umkehren, dass ich umkehre, denn du, HERR, bist mein Gott“. Diese Wende vom ICH zu Gott, von Sünde zum Retter ist die tiefere Schicht des Werden wie die Kinder. Dazu kommen die Eigenschaften, die wir bei Kinder schätzen:

  • Einfach, einfältig, direkt, – Gedanken, Worte und Gestik, Emotion stimmen überein,
  • Unverstellte ehrliche Anhänglichkeit,
  • und das sehr große Vertrauen in die Fähigkeit des Erwachsenen,
  • Die starke Einschränkung in Bezug auf das eigene Wissen und die körperliche Kraft sind der Motor dieses tiefen Vertrauens.

Jeder Erwachsene, der sich in dieser Weise auf die kindliche (nicht kindische!) Ebene begibt/erniedrigt, darf viel vom himmlischen Vater erwarten und erhalten. Errettung zu erhalten und zu behalten ist also eine Gabe des Vaters an seine vertrauensvollen Kinder. Leiten und Verantwortung im Reich Gottes können Jünger nur als Kinder des Vaters übernehmen – nicht MANAGEMENT-Gaben werden hier in erster Linie gebraucht, sondern Nähe und Vertrauen zum großen Vater. Diese Aussagen erinnern uns an die Worte von Jesus:

  • in den Seligpreisungen Mt 5,3-6
  • über den Glauben des römischen Hauptmannes Mt 8,5-13
  • über den Glauben der Frau aus Tyros/Sidon Mt 15,27.28

Doch auch der Glaubensalltag von Jesus war geprägt von diesem tiefen Vertrauen aus einer erniedrigten Stellung (Mt 12,15-21; Mt 20,28; 21,5; Lk 22,27; Joh 13,1-20 auch 2Kor 8,9; Phil 2,5-8). Seit Jesus gilt in Gottes Volk: Leiter wissen um ihre geringe Stellung – haben aber ein großes Vertrauen zum Vater! Das Streben nach Verantwortung ist gut, geht aber einher mit der Bereitschaft sich zu erniedrigen, sich belasten zu lassen und anderen uneigennützig zu dienen. Bei der Suche nach Leitern ist darum an jene zu denken, die nach den bürgerlichen Maßstäben leicht übersehen werden.

Fragen:

  1. Warum ist die Idee der vorrangigen Stellung von Petrus wenig überzeugend?
  1. Was ist vorbildlich bei einem kindlichen Vertrauen?
  1. Welche Aspekte sind bei der Übertragung von Verantwortung in der Gemeinde wesentlich, welche hilfreich und welche hinderlich?
  1. Wie passen Selbstwertgefühl, Selbsterniedrigung und Dienstbereitschaft zusammen?

 

7.23 Der unbekannte Exorzist

(Mk 9,38-41; Lk 9,49-50)

Da fing Johannes an und sprach: Meister, wir sahen einen, der trieb böse Geister aus in deinem Namen; und wir wehrten ihm, denn er folgt dir nicht nach mit uns. Und Jesus sprach zu ihm: Wehrt ihm nicht! Denn wer nicht gegen euch ist, der ist für euch“ (Lk 9,49-50; Vgl. Mk 9,38-41).

Die Bemerkung des Johannes ist auffällig. Es scheint als wolle er Jesus auf ein Problem aufmerksam machen oder von dem Streit um Rangfolge abzulenken. Im Grunde ist dieser Hinweis eng verknüpft mit dem Autoritätsanspruch der Jünger. Nach der Meinung der Jünger ist es unzulässig, dass jemand, der nicht zu dem bekannten Jüngerkreis von Jesus gehört Dienste wie das Austreiben „Böser Geister“ ausübt. Es entsteht der Eindruck, dass die Jünger diese Vollmachten als ihr Monopol in Anspruch nehmen. Ja, sie maßen sich an, jenem unbekannten Zeitgenossen diesen Dienst zu verbieten. Doch Jesus fühlt sich weder überrascht noch übergangen und reagiert sehr ruhig darauf. Er sieht das Problem nicht in jenem Unbekannten. Jesus hat ein weites Herz für solch einen Menschen. Er sieht das Problem eher bei seinen Jüngern. Ihre Reaktion und Verhalten möchte er korrigieren: „Ihr sollt es ihm nicht verbieten“. Im Gerangel um die Vorrangstellung im Jüngerkreis wurde ihr Denken getrübt, so dass Neid und Autoritätsansprüche ihr Denken erfüllt. Ein angeblich unkontrollierter Dienste für Jesus gerät in den Vordergrund, anstatt die Freude über Menschen, die Dienste im Namen Jesu mit Erfolg versahen, wo sie sie selbst früher versagten. Wir erinnern uns an ihren Misserfolg bei der Heilung des mehrfach belasteten Jungen(Mt 17,14-21; Mk 9,14-29; Lk 9,37-43).

Dazu gibt Jesus den Jüngern eine grundsätzliche Antwort mit zwei Aussagen: „Wer nicht gegen uns ist, ist für uns“ (Lk 9,50)und “Es ist niemand, der in meinem Namen eine gute Tat tut und bald schlecht von mir redet“ (Mk 9,39b). Anstatt der negativen Unterstellung und Misstrauen steht bei Jesus Freude im Vordergrund. In sogenannten frommen Kreisen kann es leider auch leicht geschehen, dass auf den geistlichen Erfolg von Geschwistern mit Missgunst und Neid reagiert wird. Können wir das Wirken des Heiligen Geistes einschränken auf unsere kleine Gemeinde oder unsere Denomination? Wir dürfen uns über jede gute und gerechte Tat im Dienst an Menschen freuen – noch viel mehr, wenn dies im Namen von Jesus geschieht. Wir bedenken folgende biblische Parallelen:

  • Mose war zu seiner Zeit frei von einem engen, persönlichen Autoritätsanspruch (4Mose 11,27-30).
  • Paulus konnte sich neidlos über die vielfältige Verkündigung der Frohbotschaft freuen; sogar dann noch, wenn die Motivation jener Verkündiger nicht immer geistlich war (Phil 1,15-20).
  • Jesus geht sogar noch weiter, wenn er betont, dass sogar ein Becher kalten Wassers einem Jünger gereicht in seinem Namen, nicht unbelohnt bleibt (Mk 9,41).

So weitherzig und großzügig ist Jesus!

Fragen:

  1. Vor welchem Hintergrund ist die Bemerkung des Johannes zu verstehen?
  1. Wie reagiert Jesus auf die eigenmächtige und selbstbewusste Position der Jünger gegenüber dem unbekannten Exorzisten?
  1. Wo können wir das Prinzip von Jesus Wer nicht gegen uns ist, der ist für uns ganz praktisch anwenden?
  1. Wie können wir uns neidlos über die Gaben und Erfolge anderer Christen in anderen Gemeinden und Bewegungen freuen? Wie können wir diese Freude ausdrücken?

 

7.24 Jesus warnt vor Anstößen zum Abfall

(Mt 18,6-11; Mk 9,42-50; Lk 17,1-2)

Jesus unterscheidet zwei Richtungen aus denen Angriffe auf den Glauben zu kommen können:

7.24.1 Verführung von außen.

Nahtlos setzt Jesus seine Lehre von der wahren Größe, durch Erniedrigung und Dienst fort und sagt:

Wer aber einen dieser Kleinen, die an mich glauben, zum Abfall verführt, für den wäre es besser, dass ein Mühlstein an seinen Hals gehängt und er ersäuft würde im Meer, wo es am tiefsten ist. Wehe der Welt, weil sie Fallen stellt! Es müssen ja Verführungen kommen; doch weh dem Menschen, der zum Abfall verführt (Mt 18,6-7; Mk 9,42; Lk 17,1-2).

Jesus verwendet den Begriff ska,ndalon skandalon und bezeichnet damit Menschen die Fallen stellen, legen oder zu Fall bringen, bzw. zum Abfall vom Glauben veranlassen. Das Bild vom Mühlstein um den Hals hängen und den Anstoßgebenden im tiefsten Meer zu ersäufen, ist sehr zugespitzt und im wörtlichen Sinne eine schreckliche Übertreibung. Hier nutzt Jesus dieses eindrückliche und übertreibende Bild, um deutlich zu machen, für wie viel größer er den Schaden für den Schwachen im Glauben einschätzt. An die Adresse der Schriftgelehrten sagt er an anderer Stelle mit der gleichen Schärfe:

Weh euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler, die ihr das Himmelreich zuschließt vor den Menschen! Ihr geht nicht hinein und die hineinwollen, lasst ihr nicht hineingehen (Mt 23,13; Mt 16,23).

7.24.2 Verführung von innen

 

Wenn aber deine Hand oder dein Fuß dich zum Abfall verführt, so hau sie ab und wirf sie von dir. Es ist besser für dich, dass du lahm oder verkrüppelt zum Leben eingehst, als dass du zwei Hände oder zwei Füße hast und wirst in das ewige Feuer geworfen. Und wenn dich dein Auge zum Abfall verführt, reiß es aus und wirf’s von dir. Es ist besser für dich, dass du einäugig zum Leben eingehst, als dass du zwei Augen hast und wirst in das höllische Feuer geworfen.

(Mt 18,8-9;  Mk 9,43-44).

Jesus verwendet hier Glieder des menschlichen Körpers und deren Abtrennung so zugespitzt, wie er dies nie in buchstäblicher Form fordern würde. Er macht deutlich, dass die Versuchungen von innen genau so gefährlich sind, wie die von außen. Nur in diesem Fall ist der Mensch selbst für seinen Glauben verantwortlich. Jesus spricht bewusst den Einzelnen an und fordert ihn zur klaren Grenzziehung, zum Verzicht, zur Selbstbeherrschung und zur Selbstverleugnung auf. In diesem Zusammenhang weist Jesus auch unmissverständlich auf die Folgen hin, wenn bei Versuchungen von innen nicht mit Entschlossenheit auf Verzicht reagiert wird. Die letzte Konsequenz wäre dann das unauslöschliche Feuer bzw. die Gehenna = Hölle[10]. Jesus weiß um die ewige Verdammnis und Gottferne und nennt einige Details in diesem Zusammenhang:

das ewige Feuer (Mk 9,44)

da ihr Wurm nicht stirbt und ihr Feuer nicht verlöscht (Mk 9,48)[11]

Auffallend ist, dass Jesus deutlich über den ewigen Verdammungsort (Zustand) spricht und dieses Thema in verschiedenen Situationen seines Lehrdienstes anspricht (Mt 25,41; Mk 9,48; Lk 12,5; 16,23-25).

Jesus tröstet alle Angefochtenen mit dem Hinweis auf den Dienst der Engel.

Seht zu, dass ihr nicht einen von diesen Kleinen verachtet. Denn ich sage euch: Ihre Engel im Himmel sehen allezeit das Angesicht meines Vaters im Himmel

(Mt 18,10-11; Hebr 1,14).

Jesus gibt uns hier einen Einblick in eine uns sonst verborgene, jenseitige, himmlische Welt; die Welt der Engel. Im Hebräerbrief lesen wir:

Sind sie nicht allesamt dienstbare Geister, ausgesandt zum Dienst um derer willen, die das Heil ererben sollen“ (Hebr 1,14)?

In der Bibel finden wir keine umfassende und systematische Lehre von den Engeln. Wir sollten zurückhaltend sein, außerbiblische Beschreibungen aus Tradition, Literatur und Kunst in die Bibel hineinzulesen. Dennoch bleibt hier festzuhalten, dass diese Boten Gottes ausgesandt werden, um die Kinder Gottes zu dienen.

Hier sei hingewiesen auf dem einprägsamen Merkvers:

Das Salz ist gut; wenn aber das Salz nicht mehr salzt, womit wird man’s würzen? Habt Salz bei euch und habt Frieden untereinander! (Mk 9.50)

Als Trost für alle Gefallenen fährt der Evangelist Matthäus an dieser Stelle mit der Gleichnisrede von Jesus über das Verlorene Schaf fort:

Was meint ihr? Wenn ein Mensch hundert Schafe hätte und eins unter ihnen sich verirrte: lässt er nicht die neunundneunzig auf den Bergen, geht hin und sucht das verirrte? Und wenn es geschieht, dass er’s findet, wahrlich, ich sage euch: Er freut sich darüber mehr als über die neunundneunzig, die sich nicht verirrt haben. So ist’s auch nicht der Wille bei eurem Vater im Himmel, dass auch nur eines von diesen Kleinen verloren werde“ (Mt 18,12-14).

Jesus möchte seine Lehre anschaulich machen und zeigen, wie wertvoll für ihn jeder Einzelne ist. Wie der Hirte im Gleichnis scheut Jesus keine Mühe, um einen vom Glaubensweg abgekommenen Menschen wieder zurückzuholen. Matthäus betont das Suchen des Hirten. Der Evangelist Lukas ordnet ein gleiches Gleichnis in einen anderen Zusammenhang ein. Lukas betont die Last der Wiederherstellung und Freude bei der Wiedereingliederung.

Fragen:

  1. Was bedeutet das Wort „Skandalon?“
  1. Welche Verführungsarten gibt es? In welcher Gestalt erleben wir sie heute?
  1. Welche Anstöße sind gefährlicher, die von innen oder die von außen?
  1. Welche Aussagen macht Jesus in Bezug auf das ewige Feuer bzw. „Gehenna“?
  1. Welche Bedeutung haben Engel für Gläubige?
  1. Jesus der Hirte sucht! In welcher Weise dürfen wir heute verirrten Glaubensgeschwistern nachgehen?

 

 

7.25 Zurechtweisung und Vergebung

7.25.1 Zurechtweisung des Bruders

Mt 18,15- 20; Lk 17,3-4

Sündigt aber dein Bruder an dir, so geh hin und weise ihn zurecht zwischen dir und ihm allein. Hört er auf dich, so hast du deinen Bruder gewonnen. Hört er nicht auf dich, so nimm noch einen oder zwei zu dir, damit jede Sache durch den Mund von zwei oder drei Zeugen bestätigt werde. Hört er auf die nicht, so sage es der Gemeinde. Hört er auch auf die Gemeinde nicht, so sei er für dich wie ein Heide und Zöllner (Mt 18,15-17).

Wahrlich, ich sage euch auch: Wenn zwei unter euch eins werden auf Erden, worum sie bitten wollen, so soll es ihnen widerfahren von meinem Vater im Himmel. Denn wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen“ (Mt 18,19-20).

7.25.2 Begegne deinem Bruder in Gnade

Mt 18,21-22;  Lk 17,3-4

Da trat Petrus zu ihm und fragte: Herr, wie oft muss ich denn meinem Bruder, der an mir sündigt, vergeben? Genügt es siebenmal? Jesus sprach zu ihm: Ich sage dir: nicht siebenmal, sondern siebzig mal siebenmal. (Vgl. Lk 17,3-4; Eph 4,32).

  1. Herr, stärke uns den Glauben

Mt 17,18-21: Lk 17,5-6

Und die Apostel sprachen zu dem Herrn: Stärke uns den Glauben!

Der Herr aber sprach: Wenn ihr Glauben hättet so groß wie ein Senfkorn, dann könntet ihr zu diesem Maulbeerbaum sagen: Reiß dich aus und versetze dich ins Meer!, und er würde euch gehorchen. (Lk 17,5-6 auch Mt 17,19-21; Mt 21,21

Es wird offensichtlich klar, dass Jesus den vergleich mit dem Senfkorn öffters erwähnt hat, eben immer dann, wenn die Situation oder die Thematik es erforderte.

  1. Wir sind unnütze Knechte

Wer unter euch hat einen Knecht, der pflügt oder das Vieh weidet, und sagt ihm, wenn der vom Feld heimkommt: Komm gleich her und setz dich zu Tisch? Wird er nicht vielmehr zu ihm sagen: Bereite mir das Abendessen, schürze dich und diene mir, bis ich gegessen und getrunken habe; danach sollst du auch essen und trinken? Dankt er etwa dem Knecht, dass er getan hat, was befohlen war? So auch ihr! Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen ist, so sprecht: Wir sind unnütze Knechte; wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren“ (Lk 17,7-10).

7.25.3 Der König erlässt großzügig die Schuld

Mt 18,23-35

Merkvers:

So wird auch mein himmlischer Vater an euch tun, wenn ihr einander nicht von Herzen vergebt, ein jeder seinem Bruder (Mt 18.35).

Mit diesem Gleichnis schließt Jesus dieses große und so vielschichtige Thema ab.

[1]Die griechische Verbform Indikativ Imperfekt legt ein wiederholtes konstantes Schreien nahe.

[2]Der Zeitgenosse von Jesus, Rabbi Elieser sagte: „Wer mit einem Götzendiener isst, gleicht einem, der mit einem Hund isst.“ Weiter lesen wir im Talmud Baba Kama 83a: „Wenn jemand Hunde großzieht, so ist es ebenso, als züchte er Schweine. In welcher Hinsicht ist das von Bedeutung? Dass er den Fluch auf sich lädt.“ Hunde werden im AT meist negativ dargestellt: Spr 26,11; Ps 22,17; 1Kön 21,19; 1Sam 17,43; Pred 9,4. Eine positive Erwähnung finden wir in 2Mose 11,7 und in Lk 16,.

[3]Wir nehmen an, das Jesus im 3. Dienstjahr nicht zum Passafest nach Jerusalem reiste, sondern zu der Zeit in den Randgebieten Galiläas umherwanderte.

[4]Zum Begriff Menschensohn. In Dan 7,13 lesen wir: ..Da kam mit den Wolken des Himmels einer [der aussah] wie ein Menschensohn…  Dieser Begriff: – findet sich fast ausschließlich in den Evangelien. – hat für griechisches Sprachempfinden den ungewöhnlichen doppelten Artikel: „der Sohn des Menschen“.- erscheint an 82 Stellen (ohne Parallelen: 36); – sind Eigenaussagen von Jesus; – einmal ein indirektes Jesuszitat Lk 24,7; einmal Verständnisfrage der Gesprächspartner von Jesus Joh 12,34; – Jesus redet immer vom Menschensohn in der dritten Person, meist mit Bezug auf sein eigenes Handeln, er sagt nie „Ich bin der Menschensohn“; – findet sich sonst: bei Stephanus Apg 7,56; „Mensch“; 1Tim 2,5, „Menschensohn“; Heb 2,6ff (Zitat aus Ps 8,6) und das unbestimmte „eines Menschen Sohn“ Offb 1,13f; Offb 14,14.

[5]Christus ist die lateinische Form des griechischen christos. Das hebräische Wort lautet. meschiach. Diese hebräische Version wird auch oft im Deutschen verwendet und als Messias ausgesprochen. Die Bedeutung des Wortes, bzw. des Titels ist: Gesalbter (Jes 61,1-2). Die Salbung aus neutestamentlicher Sicht geschieht mit und durch den Geist Gottes; so bei der Taufe von Jesus (vgl. Apg 10,38). Auch die Nachfolger von Jesus haben die Salbung durch und mit dem Heiligen Geist erfahren (1Joh 2,20.27).

[6]Dies ist die best Übersetzung von selhnia,zetai sel¢niazetai was buchstäblich: mondsüchtig bedeutet.

[7]In den wichtigen Kodices Sinaiticus und Vaticanus aus dem 4. Jahrhundert fehlt Vers 21. In den weniger gewichtigen Kodices aus dem 5. Jahrhundert (Codex Ephraemi, Codex Bezae u.a.) steht: V. 21: aber diese Art fährt nicht aus denn durch Beten und Fasten.

[8]Josephus erwähnt Details dieser Tempelsteuer: Jüdische Altertümer XVIII,312.

[9]Die eigentliche Tempelsteuer wurde wohl von den Hasmonäern eingeführt. Unter Johannes Hyrkanos oder Alexander Jannai wurde wohl die freiwillige Tempelabgabe von einem Drittschekel (Neh 10,33) auf einen Halbschekel heraufgesetzt und zu einer Kopfsteuer umgewandelt (Gussmann, 122).

[10]Gehenna/Ge-Hinnom (Schlucht von Hinnom): Nach Jos 15,8 tiefe schmale Schlucht am Fuße der Mauern Jerusalems. Zur Königszeit wurden hier dem Moloch Kinderopfer dargebracht (2Kön 23,10). Im NT als Ort der Strafe für Leib und Seele verwendet.

[11]siehe Jes 66,24 – Das Leid wird außen das Feuer und innen der Wurm sein.

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