Im „Meyers Neues Lexikon“ finden wir folgende Definition des Wortes `Zorn`:
„Zorn, leidenschaftlicher und heftiger Unwille über etwas, das als Unrecht empfunden wird oder den eigenen Intentionen und Wünschen zuwiderläuft.
Zorn äußert sich in Miene, Wort oder Handlung und richtet sich meist gegen eine bestimmte Person.“
Nun, die Frage, darf ein Christ zürnen, stellt sich aufgrund von 2 Aussagen des Neuen Testamentes.
Erstens:
Wenn Jesus zornig werden durfte, warum nicht auch seine Nachfolger, denn er ist ja ihr Vorbild im Verhalten?
Bei dieser Argumentation versucht man den Zorn zu qualifizieren – man spricht vom göttlichem oder heiligem Zorn.
Dabei ist es sehr bedenklich, das ein Mensch (Christ) sich anmaßt göttlich oder heilig zürnen zu können.
Oft wird Jesu Zorn-Verhalten mit der Tempelreinigung in Verbindung gebracht (Joh 2,13ff). Doch dort wird nicht von Jesu Zorn, sondern seinem Eifer (gr. ζήλος – zelos) um das Haus seines Vaters gesprochen. Und dies ist ein anderer Begriff und wird nicht nur in negativem, sondern auch in positivem Sinne verwendet. So sagt Paulus: „Ich eifere um euch (Korinther) mit göttlichem Eifer“ (2Kor 11,2).
Steht irgendwo in den Schriften des Neuen Testamentes in Bezug auf einen Menschen geschrieben: „Ich zürne dir mit göttlichem Zorn?“ Nein, natürlich nicht.
In Markus 3,5 heißt es allerdings von Jesus im Zusammenhang der Heilung der verdorrten Hand eines Mannes am Sabbat: „Und er sah sie (seine Kritiker) an mit Zorn (gr. οργής – orges)“. Jesus ist also heftig unwillig geworden über seine Kritiker, weil sie so hartnäckig am Buchstaben des Gesetzes festhielten und dabei das schwerwiegendere im Gesetz (Barmherzigkeit und Nächstenliebe) sträflich übergingen.
In Offb 6,16 lesen wir: „Und sie (die Gottlosen) sagen zu den Bergen: Fallt auf uns und verbergt uns vor dem, der auf dem Thron sitzt und vor dem Zorn (gr. οργής – orges) des Lammes (das ist Jesus Christus).“
Jesus, als Menschen,- und Gottessohn hat von seinem Vater die Vollmacht übertragen bekommen zu richten (Joh 5,22) und daher auch das Recht und die Fähigkeit gerecht, heilig und göttlich zu zürnen.
Bibelstellenverzeichnis, die den legitimen Zorn Gottes unterstreichen:
(Joh 3,36; Röm 1,18; Eph 5,6; Kol 3,6; 1 Thess. 1,10; 2Thess 2,16; Hebr 3,11 und viele andere.
Zweitens:
Die zweite Aussage finden wir in Eph 4,26,- im griechischen steht dort: „ὀργίζεσθε καὶ μὴ ἁμαρτάνετε• ὁ ἥλιος μὴ ἐπιδυέτω ἐπὶ [τῷ] παροργισμῷ ὑμῶν,
Es gibt folgende Übersetzungsvarianten:
• „Zürnet und sündiget (dabei) nicht! Die Sonne gehe nicht unter über eurem Zorn“ (Elbf.).
Das in Klammern gesetzte (dabei) ist eine grammatische Hinzufügung und verleit der Übersetzung einen bestimmten Akzent. Es steht jedoch so nicht im gr. Urtext.
• „Zürnet und sündiget nicht“ (Interlinear Übersetzung und Luther 84).
Diese beiden Übersetzungen sind gleich und auch eindeutig. Zürnen ist mit sündigen gleichgesetzt. Beides soll man nicht tun. Doch der zweite Teil der Aussage: „Lasset die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen“ macht deutlich, dass Zorn im Verhalten des Christen vorkommen kann. Zürnen ist mit Sündigen eng verbunden. Paulus drängt darauf, es so bald wie möglich in Ordnung zu bringen.
Ich denke, dass diese Aussage des Apostels Paulus sich eher als Warnung anhört. Sie bietet keinen Grund für die Rechtfertigung des zornigen Verhaltens eines Christen.
Daher ist die zweite Hälfte des Verses eher ein praktischer Hinweis für den Fall, dass man zornig wurde, also gesündigt hat. Und Sünde muß so schnell wie möglich bereinigt werden.
Um jedoch mehr Sicherheit für das Verstehen dieser Aussage zu bekommen, wollen wir noch andere Bibelstellen als Belege heranziehen.
Im gleichen Kapitel des Epheserbriefes (4, 31) schreibt Paulus: „Alle Bitterkeit und Grimm und Zorn (gr. οργής – orges) … sei ferne (weggenommen) von euch, samt aller Bosheit.“
Das „alle“ oder „jede“ macht doch deutlich, das jede Art oder Umfang von diesen genannten Dingen gemieden werden sollen, eingeschlossen Zorn.
In Kolosser 3,8 schreibt Paulus: „Nun aber legt alles von euch ab: Zorn, (οργής) Grimm, Bosheit, Lästerung, unanständige Rede“. Wenn schon unanständige Rede Sünde ist, wie viel mehr der Zorn oder Zornesausbrüche, die in der Regel von bösen, verletzenden Worten begleitet werden.
Im Zusammenhang der Empfehlungen an Eltern sagt der Apostel in Eph 6,4: „Macht eure Kinder nicht zornig, sondern erzieht sie in der Furcht und Ermahnung des Herrn.“
Jakobus schreibt in seinem Brief (1,19-20): „… Jeder Mensch aber sei langsam zum Reden und langsam zum Zorn, denn der Zorn eines Mannes (eines Menschen) bewirkt vor Gott keine Gerechtigkeit.“
Niemand kann also sein Zornesverhalten vor Gott rechtfertigen, denn in Römer 12,19 warnt Paulus: „Rächt euch selber nicht, Geliebte, sondern gebt Raum dem Zorn (Gottes). Denn es steht geschrieben: Die Rache ist mein, ich will vergelten, spricht der Herr.“
Und Jesus sagt in der Bergpredigt (Mt 5,21-22): „Ihr habt gehört, daß den Alten gesagt worden ist: Du sollst nicht töten. Wer aber tötet, wird dem Gericht verfallen sein. Ich aber sage euch: Jeder zürnende seinem Bruder, wird dem Gericht verfallen sein.“
Durch diese ergänzenden klaren Aussagen des NT wird deutlich:
Der Zorn gehört nicht zum Christsein.
Wenn also ein Christ das Zürnen aus seiner früheren Vergangenheit als schlechte Gewohnheit noch nicht abgelegt hat, soll er durch die Erkenntnis der Schrift und durch die Kraft des Heiligen Geistes eine klare Entscheidung treffen, wenn nötig sogar vor Zeugen und ihn, den Zorn ablegen, sich davon absagen und dafür der Liebe Gottes Raum schaffen.
Wenn es bei einem Christen doch mal vorkommt, das er sich zu einem Zornesausbruch hinreißen läßt, soll er nach Epheser 4,26 so schnell wie möglich sich davon distanzieren, bzw. den angerichteten Schaden wieder gut machen, sich bei der betreffenden Person um Vergebung bitten).
Das Vakuum muß mit anderen geistlichen Eigenschaften ausgefüllt werden.
In 1Kor 13 lesen wir: „Die Liebe rechnet das Böse nicht an.“
Die Liebe ist Langmütig, sie hat also langen Atem, sie äußert sich im geduldigen ertragen.
Aber die Liebe ist auch aktiv. Sie kann mehr, als nur ertragen. „Vergeltet nicht Böses mit Bösem, noch Scheltwort mit Scheltwort“. Wenn ich den, dem ich zürnen wollte, segne, ihm vergebe, ihm mit freundlichen Worten begegne, dann bleibe ich in der Liebe.
Die völlige Liebe Christi, als Frucht des Heiligen Geistes, schließt den Zorn, oder Zornesausbrüche aus.
„Eine Quelle kann nicht gleichzeitig süßes und salziges Wasser geben.“
Wer seinen nächsten, aber auch seinen Feind segnet, der hat den Zorn besiegt