10. Kapitel: Die Passionswoche

Abbildung 1 Modell von Jerusalem auf dem Gelände des `Holy Land` Hotels. So kann es im 1. Jh. ausgesehen haben (Foto: April 1986).

Abbildung 2 Modell des sogenannten Herodianischen Tempels. Jeden Morgen ging Jesus in den Tempel und lehrte dort (Foto: April 1986)

10. Kapitel: Die Passionswoche – Jesus in Jerusalem

Vorwort

In den folgenden 33 Abschnitten begleiten wir Jesus während der letzten Woche seines Dienstes in Jerusalem.

10.1 Ein Versuch der zeitlichen Einordnung der Passionswoche

Die Passionswoche von Jesus dauerte gerade mal sechs Tage, so Johannes 12,1a: „Sechs Tage vor dem Passa kam Jesus nach Bethanien (…)“. Hier stellt sich uns eine nicht leichte Rechenaufgabe. Denn traditionell wird angenommen, dass der Einzug von Jesus in Jerusalem auf einem Eselfohlen am sogenannten `Palmsonntag` (dem ersten Tag der jüdischen Woche) stattgefunden hatte. Diese Annahme setzt jedoch voraus, dass Jesus mit seinen Jüngern und der ihm nachfolgenden Menschenmenge am Vortag, also am Sabbat die etwa 25 Kiloometer lange Wegstrecke von Jericho nach Jerusalem hinaufgegangen war. Nach Apostelgeschichte 1,11 war ledoch das gehen am Sabbat nur für kurze Distanzen erlaubt. Daher ist Jesus entweder erst am Sonntag (erster Tag der jüdischen Woche) oder bereits zwei Tage früher, also am Freitag in Bethanien angekommen. Auf das Thema Wochentage und Tageszeiten wird später noch Bezug genommen werden. Rechnet man von Donnerstag, 15. Nisan ca. 18.39h sechs volle 24-Stundentage zurück, kommt man in den Freitaabend 9. Nisan. Jesus wäre dann etwa am Freitagnachmittag (8. Nisan) vor Sabbatbeginn am Ostabhang des Ölbergs in Bethanien angekommen.

Nach der anderen Variante, bei der Jesus erst am Sonntag vor Sonnenuntergang in Bethanien angekommen ist, wäre dieser noch nicht zu Ende gegangener Tag für unsere Sechstageszählung der erste Tag. Der eigentliche Passatag (der Donnerstagabend begann und Freitagabend endete) wäre dann auch der sechste Tag.

Wir ziehen diese zweite Variante vor, weil danach der Einzug in Jerusalem auf einem Eselfohlen, nicht auf den Sabbat (Samstag), sondern auf den Montag fällt.

ANMERKUNG: Das Losbinden der Eselin mit dem Eselfohlen am Sabbat, um diese zur Tränke zu führen (Lk 13,15) wäre erlaubt gewesen, aber um darauf zu reiten wäre nach 2Mose 20,8 Übertretung des Sabbatgebotes (Ruhe auch für das Vieh). Palmzweige abbrechen und auf den Weg streuen, würde auch zu einer Tätigkeit/Arbeit am Sabbat zählen, ähnlich wie Holz aufsammeln (4Mose 15,32-33). Dies wäre von den Schriftgelehrten und Pharisäern nicht ungetadelt geblieben.

So nehmen wir an, dass Jesus den Sabbat davor in Jericho verbrachte. Unterstützt wird dies auch durch die Aussage von Jesus gegenüber Zachäus: „heute muss ich in deinem Hause einkehren (wörtl: bleiben – Lk 19,5).

Am ersten Tag der Woche, also an einem Sonntag, zieht Jesus mit seinen Jüngern und in Begleitung vieler Menschen den steilen und beschwerlichen Weg hinauf nach Jerusalem, bzw. nach Bethanien, wo er bei seinen Freunden einkehrt und auch übernachtet (Joh 12,1-11; Mt 21,17; Mk 11,11).

Der Evangelist Markus hat den Einzug von Jesus nach Jerusalem auf einem Fohlen in den Abend des Ankunftstages (Sonntag) eingefügt (Mk 11,1-11). Die Tempelreinigung hat er erst am darauffolgenden Morgen eingefügt (Mk 11,15-19). Die Evangelisten Matthäus und Lukas haben den Einzug nach Jerusalem und die Tempelreinigung zusammenhängend am Ankunftstag eingefügt (Mt 21,1-13;  Lk 19,29-48). Davon ist wohl auch der sogenannte Palmsonntag abgeleitet worden.

Wir folgen jedoch der Chronologie des Ev. Johannes, der die Tempelreinigung logischerweise im Rahmen des ersten Jerusalembesuches von Jesus einordnet (Joh 2,13-22) und den Einzug nach Jerusalem auf den Tag nach seiner Ankunft in Bethanien, das wäre der 2. Tag der jüdischen Woche oder unser Montag (Joh 12,1+12).

Fragen / Aufgaben:

  1. Welche Bedeutung haben für dich die zeitlichen Angaben der Evangelisten?
  2. Wie lässt es sich erklären, dass die Evangelisten bestimmte Ereignisse (Einzug nach Jerusalem oder Tempelreinigung) chronologisch unterschiedlich einordnen?

10.2 Maria aus Betanien salbt Jesus zum Begräbnis

(Bibeltexte: Joh 12,1-11; 11,1-2;  Mt 26,6-13;  Mk 14,3-9)

Die Salbung durch Maria geschah sechs Tage vor dem Passa (Joh 12,1ff). Bei den Synoptikern Matthäus und Markus gibt es keine eindeutige zeitliche Angabe darüber, lediglich, dass es in der Passawoche geschah (Mt 26,6;  Mk 14,6). Wie die Gegenüberstellung zeigt, gibt es zwei zeitlich und örtlich voneinander liegende Geschichten über Salbungen von Jesus durch Frauen. Die eine in Lukas 7,36-50 beschriebene fand in einer der Städte Galiläas statt und zwar bevor Jesus nach der Chronologie des Lukas Galiläa endgültig verlassen hatte (Lk 9,51). Und die andere aus Johannes 12,1-11, um die es auch in diesem Abschnitt geht. Die nicht leicht zu beantwortende Frage ist jedoch: Handelt es sich bei der Geschichte aus Lukas 7 auch um Maria (als ehemalige stadtbekannte Sünderin), oder sind es ganz verschiedene Frauen, mit unterschiedlichen Anliegen? Ausgehend von Johannes 11,1-2 wo es heißt: „Maria aber war es, die den Herrn mit Salböl gesalbt und seine Füße mit ihrem Haar getrocknet hatte“, könnte der Eindruck entstehen, dass,Johannes auf die Salbungsgeschichte in Lukas 7,36-50 beschriebene Bezug nimmt. Doch warum sollte er nicht die von ihm selbst im darauffolgenden 12. Kapitel beschriebenen Salbung gemeint haben? Konnte er damit rechnen, dass seine Leser die Berichte des Evangelisten Lukas kannten? Es ist also dem Bibelleser nicht ganz leicht festzustellen, ob Maria, die Schwester von Martha und Lazarus aus Johannes 12,1-11; 11,1-2 dieselbe Frau ist, von der uns Lukas in Kapitel 7,36-50 berichtet und die dort nicht beim Namen genannt, sondern nur als Sünderin bezeichnet wird? Die Gegenüberstellung könnte zur Klärung beitragen.

 Die Salbung aus dem Bericht des Lukas und Die Salbung aus dem Bericht des Johannes

  • Lukas: Simon der Pharisäer wohnt in einer Stadt in Galiläa und lädt Jesus zum essen ein.
  • Johannes: Simon der (ehemals) Aussätzige wohnt im Dorf Bethanien nahe Jerusalem und in seinem Haus findet ein Abendessen statt.
  • Lukas: Simon der Pharisäer glaubt nicht an Jesus als den Messias.
  • Johannes: Simon der (ehemals) Aussätzige ist ein Jesusnachfolger.
  • Lukas: Die Frau weinte und benetzte die (nicht gewaschenen) Füße von Jesus mit ihren Tränen (sie wusch sozusagen die Füße von Jesus und trocknete diese mit ihrem Haar).
  • Johannes: Maria salbte die (bereits gewaschenen) Füße von Jesus mit dem Salböl und verrieb es mit ihrem Haar.
  • Lukas: Die Frau goß das Salböl nur auf die Füße von Jesus.
  • Johannes: Maria goß das Salböl auf die Füße von Jesus (Mt und Mk: auf das Haupt von Jesus).
  • Lukas: Bei Lukas steht die Vergebung der Sünden der Frau im Mittelpunkt der Geschichte.
  • Johannes: Bei Johannes steht die Salbung von Jesus zum Begräbnis im Mittelpunkt.
  • Lukas: Die Sünderin, namentlich nicht genannt, wohnte in einer Stadt in Galiläa und Simon kannte sie.
  • Johannes: Maria wohnte im Dorf Bethanien in Judäa und ist mit hoher Wahrscheinlichkeit Verwandt mit Simon dem (ehemals) Aussätzigen.

Aus den Erzählungen von Johannes, aber auch von Lukas (10,38-42) gibt es keinen Grund, ihr eine ungeordnete Vergangenheit zuzuschreiben. Auch mit viel Fantasie ist es schwer vorstellbar, dass Maria (in jenem Kulturkreis) als Frau ganz allein irgendwann aus ihrem Dorf weggezogen wäre in eine Stadt in Galiäa, dort ein sündiges Leben geführt hätte, um nach einer Begegnung mit Jesus in ihr Heimatdorf zu ihren Geschwistern zurückzukehren.

Nach dieser Gegenüberstellung können wir mit Sicherheit sagen, dass es sich bei diesen Geschichten erstens um zwei zeitlich und örtlich voneinander liegenden Salbungen handelt und zweitens, dass bei den Salbungen mit hoher Wahrscheinlichkeit auch zwei ganz verschiedene Frauen beteiligt waren, auch wenn es gewisse Ähnlichkeiten gibt.

Dass Jesus während seiner früheren Jerusalembesuche nach Betanien kam, ist belegt (Lk 10,38-42). Hier bei seinen Freunden findet er jedes Mal gastliche Aufnahme mit seinen zwölf Jüngern. Zu den drei namentlich genannten Personen seiner Freunde (Lazarus, Martha, Maria), die er liebte, kommt noch eine weitere Person hinzu, es ist Simon mit dem Beinamen `der Aussätzige`. Simon ist nach Matthäus und Markus der eigentliche Gastgeber dieses Abends. Martha ist, wie auch schon bei einem früheren Besuch (Lk 10,38f), für den Tischdienst (Diakonie) zuständig. Simon – Hausherr und Gastgeber, Martha in der Küche, hier scheint doch eine Verwandtschaftsbeziehung erkennbar zu sein. Sicher ist, dass Simon von Jesus bereits bei einem früheren oder gar erstem Besuch in Betanien vom Aussatz gereinigt wurde. Lazarus, den Jesus vor wenigen Wochen von den Toten auferweckte, ist natürlich mit in der trauten Runde der Männer.

Abbildung 3 Alabastergefäße benutzte man damals zur Aufbewahrung von kostbaren Salbölen. Auf dem Bild: Alabastergefäße verschiedener Größen im Museum von Limenas auf der Insel Thassos in Griechenland (Foto am 26. August 2018).

Da macht sich wieder mal Maria bemerkbar, sie öffnet ein Alabastergefäß, bzw. bricht es auf, es ist gefüllt mit sehr wertvollem, unverfälschtem Nardenöl. Sie gießt es Jesus auf sein Haupt, so Matthäus und Markus (26,7; 14,7) und auf die Füße (Joh 12,3), so ergänzend von Johannes. Damit ist der ganze Leib (Mt 26,12) gesalbt und das ganze Haus wurde erfüllt vom Duft des Salböls. Wegen der erwiesenen Güte, Liebe und Treue für die Familie, bringt sie ein vollkommenes Dankopfer dar. Und Jesus lässt sie gewähren. Diese ungewöhnliche Tat, ist für die Jünger eine große Herausforderung. Und von einem wird diese Tat völlig falsch bewertet. Nach Matthäus und Markus sind es etliche/einige Jünger (nicht alle) die sich zum Handeln von Maria unzufrieden äußern. Doch Johannes nennt den eigentlichen Verursacher des Murrens, es ist Judas, der Sohn des Iskariot, der als Kassenverwalter eine andere Beziehung zum Geld und sonstigen Wertsachen hatte.

Und er meldet sich vorwurfsvoll und voller Unzufriedenheit laut zu Wort: „Warum ist dieses Öl nicht für dreihundert Silbergroschen verkauft worden und den Armen gegeben?“ Und der Kommentar des Evangelisten: „Das sagte er aber nicht, weil er nach den Armen fragte, sondern er war ein Dieb, denn er hatte den Geldbeutel und nahm an sich, was gegeben war.“ (Joh 12,5-6; vgl. Joh 6,70). Einige Jünger schließen sich ihm an. Der Evangelist Matthäus drückt es so aus: „Als aber die Jünger das sahen, entrüsteten sie sich, (emphörten sie sich) indem sie sagten: Wozu diese Vergeudung?“ (Mt 26,8). Hier wird mal wieder deutlich, wie schnell sich negative Stimmung ausbreitet auch unter den verbindlichen und ehrlichen Jesusnachfolgern.

Es ist ein Angriff auf Maria, die sich nach der Ansicht der Jünger wieder mal ungehörig benimmt und es ist eine Lieblosigkeit gegenüber ihrem eigenen Meister. Steht ihm nicht viel mehr Wertschätzung und Ehre zu? Als Frau kann sich Maria selber nicht wehren, doch der Meister tritt für sie und auch für die Wahrheit ein: „Jesus aber sprach: Lasst sie in Frieden! Was betrübt ihr sie? Sie hat ein gutes Werk an mir getan“ (Mk 14,6). „Denn ihr habt allezeit Arme bei euch, und wenn ihr wollt, könnt ihr ihnen Gutes tun; mich aber habt ihr nicht allezeit.“ (Mk 14,7). Doch soll nicht Judas die Atmosphäre und den Inhalt des Abends  bestimmen. Und es soll schon gar nicht seine habgierige Art die Denkweise der Jünger bestimmen.

Diese falsche Denkweise korrigiert Jesus bei seinen Jüngern. Er deutet diese Salbung als eine Voraussalbung zur Bestattung: „Da sprach Jesus: Lass sie in Frieden! Es soll gelten für den Tag meines Begräbnisses.“ (Joh 12,7). Matthäus und Markus ergänzen dazu: „Wahrlich, ich sage euch: Wo dies Evangelium gepredigt wird in der ganzen Welt, da wird man auch sagen zu ihrem Gedächtnis, was sie getan hat.“ (Mt 26,13;  Mk 14,9). Jesus sieht bis tief in die Herzen der Menschen und erkennt deren Gedanken, Abwägungen und Motive für ihre Worte und Handlungen. Er ist die Wahrheit er spricht die Wahrheit, er tut die Wahrheit und durch diese Wahrheit bietet er den einen Hilfe zu Denkkorrekturen und den anderen Trost und Ermutigung.

Johannes schließt diesen Abend ab mit den Worten: „Da erfuhr eine große Menge der Juden, dass er dort war, und sie kamen nicht allein um Jesu willen, sondern um auch Lazarus zu sehen, den er von den Toten erweckt hatte. Aber die Hohenpriester beschlossen, auch Lazarus zu töten; denn um seinetwillen gingen viele Juden hin und glaubten an Jesus.“ (Joh 12,9-11).

Fragen / Aufgaben:

  1. Wann, an welchem Wochentag kommt Jesus nach Betanien?
  2. Wieviel Geschichten über die Salbung von Jesus durch Frauen gibt es? Wie oft wurde er insgesamt gesalbt?
  3. Was wissen wir über die Freunde von Jesus aus Betanien?
  4. Warum salbte Maria Jesus, was wusste sie oder was ahnte sie voraus?
  5. Wie reagieren die Jünger auf diese Handlung? Mit welchen Worten, bzw. Argumentne begründen sie ihr Unzufriedenheit gegenüber Maria?
  6. Wie schnell macht sich eine negative Stimmung breit?
  7. Denkt Jesus nicht auch an die Armen, warum schließt er sich nicht der Meinung seiner Jünger an, sondern tadelt sie?
  8. Welche Verheißung bekommt Maria für ihre Einstellung zu Jesus und ihre Tat für Jesus?
  9. Lassen sich die Jünger von Jesus korrigieren?
  10. Was löste die Ankunft von Jesus in Betanien unter den Festpilgern aus?
  11. Wie reagieren die Hohenpriester auf die aktuelle Situation?

10.3 Jesus reitet auf einem Esel-Fohlen in Jerusalem ein

(Bibeltexte: Joh 12,13-19;  Mt 21,1-11;  Mk 11,1-11;  Lk 19,28-44;  Sach 9,9;  Psalm 118,26)

Alle vier Evangelisten berichten über den Einzug von Jesus in Jerusalem auf einem Esel-Fohlen. Da die Synoptiker nur über einen Passabesuch von Jesus berichten, mussten sie zwangsläufig die Episode über die Wiederherstellung der Tempelordnung in ihren Evangelienberichten in die Passionswoche legen. Wir haben festgestellt, dass Jesus schon zu Beginn seines Dienstes die Tempelordnung wiederherstellte. Dies geschah nach Johannes 2,13-22 bei seinem ersten Jerusalembesuch (siehe die Ausführungen in Kapitel 4.1).

Der Einzug von Jesus in Jerusalem auf einem jungen Esel bildet einen Höhepunkt in seiner Laufbahn. Es markiert auch den Beginn der letzten Etappe seines Dienstes. Bis jetzt lehnte er für sich die öffentliche Ehrung als König ab (Joh 6,15). Jetzt aber leitet er diesen Höhepunkt selber ein. Johannes berichtet uns: „Als am nächsten Tag die große Menge, die aufs Fest gekommen war, hörte, dass Jesus nach Jerusalem käme, nahmen sie Palmzweige und gingen hinaus ihm entgegen.“ (Joh 12,13). Am nächsten oder folgenden Tag ist in diesem Textzusammenhang der zweite Tag der Woche, also unser Montag gemeint. Der Hauptgrund, warum so viel Volk ihm entgegen ging, war das Wunder der Auferweckung des Lazarus vor wenigen Wochen. Diese Nachricht sprach sich unter den Festpilgern schnell herum, weil sehr viele Menschen Zeugen dieses Wunderzeichens wurden (Joh 12,9). Auch hier erkennen wir, wie Jesus planmäßig vorgeht und diesen Höhepunkt vorbereitet. Bei den Jüngern, dem Volk und bei der Führung der Juden sollten keine Zweifel bleiben in Bezug auf seine Messianität, auch wenn sie dies erst nach seiner Auferstehung erkennen würden. Er wollte zum Ende seines Dienstes ganz bewusst als Messias-König auftreten, wie durch die Schriften des Alten Testamentes deutlich vorausgesagt wurde (2Sam 7,11-15;  Sach 9,9: Nachkomme Davids – König Israels).

Als Jesus und seine Jünger in die Nähe von Jerusalem kamen, nach Betfage an den Ölberg, sandte er zwei Jünger voraus und sprach zu ihnen: Geht hin in das Dorf, das vor euch liegt, und gleich werdet ihr eine Eselin angebunden finden und ein Fohlen bei ihr auf dem noch nie ein Mensch gesessen hat; bindet sie (beide) los und führt sie zu mir! Und wenn euch jemand etwas sagen wird, so sprecht: „Der Herr bedarf ihrer“. Sogleich wird er (der Herr) sie euch zurücksenden.“ (Zusammengesetzt aus den Evangelientexten).

Das Dorf Bethfage befand sich wahrscheinlich auf dem Weg von Betanien nach Jerusalem, noch auf der Ostseite des Ölbergs. Jede Handlung von Jesus hat seinen tiefen Sinn, auch wenn die Menschen ihn nicht immer verstanden haben. Er wählt sich als Gefährt ein noch unverbrauchtes und auch unerfahrenes Esel-Fohlen.

Abbildung 4 Eselin und ihr Fohlen im Gehege am Wegrand östlich der Stadt Kos auf der Ägäischen Insel Kos (Foto am 16.Mai 2015).

Und sie gingen hin und fanden das Fohlen angebunden an einer Tür draußen am Weg und banden’s los. Als sie aber das Fohlen losbanden, sprachen die Besitzer zu ihnen: Warum bindet ihr das Fohlen los? Sie aber sprachen: „Der Herr bedarf ihrer“. und die ließen’s zu. Und sie brachten die Eselin und das Fohlen und legten ihre Kleider darauf und Jesus setzte sich darauf. (aus den Evangelien zusammengesetzter Text).

Welch ein Kontrast zu dem Siegeseinzug der Weltherrscher, die hoch zu Ros in die von ihnen eroberten Städte einzogen. „Das geschah aber, damit erfüllt würde, was gesagt ist durch den Propheten, der da spricht (Sacharja 9,9): »Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig und reitet auf einem Esel und auf einem Fohlen, dem Jungen eines LasttiersDas verstanden seine Jünger zuerst nicht; doch als Jesus verherrlicht war, da dachten sie daran, dass dies von ihm geschrieben stand und man so mit ihm getan hatte.“ (aus den Evangelien zusammengesetzter Text).

Es ist nicht das eine Mal, dass die Jünger ihr eigenes Tun oder das Tun ihres Meisters nicht gleich verstehen, auch später bei der Fußwaschung soll Petrus im Vertrauen gehorchen/tun, was Jesus anordnet, das nennt man Glaubensgehorsam. Umso größer ist die Freude danach, wenn das Geheimnis gelüftet wird. Die Zusammenhänge zwischen den Aussagen der Propheten, den Aussagen von Jesus und seinem Werk der Erlösung verstanden die Jünger erst nach seiner Auferstehung und zwar erst dann, als Jesus ihnen ihr Verständnis öffnete (Lk 24,45).

Aber eine sehr große Menge breitete ihre Kleider auf den Weg; andere hieben Zweige von den Bäumen und streuten sie auf den Weg. Die Menge aber, die ihm voranging und nachfolgte, schrie: „Gelobt sei das Reich unseres Vaters David, das da kommt! Hosianna dem Sohn Davids! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe! (aus den Evangelien zusammengesetzter Text).

Das griechische `w,sanna, ösanna` kommt aus dem Hebräischen und kann sowohl als Fleh- oder Hilferuf (rette doch), aber auch als Jubelruf verstanden werden. Natürlich hatten alle Jubelnden eine falsche, bzw. materialistische Vorstellung, wie dieses Davidische Königreich aussehen wird. Und trotzdem lässt Jesus das Volk und seine Jünger gewähren, ihm in vollem Maß die Ehre zu geben. Und als er schon nahe am Abhang des Ölbergs war, fing die ganze Menge der Jünger an, mit Freuden Gott zu loben mit lauter Stimme über alle Taten, die sie gesehen hatten.“

Das gefiel nicht allen, Neid kam bei den Pharisäern auf. Der von der Führung Israels gesuchte `Aufrührer` wird so offen als König Israels geehrt.

Und einige Pharisäer in der Menge sprachen zu ihm: „Meister, weise doch deine Jünger zurecht!“ Er antwortete und sprach: „Ich sage euch: Wenn diese schweigen werden, so werden die Steine schreien.“

Bis dahin verbot er seinen Jüngern strengstens, dass sie Niemandem sagen sollten, dass er der Messias/Christus wäre (Mt 16,20;  Mk 7,36; 8,29-30; 9,9;  Lk 9,20) jetzt aber dürfen sie es hinausrufen. Ein großer Augenblick!

Und als er nahe hinzukam, sah er die Stadt und weinte über sie und sprach: Wenn doch auch du erkenntest an diesem Tag, was dir zum Frieden dient! Aber nun ist’s vor deinen Augen verborgen.Denn es werden Tage über dich kommen, da werden deine Feinde um dich einen Wall aufwerfen, dich belagern und von allen Seiten bedrängen und werden dich dem Erdboden gleichmachen samt deinen Kindern in dir und keinen Stein auf dem andern lassen in dir, weil du die Zeit (gr. kairo,n kairon) nicht erkannt hast, in der du  heimgesucht worden bist. (Lk 19,41-44).

Welch ein Kontrast! Jesus wird bejubelt, er aber weint, denn er sieht die Herzenseinstellung der großen Menge und der Einzelnen. Er weiß um die falschen Erwartungen des Volkes und deren Enttäuschung danach. Er sieht die Kurz- und Langzeitfolgen, welche diese Blindheit und Verstockung nach sich ziehen wird. Was Jesus hier über die Zerstörung Jerusalems in dramatischer Schilderung voraussagt, wiederholte er kurze Zeit später im Kreise seiner Jünger (Mt 24;  Mk 12).

,„Wenn doch auch du erkenntest“ – es gibt Gründe für die Blindheit, die Verantwortung liegt bei dem Volk. Äußerlich jubelten sie ihm zu, doch das Herz der meisten war ferne von ihm (Joh 2; 7;  Mt 10;  Lk 10). Die Begriffe, die Jesus in seiner prophetischen Voraussage unter Tränen verwendet, beschreiben den realen Zustand der Menschen trotz der gnadenvollen Zuwendung von Gott (wörtl.: die Zeit des Aufsehens – der Begriff  Zeit hier nicht im chronologischen, sondern inhaltlichen Sinne – das Aufsehen ähnlich wie beim Aaronitischen Segen: „Der Herr hebe sein Angesicht auf dich und sei dir gnädig“). Diese gnadenvolle Zuwendung zeigte sich seit dem Auftreten des Johannes (Sohn des Zacharias), dessen Name von Gott gegeben wurde und die Bedeutung hatte `Gott ist gnädig`, faktisch hatte Gott sein Volk in Gnaden angesehen.

Und als er in Jerusalem einzog, erregte sich die ganze Stadt und fragte: „Wer ist der?“ Die Menge aber sprach: „Das ist Jesus, der Prophet aus Nazaret in Galiläa.“ Das Volk aber, das bei ihm war, als er Lazarus aus dem Grabe rief und von den Toten auferweckte, rühmte die Tat. Darum ging ihm auch die Menge entgegen, weil sie hörte, er habe dieses Zeichen getan.“

  • Es war eine große Stunde für Jesus, das gesamte Volk stand hinter ihm. Und im sogenannten Schutz der Sympatie des Volkes konnte er noch einige Tage ganz frei im Tempel öffentlich auftreten. „Die Pharisäer aber sprachen untereinander: Ihr seht, dass ihr nichts ausrichtet; siehe, alle Welt läuft ihm nach.“ (Joh 12,19). Am Fuß der Tempelstufen steigt Jesus vom Esel-Fohlen, schickt es den Eigentümern wie versprochen zurück und steigt die Stufen zum Tempel hinauf. Er wird vom Volk besonders zu diesem Passafest seit Tagen erwartet (Joh 11,55-56). Doch die vom Volk erwartete Krönung des `Sohnes Davids` bleibt aus..Die Spannung muß spürbar gewesen sein wegen der Einstellung der Führung Israels gegen Jesus – sie sind fest entschlossen ihn zu töten und suchen nach einer Gelegenheit zum Angriff und Festnahme. Doch Jesus ist nicht das Opfer menschlicher boshaften Ratschlüsse, er hat sein eigenes Konzept. In diesen Tagen wird er (wie auch schon vorher) die Regie übernehmen. Er wird bestimmen, was und wann geschehen wird. Jesus kommt weder den Erwartungen des Volkes nach, noch schreckt er von den Hohenpriestern zurück, die bereits den Beschluss gefasst hatten, ihn zu töten.

Unwillkürlich werden wir an die Krönungsgeschichten aus der Königszeit Israels erinnert, auch an die Selbsternannten Könige. Welch Kontrast, hier kommt der wahre König an, lehnt die Krönung ab  und zeigt ein ganz neues Bild von König und seinem Dienst.

Anmerkung: Die sogenannte Tempelreinigung über welche alle drei synoptischen Evangelien berichten, ist gemäß dem Bericht des Evangelisten Johannes bereits bei dem ersten Jerusalembesuch von Jesus erfolgt. Die Evangelisten Matthäus, Markus und Lukas berichten über diese Tempelreinigung gleich nach dem Einzug in den Tempel. Zu erklären wäre dies damit, dass sie nur von einem Jerusalembesuch von Jesus berichten und zwar dem letzten Todes-Passa-Besuch. Wollten sie diese wichtige Episode ihren Lesern nicht vorenthalten, mussten sie diese eben am Ende des Dienstes von Jesus einfügen. Wir folgen in diesem Zusammenhang der Chronologie des Johannes und den weiteren Inhalten der Evangelisten mit dem ehrlichen Bemühen nach einer sinnvollen Reihenfolge.

Fragen / Aufgaben:

  1. Wer begleitete Jesus auf dem Weg von Jericho nach Jerusalem?
  2. Wann kam Jesus in Jerusalem, bzw. in Betanien  an, an welchem Wochentag und Tageszeit? Begründe deine Aussagen.
  3. Was geschah noch an diesem Abend und wo übernachtete er?
  4. Nächster Tag – mit welchem Auftrag schickt Jesus zwei von seinen Jüngern in das Dorf Betfage? Welche Details nennt Jesus in Bezug auf die Eigentümer der Lasttiere?
  5. Was steht hinter dieser Handlung? Nenne Eigenschaften (Charakterzüge) von Jesus, die hier sehr deutlich hervortreten?
  6. Begründe, warum lässt Jesus es an diesem Tag zu, dass seine Jünger und das Volk ihn als den David-Sohn (König Israels) ehren?
  7. Doch wer freut sich nicht, dass Jesus geehrt wird und warum?
  8. Was steckt hinter dem emotionalen Ausbruch (weinen) bei Jesus, als er die Stadt und deren Menschen vor sich sieht?
  9. Die Krönung im Tempel bleibt aus. Suche nach Krönungsgeschichten in der Zeit der Könige Israels.
  10. Was geschah mit den Lasttieren, nachdem Jesus diese nicht mehr benötigte?

10.4 Heilungen im Tempel und der Lobpreis der Kinder

(Bibeltext: Mt 21,14-17; Ps 8,3)

Was an diesem 2. Tag der Woche (Montag) im Tempel von Jesus an Taten gewirkt wurde, wird nur sehr kurz vom Evangelisten Matthäus beschrieben. Da der Lobpreis der Kinder die Ehrung des `Sohnes Davids` zum Inhalt hat, kann dieser wunderbare öffentliche Heilungsgottesdienst mit dem Einzug von Jesus in Jerusalem zusammenhängen und in denselben Tag eingeordnet werden. So schreibt der Evangelist Matthäus:

Und es traten Blinde und Lahme in dem Tempel zu ihm, und er heilte sie. Als aber die Hohenpriester und die Schriftgelehrten die Wunder sahen, die er tat, und die Kinder, die im Tempel schrien und sagten: Hosanna  dem Sohn Davids!, wurden sie unwillig (gr. ¢ganakt¢san – wurden sie entrüstet, sie emphörten sich) und sprachen zu ihm: Hörst du, was diese sagen? Jesus aber sprach zu ihnen: Ja, habt ihr nie gelesen (Psalm 8,3): „Aus dem Mund der Unmündigen und Säuglinge hast du dir Lob bereitet“? Und er verließ sie und ging zur Stadt hinaus nach Betanien und übernachtete dort. (Mt 21,14-17).

Der Evangelist Matthäus bescreibt in einem Satz, dass sich Blinde und Lahme Jesus näherten und er sie heilte. Der König als Arzt im Dienst an den Kranken! Immer wenn sich Jesus im Tempel aufhielt, entfaltete er seinen eigenen Gottesdienstablauf. In den Priesterdienst mit den Opfern mischte er sich nie direkt ein. Er hielt sich eher in den Vorhallen auf, wo auch der größte Teil des Volkes Zugang hatte (Joh 10,23). Matthäus hebt besonders „Blinde und Lahme“ hervor und zwar in der Mehrzahl und höchstwahrscheinlich waren auch Menschen mit anderen Behinderungen darunter. Doch Menschen, die mit solchen Behinderungen, konnten nur mit Mühe oder Hilfe anderer zu Jesus gelangen – die einen weil sie nicht sahen, die anderen, weil sie nicht gehen konnten. Wie aus früheren Berichten hervorgeht, fanden sich immer Verwandte oder Freunde, welche behinderte Meenschen zu Jesus brachten. Es heißt hier ausdrücklich: „Und er heilte (gr. eqera,peusen etherapeusen) sie“. Außer in wenigen Fällen ((Mt 8,28; 9,29; 20,32) wandte sich Jesus in der Regel jedem einzelnen Kranken zu, sehr oft mit Händeauflegen (Mt 9,29;  Mk 6,5; 8,23-25;  Lk 13,13).

Während wir aus Johannes 5,3 erfahren, dass die vielen Blinden, Lahmen und Ausgedorte Menschen sich am Teich Bethesda aufhielten und auf Heilung hofften, sind zu diesem Zeitpunkt viele Blinde und Lahme in den Tempel gebracht worden. Die Auferweckung des Lazarus aus dem Tod vor einigen Wochen, hatte sich herumgesprochen. Jetzt erwarteten die Kranken Menschen Jesus im Tempel. Die Therapie von Jesus war eine plötzliche und vollständige. Matthäus ist sehr zurückhaltend und beschreibt nicht die Reaktion der Geheilten. Doch aus der Geschichte mit dem Lahmen im Tempel aus Apostelgeschichte 3,1ff können wir uns lebhaft vorstellen, dass es an diesem Tag im Tempel ein Jubeln und Springen gab. Die Schriftgelehrten und Hohenpriester wurden Augenzeugen dieser erstaunlichen Wunderwerke und in ihnen wuchs die Frage nach der Vollmacht von Jesus (Mt 21,23).

Diese Heilungen geschahen nicht an einem Sabbat, so dass die Gegner von Jesus keinen Grund fanden, um ihn dafür anzuklagen. Umso mehr suchten sie nach einem passenden Angriffsgrund. Und sie finden einen, der ihnen anstößig zu sein schien. Es sind nicht die Kinder an sich, anstößig ist das, was diese aussprechen, bzw. laut ausrufen: „Hosanna dem Sohn Davids“. In diesem Zusammenhang wird Jesus nicht nur allgemein als einer der vielen Nachkommen Davids geehrt, sondern als der Nachkomme und daher ist diese Bezeichnung als messianischer Titel zu verstehen (Mt 1,1; 9,27; 12,23; 15,22; 20,30-31; 22,42;  Jes 11,10;  Jer 23,5; 33,15;  Hes 34,23.24; 37,24).

Diese Kinder rufen inhaltlich das aus, was sie von den Erwachsenen auf dem Weg vom Ölberg herab gehört hatten (Mt 21,9). Man kann sagen: Jesus wird von den Kindern als König gekrönt, was für eine Ehre für Jesus!

Doch nach der Meinung der Schriftgelehrten wurde hier im Tempel ein falscher Prophet zum König ausgerufen. Die Führung der Juden wollte nicht glauben, dass Jesus der in 2Samuel 7,11-14 verheißene Nachkomme Davids ist. Sie hatten sich nicht mal die Mühe gemacht, um die genaue Herkunft von Jesus zu ermitteln (Joh 7,42-52). Man kann ihnen sogar unterstellen, dass sie es gar nicht erforschen wollten (Mt 2,5; Joh 3,1; 5,37-44; Mt 27,18). Übrigens erkennen wir hier eine weitere Parallele, welche den zeitlichen Zusammenhang zum Einzug nach Jerusalem in den Tempel unterstreicht. Beim Abstieg vom Ölberg fordern die Pharisäer Jesus auf, seine Jünger zum schweigen zu bringen,

Hier im Tempel sind es die Hohenpriester und Schriftgelehrten, welche von Jesus das Gleiche in Bezug auf die lobpreisenden Kinder fordern (Lk 19,39;  Mt 21,14). Oder anders formuliert, sie erwarten von Jesus, dass er die Ehrung von Seiten der Kinder ablehnt. Natürlich geht Jesus auf ihre Forderung nicht ein, im Gegenteil, er begründet den Lobpreis der Kinder sogar aus der Schrift (Ps 8,3). Außerhalb des Tempels waren Erwachsene noch mutig und haben Jesus als dem Propheten aus Nazaret und Sohn Davids zugejubelt, hier im Tempel jedoch sind sie zurückhaltend mit ihrem öffentlichen Bekenntnis. Nicht so die Kinder. Sind es nicht oft gerade Kinder, die ihre Eltern an das Tischgebet erinnern, oder ohne Hemmungen vor den Ungläubigen die Geschichte aus der letzten Sonntagschule erzählen? Ja, wenn die Männer schweigen, beruft Gott die Frauen und wenn es keinen Erwachsenen mehr gibt, der Gott lobt, beruft Gott die Kinder und schließlich kann er auch `Steine` zum Reden bewegen (Hab 2,11;  Lk 19,40).

Es erstaunt immer wieder, wie sich Jesus in konkreten Situationen auf die Schrift beruft, bzw. seine Gegner (hier die Schriftgelehrten) an bestimmte Aussagen in den Schriften erinnert und diese in Bezug zur Gegenwart bringt. Er wendet sich an die theologische Elite seiner Zeit mit den Worten: „Habt ihr niemals erkannt“ (Mt 21,16)  oder: „ist euch niemals aufgefallen“? Sicher will Jesus sie nicht demütigen, erniedrigen, aber so und auf diese Weise zeigt er ihnen, wie die Schriften gelesen, verstanden und angewendet werden sollen.

Fragen / Aufgaben:

  1. Was sind die Pläne der Führung Israels in Bezug auf Jesus (Joh 11,53)?
  2. Wie sieht der Ablauf des Gottesdienstes im Tempel von Jesus an diesem Tag aus?
  3. Woher kommen so viele Blinde und Lahme in den Tempel?
  4. Warum nennt Matthäus gerade diese zwei Krankheitsarten?
  5. Behindert Jesus mit seinem Dienst an den Kranken etwa den Tempel- und Opferdienst der Hohenpriester?
  6. Schränkt er etwa den Lehrdienst der Schriftgelehrten ein?
  7. Sind Kinder ein Hindernis im Tempeldienst?
  8. Warum passt deren spontanes Auftreten den Führenden nicht?
  9. Wie ist die Reaktion der Oberen im Volk?
  10. Haben Kinder Anteil in unseren Gottesdiensten?

10.5 Jesus lehrt im Tempel

(Bibeltext: Joh 12,20-50)

Johannes berichtet uns von weiteren wichtigen Ereignissen während dieses Tages.

10.5.1 Griechische Pilger wollen Jesus sehen

Der Tempelbezirk war in verschiedene Bereiche unterteilt. Es gab nach dem Eingang einen Vorhof, in dem sich auch Heiden, bzw. Unbesschnittene aufhalten konnten. Schrifttafeln wiesen in mehreren Sprachen darauf hin, dass der weitere Zugang für Ungläubige unter Todesstrafe steht. Der Evangelist Johannes schreibt weiter:

Es waren aber einige Griechen unter denen, die heraufgekommen waren, um anzubeten auf dem Fest. Die traten zu Philippus, der von Betsaida aus Galiläa war, und baten ihn und sprachen: Herr, wir wollten Jesus gerne sehen. Philippus kommt und sagt es Andreas, und Philippus und Andreas sagen’s Jesus weiter.  Jesus aber antwortete ihnen und sprach: Die Zeit ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht werde. (Joh 12,20-23).

Nur der Ev. Johannes berichtet uns von dem Besuch der Griechen (gr. Ellhnej Ell¢nes) zum Passafest. Auf dem Hintergrund der zahllosen griechisch/römischen  Götterkulte, zog es viele Heiden zu dem Monotheismus der Juden. Es war also nichts Ungewöhnliches, dass gottesfürchtige Heiden zu den jüdischen Festen nach Jerusalem kamen um anzubeten (Apg 8,27 – äthiopischer Kämmerer). Entweder hielten sie sich im Vorhof der Heiden auf oder sie waren Proselyten – Heiden, die durch den Ritus der Beschneidung zum Judentum konvertierten mit allen Pflichten und Rechten. Diese konnten sich dann frei und ungehindert im Tempel aufhalten. Wieder sind es Ausländer, Fremde, die großes Interesse an Jesus zeigen. Interessant ist auch ihr Zugang zu Jesus, anscheinend trauen sie sich nicht zu Jesus vorzudringen. Sie sprechen Philippus an, den Jünger von Jesus, der neben seinem griechischen Namen auch noch aus dem galiläischen Betsaida kommt.

Ihre Bitte lautet: „Herr, wir wollen Jesus gerne sehen“. Vielleicht aus Sicherheitsgründen, informiert Philippus den Andreas, welcher ebenfalls aus Betsaida stammte und wahrscheinlich eine nähere Beziehung zu Jesus hatte, da er zu den zwei ersten Jüngern von Jesus gehörte (Joh 1,40). Jesus nimmt diese Nachricht und das große Interesse der Fremden sehr ernst. In den Evangelienberichten wird von keiner Begegnung mit Nichtjuden berichtet, bei der Jesus abgelehnt worden wäre, außer von den Bewohnern der Dekapolis, die vor lauter Schreck über das Geschehene, Jesus baten ihre Gegend zu verlassen (Mk 5,17) und  Pilatus, aber auch dieser suchte nach einer Möglichkeit, um Jesus freizulassen (Joh 19,12). Auch ist keine Geschichte bekannt, bei der Jesus einen Heiden oder Ausländer abgewiesen hätte. Darum können wir mit Sicherheit annehmen, dass Jesus diese griechischen Pilger zu sich ließ. Denken wir auch zurück an die Aussage von Jesus nach der sogenannte Tempelreinigung. „Und er lehrte und sprach zu ihnen: Steht nicht geschrieben (Jesaja 56,7): »Mein Haus wird ein Bethaus heißen für alle Völker«?“ (Mk 11,17; Jes 56,7).

Nun wendet Jesus sich an seine Jünger, die Griechen und das Volk mit den Worten: „Die Zeit (wörtl.: Sunde) ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht werde“. Erinnern wir uns an die Episode bei der Hochzeit in Kana zu Beginn seines Dienstes? Dort sagt er zu Maria seiner Mutter: „Meine Stunde ist noch nicht gekommen“ (Joh 2,4). Doch nun war sie angebrochen, die Stunde der Offenbarung seiner Herrlichkeit. Wenn Jesus von seiner Verherrlichung spricht, dann schließt es neben seiner Auferstehung und Erhöhung auch sein Leiden und Sterben mit ein (Hebr 2,9). Und nun werden diese Griechen Zeugen von einer Bildrede, die im Kern das Werk Christi – seinen bevorstehenden Tod – zum Inhalt hat. Sie sind gerade zur richtigen Zeit gekommen. In den nächsten Tagen werden sie Jesus sehen und erleben, wer er wirklich ist. Gott weiß also die aufrichtig suchenden Menschen zur richtigen Zeit an den richtigen Ort zu führen.

Fragen / Aufgaben:

  1. Jesus zieht in Jerusalem ein, was macht er nun, was bleit aus?
  2. Aus welcher Motivation kommen Griechen in den Tempel? Durften Nichtjuden den Tempel betreten?
  3. Was interessiert sie an diesem Tag?
  4. Warum wenden sie sich an Philippus, Philippus an Andreas? Welche Bedeutung haben auch heute Kontaktpersonen? Menschen, die in mehr als einem Kulturkreis zu Hause sind?
  5. Beschreibe die Beziehung der beiden Jünger – Philippuns und Andreas zueinander und zu Jesus?
  6. Ließ Jesus die Griechen zu sich kommen? Wie war grundsätzlich die Einstellung von Jesus zu Nichtjuden? Was bedeutet es für uns heute

10.5.2 Leben entsteht durch Sterben

Jesus spricht gerne und oft in Bildern und zwar aus den verschiedensten Lebensbereichen. Hier nimmt er ein Bild aus der Landwirtschaft und füllt es mit einem tiefen geistlichen Sinn. Er bezieht es zuerst auf sich und dann auch auf seine Nachfolger.

Abbildung von einem Weizenkorn oder Feld

Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht. Wer sein Leben (ψυχην – psychen) lieb hat, der wird’s verlieren; und wer sein Leben (ψυχην) auf dieser Welt hasst, der wird’s erhalten zum ewigen Leben (αιωνιον ζωην). Wer mir dienen will, der folge mir nach; und wo ich bin, da soll mein Diener auch sein. Und wer mir dienen wird, den wird mein Vater ehren.“ (Joh 12,24-26).

Ein Weizenkorn kann Jahre in einem trockenen Raum liegen, ohne sich in seiner Substanz zu verändern. Doch sobald es in die feuchte Erde gelangt, beginnt ein Prozess des Sterbens der verschiedenen Schichten über dem Kern, Und dieser innere Kern, welchen Gott mit Lebensfähigkeit geschaffen hat, beginnt zu keimen. Dies ist uns bekannt aus der Landwirtschaft und die Biochemiker geben die Erklärung dazu. Doch was versteht Jesus unter dem Sterben, was meint er mit „Wer sein Leben (ψυχην – psychen) verliert, oder hasst, der wird’s finden“? In erster Linie spricht Jesus von der Hingabe seines eigenen Lebens als Lösegeld wegen der Sünden zur Erlösung Vieler. Den griechischen Begriff `ψυχη – psyche` verwendet Johannes in diesem Zusammenhang für die körperliche/physische, irdische Existenz von Jesus (im Deutschen mit `Leben` übersetzt), so auch in Kapitel 10,11. 15. 17 wo Jesus ebenfalls dreimal von der Hingabe seines körperlichen Lebens (ψυχη – psyche) spricht. So auch in 1Mose 9,4 und 3Mose 17,14 wo für das physisch/körperliche Leben ebenfalls `ψυχη – psyche` steht.

Mit diesem, für diese irdische Zeit bestimmten Leben (körperliche Existenz) soll der Mensch sorgfältig umgehen, es pflegen und versorgen, denn es ist die Behausung des menschlichen Geistes und auch die Behausung des Heiligen Geistes im Gläubigen (1Kor 2,11; 6,19). Das Leben in den Tod zu geben wie Jesus es meint, hat nichts mit der Selbstgeißelung und übertriebenen körperlichen Askese zu tun. Doch sich selbst schonen, den eigenen irdischen Vorteil zu suchen oder bewahren gegen Gottes Willen und gegen die Prinzipien seines Reiches, ist Egoismus und verhindert das Entstehen von geistlichem Leben. Daher bleibt der Mensch ohne geistliche Frucht des ewigen Lebens. Erinnern wir uns an die Episode, bei der Jesus  zum erstenmal von seinem Leiden und Sterben spricht und wo Petrus sich vor den Herrn stellt und auf ihn hefrig einredet: „Der Herr sei dir gnädig, es soll nicht so geschehen“ (sinngemäß übersetzt aus Mt 16,22).

Auch dort antwortete Jesus mit ähnlichen Worten: „Wer sein Leben (ψυχην) retten will, der wird es verlieren. Wer aber sein Leben (ψυχην) verliert um meinetwillen, der wird es finden“ (Mt 16,25). So erkennen wir eine Kontinuität in der Lebenseinstellung von Jesus, die auch schon durch den Propheten Jesaja vorausgesagt wurde, dass der Messias leiden und sterben würde: „Fürwahr, er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre. Aber er ist um unsrer Missetat1 willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt. Wir gingen alle in die Irre wie Schafe, ein jeder sah auf seinen Weg. Aber der HERR warf unser aller Sünde auf ihn. Als er gemartert ward, litt er doch willig und tat seinen Mund nicht auf wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird; und wie ein Schaf, das verstummt vor seinem Scherer, tat er seinen Mund nicht auf. Er ist aus Angst und Gericht hinweggenommen.

Wer aber kann sein Geschick ermessen? Denn er ist aus dem Lande der Lebendigen weggerissen, da er für die Missetat meines Volks geplagt war. Und man gab ihm sein Grab bei Gottlosen und bei Übeltätern, als er gestorben war, wiewohl er niemand Unrecht getan hat und kein Betrug in seinem Munde gewesen ist. So wollte ihn der HERR zerschlagen mit Krankheit. Wenn er sein Leben (ψυχην) zum Schuldopfer gegeben hat, wird er Nachkommen haben und in die Länge leben, und des HERRN Plan wird durch seine Hand gelingen. Weil seine Seele sich abgemüht hat, wird er das Licht schauen und die Fülle haben. Und durch seine Erkenntnis wird er, mein Knecht, der Gerechte, den Vielen Gerechtigkeit schaffen; denn er trägt ihre Sünden. Darum will ich ihm die Vielen zur Beute geben und er soll die Starken zum Raube haben, dafür dass er sein Leben in den Tod gegeben hat und den Übeltätern gleichgerechnet ist und er die Sünde der Vielen getragen hat und für die Übeltäter gebeten“ (Jes 53,4-12). Wie ein einzelnes Weizenkorn gibt Jesus sein Leben in den Tod und erwirkt damit geistliches ewiges Leben für die Vielen.

Doch was in erster Linie in so vollkommener Weise Jesus durchlebt, mutet er auch seinen Nachfolgern zu. Sie werden zum neuen, geistlichen Leben erweckt und zu viel geistlicher Frucht befähigt, wenn sie ihr vergängliches Leben zugunsten des geistlichen ewigen Lebens hinten anstellen. Auch hier gilt es, klar den geistlichen Gehalt hinter dem Buchstaben der Worte Jesu zu erkennen.

  • Es gilt, die durch die Sünde durchtränkte Natur des verdorbenen menschllichen Herzens zu erkennen,
  • Sich zu trennen von der Sünde des Unglaubens, des Egoismus, des Stolzes, des  Neides, der Habgier, der Rechthaberei und sonstigen abgöttischen Lebensweise. Dies kann in einer Grundsatzentscheidung geschehen und dann beständig im alltäglichen Kampf gegen die Sünde fortgesetzt werden.

Jesus verspricht seinen Nachfolgern, die ihm dienen, dass sie bei ihm in der Herrlichkeit seines Vaters, die Ewigkeit verbringen werden (Joh 12,26; 14,1-3). Aber auch schon für diese Zeit sagt er uns die Zuneigung und Würdigung seines Vaters zu – welch eine Ehrung!

Fragen / Aufgaben:

  1. Was ist das Besondere an einem Weizenkorn?

10.5.3 Jesus wird vom Vater verherrlicht

Es ist erstaunlich, wie Jesus immer wieder in der Öffentlichkeit seine inneren Empfindungen offenbart. „Jetzt ist meine Seele (ψυχη) betrübt (erschüttert). Und was soll ich sagen? Vater, hilf mir aus dieser Stunde? Doch darum bin ich in diese Stunde gekommen“ (Joh 12,27). Und dann folgt ein öffentliches kurzes Gebet zu Gott, eine Bitte in vier Worten: „Vater, verherrliche deinen Namen“! Da kam eine Stimme vom Himmel: Ich habe ihn verherrlicht und will ihn abermals verherrlichen“ (Joh 12,28). Haben wir richtig gelesen? Bittet Jesus um die Verherrlichung des Vater-Namens? Hat er nicht kurz zuvor gesagt, dass die Stunde gekommen sei, wo der Menschensohn verherrlicht werde (Joh 12,23)? Doch indem der Vater vom Himmel mit hörbarer Stimme seinen Namen verherrlicht, bekennt er sich öffentlich zu seinem Sohn. Was für eine Schönheit in der Beziehung – der Sohn verherrlicht den Vater und der Vater verherrlicht den Sohn. Keine Spur von Egoismus, Ichbezogenheit bei Jesus.

Doch was hört das Volk? „Da sprach das Volk, das dabeistand und zuhörte: Es hat gedonnert. Die andern sprachen: Ein Engel hat mit ihm geredet“ (Joh 12,29). Es ist eine gewaltige Stimme vom Himmel geschehen. Sie erinnert an die Offenbarung Gottes in der Wüste am Horeb, wo Gott akustisch hörbar zu ganz Israel redete (2Mose 19,19). Ein unüberhörbares Zeichen vom Himmel, das nicht auf Bestellung von Menschen, sondern auf die ausdrückliche Bitte des Sohnes geschah. Und Jesus adressiert, kommentiert, erklärt diese Stimme sowie deren Gehalt und Auswirkung. „Jesus antwortete und sprach: Diese Stimme ist nicht um meinetwillen geschehen, sondern um euretwillen“ (V. 30). Jesus ringt um das Volk, um in ihnen Glauben zu wecken auch durch dieses Zeichen.

Und er fährt fort mit der Offenbarung dessen, was hinter den Kulissen dieser Welt nun vor sich geht: „Jetzt ergeht das Gericht über diese Welt; nun wird der Fürst dieser Welt ausgestoßen werden. Und ich, wenn ich erhöht werde von der Erde, so will ich alle zu mir ziehen; das sagte er aber, um anzuzeigen, welchen Todes er sterben würde“ (V. 30-32). Jesus spricht hier vom Gericht über die Welt und das Gericht über den Fürsten dieser Welt, so seine Erklärung in Kapitel 16,11 „über das Gericht: dass der Fürst dieser Welt gerichtet ist.“ Das Gerichtsurteil über den Feind Gottes ist gefällt, wie auch Paulus später im Brief an die Kolosser hervorhebt: „Er (Gott) hat die Mächte und Gewalten ihrer Macht entkleidet und sie öffentlich zur Schau gestellt und hat einen Triumph aus ihnen gemacht in Christus“ (Kol 2,15).

Jesus spricht im voraus von den gewaltigen Auswirkungen seines Todes und seiner Auferstehung. Es ist die Art des Vaters und auch des Sohnes, die reale Erfüllung seines Planes vorauszusagen. Mit dem Kreuzestod und der Auferstehung von Jesus, verliert der Fürst dieser Welt (der Teufel und sein Gefolge) die Macht. Denn ausgestoßen werden nach draußen (wohin auch immer) bedeutet Entfernung und daher auch Machtverlust. Ob das von Johannes geschaute und aufgeschriebene Ereignis in Offenbarung 12,10-11 identisch ist mit dem, was Jesus hier sagt: „Und ich hörte eine große Stimme, die sprach im Himmel: Nun ist das Heil und die Kraft und das Reich unseres Gottes geworden und die Macht seines Christus; denn der Verkläger (gr. κατηγορ – kategor) unserer Brüder ist verworfen, der sie verklagte Tag und Nacht vor unserm Gott.“

Bis jetzt hat Jesus immer nur seinen Jüngern von seinem Kreuzestod gesagt, nun aber offenbart er es dem Volk, so dass auch sie nach wenigen Tagen die Realität der Erfüllung mit Jesu Voraussage vergleichen könnten – auch dies ist eine Glaubenshilfe.

Da antwortete ihm das Volk: Wir haben aus dem Gesetz gehört, dass der Christus in Ewigkeit bleibt; wieso sagst du dann: Der Menschensohn muss erhöht werden? Wer ist dieser Menschensohn“ (V. 34)? Typisch für Johannes ist, dass er zweimal die Aussagen von Jesus über dessen Erhöhung aufgeschrieben hat und jedes Mal deutet er es auf seinen Kreuzestod. „Und wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, damit alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben“ (Joh 3,14-15). Auf die Frage des Volkes: „Wer ist dieser Menschensohn“, gibt Jesus keine direkte Antwort, sondern spricht wieder in der schon gewohnten Bildersprache: „Es ist das Licht noch eine kleine Zeit bei euch. Wandelt, solange ihr das Licht habt, damit euch die Finsternis nicht überfalle. Wer in der Finsternis wandelt, der weiß nicht, wo er hingeht.

Glaubt an das Licht, solange ihr’s habt, damit ihr Kinder des Lichtes werdet“ (Joh 12,35-36). Nicht nur hier, sondern in den meisten Fällen spricht Jesus von sich in der 3. Person. Das Element Licht verwendet Jesus öfters in seinen Bildreden und deutet es auf seine Person (Joh 1,5. 7. 9; 8,12 – „Ich bin das Licht der Welt“). Noch eine kleine Zeit, nur noch wenige Tage ist er leibhaftig unter den Menschen. Wiederum ein herzliches, fast bittendes Werben um Nachfolge. Er wirbt um den Glauben des Volkes, der große Auswirkungen haben könnte. Im Licht wandeln oder bleiben bedeutet bei der Wahrheit, wie sie Jesus lebte und verkündigte, zu bleiben. An das Licht glauben, bedeutet Jesus und seinem Wort völlig vertrauen. Kinder/Söhne des Lichts zu sein war für die Juden wohl bekannte Bezeichnung aus der Glaubensgemeinschaft der Essener am Nordwestufer des Toten Meeres. Doch hier ist der Licht-Bezug zur Person Jesu, als Messias für die meisten seiner Zuhörer neu.

10.5.4 Das Ergebnis dieses Tages

Das Ergebnis dieses Tages (aber auch der Gesamttätigkeit Jesu in Jerusalem) beschreibt Johannes in zweierlei Richtungen.

  1. Und obwohl er solche Zeichen vor ihren Augen tat, glaubten sie doch nicht an ihn“ (Joh 12,37). Das Volk ist hin- und hergerissen, mal erwartungsvoll begeistert, dann begierig auf Zeichen, wiederum unschlüssig, es fehlt die Bereitschaft zur letzten Konsequenz – dem offenen und mutigen Bekenntnis zu Jesus als dem Messias Israels.

Johannes fügt noch etwas Wichtiges hinzu, was gewisse Fragen in Bezug auf die Glaubensfähigkeit des Menschen aufwirft: „Damit erfüllt werde der Spruch des Propheten Jesaja, den er sagte (Jesaja 53,1): »Herr, wer glaubt unserm Predigen? Und wem ist der Arm des Herrn offenbart?«  Darum konnten sie nicht glauben, denn Jesaja hat wiederum gesagt (Jesaja 6,9-10): »Er hat ihre Augen verblendet und ihr Herz verstockt, damit sie nicht etwa mit den Augen sehen und mit dem Herzen verstehen und sich bekehren und ich ihnen helfe.« ´Das hat Jesaja gesagt, weil er seine Herrlichkeit sah und redete von ihm“ (Joh 12,38-41).

Es gibt also Zeiten, in denen Gott den Menschen zugewandt ist und es gibt Zeiten, in denen Gott sich abwendet. Das hat natürlich zum einen mit der Souveränität Gottes zu tun, aber auch mit der Verstocktheit des Menschen, wenn er die sogenannten Zeiten in denen er von Gott gnädig angesehen ist, nicht erkennt, bzw. nicht nutzt, so Jesus in Lukas 19,44: „weil du die Zeit nicht erkannt hast, in der du heimgesucht worden bist“. Zu vergleichen auch mit dem „Heute“ aus dem Nazaretbesuch (Lk 4,21) oder dem: „Heute, so ihr seine Stimme hört …“ aus dem Psalm 95,7; Hebr 3,7. 15; 4,7).

  1. Zum Ergebnis des Wirkens Jesu gehört auch folgende Feststellung des Evangelisten Johannes: „Doch auch von den Oberen glaubten viele an ihn; aber um der Pharisäer willen bekannten sie es nicht, um nicht aus der Synagoge ausgestoßen zu werden. Denn sie hatten lieber Ehre bei den Menschen als Ehre bei Gott“ (Joh 12,42-43). Mangelnde oder unklare Gotteserkenntnis, religiöser Traditionalismus, der eine halbherzige Gottesbeziehung zur Folge hat, Menschenfurcht, Ansehen in dieser Welt, Gruppendynamische Zwänge sind die Hindernisse oder Barrieren zu einem klaren und mutigen Jesus-Bekenntnis.

Doch Jesus gibt nicht auf, er winkt nicht ab, er dreht sich nicht weg, sondern wirbt unermüdlich für den Glauben, denn er will retten, erlösen, befreien. Er weiß, dass nach seinem Tod viele an ihre Brust schlagen werden als Zeichen der Reue, er weiß, dass nach etwa zwei Monaten tausende vom Volk und viele der Oberen sich öffentlich zu ihm wenden und ihn als Messias/Christus anerkennen werden. Er predigt, ruft wie ein Herold, wendet sich an den Einzelnen mit Vollmacht und Kraft des Wortes, welches Früchte tragen wird:

Jesus aber rief: Wer an mich glaubt, der glaubt nicht an mich, sondern an den, der mich gesandt hat. Und wer mich sieht, der sieht den, der mich gesandt hat. Ich bin in die Welt gekommen als ein Licht, damit, wer an mich glaubt, nicht in der Finsternis bleibe. Und wer meine Worte hört und bewahrt sie nicht, den werde ich nicht richten; denn ich bin nicht gekommen, dass ich die Welt richte, sondern dass ich die Welt rette. Wer mich verachtet und nimmt meine Worte nicht an, der hat schon seinen Richter: Das Wort, das ich geredet habe, das wird ihn richten am Jüngsten Tage. Denn ich habe nicht aus mir selbst geredet, sondern der Vater, der mich gesandt hat, der hat mir ein Gebot gegeben, was ich tun und reden soll. Und ich weiß: sein Gebot ist das ewige Leben. Darum: was ich rede, das rede ich so, wie es mir der Vater gesagt hat“ (Joh 12,44-50). Was für eine Intensität, was für eine Tiefe Ergebenheit dem Vater und dessen Auftrag!

Auch dieser zweite Tag der Woche neigte sich dem Ende zu und Jesus ging zum Tempel hinaus und: „Er verbarg sich vor ihnen“, dieser Ausdruck verrät die angespannte Situation – Jesus war lebensgefärdet. Er geht hinaus vor die Stadt nach Betanien, denn am nächsten Morgen bricht er von dort auf, um wieder nach Jerusalem zu gehen (Mk 11,12).

Fragen / Aufgaben:

  1. Wo befindet sich Jesus und was ist seine Haupttätigkeit an diesem zweiten Tag der Woche?
  2. Wer umgibt ihn und wer ist ganz besonders an ihm interessiert?
  3. Was waren die einzelnen Themen in seiner Lehrtätigkeit?
  4. Welche Bilder verwendet Jesus und welchen Sinn legt er in diese hinein?
  5. Wie intensiv ist die Beteiligung des Volkes – Anmerkungen, Fragen?
  6. Welches Ereignis/Zeichen der Herrlichkeit Gottes geschah an diesem Tag und warum?
  7. Beschreibe die Einstellung Jesu zu Gott seinem Vater und zu dem Volk.
  8. Nenne die Kurz- und Langzeitergebnisse des Dientes von Jesus.

Dann lässt er sie stehen und entfernt sich aus dem Tempel wie der Evangelist vermerkt, geht zur Stadt hinaus und übernachtet in Bethanien bei seinen Freunden (Mt 21,17)

10.6 Jesus verflucht einen fruchtlosen Feigenbaum

(Bibeltexte: Mt 21,18-20; 21-22;  Mk 11,12-14; 19-26)

Die Geschichte mit dem fruchtlosen Feigenbaum, den Jesus verdorren lässt, haben Matthäus und Markus aufgeschrieben. Beide ordnen es in die Passionswoche ein. Da der Evangelist Markus diese Geschichte in zwei Teilen beschreibt, gehen wir von seinem Text aus und ziehen die Ergänzungen bei Matthäus hinzu. So schreibt Markus:

Und am nächsten Tag, als sie von Betanien weggingen, hungerte ihn. Und er sah einen Feigenbaum von ferne (Mt: „am Wege“), der Blätter hatte; da ging er hin, ob er etwas darauf fände. Und als er zu ihm kam, fand er nichts als Blätter; denn es war nicht die Zeit (gr. kairo,j kairos – (Ernte)zeit) für Feigen. Da fing Jesus an und sprach zu ihm: Nun esse niemand mehr eine Frucht von dir in Ewigkeit! Und seine Jünger hörten das. (Mk 11,12-14). Matthäus ergänzt: „Und der Feigenbaum verdorrte sogleich. Und als das die Jünger sahen, verwunderten sie sich und sprachen: Wie ist der Feigenbaum so plötzlich verdorrt?“ (Mt 21,19b-20).

Beachten wir zunächst einige äußere Details dieser einmaligen und einzigartigen Geschichte. Früh am Morgen bricht Jesus mit seinen Jüngern von Betanien auf, um in die nur drei Kilometer entfernte Stadt Jerusalem zu gehen. Wir zählen diesen Morgen bereits dem 3. Wochentag zu – das wäre unser Dienstag. Gut möglich, dass seine Jünger im Haus des Simon durch den Dienst von Martha gefrühstückt hatten, Jesus aber die frühen Morgenstunden zum Gebet nutzte und später auf dem Weg auch etwas essen wollte. Auf jeden Fall betont Markus, dass Jesus hungrig war. Wie real menschlich war doch der Menschensohn Jesus. Von Betanien her kommend, geht Jesus an Bethfage vorbei, dem Haus der Feigen, so die Bedeutung des Ortsnamens. Seine Aufmerksamkeit wird auf einen üppig grünenden Feigenbaum gelenkt der in einiger Entfernung am Wegesrand wuchs. Aus der Entfernung ist nicht zu erkennen, ob sich unter dem dichten Laub Früchte verbergen. Nach 5Mose 23,25 war es erlaubt im Weinberg des Nachbarn Trauben zu essen, man durfte jedoch nichts mitnehmen, ähnliches Verhalten war auch für das Kornfeld vorgeschrieben (5Mose 23,26; Mt 12,1f).

Der Feigenbaum kommt in biblischen Erzählungen häufig vor (5Mose 8,8;  Ri 9,11;  1Kön 5,5; 10,27;  2Kön 18,31;  Spr 27,18;  Hl 2,13;  Jes 34,4;  Jer 5,17; 8,13;  Hos 2,14; 9,10;  Joe 1,7.12; 2,22;  Am 4,9;  Micha 4,4;  Nah 3,12;  Hab 3,17;  Hag 2,19;  Joh 1,50).

Abbildung 5 Die erste Kleidermode wurde von Eva und Adam entworfen und ausprobiert, doch Gott war damit nicht einverstanden. Das Material dieser Bekledungsart welkte und trocknete bereits nach einigen Tagen aus und wurde unbrauchbar (Foto: 30. Juni 2016).

Abbildung 6 Ein riesengroßer Feigenbaum in einem Garten auf der Insel Kos im Ägäischen Meer. Der Baum ist so groß, dass er das ganze Haus überschattet. Aus dieser Entfernung ist es wegen dem dichten Blätterlaub nicht  auszumachen ob sich darunter Früchte verbergen (Foto am 14. Mai 2015).

Der Feigenbaum ist die einzige Baumart, welche im Garten Eden namentlich erwähnt wird, wenn auch nur indirekt – 1Mose 3,7: „Sie flochten sich Röcke aus Feigenblättern“.

Als Jesus sich dem im Text erwähnten Feigenbaum nähert und Feigen sucht, findet er keine. Er stellt fest, dass der Baum fruchtlos ist. Sofort und ohne auf die Ankunft der Jünger zu warten, spricht er spontan die Worte aus: „Nun esse niemand mehr eine Frucht von dir in Ewigkeit! Und seine Jünger hörten das.“ (Mk 11,14).

Jesus geht zu ihm hin und erst aus der Nähe stellt er fest, dass der Baum fruchtlos ist. Sofort und ohne auf die Ankunft der Jünger zu warten, spricht er spontan die Worte aus: „Nun esse niemand mehr eine Frucht von dir in Ewigkeit! Und seine Jünger hörten das.“ (Mk 11,14). Die Jünger befinden sich zwar in einiger Entfernung hinter Jesus, hören aber was er ausspricht. Nach dem Bericht des Markus wenden sich die Jünger nicht sofort an Jesus, sondern erst am folgenden Morgen. Nach Matthäus 21,20b verwunderten sich die Jünger und sagten zu einander): „wie ist der Feigenbaum sofort verdorrt“? Markus fährt knapp fort mit den Worten: „Und sie kamen nach Jerusalem und Jesus ging in den Tempel.“ (Mk 11,15a). Hier stellen sich zwei Fragen:

  1. Frage: Warum sucht und erwartet Jesus Feigen, wenn er doch genau weiß, dass es noch nicht Erntezeit ist (Mk 11,13)?

Der eigentliche Grund für die Verfluchung des Feigenbaumes ist der: „Jesus fand darauf keine Frucht, nur Blätter“. An dieser Stelle ist es sinnvoll, einiges über die Beschaffenheit des Feigenbaumes zu erfahren. Obwohl die Zeit für (reife) Früchte (etwa im Juni) noch nicht da war, hätte es bei einem fruchtbaren Feigenbaum Zeichen der Früchte geben müssen. Häufig zeigen sich die kleinen  Früchteknospen (die Blühte ist innerhalb der Frucht) schon bevor Blätter sprießen. Dies gilt besonders für die milden klimatischen Verhältnisse am Osthang des Ölbergs, wo Bethfage und Betanien lagen. Oft reifen die Spätfeigen vom Vorjahr  erst in den Frühlingsmonaten voll aus (Jes 28,4; Micha 7,1). Ludwig Schneller, jahrzehntelanger evangelischer Pastor in Bethlehem zählte im Frühjahr 1888 in seinem Garten etwa 1500 solcher Spät- bzw. Frühfeigen md sagt, dass diese sehr begehrt sind wegen ihrer besonderen Süße (1994, 282).

Abbildung 7 Es ist Februar auf Südzypern, die Blätter dieses Feigenbaumes kommen erst gegen Anfang März, doch vom Vorjahr sind viele Feigen in unterschiedlicher Größe und Reife zu sehen. Zumindest einige davon würden bereits im April eßbar sein (Foto am 7. Februar 2007).

Auch solche Frühfeigen fand Jesus nicht auf dem besagten Feigenbaum vor. Dies ist ebenfalls ein Hinweis für die Fruchtlosigkeit jenes Baumes. Wenn dieser Feigenbaum gegen Ende März, Anfang April dazu noch überhaupt keine Anzeichen von Jungfrüchten hatte, dann war er fruchtlos. Nicht vorstellbar wäre eine Deutung, wonach Jesus nur aus einer Laune heraus und weil er Hunger hatte, seinem Ärger Luft gemacht hätte. Sein Urteil war daher berechtigt und begründet (vgl. dazu auch Mt 3,10; 7,19; Joh 15,6). Übrigens lässt sich im gesamten östlichen Mittelmeerraum beobachten, dass häufig Früchte (nicht nur Feigen) in noch unreifem Zustand mit besonderer Vorliebe gegessen werden,

Trotz diesen plausiblen Erklärungen stellt sich eine weitere Frage.

  1. Frage: Warum verflucht Jesus den Feigenbaum und gibt ihm keine weitere Chance mehr, wo nach seinen Worten in dem Gleichnis aus Lukas 13,6-9 einem Feigenbaum sogar nach drei fruchtlosen Jahren ein weiteres Jahr eingeräumt wird?

ANMERKUNG: Aus dem Johannesevangelium wissen wir, dass Jesus während seines Dienstes mindestens viermal nach Jerusalem hochgegangen war (Joh 2; 5; 7; 12). Da er häufig bei seinen Freunden in Betanien übernachtete, ging er jedesmal den gleichen Weg und an dem selben Feigenbaum vorüber. Möglich, dass er dessen Fruchtlosigkeit bereits seit Jahren kannte und daher war er nur ein Hindernnis und raubte dem Boden die Kraft oder machte den Boden unbrauchbar wie es der Eigentümer des Weinbergs in Lukas 13,7 ausdrückte.

Gelegentlich wird die totale Verdorrung des Feigenbaumes in der Nähe Jerusalems und zum Ende des Dienstes von Jesus, auf den Tempel bezogen, der im Jahre 70 n. Chr. von den Römern völlig zerstört und seitdem nicht mehr aufgebaut wurde (so zum Beispiel Nick Page 2011, 158). Es scheint einen gewissen Bezug dazu zu haben, doch im Text und den Erklärungen, die Jesus selbst seinen Jüngern gibt, deutet nichts darauf hin. Allerdings kann dieses totale und endgültige Verdorren des Baumes auf einzelne Menschen oder Menschengruppen gedeutet werden, die offensichtlich Gottes Gnade dauerhaft ablehnen, oder gar Missbrauchen:

  • Mt 3,10; 7,19: fruchtlose Bäume bezogen auf Menschen ohne geistliche Früchte;
  • Mt 11,21: unbußfertige Bewohner der Städte Kapernaum, Bethsaida und Korazin;
  • Mk 3,29;  Lk 12,10: bezogen auf Menschen, welche den Heiligen Geist Gottes lästern;
  • Mt 27,4-5-Judas, der Gottes Gnade missbrauchte;
  • 1Joh 5,16-17: die Sünde, welche zum Tode führt;
  • Offb 3,16: Menschen, welche weder kalt noch warm sind wird Jesus ausspeien.

Der Evangelist Markus fährt in seinem Bericht fort:

Und als sie am Morgen an dem Feigenbaum vorbeigingen, sahen sie, dass er verdorrt war bis zur Wurzel. Und Petrus dachte daran und sprach zu ihm: Rabbi, sieh, der Feigenbaum, den du verflucht hast, ist verdorrt. (Mk 11,20-21).

Dieser Morgen war auch bei Markus der Morgen des 3. Wochentages, also der Dienstag, weil er den ersten Teil dieser Geschichte in den Morgen des 2. Wochentages legt. Anscheinend hat Jesus mit seinen Jüngern wieder in Betanien übernachtet. Und wieder ist es Petrus, der das, was die Jünger am Vortag untereinander mit Verwunderung aussprachen, jetzt direkt vor Jesus ausspricht. Markus betont noch, dass der Feigenbaum bis auf die Wurzel, d.h. einschließlich der Wurzel verdorrte. Wäre die Wurzel nicht auch verdorrt, hätte der Baum erneut getrieben, wie in dem folgenden Bild ersichtlich wird.

Abbildung 8 Dieser Feigenbaum ist durch Frost, der noch im Monat April 2009 eingetreten war, erfroren. Und da es bei ihm Ende Juni immer noch kein Lebenszeichen gab, wurde er bis auf einen geringen Stumpf abgesegt. Im Frühling des darauffolgenden Jahres zeigten sich am Stumpf winzig kleine Knospen und bereits Mitte Juli hatte er üppige Zweige. Heute im Jahre 2018 ist dieser Feigenbaum etwa 3 Meter hoch und trägt reichlich Früchte (Foto: 9. Juli 2010).

Das griechische Wort welches Markus hier für `du verflucht hast` verwendet ist: `kathra,sw kat¢rasö`. Die Präposition `kat`, bzw. `kata`, unterstreicht die Endgültigkeit der Aussage von Jesus.  Daher wird dieser Feigenbaum nie mehr sprießen können (vgl. dazu Mt 25,41: „geht weg von mir ihr Verfluchten“). Die Bemerkung des Petrus nutzt Jesus zu der zentralen Aussage und Anwendung aus diesem Vorgehen mit dem Feigenbaum. So schreibt Markus weiter:

Und Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Habt Glauben an Gott! Wahrlich, ich sage euch: Wer zu diesem Berge spräche: Heb dich und wirf dich ins Meer!, und zweifelte nicht (gr. mh, diakriqh, m¢ diakrith¢) in seinem Herzen, sondern glaubte, dass geschehen werde, was er sagt, so wird’s ihm geschehen. Darum sage ich euch: Alles, was ihr bittet in eurem Gebet, glaubt nur, dass ihr’s empfangt, so wird’s euch zuteil werden. (Mk 11,22-24). Matthäus ergänzt: „Jesus aber antwortete und sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr Glauben habt und nicht zweifelt, so werdet ihr solches nicht allein mit dem Feigenbaum tun, sondern, wenn ihr zu diesem Berge sagt: Heb dich und wirf dich ins Meer!, so wird’s geschehen.“ (Mt 21,21-22).

Es fällt geradezu auf, dass Jesus sehr stark auf die Kraft und Macht des Glaubens hinweist, durch den die Jünger `Bäume verdorren und Berge versetzen` vermögen.

ANMERKUNG: Wir haben festgestellt, dass Bäume in ihrer Übertragung häufig für Menschen stehen, so können Berge für Hindernisse, Barrieren stehen, die zu Ebenen werden können (Sach 4,7;  Lk 3,5), denn wir haben kein einziges Beispiel dafür, dass die Jünger die Aussage von Jesus jemals buchstäblich angewendet hätten.

Einige mögliche Anwendungen im Dienst der Apostel:

  • In Apostelgeschichte 5,3 wird von einer ungewöhnlichen Reaktion des Petrus berichtet: „Petrus aber sprach: Hananias, warum hat der Satan dein Herz erfüllt, dass du den Heiligen Geist belogen und etwas vom Geld für den Acker zurückbehalten hast?“
  • In Apostelgeschichte 8,20-21 tritt Petrus mutig dem gleichnamigem Zauberer Simon entgegen mit den Worten: „Dein Geld fahre mit dir ins Verderben, weil du meinst, Gottes Gabe werde durch Geld erlangt. Du hast weder Anteil noch Anrecht an dieser Sache; denn dein Herz ist nicht rechtschaffen vor Gott.“
  • In Apostelgeschichte 13,9-11 tritt der Apostel Paulus entschlossen dem Zauberer Elymas entgegen. Lukas schreibt: „Saulus aber, der auch Paulus heißt, voll Heiligen Geistes, sah ihn an und sprach: Du Sohn des Teufels, voll aller List und aller Bosheit, du Feind aller Gerechtigkeit, hörst du nicht auf, krumm zu machen die geraden Wege des Herrn? Und nun siehe, die Hand des Herrn kommt über dich, und du sollst blind sein und die Sonne eine Zeit lang nicht sehen! Auf der Stelle fiel Dunkelheit und Finsternis auf ihn, und er ging umher und suchte jemanden, der ihn an der Hand führte.“
  • In Apostelgeschichte 18,6 wird die Reaktion des Paulus auf den Widerstand der Juden in Korinth mit drastischen Worten beschrieben: „Als sie aber widerstrebten und lästerten, schüttelte er die Kleider aus und sprach zu ihnen: Euer Blut komme auf euren Kopf! Ich bin rein; von jetzt an werde ich zu den Nationen gehen.“
  • In 1Korinther 5,5 ordnet Paulus in Bezug auf eine Person mit verdorbenem Lebensstil an: „(…) sollt ihr diesen Menschen dem Satan übergeben zum Verderben des Fleisches, auf dass sein Geist gerettet werde am Tage des Herrn.“
  • In 1Timotheus 1,20 erinnert der Apostel seinen Mitarbeiter: „Unter ihnen sind Hymenäus und Alexander, die ich dem Satan übergeben habe, damit sie in Zucht genommen werden und nicht mehr lästern.“
  • In 2Korinther 10,4-5 schreibt der Apostel Paulus über den Umgang mit Hindernissen: „Denn die Waffen unsres Kampfes sind nicht fleischlich, sondern mächtig im Dienste Gottes, Festungen zu zerstören. Absichten zerstören wir und alles Hohe, das sich erhebt gegen die Erkenntnis Gottes, und nehmen gefangen alles Denken in den Gehorsam gegen Christus.“

Solch ein Handeln im Glauben hat nichts mit Selbstverherrlichung oder Selbstdarstellung zu tun. Dieses Handeln im Glauben ist auf Gott ausgerichtet und von Gottes Geist gewirkt. Die Aufforderung von Jesus: „habt Glauben an Gott oder zu Gott“, steht vor dem Handeln.

Doch Jesus nennt auch ein Hindernis, das der Erhörung des Gebets und machtvollem Handeln im Wege steht – es ist der Zweifel oder das Zweifeln im Herzen. Das griechische Wort dafür ist: `dia-kriqh, diakrith¢` (vgl. dazu auch Jak 1,6). Wenn Jesus eine Antwort gibt, dann heißt es: `O Ihsou,j ap,o-kriqei,j O I¢sous apo-kritheis`. Die Antworten von Jesus sind klare und eindeutige Reaktionen auf gestellte Fragen und/oder stimmige Bewertungen (Kritiken) auf Handlungen der Menschen. Eine `diakrith¢` dagegen ist eine geteilte, ja, in sich widersprüchliche Einstellung und Bewertung gegenüber der Zusage Gottes. Einfach ausgedrückt: Wie soll Gott positiv und eindeutig auf unser `jain` antworten können?

In diesem geschichtlichen Zusammenhang nennt Jesus seinen Jüngern eine weitere wichtige Voraussetzung für erhörliches Beten. So schreibt Markus weiter: „Und wenn ihr steht und betet, so vergebt, wenn ihr etwas gegen jemanden habt, damit auch euer Vater im Himmel euch vergebe eure Übertretungen.“ (Mk 11,25-26). Den Schuldigern ihre Verschuldungen nicht anrechnen, sondern erlassen, vergeben (vgl. dazu auch Mt 6,12; 18,20-35). Im Grunde geht es bei der gesamten Geschichte um eine geklärte und geordnete Beziehung zu den Mitmenschen, sowie einen eindeutigen Glaubens- und Gehorsamsbezug zu Gott. Dieser Glaubensbezug war bei den Jüngern in anbetracht des bevorstehenden Leidensweges von Jesus mangelhaft und fehlte bei Judas gänzlich.

Fragen / Aufgaben:

  1. Beschreibe die zeitlichen und örtlichen Details dieser Geschichte.
  2. Forsche nach, wo und in welchen Zusammenhängen der Feigenbaum in der Bibel genannt wird?
  3. Beschreibe die Besonderheiten des Feigenbaumes und seiner Früchte.
  4. Wofür stehen Bäume und Berge in biblischen Erzählungen?
  5. Welche möglichen Deutungen zu dieser Geschichte sind dir bekannt und was ist der Hauptgedanke oder die Lehre daraus? Was will Jesus seinen Jüngern dadurch nahe bringen?
  6. Das Zweifeln wird dem Glauben gegenübergestellt. Erkläre diese zwei wichtigen Begriffe.
  7. Nenne weitere Hindernisse, die dem erhörlichen Gebet im Wege stehen.
  8. Welche Gefahr und Risiko liegt in einem fruchtlosen Lebensstil eines Menschen?
  9. Wie haben die Jünger Jesus verstanden und in welchen Situationen haben sie Berge versetzt und Bäume verdorren lassen?
  10. Was sind deine Erfahrungen im Bereich Berge versetzen?

10.7 Die Frage nach der Vollmacht und woher war die Taufe des Johannes?

(Bibeltexte: Mt 21,23-27;  Mk 11,27-33;  Lk 20,1-6)

Früh am Morgen des 3. Wochentages (Dienstag) kommt Jesus wieder in den Tempel. Dort geht er seiner wichtigsten Tätigkeit nach und lehrt öffentlich (Mt 21,23; Joh 18,20). Der Evangelist Lukas betont ausdrücklich, dass Jesus „lehrte im Tempel und predigte das Evangelium“ (Lk 20,1). Immer wieder lässt er sich in der Lehre unterbrechen durch die Fragen der Zuhörer. Viel Zeit investiert Jesus in die Diskussionen mit den führenden Gruppen im Judentum, den Schriftgelehrten, Pharisäern, Sadduzäern, Ältesten und Hohenpriestern. Ständig fordern sie ihn mit ihren kritischen Fragen oder Versuchungen heraus, fast immer mit der Absicht, ihm eine Falle zu stellen. Er nutzt jedoch diese Herausforderungen, um seine Gegner aus ihrer Verhärtung herauszubringen.

Der Evangelist Matthäus schreibt:

Und als er in den Tempel kam und lehrte, traten die Hohenpriester und die Ältesten des Volkes zu ihm und fragten.“ (Mt 21,23). Der Evangelist Lukas ergänzt: „Und es begab sich eines Tages, als er das Volk lehrte im Tempel und predigte das Evangelium, da traten zu ihm die Hohenpriester und die Schriftgelehrten mit den Ältesten und sprachen zu ihm. (Lk 20,1;  ähnlich auch in Markus 11,27).

Das Evangelium (gr. euange,lion euangelion – Frohe Botschaft, Gute Nachricht), ist die Überschrift der Lehr,- und Predigtdetails, welche Jesus bereits im ganzen Land verkündigt hatte und nun auch hier in Jerusalem im Tempel offenbart. Bis jetzt redete Jesus zum Volk, doch nun nähern sich ihm eine größere Abordnung aus allen leitenden Gremien des Judentums. Ja, Jesus hat die Größe, sich unterbrechen zu lassen und auf die Fragen der Tempelführung einzugehen: „Aus welcher Vollmacht tust du das? Oder wer hat dir diese Vollmacht gegeben, dass du das tust?“ (Mk 11,28;  ähnlich auch Lk 20,2; Mt 21,23).

Jesus aber antwortete und sprach zu ihnen: Ich will euch auch eine Sache fragen; wenn ihr mir die sagt, will ich euch auch sagen, aus welcher Vollmacht ich das tue. Woher war die Taufe des Johannes? War sie vom Himmel oder von den Menschen? (Markus ergänzt mit:Antwortet mir!“) Da bedachten sie’s bei sich selbst und sprachen: Sagen wir, sie war vom Himmel, so wird er zu uns sagen: Warum habt ihr ihm dann nicht geglaubt? Sagen wir aber, sie war von Menschen, so müssen wir uns vor dem Volk fürchten, denn sie halten alle Johannes für einen Propheten. Und sie antworteten Jesus und sprachen: Wir wissen’s nicht. Da sprach er zu ihnen: So sage ich euch auch nicht, aus welcher Vollmacht ich das tue.“ (Mt 21,24-27). Markus ergänzt: „Oder sollen wir sagen, sie war von Menschen? Doch sie fürchteten sich vor dem Volk; denn sie meinten alle, dass Johannes wirklich ein Prophet sei.“ (Mk 11,32). Lukas ergänzt: „Sagen wir aber, von Menschen, so wird uns alles Volk steinigen; denn sie sind überzeugt, dass Johannes ein Prophet war.“ (Lk 20,6).

Eigentlich ist es eine Doppelfrage, welche die führenden Juden an Jesus richten: „in welcher Vollmacht tust du dies oder wer hat dir diese Vollmacht gegeben?“ Der griechische Begriff `exousi,a exousia`  wird mit `Macht, Vollmacht` oder auch mit `Recht` übersetzt. Die Frage zielt auf eine Person hin, welche hinter und über Jesus steht und die Jesus bevollmächtigte zu seinem übernatürlichen Handeln. Im Grunde gibt es nur eine einzige Instanz, doch diese anzuerkennen sind die Führenden in Israel nicht bereit. Trotzdem wurde die Frage nach der Vollmacht mehrmals gestellt, wenn auch unterschiedlich formuliert. Zum ersten Mal bei seinem ersten Jerusalembesuch. So lesen wir in Johannes 2,18: „Da fingen die Juden an und sprachen zu ihm: Was zeigst du uns für ein Zeichen, dass du dies tun darfst?“ Damals betraf es die Aktion mit der Vertreibung der Händler und Geldwechsler vom Tempelgelände. Vergleicht man die Texte der drei synoptischen Evangelien, entsteht der Eindruck dass sich diese Doppelfrage der Juden auch auf die Aktion mit der Vertreibung der Händler vom Tempelgelände bezieht, weil alle drei Evangelisten darüber kurz davor berichten. Da wir aber der Chronologie des Johannes folgen, wonach die Vertreibung der Händler und Geldwechsler bereits bei dem ersten Jerusalembesuch stattgefunden hatte,  nehmen wir an, dass sieh diese Doppelfrage auf die vielen Wunderheilungen an Blinden und Lahmen vom Vortag bezog (Mt 21,15). Wahrscheinlich ist auch, dass diese Frage die führenden Juden die ganze Zeit über beschäftigte und dass diese Frage sich zum Ende seines Dienstes immer dringlicher stellte. Schon Nikodemus bemerkte bei seinem Besuch in der Nacht: „Meister, wir wissen, du bist ein Lehrer, von Gott gekommen; denn niemand kann die Zeichen tun, die du tust, es sei denn Gott mit ihm.“ (Joh 3,2). Mit anderen Worten, an deinen Wundern sehen wir deutlich, dass du von Gott bist, oder Gott mit dir ist. Doch bereits in Galiläa positionierten sich einige Pharisäer und Schriftgelehrten gegen Jesus mit der Behauptung: „Er treibt die bösen Geister nicht anders aus als durch Beelzebul, ihren Obersten.“ (Mt 12,24; Mk 3,22). Auch bei der Heilung des Blindgeborenen (Joh 9,16) stellte sich die Frage nach der Herkunft und Vollmacht von Jesus (Joh 9,17.29-33). Und diese Frage stellte sich natürlich auch besonders bei der Auferweckung des Lazarus. Die Ratlosigkeit der Führung des Volkes war offensichtlich: „Was tun wir? Dieser Mensch tut viele Zeichen (…)“ (Joh 11,47-48).

Es fällt immer wieder auf, dass Jesus sich nicht einfangen lässt, sondern die Menschen durchschaut und sie in sein eigenes Konzept einbezieht – das ist göttliche Weisheit. Er sagt nicht einfach JA oder Nein, er befriedigt nicht ihre Neugier, ihm liegt auch nicht daran, sie zu beschämen oder bloßzustellen, er will das wahre Problem seiner Gegner aufzeigen. Damit bietet er ihnen eine weitere Chance zur Umkehr. Und daher verbindet Jesus ihre Frage mit einer Gegenfrage, welche sich mit der Taufe des Johannes befasste, die bereits einige Jahre zurück lag. Merken wir, dass Jesus hier in der Vergangenheitsform spricht? Denn bereits bei Johannes wurde entschieden, wer den Messias annehmen und wer ihn ablehnen wird. Seit dem Auftreten des Johannes am Jordan ist die Führung Israels dem Volk gegenüber eine öffentliche Stellungnahme schuldig geblieben. Da ist also Nachholbedarf und Jesus fordert sie heruas und zwar in in Anwesenheit des Volkes. Doch mit dieser Reaktion von Jesus haben die Führer des Volkes nicht gerechnet. Jetzt müssen sie Farbe bekennen und zwar öffentlich vor allem Volk ihre Position zu der Johannestaufe offen legen. Offenbaren sie ihre ablehnende Einstellung zu Johannes dem Täufer, sind sie in Lebensgefahr. Bekennen sie sich zu der Johannestaufe, so müssen sie ihr gesamtes Konzept revidieren. Sie werden sich erinnert haben an die Frage der von den Juden/Pharisäern Abgesandten Hohenpriestern und Leviten zu Johannes dem Priestersohn: „Wer bist du“ (Joh 1,19)? Und dass sie sich bereits damals gegen Johannes entschieden haben. Ihnen wird schnell bewusst, dass sie sich mit ihrer Frage selber eine Falle gestellt haben.

Nun geht es ihnen nicht mehr um die Wahrheit, sondern darum wie sie aus der peinlichen, ja sogar gefährlichen Situation herauskommen könnten. „Sie bedachten bei sich selbst und sprachen“ (Mk 11,31), sie wissen sehr gut, was nach was kommt. Ihre gedanklichen Überlegungen und Abwägungen werden dann im Flüsterton untereinander ausgesprochen und man einigt sich auf eine theologisch sehr feige und ausweichende Antwort: „wir wissen es nicht“ – wie peinlich, was für eine Blamage vor dem ganzen Volk. Eigentlich haben sie eine Lüge ausgesprochen. Bei einer anderen Gelegenheit waren die Schriftgelehrten und Pharisäer mutiger. Dort wiederholt Jesus ihre laut ausgesprochene Einstellung zu Johannes dem Täufer: „Denn Johannes der Täufer ist gekommen und aß kein Brot und trank keinen Wein; und ihr sagt: Er ist von einem Dämon besessen.“ (Lk 7,30-33; Mt 11,18). Doch lieber stellen sie sich dumm vor dem Volk, als die Wahrheit zuzulassen. Gott offenbart sich den Glaubenden, den Kritikern und denen, die sich ihm mutwillig widersetzen vorenthält er das Heilige und die Perlen (Mt 7,6). Die Beziehung zwischen Führung und Volk ist gestört, nicht Vertrauen zu einander, sondern Furcht und Angst bestimmen das Verhalten zu einander. In Wahrheit ist nicht Jesus ihnen, sondern sie sind ihm eine Antwort schuldig geblieben. Und warum sollte Jesus ihnen auf ihre Frage antworten, wenn sie doch die Antwort kennen (Joh 3,2).

Fragen / Aufgaben:

  1. Wo, wann und unter welchen Umständen wurde Jesus die Frage nach der Vollmacht gestellt?
  2. Warum interessierte sich die Führung Israels nach der Vollmacht von Jesus, was bewegte sie wirklich?
  3. Die Anweisung von Jesus an seine Jünger lautete: „Eure Rede sei ja, ja, nein, nein“, warum gibt er dann in diesem Fall keine eindeutige Antwort?
  4. Warum fällt es den Pharisäern, Hohenpriestern und Ältesten des Volkes so schwer, sich vor Jesus zu beugen? Was würden sie verlieren, was gewinnen?
  5. Wie lässt sich die Beziehung der Hirten des Volkes Israels zu ihren Untergebenen beschreiben?
  6. Wer fürchtet wen mehr? Die Führung das Volk, oder das Volk die Führung (Mt 21,46;  Joh 7,13; 9,22; 19,38)?
  7. Wer ist letztlich wem eine Antwort schuldig geblieben?
  8. Fällt unser christusähnlicher Lebensstil auf, fragt man uns danach, wer hinter bzw. über unserem Leben steht, wer uns autorisiert?

10.8 Ein Mensch hatte zwei Söhne

(Bibeltext: Mt 21,28-32)

Die erste Betrachtung der Geschichte

Im Anschluss an die Frage nach der Vollmacht von Jesus (Mt 21,23-27) stellt der Evangelist Matthäus (und nur er allein) die Geschichte von einem Vater und dessen zwei Söhnen vor. Sie steht auch in direktem Zusammenhang zu der Thematik der Frage nach der Taufe des Johannes. Jesus entlässt die Fragesteller nicht so einfach aus deren Verantwortung, sind sie doch ihm eine Antwort schuldig geblieben. Er setzt das Gespräch mit ihnen fort, diesmal durch einen Vergleich. Er weiß ganz gewiss, was sie wirklich benötigen, darum versucht er mit einer Geschichte aus dem Alltag sie in ihrer Haltung zum Umdenken zu bewegen. Er fordert sie nicht nur heraus ihr logisches Denkvermögen einzusetzen, sondern auch die ii der Geschichte verborgene Wahrheit zu erkennen. Dadurch bekommen sie eine weitere Chance zur Umkehr. Und nun kommt die Geschichte, die er mit einer Frage einleitet und mit einer Frage schließt:

Was meint ihr aber? Es hatte ein Mann zwei Söhne und ging zu dem ersten und sprach: Mein Sohn, geh hin und arbeite heute im Weinberg. Er antwortete aber und sprach: Nein, ich will nicht. Danach reute es ihn und er ging hin. Und der Vater ging zum zweiten Sohn und sagte dasselbe. Der aber antwortete und sprach: Ja, Herr!, und ging nicht hin. Wer von den beiden hat des Vaters Willen getan? (Mt 21,28-31a).

Abbildung 9 Jeder Weinberg braucht regelmäßige Pflege, ansonsten verwildert er innerhalb kürzester Zeit. Dieser Weinberg befindet sich östlich der Stadt Kavala in Nordgriechenland (Foto: 28. August 2010).

Die Aufgabe, welche Jesus seinen Zuhörern stellt, ist nicht schwierig und die Antwort der Führenden im Volk kommt prommt: „Sie antworteten: „Der erste“. Sie sind imstande klar und logisch zu denken und urteilen, was positiv ist. Was ihnen jedoch nicht bewusst wird, ist die Anwendung. Höchstwahrscheinlich machten sie sich keine weiteren Gedanken darüber, dass Jesus mit dieser Geschichte sie meint, dass es ihnen gilt und sie mit ihrer Antwort über sich selbst ein Urteil gefällt haben?

Jesus sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Die Zöllner und Huren kommen eher ins Reich Gottes als ihr. Denn Johannes kam zu euch und lehrte euch den rechten Weg (auf dem Weg der Gerechtigkeit), und ihr glaubtet ihm nicht; aber die Zöllner und Huren glaubten ihm. Und obwohl ihr’s saht, tatet ihr dennoch nicht Buße (habt ihr dennoch nicht umgedacht), sodass ihr ihm dann auch geglaubt hättet. (Mt 21,31b-32).

Zunächst fällt in der Geschichte auf, dass es der Vater ist, der zu seinen Söhnen hingeht. Dem Menschen liegt es nicht, von sich aus zu Gott zu kommen und zu fragen: „Herr, was willst du, das ich tun soll?“ Durch den ersten Sohn in der Geschichte, der zunächst mit „nein, ich will nicht“ geantwortet hatte, werden die Zöllner und Huren vergliechen – die offensichtlichen Sünder. Sie lebten den ersten Teil ihres Lebens mit einem klaren und offensichtlichen `NEIN` zu Gott. „Ich will jetzt noch nicht“ oder: „lass mich in Ruhe, ich will zuerst mein Leben genießen“. Sie wussten genau dass sie Sünder sind und was sie dabei zu erwarten haben. Sicher haben summarisch nicht alle diese Menschen bei der Predigt des Johannes durch Sinnesänderung und Umkehr ihr Leben verändert. Doch ihre Offenheit den Predigten des Johannes und auch Jesus gegenüber, ist vielfach belegt. Zum Beispiel: „Es nahten sich ihm aber allerlei Zöllner und Sünder, um ihn zu hören.“ (Lk 3,12; 5,27-30; 15,1; 18,10-13; 19,1-10).

Durch den zweiten Sohn im Gleichnis, der ohne viel nachzudenken mit „Ja, Herr“ geantwortet hatte, werden die nach der Tradition erzogene und auch theologisch ausgebildete Oberschicht der Juden vergliechen. Von wenigen Ausnahmen abgesehen (Nikodemus und Josef von Arimathia), verweigerten sie mehrheitlich den Glauben und Gehorsam Gott gegenüber. Seit Beginn der Wirksamkeit des Johannes ließen diese Menschen jede ihnen angebotene Gelegenheit zur Umkehr bewusst verstreichen. So schreibt Lukas: „Aber die Pharisäer und Schriftgelehrten verachteten, was Gott ihnen zugedacht hatte, und ließen sich nicht von ihm (dem Johannes) taufen.“ (Lk 7,30; vgl. auch Mt 2,5; 3,7-8;  Mk 3,6; 16,1;  Lk 11,53;  Joh 7,49; 12,10-11. 31). Und bis zum Schluß änderten sie ihren Standpunkt nicht (Mt 26,59;  Mk 15,10).

Gerade durch diesen Vergleich gab Jesus eine (wenn auch nur indirekte) Antwort auf die Frage der Juden zu seiner Vollmacht. Hätten sie Johannes geglaubt, wäre diese ihre Frage an Jesus überflüssig geworden.

Fragen / Aufgaben:

  1. Wie sah die Vater-Söhne-Beziehung in dieser Geschichte aus?
  2. Welche Gruppe von Menschen repräsentiert der erste Sohn?
  3. Welche Gruppe von Menschen repräsentiert der zweite Sohn?
  4. Was ist die Voraussetzung, um in das Reich Gottes zu kommen?
  5. Warum fällt es Menschen mit einem guten angesehenen Lebensstandart so schwer sich vor der Autorität Jesu zu beugen und seine Gesinnung zu ändern?
  6. Wo finden wir heute diese zwei Gruppen oder Arten von Menschen?

Die zweite Betrachtung dieses Gleichnisses

Im Anschluss an die Frage nach der Vollmacht von Jesus (Mt 21,23-27) stellt der Evangelist Matthäus drei Gleichnisse zusammen:

  1. Von den ungleichen Söhnen
  2. Von den bösen Winzern
  3. Vom königlichen Hochzeitsmahl.

Im ersten Teil wird das Gleichnis erzählt (V 28 – 30). Dann wird die Frage gestellt, die schon in V 28 angedeutet wird: Wer erfüllt den Willen des Vaters? Oder anders ausgedrückt: Wer ist gerecht? Wer ist auf Gott ausgerichtet? Die Zuhörer geben die Antwort: Derjenige der die Möglichkeit wahrnimmt und umkehrt. Das Gleichnis hat die Aufrichtigkeit zum Thema. Jesus stellt die Frage: Wo sage ich mit dem Mund: Gott ist mir so wichtig, aber sobald dies Bekenntnis Zeit oder Geld kostet, ist mir anderes wichtiger. Nach großen Worten kann es mit dem Tun eng werden. Dann kommt es zu schlechten Gefühlen, kurzfristigen Absagen und aus dem Ja wird ein Nein. Oder wie im anderen Fall zu einer Kehrtwendung, zu einer Neuorientierung und aus dem Nein wird ein Ja!

Der erste Bruder, der Jasager, ist ausgesucht höflich. Auf die Bitte des Vaters, im Weinberg zu arbeiten, sagt er freundlich: „Ich gehe, Herr!“, tut aber überhaupt nicht, was der Vater von ihm verlangt. Der zweite Bruder ist weniger verbindlich. Er sagt deutlich, dass er keine Lust zur Arbeit hat. Dann aber wird er nachdenklich und geht, um den Auftrag des Vaters doch noch zu erfüllen.

Wir merken: beide sind keine Mustersöhne. Bei beiden stimmen Wort und Tat nicht überein. Aber trotz guten Umgangsformen des ersten Sohnes, ist uns der zweite sympathischer – denn wir sind durchaus der gleichen Meinung wie Jesus: Nicht auf bloße Worte kommt es an, sondern auf Taten!

Und Gott? Er scheint genauso zu denken. Nach einem Jesuswort kommt man nicht ins Himmelreich, indem man eifrig „Herr, Herr“ sagt (Mt 7,21), sondern indem man den Willen des Vaters erfüllt. In die gleiche Richtung geht der Ausspruch: „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen!“ (Mt 7,20)

Das kann uns zweierlei deutlich machen:

Sprache kann `verkleiden`, kann etwas vortäuschen, was in Wirklichkeit gar nicht so ist. Auch in der Gemeinde freuen wir uns immer, wenn sich bei der Verteilung von Arbeit jemand meldet: „JA, ich mach’s!“ Problem gelöst – weiter in der Tagesordnung! Aber manchmal kommen hinterher beim Betreffenden Zweifel. Doch im Leben gibt es plötzliche Veränderungen. Dann wollen wir reagieren und dem Vater im Himmel fragen: Wie steht es mit uns beiden – mach ich zu viel, zu wenig, bin ich gerade in einer Krise? Bin ich unrealistisch? Narren mich meine Gefühle oder sind wirklich grundsätzliche Entscheidungen dran. Wir dürfen zur Aufrichtigkeit durchdringen und uns fragen.

– Ist mir Gott wichtig – dann suche ich ihn in der Stille, im Hauskreis und im Gottesdienst

– Ist mir Gott wichtig, dann frage ich: welchen Auftrag hast du mir gegeben, wo darf ich freudig meine Zeit, Kraft, meine Gaben und mein Geld einbringen?

– Dann darf ich auch sagen: Was ist unwichtig, wie kann ich Zeit besser nutzen?

– Dann darf ich auch im Gemeinderahmen fragen: Wo habe ich mich übernommen, welche Aufgabe muss ich abgeben?

– Dann darf ich fragen, welchen Stellenwert hat meine Gemeinde in Bezug auf meine Zeit und meine materiellen Werte, und welche Stellung haben all die anderen guten Werke, Einrichtungen und Initiativen – stimmt bei mir hier die Balance? Wird deutlich wo ich zu Hause bin?

Fragen / Aufgaben:

  1. Wo führe ich mit einem schönen JA und wohlgesetzten Worten selbst und andere hinters Licht?
  2. Wo muss ich meinem Nächsten bewusster eine Chance zur Umkehr geben – gerade nach schlechten Erfahrungen?
  3. Bist du öfter als 3-mal werktags im Gemeindehaus? Das ist viel! Ist dies dein Auftrag? Bist du in 3 oder mehr Arbeitskreisen aktiv? Das ist viel! Ist dies dein Auftrag?
  4. Ertappst Du dich beim Jammern, Klagen? Bist du gefühlsmäßig überlastet? Jammern und Klagen sind sicher nicht DEIN Auftrag! Kannst Du Schritte erkennen, wie du aus dieser Situation herauskommst?
  5. Merkst du, dass der Vater im Himmel Dir eine Aufgabe geben will? Geh auf den Leitungskreis deiner Gemeinde zu und frage ob du im erkannten Bereich mithelfen könntest?
  6. (…) reden wir nicht länger darüber, handeln wir einfach!

10.9 Das Gleichnis von den bösen Weingärtnern

(Bibeltexte: Mt 21,33-44;  Mk 12,1-11;  Lk 20,9-18)

Die erste Betrachtung dieses Gleichnisses

Jesus reiht ein Gleichnis an das andere, denn die Zeit drängt, es bleiben nur noch wenige Tage bis er zum Vater zurück geht. Sein Werben um Israel wird noch intensiver. Auch das folgende Gleichnis erzählt Jesus im Tempel. Wie in der Passawoche zu erwarten ist, sind tausende Pilger schon frühzeitig in Jerusalem eingetroffen. Jesus ist bei seiner wichtigsten Tätigkeit, dem Lehren. Er ist Meister in Geschichten erzählen, sehr oft benutzt er in seiner Lehrtätigkeit Gleichnisse, (Vergleichsgeschichten aus verschidenen Lebensbereichen der Menschen). Dabei lässt er nicht locker, immer noch wendet er sich vordergründig an die Oberschicht, die Führung des Volkes.

Abbildung 10 Ein Weinberg am Südhang des Bodensee westlich des Ortes Fischbach. Es ist Herbst, die Weinernte ist bereits eingefahren, doch die Traubenstöcke stehen noch in ihrer herbstlichen Farbenpracht (Foto: 1. November 2018).

Wie der Evangelist Matthäus schreibt, wendet sich Jesus vorrangig an die Priesterschaft und die Gruppe der Pharisäer mit ihren Schriftgelehrten:

Hört ein anderes Gleichnis: Es war ein Hausherr, der pflanzte einen Weinberg und zog einen Zaun darum und grub eine Kelter darin und baute einen Turm und verpachtete ihn an Weingärtner und ging außer Landes. Als nun die Zeit der Früchte herbeikam, sandte er seine Knechte zu den Weingärtnern, damit sie seine Früchte holten. Da nahmen die Weingärtner seine Knechte: den einen schlugen sie, den zweiten töteten sie, den dritten steinigten sie. Abermals sandte er andere Knechte, mehr als das erste Mal; und sie taten mit ihnen dasselbe. (Mt 21,33-36).

Die Evangelisten Markus und Lukas berichten jeweils von nur einem Knecht, den der Weinbergeigentümer zu den Weingärtnern sendet. Diese werden jeweils misshandelt und mit leeren Händen weggeschickt. Höchstwahrscheinlich waren in der Originalversion von Jesus alle diese Aspekte vorhanden, doch die Evangelisten schrieben nur Teile der Gesamterzählung nieder. Auf jeden Fall wiederspiegeln sie die verschiedenen Behandlungsweisen der von Gott gesandten Propheten in der Geschichte Israels. So stellt Stefanus bei seinem Verhöhr wenig später vor dem Hohen Rat fest: „Welchen der Propheten haben eure Väter nicht verfolgt? Und sie haben getötet, die zuvor verkündigten das Kommen des Gerechten, dessen Verräter und Mörder ihr nun geworden seid.“ (Apg 7,52). Wir folgen weiter dem Text des Evangelisten Matthäus:

Zuletzt aber sandte er seinen Sohn zu ihnen (Markus und Lukas ergänzen: „den Geliebten“) und sagte sich: Sie werden sich vor meinem Sohn scheuen. Als aber die Weingärtner den Sohn sahen, sprachen sie zueinander: Das ist der Erbe; kommt, lasst uns ihn töten und sein Erbgut an uns bringen! Und sie nahmen ihn und stießen ihn zum Weinberg hinaus und töteten ihn. Wenn nun der Herr des Weinbergs kommen wird, was wird er mit diesen Weingärtnern tun? Sie antworteten ihm: Er wird den Bösen ein böses Ende bereiten und seinen Weinberg andern Weingärtnern verpachten, die ihm die Früchte zur rechten Zeit geben. (Mt 21,37-41).

Die Zuhörer von Jesus sind sehr aufmerksam und sie haben ein gutes Urteilsvermögen. Doch bevor Jesus zur abschließenden Anwendung kommt, fügt er noch eine weitere Episode aus der Geschichte Israels hinzu.

Jesus sprach zu ihnen: Habt ihr nie gelesen in der Schrift (Psalm 118,22-23): »Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der ist zum Eckstein geworden. Vom Herrn ist das geschehen und ist ein Wunder vor unsern Augen«? Darum sage ich euch: Das Reich Gottes wird von euch genommen und einem Volk gegeben werden, das seine Früchte bringt. Und wer auf diesen Stein fällt, der wird zerschellen; auf wen aber er fällt, den wird er zermalmen. Und als die Hohenpriester und Pharisäer seine Gleichnisse hörten, erkannten sie, dass er von ihnen redete. Und sie trachteten danach, ihn zu ergreifen; aber sie fürchteten sich vor dem Volk, denn es hielt ihn für einen Propheten. (Mt 21,42-46).

Abbildung 11 Reife Trauben am Weinstock in einem gepflegten Weingarten (Foto: 11. September 2016).

Das ist der erste Teil der Geschichte, die von Jesus verwendeten Bilder sind den Zuhörern wohl vertraut. Die Der Weinberg, der Weinstock, die Rebe, die Traube, der Traubensaft, der Wein, der Weinberggärtner und Weinbergeigentümer, sind beliebte Bilder in der Bibel (5Mose 6,11;  Hohelied;  Jesaja 5,1-7;  Joh 15,1-6).

Sünde blendet und macht unfähig wichtige geistliche Zusammenhänge klar zu erkennen, denn wahre Weisheit kommt von Gott. Erst jetzt wird der Führung klar, was Jesus mit seinen Gleichnissen erreichen will. Wie werden sie nun darauf reagieren. Werden sie diese Chance zur Umkehr nutzen, oder werden sie ihre Herzen noch mehr verhärten?

Das Volk steht hinter Jesus, will sein Leben, sein Bleiben, doch die Entscheidungsträger sind die Priester aus der Sadduzäerpartei und die Mehrheit der Schriftgelehrten aus der Pharisäerpartei. Letztlich wird Gottes vorhergesehener Plan werwirklicht und dadurch kommt Gott zu seinem Ziel, nämlich der Erlösungsmöglichkeit der verlorenen Menschen, auch derer, die ihn verurteilen werden. Noch am Kreuz betet Jesus für seine Feinde: „Jesus aber sprach: Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun“ (Lk 23,34)! Petrus stellt nach Pfingsten fest: „Nun, liebe Brüder, ich weiß, dass ihr’s aus Unwissenheit getan habt wie auch eure Oberen. Gott aber hat erfüllt, was er durch den Mund aller seiner Propheten zuvor verkündigt hat: dass sein Christus leiden sollte. So tut nun Buße und bekehrt euch, dass eure Sünden getilgt werden“ (Apg 3,17-19).

Abbildung 12 Die Südostecke der Stadtmauer von Jerusalem. Die an der Mauerecke eingebauten Steine geben eine gewisse Vorstellung von der Bedeutung der Ecksteine für die Stabilität und die ausrichtung der Mauern (Foto: Juli 1994).

Fragen / Aufgaben:

  1. Welche Bedeutungen haben diese einzelnen, aus der Landwirtschaft stammenden Bilder in biblischen Erzählungen, auch im aktuellen Gleichnis?
  2. Warum reagiert der Weinbergbesitzer nicht sofort mit einer Strafaktion?
  3. Warum reagiert der Weinbergbesitzer auch diesmal nicht mit einer Strafaktion, was sagt seine Zurückhaltung aus über seinen Charakter, seine Ziele?
  4. Macht der Weinbergeigentümer sich was vor, kennt er die Weingärtner so wenig, glaubt er wirklich an deren respektvolles Verhalten gegenüber dem Sohn, oder denkt er weiter?
  5. Welche Überlegungen stehen hinter solch einer Denkweise, ist es realistisch zu hoffen, dass der Hausherr das Ganze nun auf sich beruhen lässt? Fällt uns dabei eine alttestamentliche Geschichte ein (1Kön 21,1-29; 2Kön 9,25-26)?
  6. Wohin zielt die Frage von Jesus, warum sollen seine Zuhörer selbst die Antwort geben?
  7. Merken die Hohenpriester und Pharisäer nicht, dass sie mit dieser Antwort sich selbst das Urteil aussprechen?  
  8. Was ist die Besonderheit eines Ecksteins, seine Bestimmung, auf wen deutet Jesus diesen Eckstein?
  9. Was versteht Jesus unter der Bezeichnung „Reich Gottes“ und wer ist dieses andere Volk? Nehmen später auch die Apostel Bezug auf diese Worte von Jesus (Röm 10)?
  10. Was bedeutet die Aussage „den wird er zermalmen“?
  11. Warum sind sie so verhärtet, konnten sie nicht mehr zurück, oder wollten sie nicht?

Die zweite Betrachtung des Gleichnisses

Joachim Jeremias schreibt in Bezug auf dieses Gleichnis: Dieses an das Lied vom Weinberg (Jes 5,1-7) anknüpfende Gleichnis steht mit seinem allegorischen Charakter einzig da unter den synoptischen Gleichnissen von Jesus. Der Weinberg ist offensichtlich Israel, die Pächter seine Könige und Leiter, der Grundherr ist Gott, die Boten sind die Propheten, der Sohn ist Christus, die Bestrafung der Winzer versinnbildlicht die Verwerfung Israels, das andere Volk (Mt 21,43) ist die Gemeinde der Heiden (Jeremias 1998, 67f). Die Details haben eine erste und dann eine wesentliche zweite Bedeutung. In der Einleitung schildern die Evangelisten Markus (12,1) und Matthäus (21,33) die sorgfältige Anlage des Weinberges in engem Anschluss an das Lied Jesajas Vom Weinberg. Von dort stammen in der Fassung der LXX die Details wie Zaun, Kelter und Turm. Diese machen jedem Zuhörer deutlich, dass von Gott und Israel die Rede ist.

Der Evangelist Markus berichtet wie der Grundherr 3-mal sendet und jedes Mal werden die Boten misshandelt: verprügelt, durch Faustschläge ins Gesicht entehrt und dann getötet. Der Evangelist Markus steigert das „Mobbing“ stetig bis zum Höhepunkt: dem Mord. Der Evangelist Lukas berichtet die Tötung des dritten Knechtes und die weiteren Misshandlungen nicht. Der Evangelist Matthäus berichtet von der zweifachen Sendung einer Vielzahl von Knechten und deren Misshandlungen und der Sendung des Sohnes zum Schluss.

Die Schlussfrage Wenn nun der Herr des Weinbergs kommt, was wird er jenen Weingärtnern tun?“ findet sich bei allen drei Synoptikern. Sie knüpft an Jes 5 (aus LXX zitiert). Hier denken alle Zuhörer unwillkürlich an die erstaunliche Geduld des Grundherrn und an die sinnlose Hoffnung der Pächter, dass die Tötung des Sohnes sie in den Besitz des Weinberges bringen werde. Die Bezeichnung Sohn wurde von den Juden zurzeit von Jesus nicht ausschließlich als Messias Titel verstanden; er wird in der jüdischen Literatur auch auf den Patriarchen Jakob bezogen (Jes 9,6; 1Chr 17,13; 2Mose 4,22). Das Gleichnis schildert eine unzufriedene Stimmung der galiläischen Bauern gegen Großgrundbesitzer.

Da Jesus nicht vom Weinberg, sondern von den Pächtern spricht, hat er nicht das Volk als Ganzes im Fokus, sondern dessen Leiter aus dem Hohen Rat. Dieses sehr scharfe Drohwort an die Führer des Volkes, macht deutlich, dass das Heiligtum zur Räuberhöhle geworden ist (Mt 21,13). Nach Jesus ist das Maß der Schuld voll. Gott wird Rechenschaft fordern. Doch auch noch mit diesen Worten versucht Jesus die Leiter des Volkes noch im letzten Augenblick zu einer Wende zu bewegen – hütet euch, auch den letzten Gottesboten abzuweisen!

Fragen / Aufgaben:

(Lies bei Interesse auch zum Vergleich das viel spätere apokryphe Thomasevangelium Logion 65 (im ANHANG)

  1. Welche Details fallen auf? Was ist ihr zweiter Sinn?
  2. Warum wählt Jesus solch drastische Worte?
  3. Wo in der Geschichte des Volkes Gottes wird die „mobbing-Spirale“ deutlich?
  4. Für was macht Jesus die Leiter verantwortlich? Welche Motive unterstellt er ihnen?
  5. Welche Vorsorge können wir treffen, dass heute Gemeindeleiter, Leiter von Missionswerken, Gruppenleiter nicht auf Abwege geraten?

10.10 Das Gleichnis von der königlichen Hochzeit

(Bibeltext: Mt 22,1-14)

Das Gleichnis von der Königlichen Hochzeit hat im Lukasevangelium im Gleichnis vom Großen Abendmahl (Lk 14,15-24) seine Parallele. Es sieht so aus, dass Jesus zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten oft Gleiches oder auch Ähnliches gesagt hat. Zwar ist die große Linie dieselbe: Der Gastgeber (hier im Matthäusevangelium ein König) hat viele zum Hochzeitsmahl eingeladen, doch zur Festzeit entschuldigen sie sich kurzfristig aus verschiedenen Gründen. Da sich jedoch die Gleichnisse in vielen Einzelheiten unterscheiden, wollen wir sie getrennt betrachten.

10.10.1 Die mehrfache Einladung zum Hochzeitsmahl

(Bibeltext: Mt 22,1-10)

Dieses Gleichnis überliefert uns nur der Evangelist Matthäus, er schreibt:

Und Jesus antwortete und redete abermals in Gleichnissen (gr. parabolai,j parabolais) zu ihnen und sprach: Das Himmelreich gleicht (ähnelt) einem König, der seinem Sohn die Hochzeit ausrichtete. Und er sandte seine Knechte aus, die Geladenen zur Hochzeit zu rufen; doch sie wollten nicht kommen. Abermals sandte er andere Knechte aus und sprach: Sagt den Geladenen: Siehe, meine Mahlzeit habe ich bereitet, meine Ochsen und mein Mastvieh ist geschlachtet und alles ist bereit; kommt zur Hochzeit! Aber sie verachteten das und gingen weg, einer auf seinen Acker, der andere an sein Geschäft. Einige aber ergriffen seine Knechte, verhöhnten und töteten sie. Da wurde der König zornig und schickte seine Heere aus und brachte diese Mörder um und zündete ihre Stadt an. Dann sprach er zu seinen Knechten: Die Hochzeit ist zwar bereit, aber die Geladenen waren’s nicht wert. Darum geht hinaus auf die Ausfallstraßen und ladet zur Hochzeit ein, wen ihr findet. Und die Knechte gingen auf die Straßen hinaus und brachten zusammen, wen sie fanden, Böse und Gute; und die Hochzeit wurde gefüllt mit denen, die sich niederlegten. (Mt 22,1-10 frei übersetzt).

Die einleitenden Worte „(…) und Jesus antwortete und redete wieder in Gleichnissen zu ihnen und sprach“ (Mt 22,1) sind aufschlussreich: Jesus reagiert zwar nicht auf eine konkrete Frage, aber er antwortet auf die Situation – die feindliche Haltung der religiösen Autoritäten. Jesus vergleicht das Reich der Himmel mit der Hochzeit eines Königssohns. Das Reich der Himmel haben wir schon in Mt 4,23; 13,43; 20,1 als die freudige und herrliche Zeit in der Gott in Christus in der finalen Phase des Reiches im neuen Himmel und in der neuen Erde herrschen wird. Diese Freudenzeit wird bildlich dargestellt. Geladene kommen zu einem Mahl, legen sich auf Teppiche/Polster, sehen vor sich die herrlichsten Speisen und ein gepflegtes Tischgespräch unterhält alle. Hier in unserem Gleichnis wird das Fest als ein Hochzeitsfest beschrieben. Nach Richter 14,7-12 kann solch eine Hochzeit sieben Tage dauern, in der Regel jedoch 3-4 Tage (Joh 2,1ff). Der Königsohn soll heiraten, spielt aber sonst im Gleichnis kaum eine Rolle. König und Königssohn markieren hier die außerordentliche Wichtigkeit des Festes. Der Schwerpunkt liegt auf den zum Fest Geladenen.

Auch in diesem Gleichnis sind alle Gerufenen langfristig zur Hochzeit eingeladen worden und werden jetzt am Festtag zur Festeröffnung nochmals freundlich aufgefordert (wörtl. gerufen – kalesai, kalesai) zu kommen. Doch sie wollen nicht kommen – die stärkste Art einen Mitmenschen zu brüskieren! Hier lädt ein König ein – da muss im Verhältnis von Untertanen zum Herrscher etwas sehr schief liegen. Doch der sehr geduldige und großzügige König sendet andere Boten mit Erklärungen und der sehr demütigen Bitte: „(…) alles ist bereit. Kommt zur Hochzeit“ (Mt 22,4). Somit hatten die Gerufenen drei Einladungen gehört. Bibelleser merken, dass diese Schilderung nicht der Normalität jenes Kulturkreises entspricht. Sie merken auch, dass dieses Gleichnis eine Nähe zum vorherigen Gleichnis von den bösen Weingärtnern hat (Mt 21,33-45). Und auch dort entspricht das von Jesus geschilderte Verhalten der Pächter nicht der gewöhnlichen Erfahrung. In beiden Gleichnissen wird drei Mal eingeladen. Gott selbst sprach durch viele Propheten bis zu Johannes dem Täufer. Gott sprach durch Christus, die Zwölf, die Siebzig – doch Gott ist geduldig! Lies: Jer 7,13.25; 11,7; 25,3; Hes 18,23.32; 33,11; Lk 13,6-9; Röm 2,4; 9,22; 1Tim 1,16; 1Petr 3,20; 2Petr 3,15.

Doch die Eingeladenen reagieren auch auf die dritte Einladung gleichgültig (mein trister Alltag auf dem Feld oder im Laden ist mir wichtiger) und dann sogar feindlich bis verbrecherisch. Die Reaktion der Geladenen ist untypisch für Orientalen. Das muss den Zuhörern aufgefallen sein. Hätte der König die Steuern erhöht, wäre ihr Protest verständlich und nachfollziebar gewesen (lies dazu 2Chr 10,1-17). Aber hier geht es nicht um Steuererhöhung, sondern um die Einladung zu einem großen Fest – was für ein Privileg! Wer von seinen Zuhörern das vorhergehende Gleichnis mitbekommen hat, wird hier eine deutliche Parallele erkannt haben (Mt 21,45). Auch Stefanus wird später der Führung vorhalten: „Welchen der Propheten haben eure Väter nicht verfolgt?“ (Apg 7,52). Wir haben natürlich auch das Schicksal von Johannes dem Täufer im Sinn, wenn wir von Verfolgung, Mißhandlung und Totschlag der Propheten hören (Mt 17,12; 23,35). Doch Jesus macht in diesem Gleichnis seinen Zuhörern sehr deutlich: Gottes Geduld hat Grenzen. Lies 1Mose 6,3; Spr 29,1; Dan 5,22-31; Mt 21,40-44; Lk 13,9; Offb 2,21-22. Es scheint so, dass die Eingeladenen alle in einer eigenen Stadt wohnen, denn ein schreckliches Gericht ereilt diese: Tod und Feuer. Heutige Bibelleser denken dabei auch an Jerusalem 70 n.Chr. und die Eroberung durch Titus Flavius. Josephus berichtet darüber (Jüdische Kriege VI,250-253). Dies kam nicht von ungefähr, sondern Jesus sagte es voraus ()Mt 24,15ff). Man denke aber auch an das erste deutliche Warnsignal Gottes – die Eroberung Jerusalems durch die Babylonier im Jahre 586 v.Chr. bei der die Stadt und der Tempel zerstört und in Brand gesteckt wurden (2Kön 25,1-21; Esra 5,12).

Die ursprünglich Eingeladenen lehnten wiederholt die Einladung des Königs ab. Doch der König lässt sich nicht abhalten – die Feier findet auf jeden Fall statt. So geht die Einladung an die Menschen der Straßen. Ihr Status spielt keine Rolle – jeder wird zum Fest gebeten. Jeder jüdische Zuhörer aus der theologischen Elite sollte hier den zweiten Sinn verstehen: Andere – die Zölner und Sünder, die Samariter, die Nationen, werden ihre Einladung erhalten. Dieses universelle Heilsangebot ist ein zentrales Anliegen von Jesus und dann auch von seinen Nachfolgern (Lk 15,1f; Joh 10,16; Mt 21,31-32; 28,19: Lk 24,47; Röm 10,12-13; 1Kor 7,19; Gal 3,9; Eph 2,14.18; Phil 3,3; Kol 3,11). Vergessen wir jedoch nicht, dass Jesus selbst die Reihenfolge festgelegt hat, welche später auch seine Jünger eingehalten haben (zuerst die Juden, dann die Völker – fangt an in Jerusalem – Lk 24,47; Apg 1,8). Das Ergebnis der Einladung an alle auf den Strassen wird mit den Worten beschrieben: „Und der Hochzeitssaal wurde voll.“

10.10.2 Das fehlende hochzeitliche Gewand

Bibeltext: (Mt 22,11-14)

Dürfen wirklich alle von der Straße Eingeladenen feiern? Der Evangelist Matthäus geht in seiner Schilderung nahtlos über zu dem besonderen Vergleich mit dem fehlenden Hochzeitsgewand, wenn er die Erzählung von Jesus fortsetzt mit den Worten:

Da ging der König hinein, sich die (zu Tisch) Liegenden anzusehen, und sah da einen Menschen, der hatte kein hochzeitliches Gewand an, und sprach zu ihm: Freund, wie bist du hier hereingekommen und hast doch kein hochzeitliches Gewand an? Er aber verstummte. Da sprach der König zu seinen Dienern: Bindet ihm die Hände und Füße und werft ihn in die Finsternis hinaus! Da wird Heulen und Zähneklappern sein. Denn viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt. (Mt 22,11-14).

Hier wollen wir einigen Fragen nachgehen:

1.Frage: Warum redet der König den Menschen, der kein hochzeitliches Gewand anhatte, mit Freund an? Schließlich wirft man doch einen Freund nicht auf solch schmähliche Weise aus der Festgemeinschaft hinaus. Die Anrede `etai;re etaire` in der sehr knappen Vokativ Form (Rufform) kommt noch in Matthäus 20,13 und 26.50 vor und in keinem dieser drei Geschichten ist die angeredete Person Freund im tieferen Sinne von `file; mou phile moumein Freund`. Da Jesus auch durch dieses Gleichnjs Realitäten des Himmelreiches verdeutlichen will, ist in dem König sowohl Gott der Vater als auch der Sohn gemeint. Und Jesus redet nur die mit meine Freunde an, die seinen Willen tun (Joh 15,14-15: fi,loi mou philoi mou). Jedoch in allen drei Stellen, in denen diese ungewöhnliche Anrede gewählt wurde, ist das Verhalten der angeredeten Personen negativ, bei Judas in Matthäus 26,50 (vgl. Lk 22,48) sogar mit verräterischer Handlung verbunden. In der LXX wird dieser Begriff häufig in neutraler aber auch positiver Beziehung verwendet, allerdings nicht in der Rufform (Ri 4,17; 11,37; 2Sam 13,3; 2Sam 15,37; Hiob 8,13; 30,29; Dan 2,17). In der klassischen griechischen Literatur wird die Bezeichnung `etai;roj etairos als allgemeine Anrede an jemanden, dessen Namen man nicht weiss, verwendet. Es kann ins Deutsche  mit `Genosse, Kamerad, Freund, Gefährte` übersetzt werden (Walter Bauer 1971, 622).

Bei der Härte der verurteilenden Worte des Königs würde aber keines dieser vier Anredevarianten so richtig passen. es sei denn dass Jesus den Begriff `Freund` in sehr allgemeinem Sinne als blose Anrede gebrauchte.

2.Frage: Was ist der Sinn und die Bedeutung der hochzeitlichen Bekleidung?

Das hochzeitliche Gewand macht uns Schwierigkeiten im Verstehen. Wie kann man von Leuten, die auf den Straßen aufgelesen wurden, passende Hochzeitskleidung erwarten? Es wird jedoch ohne nähere Erklärung vorausgesetzt, dass der Gefragte in geeigneter Kleidung hätte erscheinen können. Es war wohl überflüssig extra zu betonen, dass der König für Bad und passende Festkleidung vorgesorgt hat (vgl. dazu Lk 15,22-24). Sowohl der König im Gleichnis, als auch der Herr in der Realität ist großzügig und vorsorglich den Bedürftigen gegenüber. Es lag eindeutig an dem Menschen, der die Festkleidung verweigerte, oder nachdem er sie angenommen hatte, wieder ablegte. Im Gleichnis wird nur ein Mann gefragt, wie er ohne hochzeitliches Gewand hereingekommen sei. Doch hier müssen matematische Vergleiche außen vor bleiben. Das Gleichnis hat an seinem jetzigen Platz und in seiner jetzigen Form keine Erklärung, so dass wir auf den gesamtbiblischen Kontext zurückgreifen müssen um eine mögliche Erklärung zu bekommen.

Kleider sind in der Bibel häufig Symbol für den Status eines Menschen, sie sagen aber auch etwas über sein Wesen aus, ebenso über seine Beziehung zu Gott. Hier einnige Beispiele:

  • 1Mose 3,7: „Da wurden ihnen beiden die Augen geöffnet, und sie erkannten, dass sie nackt waren; und sie banden sich Feigenblätter um und machten sich Schurze.“ Die Selbstgemachte Kleidung aus Feigenblättern wurde von Gott nicht anerkannt und er selbst machte für Adam und Eva Kleider aus Fellen (geschlachteter Tiere). So lesen wir in 1Mose 3,21: „Und Gott der HERR machte Adam und seiner Frau Kleider aus Fell und bekleidete sie.“ Sie nahmen diese von Gott gemachten Kleider an und wurden so mit Gott wieder in Gemeinschaft gebracht.
  • 2Mose 29,4ff: Aaron und seine Söhne sollten für ihren Dienst mit besonderer, von Gott vorgeschriebenen Bekleidung ausgestattet werden.
  • Wir lesen in Jesaja 61,3: „(…) um den Trauernden von Zion zu verleihen, dass ihnen Kopfschmuck statt Asche gegeben werde, Freudenöl statt Trauer und Feierkleider statt eines betrübten Geistes, dass sie genannt werden »Bäume der Gerechtigkeit«, eine »Pflanzung des HERRN« zu seinem Ruhm.“
  • In Jesaja 61,10 werden kostbare Kleider als Bild für Rettung und Gerechtigkeit durch den Herrn zugeteilt. So lesen wir: „Ich freue mich im HERRN, und meine Seele ist fröhlich in meinem Gott; denn er hat mir die Kleider des Heils (Rettung) angezogen und mich mit dem Mantel der Gerechtigkeit gekleidet, wie einen Bräutigam mit priesterlichem Kopfschmuck geziert und wie eine Braut, die in ihrem Geschmeide prangt.“ Auch hier ist von Bräutigam und der Braut die Rede – indirekter hochzeitlicher Bezug.
  • In Lukas 15,22-24 hören wir den Vater sagen: „Bringt schnell das beste Gewand her und zieht es ihm an und gebt ihm einen Ring an seine Hand und Schuhe an seine Füße und bringt das gemästete Kalb und schlachtet’s; lasst uns essen und fröhlich sein! Denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden; er war verloren und ist gefunden worden. Und sie fingen an, fröhlich zu sein.“
  • In Offenbarung 19,7-8 wird der Beginn der endgültigen und himmlischen Hochzeitsfeier bildhaft beschrieben und dabei die besondere Bekleidung der Braut (Gemeinde) hervorgehoben. Ausdrücklich heißt es, dass ihr diese Bekleidung gegeben wurde. „Lasst uns fröhlich sein und jubeln und ihm die Ehre geben! Denn die Hochzeit des Lammes ist gekommen, und seine Frau hat sich bereit gemacht.Und es wurde ihr gegeben, sich in feine Leinwand zu kleiden, rein und glänzend; denn die feine Leinwand ist die Gerechtigkeit der Heiligen.“
  • Ähnlich auch in Offenbarung 7,13-15: „Und einer der Ältesten antwortete und sprach zu mir: Wer sind diese, die mit den weißen Kleidern angetan sind, und woher sind sie gekommen? Und ich sprach zu ihm: Mein Herr, du weißt es. Und er sprach zu mir: Diese sind’s, die aus der großen Trübsal kommen und haben ihre Kleider gewaschen und haben sie hell gemacht im Blut des Lammes. Darum sind sie vor dem Thron Gottes und dienen ihm Tag und Nacht in seinem Tempel“.

Die Frage des Königs: „Wie bist du ohne Hochzeitskleid hereingekommen“ erweckt sogar den Eindruck, dass dieser Mensch sich mit einer Art List hereingeschliechen hatte. Es ist möglich, dass Jesus hier sagen will, dass sich einige zu den „Kindern des Reiches Gottes“ rechnen, die in Wirklichkeit aber eine ganz andere Gesinnung haben. Wenn dies stimmt, dann ist das Gleichnis vom Fehlenden hochzeitlichen Gewand eine Warnung gegen falsche Jüngerschaft. Nicht wer „Herr, Herr“ sagt (Mt 7,21) kommt ins Reich Gottes, sondern wer den Willen des himmlischen Vaters tut! Der Eingang und Verbleib im Reich Gottes ist nur nach den Bedingungen Gottes möglich. Gott bietet dem Menschen an seine Kleider zu wechseln. Er zieht aus die Kleider der Schuld und Sünde durch Vergebung und kleidet in seine Gerechtigkeit. Dies tut Er aufgrund des Sühnetodes seines Sohnes. Glauben bedeutet demnach des Königs Angebot anzunehmen.

3.Frage: Ist das Urteil des Königs nicht zu hart?

Der Befehl des Königs birgt in sich keinerlei Milde. „Bindet ihm Füße und Hände und werft ihn in die Finsternis hinaus, da wird Heulen und Zähneklappern sein“. Ähnliches sagte Jesus in einem anderen Zusammenhang und ohne gleichnishafte Verpackung in Lukas 13,23-30:

(…) Da wird das Heulen und das Zähneknirschen sein, wenn ihr Abraham, Isaak und Jakob und alle Propheten im Reich Gottes seht, euch selbst aber hinausgestoßen! Und sie werden kommen von Osten und von Westen, von Norden und von Süden, und zu Tisch sitzen im Reich Gottes. Und siehe, es sind Letzte, die werden Erste sein; und es sind Erste, die werden Letzte sein.“

Auch wenn diese Worte vordergründig den Zeitgenossen von Jesus gesagt wurden, so behalten sie ihre Gültigkeit für alle Menschen aller Zeiten. Der Autor des Hebräerbriefes schreibt: „wie viel schlimmerer Strafe, meint ihr, wird derjenige schuldig erachtet werden, der den Sohn Gottes mit Füßen getreten und das Blut des Bundes, durch das er geheiligt wurde, für gemein geachtet und den Geist der Gnade geschmäht hat?“ (Hebr 10,29). Das Angebot in Gottes Reich und an seinem Tisch mitzufeiern ist so gewaltig und für Gott so kostenintensiv, dass die Ablehnung oder Missbrauch der Einladung ein angemessenes und gerechtes Urteil nach sich zieht. (weitere Stellen dazu: Mt 8,11; 13,42; 13,49-50; 24,50).

4.Frage: Was bedeutet: „viele sind berufen aber wenige sind auserwählt“?

Diese zusammenfassende Schlussfolgerung von Jesus ist nicht leicht zu verstehen, hat sie doch mit der Erwählung durch Gott, aber auch mit der freien Willensentscheidung des Menschen zu tun. Die zwei griechischen Begriffe, welche hier verwendet werden sind: `,klhtoi kl¢toi – Berufene` im Nom. Pl. und `e,klektoi, eklektoi – Auserwählte` im Nom. Pl. Jesus macht eine Abstufung zwischen `berufen` und `auserwählt`, dementsprechend zwischen `Berufenen` und `Auserwählten`.

Ausgehend vom Gleichnis erging zunächst ein Ruf, eine Einladung (Berufung) zur Hochzeitsfeier an die, welche bereits eine Vorabeinladung (Erwählung) hatten. Auf jeden Fall hatten diese Menschen einen zeitlichen Vorsprung vor den anderen. Es war das Volk Israel in seiner Gesamtheit. So steht geschrieben in 5Mose 7,6-7:

Denn du bist dem HERRN, deinem Gott, ein heiliges Volk. Dich hat der HERR, dein Gott, erwählt, (e,xele,xato exelexato – auserwählt) dass du ihm zum Volk seines Eigentums wirst aus allen Völkern, die auf dem Erdboden sind. Nicht weil ihr mehr wäret als alle Völker, hat der HERR sich euch zugeneigt und euch erwählt – ihr seid ja das geringste unter allen Völkern -, sondern wegen der Liebe des HERRN zu euch, und weil er den Eid hielt, den er euren Vätern geschworen, hat.“ (vergl. auch mit Apg 13,17; „Gott hat unsere Väter auserwählt (e,xele,xato exelexato)“.

Doch es ist wichtig für uns zu beachten, dass die Auserwählung des Volkes durch Gott nicht um jeden Preis in Kraft bleibt, sondern an eine wesentliche Bedingung geknüpft wurde. Diese lautete: „Werdet ihr nun meiner Stimme gehorchen und meinen Bund halten, so sollt ihr mein Eigentum sein vor allen Völkern; denn die ganze Erde ist mein.“ (2Mose 19,5). Das gr. Verb für `auserwählt – exelexato ` hat in sich sozusagen zweimal die Präposition `ex`, was `aus, heraus` bedeutet. Es geht also um ein Aus-wählen aus dem Gesamten oder dem Allgemeinen. Israel wurde von Gott aus allen anderen Völkern aus Liebe und wegen des Eides an Abraham ausgewählt, danach aus Ägypten herausgerufen und herausgeführt. Dies tat Gott an diesem Volk jedoch nicht zu deren Selbstverwirklichung, sondern damit Gott zu seiner, ihm allein gebührenden, Ehre kommt und sein Name in aller Welt bekannt wird (5Mose 4,6-8; Jes 49,3: „Und er sprach zu mir: Du bist mein Knecht, Israel, durch den ich mich verherrlichen will.“ Hier zwar auf den kommenden Messias bezogen, doch ursprünglich war es die Aufgabe des Volkes Israel). Weil jedoch ein Teil aus diesem Volk, in erster Linie die Verantwortlichen, die Berufung und Erwählung nicht werthielten (Mt 21,43; 22,8;  Röm 11,20), darum wendet sich der König den anderen zu, denen auf der Strasse.

Natürlich denken wir da gleich an die Menschen aus den Völkern, doch sind die Menschen der Strasse nicht zunächst auch die Zöllner und Sünder, die verlorenen Schafe aus dem Hause Israel? So gebot Jesus seinen Jüngern: „geht nicht auf die Straßen der Heiden …, sondern geht hin zu den verlorenen Schafen aus dem Hause Israel.“ (Mt 10,6). Der gläubige Rest aus Israel wurde und wird gerettet werden, so auch später der Apostel Paulus in Römer 11,4-7: „Aber was sagt ihm (dem Elia) die göttliche Antwort? (1. Könige 19,18): »Ich habe mir übrig gelassen siebentausend Mann, die ihre Knie nicht gebeugt haben vor Baal.« So geht es auch jetzt zu dieser Zeit: Ein Rest ist geblieben, der erwählt ist aus Gnade (gemäß der Erwählung aus Gnade). Ist’s aber aus Gnade, so ist’s nicht aufgrund von Werken; sonst wäre Gnade nicht Gnade. Wie nun? Was Israel sucht, das hat es nicht erlangt; die Erwählten (die aus der Erwählung) aber haben es erlangt. Die Übrigen wurden verstockt.“

An Israel sehen wir, dass in der Auserwählung durch Gott, die freie Willensentscheidung des Einzelnen berücksichtigt wird. Entsprechend ist dann auch die Reaktion von Gottes Seite. Gott handelt nach bestimmten Prinzipien. „Auch die Engel, die ihren hohen Rang nicht bewahrten, sondern ihre Wohnstatt verließen, hat er für das Gericht des großen Tages aufbewahrt mit ewigen Banden in der Finsternis.“ (Judas 6).

In höchstem Maße ist sogar der Auserwählte (o e,klekto,j o eklektos) und Geliebte (,o agaphto,j o agaphtos)  – der Sohn Gottes ((Jes 42,1; Mt 12,18; Mt 3,17; 1Petr 2,4.6; Lk 9,35), der Prüfung, ja sogar der stärksten Versuchungen ausgesetzt worden (Mt 4,1-11; 26,39ff; Hebr 4,15; 1,7-8). So werden auch die Berufenen und Auserwählten den Prüfungen von Gott und den Versuchungen vom Bösen (eingeschränkt) ausgesetzt, damit ihre Treue zu Gott geprüft wird (1Petr 1,7; 1Kor 10,13; Mt 24,13.22.24).

Die Auserwählten `e,klektou,j eklektous`, werden von Jesus in der Endzeitrede hervorgehoben (Mt 24,22.24,31). Klar ist, dass die Auserwählten auch berufen wurden. Werden demnach nicht alle, welche berufen wurden auch das Ziel erreichen, also zu den Auserwählten gehören? Auch auf diese Frage gibt Jesus eine Antwort, denn er hat Einblick in das, was war, was ist und in das was sein wird (Joh 2,25; 6,64; Lk 13,28; Offb 3,4.16). Jesus sah die reale Entwicklung voraus:

  • Mt 7,14: „Wie eng ist die Pforte und wie schmal der Weg, der zum Leben führt, und wenige sind’s, die ihn finden!
  • Mt 24,12-13: „Und weil die Missachtung des Gesetzes überhandnehmen wird, wird die Liebe in vielen erkalten. Wer aber bis an das Ende geduldig ausharrt, wird gerettet werden.“
  • Offb 3,4: „Aber du hast einige in Sardes, die ihre Kleider nicht besudelt haben; die werden mit mir einhergehen in weißen Kleidern, denn sie sind’s wert.“

Wie können wir uns die Vorgehensweise von Gott vorstellen? Zunächst ist eindeutig, dass die Initiative von Gott ausgeht;

  • Wegen seiner Zielsetzung – dem Sohn eine Braut/Frau (Gemeinde) zuzuführen auserwählt er nach seinen Bedingungen (und aufgrund seines Vorherwissens) eine (für Menschen) unzählbare Schar (Eph 1,1-22; Offb 7,9).
  • Aufgrund von Gnade (nicht durch Verdienste der Menschen) und wegen seines Erbarmens sollen die vielen/alle die Möglichkeit des Heils bekommen (Mt 28,19: „allen Völkern“; Röm 5,15-19 „den Vielen“; 11,32 „aller erbarme“; 1Tim 2,4; 2Petr 3,9: „Gott will, dass alle Umkehren und gerettet werden“).
  • Zu verschiedenen Zeiten und unter den günstigsten Umständen ruft Gott jeden Menschen. Doch weil er selbst den Menschen mit der Fähigkeit der freien Willensentscheidung ausgestattet hat, beeinflusst diese den Ruf, die Berufung und Auserwählung (Jos 24,15; Joh 6,67).
  • In seiner Souverenität ruft, beruft und wählt Gott aus der Vielzahl bestimmte Menschen aus für die Verwirklichung seines Rettungsplanes. Es geht dabei um besondere Dienste: Abraham (1Mose 12), Mose (2Mose 3), David (1Sam 16), Johannes der Täufer (Lk 1; 3) Maria und Josef (Mt 1; Lk 1).
  • Aus der Vielzahl seiner Nachfolger rief, berief Jesus die zwölf Jünger (Mt 10; Mk 3). Diese (e,klexa,menoj eklexamenos – auserwählte er), so lesen wir in Johanner 15,16: „Nicht ihr habt mich auserwählt, sondern ich habe euch (e,xelexa,mhn exelexam¢n – auserwählt)“. Ähnlich bei Paulus (Apg 9). Dieselbe Initiative von Jesus wird mit denselben Begiffen auch in den übrigen Texten deutlich gemacht: Joh 6,70 13,18; 15,19 auch Apg 1,2.24. Es fällt dabei auf, dass Jesus zunächst eine Auswahl der Jünger getroffen hat und erst danach diese namentlich berief.
  • In Römer 8,33: bezogen im weiteren Sinne auf die (e,klektw,n eklektön – Auserwählten) Gottes in Rom. So auch in 1Kor 1,28: Gott hat euch (e,xele,xato exelexato – auserwählt). Eph 1,4: wie er euch (e,xele,xato exelexato – auserwählt) hat in ihm (in Christus) vor Grundlegung der Welt. Kol 3,12: (e,klektoi, eklektoi – Auserwählte) Gottes, Heilige und Geliebte. 1Tim 5,21; 2Tim 2,10: Den (e,klektou,j eklektous – Auserwählten). Tit 1,1: Den (e,klektw,n eklektön – Auserwählten) Gottes. Jak 2,5: Hat nicht Gott die Armen der Welt (e,xele,xato exelexato – auserwählt) die am Glauben reich sind? 1Petr 1,1: Die (e,klektoi,j eklektois – Auserwählten). 1Petr 2,9: Das (e,klekto,n eklekton – auserwählte) Geschlecht (bezogen auf das gesamte Volk Gottes in Anlehnung an 2Mose 19,5-6). Lk 18,7: seine Auserwählten retten. Röm 16,13: bezogen auf eine Einzelperson Namens Rufus. 2Joh 1,1: Die auserwählte Herrin.

Doch auch der, welcher den Ruf gehört und die Berufung angenommen hat, ist durch den Apostel Petrus  aufgefordert: „Darum, Brüder, befleißigt euch umso mehr, eure Berufung und Erwählung (gr. klh,sin kai e,klogh,n kl¢sin kai eklog¢n) festzumachen! Denn wenn ihr diese Dinge tut, werdet ihr niemals straucheln.“ (2Petr 1,10). Die Berufung und Auserwählung kann und wird durch den Glauben festgemacht und bewahrt, so in Offenbarung 17,14: „Die werden gegen das Lamm kämpfen, und das Lamm wird sie überwinden, denn es ist der Herr aller Herren und der König aller Könige, und die mit ihm sind, sind die Berufene und Auserwählte und Gläubige klh,toi kai e,klektoi kai pistoi, kl¢toi kai eklektoi kai pistoi.“ (weitere Stellen dazu: Mt 24,13; 1Petr 1,5; Offb 2,26).

Viele sind berufen“ kann also auf alle bezogen werden, „Wenige sind auserwählt“ – es sind nur die, welche den Ruf (die Berufung) angenommen haben und durch den Glauben ihre Rechtfertigung (Hochzeitsgewand) bewahren.

Fragen / Aufgaben:

  1. Wo und in welcher Umgebung erzählte Jesus dieses Gleichnis?
  2. Welche Unterschiede fallen dir ein, wenn du die Gleichnisse Vom großen Abendmahl und Von der königlichen Hochzeit vergleichst? Was haben diese Gleichnisse gemeinsam?
  3. Was hält die Eingeladenen damals wie heute vom Kommen ab?
  4. Sind in unserer Mitte die „von der Straße“ herzlich begrüßt und willkommen geheißen?
  5. Gehen wir noch auf die „Straßen und Kreuzungen“ um `Gute und Böse` einzuladen?
  6. Was symbolisiert das Gewand hier im Gleichnis? Welche weiteren Aussagen finden wir in der Bibel (Mk 9,3; Offb 3,4; 3,18; 22,14).
  7. Wen meint Jesus mit den `Berufenen` mit den `Auserwählten`?
  8. Können auch auserwählte straucheln, wieder verloren gehen?

10.11 Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist und Gott, was Gottes ist

(Bibeltexte: Mt 22,15-22; Mk 12,13-17; Lk 20,20-26)

Der Evangelist Matthäus (Markus und Lukas folgen ihm) berichtet, wie eine Abordnung aus der Gruppe der Pharisäer zusammen mit Gefolgsleuten des Vierfürsten Herodes zu Jesus kommen. Auslöser war ihre Verärgerung über Jesus, der in seinen Gleichnissen von den bösen Weingärtnern und der königlichen Hochzeit eindeutig auf die ablehnende Haltung der Führenden im Judentum und deren Folgen hinwies (Mt 21,45-46; 22,1-15a; Mk 12,1-13a; Lk 20,19-20a). Der Evangelist Matthäus schreibt:

Dann gingen die Pharisäer hin und hielten Rat, wie sie ihn bei einem Ausspruch fangen könnten. Und sie senden ihre Jünger mit den Herodianern zu ihm und sagen: Lehrer, wir wissen, daß du wahrhaftig bist und den Weg Gottes in Wahrheit lehrst und dich um niemand kümmerst, denn du siehst nicht auf die Person (auf das Gesicht) der Menschen. Sage uns nun, was denkst du: Ist es erlaubt, dem Kaiser Steuer (lat: census) zu geben, oder nicht? Da aber Jesus ihre Bosheit erkannte, sprach er: Was versucht ihr mich, Heuchler? Zeigt mir die Steuermünze! Sie aber überreichten ihm einen Denar (röm. Währung). Und er spricht zu ihnen: Wessen Bild (gr. ei,kw,neikön) und Aufschrift ist das? Sie sagen zu ihm: Des Kaisers. Da spricht er zu ihnen: Gebt denn dem Kaiser, was des Kaisers ist und Gott, was Gottes ist. Und als sie das hörten, wunderten sie sich und ließen ihn und gingen weg. (Mt 22,15-22).

Der Evangelist Lukas ergänzt: „Und sie beobachteten ihn und sandten Auflauerer aus, die sich stellten, als ob sie fromm (gerecht) seien, um ihn in der Rede zu fangen, damit sie ihn der Obrigkeit und der Macht des Statthalters überliefern könnten.“ (Lk 20,20). Aus Lukas 20,19 geht hervor, dass auch die Hohenpriester in diesen Rat einbezogen sind. Die Pharisäer gehen aber nicht selber zu Jesus, sondern schicken ihre Schüler zu ihm (Mt 22,16). Dies schien ihnen unauffälliger zu sein. Dass sie auch noch mit dem Herodes, der sich ebenfalls wegen des Passafestes in Jerusalem aufhält paktieren, ist nicht neu, wie wir aus Markus 3,6 erfahren. Für den Fall, dass ihr Plan aufgeht, brauchten sie auch hier die politische Macht um Jesus festzunehmen.

Die Evangelisten betonen sehr deutlich die Motive und Tricks der Gegner von Jesus. Es sind: Arglist, Bosheit, Heuchelei – vorgetäuschte Frömmigkeit und dies alles mit der Absicht, Jesus zu Fall zu bringen. Ebenso heben die Evangelisten hervor, dass Jesus sie durchschaut. Hier wird mal wieder deutlich, dass die sogenannten menschlichen Psychotricks von der Weisheit und Erkenntnis Gottes entlarvt werden.

Der Evangelist Lukas schließt ab mit der Ergänzung: „Und sie konnten ihn in seinem Wort vor dem Volk nicht fangen; und sie verwunderten sich über seine Antwort und schwiegen.“ (Lk 22,26).

Jesus lehrt gerade im Tempelbereich Jerusalems. Die beauftragten Schüler der Pharisäer sprechen als eigentliche Gegner gemeinsam Jesus an. Darum spricht Lukas von einem Auflauern und Markus davon, ihn in der Rede zu fangen. Sie geben ihrer Erwartung Ausdruck, dass Jesus gerade heraus antwortet, ohne auf jemand Rücksicht zu nehmen (Bruce, 180f). Die abgestimmte Frage bezieht sich darauf, ob die römischen Steuerforderungen in Übereinstimmung mit dem Gesetz für Israel, der Grundlage des jüdischen Volkes seien. Die Fragesteller erhoffen sich eine Antwort, die zur Anklage vor dem römischen Statthalter ausreicht (Lk 20,20).

Verschärft wurde diese Frage durch die Tatsache, dass in Galiläa die Steuern an den Sohn des Herodes des Großen: Herodes Antipas gezahlt wurde. Er war zwar unbeliebt, aber an ihm konnte man als Freund der Synagoge Steuern zahlen. In Judäa war zwar erst ein weiterer Sohn des Herodes des Großen als König (Etnarch-Volksfürst) eingesetzt, aber seine brutale Herrschaft wurde durch einen direkten römischen Statthalter abgelöst, dem man als Heiden nur sehr ungern Steuern zahlte. Das jüdische Volk war über lange Zeit an Steuerzahlungen an Fremdherrscher gewohnt. Selbst Propheten sahen, dass Gott diese Herrscher als Rute (Jes 5,10) zugelassen hatte, dem man als Anerkennung der Herrschaft Steuern zahlte (z.B. Neh 5,4). Zurzeit von Jesus gibt es aber Zeitgenossen, die der Ansicht sind, dass Gott allein der König Israels sei und man deshalb keinen heidnischen Herrscher durch Tributzahlungen anerkennen dürfe (Judas der Galiläer, Apg 5,37). Der Aufstand des Judas aus Galiläa wurde zwar niedergeschlagen, aber seine Ideen sind noch weit verbreitet.

Theologisch ist es also tatsächlich umstritten, ob man in Judäa im Gegensatz zur Diaspora Steuern an den römischen Statthalter zahlen solle. Der 10. Teil des Ertrages des Landes an den Tempel zu zahlen war selbstverständlich – aber darüber hinaus römische Steuern? Für viele Tempelbesucher war die Antwort ein offensichtliches: „NEIN!“ Solange Jesus in Galiläa war, war diese Frage nicht in der gleichen Weise akut – was auch immer er jetzt in Judäa antworten würde – er muss sich in Schwierigkeiten bringen! Ist Jesus ein schlechter Frommer und ein noch schlechterer Patriot oder ein Aufrührer gegen den römischen Statthalter?

Jesus lässt sich einen römischen Silberdenar bringen, mit der die römische Steuer bezahlt werden muss. Auf die Frage nach Bild und Aufschrift auf der Münze, geben die Fragesteller, dass dort Namen und Bild des Kaisers zu finden sei. Jesus gibt die klassisch prägnante Antwort:

„Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!.“ (Mt 22,21).

Mit dem Wort „geben“ können wir auch den Begriff: zurückgeben, was jemanden gehört“ verbinden.

Bedeutet dies die unausgesprochene Anerkennung der römischen Herrschaft? In gewisser Weise – ja! Jesus hat in keiner Form vor, die Unabhängigkeit Judäas von Rom auszurufen. Aber in anderer Hinsicht wollen streng gläubige Juden diese Münzen weder anschauen, geschweige denn besitzen, da dort ein Bild zu finden ist. Sie begründen dies mit 2Mose 20,4. Also taugen diese Münzen nicht für Gläubige und sollen schnell dorthin zurückgebracht werden, woher sie kamen. Der Anspruch Gottes wird durch ein solches Zurückgeben nicht verletzt.

Jetzt kommt es natürlich darauf an, zu erkennen, was denn alles „Gottes ist?“ Welche Ansprüche hat Gott im Himmel? Hier geht Jesus in der Karwoche wohl sehr viel radikalere Wege, als die Fragesteller ahnen können.

Jesus geht nicht in die Falle und kann sein Hauptanliegen nochmals klar formulieren.

Obwohl sie über die Antwort von Jesus sehr staunten und sich zurückzogen, werden sie in einigen Tagen die Steuerfrage vor Pilatus erneut vorbringen, diesmal in verdrehter Form als Anklagepunkt (Lk 23,2).

Fragen / Aufgaben:

  1. Wer tat sich da mit wem zusammen und mit welcher Zielsetzung?
  2. Wie bewertet Jesus ihre Herzenseinstellung und wie bezeichnet er sie?
  3. Warum wurde die Steuerfrage erst in Judäa so akut? Warum gerade nach dem öffentlichen Einzug von Jesus in Jerusalem?
  4. Warum wurden römische Münzen mit Namen und Bild des Kaisers geprägt?
  5. Wie verstehen wir 2Mose 20,4? Welche Begründung haben wir für unseren lockeren Umgang mit Abbildungen, Ikonen, Statuetten?
  6. Wie sollen sich Christen in Steuerfragen verhalten? Welche Hinweise geben uns dazu die Apostel des Herrn?
  7. Welche Ansprüche hat denn nun Gott in unserem Leben?

10.12 Gibt es die Auferstehung von den Toten? Was sagt Jesus dazu?

(Bibeltexte: Mt 22,23-33; Mk 12,18-27; Lk 20,27-40)

Die theologische Auseinandersetzung von Jesus mit den Sadduzäern über die Auferstehung der Toten wird in allen drei synoptischen Evangelien beschrieben.Die Texte ergänzen einander, wir folgen dem Bericht des Matthäus mit еrgänzenden Aussagen des Lukas.

An jenem Tag kamen Sadduzäer zu ihm, die da sagen, es gebe keine Auferstehung; und sie fragten ihn und sprachen: Lehrer, Mose hat gesagt: Wenn jemand stirbt und keine Kinder hat, so soll sein Bruder seine Frau heiraten und soll seinem Bruder Nachkommenschaft erwecken. Es waren aber bei uns sieben Brüder. Und der erste heiratete und starb; und weil er keine Nachkommenschaft hatte, hinterließ er seine Frau seinem Bruder. Ebenso auch der zweite und der dritte, bis auf den siebten. Zuletzt aber von allen starb die Frau. Wessen Frau von den sieben wird sie nun in der Auferstehung sein? Denn alle hatten sie. Jesus aber antwortete und sprach zu ihnen: Ihr irrt, weil ihr die Schriften nicht kennt noch die Kraft Gottes; denn in der Auferstehung heiraten sie nicht, noch werden sie verheiratet, sondern sie sind wie Engel im Himmel (Lk ergänzt: „die aber, die für würdig gehalten werden, jener Welt teilhaftig zu sein und der Auferstehung aus den Toten (….) denn sie können auch nicht mehr sterben, denn sie sind Engeln gleich und sind Söhne Gottes, da sie Söhne der Auferstehung sind). Was aber die Auferstehung der Toten betrifft: Habt ihr nicht gelesen, was zu euch geredet ist von Gott, der da spricht: „Ich bin der Gott Abrahams und der Gott Isaaks und der Gott Jakobs“? (Lk ergänzt: Dass aber die Toten auferweckt werden, hat auch Mose beim Dornbusch angedeutet, wenn er den Herrn „den Gott Abrahams und den Gott Isaaks und den Gott Jakobs“ nennt). Gott ist nicht der Gott von Toten, sondern von Lebenden (Lk ergänzt: denn für ihn leben alle). Und als die Volksmengen es hörten, erstaunten sie über seine Lehre. (Lk ergänzt:  „Da antworteten einige der Schriftgelehrten und sprachen: Meister, du hast recht geredet. Denn sie wagten nicht mehr, ihn etwas zu fragen“).  (Mt 22,23-33).

Abbildung 13 Die Sand- und Steinwüste im Wadi Rum ist keineswegs vegetationslos. Die Dornbüsche haben oft mehrere Meter tiefe Wurzeln.  (Foto: 6. November 2014).

Mose aber hütete die Schafe Jitros, seines Schwieger-vaters, des Priesters in Midian, und trieb die Schafe über die Wüste hinaus und kam an den Berg Gottes, den Horeb. Und der Engel des HERRN erschien ihm in einer feurigen Flamme aus dem Dornbusch. Und er sah, dass der Busch im Feuer brannte und doch nicht verzehrt wurde. Da sprach er: Ich will hingehen und diese wundersame Erscheinung besehen, warum der Busch nicht verbrennt.  

Als aber der HERR sah, dass er hinging, um zu sehen, rief Gott ihn aus dem Busch und sprach: Mose, Mose! Er antwortete: Hier bin ich. Er sprach: Tritt nicht herzu, zieh deine Schuhe von deinen Füßen; denn der Ort, darauf du stehst, ist heiliges Land! Und er sprach weiter: Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs. Und Mose verhüllte sein Angesicht; denn er fürchtete sich, Gott anzuschauen.“ (2Mose 3,1-6).

ANMERKUNG: Mit dem Hinweis auf den Dornbusch aus 2Mose 3,1ff (bei Markus und Lukas), unterstreicht Jesus wenn auch nur indirekt, die Historizität des Ereignisses in der Wüste am Berg Horeb.

Nun sind die Sadduzäer an der Reihe und sie kommen mit ihrem Anliegen zu Jesus. Es geht um die Frage der Auferstehung der Toten. Matthäus hebt gleich hervor, dass die Sadduzäer an die Auferstehung der Toten nicht glaubten (Mt 22,23). In der Apostelgeschichte 23,6-8 ergänzt Lukas: „(…), denn die Sadduzäer sagen, es gebe keine Auferstehung noch Engel noch Geist; die Pharisäer aber bekennen beides.“ Die Sadduzäer beginnen mit: „Lehrer, Mose hat geboten“, damit bringen sie zum Ausdruck, dass ihnen die Schriften des Mose bekannt sind und sie diese als Grundlage für ihre Lebenspraxis anerkennen. Die sogenannte Schwagerehe ist im Gesetz geregelt gewesen, damit Grundbesitz einer Familie, einer Sippe oder eines Stammes nicht verlorengeht (5Mose 25,5-9). Liebe oder Zuneigung bei der Heirat spielten eher eine untergeordnete Rolle, sachliche und wirtschaftliche Gründe überwogen. Bereits vor der Gesetzgebung am Sinai waren solcherlei Gepflogenheiten in der Praxis, wie die kuriose Geschichte aus 1Mose 38,6ff nahe legt. Aus der Richterzeit ist eine eher romantische Geschichte von Ruth und Boas überliefert worden (Ruth 4,1ff).

Ob die Geschichte mit der die Sadduzäer Jesus beeindrucken wollen echt oder erdacht war, lässt sich nicht feststellen. Immerhin sagen sie: „es waren bei uns sieben Brüder“. Was jedoch klar ist, die Sadduzäer wollen Jesus in eine theologische Schwierigkeit bringen, um ihren Standpunkt gegenüber den Pharisäern (die dabeistanden) zu rechtfertigen. Jesus kennt ihre Motive und daher geht er mit ihnen nicht gerade zimperlich um. In diesem Fall weist er auf ihre totale Verirrung hin und dies aus zwei wichtigen Gründen. Sie wissen oder kennen  die Schriften nicht, noch die Kraft Gottes.

Und nun beginnt Jesus mit der Klärung der Missverständnisse. Er macht unmissverständlich klar:

  • Dass die Ehe und die damit einhergehenden Rechtsbestimmungen nur für dieses irdische Leben in Kraft sind;
  • Dass Diejenigen, welche würdig sind die himmlische Welt und die Auferstehung von den Toten zu erreichen (gemeint sind hier die Gläubigen) werden den Engeln gleichen, so der griechische Begriff `i,sa,ggeloi isangeloi. Die geschlechtsspezifischen Merkmale und Verhaltensweisen sind dort aufgehoben.
  • Dass sie Söhne Gottes sind;
  • Dass sie Söhne der Auferstehung sind und daher nicht mehr sterben können.

Was für klare Aussagen von dem, der aus jener Welt kommt und davon genaue Kenntnis hat. Da die Sadduzäer sich hauptsächlich auf die fünf Bücher Moses, die Thora stützten, fehlte ihnen der Zugang zu vielen wichtigen Aussagen zum Thema Auferstehung aus den Psalmen und den Propheten, wie zum Beispiel:

  • Psalm 16,9-10: „Darum freut sich mein Herz, und meine Seele ist fröhlich; auch mein Leib wird sicher wohnen. Denn du wirst meine Seele nicht dem Tode lassen und nicht zugeben, dass dein Heiliger die Grube sehe (LXX: verwese).“
  • Jesaja 26,19: „Aber deine Toten werden leben, deine Leichname werden auferstehen. Wachet auf und rühmet, die ihr liegt unter der Erde! Denn ein Tau der Lichter ist dein Tau, und die Erde wird die Schatten (Totengeister) herausgeben.“
  • Daniel 12,2 „Und viele von denen, die im Staub der Erde schlafen, werden aufwachen; die einen zum ewigen Leben, die anderen zur ewigen Schmach und Schande.“
  • Daniel 12,13: „Du aber, Daniel, geh dem Ende entgegen, und ruhe, bis du aufstehst zu deinem Erbteil am Ende der Tage!
  • Weitere (wenn auch indirekte) Hinweise auf die ‚Auferstehung der Toten finden wir in 2Mose 32,32-33; Psalm 17,15; 69,29; Hesekiel 37,1-14; Hosea 6,2. Die Verheißung eines neuen Himmels und einer neuen Erde in Jesaja 65,17-19; 66,22 macht nur Sinn, wenn es die Auferstehung von den Toten gibt.

Diese Schriftaussagen waren den Sadduzäern nicht bekannt oder sie hatten für sie nicht den gleichen Stellenwert wie die fünf Bücher Moses. Doch Jesus macht sie aufmerksam auf eine wesentliche Aussage aus den Schriften, welche sie anerkannten.

Nun führt Jesus seine Zuhörer in die göttliche Hermeneutik ein. Denn die Schrift birgt in sich göttliche Gedanken. Die Beachtung grammatischer Details erschließt tiefe göttliche Inhalte. Durch die Redewendung: „Ich bin der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs. Gott ist nicht ein Gott der Toten, sondern der Lebenden, denn sie leben ihm alle“, wird zum einen das ewige, immerwährende Sein Gottes bekräftigt und zum anderen die unaufhörliche Existenz der genannten Personen angedeutet. Sogar noch mehr, es besteht eine Wechselbeziehung zwischen Gott und den entschlafenen Gläubigen.

Am Ende des Gesprächs breitet sich ein Staunen aus unter der Volksmenge. Den Fragestellern bekräftigt Jesus noch einmal: „darum irret ihr sehr“. Die Sadduzäer können mit solch einem Lehrer und dessen vollmächtiger Schriftauslegung nicht mithalten, sie trauen sich nicht, weitere Fragen zu stellen. Wahrscheinlich zogen sie sich beschämt zurück. Aus der Gruppe der Pharisäer, die diese Diskussion sicherlich aufmerksam mitverfolgten, kommt eine positive Reaktion. „Lehrer, du hast gut geredet“. In dieser so wichtigen theologischen Wahrheit wissen sie sich von Jesus bestätigt.

Fragen / Aufgaben:

  1. Welche Gruppe aus den Juden wollte Jesus in eine theologische Falle führen?
  2. Was glaubten sie, bzw. was glaubten sie nicht im Gegensatz zu den Pharisäern?
  3. Wie ist es zu erklären, dass bei der Vielzahl direkter und indirekter Aussagen über die Auferstehung von den Toten in den Psalmen und Propheten, die Sadduzäer daran nicht glaubten?
  4. Wie ist es mit der Geschichte, welche sie Jesus vortrugen, könnte sie in echt gewesen sein?
  5. Suche im Alten Testament nach Textstellen, in denen diese besonderen Fälle der sogenannten Schwagerehe geregelt werden.
  6. Wie reagiert Jesus auf das Anliegen der Sadduzäer?
  7. Welchen Einblick gibt Jesus in jene Welt und was hat dies mit der Ehe hier auf Erden zu tun?
  8. Wie begründet Jesus seinen Standpunkt in Bezug auf die Auferstehung der Toten?
  9. Sind die Sadduzäer zufrieden mit der Antwort von Jesus? Wie reagiert die Menschenmenge? Wie reagieren die Pharisäer?
  10. Wie fest ist unsere Zukunftshoffnung? Wie glaubhaft ist unser Zeugnis für das ewige Leben?

10.13 Lehrer, welches ist das erste und größte Gebot im Gesetz?

(Bibeltexte: Mt 22,34-40;  Mk 12,28-34)

Nach den Sadduzäern (Mt 22,23) kommen wieder Vertreter der Pharisäer zu Jesus. Im Gegensatz zu den Sadduzäern glauben Pharisäer an eine Auferstehung der Toten (Apg 23,6-8). Trotz mancher gemeinsamer Lehrmeinungen mit Jesus (Mt 23,3) berichten uns die Evangelisten von ihrer Ablehnung des Messias Jesus Christus. So schreibt der Evangelist Matthäus:

Als aber die Pharisäer hörten, dass er den Sadduzäern das Maul gestopft hatte, versammelten sie sich. Und einer von ihnen, ein Lehrer des Gesetzes, versuchte ihn und fragte: Meister, welches ist das höchste (große, größte) Gebot im Gesetz? Die Antwort von Jesus (bei Markus) lautete: Das erste Gebot ist das: »Höre, Israel, der HERR, unser Gott, ist HERR einer (der Einzige)). Mt: Jesus aber sprach zu ihm: »Du sollst lieben den HERRN, deinen Gott, von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt« (5. Mose 6,4-5). Dies ist das höchste (große, größte) und erste Gebot. Das andere aber ist dem gleich (ähnlich): »Du sollst lieben deinen Nächsten wie dich selbst« (3. Mose 19,18). In diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten. (Mt 22,34-40).

Nach einer Zusammenkunft der Pharisäer, tritt einer aus ihrer Gruppe gezielt vor Jesus. Er hatte mitbekommen, wie treffend Jesus den Sadduzäern geantwortet hatte. Wahrscheinlich spricht er im Auftrag und Absprache mit den anderen und stellte Jesus due Frage nach dem ersten Gebot. Der Evangelist Matthäus beschreibt ihn hier mit dem seltenen Begriff Gesetzeslehrer, Gesetzeskundiger (gr. nomiko,j – nomikos), Die Überlieferung dieses Wortes ist in den besten griechischen  Handschriften uneinheitlich. Markus bezeichnet sie schlicht als Schriftgelehrte (gr. grammateu,j – grammateus). Wir haben den Eindruck aus dem folgenden Gespräch, dass ein beiderseitiger Respekt die Grundlage für dieses Gespräch bildet. Trotzdem schreibt Matthäus, dass dieser Gesetzeslehrer Jesus versuchte. Das griechjsche Verb `peira,zwn – peirazön` kann Versuchung (negativ) oder auch Prüfung (positiv) bedeuten. Die vorangegangene Absprache in der Gruppe der Pharisäer erweckt den Eindruck, dass mit der Frage des Gesetzeslehrers Jesus herausgefordert werden sollte. Wird er sich zu dem einen HERRN/Gott bekennen? Sie werden keinesfalls vergessen haben, dass er sich als Gottes Sohn ausgab und Gott seinen eigenen Vater nannte (Joh 10.36; Joh 2,16; 5,17-19; 5,43.45; 6,32.40; 8,19.38.49.54; 10,15.18.25.29.37; 12,26; 14,2.7.21.23.26; 15,1). Dies war für sie Gotteslästerung und des Todes würdig.

Zweifellos aber standen viele der Pharisäer mit ihrer Erkenntnis dem Reich Gottes nahe (Joh 3,1-2; Mt 23,3). Die Frage dieses eher noblen Zeitgenossen passt gut zu einem Denkrahmen: die im späteren Judentum zu 613 Geboten, davon 248 positiv und 365 negativ, zusammengefasst werden. „Lehrer, welches ist das größte Gebot im Gesetz“ (Mt 22,36)? Die Frage nach dem Superlativ der Gebote ist wesentlich, um eine Rangfolge erstellen zu können. Nach Markus antwortet Jesus mit den einprägsamen Worten des Sch`ma Israel aus 5Mose 6,4-5: „Höre, Israel, der HERR, unser Gott, ist HERR einer (ei-j eis  – einer, Einziger) – im gr. als Zahlwort im Maskulinum (so auch in Eph 4,6; 1Tim 2,5). Für Jesus war es überhaupt kein Widerspruch zwischen: es gibt nur einen HERRN / Gott und der Aussage: „ich und der Vater sind eins“ (Joh 10,30 als Zahlwort oder: „ich bin Gottes Sohn“ (Joh 10,36).

Matthäus fährt fort mit den Worten von Jesus über die Einzigartigkeit der Beziehung des Menschen zu Gott: „Du sollst lieben den HERRN, deinen Gott, mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deinem ganzen Verstand. (Mk ergänzt: „und mit all deiner Kraft). Dies ist das größte und erste Gebot. Das zweite aber ist ihm gleich (gr. o,moi,aomoiaähnlich): «Du sollst lieben deinen Nächsten wie dich selbst.» An diesen zwei Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten“ (Mt 22,37-40).

Jesus lehrt hier, dass das gesamte geistlich-moralische Gesetz in einem Wort zusammengefasst werden kann: Liebe! (Röm 13,9; 1Kor 13,1-13). Jesus weist auf die Ausrichtungen dieser Liebe: auf Gott hin (5Mose 6,4-5) und auf den Nächsten (3Mose 19,18). Herz, Seele, Verstand und Kraft in ihrer Ganzheit wirken zusammen diese Gottesliebe:

Herz (gr. kardi,a – kardia): der Sitz der Persönlichkeit, die Schaltzentrale des menschlichen Seins, sein Geist

Seele (gr. yuch, – psych¢): der Sitz der Gefühle, die Summe der Empfindungen (der Begriff wird auch für das physische Leben verwendet). Man könnte sagen: die Einheit von Leib und Geist (Odem von Gott) ergibt lebendige Seele (1Mose 2,7)

Verstand (gr. dianoi,a – dianoia): das Denkvermögen, das Unterscheidungsvermögen, die Weisheit des Lebens

Bei Markus lesen wir, dass diese Liebe aus „deiner ganzen Kraft (gr. iscu,oj – ischyos)auf Gott ausgerichtet sein soll. Hier ist kein Platz für jede Art von Halbherzigkeit. Wenn Gott seinen Sohn gibt – sich selbst gibt, wie kann dann der Mensch ein wenig lieben (Eph 5,1.2)? Und die Liebe zum Nächsten in der Art und Weise sein soll, wie die Liebe zu sich selbst. Zur Zeit des Reiches Israel war das Gebot der Nächstenliebe in der Praxis eingeschränkt. Christus zeigt in seinem Umgang mit verschiedenen Menschen ganz praktisch wer für ihn der Nächste ist und klärt eindeutig darüber auf, was es heißt seinen Nächsten zu lieben – lies hier Lk 10,29-37. Doch auch die Basis: sich selbst lieben findet in seiner Lehre Beachtung (Mt 7,12).

Die vollmächtige Schriftauslegung von Jesus, hat tiefe Wirkung auf den Schriftgelehrten, entsprechend ist seine Reaktion. Er antwortete seinerseits mit: „Recht (gut), Lehrer, du hast nach der Wahrheit geredet; denn er ist einer (er ist der Einzige), und es ist kein anderer außer ihm;“ Im folgenden wiederholt der Schriftgelehrte das Gebot der Gottesliebe und Nächstenliebe mit dem Zusatz: dies „ist viel mehr als alle Brandopfer und Schlachtopfer.“ (Mk 12,32-33; 1Sam 15,22; Ps 51,18-19; Hos 6,61). Ein bewegender Augenblick tritt ein, denn nicht allzu oft gab es solch vollkommene Übereinstimmung in einer zentralen theologischen Frage. Und es folgt eine Bemerkenswerte Schlussfolgerung von Jesus: „Und als Jesus sah, dass er vernüftig antwortete, sagte er ihm: Du bist nicht ferne vom Reich Gottes. Und es wagte niemand mehr, ihn zu befragen.“ (Mk 12,34). Jesus hat immer die besten Antworten und daher wird er auch immer das letzte Wort haben. Es scheint, als ob der Fragekatalog an Jesus zu Ende ist, aber wie ist es bei Jesus, hat er noch Fragen an die Menschen? Siehe nächsten Abschnitt.

Fragen / Aufgaben:

  1. Welche Karikaturen von Pharisäern kennen wir? Treffen diese immer und auf alle zu?
  2. Warum steckt in uns selbst so viel von einem Pharisäer?
  3. Warum ist die Frage nach dem höchsten Gebot auch heute im Alltag wesentlich?
  4. Welchem Gottesbild, Gottesvorstellung begegnen wir heute? Wie stellt Jesus den einen Herrn und Gott vor?
  5. Wie antworten wir auf den Vorwurf – ihr Christen glaubt an drei Götter.
  6. Können wir mit Liebe wirklich der Not dieser Welt begegnen? Ist Liebe nicht zu etwas romantischem eingeengt worden?
  7. Was heißt es mit aller Kraft aus Herz, Seele und Verstand zu lieben?
  8. Was heißt es in geistlicher Weise und ausgewogen sich selbst zu lieben?
  9. Sind die Pharisäer mit der Antwort von Jesus zufrieden geblieben? Wie war die Reaktion des Schriftgelehrten?
  10. Wie genau weis Jesus den wahren Stand eines Menschen? Was bedeutet es für uns?

10.14 Wessen Sohn ist der Messias / Christus?

(Bibeltexte: Mt 22,41-44; Mk 12,35-37; Lk 20,41-44; Ps 110,1)

Jesus befindet sich, wie der Evangelist Markus betont immer noch auf dem Tempelgelände. Nun ist er dran den Pharisäern eine Frage zu stellen und zwar in Gegenwart des Volkes. So schreibt der Ev. Markus:

Und während Jesus im Tempel lehrte, hob er an und sagte: Wieso sagen die Schriftgelehrten, daß der Christus Davids Sohn ist? Er selbst, David, hat im Heiligen Geist gesagt: (Lukas ergänzt: „im Buch der Psalmen): „Der HERR hat gesagt zu meinem Herrn: Setze dich zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde unter deine Füße lege!“ Er selbst David, nennt ihn Herr, und woher ist er sein Sohn? Und die zahlreiche Menge hörte ihn gern. (Mk 12,35-37).

Nach Markus wendet sich Jesus ganz allgemein an die zahlreiche Menschenmenge, die im Tempel versammelt war und ihn gerne hörte. Dabei zitiert er die Schriftgelehrten in deren Auslegung über die Herkunft und Identität des Messias.

Der Ev. Matthäus ergänzt: „Als aber die Pharisäer versammelt waren, fragte sie Jesus und sagte: Was meint ihr über den Christus? Wessen Sohn ist er?“ Gezielt stellt Jesus die Frage an die Pharisäer, aus deren Reihen haptsächlich die Schriftgelehrten kommen. Er fordert sie zum Nachdenken heraus. Anstatt aber nachzudenken und ganz neu zu überlegen, antworten sie prompt mit der Standartaussage ihrer Schriftgelehrten. „Sie sagten zu ihm: – Davids.Dabei stützte man sich wohl auf Aussagen wie zum Beispiel:

  • 2Sam7,11-14a: Wenn nun deine Zeit um ist und du dich zu deinen Vätern legst, will ich dir einen Nachkommen erwecken, der von deinem Leibe kommen wird; dem will ich sein Königtum bestätigen. Der soll meinem Namen ein Haus bauen, und ich will seinen Königsthron bestätigen ewiglich. Ich will sein Vater sein, und er soll mein Sohn sein.
  • Jeremia 23,5: „Siehe, es kommt die Zeit, spricht der HERR, dass ich dem David einen gerechten Spross erwecken will. Der soll ein König sein, der wohl regieren und Recht und Gerechtigkeit im Lande üben wird.“ (ähnlich auch Jer 33,15).

Wenn sie sich auf diese Aussagen stüzten, dann dachten sie auch nicht falsch, sogar der Engel Gabriel zitiert (wenn auch nur auszugsweise) die Verheißung aus 2Samuel 7,12-14 im Gespräch mit Maria (Lk 1,31ff). Doch bestimmte Schriftaussagen blieben den Schriftgelehrten in ihrer tiefen Bedeutung verborgen. Und darin offenbart sich die Weisheit Gottes in seinem Sohn, weil nur er imstande ist die göttlichen Gedanken Gottes, die unter der Oberfläche des Buchstabens verborgen lagen, ans Licht zu bringen (Mt 11,27). Dies trifft auch auf den von Jesus zitierten Psalm 110,1 zu. „Er sagte zu ihnen: Wie nennt ihn denn David im Geist (Mk: „im Heiligen Geist“) Herr, wenn er sagt:Der HERR sprach zu meinem Herrn: / »Setze dich zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde zum Schemel unter deine Füße legeWenn nun David ihn Herr nennt, wie ist er denn sein Sohn?“ (Mt 22,44-45). Des Rätsels Lösung ist für die Pharisäer nicht möglich, weil sie den Messias nur als einen irdischen, menschlichen Erlöser und König ansahen. Da Jesus sich bereits mehrmals in der Öffentlichkeit als Sohn Gottes zu erkennen gab (Joh 5,17-19; 10,30-36), tut er es an dieser Stelle nur indirekt. Sie sollen selber darüber nachdenken und ihre Erkenntnisse überprüfen. Weil niemand weitere Fragen stellt, bleint offen, inwieweit sie Jesus verstanden haben oder verstehen wollten.

ANMERKUNG: Damit der Bibelleser erkennen kann, an welcher Stelle in der hebräischen Bibel `JHWH` steht, schreiben einige deutsche Übersetzungen `HERR` mit Großbuchstaben, wo `Adonai` steht, mit `Herr` kleingeschrieben.

An dieser Stelle ist es dran über die Bedeutung und Inhalt der beiden Begriffe `HERR, bzw, Herr` aus Psalm 110,1  nachzudenken. In den griechischen Text des Neuen Testamentes in denen Psalm 110,1 zitiert wird, steht: „ei,pen o ku,rioj tw, kuriw, mou – eipen o kyrios tö kyriö mou – es sprach der Herr zu meinem Herrn“. Im hebräischen Text des Alten Testamentes stehen die Begriffe „נאם יהוה לאדני – spricht JHWH zu Adonai (meinem Herrn). Wie auch immer heute im Judentum `adonai` verwendet wird, die Übersetzer des hebräischen Alten Testamentes (der LXX) übersetzten `adonai` aus (Ps 110,1) mit `kyriö mou – zu meinem Herrn`. Und diese Übersetzung haben auch die neutestamentlichen Autoren übernommen (Mt 22,44; Mk 12,36; Lk 20,42; Apg 2,34).

ANMERKUNG: Nach 2Mose 6,3 war der Name Gottes JHWH den Vätern Abraham, Isaak und Jakob nicht offenbart. Wenn wir trotzdem diesen Namen im ersten Mosebuch vorfinden, dann war es Mose, der nachträglich die Urgeschichte aufgeschrieben hat. Erst dem Mose offenbarte sich Gott unter diesem Namen, so lesen wir in 2Mose 3,13-15: „Mose sprach zu Gott: Siehe, wenn ich zu den Israeliten komme und spreche zu ihnen: Der Gott eurer Väter hat mich zu euch gesandt!, und sie mir sagen werden: Wie ist sein Name?, was soll ich ihnen sagen?  Gott sprach zu Mose: Ich werde sein, der ich sein werde. Und sprach: So sollst du zu den Israeliten sagen: »Ich werde sein«, der hat mich zu euch gesandt. Und Gott sprach weiter zu Mose: So sollst du zu den Israeliten sagen: Der HERR (JHWH), der Gott eurer Väter, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks, der Gott Jakobs, hat mich zu euch gesandt. Das ist mein Name auf ewig, mit dem man mich anrufen soll von Geschlecht zu Geschlecht.“ Und etwas später lesen wir: „Da stieg der HERR in der Wolke herab, und er trat dort neben ihn und rief den Namen des HERRN aus. Und der HERR ging vor seinem Angesicht vorüber und rief: Jahwe, Jahwe, Gott, barmherzig und gnädig, langsam zum Zorn (großmütig) und reich an Gnade und Treue (Wahrheit).“ Mit seinem Namen offenbart Gott seine Wesenszüge.

Da man es im Judentum aus Angst vor Missbrauch vermied den Namen Gottes `JHWH` auszusprechen, verwendete man dafür die Anrede `Adonai`. So wundert es nicht, dass man im griechischen Alten Testament sowohl die Anrede (אדני – Adonai) als auch den Namen Gottes (יהוה – JHWH) mit `kyrios – Herr` übersetzte und sie damit in Bezug auf Gott gleichstellte. Daher werden sie auch als Synonyme verwendet. Hier einige Beispiele als Begründung.

  • 1Mose 15,2+8: „Abram sprach aber: „Herr HERR, (Adonai JHWH) was willst du mir geben?“ Oder: „Abram aber sprach: Herr HERR (Adonai JHWH), woran soll ich merken, dass ich’s besitzen werde?“ Zuerst kommt die ehrerbietende Anrede `mein Herr` und dann nennt er den Eigennahmen `JHWH`, dabei handelt es sich um dieselbe Person.
  • 1Mose 18,1: „Und der HERR (JHWH) erschien ihm bei den Terebinthen von Mamre“. 1Mose 18,2-3: „sobald er sie sah, lief er ihnen vom Eingang des Zeltes entgegen und verneigte sich zur Erde und sagte: Herr (Adonai – mein Herr), wenn ich denn Gunst gefunden habe in deinen Augen, so geh doch nicht an deinem Knecht vorüber!“ JHWH besucht Abraham im Hain Mamre (bei Hebron) in Begleitung zweier Boten. Abraham redet `JHWH` in Vers 3 mit `Adonai` an. Im folgenden Verlauf des Gesprächs (Verse 13,17.20.22.33) ist die von Abraham in Vers 3 angeredete Person immer `JHWH`. Es handelt sich hier um dieselbe Person. Jesus bestätigt, dass der Messias von Abraham gesehen wurde. In Johannes 8,53-59 fragen die Pharisäer Jesus: „Bist du etwa größer als unser Vater Abraham, der gestorben ist? Und die Propheten sind gestorben. Was machst du aus dir selbst? Jesus antwortete: Wenn ich mich selbst ehre, so ist meine Ehre nichts; mein Vater ist es, der mich ehrt, von dem ihr sagt: Er ist unser Gott.  Und ihr habt ihn nicht erkannt, ich aber kenne ihn; und wenn ich sagte: Ich kenne ihn nicht, so würde ich euch gleich sein: ein Lügner. Aber ich kenne ihn, und ich bewahre sein Wort. Abraham, euer Vater, jubelte, dass er meinen Tag sehen sollte, und er sah ihn und freute sich. Da sprachen die Juden zu ihm: Du bist noch nicht fünfzig Jahre alt und hast Abraham gesehen? Jesus sprach zu ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ehe Abraham war (wurde), bin ich.“ Das ist ein Hinweiss, dass der dem Abraham Erschienene `Herr` Christus war.
  • Jesaja 6,1: „Im Todesjahr des Königs Usija, da sah ich den Herrn (hebr.: אדני – Adonai) sitzen auf hohem und erhabenem Thron,“ Jesaja 6,3: „Und einer rief dem andern zu und sprach: Heilig, heilig, heilig ist der HERR  (hebr.: יהוה – JHWH) der Heerscharen!“ Jesaja 6,5: „Da sprach ich: Wehe mir, denn ich bin verloren. Denn ein Mann mit unreinen Lippen bin ich, und mitten in einem Volk mit unreinen Lippen wohne ich. Denn meine Augen haben den König, den HERRN (hebr.: יהוה – JHWH) der Heerscharen, gesehen.“ Jesaja 6,8: „Und ich hörte die Stimme des Herrn (hebr.: אדני – Adonai), der sprach: Wen soll ich senden, und wer wird für uns Bote sein.“ Zweimal wird dieselbe Person auf dem erhabenen Thron bei seinem Eigennamen (JHWH) genannt oder angerufen und zweimal einfach nur mit der ehrenvollen Anrede `Adonai`. In Johannes 12,39-41 bestätigt Jesus, dass Jesaja die Herrlichkeit (des Messias) gesehen hat: „(…). Dies sprach Jesaja, weil er seine Herrlichkeit sah und von ihm redete.“ (Jes 6,9-10). Da niemand jemals Gott gesehen hat, kann hier nur von dem Messias, dem Gottessohn die Rede sein (2Mose 33,20; Joh 1,18; 6,46; 1Joh 4,12; Röm 1,20; Kol 1,15; 1Tim 1,17; 6,15-16).
  • Psalm 8,1+9: „Dem Chorleiter. Nach der Gittit. Ein Psalm. Von David. HERR (JHWH), unser Herr (Adonai), wie herrlich ist dein Name auf der ganzen Erde, der du deine Hoheit gelegt hast auf den Himmel! Aus dem Munde der Kinder und Säuglinge hast du Macht gegründet wegen deiner Bedränger, um zum Schweigen zu bringen den Feind und den Rachgierigen. Wenn ich anschaue deinen Himmel, deiner Finger Werk, den Mond und die Sterne, die du bereitet hast: Was ist der Mensch, dass du sein gedenkst, und des Menschen Sohn, dass du dich um ihn kümmerst? Denn du hast ihn wenig geringer gemacht als Engel (hebr.: Elohim-Gott), mit Herrlichkeit und Pracht krönst du ihn. Du machst ihn zum Herrscher über die Werke deiner Hände; alles hast du unter seine Füße gestellt: Schafe und Rinder allesamt und auch die Tiere des Feldes, Vögel des Himmels und Fische des Meeres, was die Pfade der Meere durchzieht. HERR (JHWH), unser Herr (Adonai), wie herrlich ist dein Name auf der ganzen Erde!“ Die Aussage in Vers 3: „Aus dem Munde der Kinder und Säuglinge hast du Macht gegründet“, wird in Matthäus 21,16 von den Kindern im Tempel laut zur Ehre von Jesus, dem Sohn Davids gerufen. Und in Hebräer 2,5-10 wird dieser Psalm auszugsweise zitiert und ebefalls auf Jesus den Menschensohn gedeutet.

Natürlich wird die Bezeichnung `Adonai/Herr` auch allgemein für geachtete oder höhergestellte Personen, Könige, Statthalter Götter Engel verwendet.

  • 1Mose 18,12: Sara nennt ihren Mann Abraham `Adonai – mein Herr`;
  • 1.Mose 19,2: Lot redet die beiden Männer (Engelboten), mit `Adonai – meine Herren` an;
  • 1Mose 23,6-15: Efron, der Hetiter redet Abraham mit `Adonai – mein Herr` an, ebenso Abraham den Efron;
  • 1Mose 24,14; Elieser der Knecht spricht von Abraham als `Adonai – seinem Herrn`;
  • 1Mose 24,18: Rebekka nennt sogar Elieser den Knecht Abrahams mit `Adonai – mein Herr`;
  • 1Mose 31,35: Rahel nennt ihren Vater `Adonai – mein Herr`;
  • 2Mose 32,22: Aaron nennt seinen Bruder Mose `Adonai – mein Herr`.

Doch erst aus dem Kontext ist ersichtlich wer die mit `Adonai – mein Herr` angeredete Person gemeint ist. In seinem Status als souveräner König, hatte David außer Gott niemanden als höhere Autorität über sich, die er als `Adonai – mein Herr` bezeichnen brauchte. Gerade in diesem Fall wird Davids Anrede in Psalm 110,1: `Adonai – meinem Herrn` in der Würdigung des Gottessohnes gerecht.

Und damit auch niemand auf die Idee käme, den `Adonai – meinem Herrn` aus Psalm 110,1 auf einen der höchsten Engelfürsten zu beziehen, schreibt der Autor des Hebräerbriefes: „Denn zu welchem Engel hat Gott jemals gesagt (Psalm 2,7): »Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt«? Und wiederum (2. Samuel 7,14): »Ich werde sein Vater sein und er wird mein Sohn sein«? Und abermals, wenn er den Erstgeborenen einführt in die Welt, spricht er (Psalm 97,7): »Und es sollen ihn alle Engel Gottes anbeten.« Von den Engeln spricht er zwar (Psalm 104,4): »Er macht seine Engel zu Winden und seine Diener zu Feuerflammen«, aber von dem Sohn (Psalm 45,7-8): »Gott, dein Thron währt von Ewigkeit zu Ewigkeit, und das Zepter der Gerechtigkeit ist das Zepter deines Reiches. Du hast geliebt die Gerechtigkeit und gehasst die Ungerechtigkeit; darum hat dich, Gott, dein Gott gesalbt mit Freudenöl wie keinen deiner Gefährten.« Und (Psalm 102,26-28): »Du, Herr, hast am Anfang die Erde gegründet, und die Himmel sind deiner Hände Werk. Sie werden vergehen, du aber bleibst. Und sie werden alle veralten wie ein Gewand; und wie einen Mantel wirst du sie zusammenrollen, wie ein Gewand werden sie gewechselt werden. Du aber bist derselbe, und deine Jahre werden nicht aufhören.« Zu welchem Engel aber hat er jemals gesagt (Psalm 110,1): »Setze dich zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde zum Schemel unter deine Füße lege«? Sind sie nicht allesamt dienstbare Geister, ausgesandt zum Dienst um derer willen, die ererben sollen die Seligkeit?“ (Hebr 1,5-14).

Die Pharisäer sind verblüft, an solche Deutung hätten ihre Schriftgelehrten nie gedacht. Es bedurfte des Hinweises von Jesus, dass man sich über diese tiefe Bedeutung erstmals Gedanken machte. So wurndert auch die Reaktion der Pharisäer nicht „Und niemand konnte ihm ein Wort antworten und seit jenem Tag wagte niemand mehr ihn zu fragen.“ (Mt 22,46).

Mit dieser Fragestellung will Jesus keinesfalls seine irdische Herkunft schmälern oder gar verleugnen, stand es doch gar nicht zur Debatte und wurde auch von niemandem angezweifelt. Doch ihm war wichtig, dass die Juden die himmlische und göttliche  Herkunft des Messias erkennen und anerkennen. Denn von dieser Anerkennung im Glauben hing ihre Erlösung ab. „Denn Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit ihm selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung.“ (2Kor 5,19).

Bibeltexte, nach welchen die Würde des Vaters auch dem Sohn zukommt.

  • Der Ap. Paulus schreibt: „Und obwohl es solche gibt, die Götter genannt wrden, es sei im Himmel oder auf Erden, wie es ja viele Götter und viele Herren gibt, so haben wir doch nur einen (Zahlwort) Gott ((εἷς θεὸς – eis theos), den Vater, von dem alle Dinge sind und wir zu ihm, und einen (Zahlwort) Herrn (εἷς κύριος – eis kyrios), Jesus Christus, durch den alle Dinge sind und wir durch ihn.“ (1Kor 8,5-6).
  • 5Mose 10,17: „Denn der HERR, euer Gott, ist der Gott aller Götter und der Herr über alle Herren,“ 1Timotheus 6,15: „welche uns zeigen wird zu seiner Zeit der Selige und allein Gewaltige, der König aller Könige und Herr aller Herren,“
  • Offenbarung 17,14: „Die werden gegen das Lamm kämpfen, und das Lamm wird sie überwinden, denn es ist der Herr aller Herren und der König aller Könige, und die mit ihm sind, sind die Berufenen und Auserwählten und Gläubigen.“
  • Offenbarung 19,16: „und trägt einen Namen geschrieben auf seinem Gewand und auf seiner Hüfte: König aller Könige und Herr aller Herren.“

Fragen / Aufgaben:

    1. Welche Vorstellungen hatten die Juden über den Messias?
    2. Die Frage nach der Identität des von den Juden erwarteten Messias, war eine der die zentralsten im Judentum. Was hing damit alles Zusammen?
    3. Warum war und ist die Frage nach der Herkunft, bzw. Identität  des Messias so wichtig?
    4. Wie begründet Jesus seine göttliche Herkunft?
    5. Haben die ‚Pharisäer Jesus verstanden? Warum konnten sie nichts dagegen sagen?
    6. In welchem Zusammenhang steht die Anrede `Adonai – Herr` und der Name Gottes `JHWH` und wie werden diese verwendet?
    7. Warum ist es notwendig, dass wir Jesus sowohl als Menschensohn, als auch Gottesohn anerkennen?
    8. Wie begründest du deine Glaubensbeziehung zu Gott dem Vater und seinem Sohn Jesus Christus im Gespräch mit Zeugen Jehovas, mit Juden oder Moslems?

10.15 Weherufe über die Schriftgelehrten und Pharisäer

(Bibeltext: Mt 23,1-39)

Dieser Abschnitt gliedert sich in 4 Teile:

V.1-3a             Folgt den Schriftgelehrten und Pharisäern

  1. 3b-12 Die Sünden der Schriftgelehrten und Pharisäer
  2. 13-36 7 Weherufe gegen die Schriftgelehrten und Pharisäer
  3. 37-39 Trauer über Jerusalem

Jesus entwertet nicht die Worte der Gesetzestexte – diese sind zu folgen. Doch Jesus zeigt die Differenz zwischen Anspruch und Wirklichkeit auf. Die folgenden Vorwürfe von Jesus sind zusammenzufassen in:

– mangelnde Aufrichtigkeit

– mangelndes Mitgefühl

– mangelnde Demut

Aufgeladene Lasten erdrücken die Menschen, ohne dass ein Finger von den angeblichen Vorbildern gerührt wird. Der Unterschied zwischen der gezeigten öffentlichen Frömmigkeit und der wirklich gelebten ist zu offensichtlich. Die Suche nach Anerkennung und Ehre zeigt die tieferliegenden Motive auf.

Die 7 Weherufe erheben den Vorwurf, dass die Schriftgelehrten und Pharisäer:

– die Tür zum Himmelreich anderen verschließen

– die Proselyten verderben

– das Gebot vom Schwören auf den Kopf stellen

– die Rangfolge von Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Treue gegenüber dem Zahlen des Zehnten umkehren

– die Rituale gegenüber dem gelebten Glauben zu stark erhöhen

– das Glaubensleben immer mehr veräußerlichen

– in Bezug auf ihre Güte nicht sehen wollen, dass sie keineswegs besser sind als ihre Vorfahren, die Propheten töteten

Wie Johannes der Täufer (Mt 3,7) nennt Jesus seine Gegner Schlangen! Otternbrut!noch immer verführen sie zum Bösen. Das Gericht der Hölle (Gehenna = Aufenthaltsort der Bösen nach dem Gerichtstag) wartet auf sie. Jesus stellt die zeitgenössischen Frommen in eine Linie mit den Eiferern der alten Tage, die Propheten ermordeten. Den genauen Wortlaut, den Jesus hier ausspricht finden wir nicht im Alten Testament – doch Jesus verbindet die Vergangenheit mit der nahen Zukunft. Wieder werden die wahren Frommen aus blindem religiösem Eifer getötet, gekreuzigt, gegeißelt und verfolgt werden. Jesus zeigt auf, dass dies vom ersten Buch des Tenach (jüdischem ersten Testament mit der hebräischen Reihenfolge der Bücher) – also von 1. Mose (= Abel 1Mose 4,8)) – bis zum letzten Buch – also Buch der Chroniken (= Secharja 2Chr 24,20ff)  – so geschehen ist. Hier und in Sach 1,1 wird Secharja als Sohn des Berechjas genannt, doch in 2Chr als Sohn des Priesters Jojada. Dem Strom des Blutes wird nach den Worten von Jesus ein Gericht folgen.

Jesus sieht dieses Gericht und trauert über Jerusalem aus tiefem Herzen. Die Verdopplung im Trauerruf unterstreicht die Tiefe dieser Trauer. Jesus lässt mit dem genutzten Bild tief in seine eigenen Gefühle blicken: Er vergleicht sich mit einer Glucke, die ihre Küken um sich oder gar unter sich schart. … ihr habt nicht gewollt!

Das Haus „Jerusalem“ samt Tempel wird öde werden. Wenn Jesus sagt: „…von jetzt an…“ meint er tatsächlich die folgenden Tage der Passion bis zu seinem zweiten Wiederkommen (Offb 1,7!).

Fragen / Aufgaben:

  1. Vergleiche die Vorwürfe von Mt 23,34.35 mit Jer 7,25-29.
  2. Welche Propheten, Weisen und Schriftgelehrten sandte Jesus?
  3. Wo im Neuen Testament lesen wir von Menschen, die getötet, gekreuzigt, gegeißelt und verfolgt werden?
  4. In wieweit stehen wir unter den Sünden unserer Vorfahren?
  5. Wie verstehst du von Abel bis Secharja? Was weißt du über die jüdische Bibel?
  6. Jesus bezieht das eher weibliche Bild der Glucke auf sich – passt es zu einem Mann?
  7. Wie verhält es sich mit Willen Gottes und dem menschlichen Willen? Ist alles vorherrbestimmt (=qismet) oder gibt es ein Zusammenwirken von Gottes- und Menschenwillen?

10.16 Das Opfer der armen Witwe

(Bibeltext: Lk 21,1-4)

Noch in Arbeit

10.17 Die Ankündigung der Zerstörung Jerusalems

(Bibeltexte: Mt 24,1-44; lies auch Mk 13,1-33; vgl. Lk 21,5-33)

Dieser Text kann in in folgende Abschnitte eingeteilt werden:

– V. 1-3           Der Sitz im Leben – Einleitung

– V. 4-14         Die kommenden Ereignisse

– V. 15-28       Die weltweite Verkündigung und die große Trübsal

– V. 29-31       Das Zeichen des Sohnes am Himmel

– V. 32-35       Die Lehre des Feigenbaums

– V. 36-44       Der Aufruf zur Wachsamkeit

Abbildung 14 Vom Ölberg aus überblickt man das darunter liegende Kidrontal mit dem Garten Gethsemane, der Ostmauer und dem ehemaligen Tempelberg, in dessen Mitte heute der sogenannte Felsendom steht. Dahinter erstreckt sich die heutige Altstadt von Jerusalem (Foto: Juli 1994).

Wenige Tage vor dem – seinem – Passa verlässt Jesus den Tempel. Er befindet sich mit seinen Jüngern auf dem westlichen Abhang des Ölberges, von wo aus man den gesamten Tempelbereich überblicken kann. Die aus Galiläa stammenden Jünger sind beeindruckt vom Gebäude – doch Jesus sieht schon in die Zukunft und ist beeindruckt von der kommenden Zerstörung: nicht einer dieser massiven Steine wird auf dem anderen bleiben. Jesus geht weiter zum damals eher stillen Ölberg und setzt sich dort – wahrscheinlich mit Aussicht über das Tal auf den Tempelberg. Die Jünger Petrus, Jakobus, Johannes und Andreas (Mk 13,3) wagen es die Stille zu durchbrechen und fragen nach den Zeichen der Ankunft und Vollendung. Die Jünger fragen nach dem Ende der Zeit und dem Beginn der vollkommenen messianischen Herrschaft.

Jesus weist auf falsche Messiase (Apg 4,36f; 21,38) hin. Kriege sind nicht nur die Jüdischen Kriege der Jahre 66-70 n.Chr. Der göttliche Plan wird auch künftig in allen Wirren durch die kurzen Worte …es muss geschehen… . (Mt 22,6) ausgedrückt. Das Ende wird nicht durch Kriege gesetzt, sondern es sind schmerzhafte Wehen. Die kommenden Katastrophen wie Gesetzlosigkeit, Abtrünnigkeit, Verrat, gegenseitiger Hass, Irrglaube und Lieblosigkeit werden überhand nehmen. Die Treuen aller Zeiten werden dennoch gerettet werden. Die Verkündigung des Evangeliums, d.h. die Mission wird bis zum Ende ihren Platz haben.

Das Greuelbild der Verwüstung (aus Dan 9,27; 11,31) kann auf die römischen Standarten bei der Belagerung 68-70 n.Chr. hinweisen – hier wie an anderen Stellen wird gerne auf eine zweite oder dritte Erfüllung in einem „Endzeitfahrplan“ hingewiesen. Doch Jesus spricht hier nicht von verschiedenen zeitlichen Ebenen – wir haben den Eindruck der einen Ebene, die weniger die zeitlichen, sondern mehr die inhaltlichen Aspekte hervorheben. Manche Aspekte treffen auf die Zeit rund um 70 n.Chr. gut zu (Flucht vieler Christen aus Jerusalem nach Pella) andere sind kaum auf eine Zeitschiene zu legen, sondern haben sich in den Jahrhunderten zu verschiedenen Zeiten an verschiedenen Orten ereignet. Das Kommen des Herrn wird nicht lokalisierbar sein, sondern es wird jenseits von Raum und Zeit für alle sichtbar werden. Die große Trennung wird stattfinden – die einen werden in Trauer und Verzweiflung geraten, die anderen werden um Jesus gesammelt werden.

Jesus fährt fort mit dem Hinweis auf den wachsamen Hausherr der mit einem robusten Mandat versehen, sein Haus bewachen wird, denn er weiß zu welcher Nachtwache (Nachtzeitraum) der Dieb kommt. So wird auch die Zeit des Zweiten Kommens überraschend für viele kommen.

Deshalb seid auch ihr bereit!

Fragen / Aufgaben:

  1. Wie oft erwähnt Jesus ausdrücklich das irdische Israel in dieser Endzeitrede?
  2. Weist uns Jesus auf ausdrücklich auf unterschiedliche Zeitabschnitte hin? Wie sind die Worte: … es ist noch nicht das Ende; es ist der Anfang der Wehen; ausharren bis zum Ende; dann wird das Ende kommen; wenn ihr sehen werdet; und dann wird das Zeichen des Sohnes; erkennen, dass es nahe an der Tür ist; dies Geschlecht wird nicht vergehen, bis dies alles geschehen ist; von jenem Tag aber und jener Stunde weiß niemand; ihr wisst nicht an welchem Tag euer Herr kommt; in der Stunde in der ihr es nicht meint kommt der Sohn des Menschen zu verstehen? Können wir einen Fahrplan für die Endzeit aufstellen?
  3. Erwähnt Jesus ausdrücklich ein Tausendjähriges Reich? Erwähnt Jesus ausdrücklich einen Zweiten/Dritten Tempel?
  4. Was sagen wir zu Predigten, die uns das Zweite Kommen von Jesus als Zeitpunkt oder Zeitraum präzise angeben?
  5. Was bedeutet es heute „bereit“ zu sein? Welche plötzlichen Veränderungen stellen uns in das Licht der Ewigkeit?

10.18 Das Gleichnis von der Wachsamkeit

(Bibeltexte: Mt 24,45-51; lies auch Lk 12,42-46)

In diesem Gleichnis begegnet uns ein mit der Aufsicht betrauter Knecht (= Sklave). Er hat eine Vertrauensstellung inne. Sein Meister muss verreisen und vertraut ihm alles an. Er ist in besonderer Weise für das Wohlergehen der Mitknechte verantwortlich. Bei der unerwarteten Rückkehr seines Herrn von der Reise wird sich zeigen, ob er das Vertrauen seines Herrn wert ist: Glückselig jener Knecht, den sein Herr, wenn er kommt, bei solchem Tun finden wird! Oder ob er sich von der Verzögerung zu Nachlässigkeit, Terror und ausschweifendem Leben verleiten lässt. Aktiver dienender Gehorsam wird vom Meister erwartet (Röm 1,9; 2Tim 1,3). Auch die Belohnung ist bemerkenswert: noch mehr Verantwortung! Die Strafe dagegen unvorstellbar: in Stücke zerschnitten und mit den Heuchlern verbannt. Das raue römische Reich ist uns sehr fern!

Den Zuhörern ist die Bezeichnung der führenden Schicht des Volkes als Knechte Gottes geläufig. Auch die Schriftgelehrten sind die von Gott eingesetzten Verwalter, denen die Schlüssel des Himmelreichs anvertraut sind (Mt 23,14; Lk 11,52). Daher denken die Zeitgenossen beim Hören des Gleichnisses zuerst an die religiösen Leiter ihrer Zeit. Dieses Gleichnis hat seinen Platz in der Reihe der wiederholten Weckrufe von Jesus in Jerusalem. Die Rechenschaftsforderung steht bald an, bei der Gott prüfen wird, ob das gewährte Vertrauen gerechtfertig ist – oder missbraucht wird.

Fragen / Aufgaben:

  1. Welche Rolle wird Gemeindeleitern in diesem Gleichnis zu gedacht?
  2. Was wird von Leitern erwartet?
  3. Welche Art von Machtmissbrauch kann sich in eine Gemeindeleitung einschleichen?
  4. Werden wir den Lohn annehmen?
  1. Kennen wir zerrissene ehemalige Leiter?
  2. Wer kann mich für das Wohlergehen der Anvertrauten einsetzen?

10.19 Das Gleichnis von den zehn Jungfrauen

(Bibeltext: Mt 25,1-13)

Das Gleichnis ist eines der Gleichnisse mit dem typisch aramäischen Dativanfang: „Dem Königreich Gottes ist gleich….“ Der Vergleichspunkt sind nicht die Jungfrauen, sondern das Königreich Gottes wird mit einer Hochzeit verglichen. Von der Braut ist leider keine Rede.

Fünf der außerordentlich geehrten Brautmädchen haben als Kennzeichnung wenig schmeichelhaft den Begriff töricht. Dies wird im Gleichnis so erklärt: sie waren so kurzsichtig, nicht mit einer Verzögerung der Hochzeitsfeier zu rechnen und kamen deshalb nicht auf den Gedanken, dass sie Öl zum Nachtränken der Lampen/Fackeln nötig haben würden. Was für ein Alptraum für die jungen Mädchen! Die anderen Fünf haben für Ersatzöl gesorgt und werden als klug bezeichnet. Der Unterschied macht die persönliche individuelle Vorbereitung (Edersheim, V 453). In der Regel wird zurzeit von Jesus die Braut vom elterlichen Haus zum Haus der Sippe des Bräutigams „heimgeholt“. Dort hat der Bräutigam das Heim bereitet. Das Kommen des Bräutigams zum Haus der Braut ist eine der Schlüsselszenen einer Hochzeit. Sie und den Zug zum hochzeitlichen Baldachin vor dem Hochzeitshaus zu verpassen heißt die eigentliche Hochzeit zu verpassen. Zum Verständnis: Der Bräutigam kam pünktlich, denn er setzt die Zeit. Pünktlichkeit ist bis heute im Nahen Osten nichts Abstraktes, sondern personengebunden! Ich bin da, also fängt das Fest an – kann die Hauptperson sagen.

Das Gleichnis ist eines der Krisisgleichnisse. Der Hochzeitstag ist angebrochen, das Festmahl ist bereitet. Nur wer diesen Jubelklang, mit dem das Gleichnis in V. 1 beginnt, nicht überhört, kann den Ernst der Mahnung ermessen. Umso mehr gilt es jetzt sich auf die Sunde der Probe und der Trennung zu rüsten. Diese Stunde wird so plötzlich kommen wie der Bräutigam um Mitternacht. Wehe denen, die dann den Törichten gleichen und denen die Tür zur Hochzeitsfeier verschlossen bleibt (Jeremias 1998, 175). Natürlich ist eine verschlossene Tür während einer Hochzeitsfeier damals wie heute etwas dramatisch Auffallendes! Hier sprengt das Gleichnis die zeitgenössischen Vorstellungen einer turbulenten Hochzeit, bei er es ein ständiges Kommen und Gehen gibt. Auch werden bei dieser Hochzeit keine Fremden zugelassen – ja die zu spät gekommenen werden als unbekannte Fremde bezeichnet, denen der Zutritt verwehrt wird.

Die persönliche individuelle Nachlässigkeit oder Vorbereitung macht den Unterschied!

Fragen / Aufgaben:

  1. Wir als Gemeinde warten schon lange auf den „Bräutigam“ sind wir eingeschlafen?
  2. Wie können unsere persönlichen und individuellen Vorbereitungen aussehen?
  3. Wo erkennen wir nachlässige Oberflächlichkeit?
  4. Was zerstören wir mit unserer westlichen Besessenheit von angeblicher Pünktlichkeit?
  5. Warum werden wir alle vom Kommen des Herrn überrascht werden?
  6. Warum sind nur persönlich vorbereitete bekannte Gäste zugelassen?
  7. Auf was weist die Tür?

10.20 Das Gleichnis vom  anvertrautem  Geld

(Bibeltexte: Mt 25,14-30 lies auch Lk 19,12-25)

Beide Evangelisten arbeiten theologisch, in dem sie das jeweilige Gleichnis in eine Rahmenhandlung setzen. Uns erscheinen die beiden Gleichnisse in den Details so unterschiedlich, dass wir sie getrennt betrachten. Dennoch gibt es auch einige Übereinstimmungen.

In diesem Gleichnis haben wir die Geschichte von einem reichen, von seinen Knechten als rücksichtslos und habgierig gefürchteten Großkaufmann vor uns. Er beschließt eine weite Reise anzutreten. Selbst bei guter Planung ist die Rückkehr angesichts der unsicheren Wege und Transportmittel immer ungewiss. Er gibt dreien seiner verlässlichsten und gewissenhaftesten Knechte je 5, 2 und 1 Talent zur Nutzung. Der genaue Wert eines Talents schwankt zwar, aber wir gehen von 50.000, 30.000 und 10.000 Denare (= Tageslöhnen) aus. Er will entweder lediglich sein Geschäftskapital während seiner Abwesenheit nicht brachliegen zu lassen, oder darüber hinaus seine Knechte auf die Probe zu stellen. Auf jeden Fall fordert er bei der Rückkehr Rechenschaft. Die beiden treuen Knechte werden mit vermehrter Verantwortung belohnt. Der Ton liegt auf der Abrechnung mit dem dritten Knecht, der eine faule Ausrede vorbringt, er habe sein Geld aus ängstlicher Vorsicht ungenutzt vergraben, weil er die Raffgier seines Herrn kenne und befürchtet habe, dass dieser bei Misslingen der geschäftlichen Operationen in äußerste Wut über den Verlust des Geldes geraten würde. Vergraben war immerhin besser als das bloße Verstecken in einem Tuch (Lk 19,20).

Fragen ( Aufgaben:

  1. Auf welche Personen beziehen die Zuhörer diese Details?
  2. Was ist ihnen anvertraut: Gottes Wort,
  3. Wann werden die Zuhörer von Jesus Rechenschaft ablegen müssen?
  4. Dieser Weckruf wurde auch in der ersten Gemeinde gehört – gilt er auch uns?
  5. Welche Reaktionen zeigen wir?
  6. Welche Kräfte können und müssen wir noch mobilisieren?
  7. Wie sieht hier die Belohnung und Bestrafung aus?
  8. Warum bekommt derjenige der viel hat noch mehr? Gilt dies auch für den geistlichen Bereich?

10.21 Der wiederkommende König

(Bibeltext: Mt 25,31-46)

Jesus beschreibt das Kommen des Menschensohnes und sein Sitzen auf dem messianischen Herrlichkeitsthron. Jesus hat oft die Arbeit der Hirten vor Augen, wenn er in bilderreichen Gleichnissen tiefe theologische Aussagen macht. Die Sammlung der zerstreuten Herde ist Kennzeichen der Heilszeit (Joh 10,16). Hier verbindet es Jesus mit dem Gericht über alle Menschen. Der Erlöser ist der Hirte, der wie zurzeit von Jesus in Palästina nicht Schafe und Böcke (männliche und weibliche Tiere) trennt, sondern Schafe und Ziegen, die tagsüber in gemeinsamen Herden weiden, aber abends getrennt werden (Ziegen bedürfen nachts mehr Wärme als Schafe). Schafe sind die wertvolleren Tiere und ihre häufig weiße Farbe macht sie Gegensatz zu den meist dunkleren Ziegen zum Symbol der Gerechten. Die Trennung der beiden Tierarten ist bildet den Auftakt zum Weltgericht.

Ab Vers 34 wird nur die Urteilsverkündung geschildert. Das Kriterium des Gerichtsurteils werden sechs Liebeswerke sein. Diese Anzahl ist wohl eine Auswahl, die nicht erschöpfend sein will:

mich hungerte, und ihr gabt mir zu essen;

– mich dürstete, und ihr gabt mir zu trinken;

– ich war Fremdling, und ihr nahmt mich auf;

– ich war nackt, und ihr bekleidetet mich;

– ich war krank, und ihr besuchtet mich;

– ich war im Gefängnis, und ihr kamt zu mir.

Das letzte Liebeswerk findet sich nicht in jüdischen Aufzählungen ähnlicher Art. Im weiteren Verlauf des Gleichnisses wird deutlich, dass diese Liebestaten nicht Jesus persönlich getan wurden, sondern seinen Brüdern und dadurch ihm selbst. Dieser Gedanke findet sich schon in 5.Mo 15,7-11. Jesus meint hier mit den Brüdern nicht die Jünger, sondern tatsächlich irgendeinen der aller Geringsten Bedrängten und Notleidenden. Die Verurteilten haben gerade sie übersehen – für Luft geachtet. Ihnen wird nicht eine grobe Sünde vorgeworfen, sondern die Unterlassung der Liebestat.

Typisch Jesus: Er verheißt allen, die ihren Glauben im Alltag leben, freie Gnade. Hier ist den Gerechten noch nicht einmal die gute Tat für Jesus bewusst – denn auch sie fragen wo und wann sie Jesus Gutes taten. Ihnen begegnet im notleidenden Bruder/notleidenden Mitmensch der verborgene Christus. Hiermit jeder Gedanke an einen Heilsverdienst bei Seite geschoben. Das Gerichtskriterium ist das Liebeswerk. Die Scheidung wird in ewige Strafe (in seiner Schrecklichkeit beschrieben mit den Begriffen Feuer, Teufel und seinen Engeln) oder ewiges Leben erfolgen. Später wird Jakobus dieses wesentliche Gerichtskriterium als das königliche Gesetz bezeichnen (Jak 2,8).

Das tiefe Geheimnis dieser Liebe, die die gelebte Jüngerschaft bezeichnet, ist die Bereitschaft zur vorbehaltlosen Annahme und Vergebung des Nächsten. Er mag noch sehr von der Sünde gezeichnet sein – Christus ist sein Bruder. Die erfahrene Vergebung Gottes, die unsere Kriterien weit übersteigt, macht uns zu mutigen Menschen der Liebestaten.

Fragen ( Aufgaben:

  1. Ist die Botschaft von der Trennung der Menschen am Ende der Tage – Teil der frohen Botschaft?
  2. Jesus und die Hirten – was fand er bei ihrer Arbeit erwähnenswert?
  3. Welches der sechs Liebeswerke fällt leichter – welches haben wir fast vergessen?
  4. Warum fragt Jesus jeden von uns persönlich welches Liebeswerk er tut – warum nicht uns als Gemeinde oder gar als Gemeindebund? Warum delegieren wir diese Aufgaben gerne an andere weiter?
  5. Taugt „Liebe“ als Gerichtskriterium?
  6. Wer wird in diesem Gericht bestehen?
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