Inhaltsverzeichnis
- 1
- 1.1 10.21 Die Fußwaschung – Einblick in das Wesen und Handeln Gottes
- 1.1.1 10.21.1 Die Fußwaschung – eine Jahrtausende alte Praxis im Orient
- 1.1.2 10.21.2 Jesus wäscht seinen Jüngern die Füße
- 1.1.3 10.21.3 Jesus und Petrus – wer dient wem?
- 1.1.4 10.21.4 Der Lehrer und der Herr im Dienst! Und was ist mit den Schülern und Knechten?
- 1.1.5 10.21.5 Die Verordnung an seine Jünger
- 1.2 10.22 Jesus: Einer von euch zwölf wird mich verraten
- 1.1 10.21 Die Fußwaschung – Einblick in das Wesen und Handeln Gottes
10.21 Die Fußwaschung – Einblick in das Wesen und Handeln Gottes
(Bibeltexte: Joh 13,1-17; Lk 22,24-27)
Aus sachlichen und logischen Überlegungen folgt nun die Handlung der Fußwaschung von Jesus an seinen Jüngern. Erst danach die Äußerungen über den Verräter und anschließend die Bundesstiftung in der Einsetzung des Herrnemahls.
10.21.1 Die Fußwaschung – eine Jahrtausende alte Praxis im Orient
Die ungewöhnliche Handlung der Fußwaschung durch Jesus Christus an seinen Jüngern hat die Christen über die Jahrhunderte beschäftigt. Dabei wurden in ihr zum Teil unterschiedliche inhaltliche Akzente erkannt und dementsprechend fanden sie ihren Niederschlag in dem Miteinander der Gläubigen.
Fußwaschung war (und ist teilweise noch) fester Bestandteil im häuslichen Alltag der Orientalen und zwar nicht nur in Israel.
- 1Mose 18,4-5: Abraham sagte:„Man hole doch ein wenig Wasser, dann wascht eure Füße, und ruht euch aus unter dem Baum! Ich will indessen einen Bissen Brot holen, dass ihr euer Herz stärkt; danach mögt ihr weitergehen; wozu wäret ihr sonst bei eurem Knecht vorbeigekommen? Und sie sprachen: Tu so, wie du geredet hast!“
- 1Mose 19,1-2: „Und als Lot sie sah, stand er auf, ging ihnen entgegen und verneigte sich mit dem Gesicht zur Erde; und er sprach: Ach, siehe, meine Herren! Kehrt doch ein in das Haus eures Knechtes, und übernachtet, und wascht eure Füße; morgen früh mögt ihr dann eures Weges ziehen!“
- 1Mose 24,32: „Da kam der Mann ins Haus; und man sattelte die Kamele ab und gab den Kamelen Stroh und Futter, ihm aber Wasser, um seine Füße zu waschen und die Füße der Männer, die bei ihm waren. Dann wurde ihm zu essen vorgesetzt.“
- 1Mose 43,24: „Und der Mann führte die Männer in das Haus Josephs und gab ihnen Wasser, dass sie ihre Füße waschen konnten, und gab ihren Eseln Futter.“
- Richter 19,21: „Und er führte ihn in sein Haus und gab den Eseln Futter; und sie wuschen ihre Füße, aßen und tranken.“
In all diesen Geschichten wurde den beteiligten Personen Wasser zur Verfügung gestellt, die Füße haben sie jedoch sich selber gewaschen.
- 1Samuel 25,39-41: „Und David sandte hin und warb um Abigajil, um sie sich zur Frau zu nehmen. Und die Knechte Davids kamen zu Abigajil nach Karmel und redeten mit ihr: David hat uns zu dir gesandt, um dich zu seiner Frau zu nehmen. Da stand sie auf, beugte sich nieder, das Gesicht zur Erde, und sagte: Siehe, deine Magd ist bereit, den Knechten meines Herrn zu dienen und ihnen die Füße zu waschen.“
Abigajil ist bereit nicht nur Frau von David zu werden, sondern in dessen Haus auch Fußwaschungsdienst zu übernehmen. Diese Geschichte macht deutlich, dass Frauen zumindest gelegentlich den Dienst der Fußwaschung versahen.
- Lukas 7,43-44: „Und sich zu der Frau wendend, sprach er zu Simon: Siehst du diese Frau? Ich bin in dein Haus gekommen, du hast mir kein Wasser für meine Füße gegeben; sie aber hat meine Füße mit Tränen benetzt und mit ihren Haaren getrocknet.“
Der Kontext macht deutlich, dass es auch zur Zeit von Jesus in Israel üblich war, vor Betreten des Hauses, bzw. Wohnraumes, die Füße zu waschen. In diesem Fall wurde Jesus ein wichtiges Element der Gastfreundschaft versagt.
- 1Timotheus 5,9-10: „Eine Witwe soll ins Verzeichnis eingetragen werden, wenn sie wenigstens sechzig Jahre alt ist, eines Mannes Frau war, ein Zeugnis in guten Werken hat, wenn sie Kinder auferzogen, wenn sie Fremde beherbergt, wenn sie der Heiligen Füße gewaschen, wenn sie Bedrängten Hilfe geleistet hat, wenn sie jedem guten Werk nachgegangen ist.“
In diesem Fall geht es wohl eher um die alltägliche Praxis der Fußwaschung durch Frauen, welche bei sich Gäste aufgenommen haben,- „wenn sie Fremde beherbergt, wenn sie der Heiligen Füße gewaschen“. Man kann davon ausgehen, dass auch Sklaven und Hausdiener den Dienst der Fußwaschung an ihren Herren oder den Gästen des Hauses versahen, auch wenn wir in der Bibel kein ausdrückliches Beispiel dafür finden.
Die Waschung der Füße spielte auch eine wichtige Rolle im liturgischen Bereich. So ordnete Gott den Priestern an: „Und Aaron und seine Söhne sollen aus ihm (dem Becken) ihre Hände und Füße waschen.“ „Und zwar sollen sie ihre Hände und ihre Füße waschen, damit sie nicht sterben. Das soll eine ewig gültige Ordnung für sie sein, für ihn und seinen Samen, für ihre [künftigen] Geschlechter.“ (2Mose 30,19-21; ebenso 2Mose 40,31-32).
-Es gibt Hinweise, wonach auch zur Zeit von Jesus rituelle Waschungen im Alltag der Juden üblich waren, so zum Beispiel in einem Haus im Galiläischen Kana: „Es waren aber sechs steinerne Wasserkrüge dort aufgestellt nach der Reinigungssitte der Juden, wovon jeder zwei oder drei Maß fasste.“ (Joh 2,6). Sicher nutzte man dieses Wasser auch um Hände und Füße zu waschen (vgl. dazu auch Mk 7,4; Hebr 9,10).
Neben den bereits bekannten Aspekten für körperliche und gottesdienstliche Reinheit lassen sich in der Handlung der Fußwaschung durch Jesus mehrere geistliche Inhalte erkennen, die im Laufe der nächsten Abschnitte benannt und begründet werden sollen.
Was der Evangelist Johannes ab jetzt beschreibt, spielte sich während des Passamahles ab. „Und beim Abendessen, als schon der Teufel dem Judas, Simons Sohn, dem Iskariot, ins Herz gegeben hatte, ihn zu verraten, Jesus aber wusste, dass ihm der Vater alles in seine Hände gegeben hatte und dass er von Gott gekommen war und zu Gott ging.“ (Joh 13,2-3). Die besonders ausdrucksvolle Handlung von Jesus, die Fußwaschung, findet im Rahmen des Passamahls statt. Die Liebe von Jesus zu den Seinen ist ungemindert. Doch bereits am Abend bei der Salbung in Bethanien, entschloss sich Judas Iskariot, Jesus an die Tempelbehörde zu verraten (vgl. Joh 12,3-6 mit Mt 26,14-16; Mk 14,10-11; Lk 22,3-6). Das Gift der Verärgerung, der Geldgier und innerer Rebellion, welches der Teufel (diabolos) in das Herz des Judas gespritzt hatte, wirkte vollends (Joh 13,3b). Der Gegensatz im Denken und Verhalten des Judas und Jesus kann nicht krasser sein. Der eine liebt, obwohl er alle Vollmachten in der Hand hat, der andere (gefangen vom Teufel) liefert den Liebenden an die Feinde aus.
Jesus gestaltet diesen letzten Abend mit seinen Jüngern sehr bewusst (Lk 22,15). Alle drei synoptischen Evangelien berichten im Rahmen des Passamahls, das besondere und neue Mahl des Herrn mit der Stiftung des Neuen Bundes. Johannes, der mit hoher Wahrscheinlichkeit seinen Evangelienbericht später verfasste, beschreibt im Detail die besondere Handlung von Jesus an seinen Jüngern, die sogenannte Fußwaschung. In den folgenden Abschnitten wollen wir den Fragen nach dem warum, wozu und der Bedeutung dieser Handlung nachgehen.
10.21.2 Jesus wäscht seinen Jüngern die Füße
Der Evangelist Johannes schreibt weiter: „(…) da stand er vom Mahl auf, legte seine Kleider ab und nahm einen Schurz und umgürtete sich. Danach goss er Wasser in ein Becken, fing an, den Jüngern die Füße zu waschen und zu trocknen mit dem Schurz, mit dem er umgürtet war.“ (Joh 13,4-5).
Gelegentlich wird zu diesem Text gesagt, dass Jesus den Staub der Strasse von den Füßen seiner Jünger abgewaschen hatte. Dies würde voraussetzen, dass die Jünger trotz üblicher Sitte, ihre Füße vor Betreten des Festraumes nicht gewaschen haben. Auch in diesem Falle würde es dem inneren Gehalt der Handlung keinen Abbruch tun, ihn möglicherweise noch verstärken. Doch wie wahrscheinlich ist diese Annahme? Jesus tat dies während der Mahlzeit, denn er stand vom Abendessen auf (Joh 13,4a). Wenn es ihm an der Reinheit der Füße bei seinen Jüngern und des gepolsterten Raumes gelegen hätte, dann hätte das Waschen der Füße vor dem Betreten des Raumes mehr Sinn gemacht. Sind die Jünger zu diesem besonderen Abend mit Festessen (das höchste und bedeutendste Fest des Jahres) in das Oberzimmer eines fremden Hauses, das dazu auch noch mit Polstern ausgestattet war, mit ungewaschenen Füßen hineingetreten? Wie wir bereits festgestellt haben, war das Waschen der Füße vor betreten eines Wohnraumes übliche Praxis. Die Bemerkung von Jesus an den Gastgeber und Pharisäer Simon über die versäumte Geste der Gastfreundschaft „du hast mir kein Wasser für meine Füße gegeben“; bestätigt diese übliche Praxis (Lk 7,44). An Wasser hatte es ja in dem Haus, in dem Jesus mit seinen Jüngern das Passalamm aß, nicht gemangelt, trug doch der Mann, dem Petrus und Johannes nachfolgen sollten, einen Tonkrug mit Wasser ins Haus seines Hausherrn (Lk 22,10; Mk 14,13-14). Deshalb ist anzunehmen, dass es Jesus bei dieser Handlung nicht um die äußere Reinheit der Füße ging, sondern um mehrere tiefere Gründe/Wahrheiten, die er seinen Jüngern und damit allen seinen Nachfolgern für allezeit mit auf den Lebensweg geben wollte.
Es gibt eindeutige Gründe für die Handlung der Fußwaschung an diesem letzten Abend. Um diese herauszufinden ist es wichtig und notwendig, diese Handlung (wie bereits oben begonnen) im näheren aber auch weiteren Kontext zu betrachten.
Der Evangelist Lukas berichtet im Rahmen des letzten Abends in Kapitel 22,24-27 über erhebliche Spannungen im Jüngerkreis wenn er schreibt:
Es entstand aber auch ein Streit (gr. φιλονεικεία – filoneikeia – Streit, Zank, Wettstreit) unter ihnen, wer von ihnen für den Größten zu halten sei. Er aber sprach zu ihnen: Die Könige der Nationen herrschen über sie, und die Gewalt über sie üben, lassen sich Wohltäter nennen. Ihr aber nicht so! Sondern der Größte unter euch sei wie der Jüngste und der Führende wie der Dienende. Denn wer ist größer, der zu Tisch Liegende oder der Dienende? Nicht der zu Tisch Liegende? Ich aber bin in eurer Mitte wie der Dienende.
Dieser Text von Lukas steht gleich nach der Bundesstiftung. Ist es möglich, dass die Jünger auch noch nach der eindrucksvollen Handlung der Fußwaschung miteinander über den Vorsitz streiten konnten? Es ist auffallend, dass Teile dieses Textes wörtlich auch bei Matthäus und Markus zu finden sind, allerdings in einem Kontext der sich bereits etwa sieben Tage vorher abgespielt hatte. Tatsächlich beschäftigte die Jünger die Frage: „Wer ist der Größte“ nicht erst an diesem Abend. Sie beschäftigte die Jünger auch schon früher in Galiläa (Mt 18,1-3; Mk 9,33-35; Lk 9,46-48).
Dort fragte sie Jesus: „Worüber diskutiertet (gr. διαλογίζεσθε – dielogizesthe – Wortstreit, Wortgefecht (als Verb)) ihr auf dem Wege untereinander?“
Sie diskutierten und stritten untereinander, wer von ihnen für den Größten gehalten werden sollte? Die Lektion mit dem Kind, welche Jesus ihnen damals gab, war sehr anschaulich, doch in ihrem Herzen hatten sie sich nicht verändert. Monate später, bereits auf dem Weg hinauf nach Jerusalem (etwa eine Woche vor seinem Leiden) strebten zwei seiner Jünger mit Hilfe ihrer Mutter nach hohen Posten in seinem Reich (Mk 10,35-45; Mt 20,20-28). Dadurch entstand bei den anderen zehn Jüngern Unwille bzw. Unzufriedenheit gegenüber den Zweien (Mk 10,41). Dort weist Jesus auf den Leidenskelch hin, welcher ihm, aber auch ihnen bevorsteht und tadelt sie offen für ihr Machtstreben und indirekt ihren Übermut. Anschließend ruft er alle zusammen und erteilt ihnen eine weitere Lektion (Mk 10,41-45). Übrigens besteht zwischen dem Text des Lukas in Kapitel 22,24-27 und den Texten des Matthäus (Kap. 20,25-28) und Markus (Kap. 10,42-44) eine große Übereinstimmung. Wenn bei den Jüngern am letzten Abend zum dritten Mal ein Wettstreit über die Rangordnung entstand, wie Lukas es beschreibt, dann besteht ein unmittelbarer Zusammenhang mit der Fußwaschung. Wenn Lukas Inhalte aus dem, vor einer Woche entstandenem Machtstreben in das Geschehen dieses letzten Abends eingefügt hat, dann wird deutlich, dass die Jünger die Prinzipien der Dienstordnung im Reiche Gottes immer noch nicht verstehen oder übernehmen wollten. Daher besteht auf jeden Fall ein Zusammenhang zur Fußwaschung.
Und nun setzt Jesus an diesem Abend durch die Handlung der Fußwaschung einen deutlichen Akzent gegenüber dem Machtstreben unter seinen Jüngern. Jedes Detail der Handlung drückt etwas Besonderes aus:
- Jesus legte seine Kleider ((gr. τα ιμάτια – ta imatia – die Oberbekleidung, der Mantel) ab (Joh 13,4). Nach Johannes 19,23-24 bestand die Bekleidung von Jesus aus mehreren Teilen. Das Obergewand, oft auch mit Mantel übersetzt (Mt 5,40), bestand aus viel Stoff und konnte an den Nahtstellen in Teile zerlegt werden. Das gewebte Untergewand (gr. χιτώνα – chitöna) war durchgehend ein Ganzes. Er löste den meist mehrfach gefalteten langen Gürtel, legte das Obergewand ab.
- Johannes präzisiert weiter: Er nahm einen Schurz (gr. λέντιον – lention) und umgürtete sich damit. Jetzt sieht er auch äußerlich einem Hausdiener/Sklaven in Aktion gleich.
- Er besorgt sich eine Waschschüssel, gießt dort Wasser hinein und beginnt gebeugt oder kniend seinen Jüngern die Füße zu waschen und sie mit dem Lendenschurz abzutrocknen. Was für ein Akt der Selbsterniedrigung vor den Jüngern, auch vor denen, die nach der Führerschaft strebten (Lk 22,24). Welch bewusste Bereitschaft zu dienen!
Wie die anderen Jünger, so lässt auch Judas die Waschung an sich stillschweigend vollziehen, welch Gnade im Verhalten von Jesus. Judas bekommt vollen Anteil an der Zuwendung durch Jesus, doch umso größer fällt die Verantwortung hernach aus.
10.21.3 Jesus und Petrus – wer dient wem?
Der Evangelist Johannes schreibt weiter: „Da kam er zu Simon Petrus; der sprach zu ihm: Herr, solltest du mir die Füße waschen? Jesus antwortete und sprach zu ihm: Was ich tue, das verstehst du jetzt nicht; du wirst es aber hernach erfahren.“ (Joh 13,6). Bis dahin hatte sich keiner der Jünger zu der Handlung von Jesus geäußert. Anscheinend ließen sie alle Jesus gewähren. Doch dann kommt Simon Petrus an die Reihe und dieser hat sich in seinem Standpunkt bereits festgelegt und beginnt mit einer Frage. Aus menschlicher Sicht und alltäglicher Erfahrung wäre es normal, dass ein Niedergestellter einem Höhergestellten einen Dienst erweist. Auf die Frage des Petrus reagiert Jesus wie ein guter vorausschauender Lehrer, der genau weiß, wann welche Lektion dran ist und in welcher Reihenfolge sie dargelegt wird. Mal spricht Jesus zuerst, dann handelt er, hier handelt er zuerst, dann gibt er die Erklärung zu seiner Handlung. Eine wahrhaft gute Lektion für Eltern, Erzieher und Lehrer. Jesus kennt das Fassungsvermögen im Verstehen und Begreifen einer Wahrheit bei seinen Jüngern sehr gut.
Doch Petrus blockiert weiter und verharrt in seiner festgefassten Position: „Nimmermehr (wörtlich: in Ewigkeit) sollst du mir die Füße waschen!“. Dank dieser grotesken Auflehnung des Petrus bekommen wir tieferen Einblick in die Bedeutung der Handlung von Jesus. Die anfängliche Weigerung des Petrus ist von der Sicht eines anständigen Menschen verständlich. Status, Rang, Alter sind in allen Kulturen feste Bestandteile, welche das Zusammenleben erst möglich machen und in ein gewisses Gleichgewicht bringen. Die ganz am Anfang ausgesprochene Aufforderung von Jesus in Matthäus 4,17: „Denkt um, verändert euer Denken, eure Gesinnung“, hat sich bei den Jüngern noch nicht in allen Bereichen durchgesetzt.
Jesus antwortete ihm: Wenn ich dich nicht wasche, so hast du kein Teil an mir. Spricht zu ihm Simon Petrus: Herr, nicht die Füße allein, sondern auch die Hände und das Haupt! Spricht Jesus zu ihm: Wer gewaschen ist, bedarf nichts, als dass ihm die Füße gewaschen werden; denn er ist ganz rein. Und ihr seid rein, aber nicht alle. Denn er kannte seinen Verräter; darum sprach er: Ihr seid nicht alle rein. (Joh 13,7-11).
Wir haben festgestellt, dass es Jesus nicht (vorrangig) um die Reinheit der Füße von den Jüngern ging. Auch bescheinigt er seinen Jüngern, dass sie bereits gewaschen sind und dementsprechend ganz rein seien. Wieder gebraucht Johannes ein selten verwendetes Wort – „Wer gewaschen ist“, dieser Ausdruck kommt nur noch einmal in Hebräer 10,22 vor und dort wird durch ihn eindeutig das Waschen oder Baden des Herzens mit reinem Wasser beschrieben. Dieses reine Wasser ist zweifellos das Wort Gottes, wie auch Paulus in Epheser 5,26 deutlich macht. Diese Waschung des Herzens erlebten die Jünger (mit Ausnahme von Judas) bereits durch sein Wort, so Jesus: „er ist ganz rein“, oder: „ihr seid rein um des Wortes Willen, das ich zu euch geredet habe.“ (Joh 15,3). Wenn es nicht um die physische Reinheit der Jünger ging, ja nicht mal um die innere Reinheit ihrer Herzen, um was ging es dann, was fehlte den Jüngern noch?
Es geht um die Teilhabe mit Jesus oder an Jesus und zwar nicht nur an seiner Herrlichkeit, sondern auch an seinem Leiden. Was setzt diese Teilhabe an Jesus voraus? Es ist die ANNAHME seines DIENSTES!
Daher deutet der Dienst von Jesus in seiner Erniedrigung als Fußwäscher auf seinen Dienst in der Hingabe seines Lebens hin. So sagte er seinen Jüngern, die nach Größe strebten: „gleichwie der Sohn des Menschen nicht gekommen ist, um bedient zu werden, sondern um zu dienen und sein Leben zu geben als Lösegeld für viele.“ (Mt 20,28; Mk 10,45).
Alle Religionen zielen darauf ab, dass der Mensch einer Gottheit Dienst erweist. Die Offenbarung Gottes in Jesus Christus zeigt den umgekehrten Weg. Wer den Dienst von Jesus im Bewusstsein der Hilfsbedürftigkeit annimmt, bekommt Anteil an ihm, wer seinen Dienst ablehnt, schließt sich selbst von der Reichsgottesgemeinschaft aus.
Dass Petrus von einem Extrem ins andere verfällt, zeigt seine Unsicherheit in Bezug auf seinen Stand: „Herr, nicht die Füße allein, sondern auch die Hände und das Haupt“. Doch Jesus macht deutlich, dass das Waschen des Körpers mit Wasser die bereits gewonnene Reinheit (des Herzens) nicht zu vervollständigen vermag. Umgekehrt gilt auch: die Inanspruchnahme des Dienstes von Jesus durch sein Wort, führt nicht automatisch zur Herzensreinheit, wie im Falle von Judas deutlich wird. Daran änderte auch seine widerspruchslose Annahme des Dienstes der Fußwaschung nichts. Weil er die Gesinnung von Jesus ablehnte, blieb er ausgeschlossen von der Gemeinschaft mit dem Herrn. Jesus bestätigt dem Judas dessen Ausschluss aus der Gemeinschaft der Reinen (Joh 13,10-11). Simon Petrus jedoch, der sich belehren und korrigieren lässt, bekommt seinen Anteil an seinem Meister und Herrn.
10.21.4 Der Lehrer und der Herr im Dienst! Und was ist mit den Schülern und Knechten?
Der Evangelist Johannes schreibt weiter: „Als er nun ihre Füße gewaschen hatte, nahm er seine Kleider und setzte sich wieder nieder und sprach zu ihnen: Wisst ihr, was ich euch getan habe? Ihr nennt mich Meister und Herr und sagt es mit Recht, denn ich bin’s auch.“ (Joh 13,12-13).
Jesus legt den Lendenschurz ab und zieht wieder seine Kleider an, setzt sich (bzw. legt sich) wieder an seinen Platz und nun erklärt und begründet er sein ungewöhnliches Handeln an seinen Jüngern. Er beginnt mit der Frage: „Wisst (erkennt, versteht) ihr, was ich euch getan habe?“ – dies schärft die Denkweise der Jünger. Und dann nutzt er die Feststellung: „Ihr nennt mich Lehrer und Herr“ und bestätigt diese mit den Worten: „ihr sagt es mit recht, denn ich bin es“. Jesus hat ein absolutes und vollkommen gesundes Selbstbewusstsein und die Jünger erkennen seinen hohen Stand an.
Alle Religionen zielen darauf ab, dass der Mensch einer Gottheit Dienst erweist. Die Einstellung, dass ein im Rang Niederer dem im Rang Höheren Dienst erweist, um dessen Gunst zu gewinnen, hat sich im Laufe der Zeit entwickelt und wurde zum Standard in der menschlichen Zivilisation. Die Offenbarung Gottes in Jesus Christus zeigt den umgekehrten Weg. Gott macht sich auf, um dem Menschen zu dienen, ihm seine Gunst (Gnade) zu erweisen und zwar ohne Vorbedingung oder Vorleistung.
Nochmal, es geht Jesus nicht (vordergründig) um Reinigung bestimmter Körperteile, sondern um die offensichtliche Darstellung der prinzipiellen Diensteinstellung Gottes in der Selbsterniedrigung von Jesus Christus, dem Sohn Gottes . Durch die Handlung der Fußwaschung konnte diese Einstellung optimal verdeutlicht werden. Diese neue Ordnung zerbricht die Herrschsucht, das Machtstreben und den Machtmissbrauch dieser Welt und stellt das neue Selbstbewusstsein (den Stand, den Status) der Jünger auf eine völlig neue Grundlage. Jesus selbst hat ein absolut gesundes Selbstbewusstsein, seine Aussage: „ich bin`s“ macht sehr deutlich, dass er weiß wer er ist. Status und Dienst werden von ihm in ein rechtes Verhältnis gebracht.
10.21.5 Die Verordnung an seine Jünger
Nun folgt mit allem Nachdruck das Gebot, die Verordnung mit der entsprechenden Begründung: Wenn nun ich, euer Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, so sollt auch ihr euch untereinander die Füße waschen. Ein Beispiel (gr. υπόδειγμα – ypodeigma) habe ich euch gegeben, damit ihr tut, wie ich euch getan habe. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Der Knecht ist nicht größer als sein Herr und der Apostel nicht größer als der, der ihn gesandt hat. Wenn ihr dies wisst – selig (glückselig) seid ihr, wenn ihr’s tut. (Joh 13,14-17).
Hier stellen sich einige Fragen:
- Was will Jesus mit dieser Anordnung bei seinen Jüngern erreichen?
- Meint er, dass diese Verordnung auch in buchstäblicher Form praktiziert werden soll? Wenn ja, wie oft, bei welchen Gelegenheiten und in welchem Zusammenhang?
- Sind auch Frauen in diese Verordnung eingeschlossen?
- Gilt diese Verordnung nur den Gläubigen? Dürfen auch Interressierte und Kinder daran teilnehmen?
An dieser Stelle ist es wichtig, dass wir zunächst den Begriff, welchen Jesus für seine Handlung gebraucht, seinem Inhalt nach untersuchen. Es geht um das griechische Wort `υπόδειγμα – ypodeigma`. Da es bei Johannes nur an dieser Stelle vorkommt, müssen wir bei den anderen Autoren des Neuen Testamentes danach suchen. Dieser Begriff kommt in folgenden Texten vor:
- Matthäus 1,19: μη δειγματίσαι – m¢ deigmatisai – nicht bloßstellen;
- Kolosser 2,15: έδειγμάτισεν – edeigmatisen – er hat bloßgestellt, zur Schau gestellt;
- 2Thessalonicher 1,5: ένδειγμα – endeigma – Anzeichen, Beweis, Hinweis;
- Hebräer 4,11: μη υποδείγματι πεση – m¢ ypodeigmati pes¢ – nicht in das Beispiel fallen;
- Hebräer 6,6: παραδειγματίσοντας – paradeigmatizontas – bloßstellen, dem Spott aussetzen, beschämeni;
- Hebräer 8,5: υποδείγματι – ypodeigmati – (die) dem Abbild (und Schatten der himmlischen Dinge dienen);
- Hebräer 9,23: υποδείγματα – ypodeigmata – die Abbilder (der himmlischen Dinge hierdurch gereinigt werden);
- Jakobus 5,10: υπόδειγμα – ypodeigma – als Beispiel, Vorbild (nehmt euch das Leiden und die Geduld der Propheten);
- Weitere Stellen: 2Petrus 2,6; Judas 7 (beide negative Beispiele, die man meiden soll).
Wie wir feststellen können, ist der Begriff an für sich neutral und kann sowohl als Beispiel zur Nachahmung wie auch als Beispiel das vermieden werden soll, gebraucht werden. Da Jesus es in positivem Sinne gebraucht, ziehen wir zum besseren Verständnis dieses Wortes die beiden Stellen aus dem Hebräerbrief Kapitel 8,5 und 9,23 heran. Dort beschreibt dieser Begriff (in der Einzahl und Mehrzahl) Gegenstände, bzw. Einrichtungen und Handlungen des Gottesdienstes in der Stiftshüte als Abbilder, Vorbilder, Schattenbilder der himmlischen Wirklichkeiten. Die Vorsilbe `υπο – ypo` macht deutlich, dass sich unter oder hinter diesen sichtbaren Gegenständen eine unsichtbare Wahrheit und Wirklichkeit verbirgt. Solche Vorbilder oder Abbilder sind: Stiftshütte mit Altar, Waschbecken, Schaubrottisch, siebenarmiger Leuchter, Räucheraltar, Bundeslade mit dem Sühnedeckel). Demnach ist das `upo,deigma – ypodeigma – Beispiel` in Johannes 13,15 eine sichtbare Darstellung einer himmlischen, göttlichen Wirklichkeit und dient den Jüngern als Beispiel zur unbedingten Nachahmung.
Die sichtbare und fassbare Handlung der Fußwaschung birgt in sich:
- Die Erniedrigung des Christus in der Knechtsgestalt des Menschensohnes, seine Diensteinstellung zu Gunsten der Menschen. Dies durchzieht sein ganzes Leben und gipfelt in der Hingabe seines Lebens „als Lösegeld für viele“ (Mt 20,28; Mk 10,45).
- Es birgt in sich das Angebot der Versönung mit Gott und untereinander.
Diese Selbsterniedrigung und der Dienst des Herrn und Meisters, ist auch den Jüngern verordnet. Mehrmals spricht Jesus im Johannestext vom `Tun`:
- „damit ihr tut, wie ich euch getan habe“;
- „so sollt (schuldet) auch ihr euch untereinander die Füße waschen“;
- „Wenn ihr dies wisst – glückselig) seid ihr, wenn ihr’s tut“.
Dabei wäre es zu wenig allein das Beispiel, die Handlung der Fußwaschung in ihrer buchstäblichen Form, zu praktizieren. Doch damit die Dienstordnung Gottes in seiner Gemeinde durch Herrschsucht, das Streben nach Macht und Machtmissbrauch nicht untergraben wird, ist es sehr sinnvoll das Beispiel von Jesus auch in seiner buchstäblichen Form zu praktizieren. Jesus sagte: „So sollt auch ihr einander die Füße waschen“. Beim letzten Abend kamen die Jünger noch nicht dazu oder waren noch nicht bereit, einander die Füße zu waschen. Sie sollten zuerst den faktischen Dienst von Jesus am darauffolgenden Tag sehen und erkennen. Erst danach waren sie imstande, mit Aufrichtigkeit einander die Füße zu waschen. Vor dem Eintreten in diesen Raum hatte wohl jeder sich selbst die Füße gewaschen. Die Evangelisten berichten nicht über die Praxis der Fußwaschung unter den Jüngern im Rahmen der Hausversammlungen, doch das Argument des Schweigens bedeutet noch nicht, dass diese Verordnung nicht praktiziert worden wäre. Vorstellbar wäre auch, dass die Jünger bei ihren häufigen Besuchen in den Häusern einander die Füße wuschen und somit ihre Dienstbereitschaft in der Beugung voreinander bekundeten. Zumindest in einer Stelle nimmt der Apostel Paulus darauf Bezug. So schreibt er in 1Timotheus 5,9-10 über die Voraussetzungen bei der Versorgung von Witwen durch die Gemeinde: „Es soll keine als rechte Witwe anerkannt werden unter sechzig Jahren; sie soll eines einzigen Mannes Frau gewesen sein. Und ein Zeugnis guter Werke haben: wenn sie Kinder aufgezogen hat, wenn sie gastfrei gewesen ist, wenn sie den Heiligen die Füße gewaschen hat, wenn sie den Bedrängten beigestanden hat, wenn sie allem guten Werk nachgekommen ist.“ Hier geht es wohl um Füße waschen beim Eintreten in ein Haus und nicht im Rahmen einer Versammlung. Daher sollte es uns nicht in erster Linie um das Feiern der Fußwaschung gehen, denn diese Handlung ist nur ein Abbild, sondern um die öffentliche Bekundung der beständigen Bereitschaft zur Selbsterniedrigung vor dem Nächsten und zum täglichen, praktischen Dienst am Nächsten.
Nur bei der Neuordnung bzw. wiederhergestellten göttlichen Dienstordnung in der Jüngerschaft, kann sich der Leib von Jesus Christus (die Gemeinde) gesund entfalten. Die verantwortlichen Leiter von Gemeinden und Gemeindeverbänden, auch die Familienvorsteher müssen sich an diesem Maßstab messen lassen.
Es gehen heilsame Impulse aus von der ehrlichen Teilnahme an dieser Praxis:
- Sie fördert das Ablegen des menschlichen Stolzes und der Überheblichkeit,
- Sie überwindet die Rechthaberei und Zänkerei,
- Sie festigt vorhandene Beziehungen,
- Sie fördert die Versöhnung und Wiederherstellung von geschwächten Beziehungen,
- Sie fördert ein friedliches Miteinander,
- Sie fördert die Gleichheit, bzw. Gleichwertigkeit der Gläubigen,
- Sie fördert Einheit der Gläubigen,
- Sie fördert das Bewusstsein der Zugehörigkeit zur Gemeinschaft in Christus.
Fragen / Aufgaben:
- Wann, wo und unter welchen Umständen wusch Jesus seinen Jüngern die Füße?
- Beschreibe den Kontext der Fußwaschungspraxis in Israel in alttestamentlicher Zeit, aber auch zur Zeit von Jesus.
- Warum wollte Simon sich zunächst nicht die Füße waschen lassen? Was sagt seine spätere Reaktion „nicht die Füße allein, sondern auch die Hände und das Haupt“ über seinen Charakter und die Beziehung zu Jesus aus?
- Was ist der tiefere Inhalt dieser Handlung? Was bedeutet der von Jesus dort verwendete griechische Begriff `ypodeigma`, der mit `Beispiel` übersetzt wird?
- Wie oft sollte sie in ihrer buchstäblichen Form praktiziert werden? Welche Erfahrungswerte gibt es?
- Ist es sinnvoll, dass sie mit dem Herrenmahl zusammen durchgeführt wird oder getrennt davon?
- Welche heilsamen Auswirkungen hat sie auf das Miteinander in der Gemeinschaft?
- Beschreibe deine persönlichen Erfahrungen mit dieser ungewöhnlichen Handlung?
- Wie begründen wir unsere Gemeindepraxis? Gibt es in unserem Kulturkreis eine Alternative für diese Handlung?
- Die individuelle und ehrliche Beschäftigung mit diesem Thema wird sich positiv und festigend in deiner Beziehung zu Christus auswirken.
10.22 Jesus: Einer von euch zwölf wird mich verraten
(Bibeltexte: Mt 26,21-25; Mk 14,18-21; Lk 22,21-23; Joh 13,18-30)
Der Evangelist Johannes hat die meisten Aussagen von Jesus über den Verräter aufgeschrieben. Diese stehen in seinem Bericht gleich im Anschluß an die Fußwaschung. Nach den Berichten des Matthäus und Markus beginnt das Gespräch über den Verrat bereits vor der Stiftung des Neuen Bundes. Der Evangelist Lukas leitet das Gespräch über den Verräter zeitlich nach dem Brotbrechen und zusammen mit dem letzten Kelch ein. Wir ordnen das Gespräch über den Verräter zeitlich nach der Fußwaschung und vor der Einsetzung des Herrenmahls ein.
Nach den erklärenden Worten von Jesus über seine ungewöhnliche Handlung der Fußwaschung, leitet er fließend über zum Thema Verrat. „Das sage ich nicht von euch allen; ich weiß, welche ich erwählt habe. Aber es muss die Schrift erfüllt werden (Psalm 41,10): »Der mein Brot isst, tritt mich mit Füßen.« (Joh 13,18). Jesus kennt die Schriften und die Geschichten in denen sich Menschen der Bosheit, Hinterlist und dem Verrat verschrieben haben. Auch an ihm wird diese verräterische Bosheit verübt werden. Doch er ist von Anfang an sicher gewesen über die Erwählung der 12 Jünger, so sagte er bereits in der Synagoge zu Kapernaum: „Habe ich nicht euch Zwölf erwählt? Und einer von euch ist ein Teufel (diabolos).“ Und Johannes erklärt im Rückblick die Aussage des Herrn mit: „Er redete aber von Judas, dem Sohn des Simon Iskariot. Der verriet (gr. παραδιδόναι – paradidonai – überlieferte) ihn hernach und war einer der Zwölf.“ (Joh 6,70-71). Oder wir denken an die Aussage des Johannes: „Denn Jesus wusste von Anfang an, wer die waren, die nicht glaubten, und wer ihn verraten (gr. paradw,swn – paradösön – überliefern) würde.“ (Joh 6,64). Doch erst jetzt beginnt er die innere Einstellung des Verräters zu offenbaren. Er weiss natürlich um die Abmachung des Judas mit den Hohenpriestern. Denn bereits nach dem Abend in Bethanien ging jener zu der Tempelbehörde und bot gegen Bezahlung seine Dienste an. So schreibt der Evangelist Matthäus: „Dann ging einer von den Zwölfen, Judas Iskariot mit Namen, zu den Hohenpriestern und sprach: Was wollt ihr mir geben, und ich werde ihn euch überliefern (gr. παραδώσω – paradösö – überliefern)? Sie aber setzten ihm dreißig Silberlinge fest. Und von da an suchte er Gelegenheit, ihn zu überliefern (gr. παραδώ – paradö – überliefern).“ (Mt 26,14-16; Mk 14,10-11; Lk 22,3-6). Der Evangelist Lukas ergänzt: „Aber Satan fuhr in Judas (…).“ (Lk 22,3a).
Nun verbringt er den Abend mit Jesus und den Mitjüngern, obwohl er keiner mehr war. Auch Johannes bestätigt, dass der Entschluß zum Verrat bei Judas bereits vor dem letzten Abend feststand. So schreibt er in Kapitel 13,2: „Und während des Mahls, als schon der Teufel dem Judas, Simons Sohn, dem Ischariot, ins Herz gegeben hatte, ihn zu verraten (gr. παραδοί, – paradoi – zu überliefern),“ Seit Tagen suchte Judas eine gute Gelegenheit um Jesus an die Tempelbehörde zu überliefern. „Sie (die Hohenpriester) sprachen aber: Ja nicht bei dem Fest, damit es nicht einen Aufruhr gebe im Volk.“ (Mt 26,5; Mk 14,2). Wir werden sehen, dass ihre Pläne indirekt durch Jesus selbst vereitelt werden.
Wie so oft vorher, so auch jetzt, sagt Jesus mit bestimmter Absicht Geschehnisse voraus und die Jünger hören ihn sagen: „Schon jetzt sage ich’s euch, ehe es geschieht, damit ihr, wenn es geschehen ist, glaubt, dass ich es bin.“ (Joh 13,19). Es sind Hilfestellungen für den Glauben an die Person von Jesus als den Messias.
Die folgende Aussage scheint wenig mit dem Thema des Verrats zu tun haben, aber sie steht da mitten drin und wird von Jesus mit dem zweimaligen hebräischen Wort `amen, amen`, welches die absolute Wahrheit und Bestimmtheit hervorhebt, eingeleitet. „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer jemanden aufnimmt, den ich senden werde, der nimmt mich auf; wer aber mich aufnimmt, der nimmt den auf, der mich gesandt hat.“ (Joh 13,20). Es klingt ähnlich wie bei der Aussendung der zwölf, dort heißt es: „Wer euch aufnimmt, der nimmt mich auf; und wer mich aufnimmt, der nimmt den auf, der mich gesandt hat.“ (Mt 10,40; ähnlich Lk 10,16). Die Jünger werden sich an jene Aussage erinnert haben, sicher auch Judas, der nun dabei ist seinen Herrn und damit Gott abzulehnen. Im deutlichen Kontrast zu ihm steht der Eigentümer des Hauses und Gastgeber, dieser gehört bereits zu denen, die Jesus aufgenommen haben. Er ging das Risiko ein von der Synagoge ausgeschlossen zu werden (Joh 9,22; 11,57; 12,42).
Und nun spricht Jesus aus, was ihn selbst sehr in Erregung bringt. Auch diese Aussage leitet er mit dem doppelten `amen, amen` ein: „Als Jesus das gesagt hatte, wurde er erregt im Geist und bezeugte und sprach: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Einer (Zahlwort) unter euch wird mich verraten (gr. παραδώσει με – paradösei me – wird mich überliefern).“ (Joh 13, 21).
Das griechische Verb und Substantiv, mit dem die Evangelisten die verräterische Handlung von Judas beschreiben, ist an für sich wertneutral und erst der Kontext macht deutlich was der `Übergabe` zu Grunde liegt. Hier einige Beispiele:
- Jesus sag: „Alles ist mir von meinem Vater übergeben worden“ (Mt 11,27).
- Das übergeben, bzw. das überliefern der von Christus empfangenen Inhalte (1Kor 11,2.23).
- Mit demselben Begriff werden auch die Überlieferungen der Ältesten der Juden beschrieben (Mt 15,2.3.6).
- Dieser Begriff steht auch für die `Übergabe` von Jesus an Pilatus duch die Priesterschaft und nach der Verurteilung durch den Statthalter Pilatus an die exekutive (Mt 27,18; Mk 15,10; Mt 27,26; Mk 15,15; Lk 23,25).
- Die Überlieferung, die Tradition – `η παράδοση – ¢ parados¢ – wörtlich: die Übergabe, das Übergebene, das Überlieferte` (1Kor 11,2; Gal 1,14; 2Thes 2,15).
- Der Verräter: `ο προδότης – o prodot¢s` bezogen auf Judas in der Jüngerliste (Lk 6,16); Verräter und Mörder: `προδόται και φονείς – prodotai kai foneis` bezogen auf die Führenden in Israel (Apg 7,52);
- Judas im Garten Gethsemane: „der ihn Verratende (ο παραδιδούς αυτόν – o paradidous auton)“ (Joh 18,5).
Durch den Kontext erkennt man sofort, um was für eine Übergabe es sich handelt. Und wir stellen fest, dass das Thema des Verrats durch Judas einen breiten Platz in den Evangelien und sogar der Apostelgeschichte einnimmt. Mindestens 15 Mal wird die Person des Judas im Zusammenhang seiner verräterischen Einstellung und Handlung von den Evangelisten genannt. Demnach war der Verrat des Judas, eine bewusste und vorsätzliche Übergabe (Überlieferung, Auslieferung) an die Gegner und Feinde von Jesus. In diesem Fall auch noch ein Verrat ums Geld, er verkaufte seinen Herrn für 30 Silberstücke (Mt 26,15).
So sehr sich Jesus gesehnt hatte mit seinen Jüngern dieses für ihn letzte Passa zu halten, war er doch sehr betrübt (erregt im Geist) über den Entschluß des Judas, ihn zu verraten. Wie konnte einer, der so viele ungewöhnliche Kraftwirkungen Gottes erlebt, ja sogar mitgewirkt hatte, sein Herz derart verhärten? „Wer mich aufnimmt (…)“, die Jünger müssen sich ständig entscheiden, auf welcher Seite sie stehen wollen. Sie sind immer wieder gefragt, werden sie zu ihrem Herrn und Meister stehen (Joh 6,67; 15,1-7)?
Ähnlich wie Johannes schreibt auch Matthäus mit einiger Ergänzung: „Und während sie zu Tisch lagen und aßen, sprach Jesus: Wahrlich, ich sage euch: Einer (Zahlwort) von euch wird mich überliefern, der, welcher mit mir isst.“ (Mt 26,21). Ebenso Markus: „Und als sie bei Tisch waren und aßen, sprach Jesus: Wahrlich, ich sage euch: Einer (Zahlwort) unter euch, der mit mir isst, wird mich verraten.“ (Mk 14,18). Lukas drückt es anders aus: „Doch siehe, die Hand meines Verräters (wörtlich: του παραδιδόντος με – tou paradidontos me – (die Hand) des mich Verratenden) ist mit mir am Tisch.“ (Lk 22,21).
Bei Johames sagt Jesus weiter: „Da sahen sich die Jünger untereinander an, und ihnen wurde bange, von wem er wohl redete.“ (Joh 13,22).
Lukas ergänzt: „Und sie fingen an, sich untereinander zu befragen, wer es wohl von ihnen sein möchte, der dies tun werde.“ (Lk 22,23).
Matthäus ergänzt in 26,22-23: „Und sie wurden sehr betrübt, und jeder von ihnen fing an, zu ihm zu sagen: Ich bin es doch nicht, Herr? Er aber antwortete und sprach: Der mit mir die Hand (Mk: das Brot) in die Schüssel eintaucht, der wird mich überliefern.“ Nicht auszudenken, was geschehen wäre, wenn Jesus offen den Namen des Judas als Verräter vor allen ausgesprochen hätte. Jesus vermeidet den frontal Zusammenstoß und auch eine direkte Auseinandersetzung der übrigen Jünger mit Judas.
Dann fährt Jesus fort mit den Worten: Der Sohn des Menschen geht zwar dahin, wie über ihn geschrieben steht (Lukas: „wie es beschlossen ist). „Wehe aber jenem Menschen, durch den der Sohn des Menschen überliefert wird! Es wäre jenem Menschen gut, wenn er nicht geboren wäre.“ (Mt 26,24 ähnlich auch Mk 14,21 und Lk 22,22). Diese Worte von Jesus sind sehr geheimnisvoll, weil er von den Abläufen hinter den Kulissen spricht. Bei Matthäus steht die Begründung für das Sterben von Jesus: „wie geschrieben ist“, bei Lukas: „wie beschlossen ist“. So ist auch die Reihenfolge: zuerst wurde bei Gott der Beschluß gefasst, dann ließ er ihn schriftlich festhalten. Den selten verwendeten Begriff `ωρισμένον –örismenon` finden wir noch in Apostelgeschichte 2,23 und 10,42 und in beiden Texten wird sehr deutlich: das mit dem Leiden und Sterben von Jesus ist keine Panne gewesen, sondern von Gott durch Beschluß vorherbestimmt. Im Falle des Verräters jedoch kann man sagen: auch ohne das Eingreifen von Judas wäre Gottes Plan zur Erfüllung gekommen. Der Verrat an Jesus ist zwar vorausgesagt worden durch den Heiligen Geist in der Schrift (Ps 41,10), aber nicht vorausbestimmt durch Gott, es war eindeutig Satans Werk.
„Es wäre jenem Menschen gut, wenn er nicht geboren wäre“. Jesus weiß über das `was wäre wenn“ Bescheid.
Matthäus 26,25: „Judas aber, der ihn überlieferte, antwortete und sprach: Ich bin es doch nicht, Rabbi? Er spricht zu ihm: Du hast es gesagt.“ Judas ist also der letzte, der die Frage stellt „Bin ich`s, Rabbi“? Und Jesus bejaht es, doch in dem lebhaften Tischgespräch wird wohl nur Judas diese Bemerkung von Jesus bewußt gehört haben, galt sie doch nur ihm.
Johannes 13,23-30: „Es war aber einer unter seinen Jüngern, der zu Tische lag an der Brust Jesu, den hatte Jesus lieb. Dem winkte Simon Petrus, dass er fragen sollte, wer es wäre, von dem er redete. Da lehnte der sich an die Brust Jesu und fragte ihn: Herr, wer ist’s? Aus dem Text ist zu erkennen, dass die Frage an Jesus mit leiser Stimme gestellt wurde, ebenso die Antwort. Jesus antwortete: Der ist’s, dem ich den Bissen eintauche und gebe. Und er nahm den Bissen, tauchte ihn ein und gab ihn Judas, dem Sohn des Simon Iskariot. Und nach dem Bissen fuhr der Satan in ihn. Da sprach Jesus zu ihm: Was du tust, das tue bald!“ Diese Aussage hörten zwar alle Jünger. „Niemand am Tisch aber wusste, wozu er ihm das sagte. Denn einige meinten, weil Judas den Beutel hatte, spräche Jesus zu ihm: Kaufe, was wir zum Fest nötig haben!, oder dass er den Armen etwas geben sollte. Als er nun den Bissen genommen hatte, ging er alsbald hinaus. Und es war Nacht.“ (Joh 18,23-30).
Die anderen Jünger sind immer noch ahnungslos. Wieder verstehen sie nicht, was Jesus mit der Anweisung an Judas meinte. Mindestens Johannes, wahrscheinlich auch Petrus wussten nun um Judas Vorhaben, doch auch ihnen blieb verborgen, wann es geschehen würde. Daß den übrigen Jüngern das ungeistliche Verhalten des Judas bis dahin nicht aufgefallen ist, spricht für dessen perfekte Tarnung. Judas war ein sehr guter Schauspieler, Heuchler, Maskenträger. Wir müssen deutlich erkennen, es ist nicht Jesus, der Judas zu dem Verrat drängt, denn jener hat sich schon Tage vorher dafür entschieden. Einige mögliche Gründe für das indirekte Eingreifen von Jesus in den Lauf der Dinge:
- Es ist von Gott vorgesehen, dass Jesus am Passatag sterben sollte und nicht davor oder danach wie es sich die Obersten im Volk erhofften;
- Jesus trennt sich bewusst von Judas, in dem nun der Satan (Gegner) das Sagen hat;
- Jesus hat noch einige Reden, eine Art Vermächtnis an seine Jünger zu richten und dies gilt dem Judas nicht mehr.
Das Egebnis für Judas: Er mißachtet bewußt die Liebe und Langmut Gottes. Dies führt zu einer totalen Verblendung, Verhärtung und Verstockung des Herzens und Jesus lässt ihn gehen.
Bis auf die Episode bei der Salbung von Jesus in Bethanien durch die Maria, ist Judas nicht weiter negativ aufgefallen. Anscheinend hat außer Jesus selbst, keiner der Jünger diesen Mann durchschauen können. Jesus sagte den Verrat voraus und zwar mit der Begründung, dass die Jünger beim Eintreffen der Voraussage glauben an seine Person als den Messias.
Judas steht auf und geht mit seinem Geldbeutel einschließlich der 30 Silberstücke, er verlässt seinen Herrn und die Gemeinschaft der Jünger, diesmal für immer. „Als er nun den Bissen genommen hatte, ging er alsbald hinaus. Und es war Nacht.“ (Joh 13,30). Er hat alle Brücken hinter sich abgebrochen. Es gibt kein Zurück mehr für ihn. Jesus hat ihn entlassen. Er ist nun fest im Besitz des Teufels. Wer zu lange und bewusst mit der Sünde umgeht, begibt sich in die Fänge des Satans. Und es kommt die Stunde, der Augenblick, wo es kein Zurück mehr gibt, so auch bei Judas. Nun ist er auf dem Weg zu den Hohenpriestern, er weis, dass Jesus mit seinen Jüngern nicht in diesem Haus zur Übernachtung bleiben, sondern wie so oft an den Ölberg hinaus gehen werden (Joh 18,2).
Fragen / Aufgaben:
- Was ist uns über den Judas bekannt? Wer ist sein Vater, woher kommt er?
- Was war sein Problem?
- Ist er irgendwie negativ aufgefallen?
- Warum haben die Jünger ihn nicht durchschaut?
- Was bedeutet das Wort Verrat, Verräter?
- Was bedeutet es: „Damit die Schrift erfüllt würde“.
- Ab wann konnte Judas nicht mehr zurück?
- Warum griff Jesus indirekt in den Lauf der Dinge ein?