Georgien – Land der Ein- und Auswanderung

(Reisebericht und Fotos von Paul Schüle, 28.April – 1. Mai 2016)

Ankunft in Tiflis

Die Sonne ging über dem Schwarzen Meer unter, als wir uns am Abend des 28. April Georgien näherten.

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Das Abendrot über dem Schwarzen Meer (Foto:  am 28. April 2016).

Der Flug mit der Türkisch Airline von Stuttgart nach Tiflis via Istanbul war sowohl angenehm (gutes Essen) als auch sehr spannend. Wegen der Verspätung erreichten wir in der letzten Minute vor Gateschluß unseren Anschlussflug von Istanbul nach Tiflis. Bei der Ankunft am Flughafen in Tiflis warteten wir vergeblich auf unsere drei Gepäckstücke. Ein freundlicher Bediensteter, der unsere Verlegenheit bemerkte, kam auf uns zu und half die entsprechenden Formulare auszufüllen. Weiterlesen

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Die Fußwaschung – der Einblick in das Wesen und Handeln Gottes

10.21 Die Fußwaschung – Einblick in das Wesen und Handeln Gottes

(Bibeltexte: Joh 13,1-17; Lk 22,24-27)

Aus sachlichen und logischen Überlegungen folgt nun die Handlung der Fußwaschung von Jesus an seinen Jüngern. Erst danach die Äußerungen über den Verräter und anschließend die Bundesstiftung in der Einsetzung des Herrnemahls.

10.21.1 Die Fußwaschung – eine Jahrtausende alte Praxis im Orient

Die ungewöhnliche Handlung der Fußwaschung durch Jesus Christus an seinen Jüngern hat die Christen über die Jahrhunderte beschäftigt. Dabei wurden in ihr zum Teil unterschiedliche inhaltliche Akzente erkannt und dementsprechend fanden sie ihren Niederschlag in dem Miteinander der Gläubigen.

Fußwaschung war (und ist teilweise noch) fester Bestandteil im häuslichen Alltag der Orientalen und zwar nicht nur in Israel.

  • 1Mose 18,4-5: Abraham sagte:„Man hole doch ein wenig Wasser, dann wascht eure Füße, und ruht euch aus unter dem Baum! Ich will indessen einen Bissen Brot holen, dass ihr euer Herz stärkt; danach mögt ihr weitergehen; wozu wäret ihr sonst bei eurem Knecht vorbeigekommen? Und sie sprachen: Tu so, wie du geredet hast!
  • 1Mose 19,1-2: „Und als Lot sie sah, stand er auf, ging ihnen entgegen und verneigte sich mit dem Gesicht zur Erde; und er sprach: Ach, siehe, meine Herren! Kehrt doch ein in das Haus eures Knechtes, und übernachtet, und wascht eure Füße; morgen früh mögt ihr dann eures Weges ziehen!“
  • 1Mose 24,32: „Da kam der Mann ins Haus; und man sattelte die Kamele ab und gab den Kamelen Stroh und Futter, ihm aber Wasser, um seine Füße zu waschen und die Füße der Männer, die bei ihm waren. Dann wurde ihm zu essen vorgesetzt.“
  • 1Mose 43,24: „Und der Mann führte die Männer in das Haus Josephs und gab ihnen Wasser, dass sie ihre Füße waschen konnten, und gab ihren Eseln Futter.“
  • Richter 19,21: „Und er führte ihn in sein Haus und gab den Eseln Futter; und sie wuschen ihre Füße, aßen und tranken.“

In all diesen Geschichten wurde den beteiligten Personen Wasser zur Verfügung gestellt, die Füße haben sie jedoch sich selber gewaschen.

  • 1Samuel 25,39-41: „Und David sandte hin und warb um Abigajil, um sie sich zur Frau zu nehmen. Und die Knechte Davids kamen zu Abigajil nach Karmel und redeten mit ihr: David hat uns zu dir gesandt, um dich zu seiner Frau zu nehmen. Da stand sie auf, beugte sich nieder, das Gesicht zur Erde, und sagte: Siehe, deine Magd ist bereit, den Knechten meines Herrn zu dienen und ihnen die Füße zu waschen.“

Abigajil ist bereit nicht nur Frau von David zu werden, sondern in dessen Haus auch Fußwaschungsdienst zu übernehmen. Diese Geschichte macht deutlich, dass Frauen zumindest gelegentlich den Dienst der Fußwaschung versahen.

  • Lukas 7,43-44: „Und sich zu der Frau wendend, sprach er zu Simon: Siehst du diese Frau? Ich bin in dein Haus gekommen, du hast mir kein Wasser für meine Füße gegeben; sie aber hat meine Füße mit Tränen benetzt und mit ihren Haaren getrocknet.“

Der Kontext macht deutlich, dass es auch zur Zeit von Jesus in Israel üblich war, vor Betreten des Hauses, bzw. Wohnraumes, die Füße zu waschen. In diesem Fall wurde Jesus ein wichtiges Element der Gastfreundschaft versagt.

  • 1Timotheus 5,9-10: „Eine Witwe soll ins Verzeichnis eingetragen werden, wenn sie wenigstens sechzig Jahre alt ist, eines Mannes Frau war, ein Zeugnis in guten Werken hat, wenn sie Kinder auferzogen, wenn sie Fremde beherbergt, wenn sie der Heiligen Füße gewaschen, wenn sie Bedrängten Hilfe geleistet hat, wenn sie jedem guten Werk nachgegangen ist.“

In diesem Fall geht es wohl eher um die alltägliche Praxis der Fußwaschung durch Frauen, welche bei sich Gäste aufgenommen haben,- „wenn sie Fremde beherbergt, wenn sie der Heiligen Füße gewaschen“. Man kann davon ausgehen, dass auch Sklaven und Hausdiener den Dienst der Fußwaschung an ihren Herren oder den Gästen des Hauses versahen, auch wenn wir in der Bibel kein ausdrückliches Beispiel dafür finden.

Die Waschung der Füße spielte auch eine wichtige Rolle im liturgischen Bereich. So ordnete Gott den Priestern an: „Und Aaron und seine Söhne sollen aus ihm (dem Becken) ihre Hände und Füße waschen.“ „Und zwar sollen sie ihre Hände und ihre Füße waschen, damit sie nicht sterben. Das soll eine ewig gültige Ordnung für sie sein, für ihn und seinen Samen, für ihre [künftigen] Geschlechter.“ (2Mose 30,19-21; ebenso 2Mose 40,31-32).

-Es gibt Hinweise, wonach auch zur Zeit von Jesus rituelle Waschungen im Alltag der Juden üblich waren, so zum Beispiel in einem Haus im Galiläischen Kana: „Es waren aber sechs steinerne Wasserkrüge dort aufgestellt nach der Reinigungssitte der Juden, wovon jeder zwei oder drei Maß fasste.“ (Joh 2,6). Sicher nutzte man dieses Wasser auch um Hände und Füße zu waschen (vgl. dazu auch Mk 7,4; Hebr 9,10).

Neben den bereits bekannten Aspekten für körperliche und gottesdienstliche Reinheit lassen sich in der Handlung der Fußwaschung durch Jesus mehrere geistliche Inhalte erkennen, die im Laufe der nächsten Abschnitte benannt und begründet werden sollen.

Was der Evangelist Johannes ab jetzt beschreibt, spielte sich während des Passamahles ab. „Und beim Abendessen, als schon der Teufel dem Judas, Simons Sohn, dem Iskariot, ins Herz gegeben hatte, ihn zu verraten, Jesus aber wusste, dass ihm der Vater alles in seine Hände gegeben hatte und dass er von Gott gekommen war und zu Gott ging.“ (Joh 13,2-3). Die besonders ausdrucksvolle Handlung von Jesus, die Fußwaschung, findet im Rahmen des Passamahls statt. Die Liebe von Jesus zu den Seinen ist ungemindert. Doch bereits am Abend bei der Salbung in Bethanien, entschloss sich Judas Iskariot, Jesus an die Tempelbehörde zu verraten (vgl. Joh 12,3-6 mit Mt 26,14-16; Mk 14,10-11; Lk 22,3-6). Das Gift der Verärgerung, der Geldgier und innerer Rebellion, welches der Teufel (diabolos) in das Herz des Judas gespritzt hatte, wirkte vollends (Joh 13,3b). Der Gegensatz im Denken und Verhalten des Judas und Jesus kann nicht krasser sein. Der eine liebt, obwohl er alle Vollmachten in der Hand hat, der andere (gefangen vom Teufel) liefert den Liebenden an die Feinde aus.

Jesus gestaltet diesen letzten Abend mit seinen Jüngern sehr bewusst (Lk 22,15). Alle drei synoptischen Evangelien berichten im Rahmen des Passamahls, das besondere und neue Mahl des Herrn mit der Stiftung des Neuen Bundes. Johannes, der mit hoher Wahrscheinlichkeit seinen Evangelienbericht später verfasste, beschreibt im Detail die besondere Handlung von Jesus an seinen Jüngern, die sogenannte Fußwaschung. In den folgenden Abschnitten wollen wir den Fragen nach dem warum, wozu und der Bedeutung dieser Handlung nachgehen.

 

10.21.2 Jesus wäscht seinen Jüngern die Füße

Der Evangelist Johannes schreibt weiter: „(…) da stand er vom Mahl auf, legte seine Kleider ab und nahm einen Schurz und umgürtete sich. Danach goss er Wasser in ein Becken, fing an, den Jüngern die Füße zu waschen und zu trocknen mit dem Schurz, mit dem er umgürtet war.“ (Joh 13,4-5).

Abbildung 8 Diese Zeichnung macht deutlich, wie eine Tischgemeinschaft  zur Zeit von Jesus in etwa ausgesehen haben konnte (Zeichnung am 7. Februar 2016).

Gelegentlich wird zu diesem Text gesagt, dass Jesus den Staub der Strasse von den Füßen seiner Jünger abgewaschen hatte. Dies würde voraussetzen, dass die Jünger trotz üblicher Sitte, ihre Füße vor Betreten des Festraumes nicht gewaschen haben. Auch in diesem Falle würde es dem inneren Gehalt der Handlung keinen Abbruch tun, ihn möglicherweise noch verstärken. Doch wie wahrscheinlich ist diese Annahme? Jesus tat dies während der Mahlzeit, denn er stand vom Abendessen auf (Joh 13,4a). Wenn es ihm an der Reinheit der Füße bei seinen Jüngern und des gepolsterten Raumes gelegen hätte, dann hätte das Waschen der Füße vor dem Betreten des Raumes mehr Sinn gemacht. Sind die Jünger zu diesem besonderen Abend mit Festessen (das höchste und bedeutendste Fest des Jahres) in das Oberzimmer eines fremden Hauses, das dazu auch noch mit Polstern ausgestattet war, mit ungewaschenen Füßen hineingetreten? Wie wir bereits festgestellt haben, war das Waschen der Füße vor betreten eines Wohnraumes übliche Praxis. Die Bemerkung von Jesus an den Gastgeber und Pharisäer Simon über die versäumte Geste der Gastfreundschaft „du hast mir kein Wasser für meine Füße gegeben“; bestätigt diese übliche Praxis (Lk 7,44). An Wasser hatte es ja in dem Haus, in dem Jesus mit seinen Jüngern das Passalamm aß, nicht gemangelt, trug doch der Mann, dem Petrus und Johannes nachfolgen sollten, einen Tonkrug mit Wasser ins Haus seines Hausherrn (Lk 22,10;  Mk 14,13-14). Deshalb ist anzunehmen, dass es Jesus bei dieser Handlung nicht um die äußere Reinheit der Füße ging, sondern um mehrere tiefere Gründe/Wahrheiten, die er seinen Jüngern und damit allen seinen Nachfolgern für allezeit mit auf den Lebensweg geben wollte.

Es gibt eindeutige Gründe für die Handlung der Fußwaschung an diesem letzten Abend. Um diese herauszufinden ist es wichtig und notwendig, diese Handlung (wie bereits oben begonnen) im näheren aber auch weiteren Kontext zu betrachten.

Der Evangelist Lukas berichtet im Rahmen des letzten Abends in Kapitel 22,24-27 über erhebliche Spannungen im Jüngerkreis wenn er schreibt:

Es entstand aber auch ein Streit (gr. φιλονεικεία filoneikeiaStreit, Zank, Wettstreit) unter ihnen, wer von ihnen für den Größten zu halten sei. Er aber sprach zu ihnen: Die Könige der Nationen herrschen über sie, und die Gewalt über sie üben, lassen sich Wohltäter nennen. Ihr aber nicht so! Sondern der Größte unter euch sei wie der Jüngste und der Führende wie der Dienende. Denn wer ist größer, der zu Tisch Liegende oder der Dienende? Nicht der zu Tisch Liegende? Ich aber bin in eurer Mitte wie der Dienende.

Dieser Text von Lukas steht gleich nach der Bundesstiftung. Ist es möglich, dass die Jünger auch noch nach der eindrucksvollen Handlung der Fußwaschung miteinander über den Vorsitz streiten konnten? Es ist auffallend, dass Teile dieses Textes wörtlich auch bei Matthäus und Markus zu finden sind, allerdings in einem Kontext der sich bereits etwa sieben Tage vorher abgespielt hatte. Tatsächlich beschäftigte die Jünger die Frage: „Wer ist der Größte“ nicht erst an diesem Abend. Sie beschäftigte die Jünger auch schon früher in Galiläa (Mt 18,1-3; Mk 9,33-35; Lk 9,46-48).

Dort fragte sie Jesus: „Worüber diskutiertet (gr. διαλογίζεσθε dielogizesthe – Wortstreit, Wortgefecht (als Verb)) ihr auf dem Wege untereinander?

Sie diskutierten und stritten untereinander, wer von ihnen für den Größten gehalten werden sollte? Die Lektion mit dem Kind, welche Jesus ihnen damals gab, war sehr anschaulich, doch in ihrem Herzen hatten sie sich nicht verändert. Monate später, bereits auf dem Weg hinauf nach Jerusalem (etwa eine Woche vor seinem Leiden) strebten zwei seiner Jünger mit Hilfe ihrer Mutter nach hohen Posten in seinem Reich (Mk 10,35-45; Mt 20,20-28). Dadurch entstand bei den anderen zehn Jüngern Unwille bzw. Unzufriedenheit gegenüber den Zweien (Mk 10,41). Dort weist Jesus auf den Leidenskelch hin, welcher ihm, aber auch ihnen bevorsteht und tadelt sie offen für ihr Machtstreben und indirekt ihren Übermut. Anschließend ruft er alle zusammen und erteilt ihnen eine weitere Lektion (Mk 10,41-45). Übrigens besteht zwischen dem Text des Lukas in Kapitel 22,24-27 und den Texten des Matthäus (Kap. 20,25-28) und Markus (Kap. 10,42-44) eine große Übereinstimmung. Wenn bei den Jüngern am letzten Abend zum dritten Mal ein Wettstreit über die Rangordnung entstand, wie Lukas es beschreibt, dann besteht ein unmittelbarer Zusammenhang mit der Fußwaschung. Wenn Lukas Inhalte aus dem, vor einer Woche entstandenem Machtstreben in das Geschehen dieses letzten Abends eingefügt hat, dann wird deutlich, dass die Jünger die Prinzipien der Dienstordnung im Reiche Gottes immer noch nicht verstehen oder übernehmen wollten. Daher besteht auf jeden Fall ein Zusammenhang zur Fußwaschung.

Und nun setzt Jesus an diesem Abend durch die Handlung der Fußwaschung einen deutlichen Akzent gegenüber dem Machtstreben unter seinen Jüngern. Jedes Detail der Handlung drückt etwas Besonderes aus:

  • Jesus legte seine Kleider ((gr. τα ιμάτια ta imatia – die Oberbekleidung, der Mantel) ab (Joh 13,4). Nach Johannes 19,23-24 bestand die Bekleidung von Jesus aus mehreren Teilen. Das Obergewand, oft auch mit Mantel übersetzt (Mt 5,40), bestand aus viel Stoff und konnte an den Nahtstellen in Teile zerlegt werden. Das gewebte Untergewand (gr. χιτώνα chitöna) war durchgehend ein Ganzes. Er löste den meist mehrfach gefalteten langen Gürtel, legte das Obergewand ab.
  • Johannes präzisiert weiter: Er nahm einen Schurz (gr. λέντιον lention) und umgürtete sich damit. Jetzt sieht er auch äußerlich einem Hausdiener/Sklaven in Aktion gleich.
  • Er besorgt sich eine Waschschüssel, gießt dort Wasser hinein und beginnt gebeugt oder kniend seinen Jüngern die Füße zu waschen und sie mit dem Lendenschurz abzutrocknen. Was für ein Akt der Selbsterniedrigung vor den Jüngern, auch vor denen, die nach der Führerschaft strebten (Lk 22,24). Welch bewusste Bereitschaft zu dienen!

Wie die anderen Jünger, so lässt auch Judas die Waschung an sich stillschweigend vollziehen, welch Gnade im Verhalten von Jesus. Judas bekommt vollen Anteil an der Zuwendung durch Jesus, doch umso größer fällt die Verantwortung hernach aus.

 

10.21.3 Jesus und Petrus – wer dient wem?

Der Evangelist Johannes schreibt weiter: „Da kam er zu Simon Petrus; der sprach zu ihm: Herr, solltest du mir die Füße waschen? Jesus antwortete und sprach zu ihm: Was ich tue, das verstehst du jetzt nicht; du wirst es aber hernach erfahren.“ (Joh 13,6). Bis dahin hatte sich keiner der Jünger zu der Handlung von Jesus geäußert. Anscheinend ließen sie alle Jesus gewähren. Doch dann kommt Simon Petrus an die Reihe und dieser hat sich in seinem Standpunkt bereits festgelegt und beginnt mit einer Frage. Aus menschlicher Sicht und alltäglicher Erfahrung wäre es normal, dass ein Niedergestellter einem Höhergestellten einen Dienst erweist. Auf die Frage des Petrus reagiert Jesus wie ein guter vorausschauender Lehrer, der genau weiß, wann welche Lektion dran ist und in welcher Reihenfolge sie dargelegt wird. Mal spricht Jesus zuerst, dann handelt er, hier handelt er zuerst, dann gibt er die Erklärung zu seiner Handlung. Eine wahrhaft gute Lektion für Eltern, Erzieher und Lehrer. Jesus kennt das Fassungsvermögen im Verstehen und Begreifen einer Wahrheit bei seinen Jüngern sehr gut.

Doch Petrus blockiert weiter und verharrt in seiner festgefassten Position: „Nimmermehr (wörtlich: in Ewigkeit) sollst du mir die Füße waschen!“. Dank dieser grotesken Auflehnung des Petrus bekommen wir tieferen Einblick in die Bedeutung der Handlung von Jesus. Die anfängliche Weigerung des Petrus ist von der Sicht eines anständigen Menschen verständlich. Status, Rang, Alter sind in allen Kulturen feste Bestandteile, welche das Zusammenleben erst möglich machen und in ein gewisses Gleichgewicht bringen. Die ganz am Anfang ausgesprochene Aufforderung von Jesus in Matthäus 4,17: „Denkt um, verändert euer Denken, eure Gesinnung“, hat sich bei den Jüngern noch nicht in allen Bereichen durchgesetzt.

Jesus antwortete ihm: Wenn ich dich nicht wasche, so hast du kein Teil an mir. Spricht zu ihm Simon Petrus: Herr, nicht die Füße allein, sondern auch die Hände und das Haupt! Spricht Jesus zu ihm: Wer gewaschen ist, bedarf nichts, als dass ihm die Füße gewaschen werden; denn er ist ganz rein. Und ihr seid rein, aber nicht alle. Denn er kannte seinen Verräter; darum sprach er: Ihr seid nicht alle rein. (Joh 13,7-11).

Wir haben festgestellt, dass es Jesus nicht (vorrangig) um die Reinheit der Füße von den Jüngern ging. Auch bescheinigt er seinen Jüngern, dass sie bereits gewaschen sind und dementsprechend ganz rein seien. Wieder gebraucht Johannes ein selten verwendetes Wort – „Wer gewaschen ist“, dieser Ausdruck kommt nur noch einmal in Hebräer 10,22 vor und dort wird durch ihn eindeutig das Waschen oder Baden des Herzens mit reinem Wasser beschrieben. Dieses reine Wasser ist zweifellos das Wort Gottes, wie auch Paulus in Epheser 5,26 deutlich macht. Diese Waschung des Herzens erlebten die Jünger (mit Ausnahme von Judas) bereits durch sein Wort, so Jesus: „er ist ganz rein“, oder: „ihr seid rein um des Wortes Willen, das ich zu euch geredet habe.“ (Joh 15,3). Wenn es nicht um die physische Reinheit der Jünger ging, ja nicht mal um die innere Reinheit ihrer Herzen, um was ging es dann, was fehlte den Jüngern noch?

Es geht um die Teilhabe mit Jesus oder an Jesus und zwar nicht nur an seiner Herrlichkeit, sondern auch an seinem Leiden. Was setzt diese Teilhabe an Jesus voraus? Es ist die ANNAHME seines DIENSTES!

Daher deutet der Dienst von Jesus in seiner Erniedrigung als Fußwäscher auf seinen Dienst in der Hingabe seines Lebens hin. So sagte er seinen Jüngern, die nach Größe strebten: „gleichwie der Sohn des Menschen nicht gekommen ist, um bedient zu werden, sondern um zu dienen und sein Leben zu geben als Lösegeld für viele.“  (Mt 20,28; Mk 10,45).

Alle Religionen zielen darauf ab, dass der Mensch einer Gottheit Dienst erweist. Die Offenbarung Gottes in Jesus Christus zeigt den umgekehrten Weg. Wer den Dienst von Jesus im Bewusstsein der Hilfsbedürftigkeit annimmt, bekommt Anteil an ihm, wer seinen Dienst ablehnt, schließt sich selbst von der Reichsgottesgemeinschaft aus.

Dass Petrus von einem Extrem ins andere verfällt, zeigt seine Unsicherheit in Bezug auf seinen Stand: „Herr, nicht die Füße allein, sondern auch die Hände und das Haupt“. Doch Jesus macht deutlich, dass das Waschen des Körpers mit Wasser die bereits gewonnene Reinheit (des Herzens) nicht zu vervollständigen vermag. Umgekehrt gilt auch: die Inanspruchnahme des Dienstes von Jesus durch sein Wort, führt nicht automatisch zur Herzensreinheit, wie im Falle von Judas deutlich wird. Daran änderte auch seine widerspruchslose Annahme des Dienstes der Fußwaschung nichts. Weil er die Gesinnung von Jesus ablehnte, blieb er ausgeschlossen von der Gemeinschaft mit dem Herrn. Jesus bestätigt dem Judas dessen Ausschluss aus der Gemeinschaft der Reinen (Joh 13,10-11). Simon Petrus jedoch, der sich belehren und korrigieren lässt, bekommt seinen Anteil an seinem Meister und Herrn.

10.21.4 Der Lehrer und der Herr im Dienst! Und was ist mit den Schülern und Knechten?

Der Evangelist Johannes schreibt weiter: „Als er nun ihre Füße gewaschen hatte, nahm er seine Kleider und setzte sich wieder nieder und sprach zu ihnen: Wisst ihr, was ich euch getan habe? Ihr nennt mich Meister und Herr und sagt es mit Recht, denn ich bin’s auch.“ (Joh 13,12-13).

Jesus legt den Lendenschurz ab und zieht wieder seine Kleider an, setzt sich (bzw. legt sich) wieder an seinen Platz und nun erklärt und begründet er sein ungewöhnliches Handeln an seinen Jüngern. Er beginnt mit der Frage: „Wisst (erkennt, versteht) ihr, was ich euch getan habe?“ – dies schärft die Denkweise der Jünger. Und dann nutzt er die Feststellung: „Ihr nennt mich Lehrer und Herr“ und bestätigt diese mit den Worten: „ihr sagt es mit recht, denn ich bin es“. Jesus hat ein absolutes und vollkommen gesundes Selbstbewusstsein und die Jünger erkennen seinen hohen Stand an.

Alle Religionen zielen darauf ab, dass der Mensch einer Gottheit Dienst erweist. Die Einstellung, dass ein im Rang Niederer dem im Rang Höheren Dienst erweist, um dessen Gunst zu gewinnen, hat sich im Laufe der Zeit entwickelt und wurde zum Standard in der menschlichen Zivilisation. Die Offenbarung Gottes in Jesus Christus zeigt den umgekehrten Weg. Gott macht sich auf, um dem Menschen zu dienen, ihm seine Gunst (Gnade) zu erweisen und zwar ohne Vorbedingung oder Vorleistung.

Nochmal, es geht Jesus nicht (vordergründig) um Reinigung bestimmter Körperteile, sondern um die offensichtliche Darstellung der prinzipiellen Diensteinstellung Gottes in der Selbsterniedrigung von Jesus Christus, dem Sohn Gottes . Durch die Handlung der Fußwaschung konnte diese Einstellung optimal verdeutlicht werden. Diese neue Ordnung zerbricht die Herrschsucht, das Machtstreben und den Machtmissbrauch dieser Welt und stellt das neue Selbstbewusstsein (den Stand, den Status) der Jünger auf eine völlig neue Grundlage. Jesus selbst hat ein absolut gesundes Selbstbewusstsein, seine Aussage: „ich bin`s“ macht sehr deutlich, dass er weiß wer er ist. Status und Dienst werden von ihm in ein rechtes Verhältnis gebracht.

10.21.5 Die Verordnung an seine Jünger

Nun folgt mit allem Nachdruck das Gebot, die Verordnung mit der entsprechenden Begründung: Wenn nun ich, euer Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, so sollt auch ihr euch untereinander die Füße waschen. Ein Beispiel (gr. υπόδειγμα ypodeigma) habe ich euch gegeben, damit ihr tut, wie ich euch getan habe. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Der Knecht ist nicht größer als sein Herr und der Apostel nicht größer als der, der ihn gesandt hat. Wenn ihr dies wisst – selig (glückselig) seid ihr, wenn ihr’s tut.  (Joh 13,14-17).

Hier stellen sich einige Fragen:

  • Was will Jesus mit dieser Anordnung bei seinen Jüngern erreichen?
  • Meint er, dass diese Verordnung auch in buchstäblicher Form praktiziert werden soll? Wenn ja, wie oft, bei welchen Gelegenheiten und in welchem Zusammenhang?
  • Sind auch Frauen in diese Verordnung eingeschlossen?
  • Gilt diese Verordnung nur den Gläubigen? Dürfen auch Interressierte und Kinder daran teilnehmen?

An dieser Stelle ist es wichtig, dass wir zunächst den Begriff, welchen Jesus für seine Handlung gebraucht, seinem Inhalt nach untersuchen. Es geht um das griechische Wort `υπόδειγμα ypodeigma`. Da es bei Johannes nur an dieser Stelle vorkommt, müssen wir bei den anderen Autoren des Neuen Testamentes danach suchen. Dieser Begriff kommt in folgenden Texten vor:

  • Matthäus 1,19: μη δειγματίσαι m¢ deigmatisai – nicht bloßstellen;
  • Kolosser 2,15: έδειγμάτισεν edeigmatisen – er hat bloßgestellt, zur Schau gestellt;
  • 2Thessalonicher 1,5: ένδειγμα endeigma – Anzeichen, Beweis, Hinweis;
  • Hebräer 4,11: μη υποδείγματι πεση m¢ ypodeigmati pes¢ – nicht in das Beispiel fallen;
  • Hebräer 6,6: παραδειγματίσοντας paradeigmatizontas – bloßstellen, dem Spott aussetzen, beschämeni;
  • Hebräer 8,5: υποδείγματι ypodeigmati – (die) dem Abbild (und Schatten der himmlischen Dinge dienen);
  • Hebräer 9,23: υποδείγματα ypodeigmata – die Abbilder (der himmlischen Dinge hierdurch gereinigt werden);
  • Jakobus 5,10: υπόδειγμα ypodeigma – als Beispiel, Vorbild (nehmt euch das Leiden und die Geduld der Propheten);
  • Weitere Stellen: 2Petrus 2,6; Judas 7 (beide negative Beispiele, die man meiden soll).

Wie wir feststellen können, ist der Begriff an für sich neutral und kann sowohl als Beispiel zur Nachahmung wie auch als Beispiel das vermieden werden soll, gebraucht werden. Da Jesus es in positivem Sinne gebraucht, ziehen wir zum besseren Verständnis dieses Wortes die beiden Stellen aus dem Hebräerbrief Kapitel 8,5 und 9,23 heran. Dort beschreibt dieser Begriff (in der Einzahl und Mehrzahl) Gegenstände, bzw. Einrichtungen und Handlungen des Gottesdienstes in der Stiftshüte als Abbilder, Vorbilder, Schattenbilder der himmlischen Wirklichkeiten. Die Vorsilbe `υπο ypo` macht deutlich, dass sich unter oder hinter diesen sichtbaren Gegenständen eine unsichtbare Wahrheit und Wirklichkeit verbirgt. Solche Vorbilder oder Abbilder sind: Stiftshütte mit Altar, Waschbecken, Schaubrottisch, siebenarmiger Leuchter, Räucheraltar, Bundeslade mit dem Sühnedeckel). Demnach ist das `upo,deigma ypodeigma – Beispiel` in Johannes 13,15 eine sichtbare Darstellung einer himmlischen, göttlichen Wirklichkeit und dient den Jüngern als Beispiel zur unbedingten Nachahmung.

 

Die sichtbare und fassbare Handlung der Fußwaschung birgt in sich:

  • Die Erniedrigung des Christus in der Knechtsgestalt des Menschensohnes, seine Diensteinstellung zu Gunsten der Menschen. Dies durchzieht sein ganzes Leben und gipfelt in der Hingabe seines Lebens „als Lösegeld für viele“ (Mt 20,28; Mk 10,45).
  • Es birgt in sich das Angebot der Versönung mit Gott und untereinander.

Diese Selbsterniedrigung und der Dienst des Herrn und Meisters, ist auch den Jüngern verordnet. Mehrmals spricht Jesus im Johannestext vom `Tun`:

  • damit ihr tut, wie ich euch getan habe“;
  • „so sollt (schuldet) auch ihr euch untereinander die Füße waschen“;
  • „Wenn ihr dies wisst – glückselig) seid ihr, wenn ihr’s tut“.

Dabei wäre es zu wenig allein das Beispiel, die Handlung der Fußwaschung in ihrer buchstäblichen Form, zu praktizieren. Doch damit die Dienstordnung Gottes in seiner Gemeinde durch Herrschsucht, das Streben nach Macht und  Machtmissbrauch nicht untergraben wird, ist es sehr sinnvoll das Beispiel von Jesus auch in seiner buchstäblichen Form zu praktizieren. Jesus sagte: „So sollt auch ihr einander die Füße waschen“. Beim letzten Abend kamen die Jünger noch nicht dazu oder waren noch nicht bereit, einander die Füße zu waschen. Sie sollten zuerst den faktischen Dienst von Jesus am darauffolgenden Tag sehen und erkennen. Erst danach waren sie imstande, mit Aufrichtigkeit einander die Füße zu waschen. Vor dem Eintreten in diesen Raum hatte wohl jeder sich selbst die Füße gewaschen. Die Evangelisten berichten nicht über die Praxis der Fußwaschung unter den Jüngern im Rahmen der Hausversammlungen, doch das Argument des Schweigens bedeutet noch nicht, dass diese Verordnung nicht praktiziert worden wäre. Vorstellbar wäre auch, dass die Jünger bei ihren häufigen Besuchen in den Häusern einander die Füße wuschen und somit ihre Dienstbereitschaft in der Beugung voreinander bekundeten. Zumindest in einer Stelle nimmt der Apostel Paulus darauf Bezug. So schreibt er in 1Timotheus 5,9-10 über die Voraussetzungen bei der Versorgung von Witwen durch die Gemeinde: „Es soll keine als rechte Witwe anerkannt werden unter sechzig Jahren; sie soll eines einzigen Mannes Frau gewesen sein. Und ein Zeugnis guter Werke haben: wenn sie Kinder aufgezogen hat, wenn sie gastfrei gewesen ist, wenn sie den Heiligen die Füße gewaschen hat, wenn sie den Bedrängten beigestanden hat, wenn sie allem guten Werk nachgekommen ist.“ Hier geht es wohl um Füße waschen beim Eintreten in ein Haus und nicht im Rahmen einer Versammlung. Daher sollte es uns nicht in erster Linie um das Feiern der Fußwaschung gehen, denn diese Handlung ist nur ein Abbild, sondern um die öffentliche Bekundung der beständigen Bereitschaft zur Selbsterniedrigung vor dem Nächsten und zum täglichen, praktischen Dienst am Nächsten.

Nur bei der Neuordnung bzw. wiederhergestellten göttlichen Dienstordnung in der Jüngerschaft, kann sich der Leib von Jesus Christus (die Gemeinde) gesund entfalten. Die verantwortlichen Leiter von Gemeinden und Gemeindeverbänden, auch die Familienvorsteher müssen sich an diesem Maßstab messen lassen.

 

Es gehen heilsame Impulse aus von der ehrlichen Teilnahme an dieser Praxis:

  • Sie fördert das Ablegen des menschlichen Stolzes und der Überheblichkeit,
  • Sie überwindet die Rechthaberei und Zänkerei,
  • Sie festigt vorhandene Beziehungen,
  • Sie fördert die Versöhnung und Wiederherstellung von geschwächten Beziehungen,
  • Sie fördert ein friedliches Miteinander,
  • Sie fördert die Gleichheit, bzw. Gleichwertigkeit der Gläubigen,
  • Sie fördert Einheit der Gläubigen,
  • Sie fördert das Bewusstsein der Zugehörigkeit zur Gemeinschaft in Christus.

Fragen / Aufgaben: 

  1. Wann, wo und unter welchen Umständen wusch Jesus seinen Jüngern die Füße?
  2. Beschreibe den Kontext der Fußwaschungspraxis in Israel in alttestamentlicher Zeit, aber auch zur Zeit von Jesus.
  3. Warum wollte Simon sich zunächst nicht die Füße waschen lassen? Was sagt seine spätere Reaktion „nicht die Füße allein, sondern auch die Hände und das Haupt“ über seinen Charakter und die Beziehung zu Jesus aus?
  4. Was ist der tiefere Inhalt dieser Handlung? Was bedeutet der von Jesus dort verwendete griechische Begriff `ypodeigma`, der mit `Beispiel` übersetzt wird?
  5. Wie oft sollte sie in ihrer buchstäblichen Form praktiziert werden? Welche Erfahrungswerte gibt es?
  6. Ist es sinnvoll, dass sie mit dem Herrenmahl zusammen durchgeführt wird oder getrennt davon?
  7. Welche heilsamen Auswirkungen hat sie auf das Miteinander in der Gemeinschaft?
  8. Beschreibe deine persönlichen Erfahrungen mit dieser ungewöhnlichen Handlung?
  9. Wie begründen wir unsere Gemeindepraxis? Gibt es in unserem Kulturkreis eine Alternative für diese Handlung?
  10. Die individuelle und ehrliche Beschäftigung mit diesem Thema wird sich positiv und festigend in deiner Beziehung zu Christus auswirken.

 

10.22 Jesus: Einer von euch zwölf wird mich verraten

(Bibeltexte: Mt 26,21-25; Mk 14,18-21; Lk 22,21-23; Joh 13,18-30)

 

Der Evangelist Johannes hat die meisten Aussagen von Jesus über den Verräter aufgeschrieben. Diese stehen in seinem Bericht gleich im Anschluß an die Fußwaschung. Nach den Berichten des Matthäus und Markus beginnt das Gespräch über den Verrat bereits vor der Stiftung des Neuen Bundes. Der Evangelist Lukas leitet das Gespräch über den Verräter zeitlich nach dem Brotbrechen und zusammen mit dem letzten Kelch ein. Wir ordnen das Gespräch über den Verräter zeitlich nach der Fußwaschung und vor der Einsetzung des Herrenmahls ein.

Nach den erklärenden Worten von Jesus über seine ungewöhnliche Handlung der Fußwaschung, leitet er fließend über zum Thema Verrat. „Das sage ich nicht von euch allen; ich weiß, welche ich erwählt habe. Aber es muss die Schrift erfüllt werden (Psalm 41,10): »Der mein Brot isst, tritt mich mit Füßen.« (Joh 13,18). Jesus kennt die Schriften und die Geschichten in denen sich Menschen der Bosheit, Hinterlist und dem Verrat verschrieben haben. Auch an ihm wird diese verräterische Bosheit verübt werden. Doch er ist von Anfang an sicher gewesen über die Erwählung der 12 Jünger, so sagte er bereits in der Synagoge zu Kapernaum: „Habe ich nicht euch Zwölf erwählt? Und einer von euch ist ein Teufel (diabolos).“ Und Johannes erklärt im Rückblick die Aussage des Herrn mit: „Er redete aber von Judas, dem Sohn des Simon Iskariot. Der verriet (gr. παραδιδόναι paradidonai – überlieferte) ihn hernach und war einer der Zwölf.“ (Joh 6,70-71). Oder wir denken an die Aussage des Johannes: „Denn Jesus wusste von Anfang an, wer die waren, die nicht glaubten, und wer ihn verraten (gr. paradw,swn paradösön – überliefern) würde.“ (Joh 6,64). Doch erst jetzt beginnt er die innere Einstellung des Verräters zu offenbaren. Er weiss natürlich um die Abmachung des Judas mit den Hohenpriestern. Denn bereits nach dem Abend in Bethanien ging jener zu der Tempelbehörde und bot gegen Bezahlung seine Dienste an. So schreibt der Evangelist Matthäus: „Dann ging einer von den Zwölfen, Judas Iskariot mit Namen, zu den Hohenpriestern und sprach: Was wollt ihr mir geben, und ich werde ihn euch überliefern (gr. παραδώσω paradösö – überliefern)? Sie aber setzten ihm dreißig Silberlinge fest. Und von da an suchte er Gelegenheit, ihn zu überliefern (gr. παραδώ paradö – überliefern).“ (Mt 26,14-16; Mk 14,10-11; Lk 22,3-6). Der Evangelist Lukas ergänzt: „Aber Satan fuhr in Judas (…).“ (Lk 22,3a).

Nun verbringt er den Abend mit Jesus und den Mitjüngern, obwohl er keiner mehr war. Auch Johannes bestätigt, dass der Entschluß zum Verrat bei Judas bereits vor dem letzten Abend feststand. So schreibt er in Kapitel 13,2: „Und während des Mahls, als schon der Teufel dem Judas, Simons Sohn, dem Ischariot, ins Herz gegeben hatte, ihn zu verraten (gr. παραδοί, paradoi – zu überliefern),“ Seit Tagen suchte Judas eine gute Gelegenheit um Jesus an die Tempelbehörde zu überliefern. „Sie (die Hohenpriester) sprachen aber: Ja nicht bei dem Fest, damit es nicht einen Aufruhr gebe im Volk.“ (Mt 26,5; Mk 14,2). Wir werden sehen, dass ihre Pläne indirekt durch Jesus selbst vereitelt werden.

Wie so oft vorher, so auch jetzt, sagt Jesus mit bestimmter Absicht Geschehnisse voraus und die Jünger hören ihn sagen: „Schon jetzt sage ich’s euch, ehe es geschieht, damit ihr, wenn es geschehen ist, glaubt, dass ich es bin.“ (Joh 13,19). Es sind Hilfestellungen für den Glauben an die Person von Jesus als den Messias.

Die folgende Aussage scheint wenig mit dem Thema des Verrats zu tun haben, aber sie steht da mitten drin und wird von Jesus mit dem zweimaligen hebräischen Wort `amen, amen`, welches die absolute Wahrheit und Bestimmtheit hervorhebt, eingeleitet. „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer jemanden aufnimmt, den ich senden werde, der nimmt mich auf; wer aber mich aufnimmt, der nimmt den auf, der mich gesandt hat.“ (Joh 13,20). Es klingt ähnlich wie bei der Aussendung der zwölf, dort heißt es: „Wer euch aufnimmt, der nimmt mich auf; und wer mich aufnimmt, der nimmt den auf, der mich gesandt hat.“ (Mt 10,40; ähnlich Lk 10,16). Die Jünger werden sich an jene Aussage erinnert haben, sicher auch Judas, der nun dabei ist seinen Herrn und damit Gott abzulehnen. Im deutlichen Kontrast zu ihm steht der Eigentümer des Hauses und Gastgeber, dieser gehört bereits zu denen, die Jesus aufgenommen haben. Er ging das Risiko ein von der Synagoge ausgeschlossen zu werden (Joh 9,22; 11,57; 12,42).

Und nun spricht Jesus aus, was ihn selbst sehr in Erregung bringt. Auch diese Aussage leitet er mit dem doppelten `amen, amen` ein: „Als Jesus das gesagt hatte, wurde er erregt im Geist und bezeugte und sprach: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Einer (Zahlwort) unter euch wird mich verraten (gr. παραδώσει με paradösei me – wird mich überliefern).“ (Joh 13, 21).

Das griechische Verb und Substantiv, mit dem die Evangelisten die verräterische Handlung von Judas beschreiben, ist an für sich wertneutral und erst der Kontext macht deutlich was der `Übergabe` zu Grunde liegt. Hier einige Beispiele:

  • Jesus sag:  „Alles ist mir von meinem Vater übergeben worden“ (Mt 11,27).
  • Das übergeben, bzw. das überliefern der von Christus empfangenen Inhalte (1Kor 11,2.23).
  • Mit demselben Begriff werden auch die Überlieferungen der Ältesten der Juden beschrieben (Mt 15,2.3.6).
  • Dieser Begriff steht auch für die `Übergabe` von Jesus an Pilatus duch die Priesterschaft und nach der Verurteilung durch den Statthalter Pilatus an die exekutive (Mt 27,18; Mk 15,10; Mt 27,26; Mk 15,15; Lk 23,25).
  • Die Überlieferung, die Tradition – `η παράδοση ¢ parados¢ – wörtlich: die Übergabe, das Übergebene, das Überlieferte` (1Kor 11,2; Gal 1,14; 2Thes 2,15).
  • Der Verräter: `ο προδότης o prodot¢s` bezogen auf Judas in der Jüngerliste (Lk 6,16); Verräter und Mörder: `προδόται και φονείς prodotai kai foneis`  bezogen auf die Führenden in Israel (Apg 7,52);
  • Judas im Garten Gethsemane: „der ihn Verratende (ο παραδιδούς αυτόν o paradidous auton) (Joh 18,5).

Durch den Kontext erkennt man sofort, um was für eine Übergabe es sich handelt. Und wir stellen fest, dass das Thema des Verrats durch Judas einen breiten Platz in den Evangelien und sogar der Apostelgeschichte einnimmt. Mindestens 15 Mal wird die Person des Judas im Zusammenhang seiner verräterischen Einstellung und Handlung von den Evangelisten genannt. Demnach war der Verrat des Judas, eine bewusste und vorsätzliche Übergabe (Überlieferung, Auslieferung) an die Gegner und Feinde von Jesus. In diesem Fall auch noch ein Verrat ums Geld, er verkaufte seinen Herrn für 30 Silberstücke (Mt 26,15).

So sehr sich Jesus gesehnt hatte mit seinen Jüngern dieses für ihn letzte Passa zu halten, war er doch sehr betrübt (erregt im Geist) über den Entschluß des Judas, ihn zu verraten. Wie konnte einer, der so viele ungewöhnliche Kraftwirkungen Gottes erlebt, ja sogar mitgewirkt hatte, sein Herz derart verhärten? „Wer mich aufnimmt (…)“, die Jünger müssen sich ständig entscheiden, auf welcher Seite sie stehen wollen. Sie sind immer wieder gefragt, werden sie zu ihrem Herrn und Meister stehen (Joh 6,67; 15,1-7)?

Ähnlich wie Johannes schreibt auch Matthäus mit einiger Ergänzung: „Und während sie zu Tisch lagen und aßen, sprach Jesus: Wahrlich, ich sage euch: Einer (Zahlwort) von euch wird mich überliefern, der, welcher mit mir isst.“ (Mt 26,21). Ebenso Markus: „Und als sie bei Tisch waren und aßen, sprach Jesus: Wahrlich, ich sage euch: Einer (Zahlwort) unter euch, der mit mir isst, wird mich verraten.“ (Mk 14,18). Lukas drückt es anders aus: „Doch siehe, die Hand meines Verräters (wörtlich: του παραδιδόντος με tou paradidontos me – (die Hand) des mich Verratenden) ist mit mir am Tisch.“ (Lk 22,21).

Bei Johames sagt Jesus weiter: „Da sahen sich die Jünger untereinander an, und ihnen wurde bange, von wem er wohl redete.“ (Joh 13,22).

Lukas ergänzt: „Und sie fingen an, sich untereinander zu befragen, wer es wohl von ihnen sein möchte, der dies tun werde.“ (Lk 22,23).

Matthäus ergänzt in 26,22-23: „Und sie wurden sehr betrübt, und jeder von ihnen fing an, zu ihm zu sagen: Ich bin es doch nicht, Herr? Er aber antwortete und sprach: Der mit mir die Hand (Mk: das Brot) in die Schüssel eintaucht, der wird mich überliefern.“ Nicht auszudenken, was geschehen wäre, wenn Jesus offen den Namen des Judas als Verräter vor allen ausgesprochen hätte. Jesus vermeidet den frontal Zusammenstoß und auch eine direkte Auseinandersetzung der übrigen Jünger mit Judas.

Dann fährt Jesus fort mit den Worten: Der Sohn des Menschen geht zwar dahin, wie über ihn geschrieben steht (Lukas: „wie es beschlossen ist). „Wehe aber jenem Menschen, durch den der Sohn des Menschen überliefert wird! Es wäre jenem Menschen gut, wenn er nicht geboren wäre.“ (Mt 26,24 ähnlich auch Mk 14,21 und Lk 22,22). Diese Worte von Jesus sind sehr geheimnisvoll, weil er von den Abläufen hinter den Kulissen spricht. Bei Matthäus steht die Begründung für das Sterben von Jesus: „wie geschrieben ist“, bei Lukas: „wie beschlossen ist“. So ist auch die Reihenfolge: zuerst wurde bei Gott der Beschluß gefasst, dann ließ er ihn schriftlich festhalten. Den selten verwendeten Begriff `ωρισμένον örismenon` finden wir noch in Apostelgeschichte 2,23 und 10,42 und in beiden Texten wird sehr deutlich: das mit dem Leiden und Sterben von Jesus ist keine Panne gewesen, sondern von Gott durch Beschluß vorherbestimmt. Im Falle des Verräters jedoch kann man sagen: auch ohne das Eingreifen von Judas wäre Gottes Plan zur Erfüllung gekommen. Der Verrat an Jesus ist zwar vorausgesagt worden durch den Heiligen Geist in der Schrift (Ps 41,10), aber nicht vorausbestimmt durch Gott, es war eindeutig Satans Werk.

Es wäre jenem Menschen gut, wenn er nicht geboren wäre“. Jesus weiß über das `was wäre wenn“ Bescheid.

Matthäus 26,25: „Judas aber, der ihn überlieferte, antwortete und sprach: Ich bin es doch nicht, Rabbi? Er spricht zu ihm: Du hast es gesagt.“ Judas ist also der letzte, der die Frage stellt „Bin ich`s, Rabbi“? Und Jesus bejaht es, doch in dem lebhaften Tischgespräch wird wohl nur Judas diese Bemerkung von Jesus bewußt gehört haben, galt sie doch nur ihm.

Johannes 13,23-30: Es war aber einer unter seinen Jüngern, der zu Tische lag an der Brust Jesu, den hatte Jesus lieb. Dem winkte Simon Petrus, dass er fragen sollte, wer es wäre, von dem er redete.  Da lehnte der sich an die Brust Jesu und fragte ihn: Herr, wer ist’s? Aus dem Text ist zu erkennen, dass die Frage an Jesus mit leiser Stimme gestellt wurde, ebenso die Antwort. Jesus antwortete: Der ist’s, dem ich den Bissen eintauche und gebe. Und er nahm den Bissen, tauchte ihn ein und gab ihn Judas, dem Sohn des Simon Iskariot. Und nach dem Bissen fuhr der Satan in ihn. Da sprach Jesus zu ihm: Was du tust, das tue bald!“ Diese Aussage hörten zwar alle Jünger.  „Niemand am Tisch aber wusste, wozu er ihm das sagte. Denn einige meinten, weil Judas den Beutel hatte, spräche Jesus zu ihm: Kaufe, was wir zum Fest nötig haben!, oder dass er den Armen etwas geben sollte. Als er nun den Bissen genommen hatte, ging er alsbald hinaus. Und es war Nacht.“ (Joh 18,23-30).

Die anderen Jünger sind immer noch ahnungslos. Wieder verstehen sie nicht, was Jesus mit der Anweisung an Judas meinte. Mindestens Johannes, wahrscheinlich auch Petrus wussten nun um Judas Vorhaben, doch auch ihnen blieb verborgen, wann es geschehen würde. Daß den übrigen Jüngern das ungeistliche Verhalten des Judas bis dahin nicht aufgefallen ist, spricht für dessen  perfekte Tarnung. Judas war ein sehr guter Schauspieler, Heuchler, Maskenträger. Wir müssen deutlich erkennen, es ist nicht Jesus, der Judas zu dem Verrat drängt, denn jener hat sich schon Tage vorher dafür entschieden. Einige mögliche Gründe für das indirekte Eingreifen von Jesus in den Lauf der Dinge:

  • Es ist von Gott vorgesehen, dass Jesus am Passatag sterben sollte und nicht davor oder danach wie es sich die Obersten im Volk erhofften;
  • Jesus trennt sich bewusst von Judas, in dem nun der Satan (Gegner) das Sagen hat;
  • Jesus hat noch einige Reden, eine Art Vermächtnis an seine Jünger zu richten und dies gilt dem Judas nicht mehr.

Das Egebnis für Judas: Er mißachtet bewußt die Liebe und Langmut Gottes. Dies führt zu einer totalen Verblendung, Verhärtung und Verstockung des Herzens und Jesus lässt ihn gehen.

Bis auf die Episode bei der Salbung von Jesus in Bethanien durch die Maria, ist Judas nicht weiter negativ aufgefallen. Anscheinend hat außer Jesus selbst, keiner der Jünger diesen Mann durchschauen können. Jesus sagte den Verrat voraus und zwar mit der Begründung, dass die Jünger beim Eintreffen der Voraussage glauben an seine Person als den Messias.

Judas steht auf und geht mit seinem Geldbeutel einschließlich der 30 Silberstücke, er verlässt seinen Herrn und die Gemeinschaft der Jünger, diesmal für immer. „Als er nun den Bissen genommen hatte, ging er alsbald hinaus. Und es war Nacht.“ (Joh 13,30). Er hat alle Brücken hinter sich abgebrochen. Es gibt kein Zurück mehr für ihn. Jesus hat ihn entlassen. Er ist nun fest im Besitz des Teufels. Wer zu lange und bewusst mit der Sünde umgeht, begibt sich in die Fänge des Satans. Und es kommt die Stunde, der Augenblick, wo es kein Zurück mehr gibt, so auch bei Judas. Nun ist er auf dem Weg zu den Hohenpriestern, er weis, dass Jesus mit seinen Jüngern nicht in diesem Haus zur Übernachtung bleiben, sondern wie so oft an den Ölberg hinaus gehen werden (Joh 18,2).

 

Fragen / Aufgaben:

  1. Was ist uns über den Judas bekannt? Wer ist sein Vater, woher kommt er?
  2. Was war sein Problem?
  3. Ist er irgendwie negativ aufgefallen?
  4. Warum haben die Jünger ihn nicht durchschaut?
  5. Was bedeutet das Wort Verrat, Verräter?
  6. Was bedeutet es: „Damit die Schrift erfüllt würde“.
  7. Ab wann konnte Judas nicht mehr zurück?
  8. Warum griff Jesus indirekt in den Lauf der Dinge ein?

 

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Tansania – das Land am Viktoriasee

Flug/Fahrt und Ankunft in Kemondo

Wir haben uns bereits schon nach zwei Tagen eingelebt, immerhin ist uns noch vieles vertraut von unserem letzten Besuch vor zwei Jahren.

Wir genießen das warme Klima etwa 130 km südlich vom Equator. Die Geräusche sind anders bei Tag und auch bei Nacht. Es hat schon einmal kräftig geregnet und ohrenbetäubend laut gedonnert, bei offenem Fenster haut es einen fast aus dem Bett. Die ganze Nacht hindurch sind alle Fenster geöffnet und es lässt sich gut schlafen, natürlich unter dem Moskitonetz, das über dem gesamten Bett ausgespannt ist.

Auf dem Gelände des Kinderdorfes `Children home – Kemondo Bay` konnten wir eine Zweizimmer-Gästewohnung beziehen, die mit Bad/WC und einer Terrasse ausgestattet ist. So haben wir auch ein wenig Rückzugsmöglichkeit und sind anderen Mitarbeitern nicht zur Last. Weiterlesen

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Das Abendmahl

A b e n d m a h l

 

 

 

 

 

 

 

Die Zeichnung macht deutlich, wie eine Tischgemeinschaft  im palästinischen Raum in etwa ausgesehen haben konnte (Zeichnung von Joela Schüle am 7. Februar 2016).

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Eine Bibelstudie über das Abendmahl von Paul Schüle

 

 

I

 

 

Abendmahl – Einleitung

In nächster Zeit wollen wir uns intensiv mit dem Thema, bzw. der Verordnung unseres Herrn Jesus bezüglich des Abendmahls beschäftigen.

Folgende Fragen oder Themen stehen im Raum und warten auf Beantwortung:

  1. Wann, wo und mit wem fand das erste Abendmahl statt?
  2. Welche Elemente mit Symbolkraft übernimmt Jesus für den Neuen Bund?
  3. Die Testamente von Adam bis Mose
  4. Der Bund am Sinai durch Mose und der Neue Bund durch Jesus
  5. Inhalte des Neuen Bundes – die Vergebung der Sünden
  6. Inhalte des Neuen Bundes – das Gesetz ins Herz geschrieben
  7. Warum setzte Jesus das Abendmahl ein bevor er gestorben war?
  8. Abendmahl – eine Verordnung zum Gedächtnis
  9. Das Brotbrechen in der Zeit der Apostel (Jerusalem, Troja, Korinth)
  10. Wer kann und soll am Abendmahl teilnehmen? Welche Voraussetzungen sind dazu notwendig?
  11. Wie oft soll Abendmahl gehalten werden?
  12. Wer kann das Abendmahl austeilen?
  13. Ab welchem Alter ist die Teilnahme am Abendmahl zu empfehlen?
  14. Kann das Abendmahl auch in einem Hauskreis ausgeteilt werden?
  15. Ist das Abendmahl an die Fußwaschung gekoppelt, wie in Johannes 13,1-17 beschrieben und praktiziert?
  16. Die Symbolelemente von Brot und Wein: Muß das Brot ungesäuert sein? Kann man anstatt Wein auch Traubensaft nehmen?

Durch Kommentare und begründete Hinweise können sie an dieser Bibelstudie mitwirken.

 

1. Teil: Wann, wo und mit wem fand das erste Abendmahl statt?

 

Von Josef und Maria heißt es, dass sie jedes Jahr zum Passahfest nach Jerusalem gingen (Lk 2,41). Zumindest ab dem zwölften Lebensjahr war Jesus bei dem jährlich vorgeschriebenem Passahfest in Jerusalem dabei (Lk 2,42ff). Nicht nur die nächsten 18 Jahre, sondern auch während seiner etwa 3 ¾  Jahre dauernden öffentlichen Dienstes hielt Jesus das jährliche Passahfest (Joh 2,12: 5,1(?); 6,4; 12,1). Das letzte Passahfest, welches Jesus mit seinen 12 Jüngern feierte, wird in allen vier Evangelien bis in die Details genau beschrieben (Mt 26,17-27; Mk 14,17-25; Lk 22,10-20; Joh 13,1-17,24). Nach der Anordnung Gottes an das Volk Israel, war der Monat und der Tag, an dem das Passahlamm geschlachtet werden mußte festgelegt. So steht in 3Mose 23,5: „Am vierzehnten Tage des ersten Monats gegen Abend ist des HERRN Passa.“ Das Passahlamm (männlich, einjährig und fehlerlos) wurde also am 14. Tag des ersten Monats gegen Abend geschlachtet (2Mose 12,1-14; 4Mose 9,3). Und dieser 1. Monat sollte in Israel den Beginn des Jahres markieren. Gleichzeitig war die 1. Passahfeier in Ägypten nach der ausdrücklichen Anordnung Gottes auch der Beginn des israelitischen Kalenders (2Mose 19,1; 4Mose 33,38; 1Kön.6,1). Die Monate des Jahres wurden zunächst nach Zahlen 1 – 12 gezählt, zur Zeit des Exils bekamen sie auch Namen.

Tabelle und Übersicht des jüdischen Jahreskalenders

 

1. Monat Nisan/AbibMärz – April Esther 3,7 Am 14. Tag das Monats war Passah 2Mose 12,18
2. Monat Siw 1Kön 6,1
3. Monat Siwan Esther 8,9
4. Monat Jer 39,2
5. Monat Jer 28,1
6. Monat Hes 8,1
7. Monat Etanim/TischriSeptember – Oktober 1Kön 8,2; 3Mose 25,9 Am 10. Tag – Versöhnungstag – Yom Kippur
8. Monat Bul 1Kön 6,38
9. Monat Kislew Sach 7,1
10. Monat 1Mose 8,5
11.Monat Schebat Sach 1,7
12. Monat Adar Esther 3,7

 

Passahfeste in den Jahren 26-35 des 1. Jh. unserer Zeitrechnung

 

Julianischer Kalender Nach dem Jüdischen Kalender war am 14. Tag des 1. Monats ´Nisan´ Passah)
Im Jahr 26 fiel der 14. Nisan auf den Freitag,  22. März
Im Jahr 27 fiel der 14. Nisan auf den Mittwoch, 9. April
Im Jahr 28 fiel der 14. Nisan auf den Montag, 29. März
Im Jahr 29 fiel der 14. Nisan auf den Samstag, 16. April
Im Jahr 30 fiel der 14. Nisan auf den Mittwoch, 5. April
Im Jahr 31 fiel der 14. Nisan auf den Montag, 26. März
Im Jahr 32 fiel der 14. Nisan auf den Montag, 14. April
Im Jahr 33 fiel der 14. Nisan auf den Freitag, 3. April
Im Jahr 34 fiel der 14. Nisan auf den Montag, 22. März
Im Jahr 35 fiel der 14. Nisan auf den Montag, 11. April

Diese Tabelle zu den Passahfesten der Jahre 26-35 (1. Jh.) ist erstellt aufgrund des jüdischen Kalenders Kaluach. (Web site: http:/www.kaluach.org/).

 

Nach diesen Berechnungen wäre als Todesjahr Jesu das Jahr 33 (1. Jh.) anzusetzen, weil in dem Jahr der 14. Nisan auf einen Freitag fiel (Lk 23,54) „Und es war Rüsttag und der Sabbat brach an.“ (dazu auch: Mk 15,42:  Joh 19,31). Rüsttag (gr. παρασκευής – paraskeues – Freitag). Demnach fand die letzte Passahfeier Jesu mit seinen Jüngern am Vorabend, also am Abend des fünften, bzw. Beginn des sechsten Tages der Woche (Donnerstagabend auf Freitag) statt und zwar nach Sonnenuntergang, so in Matthäus 26,20: „Als es aber Abend geworden war, legte er sich mit den Zwölfen zu Tisch.“

Zum besseren Tageszeitlichen Verständnis: Der Vorbereitungstag auf den kommenden Sabbat im Jahr 33, also der Freitag – Jesu Todestag, begann bereits mit Sonnenuntergang des Vorabends (unser Donnerstagabend). Nach hebräischer Tageseinteilung hat  das Passahmahl/Abendmahl, die Festnahme, das Verhör, die Verurteilung und Kreuzigung an einem Tag, bzw. am gleichen Nacht/Tag  stattgefunden. So ging Gottes Zeitplan, den er in Ägypten eingeführt hatte, nach einer zeitlichen Periode von etwa 1500 Jahren, auf den Tag genau auf.

Diese Passahfeier fand in einem Haus in Jerusalem statt, so lesen wir in Markus 14,12-16: „Und am ersten Tag des Festes der ungesäuerten Brote, als man das Passahlamm schlachtete, sagen seine Jünger zu ihm: Wohin willst du, dass wir gehen und bereiten, damit du das Passahmahl essen kannst?“ Und Jesus gab den zwei Jüngern genaue Anweisungen: „Und er sendet zwei seiner Jünger und spricht zu ihnen: Geht hin in die Stadt (Jerusalem), und es wird euch ein Mensch begegnen, der einen Krug Wasser trägt. Folgt ihm! Und wo er hineingeht, sprecht zu dem Hausherrn: Der Lehrer sagt: Wo ist mein Gastzimmer, wo ich mit meinen Jüngern das Passahmahl essen kann? Und er wird euch einen großen Obersaal zeigen, mit Polstern ausgelegt und fertig. Und dort bereitet es für uns! Und die Jünger gingen hinaus und kamen in die Stadt und fanden es, wie er ihnen gesagt hatte; und sie bereiteten das Passahmahl.“ (ähnlich auch Mt 26,17). Und Lukas ergänzt, dass die beiden Jünger Petrus und Johannes waren (Lk 22,8). Im Text ist von einem großen, gepolsterten Obersaal die Rede (auch bei Lukas 22,12). Aus der Detailbemerkung großer`Obersaal – gr. αναγάιον`, kann man auf ein großes, aus zwei Stockwerken bestehendes Haus schließen. Im Erdgeschoß befanden sich die Wirtschaftsräume. Das Passahlamm musste geschlachtet werden und am Feuer gebraten, ebenso die ungesäuerten Brote, Wein, und bittere Kräuter mussten vorbereitet werden.

Da wo im Luthertext steht: „Am Abend aber setzte er sich mit seinen Jünger zu Tisch“ übersetzt die Elberfelder Bibel genauer mit: „sie legten sich zu Tisch“. Man saß nicht auf Stühlen hinter einem Tisch, wie in Europa, sondern lag auf Polstern/Teppichen seitlich gestützt mit den Ellbogen auf ein Kissen, die Füße nach außen gerichtet im Kreis. Es waren alle 12 Jünger dabei, auch Judas Iskariot, der jedoch nicht bis zum Schluß der Abendmahlsfeier geblieben war (Joh 13,30). Weil es für Jesus das letzte Passahmahl dieser Art war, bewertete er es auch ganz besonders mit den Worten: „Mit Sehnsucht habe ich mich gesehnt, dieses Passahmahl mit euch zu essen, ehe ich leide. Denn ich sage euch, dass ich es gewiss nicht mehr essen werde, bis es erfüllt sein wird im Reich Gottes“ (Lk 22,14-16).

 

 

2. Teil: Welche Elemente mit Symbolkraft übernimmt Jesus für den Neuen Bund?

 

Der neue Bundeschluß, der am Kreuz durch den Tod Jesu (sein Blut) besiegelt wurde, ist bereits am Vorabend im Brotbrechen und dem Kelch symbolhaft vorgebildet und gestiftet worden. So lesen wir im Bericht des Matthäus: „Während sie aber aßen, nahm Jesus Brot und segnete, brach und gab es den Jüngern und sprach: Nehmt, esst, dies ist mein Leib! (Lukas ergänzt: „der für euch gegeben wird“). Und er nahm einen Kelch und dankte und gab ihnen den und sprach: Trinkt alle daraus! Denn dies ist mein Blut des Bundes, das für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden“ (Mt 26,26-27; ähnlich auch bei Markus 14,22-24). Jesus und seine Jünger sind mit dem Essen des geschlachteten und am Feuer gebratenem Passahlamm beschäftigt, denn es heißt: „Während sie aber aßen“. Nun führt Jesus durch konkrete Handlung, begleitet mit besonderen Worten, eine neue Bundesordnung, bzw. den Neuen Bundesschluß ein. Das Passahlamm, als Vorbild der Rettung, findet seine Entsprechung in Jesus, dem Lamm Gottes (Jes 53,4-12; Joh 1,29. 36). Für die Wirklichkeit des Gotteslammes in der Person Jesu wird wiederum ein Symbolelement mit Aussagekraft benötigt – es ist das ungesäuerte Brot, so die neue Sinnfülle der Worte: „Nehmt, esst, dies ist mein Leib! (Lukas ergänzt: „der für euch gegeben wird“ (Mt 26,26; Lk 22,19). Ein kleines und doch wichtiges Detail, welches leicht übersehen werden kann, wird durch die Bemerkung: „dies ist mein Leib, der für euch gegeben wird“, präzisiert. Das Brot wird gebrochen, der Leib Christi jedoch wird ungebrochen also ganzheitlich gegeben. Johannes der Evangelist hebt ganz besonders dieses Detail hervor: „Denn das ist geschehen, damit die Schrift erfüllt würde (2.Mose 12,46): »Ihr sollt ihm kein Bein zerbrechen.« Dies erinnert an die Anordnung Gottes zur Schlachtung des Passahlammes in Ägypten. Und der Jünger Johannes, der unter dem Kreuz stand und den Lebensabschluß des Gotteslammes aus nächster Nähe beobachtete, sah, wie die Soldaten beiden Gekreuzigten die Beine brachen, Jesus aber wegen seines früheren Todes verschonten.

 

Die Einsetzung der beiden Elemente an diesem letzten Abend markiert auch das Ende des ersten Bundes durch Mose in Ägypten und am Sinai. Das Trinken (des Weins) aus dem Kelch findet seine Entsprechung im Blut Christi, so die Sinnfülle der Worte: „Denn dies ist mein Blut des Bundes, das für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden“ (Mt 26,27). Das es sich um ein Getränk vom Weinstock handelte, ist in den Texten ausdrücklich erwähnt (Mt 26,29; Mk 14,25; Lk 22,18). Von der Jahreszeit ausgehend, wird es sich wohl um einen ausgegorenen Traubensaft, sprich Wein gehandelt haben. Doch nicht die Substanz selbst steht hier im Vordergrund (ist sie doch gar nicht ausdrücklich erwähnt), sondern in welchen Bezug sie Jesus bringt ist wichtig, nämlich: „Das ist mein Blut des Bundes“ – trinkt alle daraus. Nach dem Gesetz war jegliches Blut zu essen/trinken absolut verboten (1Mose 9,4; 3Mose 17,12-13). Daher nimmt Jesus das in Israel allgemein bekannte rotfarbene Getränk vom Weinstock als Element, welches am besten sein Blut symbolisiert.

Die beiden Elemente sind uns noch aus der Zeit Abrahams vertraut. „Aber Melchisedek, der König von Salem, trug Brot und Wein heraus. Und er war ein Priester Gottes des Höchsten“ (1Mose 14,18; Hebr 7,1). Auch beim täglichen Morgen- und Abendopfer waren Brot und Wein als Gaben vorgeschrieben. „Und zu dem einen Schaf einen Krug feinsten Mehls, vermengt mit einer viertel Kanne zerstoßener Oliven, und eine viertel Kanne Wein zum Trankopfer“ (2Mose 29,40). Nach Nehemia 10,38 brachte man den Priestern und Leviten für ihren Dienst die Erstlinge von den Früchten des Feldes einschließlich Brot und Wein. Mit Ausnahme wärend der Wüstenwanderung (5Mose 29,5) waren Brot als Hauptspeise und der Wein als Getränk, regulärer Bestandtteil auf der Speiseliste in Israel (1Sam 10,3; 16,20; 25,18; Ps 104,15). Dass Jesus gerade diese zwei Elemente aus dem täglichen Lebensmittelsortiment durch ein Wunder vermehrte (Joh 2,1-11; 6,1-15) ist kaum zuvällig, zeigte er doch dadurch seine Herrlichkeit (Joh 2,11; 6,14-15). Mit der Aufnahme dieser zwei Elemente und ihrem klaren Bezug zu Jesus, sind die Jünger in diesen Neuen Bund eingetreten, bzw. aufgenommen worden.

An dieser Stelle werden die Leser des Johannesevangeliums an die sehr unästetische, ja für viele sogar anstößige Aussage Jesu in der Synagoge zu Kapernaum erinnert. Dort sagt Jesus in Bezug auf sich selbst: „Dies ist das Brot, das vom Himmel kommt, damit, wer davon isst, nicht sterbe. Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel gekommen ist. Wer von diesem Brot isst, der wird leben in Ewigkeit. Und dieses Brot ist mein Fleisch, das ich geben werde für das Leben der Welt“ (Joh 6,51-52). Oder „Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der hat das ewige Leben, und ich werde ihn am Jüngsten Tage auferwecken“ (Joh 6,54). Fällt uns doch spätestens jetzt auf, dass Jesus viele der wichtigen Inhalte der Heilsbotschaft mehrmals erwähnt.

  • Es gibt nichts Wichtiges, von dem was er sagt, das er nicht schon mal gesagt hätte;
  • Und es gibt nichts Wichtiges von dem was er zum ersten Mal sagt, das er nicht irgendwann wiederholen würde.

Das ist die göttliche Kunst unseres Lehrmeisters Jesus, um seinen Jüngern das Bewusstsein für die Kontinuität Gottes in der Heilsgeschichte zu schärfen. Leben und Überleben hing und hängt zuerst:

  • Von der Bereitschaft sich vom Blut getränkte Tierfelle als Kleider anlegen zu lassen (Adam und Evan);
  • Von der persönlichen Teilnahme am Passahlamm (Israel in Ägypten);
  • Dann von der Teilnahme am Manna, dem Himmelsbrot (Israel in der Wüste);
  • Dann von der persönlichen Teilnahme am vom Himmel gekommenem Brot des Lebens in der Person des menschgewordenen Gottessohnes Jesus Christus.

Die Bestimmung, der Inhalt und die Wirkung des realen Passahlammes, des realen Manna  geht voll und ganz auf die Person Jesu Christi über. Der Zeitpunkt des Übergangs ist an dem Abend des fünften/sechsten Wochentages (Donnerstagabend/Freitagbeginn) durch die Worte Jesu „Dies ist mein Leib“ und „Dies ist mein Blut“ markiert, und bereits am gleichen Tag, nach etwa 12 Stunden mit seinem Blut am Kreuz besiegelt worden.

 

 

3. Teil: Die Testamente von Adam bis Mose

 

Wenn es um Bundesschlüsse geht, so ist immer Gott der aktiv Handelnde. In seiner Souveränität und Güte  wendet er sich einzelnen Menschen, einzelnen Familien, ja sogar einem ganzen Volk zu und stiftet Bünde, auch wenn der Begriff `Bund gr. διαθήκη – Testament/Vermächtnis` nicht immer ausdrücklich erwähnt ist. Gott vertraut dem Menschen etwas wertvolles an, nennt die Bedingungen und manchmal bekräftigt er das Ganze sogar mit einem Schwur. Manche Vermächtnisse gleichen Zusagen Gottes mit konkreter Verheißung. Die meisten von ihnen haben neben ihrer diesseits bezogenem, materiellem Inhalt auch eine geistliche Dimension, die meist erst im Lichte des Neuen Testamentes erkannt wird. Die Menschen konnten durch ihre freie Willensentscheidung ein von Gott gestiftetes Testament annehmen oder sich ihm verweigern, aber es ändern, oder etwas dazutun konnten sie nicht. Bei Annahme und Treue folgten Segnungen, bei Verweigerung oder Untreue kam der Mensch zu Schaden, aber Gott kam immer an sein Ziel. Hier eine (nicht vollständige) Liste der Bundesschlüsse Gottes zur Zeit des Alten Testaments vor Mose:

  1. Das Vermächtnis an Adam und Eva – Verwaltung der Erde. „Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über alles Getier, das auf Erden kriecht“ (1Mose 1,28). „Und Gott der HERR nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte“ (1Mose 2,15). Dieser Bund barg in sich jedoch auch die endgültige, vollkommene Verwaltung der zukünftigen Weltschöpfung, durch Jesus Christus, wie wir aus Psalm 8,5-7 und der Erklärung in  Hebräer 2,5-10)  erfahren: „Denn nicht Engeln hat er den zukünftigen Erdkreis unterworfen, von dem wir reden; es hat aber irgendwo jemand bezeugt und gesagt: „Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, oder des Menschen Sohn, dass du auf ihn achtest?  Du hast ihn ein wenig unter die Engel erniedrigt; mit Herrlichkeit und Ehre hast du ihn gekrönt; du hast alles unter seine Füße gelegt.“ Denn indem er ihm alles unterwarf, ließ er nichts übrig, das ihm nicht unterworfen wäre; jetzt aber sehen wir ihm noch nicht alles unterworfen. Wir sehen aber Jesus, der ein wenig unter die Engel erniedrigt war, wegen des Todesleidens mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt, damit er durch Gottes Gnade für jeden den Tod schmeckte. Denn es geziemte ihm, um dessentwillen alle Dinge und durch den alle Dinge sind, indem er viele Söhne zur Herrlichkeit führte, den Urheber ihrer Rettung (das ist Jesus) durch Leiden vollkommen zu machen“ (Hebr 2,5-10; Ps 8,5-7). So ist es also Jesus, der menschgewordene Gottessohn, der zweite Mensch/Adam (Röm 5,14), der eigentliche Verwalter und Beherrscher der ‚Gottesschöpfung. Und er bezieht seine Nachfolger in diese Verwaltung mit ein, so kommt Gott ans Ziel mit seiner Bundesverheißung an Adam (2Tim 2,12; Offb 1,6; 5,10).
  2. Das Vermächtnis an Adam und Eva nach dem Sündenfall (1Mose 3,9-23). Neben der vernderten Beziehung Adams zu der Schöpfung, fällt die wenig beachtete Handlung Gottes auf – die Schlachtung von Tieren (wahrscheinlich Lämmer). Die Felle der Tiere  verwendete Gott zur Bekleidung für Adam und Eva. Das Blut des Schlachtopfers deutete auf die Sühne für die Schuld. Dies kann als früher Hinweiß für Erlösung durch das stellvertretende Opferlamm gedeutet werden, weil „ohne Blutvergießen geschieht keine Vergebung“ (Hebr 9,22; Joh 1,29).
  3. Das Vermächtnis an Noah – zum Bau der Arche (1Mose 6,18). Die Inhalte dieses  Bundes waren nach der Sintflut zwar erfüllt, er barg jedoch in sich weitere geistliche Inhalte, deren Erfüllung erst noch in der Zukunft lag, aber ihre Auswirkung schon damals zeigte, so Petrus in 1Petr 3,18 – 22: „Denn es hat auch Christus einmal für Sünden gelitten, der Gerechte für die Ungerechten, damit er uns zu Gott führe, zwar getötet nach dem Fleisch, aber lebendig gemacht nach dem Geist. In diesem ist er auch hingegangen und hat den Geistern im Gefängnis gepredigt, die einst ungehorsam gewesen waren, als die Langmut Gottes in den Tagen Noahs abwartete, während die Arche gebaut wurde, in die wenige, das sind acht Seelen, durchs Wasser hindurchgerettet wurden. Das Abbild davon errettet jetzt auch euch, das ist die Taufe – nicht ein Ablegen der Unreinheit des Fleisches, sondern die Bitte an Gott um ein gutes Gewissen – durch die Auferstehung Jesu Christi. Der ist zur Rechten Gottes, nachdem er in den Himmel gegangen ist, und Engel und Mächte und Kräfte sind ihm unterworfen.“ Natürlich ist es hier nicht die Taufe im Wasser, welche rettet, sondern die Bitte zu Gott um ein reines Gewissen, oder die Taufe in den Tod Jesu (Röm 6,1-4). Somit geht auch der Bund Gottes mit Noah zur Rettung der Menschheit, auf die Person Jesu über und findet in ihm die eigentliche Erfüllung.
  4. Der Bund mit Noah, seiner Familie und ihren Nachkommen – zur Erhaltung und Verwaltung der Erde – als Bundeszeichen setzte Gott den Bogen in die Wolken (1Mose 9,1-17). Diese Bundesstiftung hat Bestand solange die Erde bestehen wird.
  5. Das Vermächtnis an Abraham – Landverheißung, Landbesitz (1Mose 16,18; 2Mose 6,4). Später wurde der Landbesitz an Bedingungen geknüpft (5Mose 4,22-40 – bei Untreue gegenüber Gott und Hinwendung zum Götzendienst drohte auch der Landverlust). Auch dieses Testament hatte eine immaterielle geistliche Dimension, wie der Hebräerbriefschreiber hervorhebt. „  (Hebr 11,8-10). „Durch Glauben war Abraham, als er gerufen wurde, gehorsam, auszuziehen an den Ort, den er zum Erbteil empfangen sollte; und er zog aus, ohne zu wissen, wohin er komme. Durch Glauben siedelte er sich im Land der Verheißung an wie in einem fremden und wohnte in Zelten mit Isaak und Jakob, den Miterben derselben Verheißung; denn er erwartete die Stadt, die Grundlagen hat, deren Baumeister und Schöpfer6 Gott ist.“ Landbesitz ist für die Menschen (Bürger des Reiches Gottes) nicht mehr an bestimmte Grenzen gebunden (Mt 19,29; Mt 28,16-19; Apg 4,37). Der diesseitige Landbesitz ist vorübergehend, zeitlich begrenzt un die Hoffnung strebt nach der neuen Wohnstätte, welche Christus den Gläubigen bereits vorbereitet hat (Joh 14,1-2).
  6. Das Vermächtnis an Abraham – zahlreiches Volk (1Mose 17,2. 4). In der Gesamtverheißung waren jedoch die Nachkommen durch Isaak unter besonderem Segen. In diesem Bund sind aber auch Menschen aus allen anderen Völkern einbezogen, doch trat dieser tiefere und geistliche Verheißungsinhalt erst durch Jesus Christus in Kraft, wie der Vergleich von 1Mose 22,18 und Galater 3,14-16 deutlich macht. „damit der Segen Abrahams unter die Heiden komme in Christus Jesus und wir den verheißenen Geist empfingen durch den Glauben Nun ist die Verheißung Abraham zugesagt und seinem Nachkommen. Es heißt nicht: und den Nachkommen, als gälte es vielen, sondern es gilt einem: »und deinem Nachkommen« (1.Mose 22,18), welcher ist Christus.“ Durch Christus also „sollen alle Völker auf Erden gesegnet werden“. Somit ist der Bund mit Abraham (Vater vieler Völker) mit dem Inhalt `zahlreiches, oder großes Volk zu werden` in und durch Christus zur Erfüllung gekommen.
  7. Der Bund der Beschneidung mit Abraham (1Mose 17,10. 11. 13; Apg 7,8). Auch dieser Bund hatte eine geistliche Dimension, welche die erste, physische Handlung ablöste (Röm 2,29; Phil 3,3 – es ist die Beschneidung des Herzens, die durch den Geist geschieht).
  8. Der Bund/Bundesbestätigung an Sara für Isaak, der noch geboren werden sollte (1Mose 17,19. 21). Bestätigung der Bundesverheißung an Isaak persönlich (1Mose 26,2-5).
  9. Bestätigung der Bundesverheißung an Jakob und Erweiterung durch die Namensgebung – Israel: „Du sollst nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel, denn du hast mit Gott und mit Menschen gekämpft und hast gewonnen“ (1Mose 32,29; 35,10-15; 46,1-4). Und dem Pharao lässt Gott durch Mose ausrichten: „So spricht der HERR: Israel ist mein erstgeborener Sohn (2Mose 4,22). Die endgültige und geistliche Dimension der Bundesinhalte an Jakob kommt erst in Jesus zur Erfüllung, wie zum Beispiel Matthäus erklärt: „und (Josef) blieb dort (in Ägypten) bis nach dem Tod des Herodes, damit erfüllt würde, was der Herr durch den Propheten gesagt hat, der da spricht (Hosea 11,1): »Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen.« Jesus ist der neutestamentliche und wahre Israel, der wahre erstgeborene Sohn Gottes! Jakob zeugte 12 Söhne nach dem Fleisch, Jesus berief  12 Apostel nach dem Geist (denn von keinem ist der Stamm erwähnt). Somit wäre das Israel nach dem Fleisch (1Kor 10,18) ein Vorläufer für das Israel nach dem Geist (Gal 6,16), wobei zum Letzteren durch den Glauben an Jesus Christus sowohl Juden, als auch Nichtjuden gleichermaßen gehören. „Denn wir sind durch „einen“ Geist alle zu „einem“ Leib (dem Leib Christi) getauft, wir seien Juden oder Griechen, Sklaven oder Freie, und sind alle mit „einem“ Geist getränkt“ (1Kor 12,13; Joh 10,16; Röm 3,29-30; 4,16. 23-24).

Nach dem, was wir bis jetzt über die vielen und verschiedenen Testamente mit deren Inhalten feststellen konnten, kommen wir zu der Schlußfolgerung, dass sie alle mit ihrer geistlichen Sinnfülle in diesem einen Neuen Bund/Testament, den Jesus gestiftet hat, aufgehen, bzw. zu ihrer wahren Erfüllung kommen.

 

 

 4. Teil: Der Bund vom Sinai durch Mose und der Neue Bund durch Jesus

 

 

Der Bundesschluß am Sinai bedeutete die formal-juristische Stiftung, doch eingeführt in diesen Bund wurde das Volk Israel bereits in Ägypten.

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Abbildung 1 Ein Berg aus schwarzem Basalt im Wadi Rum (Foto: P. Schüle 6. November 2014).

Dies geschah am Abend des 14. Tages im ersten Monat als auf Gottes Anweisung hin jede Familie das Passahlamm schlachten mußte.

Vorgeschrieben war:

  1. Ein 1-jähriges Lamm (oder Ziege), männlich, fehlerlos, es musste vier Tage lang verwahrt werden, am Abend des 14. Tages geschlachtet und am Feuer gebraten und in der Regel von jeder Familie bis zum Morgen ganz aufgegessen werden.
  2. Mit dem Blut des Lammes mussten die Türpfosten bestrichen werden zum Zeichen der Annahme der göttlichen Anweisung, dies bedeutete gleichzeitig Lebenserhalt der Erstgeburt in Israel.
  3. Zum Passahmahl gehörten ungesäuertes Brot und zwar für die gesamte folgende Woche (14 . bis 21. Tag des 1. Monats).
  4. Zu diesem Mahl gehörten ebenso bittere Kräuter.

Der Bundesschluß am Sinai mit öffentlicher Annahme und Einwilligung des gesamten Volkes Israel erfolgte bald nach der Ankunft am Berg Gottes, also etwa zwei Monate nach dem Auszug aus Ägypten. Der Bundesschluß wird vom Hebräerbriefschreiber wie folgt beschrieben: „Und er (Mose) nahm das Buch des Bundes und las es vor den Ohren des Volks. Und sie sprachen: Alles, was der HERR gesagt hat, wollen wir tun und darauf hören.“Da nahm Mose das Blut und besprengte das Volk damit und sprach: Seht, das ist das Blut des Bundes, den der HERR mit euch geschlossen hat aufgrund aller dieser Worte“ ((2Mose 19,5; 24,7-8; Hebr 9,19). Bei dem Bund am Sinai werden zwei besondere Elemente deutlich hervorgehoben:

  1. Mose nahm das Buch des Bundes und las es vor. Das Volk nahm den Inhalt des Buches an. Die Parallele zum Abendmahl wäre: Jesus nahm das Brot, brach es und gab den Jüngern, sie nahmens und aßen.
  2. Mose nahm das Blut des Bundes und besprengte damit das Volk. Die Parallele beim Abendmahl wäre: Jesus nahm den Kelch und gab ihn den Jüngern und sie tranken alle daraus.
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Abbildung 2; Die beiden Elemente – Brot und Wein – übernimmt Jesus als Zeichen für den Neuen Bund (Foto: P. Schüle 6. Februar 2016).

Da gibt es also gewisse Parallelen zum zweiten, Neuen Bund, den Jesus gestiftet hatte. In Römer 9,4 erwähnt der Apostel Paulus, dass den Israeliten „die Bundesschlüsse und das Gesetz und der Gottesdienst und die Verheißungen“ gehören, Doch warum musste ein Neues Testament gemacht werden? In der Zeit um etwa 600 v. Chr. tadelt Gott die Israeliten wegen ihrer Untreue (Jer 31,31-34). Der Schreiber des Hebräerbriefes zitiert diese Stelle aus dem Propheten Jeremia in Kapitel 8,9-12):

  • Siehe, Tage kommen, spricht der HERR, da schließe ich mit dem Haus Israel und mit dem Haus Juda einen neuen Bund
  • nicht wie der Bund, den ich mit ihren Vätern (den 12 Stämmen) geschlossen habe an dem Tag, als ich sie bei der Hand fasste, um sie aus dem Land Ägypten herauszuführen – diesen meinen Bund haben sie gebrochen, obwohl ich doch ihr Herr war, spricht der HERR. 
  • Sondern das ist der Bund, den ich mit dem Haus Israel nach jenen Tagen schließen werde, spricht der HERR:
  • Ich werde mein Gesetz in ihr Inneres legen und werde es auf ihr Herz schreiben.
  • Und ich werde ihr Gott sein, und sie werden mein Volk sein. 
  • Dann wird nicht mehr einer seinen Nächsten oder einer seinen Bruder lehren und sagen: Erkennt den HERRN! Denn sie alle werden mich erkennen von ihrem Kleinsten bis zu ihrem Größten, spricht der HERR.
  • Denn ich werde ihre Schuld (Ungerechtigkeiten) vergeben und an ihre Sünde nicht mehr denken“ (Jer 31,31-34; Zitat aus Hebr 8,9-12; ähnlich auch Hebr 10,15-17).

Wo aber Vergebung dieser Sünden ist, gibt es kein Opfer für Sünde mehr“ (Hebr 10,18). Der Bund am Sinai barg jedoch in sich Elemente und Symbole, die auf tiefere, geistliche Realitäten in Gottes Heilsplan hinweisen (Mose als Mittler, Passahlamm, die zwei steinerne Tafeln des Zeugnisses, die Stiftshütte, der Priesterdienst mit all den Opfern, das Manna, die eherne Schlange etc.). „Denn da das Gesetz einen Schatten der zukünftigen Güter, nicht der Dinge Ebenbild selbst hat, so kann es niemals mit denselben Schlachtopfern, die sie alljährlich darbringen, die Hinzunahenden für immer vollkommen machen“ (Hebr 10,1). Es ist also eindeutig eine vorläufige Einrichtung und daher wird eine bessere Ordnung eingeführt. wie es auch weiter im Text heißt: „dann sprach er (der Sohn): „Siehe, ich komme, um deinen Willen zu tun“ – er nimmt das Erste weg, um das Zweite aufzurichten. In diesem Willen sind wir geheiligt durch das ein für alle Mal geschehene Opfer des Leibes Jesu Christi(Hebr 10,9-10).

Jesus, als der einzig wahre und vollkommene Mittler  des Neuen Testamentes (1Tim 2,5; Hebr 9,15; 12,24), stiftet den von Gott durch Jeremia (31,31-34) verheißenen Neuen Bund an seine zweölf Apostel (das neutestamentliche Israel – Mt 26,26-28) und besiegelte diesen mit seinem Blut durch den Tod am Kreuz (Hebr 9,16 – „Denn wo ein Testament ist, da muss der Tod dessen geschehen sein, der das Testament gemacht hat“).

Zwischen der Stiftung des ersten Bundes am Sinai und des zweiten Bundes beim letzten Passahmahl, sind nicht nur deutliche Prallelen, sondern auch wesentliche Unterschiede zu erkennen, wie die Gegenüberstellungen in der folgenden Tabelle zeigen:

 

Der erste Bundesschluss mit Israel – den 12 Stämmen Der zweite Bundesschluss mit Israel – den 12 Aposteln
Der erste Bund wurde bei dem ersten Passahmahl in Ägypten gestiftet und am Sinai mit Tierblut besiegelt Der zweite Bund wurde während des letzten Passahmahls in Jerusalem gestiftet und am Kreuz mit dem Blut Jesu Christi besiegelt
Der erste Bund wurde mit der gesamten Gemeinde Israel durch Blutbesprengung geschlossen Der zweite Bund wurde mit den 12 Jüngern als Repräsentanten des NT Volkes Israel durch den Kelch des neuen Bundes – (mit dem Blut Jesu) geschlossen
Das Gesetz des Buchstabens war mit Gottes Finger auf steinerne Tafeln geschrieben Das Gesetz Gottes (des Geistes) wird ins Herz des Gläubigen und sein Denken (Sinn) geschrieben
Wiederholte Tieropfer für die Sünden waren nötig Einmaliges und gültiges Opfer des Lammes Jesus Christus genügt um für immer die Sünden wegzunehmen (Hebr 9,9-10; 1Petr 1,22-23)
Durch die vielen und verschiedenen Opfer geschieht nur eine Erinnerung an die Sünden Durch das eine Opfer wird an die Sünden nicht mehr gedacht
Das Aaronitische Priestertum war zeitlich begrenzt und schwach Der Hohepriester Jesus gemäß der Ordnung Melchisedeks bleibt ewig (Hebr 8,1)
Mose als Mittler – treuer Knecht in Gottes Haus Jesus als Mittler – Sohn und Herr über das Haus Gottes
Der erste Bund schloß nur das Volk Israel ein – ausschließlicher Bund Der zweite Bund schließt alle Glaubenden an Jesus ein, Juden und Nichthuden – universeller Bund

 

Der zweite und Neue Bund schließt laut Verheißung zwar auch das ganze Israel (Haus Israel und Juda) mit ein, doch nicht automatisch, sondern durch persönliche Annahme und Einwilligung in die Bedingung des Bundes. Und diese Bedingung oder Voraussetzung ist:

  • Jesus, als den von Gott gesandten und gesalbten Messias/Retter,
  • der sich als Passahlamm für die Sünden aller Menschen opferte,
  • im Glauben annehmen,
  • Vergebung der Sünden erlangen
  • und zum neutestamentlichen Volk Gottes hinzugeordnet werden.

Das ist der Neue Bund, das Neue Testament, Gottes Vermächtnis – zugänglich für alle Menschen !

 

 

5. Teil: Inhalte des Neuen Bundes – Vergebung der Sünden

 

Das größte Problem das der Mensch hat, ist seine Sünde. Im Grunde ist Sünde alles, was mit Gottes Willen und Wesen nicht übereinstimmt. Der Begriff selbst bedeutet sowohl im Hebräischen als auch im Griechischen soviel wie – Verfehlung, oder Zielverfehlung (4Mose 18,1). Sünde wird sehr oft mit bewusster Übertretung des Gebotes Gottes gleichgesetzt. Allerdings wird Sünde von Gott erst angerechnet, wenn ein Bewusstsein dafür vorhanden ist. So schreibt Paulus: „Denn die Sünde war wohl in der Welt, ehe das Gesetz kam (gemeint ist das Gesetz Moses); aber wo kein Gesetz ist, da wird Sünde nicht angerechnet“  (Röm 5,13; ähnlich auch 4,15). Sehr großzügig außert sich Jesus gegenüber den Juden: „Wenn ich nicht gekommen wäre und hätte es ihnen gesagt, so hätten sie keine Sünde; nun aber können sie nichts vorwenden, um ihre Sünde zu entschuldigen“ (Joh 15,22). Gott ist absolut heilig, gerecht, aber auch gütig, gnädig und barmherzig. Doch ganz gleich, ob ein Mensch bewusst oder unbewusst, viel oder weniger gesündigt hat, nach dem Sündenfall Adams gerieten alle Menschen unter den Fluch und die Folgen der Sünde, Paulus schreibt dazu: „Denn sie sind allzumal Sünder“ und:  „Denn der Sünde Sold ist der Tod“ (Röm 3,23; 6,23). Sünde ist nicht einfach nur etwas Negatives, Schlechtes, Sünde ist tödlich. „Und Gott, der HERR, gebot dem Menschen und sprach: Von jedem Baum des Gartens darfst du essen; aber vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen, davon darfst du nicht essen; denn an dem Tag, da du davon isst, musst du sterben!“ (1Mose 2,16-17). Gottes Anweisung bestand aus zweierlei: dem Gebot und dem Verbot – du darfst (sollst) und du darfst (sollst) nicht. Und wie der Text in 1Mose 3,1-7 berichtet, vernachlässigten beide – Eva und Adam – das Gebot und taten das Verbotene. Durch Zweifel, Unglauben und Ungehorsam gerieten sie in die Sündenfalle. Nun bedeutete damals Sterben nicht gleich physischer Tod verbunden mit plötzlichem umfallen. Aber die innere geistliche Beziehung zu Gott wurde unterbrochen (ist gestorben) und damit setzte auch das physische (wenn auch langsame) Sterben ein. Zu dem Verlust des Lebens kam noch die Schuld gegenüber Gott dazu. Im sogenannten Gebet `Vaterunser` verwendet Jesus in Matthäus 6,12 den Begriff Schuld (gr. οφειληιμα – ofeilema). Die größte Schuld des Menschen ist demnach seine Sündenschuld, denn er ist vor Gott schuldig geworden. Und er ist nicht imstande diese Schuld loszuwerden durch  Eigenleistung, bzw. durch gute Taten. Denn das Gute und Richtige zu tun gehörte zu seiner normalen Pflicht, es ist eigentlich seine Berufung und Lebensaufgabe. Bei jedem Versuch durch gute Taten eine Sünde abzumildern oder gar zu tilgen, versäumt er gleichzeitig seinen eigentlichen Pflichten nachzukommen und lädt neue Versäumnisssünden auf sich. Nehmen wir als Beispiel Adam und Eva nachdem sie durch Ungehorsam, das Gebot Gottes übertraten und damit Schuld auf sich luden. „und sie (Eva) nahm von seiner Frucht und aß, und sie gab auch ihrem Mann bei ihr, und er aß. Da wurden ihrer beider Augen aufgetan, und sie erkannten, dass sie nackt waren; und sie hefteten Feigenblätter zusammen und machten sich Schurze. Und sie hörten die Stimme Gottes, des HERRN, der im Garten wandelte bei der Kühle des Tages. Da versteckten sich der Mensch und seine Frau vor dem Angesicht Gottes, des HERRN, mitten zwischen den Bäumen des Gartens“ (1Mose 3,7-8). Folgendes wird hier deutlich:

  1. Adam und Eva kannten den Willen Gottes,
  2. Anstatt ihren eigentlichen Pflichten nachzukommen (1Mose 1,27-28), wendeten sie sich dem Verbotenen zu,
  3. Dann erkannten sie ihre Nacktheit (Veränderte Beziehung zu einander und zu Gott – es stellte sich Schamgefühl ein, das durch Schuldbewusstsein hervorgerugen wurde). Nun bleiben sie nicht untätig, sie verdecken sich voreinander mit selbstgemachter Bekleidung und verstecken sich vor dem Herrn unter den Bäumen des Gartens. Mit diesen eigenständigen Aktivitäten wollten sie etwas gegen ihr Verschulden machen, versäumen dabei ihren von Gott aufgetragenen Pflichten nachzukommen (1Mose 2,15). Beim Sündigen verschuldet sich der Mensch immer doppelt. Das Bemühen, ihre Schuld irgendwie zuzudecken misslang, sie mussten sich schließlich Gott stellen (1Mose 3,9-10). Nach der Klärung der völlig neuen Sachlage mußten Beide ihre Selbstgemachte Bekleidung ablegen. Was danach geschah, ist für sie völlig neu und musste sie in Staunen und Schrecken versetzt haben.
    • Unbeteiligte Tiere (wahrscheinlich Lämmer) die mit den verwerflichen Handlungen der Menschen nichts zu tun hatten, müssen geschlachtet werden,
    • Dabei wird unschuldiges Tierblut vergossen,
    • Aus Tierfellen werden Röcke gemacht, um die Blöse der Menschen zu bedecken – Handlungen voller Symbolkraft.

Schön war der Anblick dieser Bekleidung keineswegs, wohl aber heilsam. Nicht dass die Tierfelle im Vergleich zu den Feigenblättern von längerer Dauer sind, sondern damit deutete Gott zum erstenmal an, wie und wodurch der Mensch von seiner Sündenschuld loswerden kann und erneut Gemeinschaft mit Gott erleben kann. Die unzähligen Tieropfer des Alten Bundes erinnern aber nicht nur an die erste Sünde des Menschen, sondern weisen auch in die Zukunft, auf die noch ausstehende Rettung/Erlösung durch das wahre Lamm Gottes, das die Sünden auf sich nimmt und durch seinen stellvertretenden Tod hinwegnimmt. Um etwa 700 v. Chr. schreibt der Prophet Jesaja von dem kommenden Messias: „Er hatte keine Gestalt und keine Pracht. Und als wir ihn sahen, da hatte er kein Aussehen, dass wir Gefallen an ihm gefunden hätten. Er war verachtet und von den Menschen verlassen, ein Mann der Schmerzen und mit Leiden vertraut, wie einer, vor dem man das Gesicht verbirgt. Er war verachtet, und wir haben ihn nicht geachtet. Jedoch unsere Leiden – er hat sie getragen, und unsere Schmerzen – er hat sie auf sich geladen. Wir aber, wir hielten ihn für bestraft, von Gott geschlagen und niedergebeugt. Doch er war durchbohrt um unserer Vergehen willen, zerschlagen um unserer Sünden willen. Die Strafe lag auf ihm zu unserm Frieden, und durch seine Striemen ist uns Heilung geworden. Wir alle irrten umher wie Schafe, wir wandten uns jeder auf seinen eigenen Weg; aber der HERR ließ ihn treffen unser aller Schuld. Er wurde misshandelt, aber er beugte sich und tat seinen Mund nicht auf wie das Lamm, das zur Schlachtung geführt wird und wie ein Schaf, das stumm ist vor seinen Scherern; und er tat seinen Mund nicht auf“ (Jes 53,2-8). Dieser Text bildet das Kernstück des Evangeliums, wie es schon Jahrhunderte zuvor dem Volk Israel in Schriftform als neue Perspektive der Erlösung von Sünden verkündigt wurde. Kurz vor dem öffentlichen Auftreten des von Gott verheißenen und dem Volk Israel ersehnten Messias/Retter bezeugt der Pristersohn Johannes der Täufer von der Ankunft dieses Gotteslammes. „Siehe, dies ist das Lamm Gottes, welches der Welt Sünde hinwegträgt“ (Joh 1,29. 36). Mindestens viermal sagte Jesus seinen Jüngern voraus, dass er viel leiden müsse und zur Kreuzigung an die Heiden überantwortet wird. Am letzten Abend während des Passahmahls, so schreibt Matthäus der Evangelist und Augenzeugen: „Und er (Jesus) nahm den Kelch und dankte, gab ihnen den und sprach: Trinket alle daraus; das ist mein Blut des Bundes, das vergossen wird für viele zur Vergebung (Erlassung) der Sünden“ (Mt 26,27-28). Vordergründig geht es hier um den Inhalt des Kelches. Das es sich um ein Getränk vom Weinstock handelte, ist in den Texten ausdrücklich erwähnt (Mt 26,29; Mk 14,25; Lk 22,18). Von der Jahreszeit ausgehend, wird es sich wohl um einen ausgegorenen Traubensaft, sprich Wein gehandelt haben. Doch nicht die Substanz selbst ist es (ist sie doch gar nicht ausdrücklich erwähnt), sondern in welchen Bezug sie Jesus bringt ist wesentlich. „Das ist mein Blut des Bundes“ – trinkt alle daraus. Nach dem Gesetz war jegliches Blut zu essen/trinken absolut verboten (1Mose 9,4; 3Mose 17,12-13). Daher nimmt Jesus das in Israel allgemein bekannte rotfarbene Getränk vom Weinstock (Spr 23,31) als Element, welches am besten sein Blut symbolisiert.

Der wesentlichste Inhalt des Neuen Bundes ist die Vergebung der Sündenschuld der Welt. Das Blut Jesu Christi, sein menschliches, physisches Leben (gr. ψυχη – psyche) als unschuldigen Gotteslammes ist der höchste Preis dafür (Joh 10,11. 17-18). Und wie Petrus Jahre später schreibt: „Denn ihr wisst, dass ihr nicht mit vergänglichen Dingen, mit Silber oder Gold, erlöst worden seid von eurem eitlen, von den Vätern überlieferten Wandel,

19 sondern mit dem kostbaren Blut Christi als eines Lammes ohne Fehler und ohne Flecken. Er ist zwar im Voraus vor Grundlegung der Welt erkannt, aber am Ende der Zeiten offenbart worden um euretwillen“,(1Petr 1,18-20). Auch der Apostel Paulus hebt hervor: „Auch wir haben ein Passahlamm – das ist Christus – für uns geopfert“ (1Kor 5,).

 

6. Teil: Der Neue Bund – Gottes Willen ins Herz geschrieben

 

Selbstverständlich ist die gesamte Evangeliumsbotschaft von Jesus Christus Inhalt des Neuen Bundes, wird doch dadurch im Detail der gesamte Wille Gottes offenbart (Hebr 1,1-3 – „Gott hat zu uns geredet durch seinen Sohn“). Jesus legte großen Wert darauf, dass die Menschen Gottes Willen in ihr Herz und ihren Sinn (ihr Denken) aufnehmen, damit ihr Lebensstil von innen heraus motiviert und bestimmt wird. Tadelt er doch: „Ihr Pharisäer, ihr haltet die Becher und Schüsseln außen rein; aber euer Inneres ist voll Raubgier und Bosheit“ (Lk 11,39). „Verändert euer Denken“, damit begann Jesus seinen Predigtdienst in Kapernaum (Mt 4,17; Mk 1,15)  und das entspricht der Gottesverheißung aus Jeremia 31,31-34 „Ich will mein Gesetz in ihr Herz schreiben“. Ähnliches lies Gott auch durch den Propheten Hesekiel sagen: „Und ich werde euch ein neues Herz geben und einen neuen Geist in euer Inneres geben; und ich werde das steinerne Herz aus eurem Fleisch wegnehmen und euch ein fleischernes Herz geben. Und ich werde meinen Geist in euer Inneres geben; und ich werde machen, dass ihr in meinen Ordnungen lebt und meine Rechtsbestimmungen bewahrt und tut“ (Hes 36,26-27). Beachten wir die Initiative Gottes: „Ich werde“, aber dies wird er nur tun, wenn der Mensch dem Wirken Gottes Raum gibt. Am  Abend der Stiftung des Neuen Bundes konnte Jesus beten: „Denn die Worte, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben, und sie haben sie angenommen und wahrhaftig erkannt, dass ich von dir ausgegangen bin, und sie glauben, dass du mich gesandt hast“ (Joh 17,8). Und eben an diesem letzten Abend entfaltet Jesus sein Vermächtnis auf eine ganz besondere Weise und Intensität (Joh 13,1-17,24). Dies ist übrigens die längste zusammenhängende Rede Jesu, welche die Evangelisten in schriftlicher Form überliefert haben. Und besonders in dieser Rede werden bedeutende Inhalte des Neuen Testamentes hervorgehoben, wie zum Beispiel:

  • Indem Jesus seinen Jüngern die Füße wäscht, hebt er seine dienende Art hervor.
  • Durch die Verordnung der Fußwaschung an die Jünger, legt Jesus für Zeit und Ewigkeit die Beziehung der Jünger zueinander fest. – „Wenn nun ich, der Herr und der Lehrer, eure Füße gewaschen habe, so seid auch ihr schuldig, einander die Füße zu waschen. Denn ich habe euch ein Beispiel gegeben, dass auch ihr tut, wie ich euch getan habe. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ein Sklave ist nicht größer als sein Herr, auch ein Gesandter nicht größer als der, der ihn gesandt hat. Wenn ihr dies wisst, glückselig seid ihr, wenn ihr es tut“ (Joh 13,15-17).
  • Das Neue Gebot der Bruderliebe fördert das geistliche Wachstum nach innen und beglaubigt das Christuszeugnis nach außen – „Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr einander liebt, damit, wie ich euch geliebt habe, auch ihr einander liebt. Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt“ (Joh 13,34-35).
  • Die Verheißung des Heiligen Geistes, der in das gereinigte Herz eines Menschen einzieht bewirkt folgendes: „Wenn der Beistand gekommen ist, den ich euch von dem Vater senden werde, der Geist der Wahrheit, der von dem Vater ausgeht, so wird der von mir zeugen“ (Joh 15,26). „Ihr kennt ihn, denn er bleibt bei euch und wird in euch sein“ (Joh 14,17b).  „Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit, gekommen ist, wird er euch in die ganze Wahrheit leiten; denn er wird nicht aus sich selbst reden, sondern was er hören wird, wird er reden, und das Kommende wird er euch verkündigen“ (Joh 16,13).
  • Die Gabe des ewigen Lebens – „Dies aber ist das ewige Leben, dass sie dich, den allein wahren Gott, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen“ (Joh 17,3).
  • Die ewige Heimat – „Vater, ich will, dass die, welche du mir gegeben hast, auch bei mir seien, wo ich bin, damit sie meine Herrlichkeit schauen, die du mir gegeben hast, denn du hast mich geliebt vor Grundlegung der Welt“ (Joh 17,24).

Gottes Gesetz (Gottes Willen) ins Herz geschrieben bedeutet nach der Aussage Jesu: „Das aber auf dem guten Land sind die, die das Wort hören und behalten in einem feinen, guten Herzen (gr. καρδια – kardia) und bringen Frucht in Geduld“ (Lk 8,15). Zur Gedächtnisstütze dessen, was wir gehört und aufgenommen haben gibt Gott uns seinen Geist: „Aber der Tröster, der Heilige Geist, den mein Vater senden wird in meinem Namen, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe“ (Joh 14,26).

Jeder Mensch

  • Der Jesu Wort hört (Lk 8,15);
  • es auf- und annimmt (Joh 17,8);
  • es hütet und bewahrt (Lk 8,15);
  • es im Herzen nachdenkend bewegt (Lk 2,19);
  • es anwendet/tut (Mt 7,24), der ist schon jetzt Teilhaber und Nutznieser des Neuen Testamentes mit allen seinen Inhalten.

 

7. Teil: Warum setzte Jesus das Abendmahl ein bevor er gestorben war

 

Und als die Stunde kam, setzte er sich nieder und die Apostel mit ihm. Und er sprach zu ihnen: Mich hat herzlich verlangt, dies Passalamm mit euch zu essen, ehe ich leide. Denn ich sage euch, dass ich es nicht mehr essen werde, bis es erfüllt wird im Reich Gottes“ (Lk 22,14-16). Damit beantwortet Jesus selbst unsere Frage. Ihn hat herzlich verlangt, oder mit Sehnsucht sehnte er sich danach vor seinem Leiden das Passahlamm mit seinen Jüngern zu essen. Es geht Jesus zunächst um das Passahlamm (noch nicht um das Abendmahl), denn er weiß, es ist die letzte Feier, welche nach dem Gesetz noch in Kraft ist. Und damit erfüllt er eben auch die Anordnung Gottes aus 2Mose 12,1ff. Damit schließt er sozusagen den Kreis, oder setzt damit den Punkt nach Ablauf des Alten Bundes. Ein geordneter Abschluß ist für Jesus sehr wichtig, es muß alles erfüllt werden, was von mir geschrieben ist, sagte er einmal (Lk 22,37b). In dieser Form und auf diese natürliche Weise wird er es nicht mehr feiern.

Doch suchen wir auch noch nach weiteren Gründen und Antworten. auf diese Frage. Erstens ist es Gottes Art, seine Pläne vorauszusagen und zweitens: Es ist Gottes Art seine Pläne vorauszuzeigen, vorzubilden. So lesen wir in 1Mose 18,17: „Da sprach der HERR: Wie könnte ich Abraham verbergen, was ich tun will“. Und Jesus pflegte ebenfalls seine Jünger im voraus zu informieren über das Kommende: „Jetzt sage ich’s euch, ehe es geschieht, damit ihr, wenn es geschehen ist, glaubt, dass ich es bin“ (Joh 13,19; 14,29). Gott will seine Kinder nicht im Ungewissen lassen, sondern ihre Glaubens- und Vertrauensbeziehung zu ihm stärken. Mindestens fünf Mal sagte Jesus sein Leiden, Sterben und seine Auferstehung voraus und als es soweit war, konnten sie es kaum fassen, wie folgende Episode deutlich macht: „Da ging auch der andere Jünger hinein (in das leere Grab), der zuerst zum Grab gekommen war, und sah und glaubte. Denn sie verstanden die Schrift noch nicht, dass er von den Toten auferstehen müsste“ (Joh 20,8-9). Die Vor-Bilder:

  • Es sind die Lammfelle bei Adam und Eva (1Mose 3,21),
  • es ist das Passahlamm in Ägypten (2Mose 12,1ff).
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Herodianischen Tempels, an dem 46 Jahre gebaut wurde und der von den Römern im Jahre 70 n. Chr. zerstört wurde (Foto: P. Schüle April 1986).

  • Es ist die materielle Einrichtung der Stiftshütte mit all ihrem Gerät (2Mose 25,40).
  • Und schließlich der Tempel in Jerusalem, den Jesus als Vorbild für seinen Leib wählt, der von den Juden abgebrochen wird und von Jesus in drei Tagen wieder aufgerichtet wird (Joh 2,19).

Gerade beim Letzteren Vorbild heißt es: „Er aber redete von dem Tempel seines Leibes.

Als er nun auferstanden war von den Toten, dachten seine Jünger daran, dass er dies gesagt hatte, und glaubten der Schrift und dem Wort, das Jesus gesagt hatte“ (Joh 2,21-22).

Die Vorbildungen sollen seine Pläne für die Zukunft veranschaulichen, so auch die Einsetzung des Abendmahls während der Passahmahlzeit und die damit verbundene Bundesstiftung. Mit dem Tod Jesu am Kreuz ist der erste Bund, der Bund vom Sinai zu Ende gegangen, das offensichtliche Zeichen dafür war: „Und siehe, der Vorhang im Tempel zerriss in zwei Stücke von oben an bis unten aus“ (Mt 27,51; Mk 15,38). Die Reihenfolge Gottes in seiner Offenbarung ist immer die gleiche: Zuerst die Voraussage, verbunden mit einem sichtbaren Vorbild, erst danach die göttliche Wirklichkeit. Nur Gott selbst, der den Bund vom Sinai als vorläufige, vorbildhafte  Einrichtung stiftete, beendete ihn auch mit dem inkrafttreten des Neuen Bundes durch Jesus.

 

 

8. Teil: Abendmahl – eine Verordnung zum Gedächtnis

 

Der Apostel Paulus gibt den Gläubigen in Korinth klare Anweisungen in Bezug auf das Abendmahl und begründet diese mit: „Denn ich habe von dem Herrn empfangen, was ich euch weitergegeben habe: Der Herr Jesus, in der Nacht, da er verraten ward, nahm er das Brot, dankte und brach’s und sprach: Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird; das tut zu meinem Gedächtnis. Desgleichen nahm er auch den Kelch nach dem Mahl und sprach: Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut; das tut, sooft ihr daraus trinkt, zu meinem Gedächtnis“ (1Kor 11,23-25). Auch im Lukasevangelium wird die wiederholte Praxis des Abendmahls mit den Worten begründet: „das tut zu meinem Gedächtnis“ (Lk 22,19b). Mit der Anordnung `εις την αναμνησιν – eis ten anamnesin – zu meinem Gedächtnis` (im Akkusativ), stellt Jesus selbst den ständigen Bezug zu sich her. Die in dem Wort Gedächtnis vorangestellte Vorsilbe `ana-mnesin`, will das im Gedächtnis Abgelagerte an die Oberfläche hervorholen. So könnte anstelle `zu meinem Gedächtnis` auch `zu meiner Erinnerung` übersetzt werden. Der Hebräerbriefschreiber benutzt das gleiche Wort `ana-mnesis – Er-innerung` (im Nominativ) für die Praxis der jährlichen Opfer, welche an das Vorhandensein der Sünden erinnern soll (Hebr 10,3). Durch die Klarheit dieses Begriffes fällt es uns leichter zu verstehen, dass in der wiederholten Praxis des Abendmahls (Brot und Kelch) das gesamte Werk der Erlösung durch Jesus Christus hervorgehoben werden soll. Die nachfolgenden Worte des Apostels Paulus unterstreichen dies zusätzlich: „Denn sooft ihr von diesem Brot esst und aus dem Kelch trinkt, verkündigt ihr den Tod des Herrn, bis er kommt“ (1Kor 11,26). Gott verordnete den Israeliten, die jährliche Opferung des Passahlammes am 14. Tag des ersten Monats und ebenso das jährliche Versöhnungsopfer am 10. Tag des siebten Monats als eine ewige Ordnung (2Mose 12,14. 17; 3Mose 16,29. 31. 34).

  • Die erste Etappe dieser wiederholten Praxis der Opferdarbringung endete mit dem Tod Jesu am Kreuz.
  • Die zweite Etappe, in der das einmalige Opfer Jesu Christi in der wiederholten  Erinnerungpraxis durch Brot und Kelch symbolhaft dargestellt ist, hat ihre Gültigkeit bis er wieder kommt.
  • Auch im ewigen Reich Gottes, welches vollends bei der Wiederkunft Christi offenbart wird, setzt sich die ewige Ordnung Gottes in einer geistlichen Dimension fort. Dies wird durch die Worte Jesu angedeutet: „Ich sage euch: Ich werde von nun an nicht mehr von diesem Gewächs des Weinstocks trinken bis an den Tag, an dem ich von neuem davon trinken werde mit euch in meines Vaters Reich.(Mt 26,29; Mk 14,25; Lk 22,18). Dadurch wird für alle Ewigkeit die Erinnerung (ana-mnesis) an das Erlösungswerk Jesu Christi wachgehalten (Offb 5,6. 8. 12. 13; 7,10. 17; 14,1. 4; 15,3 – das Lamm). Jesus selbst verheißt seinen Jüngern in Lukas 22,30: „dass ihr essen und trinken sollt an meinem Tisch in meinem Reich und sitzen auf Thronen und richten die zwölf Stämme Israels.“ Bis diese Verheißung erfüllt sein wird, gilt für uns die Erinnerung, das Gedenken an Jesu Versönungswerk durch die regelmäßige Feier des Abendmahls wach zu halten.

9. Teil: Das Abendmahl in der Zeit der Apostel

 

a). Die Praxis des Abendmahls in Jerusalem

Lukas schreibt von den Gläubigen in Jerusalem: „Sie blieben aber beständig in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft, im Brotbrechen und in den Gebeten“ (Apg 2,42). Und jeden Tag verharrten sie einmütig im Tempel, brachen das Brot in den einzelnen Häusern, nahmen die Speisen mit Jubel und einfältigem Herzen“ (Apg 2,46). Die Feier des Abendmahls in Jerusalem wird mit der Bezeichnung `Brotbrechen, Brechen des Brotes – κλάσει του άρτου` beschrieben (Apg 2,42. 46). Aber diese Bezeichnung wird auch bei den allgemeinen Mahlzeiten verwendet,

  • so bei der Speisung der 5000/4000 im Bereich der Dekapolis, östlich des Sees von Galiläa (Mt 14,19; 15,36),
  • beim Abendessen in Emmaus (Lk 24,30. 35). Die beiden Jünger aus Emmaus erkennen Jesus am Brechen des Brotes.
  • oder beim Frühstück am See in der Nähe von Kapernaum, wo Jesus das Brot unter seine Jünger austeilt, also auch gebrochen hat (Joh 21,13).

Es ist eine Art Erkennungszeichen für den Herrn. Er ist der Hausherr, der an seine Hausgenossen das Brot austeilt. Da uns keine detailierte Beschreibung der Feier des Abendmahls in Jerusalem vorliegt, können wir mit hoher Wahrscheinlichkeit annehmen, dass diese Verordnung im Rahmen der allgemeinen Mahlzeiten gefeiert wurde uns zwar in den Hausversammlungen als ständige Erinnerung an den Tod Jesu. Vergessen wir nicht, dass auch Jesus das neue Bundesmahl während des Abendessens eingesetzt hatte. Dazu kommt noch die Besonderheit der Gütergemeinschaft, welche in ihrer Art einmalig ist.

 

 

b). Die Praxis des Abendmahls in Troja

 

Auf der Rückreise von Korinth nach Jerusalem, etwa im Jahre 59 traf der Apostel Paulus in Begleitung von Lukas in Troja auf seine übrigen Begleiter (Apg 20,4). Dies war im Frühjahr, kurz nach den Tagen der ungesäuerten Brote (jüdische Passahwoche). Dort verbrachten sie sieben Tage (Apg 20,6). Am ersten Tage der Woche (an einem Sonntag) kamen sie mit der gesamten Gemeinde zusammen um das Brot zu brechen `klasei tou artou` (Apg 20,7. 11). Da sie wohl die gesamte Woche hindurch bei einer Familie (wahrscheinlich bei Karpus – 2Tim 4,13) versorgt wurden, kann hier angenommen werden, dass sich das Brechen des Brotes am ersten Wochentag auf das Abendmahl bezieht.

Die Situation in der Hafenstadt Alexandria Troja ist anders als in Jerusalem. Hier leben die Gläubigen nicht in einer Gütergemeinschaft, sondern jede Familie hat ihren eigenen Haushalt, ähnlich wie in Korinth. Die Abendmahlsgemeinschaft war für Paulus so wichtig, dass er die gesamte Woche da geblieben ist, obwohl er sich beeilte rechtzeitig bis zum Pfingstfest in Jerusalem zu sein (20,16). Sie ist ihm auch noch deswegen wichtig, weil er in Korinth gerade in dieser zentralen Gemeindepraxis Missstände klären musste (1Kor 11,17-34). So entsteht hier der Eindruck, dass das Mahl zur Erinnerung an den Tod Jesu und den neuen Bundesschluß, am Tag eins der Woche, also am Auferstehungstag gefeiert wurde. Dies könnte als Anlass gesehen werden für viele christlichen Gemeinden, jeden Sonntag das Abendmahl zu feiern. Die Abendmahlsfeier in Troja mit apostolischer Anwesenheit am ersten Tag der Woche ist auch ein wichtiger Hinweiss darauf, dass die Missionsgemeinden ihre wöchentlichen Versammlungen in der Regel einmal die Woche hielten (vgl. dazu auch 1Kor 16,1). Diese Versammlung in Troja zeichnete sich auch noch mit anderen Besonderheiten aus:

  • Die Predigt des Paulus zog sich zunächst bis Mitternacht hin,
  • Wegen Übermüdung fiel ein Jüngling Namens Eutychus aus dem Fenster des dritten Stockwerkes und wurde tot aufgehoben,
  • Eutychus wurde durch Paulus zum Leben erweckt,
  • Das Abendmahl wird gehalten und die Gemeinde ist getröstet worden,

Der zweite Teil der Predigt wurde fortgesetzt bis in die frühen Morgenstunden, danach zog er aus und ging zu Fuß nach Assos.

 

c). Die Praxis des Abendmahls in Korinth

 

Als Paulus den 1. Korintherbrief schreibt, sind seit der Gründungszeit der Gemeinde in Korinth etwa 4 Jahre vergangen. Wenn also Paulus etwa im Jahr 55 aus Ephesus schreibt; „Denn ich habe von dem Herrn empfangen, was ich auch euch überliefert  habe, `παρεδωκα – paredoka ` (1Kor 11,23), dann stützt er sich auf die höchste Autorität – nämlich auf Jesus selbst. Nach der Gründungsphase, die mehr als 18 Monate dauerte (Apg 18,1-18), in  welcher der Apostel in Theologie und Gemeindepraxis guten Grund legen konnte (1Kor 3,10), kamen viele neue Gläubigen hinzu und die Gemeinde wurde von einigen anderen Evangelisten aufgesucht und auch mitgeprägt. Im Laufe der Entwicklung schlichen sich in der Gemeinde so manche theologische, wie auch praktische Besonderheiten, aber auch sündiges Verhalten ein. So hört Paulus von Spaltungen (σχισματα – schismaata) in der Gemeindeversammlung der Korinther (11,18). Dies betraf auch die Feier des Abendmahls. Die offensichtlichen Missstände in diesem Bereich des Gemeindelebens, sind für Paulus ein notwendiger Grund, für die nachfolgenden Generationen jedoch ein glücklicher Umstand, dass es überhaupt eine detaillierte Beschreibung der Abendmahlsfeier aus apostolischer Zeit gibt. So wiedmet der Apostel diesem Thema einen langen und ausführlichen Abschnitt (1Kor 11,18-34). Übrigens nennt Paulus das Abendmahl – Herrenmahl (das dem Herrn gehörende Mahl), damit eindeutig unterschieden wird zu den übrigen Mahlzeiten, was gerade in Korinth sehr verschwommen war. Der Begriff  `δειπνον – deipnon` wird im NT durchweg für das Abendessen verwendet. So schreibt der Apostel„Wenn ihr nun an demselben (Ort) zusammenkommt, wird da nicht das Herrenmahl (κυριακον δείπνον –   kyriakon deipnon) gegessen. Denn jeder isst für sich seine Mahlzeit vorweg und welche sind hungrig, welche sind trunken“ (11,20-21 frei übersetzt). Es scheint so, dass einige Gemeindeglieder ihr eigenes Essen von zu Hause in die Versammlung mitgebracht haben. Das allein wäre noch kein Problem gewesen, wenn sie mit den Nichtshabenden geteilt hätten. Der Vorwurf des Apostels lautet dementsprechend: „Habt ihr denn nicht Häuser, um zu essen und zu trinken? Oder verachtet ihr die Gemeinde Gottes und beschämt die, welche nichts haben? Was soll ich euch sagen? Soll ich euch loben? Hierin lobe ich nicht“ (11,22). Durch die mündlichen Erzählungen von denen der Chloe (1,11) wie auch anderer aus Korinth angereisten Mitarbeiter (16,17) konnte sich Paulus ein relativ gutes Bild über das Gemeindeleben der Korinther machen. Die mangelnde Unterscheidung zwischen dem Herrenmahl, als konkrete Erinnerung an Jesu Tod und dem allgemeinen sich satt essen und trinken in der Gemeindeversammlung, war nicht nur ein organisatorisch-praktischer, sondern ein zentraler theologischer Missstand, der für Spaltungen und Streitereien mitverantwortlich war (11,18; 1,11) und der zu einem geistlichen Niedergang führte (11,30). Und so stellt Paulus in schriftlicher Form richtig: „Denn ich habe von dem Herrn empfangen, was ich auch euch überliefert habe, dass der Herr Jesus in der Nacht, in der er überliefert (verraten) wurde, Brot nahm und, als er gedankt hatte, es brach und sprach: Dies ist mein Leib, der für euch ist (gegeben wird); dies tut zu meinem Gedächtnis! Ebenso auch den Kelch nach dem Mahl und sprach: Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut, dies tut, sooft ihr trinkt, zu meinem Gedächtnis!  Denn sooft ihr dieses Brot esst und den Kelch trinkt, verkündigt ihr den Tod des Herrn, bis er kommt“ (11,23-26). Hier folgt Paulus der wörtlichen Überlieferung seines Herrn, wie es auch in den Evangelien geschrieben steht. Beachten wir die zeitliche Reihenfolge: „Er nahm den Kelch nach dem Mahl“, damals handelte es sich um das alttestamentliche Passah-Mahl. Darum will auch Paulus, dass eine deutliche Unterscheidung gemacht wird zwischen einer allgemeinen Mahlzeit und dem Erinnerungs-Mahl des Herrn (kyriakon deipnou) und seine Heilstat am Kreuz.

Des weiteren warnt Paulus vor unwürdigem, unbedachtem Teilnehmen am Mahl des Herrn: „Wer also unwürdig das Brot isst oder den Kelch des Herrn trinkt, wird des Leibes und Blutes des Herrn schuldig sein. Der Mensch aber prüfe sich selbst, und so esse er von dem Brot und trinke von dem Kelch. Denn wer isst und trinkt, isst und trinkt sich selbst Gericht, wenn er den Leib des Herrn nicht richtig beurteil  `μη δια-κρίνων – me dia-krinon – nicht unterscheidet`“ (11,27-29). Unwürdig in diesem Zusammenhang bedeutet:

  • Dem Inhalt der Handlung nicht angemessen, nicht entsprechend,
  • Dem Sinn und Zweck der Verordnung entfremdend.
  • Konkret bedeutet es – das Brot und den Kelch nicht in Verbindung mit Jesu Leib und Blut zu bringen, sowohl in objektivem Sinne als Heilstatsache, wie auch im persönlichen – daran nicht glauben – das ist unwürdig.

Nachdem Paulus die Abenmahls-Theologie richtig und klar dargestellt hat, fordert er jeden auf, sich selbst zu prüfen. Gerade in dem Bereich kann niemand einem anderen ins Herz schauen, daher ist Eigenverantwortung und gesunde Selbstkritik der bessere Weg zur Korrektur und der geistlichen Wiederherstellung, so die Meinung des Paulus: „Wenn wir uns aber selbst beurteilten (διεκρίνομεν – diekrinomen –  wir uns selbst richteten), so würden wir nicht gerichtet“ (11,31).

Es ist offensichtlich, dass wegen diesem Missverständnis und Missbrauch ein Großteil der Gemeinde geistlich nicht vorankam, ja sogar geistlich gestrauchelt war. So schreibt Paulus weiter: „Deshalb sind viele unter euch schwach und krank, und ein gut Teil sind entschlafen“ (11,30). Wahrscheinlich sind die drei Ausdrücke `schwach, krank und entschlafen` im übertrgenem geistlichen Sinne zu verstehen. Kaum vorstellbar, das ein großer Teil (ικανοι – ikanoi) wegen dem Missbrauch des Abendmahls physisch gestorben wären.

Und so schließt der Apostel dieses Thema ab mit den Worten: „Daher, meine Brüder, wenn ihr zusammenkommt, um zu essen, so wartet aufeinander! Wenn jemand hungert, der esse daheim, damit ihr nicht zum Gericht zusammenkommt. Das Übrige aber will ich anordnen, sobald ich komme“ (11,33-34).

 

10. Teil: Fragen zur Praxis des Abendmahls heute

 

a). Wie oft wurde in apostolischer Zeit Abendmahl gehalten? Was ist die heutige Praxis in den christlichen Gemeinden?

 

b). Wer kann und soll am Abendmahl teilnehmen? Welche Voraussetzungen sind dazu notwendig?

 

c).  Wer kann das Abendmahl austeilen?

 

d).  Ab welchem Alter ist die Teilnahme am Abendmahl zu empfehlen?

 

e). Ist es sinnvoll, dass das Abendmahl immer in der Gemeindeversammlung gefeiert wird, oder, kann das Mahl des Herrn auch in einem Hauskreis, Gebeskreis oder bei einer Freizeit ausgeteilt werden?

 

f). Ist das Abendmahl an die Fußwaschung gekoppelt, wie in Johannes 13,1-17 beschrieben und von Jesus mit seinen Jüngern praktiziert wurde?

 

g). Die Symbolelemente von Brot und Wein: Muß das Brot ungesäuert sein? Kann man anstatt Wein auch Traubensaft nehmen?

 

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Vom Traditionalisten zum Evangelisten

Vom Traditionalisten zum Evangelisten

 

 

 

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Abbildung 1 Ein Zweimaster im östlichen Mittelmeer in der Nähe von Alania (Türkei). Der Völkerapostel war bei seinen vielen Missionsreisen besonders auf Segelschiffen unterwegs (Foto am 17. April 2011).

 

Eine Bibelstudie über das Leben und den Dienst des Apostels Paulus

Inhalt und  Fotos von Paul Schüle

 

Vom Traditionalisten zum Evangelisten

Vorwort

 

Das intensive Studium der Apostelgeschichte und der Paulusbriefe, sowie mehrere Reisen zu biblischen Stätten im  Mittelmeerraum weckten in mir den Wunsch, die daraus gewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungen aufzuschreiben.

 

Obwohl schon viel über das Leben des Apostels Paulus geschrieben wurde, will ich dennoch versuchen, Details, die mir aufgefallen sind besonders hervorzuheben.

An vielen Stellen habe ich Erkenntnisse und Forschungsergebnisse anderer übernommen, diese sind in Klammern oder Anführungszeichen vermerkt.

Diese Projektarbeit wird als Teil meiner Bibelfernkursausbildung an der Christlichen Bildungsstätte Fritzlar (CBF) angesehen. Für die kritische und ermutigende Begleitung der Arbeit danke ich besonders Hans-Ulrich Linke, Eckhard Bewernick und Frank Koppelin.

 

Die Bibelzitate sind entweder aus der rev. Erlberfelder Übersetzung, aus der rev. Lutherübersetzung 1984/2017 aber auch oft aus der Interlinearübersetzung Griechisch-Deutsch, Neuhausen: Hänssler, 1986. Sie sind bewusst oft ausgeschrieben und durch Fett- und Kursivschrift markiert. Oft ist im laufenden Bibeltext das entsprechende griechische Wort in Klammern eingefügt. Bibelzitate sind an die neue Rechtschreibung angepasst.

 

Viele Bibelzitate sind mit Absicht oft in voller Länge zitiert, weil mir bewusst ist, dass man sich beim Lesen selten die Mühe macht, die angegebenen Bibelstellen nachzuschlagen.

Die gesamte Studie über das Leben und den Dienst des Apostels Paulus ist in 7 Kapitel eingeteilt und stellenweise mit Fotomaterial, Videoclips oder griechischen Aufschriften bestückt, um die Orte und Ereignisse verständlicher zu machen.

Das Foto- und Bildmaterial ist signiert und kann mit Quellenangabe für Privatgebrauch verwendet werden.

 

Einleitung

 

Der Apostel Paulus und besonders der Evangelist, Arzt und Historiker Lukas laden uns zu einer 32 Jahre langen Reise ein. Einer Reise mit vielen Zwischenstationen, spannenden Begegnungen und klarer Zielsetzung. Diese Reise beginnt in Palästina und führt durch Kleinasien, Griechenland und endet schließlich in Rom. Daher bilden die geographischen Eckpunkte auch einen guten Rahmen für die Einteilung dieser Arbeit. Angaben über Jahreszeiten, Wetterbedingungen, historische Details, Schifffahrt, Reisebedingungen, tragen zusätzlich dazu bei, die Reisen und die einzelnen Aufenthalte chronologisch sinnvoll einzuordnen. In diese Reisezeit des Paulus werden seine Briefe möglichst chronologisch eingefügt. Dabei gehe ich davon aus, dass alle Briefe (außer dem 2Timotheusbrief) in die Zeit der Apostelgeschichte (33-63 n. Chr.) eingeordnet werden können. Trotz verschiedener Übersetzungsmängel und zum Teil unterschiedlicher Varianten in den alten Manuskripten sind die Bücher des Neuen Testamentes von Gott inspiriert und lassen sich daher in einen sinnvollen Zusammenhang bringen.

 

Jerusalem sehe ich als die Stadt an, die für Paulus und seinen globalen Dienst eine entscheidende Rolle gespielt hat.

  • In Jerusalem machte er Karriere als jüdischer Rabbi (Apg 22,3);
  • Hier begann auch seine öffentliche Tätigkeit als Nachfolger von Jesus (Apg 7,58);
  • Nach Jerusalem kehrte er immer wieder zurück, sei es zum Kennenlernen der Gemeinde (Apg 9,26) oder des Kephas (Gal 1,18);
  • Zur Berichterstattung (Apg 15,4. 14);
  • Zur Klärung theologischer und praktischer Fragen (Apg 15,2; Gal 2,2);
  • Zum Besuch eines Festes (Apg 20,16) oder zum Dienst an den Heiligen (Apg 11,30; Röm 15,25).
  • In Jerusalem nahm er die Gläubigen gefangen und wurde selbst als Zeuge Jesu gefangen genommen (Apg 8,3; 21,28).

Der Apostel Paulus selbst zieht ein Resümee seiner Arbeit in Römer 15,19 wenn er schreibt:

So  dass ich von Jerusalem und Umkreis bis nach Illyrien das Evangelium des Christus voll ausgerichtet habe.

Ähnlich äußert er sich in seiner Verteidigungsrede vor dem König Agrippa:

Daher, König Agrippa, war ich nicht ungehorsam der himmlischen Erscheinung, sondern verkündigte denen in Damaskus zuerst und in Jerusalem und in der ganzen Landschaft Judäa und den Nationen, Buße zu tun und sich zu Gott zu bekehren, indem sie der Buße würdige Werke vollbrächten. (Apg 26,19-20).

Obwohl Paulus direkt von Jesus berufen worden war, und vom Heiligen Geist von Antiochien aus in die Heidenmission ausgesandt wurde, fand doch seine Einbindung in die gesamte christliche Gemeinde in Jerusalem statt (Apg 9,26-27;  Gal 2,9-10). Paulus war keineswegs ein Einzelkämpfer speziell für die Heidenmission, sondern er wirkte zusammen mit Petrus und den anderen Aposteln für die Einheit der christlichen Gemeinde des ersten Jahrhunderts. Durch diesen Dienst des Apostels Paulus wird uns auf einzigartige Weise eine von Gottes Geist vorgegebene Konzeption für die missionarische Ausbreitung des Evangeliums von Jesus Christus entfaltet..

1. Kapitel: Tarsus – Jerusalem

1.1. Familie und Kindheit in Tarsus

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Abbildung 2: Eine römische Strasse in Tarsus etwa 3 Meter unter dem heutigen Stadtniveau. (Foto:  15. April 2011).

Schon seine Großeltern und Eltern dienten Gott: „Ich danke Gott, dem ich diene von meinen Vorfahren her mit reinem Gewissen“ (2Tim 1,3a). Seine Familie konnte sich rühmen zu der strengen jüdischen Gruppe der Pharisäer zu gehören. Bei seinem letzten Besuch in Jerusalem stellt er sich dem Hohen Ratvor: „Ihr Brüder, ich bin ein Pharisäer, ein Sohn von Pharisäern (Apg 23,6a). Die Pharisäer waren im Judentum eine politische und religiöse Partei. Ihre Anfänge gehen auf die Vor-Makkabäerzeit zurück. Pharisäer bedeutet: `die Abgesonderten`. Sie waren die strengste Sekte im Judentum (Apg 26,5). Sie glaubten an Engel, an Geister und an die Auferstehung der Toten. Im Gegensatz zu den Sadduzäern überlebten sie das Ende des jüdischen Staates 70 n. Chr. und sind heute in den Gruppen des orthodoxen Judentums vertreten.

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.Abbildung 3: Das sogenannte Kleopatra-Tor in Tarsus (Foto: 15. April 2011)

.Mit der Geburt erbte Paulus auch das römische Bürgerrecht, welches seine Eltern wahrscheinlich als angesehene Bürger der Stadt verliehen bekamen. Als er später von dem römischen Hauptmann in Jerusalem gefragt wurde: „Sage mir, bist du ein Römer? Er aber sprach: Ja. Und der Oberste antwortete: Ich habe für eine große Summe dieses Bürgerrecht erworben. Paulus sprach: Ich aber bin sogar darin geboren“ (Apg 22,27-28). Nach väterlicher Überlieferung (1Mose 17,12) wurde er am achten Tag beschnitten (Phil 3,5). Paulus konnte sich nicht nur der Zugehörigkeit zum Volk Israel rühmen, sondern auch seine Abstammung auf den Erzvater Benjamin den jüngsten Sohn von Jakob zurückführen (Phil 3,5). Mit der Namensgebung Saul (der Erbetene, der Geliehene) verbanden seine Eltern möglicherweise ihre Wünsche und Hoffnungen. Bei Juden der Diaspora war es üblich, dass sie zwei Namen führten, einen für das bürgerliche Leben und den anderen für den internen synagogalen Gebrauch. So bekam das Kind Saul noch den römischen Namen ´Paulus´, was soviel wie der Geringe, der Kleine bedeutet.

Aus der kurzen Notiz über sich selbst und seine Vorfahren kann man auch auf eine gesetzesgemäße Erziehung schließen (2Tim 1,3). Von klein an lernten die Kinder das sogenannte `Sch`ma` IsraelHöre, Israel (5Mose 6,4-9) und das Hallil – das Lob (Psalm 113-118). Mit fünf Jahren lernten sie das Gesetz lesen und mit sechs Jahren besuchten sie die Gesetzesschule, in der sie das Gesetz und den Talmud (die Sammlung der Traditionen – Satzungen der Ältesten) erlernten. Mit zehn Jahren lernten Kinder die `Mischna` (das mündliche Gesetz) und mit zwölf bzw. dreizehn Jahren bekamen sie persönliche Verantwortung für das Einhalten des Gesetzes und durften mit den Männern in der Synagoge sitzen. Mit fünfzehn Jahren erhielten sie Unterricht im jüdischen Recht. Dieser Schwerpunkt in der Ausbildung ist auf die Anordnung Gottes zurückzuführen, welche dem Mose gegeben wurde: „Und diese Worte, die ich dir heute gebiete, sollen in deinem Herzen sein. Und du sollst sie deinen Kindern einschärfen, und du sollst davon reden, wenn du in deinem Hause sitzt und wenn du auf dem Weg gehst, wenn du dich hinlegst und wenn du aufstehst. Und du sollst sie als Zeichen auf deine Hand binden, und sie sollen als Merkzeichen zwischen deinen Augen sein, und du sollst sie auf die Pfosten deines Hauses und an deine Tore4 schreiben“ (5Mose 6,6-9). Doch auch schon Abraham wurde von Gott mit einem bestimmten Schulungsprogramm für seine Nachkommen beauftragt. So lesen wir in 1Mose 18,19: „Denn ich habe ihn erkannt, damit er seinen Söhnen und seinem Haus nach ihm befehle, dass sie den Weg des HERRN bewahren, Gerechtigkeit und Recht zu üben, damit der HERR auf Abraham kommen lasse, was er über ihn geredet hat.“

Wie früher üblich, lernte der Sohn den Beruf des Vaters. Nach Apostelgeschichte 18,3 übte Paulus den Beruf als Zeltmachers aus. „Ein besonderes Tuch, das Cilicium aus Ziegenhaar, das hervorragend vor Kälte und Nässe schützte, wurde in Tarsus hergestellt. Möglicherweise diente es als Stoff für Zelte. Der Zeltmacher (gr. σκηνοποιός) webte seine Planen aus Ziegenhaar; gelegentlich wurde auch Leder verarbeitet. Gebraucht wurden diese Arbeiten für verschiedene Gelegenheiten. Die Antike war weitgehend eine Zelt-Gesellschaft. Es gab Prunk- und Trauerzelte, die mehr als vierhundert Festgäste fassen konnten. Zelte wurden aufgeschlagen, um die Besucher religiöser Feiern unterzubringen und in Zelten wurden Gefallene aufgebahrt. Auch auf Wagen hatte man oft zeltartige Aufbauten, ebenso wurden Schiffe damit ausgerüstet (Hildebrand: 1989, 64). Obwohl diese Berufsbezeichnung im Neuen Testament nur an dieser Stelle vorkommt, wurde dieses Handwerk zu jener Zeit häufig ausgeübt.

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Abbildung 4: Die restaurierten Häuserfassaden in Tarsus (Foto: 15. April 2011).

Paulus hatte noch mindestens eine Schwester, die in Apostelgeschichte 23,16 erwähnt wird. Sie wohnte später in Jerusalem, war verheiratet und hatte einen Sohn (Apg 23,16). Nur zweimal gebraucht Paulus den Begriff `meine Mutter` (Röm 16,13; Gal 1,15), es ist jedoch unwahrscheinlich, dass es in Römer 16,13 um seine leibliche Mutter geht. In Römer 16,7 und 16,21b nennt uns Paulus einige Personen, die er als seine Stammverwandten bezeichnet. Über seinen Vater erfahren wir jedoch gar nichts.

Für die Eltern war es nicht leicht, ihren Sohn vor den verschiedenen Einflüssen einer heidnischen Stadt zu schützen. Wegen des bedeutenden Hafens trafen sich dort Kaufleute aus Ost und West, Süd und Nord, welche die Stadt nicht nur mit verschiedenen Waren auffüllten, sondern auch zum moralischen Zerfall beitrugen. Tarsus war eine durch und durch heidnische Stadt, in der der Polytheismus mit allen seinen Abarten und sittenlosen Auswüchsen blühte.

Abbildung 5: EinSchiffsfrack aus der Antike, welches im östlichen Mittelmeerraum geborgen wurde. Es gibt Einblick in die Transport- und Reisebedingungen jener Zeit. Gut möglich, dass auch Saulus auf solch einem Schiff von Tarsus nach Cesaräa unterwegs war (Foto: Archäologisches Museum in Bodrum-Türkei, 17. Mai 2015).

Die Begabung des jungen Paulus, die Wünsche und Hoffnungen der Eltern, sowie die Gefahren der heidnischen Umwelt könnten Gründe dafür gewesen sein, dass er Tarsus wahrscheinlich schon als Jugendlicher verließ. In Begleitung seines Vaters oder anderer Vertrauenspersonen, die nach Jerusalem zu einem der Feste reisten, besstieg Paulus ein Schiff, welches ihn nach Cäsarea brachte.

Je nach Windverhältnissen und Zwischenstopps entlang der phönizischen Küste konnte diese mindestens 500 km lange Schiffsreise etwa 7-10 Tage gedauert haben. Dann ging es zu Fuß hinauf in das etwa hundert Kilometer entfernte Jerusalem.

1.2. Ausbildung zu den Füßen Gamaliels in Jerusalem

In Jerusalem wohnte Paulus entweder bei Verwandten oder bei Freunden. Die Stadt mit ihrer langen Geschichte und dem Tempel als Mittelpunkt des jüdischen Gottesdienstes machte auf ihn einen tiefen Eindruck. Im Dunkel des Allerheiligsten wohnte Jahwe, im Vorhof des Tempels verrichteten die Priester ihren Opferdienst.

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Abbildung 6: Die Stadt Jerusalem vom Ölberg aus gesehen. Zwischen dem Ölberg und dem Tempelgelände erstreckt sich das Kidrontal von Nord nach Süd. Im nordwestlichen Bereich des Tempelgeländes stadt zur Zeit des Paulus der herodianische Tempel mit dem Eingang nach Osten ausgerichtet (Foto:  Juli 1994).

 Hier war der höchste Repräsentant des jüdischen Volkes, der Hohepriester, Zu dieser Zeit bekleidete dieses höchste Amt Kaiphas (18-36 n. Chr.). Hier in Jerusalem waren die besten Gesetzeslehrer und die höchsten geistlichen Autoritäten anzutreffen. Paulus muss bei seiner Ankunft in Jerusalem noch relativ jung gewesen sein, denn später in seiner Verteidigungsrede vor dem König Agrippa vermerkt er, dass die Juden ihn seit seiner Jugendzeit kannten (Apg 26,4). Und auch noch zur Zeit der Steinigung des Stefanus (etwa im Jahr 34 n. Chr.), wird Paulus als ein Junger Mann (νεανίος – neanios) bezeichnet (Apg 7,58). In der Apostelgeschichte 22,3 sagt Paulus über sich selbst: „Ich bin ein jüdischer Mann, geboren in Tarsus, in Zilizien; aber auferzogen (großgezogen worden) in dieser Stadt, zu den Füßen Gamaliels unterwiesen nach der Strenge des väterlichen Gesetzes (Apg 22,3). Für Erziehung steht der gr. Begriff ´ανατεθραμμένος – anatethrammenos´, den Lukas auch für Jesus gebraucht (Lk 4,16). Dies ist auch ein Hinweiss, dass er schon in jungen Jahren nach Jerusalem kam. Die Ausbildung zu den Füßen Gamaliels wird mit dem gr. Begriff ´πεπαιδευμένος – pepaideumenos´ beschrieben. Mit dem gleichen Begriff wird die umfassende Ausbildung Moses in Ägypten beschrieben (Apg 7,22). Die Ausbildung, welche Paulus genoß, geschah in der Genauigkeit des Gesetzes und der Überlieferungen der Väter. Sein theologischer Rabbi Gamaliel (der Name bedeutet ´Gott hat Gutes getan´), war Pharisäer und Schriftgelehrter. Er gehörte ebenfalls dem Hohen Rat (Synedrium) der Juden an. Er war einer der bedeutendsten jüdischen Theologen seiner Zeit und genoß hohes Ansehen. Gamaliel gehörte dem gemäßigten theologischen Flügel der Pharisäer an (Apg 5,34-40), den sein Großvater Hillel begründet hatte. Wer also bei diesem Mann seine theologische Ausbildung gemacht hatte, konnte mit einer guten Karriere im Judentum und hohem Ansehen rechnen. Er starb ca. 50 n. Chr., denn als Paulus sich auf ihn in seiner Verteidigungsrede beruft (ca. 58/59) lebte er nicht mehr.

Die Erziehung in Jerusalem konnte durchaus auch das Erlernen (oder die Fortsetzung der Ausbildung) des Berufes als Zeltmacher mit eingeschlossen haben. Im Unterricht bei Gamaliel musste Paulus es lernen, den genauen Sinn von Gesetzesstellen festzustellen und dazu jüdische Traditionen heranzuziehen; er musste genau angeben, was der Text verlangt, um die Forderung des Gesetzes zu erfüllen. Die Methoden im Unterricht waren Dialog und Disputation. Gamaliel legte Wert auf große Gewandtheit im Umgang mit der Schrift. Bei praktischen Fragen mussten die in Frage kommenden Schriftstellen zitiert werden.

So wuchs Paulus in Jerusalem zu einem bedeutenden Schriftgelehrten mit tadelloser Lebensführung heran (Phil 3,6b: „der Gerechtigkeit nach, die im Gesetz ist, untadelig geworden“). Um so einen Mann hätte sich wohl jede Synagoge in der Diaspora bemüht.

Aus fehlenden Hinweisen über persönliche Begegnungen mit Jesus und seinen Jüngern können wir schließen, dass Paulus Jerusalem nach seiner Ausbildung wieder verlassen hat. Es liegt nahe, dass er nach Tarsus zurückkehrte, denn den Kontakt zu seiner Heimatstadt hat er nicht abgebrochen. Auch später wird Paulus nach Tarsus geschickt (Apg 9,30). Schließlich besaß er das Bürgerrecht jener Stadt (Apg 21,39) und konnte dort sowohl als Schriftgelehrter in der Synagoge als auch als Zeltmacher arbeiten und seinen Lebensunterhalt verdienen.

Der Hinweis des Paulus in 2Korinther 5,16 „… wenn wir Christus auch nach dem Fleisch gekannt haben, so kennen wir ihn doch jetzt nicht mehr so“ ist keine direkte Aussage, dass er Jesus noch zu dessen Lebzeiten gesehen hat (die Wir-Form benutzt er auch an anderen Stellen, ohne jedoch sich persönlich miteinzuschließen). Nach dem Damaskusaufenthalt reiste Paulus nach Jerusalem, um Kephas kennenzulernen (Gal 1,18), somit kannte er diesen und damit wohl auch Jesus vorher nicht. Wäre Paulus zum Zeitpunkt der Auferstehung und Pfingsten in Jerusalem gewesen, hätte er, wie viele Tausende andere, Petrus kennengelernt. Sicher haben die Ereignisse des Pfingstfestes auch Tarsus erreicht (Apg 2,5-11). So ist es möglich, dass Paulus von sich aus nach Jerusalem zurückkehrte oder sogar gerufen wurde.

Es gibt keinen Hinweis darüber, dass Paulus verheiratet war. Die Empfehlungen in 1Korinther 7 müssen nicht zwingend aus eigenem Erleben und Erfahrung stammen. Die Aussage in 1Korinther 9,5 „Haben wir etwa kein Recht, eine Schwester als Frau mitzunehmen wie die übrigen Apostel und die Brüder des Herrn und Kephas“,

betont eher den freiwilligen Verzicht auf die Ehe.

I.3. Paulus macht Karriere in Jerusalem

Nach Pfingsten (33 n. Chr.) breitete sich das Evangelium so schnell aus, dass schon nach kurzer Zeit die Zahl der Gläubigen in Jerusalem in die Tausende ging (Apg 2,41; 4,4; 5,14). Das Ansehen der Gemeinde bei dem Volk wuchs (Apg 5,13b). Diese Entwicklung forderte die jüdische Führung zum Handeln heraus. Kaiphas, mit dem eigentlichen Namen Josef, im Amt von 18-36 n. Chr., der uns schon aus den Evangelien (Joh 18) und Apostelgeschichte (4,5-6) als Hoherpriester bekannt ist, führt den Hohen Rat an. Im Text wird betont, dass sie mit Eifersucht erfüllt wurden. Diesmal werden alle Apostel ins Gefängnis geworfen (Apg 5,17-18). Der Versuch, die Apostel zum Schweigen zu bringen, misslingt jedoch (Apg 5,19-20). Ihre Unerschrockenheit vor dem Hohen Rat (Apg 5,29) und das Wirken des Heiligen Geistes bewirken Glauben in vielen Priestern (Apg 6,7b). Eben in diese Situation kommt Saulus hinein. Als Schriftgelehrter und Pharisäer war für ihn die Besonderheit der Lehre von der Auferstehung nichts Ungewöhnliches, aber die Behauptung der Anhänger des Nazoräers, der von den Juden und Heiden ans Holz gehängte Jesus sei der Messias, konnte er von der Schrift her nicht begreifen, denn im Gesetz steht geschrieben (5Mose 21,23): „ein Gehängter ist ein Fluch Gottes.“ Somit konnte dieser Jesus unmöglich der von Gott Gesalbte sein.

Wir müssen festhalten, dass man allein durch Bibelwissen Jesus als den Messias nicht erkennen kann. Dazu bedarf es einer Offenbarung Gottes (Mt 16,16-17): „denn Fleisch und Blut haben es dir nicht geoffenbart, sondern mein Vater, der in den Himmeln ist.,“ sagte Jesus dem Petrus. Auch in Lukas 24,44-45 lesen wir: „dann öffnete er ihnen das Verständnis, damit sie die Schriften verstanden.“

So fing Saulus als Eiferer für Gott (Apg 22,3c) mit aller Macht seiner Schriftkenntnis an, die für das Judentum so gefährliche Lehre zu bekämpfen (Apg 22,4a). In Jerusalem gab es viele Synagogen (Apg 24,12), unter denen eine sich besonders hervor tat. Dies war die Synagoge der Libertiner, Kyrenäer, Alexandriner und derer aus Zilizien und Asien (Apg 6,9), also eine gemischte Synagogengemeinde, in der wahrscheinlich unter anderem auch Griechisch gesprochen wurde. Ludwig Schneller nimmt an, dass sich Paulus bei seiner Rückkehr nach Jerusalem dieser Synagoge angeschlossen hat, wo er auch Landsleute aus der Provinz Kilikien traf (Schneller: 1926, S. 22).

Auch Stefanus mag dieser Synagoge angehört haben, bevor er sich der neuen Bewegung anschloss. Das Streitgespräch, welches Stefanus mit den Leuten aus dieser Synagoge führte, löste bei ihnen nicht Einsicht, sondern Eifersucht aus. Sie bestellten falsche Zeugen, hetzten das Volk, die Ältesten und die Schriftgelehrten auf und führten Stefanus vor den Hohen Rat. Es entsteht der Eindruck, dass der Prozess gegen Stefanus am Anfang mit unrechten Mitteln wie falschen Zeugen geführt wurde. Dann wurde dem Prozess der Schein einer Rechtmäßigkeit gegeben, indem Stefanus vor den Hohen Rat gestellt wurde und sich verteidigen konnte. Schließlich endet der Prozess, ohne einen ordentlichen Urteilsspruch, durch Lynchjustiz.

Obwohl Saulus erst während der Steinigung des Stefanus erwähnt wird, ist es wahrscheinlich, dass er schon bei den Streitgesprächen und dem Prozess dabei war. Es wäre höchst ungewöhnlich, wenn er erst draußen vor den Toren Jerusalems zu der Menge hinzugekommen wäre, um dann eine nicht unbedeutende Aufgabe zu erfüllen (Apg 7,58b; 22,20). Lukas schreibt in Apostelgeschichte 8,1a: „Saulus aber willigte in seine Tötung mit ein“, und in Apostelgeschichte 22,20 sagt Paulus von sich selbst: „Und als das Blut deines Zeugen Stephanus vergossen wurde, stand auch ich dabei und willigte mit ein und verwahrte die Kleider derer, die ihn umbrachten.“ Für Saulus war ein Lästerer mehr aus dem Volke Gottes entfernt worden. Er hatte entweder die Ehre, die Kleider der Zeugen zu bewachen oder er hat damit eine Art Aufsichtsaufgabe erfüllt. Nach Deuteronomium 17,7 mussten die Zeugen als erste Steine auf den Verurteilten werfen.

Etwa drei bis vier Jahre später erwähnt Paulus den Vorfall mit Stefanus im Gebet im Tempel (Apg 22,20). Aus seinen Worten klingt Mitschuld durch. Seine Aussage in Apostelgeschichte 26,10: „und wenn sie umgebracht wurden, so gab ich meine Stimme dazu“, drückt Mitverantwortung aus. Sofern Saulus Stimmrecht gehabt hatte und dem Hohen Rat angehörte, dann nur als Schriftgelehrter (Schneller: 1926, S. 22).. Der Hohe Rat hatte drei Gruppen von Mitgliedern: Priester, Älteste und Schriftgelehrte. Den beiden ersten Gruppen konnte Saulus als Benjaminit und als junger Mann (unter dreißig Jahren, unverheiratet) nicht angehört haben.

Stefanus wurde von gottesfürchtigen Männern bestattet (Apg 8,2). Es waren Jünger, die furchtlos Gott ehrten, indem sie den Bestattungsdienst an Stefanus vollbrachten, ähnlich wie es Josef und Nikodemus an Jesus taten (Joh 19,38-40).

Am gleichen Tag entstand eine große Verfolgung gegen die Gemeinde in Jerusalem (Apg 8,1b), bei der Saulus eine entscheidende Rolle einnahm. In Apostelgeschichte 8,3 schreibt Lukas: „Saulus aber verwüstete die Gemeinde, indem er der Reihe nach in die Häuser ging; und er schleppte sowohl Männer als Frauen fort und überlieferte sie ins Gefängnis.“ Saulus war natürlich nicht allein (Apg 26,10b); er wurde von den Oberpriestern mit Vollmachten ausgestattet, denn sie erkannten in ihm nicht nur seine geistigen Qualitäten als Schriftkenner, sondern auch – und dies war für sie besonders wichtig – seinen unbeugsamen Willen und die Entschlossenheit, die neue Bewegung zu zerstören (Apg 8,3a; 9,21b).

Die Römer räumten den unterjochten Völkern ein großes Maß an Autonomie ein. In Sachen Religion und Gerichtsbarkeit mischten sie sich bei den Juden nicht ein. Nur die Todesstrafe durften Juden nicht ohne Urteil des Statthalters vollstrecken (Joh 18,31). Die Vollmachten des Saulus waren umfangreich.

  • Mit seinen Helfern drang er in Häuser ein (Apg 8,b), schleppte Männer und Frauen fort
  • und ließ sie zunächst in den Synagogen schlagen und geißeln (Apg 22,19b).
  • Er zwang sie zur Lästerung (wohl zum Widerruf)
  • und dann überlieferte er sie in die Gefängnisse (Apg 8,3c).

Der Platz reichte bald in einem Gefängnis nicht mehr aus (Apg 26,10a; 22,4b). Dabei nahm Saulus keine Rücksicht auf das Geschlecht, auch Frauen wurden misshandelt (Apg 22,4b; 8,3b). Saulus ging gründlich ans Werk, die Hausgemeinden wurden systematisch zerstört (Apg 8,3). Diejenigen, die den Mut hatten, zu bleiben oder nicht schnell genug fliehen konnten, landeten in Gefängnissen; einige wurden getötet (Apg 9,1a; 26,10c). Entweder geschah dies durch Lynchjustiz oder es gab ein Abkommen mit Pilatus. Mindestens jedoch hat Pilatus die jüdischen Eiferer gewähren lassen. Hat er schon Jesus gegen besseres Wissen verurteilen lassen, so zeigte sich wohl auch hier seine Charakterschwäche.

Die meisten Gläubigen zerstreuten sich in die Landschaften Judäas und Samariens (Apg 8,1c) und predigten dort das Wort (Apg 8,4a). Einige gingen weiter bis Phönizien, Zypern und Antiochien (Apg 11,19). Die Aussage in Apostelgeschichte 8,1b „alle wurden zerstreut“, ist nicht in der summarischen Vollzahl zu verstehen, sondern als Hyperbel, wie z.B. auch in Markus 1,33: „und die ganze Stadt war an der Tür versammelt.“ Die Gläubigen taten das, was Jesus für die Verfolgungszeiten geboten hatte (Mt 10,23): „Wenn sie euch aber verfolgen in dieser Stadt, so flieht in die andere.“ Durch Verfolgung wurde die Ausbreitung des Evangeliums keineswegs aufgehalten, sondern eher noch mehr gefördert. Die Verfolgungsaktionen des Saulus beschränkten sich nicht nur auf die Stadt Jerusalem (Apg 26,11b). An dieser Stelle sind die Städte im Plural genannt, außerhalb von Jerusalem. Schon bei dieser ersten großen Verfolgungswelle um ca. 33/34 n. Chr. erfüllten sich Jesu Worte bis in die Details. In Matthäus 10,17 sagte Jesus voraus: „Hütet euch aber vor den Menschen; denn sie werden euch an Gerichte überliefern und in ihren Synagogen euch geißeln.“ In Lukas 21,12 sagte Jesus: „Vor diesem allem aber werden sie ihre Hände an euch legen und euch verfolgen, indem sie euch an die Synagogen und Gefängnisse überliefern, um euch vor Könige und Statthalter zu führen um meines Namens willen.“

Es ist durchaus möglich, dass sich in jenen Tagen die Voraussage in Lukas 21,16a über Verrat von Familienangehörigen und Freunden ebenfalls erfüllten. In Lukas 21,16b fährt Jesus fort: „Und sie werden einige von euch töten.“ Die erste Gemeinde war auf die Verfolgung vorbereitet und verhielt sich richtig. Sie erinnerte sich an Jesu Worte aus Johannes 16,1-4: „Es kommt sogar die Stunde, daß jeder, der euch tötet, meinen wird, Gott einen Opferdienst darzubringen.“

Saulus machte Fortschritte im Judentum, mehr als viele Altersgenossen in seinem Volk. In besonders hohem Maß war er ein Eiferer für die väterlichen Überlieferungen (Gal 1,14). Mit seinem Verfolgungseifer meinte er in der Tat, Gott zu dienen. Aber er hatte aus Unwissenheit und im Unglauben gehandelt (1Tim 1,13), und später bezeugt er, ihm sei als dem „ersten“ Sünder Erbarmen und Gnade widerfahren, damit an ihm die ganze Langmut Christi offenbar werde (1Tim 1,14-16).

Vorbildlich, echt, ohne Übertreibung und an den richtigen Stellen legt Paulus seine Vergangenheit offen dar. Er ordnet sie in seinen Lebensplan ein und ist uns damit ein Vorbild, wie man mit den dunklen Seiten des Lebens umgehen kann.

2. Kapitel: Jerusalem – Damaskus – Jerusalem

2.1. Saulus begegnet Jesus vor Damaskus

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Abbildung 7 Damaskus – die heutige Stadt erstreckt sich von West nach Ost auf einer Länge von etwa 24 Kilometer (Foto: 10. April 2011).

 

Die Verfolgung in Jerusalem und Umgebung hat sich wohl über mehrere Monate hingezogen. Dafür spricht zum einen der große Umfang der Verfolgung (Apg 8,1 „διόγμος μέγας – große Verfolgung“ und zum anderen mussten viele Verfolgte erst in Damaskus angekommen sein, sich dort integriert und das Zeugnis von Jesus weitergegeben haben (Apg 8,4), bevor die Informationen über das Zunehmen der Nazoräer in Damaskus zurück nach Jerusalem gekommen sein konnten. Bis sich Saulus dann entschloss, nach Damaskus zu reisen, verging auch noch Zeit. Auch die Formulierung in Apg 9,1: „Saulus aber schnaubte immer noch Drohung und Mord gegen die Jünger des Herrn“, spricht für Kontinuität und zeitliche Ausdehnung der Verfolgungswelle in Jerusalem und Umgebung. Es ist also sehr wahrscheinlich, dass sich die Verfolgung über längere Zeit hingezogen hat. Nun muss es Saulus wohl aufgefallen sein, dass sein Vorgehen die Ausbreitung der neuen Lehre nicht verhinderte, sondern förderte. Hier werden seine Treue zum gesetzlichen Gottesdienst, sein eiserner Wille, sein fester Charakter sowie sein blinder Eifer für Gott deutlich (Joh 16,2;  Röm 10,2). Paulus hörte, dass viele Gläubige nach Damaskus flohen und dort die neue Lehre verbreiteten.

Damaskus war eine bedeutende syrische Stadt, etwa 242 km von Jerusalem entfernt und zwar in nordöstlicher Richtung (etwa  eine 6-8 Tagereise zu Fuß). Im Jahre 64 v. Chr. wurde Damaskus der römischen Provinz Syrien einverleibt (Haubeck: 1997, 690f). Die Geschichte der Stadt reicht bis in die Frühzeit (1Mose 14). Im 1. Jahrhunbdert hatte sie eine starke jüdische Bevölkerungsgruppe, die in mehreren Synagogengemeinden zusammengeschlossen war. Diese jüdischen Gemeinden betrieben ihrerseits eine starke Proselytenwerbung. Saulus ging es wohl in erster Linie um diejenigen des „neuen Weges“, die von Jerusalem flüchteten (Apg 26,11), also um Jerusalemer Bürger (Haubeck: 1997, 691). Obwohl die Juden in der Diaspora die Autorität des Hohenpriesters und Ältestenrates in Jerusalem anerkannten, ist es fraglich, ob die dort ansässigen Juden ohne Zustimmung der örtlichen Behörden gefesselt nach Jerusalem geführt werden durften. Auch Jesus wurde gefragt, aus welchem Herrschaftsgebiet er komme (Lk 23,7), und wurde entsprechend zu Herodes gesandt, der für juristische Angelegenheiten der galiläischen Bürger zuständig war.

Später taten sich in der Tat die Juden von Damaskus mit den Stadtbehörden zusammen, um Saulus zu fangen (vgl. Apg 9,23 mit 2Kor 11,32). In Apostelgeschichte 9,14 jedoch bezieht sich die Vollmacht zu fesseln auf alle, welche Jesu Namen anrufen. Zu der geplanten Verfolgung durch Saulus kam es jedoch nicht.

Es mag Saulus einige Überwindung gekostet haben, zu dem amtierenden Hohenpriester Kaiphas zu gehen, der zu der Partei der Sadduzäer gehörte. Lehrmäßig waren sich die Pharisäer und Sadduzäer nicht einig. Ja sogar weit voneinander entfernt; aber wie so oft in Fällen, in denen man einen gemeinsamen Feind hat, sieht man zeitweise über die internen Streitigkeiten hinweg. Die Initiative geht hier von Saulus aus. Und so bekommt er von dem Hohenpriester nicht nur die gewünschte Erlaubnis, sondern auch die erforderlichen Vollmachten in Form von beglaubigten Briefen an die Synagogen von Damaskus (Apg 9,2; 26,12). Dabei wurde die gesamte Aktion auch von anderen Oberpriestern und dem Ältestenrat unterstützt (Apg 22,5; 4,6). So bekommt Saulus wohl auch Begleitschutz durch die Tempelbehörde für die Ausführung seines Vorhabens und macht sich auf den Weg nach Damaskus.

Ludwig Schneller, der die palästinische und syrische Landschaft gut kannte, schreibt Anfang des 20. Jh.: „Acht Tage konnte diese Reise gedauert haben“ (Schneller: 1926, 32). Nach Apg 9,8b sind sie zu Fuß unterwegs – Bilder, die in der Pauluskirche in Damaskus zu sehen sind, nach denen Saulus bei der Erscheinung Jesu vom Pferd stürzt, sind durch die biblischen Texte nicht gedeckt. Wahrscheinlich ist Saulus zunächst entlang des Jordan und dann am See Genezaret über die Golan-Höhen, dann weiter über das biblische Edrej (heute Daraa) nach Damaskus gereist. Was mag in seinem Herzen vorgegangen sein, als er an den Wirkungsplätzen Jesu vorüber zog? Er wird wohl von den vielen Verhören, die er geführt hatte, mehr über Jesus erfahren haben, als ihm lieb war. Aber auch das mutige Erdulden und Ertragen von Schlägen und Misshandlungen seitens der Jünger Jesu, sprach eine deutliche Sprache. Woher nahmen sie die Kraft, für ihre Verfolger zu beten und sie zu segnen, anstatt sie zu verfluchen (Mt 5,44;  Apg 7,60)? Reisen haben früher mehr als heute Gelegenheit zum Nachdenken geboten. Solch eine Reise konnte nicht nur wegen Gefahr durch Räuber gefährlich sein, sondern bot dem Reisenden je nach Jahreszeit Gelegenheit zum Nachdenken und sich der Natur zu erfreuen.

Das große und bedeutende Erlebnis des Saulus wird örtlich und zeitlich festgehalten. Von Süden her kommend, muss Damaskus in der Ebene des Barada-Flusses liegend, weit und gut sichtbar gewesen sein, d.h., nur noch einige Stunden entfernt (Apg 9,3; 22,6)..

Die übernatürliche Begegnung mit Jesus geschah „mitten am Tag“ (Apg 26,13) oder „mittags“ (Apg 22,6), also zu einer Tageszeit, als die Sonne im Zenit stand und am hellsten leuchtete.

Es gibt wohl kaum einen aufmerksamen Bibelleser, der sich nicht mehr oder weniger an den zum Teil unterschiedlichen Texten, die das gleiche Ereignis beschreiben, gestoßen hätte. Mir geht es jedoch nicht darum, die Unterschiede hervorzuheben, sondern vielmehr die Gemeinsamkeiten, bzw. Ergänzungen zu unterstreichen, wenn auch eine Auseinandersetzung mit den scheinbar gegensätzlichen Aussagen nötig sein wird.

Dieter Hildebrand betont in seinem Buch Saulus-Paulus (1989, S. 69): „Nicht die Abweichungen verblüffen, sondern der Grad der Übereinstimmung in allen drei Texten.“ Hinzu kommt, dass Lukas in Kapitel 9 der Apostelgeschichte einen allgemeinen Bericht gibt, während er in den Kapiteln 22 und 26 Paulus selbst zu Wort kommen lässt, der wiederum dieses Erlebnis verschiedenen Personengruppen innerhalb seiner Verteidigungsreden erzählt (Apg 22,1; 26,1-2). Eine Aufstellung der Texte (zum Teil farblich unterschieden) in Form einer Tabelle gibt uns einen besseren Überblick über

  1. die wörtlichen und sinngemäßen Übereinstimmungen,
  2. die Ergänzungen und
  3. die scheinbaren Gegensätzlichkeiten (in rot/kursiv).

Statistisch gesehen sind von den etwa 450 Wörtern aller drei Texte

  • 38% wörtlich oder sinngemäß übereinstimmend,
  • 58% einander ergänzend

und nur ca. 4% einander scheinbar widersprechend.

Allgemeiner Bericht des LukasApg 9,3-9 Verteidigungsrede in JerusalemApg 22, 6-11 Verteidigungsrede in CäsareaApg 26,12-18
Als er aber hinzog, geschah es, daß er sich Damaskus nahte. Und plötzlich umstrahlte ihn ein Licht aus dem Himmel. Es geschah mir aber, als ich reiste und Damaskus nahte, daß um Mittag plötzlich aus dem Himmel ein helles Licht mich umstrahlte. Und als ich dabei mit Vollmacht und Erlaubnis von den Hohenpriestern nach Damaskus reiste, sah ich mitten am Tag, auf dem Weg, o König, vom Himmel her ein Licht, das den Glanz der Sonne übertraf, welches mich und die mit mir reisten umstrahlte.
Und er fiel auf die Erde und hörte eine Stimme, die zu ihm sprach: Und ich fiel zu Boden und hörte eine Stimme, die zu mir sprach: Als wir aber alle zur Erde niedergefallen waren, hörte ich eine Stimme in hebräischer Mundart zu mir sagen:
Saul, Saul, was verfolgst du mich? Saul, Saul, was verfolgst du mich? Saul, Saul, was verfolgst du mich? Es ist hart für dich, gegen den Stachel auszuschlagen!
Er aber sprach: Wer bist du, Herr? Ich aber antwortete: Wer bist du, Herr? Ich aber sprach: Wer bist du, Herr?
Er aber (sagte): Ich bin Jesus, den du verfolgst! Und er sprach zu mir: Ich bin Jesus, der Nazoräer,den du verfolgst. Der Herr aber sprach:Ich bin Jesus, den du verfolgst.
Die aber bei mir waren, sahen zwar das Licht, aber die Stimme dessen, der mit mir redete, hörten sie nicht.
Ich sagte aber: Was soll ich tun, Herr? Der Herr aber sprach zu mir:
Doch steh auf und geh in die Stadt und es wird dir gesagt werden, was du tun sollst. Steh auf und geh nach Damaskus und dort wird dir von allem gesagt werden, was dir zu tun verordnet ist. Aber richte dich auf und stell dich auf deine Füße, denn hierzu bin ich dir erschienen, dich zu einem Diener und Zeugen dessen zu verordnen, was du gesehen hast, wie auch dessen, worin ich dir erscheinen werde. Ich werde dich herausnehmen aus dem Volk und den Nationen, zu denen ich dich sende ihre Augen aufzutun, daß sie sich bekehren von der Finsternis zum Licht und von der Macht des Satans zu Gott, damit sie Vergebung der Sünden empfangen und ein Erbe unter denen, die durch den Glauben an mich geheiligt sind.
Die Männer aber, die mit ihm des Weges zogen, standen sprachlos, dasie wohl die Stimme hörten, aber niemand sahen.
Saulus aber richtete sich auf von der Erde. Als sich aber seine Augen öffneten, sah er nichts. Und sie leiteten ihn bei der Hand und führten ihn nach Damaskus. Da ich aber von der Herrlichkeit jenes Lichtes nicht sehen konnte, wurde ich von denen, die bei mir waren, an der Hand geleitet und kam nach Damaskus.
Und er konnte drei Tage nicht sehen und aß und trank nicht.
    • Bei der zentralen Aussage Saul, Saul, was verfolgst Du mich? und der Gegenfrage „Wer bist Du, Herr?“ gab es wohl keinen Anlass, bei den unterschiedlichen Gelegenheiten verschiedene Begriffe zu gebrauchen.
    • Bei der zweiten Aussage „Ich bin Jesus, den Du verfolgst“ fügt Paulus noch die Herkunftsbezeichnung „Nazoräer“ Vor dem Volk Israel (Apg 22,8) zitiert Paulus die volle Antwort Jesu, weil dies für die Juden wichtig war. Es geht um Jesus, den Nazoräer (Apg 4,10 und Joh 19,19).
    • Die zweite Frage des Paulus, „Was soll ich tun, Herr?“, ist im Zusammenhang mit der Verteidigungsrede in Jerusalem wichtig. Bis dahin hatte Paulus einen anderen Auftraggeber gehabt, den er fragen musste. Die Antwort Jesu auf diese Frage wird von Paulus in unterschiedlichem Umfang wiedergegeben. Die Antwort Jesu, die Berufung und Auftrag einschließt, fügt Paulus in seine Verteidigungsrede vor dem König Agrippa ein und nutzt damit die Gelegenheit zur Evangelisation (Apg 26,29) und zur Begründung seines Gehorsams gegenüber seinem neuen Dienst-Herrn (Apg 26,19).

    Während wir beim Inhalt dieses Zwiegesprächs allein auf Saulus als Zeugen angewiesen sind, müssen wir feststellen, dass er nicht genau mitbekam, was mit seinen Begleitern geschah, bzw. wie sie die Vorfälle erlebten. Auch ist im Zwiegespräch, welches primäre Bedeutung hat, ein klares und eindeutiges Konzept zu sehen: Klare Aussagen von Jesus, logische Fragen von Saulus, wiederum für Saulus verständliche Antworten von Jesus. Der Rahmen jedoch, in dem die Botschaft übermittelt wird, enthält viele übernatürliche Elemente, die zum Teil auch unterschiedlich wahrgenommen werden. Daher ist es verständlich, wenn ergänzende oder sogar gegensätzliche Aussagen gemacht werden. Es ist auch leicht nachvollziehbar, dass es auf dem Restweg nach Damaskus zwischen Saulus und seinen Begleitern zum Austausch gekommen ist, wobei nicht unbedingt ein einheitliches Bild von den Begleitumständen des Ereignisses entstand. Ein übernatürliches Ereignis wird in der Regel subjektiv wahrgenommen.

    1. a) Die Wahrnehmung durch Sehen:
    • Ein helles Licht umstrahlt plötzlich Saulus und seine Begleiter (Apg 26,13).
    • Saulus wird so stark geblendet, dass er eine Zeitlang (3 Tage) nicht sehen kann (Apg 22,11).
    • Die Begleiter sehen zwar das Licht, werden aber nicht geblendet (Apg 22,9).
    • Die Begleiter sehen niemand, d. h. keine Gestalt (Apg 9,7).
    • Saulus sieht (auch ohne natürliches Sehvermögen) den Herrn (Apg 26,16; 9,17b; 9,27; 1Kor 15,8).

    b) Zu: Wer fiel zu Boden?

    • Saulus und seine Begleiter fallen zur Erde/Boden (Apg 26,14).
    • Die Begleiter stehen irgendwann auf und sind sprachlos (Apg 9,7). Anmerkung: Wir vergleichen dazu Johannes 18,18 mit Markus 14,54 und die klärenden Details in Markus 14,68b-70. Johannes beschreibt Petrus stehend am Feuer mit den Dienern. Markus beschreibt Petrus als sitzend am Feuer mit den Dienern. Was nun, steht Petrus oder sitzt er? Er tur beides, aber nicht gleichzeitig. Markus beschreibt Petrus, wie er aufsteht, in den Vorhof des Palastes hinausgeht und sich zu den anderen Dienern dazustellt.
    • Saulus wird am Ende der Unterredung vom Herrn ausdrücklich aufgefordert aufzustehen (Apg 22,10). Die Begleiter standen schon vorher unaufgefordert auf.

    c) Die Wahrnehmung durch Hören:

    • Saulus hörte eine Stimme (Apg 22,7). Diese Stimme ist ausdrücklich an ihn gerichtet (Apg 26,14).
    • Die Stimme geschah im hebräischen Dialekt (Apg 26,14).
    • Saulus konnte die Worte verstehen (Apg 22,10a).
    • Dass die Begleiter nicht mithören/verstehen konnten, was zu Saulus gesagt wurde (Apg 22,9), hat er wohl erst im Nachgespräch erfahren. Die Aussage in Apostelgeschichte 9,7, „sie hörten zwar die Stimme, sahen aber niemand“, betont die Einschränkung der Begleiter nicht nur im Sehen, sondern auch im Hören. Anmerkung: Für dieses Hören und doch nicht Hören/verstehen gibt es auch ein Beispiel in Johannes 12,28-29. Auch dort wurde die himmlische Stimme von den Dabeistehenden unterschiedlich wahrgenommen. Ein Teil des Volkes nehmen Donnergeräusch wahr, ein anderer Teil meint Engel reden zu hören. Wenn diese Stimme auch um der Menschen Willen geschah, wurde sie von ihnen doch nicht einheitlich wargenommen und schon gar nicht verstanden. Für das Volk war es ein Zeichen vom Himmel, nur Jesus verstand, was der Vater sagte.

    Ergebnis: Lukas, der in einer Vielzahl von Details so präzise Angaben und Aussagen macht, wird sich doch an dieser Stelle nicht selbst widersprochen haben. Ich nehme an, dass der Heilige Geist den Lukas so geführt hat, dass er die scheinbar gegensätzlichen Aussagen nicht ausbügelte; vielmehr wird gerade dadurch das begrenzte und unterschiedliche Fassungsvermögen des Menschen zum Ausdruck gebracht, das sich zeigt, wenn er mit der himmlischen Welt konfrontiert wird.

     

    In wenigen Minuten ist die mit viel Fleiß und Arbeit mühsam aufgebaute Lebenswelt des Saulus zusammengebrochen. Was er gesehen und gehört hatte, war so real, dass es sein Leben lang nie Zweifel gab, was den Glauben an Jesus betraf (2Tim 4,7). Doch so gewaltig dieses Erlebnis und so ehrlich das Fragen des Saulus auch war, Bekehrung und Wiedergeburt durch Wort und Geist kann man dieses Erlebnis noch nicht nennen.

    Da Saulus auf Grund der Klarheit des Lichtes nichts sehen kann, wird er an der Hand geleitet (ist also zu Fuß unterwegs) und nach Damaskus gebracht (Apg 9,8b).

2. 2. Bekehrung des Saulus in Damaskus

Als Saulus am späten Nachmittag in die alte syrische Stadt Damaskus einzieht, ist die Stimme des Herrn immer noch in seinen Ohren. Es ist möglich, dass er an die Geschichten des Alten Testamentes dachte, in denen Damaskus eine nicht geringe Rolle gespielt hat (1Mose 14,15; 15,2; 2Sam 8,5; 1Kön 19,15; 2Kön 5,12; 8,7-9). Nun zieht er selber in diese Stadt ein. Doch er kann sich an dem pulsierenden Leben der Menschen nicht erfreuen, er sieht nichts. Momentan war er geistlich gesehen im Niemandsland. Zu seinem alten Leben würde er niemals mehr zurückkehren können, aber die Zukunft war noch nicht bestimmt.

Jesu Weisung war klar und eindeutig: „geh nach Damaskus, und dort wird dir von allem gesagt werden, was dir zu tun verordnet ist“ (Apg 22,10b). Saulus wird bei einem Juden namens Judas untergebracht. Dieser Jude wohnt in der „geraden“ Gasse. (Das griechische Wort „ευθεος heißt „sofort“, es wird in diesem Zusammenhang jedoch mit „gerade“, im Gegensatz zu „krumm“ übersetzt). Der Ausdruck „und er konnte drei Tage nicht sehen“ (Apg 9,9), kann nach hebräischem Verständnis bedeuten, dass er schon am übernächsten (also am dritten) Tag von Ananias besucht wurde. Saulus war es in dieser Zeit nicht nach Essen und Trinken zu Mute, Viele Fragen beschäftigten ihn jetzt. Bilder aus der jüngsten Verfolgungszeit, die Pläne, hier in Damaskus reiche Beute zu machen, quälten ihn in seinem Gewissen. Wie konnte er das, was er angerichtet hatte, wieder gutmachen? Doch nun tut er das einzig Richtige in dieser Situation: er betete (Apg 9,11), und der Herr zeigte ihm in einem Gesicht den Ananias (Apg 9,12), der dann zu ihm kam, ihm die Hände auflegte und Weisungen erteilte.

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Abbildung 8 Ananias legt Saulus die Hände auf und überbringt an ihn den Auftrag des Herrb. Eine Skulptur in der Ananiaskapelle in der Altstadt von Damaskus (Foto: P. Schüle 11. April 2011).

Dieser Ananias war gottesfürchtig nach dem Gesetz, hatte ein gutes Zeugnis bei den Juden in Damaskus (Apg 22,12) und war ein Jünger Jesu (Apg 9,10.13). Was Saulus dann am dritten Tag erlebte, lässt sich aus den zwei Texten der Apostelgeschichte 9,17-19 und 22,13-16 rekonstruieren:

  • Durch Handauflegung und Zuspruch des Ananias wird Saulus wieder sehend (Apg 22,16b).
  • Der Auftrag an Saulus wird wiederholt bzw. ergänzt (Apg 22,14-15).
  • Durch Anrufung des Namens Jesu erlangt Saulus Sündenvergebung (Apg 22,16 b).
  • Er lässt sich taufen (Apg 22,16b).
  • Er wird durch erneute Handauflegung durch Ananias, mit dem Heiligem Geist erfüllt (Apg 9,17).
  • Er nimmt Speise zu sich und kommt wieder zu Kräften (Apg 9,19).

Ananias legt Saulus die Hände auf und überbringt an ihn den Auftrag des Herrb. Eine Skulptur in der Ananiaskapelle in der Altstadt von Damaskus (Foto: am 11. April 2011).

Sicher war das, was Saulus vor Damaskus erlebte, mehr als nur ein geistliches Wachrütteln, aber die Bekehrung zu Christus durch die Sündenvergebung, Taufe und die darauf folgende Erfüllung mit dem Heiligen Geist, hat er erst in Damaskus erlebt. Die Aufforderung des Ananias in Apostelgeschichte 22,16 „Und nun, was zögerst du, steh auf, lass dich taufen und abwaschen deine Sünden indem du den Namen des Herrn anrufst“, spricht ebenfalls für die Umkehr des Saulus in Damaskus und nicht schon bei der ersten Begegnung vor Damaskus.

Abbildung 9: Der von den Damaszenern bereits im Alterumgeschätzte Fluss Barada gehört heute noch zum Stadtbild (Foto: 11. April 2011).

Das alte Gebäude seines Lebens war völlig eingestürzt. Nun wurde ein neues, tragfähiges Fundament gelegt – Christus, seine Gnade, seine Vergebung und seine Gerechtigkeit. Auf diesem Fundament begann er nun aufzubauen.

2.3. Paulus bezeugt Jesus Christus in Damaskus

Der Text, der vom ersten Zeugnis des Saulus in Damaskus berichtet, ist sehr kurz, dafür aber voller wichtiger und interessanter Aussagen. Saulus geht nicht zu den örtlichen Synagogenleitern, um Grüße aus Jerusalem zu überbringen oder gar sich zu rechtfertigen für seine veränderte Einstellung gegenüber der neuen Bewegung, deretwegen er nach Damaskus kam. In Apostelgeschichte 9,19b wird deutlich gesagt, wo er sich nun aufhält, nämlich bei den Jüngern in Damaskus, d.h., bei denen, die er verfolgen, fesseln und nach Jerusalem bringen wollte.

Welch ein Triumph der Gnade Gottes. Die Jünger in Damaskus konnten es kaum fassen, doch sie sahen mit ihren eigenen Augen die Veränderung im Leben dieses Mannes. Sie hörten immer wieder von seiner Begegnung mit dem Auferstandenen vor Damaskus. Der von allen anerkannte und glaubwürdige Zeuge Ananias bestätigte die Echtheit der Bekehrung des Saulus. Hier bei den Jüngern fand er herzliche Aufnahme und Zuspruch, Einige Tage war Saulus bei den Jüngern und sofort am folgenden Sabbat wollte er öffentlich Zeugnis geben von seiner Begegnung mit Jesus.

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Abbildung 10: Der Haupteingang zur Pauluskirche in der Altstadt von Damaskus (Foto:  11. April 2011 ).

Er nutzte also die nächstmögliche Gelegenheit, um in den Synagogen der Stadt von Jesus zu predigen. Da es in Damaskus mehrere Synagogen gab, ist anzunehmen, dass er mindestens Wochen, wenn nicht sogar Monate dort verbrachte. Der Kern seiner Predigt war: „Jesus ist der Sohn Gottes“ (Apg 9,20) und „Jesus ist der Messias“ (Apg 9,22b). Auf dieser Grundlage predigte er das „Umdenken und die Hinwendung(Bekehrung)zu Gott, um des Umdenkens würdige Werke zu tun“ (Apg 26,20). Diese für ihn neue Glaubensgrundlage hat er durch die Offenbarung Jesu bekommen (Gal 1,12). Dass Gott seine gute Kenntnisse des Alten Testaments mitbenutzte, ist ohne Zweifel. Jedoch die Erkenntnis „Jesus ist der Messias und der Sohn Gottes“, kann einem Menschen nur durch göttliche Offenbarung zuteil werden (Mt 16,17; Lk 24,45).

Ausdrücklich betont Paulus in der Apostelgeschichte 26,20, dass er zuerst in Damaskus gepredigt hatte. Die Reaktion auf seine Predigt ist ebenso verblüffend wie auch verständlich. Es gibt keinen Hinweis auf Massenbekehrungen, obwohl sie gar nicht ausgeschlossen sind. Deutlich betont wird jedoch die Bestürzung der Juden über den plötzlichen Frontwechsel bei diesem Mann aus Tarsus und Bevollmächtigten aus Jerusalem(Apg 9,21). Es entsteht der Eindruck, dass Saulus in Damaskus unter den Juden nicht so sehr warmherzig und werbend das Evangelium verkündete, sondern sie mehr durch massive Schriftbeweise zur radikalen Umkehr herausforderte. Dies entspräche ganz seinem Temperament. So wie eine Feder, die bis ans Äußerste ihrer Spannungsmöglichkeit auseinander gezogen und dann plötzlich losgelassen wird, in die Gegenrichtung schnellt, so mag es auch aus Saulus, der sofort alle überzeugen wollte, hervor gesprudelt haben.

Es ist nicht deutlich, wo im Lukanischen Bericht die sogenannte „Arabienlücke“ zu suchen ist, zwischen Apostelgeschichte 9,21 und 22 oder 9,22 und 23; beides wäre möglich. Falls Saulus bei seiner Rückkehr aus Arabien auch seinen Predigtstil geändert hat, der Inhalt blieb mit Sicherheit der gleiche. Eindeutig muss jedoch der Vers 23 in Kapitel 9 dem zweiten Damaskusaufenthalt zugeordnet werden. Ein Anschlag auf Saulus zum Ende des ersten Aufenthaltes in Damaskus scheint fraglich, da sonst seine erneute Rückkehr trotz Todesgefahr unverständlich wäre.

2.4. Paulus reist nach Arabien

Lediglich ein paar Worte werden zu dieser Arabienreise gesagt. Den Galatern schreibt Paulus (Gal 1,17): „ich ging sogleich (gr. ευθεος) fort nach Arabien und kehrte wieder  nach Damaskus zurück.“ Es gibt keine detaillierten Angaben über das Ziel, die Dauer und den Grund der Reise. Deshalb gilt auch hier die Feststellung: je weniger Informationen, desto mehr Spekulationen sind im Umlauf. Trotzdem ist es sinnvoll, darüber nachzudenken und einige Überlegungen anzustellen.

 

a) Geographische Einordnung von Arabien

 

Arabien ist von dem Hebräischen `Arabah` (Wüste), abgeleitet. Schaut man auf Karten des Orients, so lässt sich dieses Gebiet im Süden gut in die Arabische Halbinsel einordnen, im Norden rechnete man zum Zeitpunkt der Arabienreise des Saulus das Nabatäerreich mit der Hauptstadt Petra, unter deren Verwaltung auch Damaskus stand (2Kor 11,32).

In dem Gebiet des nördlichen Arabien wird sich Saulus aller Wahrscheinlichkeit nach aufgehalten haben. Wenn Jesus dem Saulus oft innerhalb weniger Tage konkrete Weisungen gegeben hat (Apg 22,10; 9,12), dann wird er das Weggehen von Damaskus nach Arabien kaum auf eigene Faust unternommen haben.

 

b) Dauer des Arabienaufenthalts

 

Auch über die Dauer des Arabienaufenthaltes kann man nur Vermutungen anstellen. Man kann nicht aufgrund fehlender biblischer Informationen sagen, der Aufenthalt dort wäre kurz gewesen. Allerdings kann er auch keine drei Jahre gedauert haben. Nach Galater 1,18 betrug die gesamte Zeitspanne zwischen Bekehrung und dem ersten Jerusalembesuch schon drei Jahre (siehe auch die Erklärung in Kap. 2.6.). Wenn man die Wirksamkeit des Apostels in Damaskus vor und nach Arabien genauer analysiert, könnte der Arabienaufenthalt durchaus (ein Jahr?) gedauert haben. Sein Beruf als Zeltmacher könnte ihm dort gut zustatten gekommen sein.

 

c) Mögliche Gründe für den Arabienaufenthalt

 

Auch zu den Günden der Reise macht Paulus keinerlei Angaben. Aus der Aussage in Galater 1,17 „ich ging weg“ geht jedoch hervor, dass er Damaskus nicht fluchtartig verlassen hat, sondern wohlüberlegt und geplant. Nach stürmischen Wochen oder Monaten angefüllt mit der Verkündigung des Evangeliums, sowie der Beweisführung aus dem Alten Testament brachte Saulus die Juden in Verwirrung (Apg 9,22), so dass sich bald eine Gegenoffensive anbahnte. Ein Rückzug in die Stille wäre genauso verständlich wie auch neutestamentlich begründet. Nicht ausgeschlossen ist auch ein missionarischer Vorstoß in die arabischen Gebiete (Apg 26,17), wo es ja auch Juden gab (Apg 2,11). Dass Paulus in seiner Rede an den König Agrippa von seinem Zeugnis in Damaskus und Jerusalem spricht, Arabien aber nicht erwähnt, ist noch kein Beleg dafür, dass er nicht auch in Arabien gepredigt hat. Kann sich jemand den Paulus als Schweigenden vorstellen? Aber aus der Gesamtperspektive seines Lebensdienstes gesehen, waren jene Gebiete nicht sein Missionsfeld

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Abbildung 11: Ein Berg aus schwarzem Basalt im Wadi Rum in Südjordanien, unweit der Grenze zu Saudiarabien. Schon zur Zeit des Alten Testamentes suchten die Propheten die Stille und Einsamkeit in der Wüste (Foto:   6. November 2014).

In Galater 4,25 lokalisiert Paulus den Berg Sinai als „in Arabien“ befindlich. Er wusste also wo sich der Berg Sinai befand. War er vielleicht dorthin gereist zum bedeutenden Ort des Bundesschlusses zwischen Gott und dem Volk Israel? Aufgrund der Erklärung und Deutung des Zusammenhangs zwischen Hagar und Sinai in Galater 4,24ff könnte man sein Interesse am Berg Sinai in Arabien teilweise ableiten. Die Tatsache, dass gerade er im Galaterbrief zweimal Arabien nennt, lässt darauf schließen, dass ihm Arabien als Gebiet mit seiner historischen/theologischen Relevanz nicht gleichgültig war (2Mose 3,1-4Mose 10,13,; 1Kön 19,1-16). Obwohl Arabien `Wüste` und Araber ` Wüsten- oder Steppenbewohner` bedeutet, gab es dort seit uralten Zeiten auch Städte mit Hochkulturen und erfolgreichem Wirtschafts- und Handelsleben. Da zur Zeit des Saulus Arabien nicht nur die Arabische Halbinsel einschloss, sondern auch die Syrische Wüste südöstlich von Damaskus, ebenso die Gebiete des ehemaligen Moab und Edom, könnte sein Interesse auch diesen letzteren Gebieten gegolten haben, war doch das Ostjordanland eng mit der Geschichte seines Volkes verbunden.

 

 

2.5. Erneuter Aufenthalt in Damaskus und Flucht

 

Paulus folgte lebenslang dem Grundsatz, Missionsgebiete, in denen er das Evangelium verkündigte, immer wieder aufzusuchen und die dort gewonnenen Gläubigen zu stärken. Vorerst zog es ihn nicht nach Jerusalem, sondern zurück nach Damaskus, wo er sich zum Herrn bekehrte und wo er so herzliche Aufnahme bei den Jüngern gefunden hatte, dorthin, wo er seine ersten Schritte im Glauben machen konnte.

In Damaskus gab es eine funktionierende Gemeinde; es gab viele Juden und mehrere Synagogen. Die Stadt war ein Knotenpunkt für den ost-west und süd-nord Handel, eine Karawanenstadt am östlichen Rand des riesigen römischen Reiches.

Wenn Paulus noch später auf seinen Missionsreisen immer wieder sein Handwerk als Zeltmacher nutzte, um für sich und oft auch für seine Mitarbeiter das tägliche Brot zu verdienen (Apg 20,33) dann wird er auch sicherlich hier in Damaskus gearbeitet haben; die Stadt war auch für ihre Webereien bekannt.

An den Sabbaten wurde jede Gelegenheit genutzt, um das Evangelium zu predigen. Noch predigte Saulus den Juden oder auch den Proselyten, von denen es in Damaskus viele gab. Proselyten waren Heiden, die durch Beschneidung und Taufe in die jüdische . Gemeinschaft aufgenommen wurden. Er muss Erfolg gehabt haben, so dass sich schon bald wieder eine starke Opposition von Seiten der Juden gegen ihn formierte.

Im Text der Apostelgeschichte 9,23 lesen wir: „als sich aber viele Tage erfüllten, beschlossen die Juden ihn umzubringen“. Diese unbestimmte Zeitangabe lässt nicht nur auf Wochen, sondern auch auf einige Monate der Wirksamkeit des Apostels schließen.

Eindeutig geht der Beschluss, Saulus umzubringen, auf die Juden zurück (Apg 9,23b). Aber so viele Juden es auch in Damaskus gab, und so selbständig sie in einer für sie fremden Stadt in den Synagogenverbänden ihre Religion auch ausüben konnten, an einen römischen Bürger aus einer freien Stadt wie Tarsus, die sich dazu unter römischer Oberhoheit befand, konnten sie nicht so einfach herankommen. Lukas berichtet hier nicht vollständig, und es ist gut, dass wir von Paulus in 2Korinther 11,32 ergänzende und dazu noch geschichtlich wichtige Aussagen haben, dank derer wir die Flucht aus Damaskus zeitlich ziemlich genau einordnen können.

Damaskus wurde zwar schon 64 v. Chr. der römischen Provinz Syrien einverleibt, aber unter der Herrschaft Caligulas (37-41 n. Chr.) kam Damaskus für kurze Zeit unter die Oberhoheit des Nabatäerkönigs Aretas IV., der von 9 v. Chr. bis 39 n. Chr. regierte. Aretas ließ die Stadt Damaskus durch einen Statthalter, wörtlich: `έτναρχ – Volksfürst` (2Kor 11,32) verwalten.

2.5. Des Paulus erneuter Aufenthalt in Damaskus und Flucht

Paulus folgte lebenslang dem Grundsatz, Missionsgebiete, in denen er das Evangelium verkündigte, immer wieder aufzusuchen und die dort gewonnenen Gläubigen zu stärken. Vorerst zog es ihn nicht nach Jerusalem, sondern zurück nach Damaskus, wo er sich zum Herrn bekehrt hatte und wo er so herzliche Aufnahme bei den Jüngern gefunden hatte, dorthin, wo er seine ersten Schritte im Glauben machen konnte.

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Abbildung 12: Ein Teil der alten Stadtmauer von Damaskus, an der die frühere Bau- und Wohnweise erkennbar ist. Die Eingänge zu den Häusern und Wohnungen in der Stadtmauer sind nur von innen möglich, doch solch eine Fensteröffnung nach draußen ist eine ideale Möglichkeit, um in einem Tragekorb an einem Seil die Flucht unauffällig möglich zu machen (Foto:  11. April 2011).

In Damaskus gab es eine funktionierende Gemeinde; es gab viele Juden und mehrere Synagogen. Die Stadt war ein Knotenpunkt für den ost-west und süd-nord Handel, eine Karawanenstadt am östlichen Rand des riesigen römischen Reiches.

Wenn Paulus noch später auf seinen Missionsreisen immer wieder sein Handwerk als Zeltmacher nutzte, um für sich und oft auch für seine Mitarbeiter das tägliche Brot zu verdienen (Apg 20,33) dann wird er auch sicherlich hier in Damaskus gearbeitet haben; die Stadt war auch für ihre Webereien bekannt.

An den Sabbaten wurde jede Gelegenheit genutzt, um das Evangelium zu predigen. Noch predigte Saulus den Juden oder auch den Proselyten, von denen es in Damaskus viele gab. Proselyten waren Heiden, die durch Beschneidung und Taufe in die jüdische . Gemeinschaft aufgenommen wurden. Er muss Erfolg gehabt haben, so dass sich schon bald wieder eine starke Opposition von Seiten der Juden gegen ihn formierte.

Im Text der Apostelgeschichte 9,23 lesen wir: „als sich aber viele Tage erfüllten, beschlossen die Juden ihn umzubringen“. Diese unbestimmte Zeitangabe lässt nicht nur auf Wochen, sondern auch auf einige Monate der Wirksamkeit des Apostels schließen.

Eindeutig geht der Beschluss, Saulus umzubringen, auf die Juden zurück (Apg 9,23b). Aber so viele Juden es auch in Damaskus gab, und so selbständig sie in einer für sie fremden Stadt in den Synagogenverbänden ihre Religion auch ausüben konnten, an einen römischen Bürger aus einer freien Stadt wie Tarsus, die sich dazu unter römischer Oberhoheit befand, konnten sie nicht so einfach herankommen. Lukas berichtet hier nicht vollständig, und es ist gut, dass wir von Paulus in 2Korinther 11,32 ergänzende und dazu noch geschichtlich wichtige Aussagen haben, dank derer wir die Flucht aus Damaskus zeitlich ziemlich genau einordnen können.

Damaskus wurde zwar schon 64 v. Chr. der römischen Provinz Syrien einverleibt, aber unter der Herrschaft Caligulas (37-41 n. Chr.) kam Damaskus für kurze Zeit unter die Oberhoheit des Nabatäerkönigs Aretas IV., der von 9 v. Chr. bis 39 n. Chr. regierte. Aretas ließ die Stadt Damaskus durch einen Statthalter, wörtlich: `ετναρχ – Volksfürst` (2Kor 11,32) verwalten.

Da Caligula seine Herrschaft in Rom im Frühjahr 37 n. Chr. antrat und Aretas’ Herrschaft 39 n. Chr. endete, bleiben für die kurze Verwaltung der Stadt Damaskus durch den Nabatäerkönig nur zwei Jahre übrig. Für die Flucht aus Damaskus scheint mir das Jahr 37 deswegen naheliegend zu sein, weil nicht selten mit dem Kaiserwechsel in Rom auch Herrschaftsveränderungen in den Provinzen einhergingen. Auch die Juden konnten solch einen Machtwechsel für ihre eigenen Interessen nutzen, wie der Vergleich von Apostelgeschichte 18,12 mit 25,1-2 zeigt – Paulus vor Gallio in Korinth, Paulus vor Festus in Cäsarea. Als römischer Bürger stand Saulus bis zu solch einem Macht- und Verwaltungswechsel unter römischem Schutz. Dies änderte sich jedoch schnell zugunsten der dort ansässigen Juden, die in dem arabischen Fürsten plötzlich einen Verbündeten fanden. Jedoch konnte solch eine Großrazzia nicht geheim ablaufen, weil es auch viel gläubige Juden gab, die in verschiedenen Kreisen der Stadt tätig waren und wahrscheinlich Saulus warnten, die Stadt Damaskus nicht durch die Tore zu verlassen.

 

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Abbildung 13: Ob der Korb, in dem Saulus hinabgelassen wurde, so ausgesehen hatte? Dieses Exemplar ist in der Paulus-Kirche in Damaskus ausgestellt (Foto:  11. April 2011).

An Einfallsreichtum fehlte es den Jüngern nicht und vielleicht erinnerten sie sich an die zwei Kundschafter, die Jericho auf eine ungewöhnliche Art und Weise verlassen hatten (Jos 2,15). Nur wurde es dem Saulus etwas bequemer gemacht: er wurde in einem Korb an der Außenmauer durch eine Fensteröffnung (Pförtchen) hinabgelassen (Apg 9,25). Auf diese Weise entkam er den Juden und dem Statthalter.

Am hellen Tag, jedoch blind, hatte er zum ersten Mal Damaskus betreten; in dunkler Nacht, aber mit dem hellsten Licht im Herzen, verließ er diese Stadt. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass er die Stadt seiner Bekehrung anschließend noch einmal besucht hätte. Doch auf diese Weise ging Damaskus in die Geschichte und das Bewusstsein der christlichen Gemeinde ein.

2 6. Paulus kehrt nach Jerusalem zurück

Nun hatte Saulus ein klares Ziel vor sich: es war Zeit, nach Jerusalem zurückzukehren (Apg 22,16), es zog ihn geradezu dort hin, weil er Kephas kennenlernen wollte (Gal 1,18b). Seit seiner Bekehrung waren drei Jahre vergangen; oder waren es drei Jahre seit seiner Rückkehr aus Arabien? Der Kontext in Galater 1 gibt eine mögliche Antwort auf diese Frage.

Die Zeitangaben in Galater 1,18 und Galater 2,1 sind einmalig. An beiden Stellen folgt nach dem grichischen `επειτα`- èpeita – dann, danach, darauf, die bestimmte Zeitangabe: drei Jahre bzw. vierzehn Jahre. In der Regel baut das `επειτα` zeitlich auf das auf, was unmittelbar vorher geschehen ist, vgl. z. B. Galater 1,21 „Darauf“ (also nach dem fünfzehntägigen Aufenthalt in Jerusalem) „ging ich in die Gebiete Syriens und Kilikiens“. Wenn aber die Angabe „nach drei Jahren“ (Gal 1,18) auf den Zeitpunkt der Rückkehr aus Arabien aufbauen würde, würde dies bedeuten, dass Saulus‘ zweiter Aufenthalt in Damaskus drei Jahre lang dauerte. Das ist bei der Entwicklung der Umstände in Damaskus nicht vorstellbar. Das gleiche gilt auch für Gal 2,1: „dann, nach vierzehn Jahren“. Würde Paulus die vierzehn Jahre seit seinem ersten Jerusalembesuch rechnen, dann käme man für den Jerusalembesuch in Galater 2,1 in den Anfang der fünfziger Jahre, d.h. in die Zeit nach der zweiten Missionsreise. Dies ist jedoch viel zu spät, denn nach Galater 2,1-10 ist Paulus erstens noch mit Barnabas zusammen (was während und nach der zweiten Missionsreise nicht mehr der Fall war) und zweitens ist er noch am Anfang seiner Heidenmissionstätigkeit. Beim Summieren der unbestimmten Zeit des ersten Damaskus Aufenthaltes, dann der drei Jahre und vierzehn Jahre und der nicht geringen Reisezeiten, käme man eben in den Anfang der fünfziger Jahre. Diese Überlegung klingt etwas

Kompliziert, doch bietet sie durch ihren Vergleich eine Lösung zum besseren Verständnis und der Berechnung der Teildaten im Leben des Apostels. Hierzu ein Auszug aus der Chronologie des Lebens Pauli:

–  um 33 n. Chr.  Tod Jesu,

–  um 34 n. Chr.  Bekehrung des Saulus,

–  um 37 n. Chr.  erster Jerusalembesuch (15 Tage bei Petrus),

–  um 44 n. Chr. zweiter Jerusalembesuch (Hungeropfer) Rückkehr nach Antiochien,

– um 45 Aufbruch zur 1. Missionsreise,

– um 47 Rückkehr nach Antiochien,

–  um 48 n. Chr. dritter Jerusalembesuch (Apostel und Ältestenversammlung Apg 15; Gal 2),

–  um 49 n. Chr. Aufbruch zur 2. Missionsreise

– um 50 n. Chr.   Ankunft in Korinth und so weiter.

Nicht nur aus den logischen und rechnerischen Überlegungen empfiehlt sich hier eine andere Erklärung des Wortes `επειτα – dann, danach`, sondern aus der besonderen Satzstellung und dem griechischen Wort `ευθεος – sofort, sobald` (Gal 1,16), welches sich an den Zeitpunkt der Bekehrung des Paulus anlehnt. Dazu kommt, dass Paulus zweimal etwas verneint, was nach menschlicher Logik das Normale gewesen wäre, nämlich:

  1. Sofort nicht nach Jerusalem zu reisen und
  2. Sofort sich nicht mit den Führenden Aposteln abzusprechen, bzw. sich mit ihnen zu beraten.

Das heißt: sofort nach der Bekehrung keine Beratung mit Menschen und keine sofortige Rückkehr nach Jerusalem zu den Aposteln. Dies tut er erst „nach drei Jahren (seit dem Zeitpunkt der Bekehrung) ging ich hinauf nach Jerusalem“. Im gleichen Sinne und auf den gleichen zeitlichen Punkt (die Bekehrung) kann sich auch die zweite Zeitangabe aus Gal 2,1 beziehen: „Darauf nach vierzehn Jahren (nach der Bekehrung) ging ich wieder hinauf nach Jerusalem“. Das `wieder` meint nicht zwingend zum zweiten Mal, sondern `mal wieder` oder `wieder mit Barnabas`, weil er erst etwa vier Jahre zuvor (44 n. Chr.) mit Barnabas dort war. Die Aussage in Galater 1,18 ist die positive, bejahende Antwort auf die zwei verneinenden Aussagen in Galater 1,17.

Dass sich diese Variante der zeitlichen Berechnung besser in die Zeitspanne zwischen dem Tod Jesu (33) und der Apostelversammlung (48) einordnen lässt, steht außer Frage. Wenn also die Flucht aus Damaskus frühestens 37 n. Chr. geschah, dann könnte die Bekehrung des Saulus auf 34 n. Chr. datiert werden und der dritte Jerusalembesuch (Gal 2,1) auf das Jahr 48 n. Chr.. Damit bliebe zwischen Pfingsten des Jahres 33 und Sommer oder Herbst des Jahres 34 genügend Raum für die erste Blütezeit der Gemeinde in Jerusalem mit der sich anschließenden ersten Christenverfolgung an der Saulus stark beteiligt war.

Saulus kehrt nun zurück nach Jerusalem (Apg 22,17) mit einem neuen Herzen, einer neuen Identität, einer gewissen Erfahrung als Apostel, aber doch auch mit gemischten Gefühlen. Manche Wunde war geheilt, aber das Misstrauen saß bei den meisten Gläubigen in Jerusalem tief, wohin sollte er gehen, wen sollte er ansprechen, wo hielt sich Kephas auf?

3. Kapitel: Jerusalem – Tarsus – Antiochien – Jerusalem

 3.1. Paulus bei der Gemeinde in Jerusalem

 

AAls Paulus von Damaskus nach Jerusalem zurückkehrt, kann er nicht ahnen, dass sein Aufenthalt dort nur kurz sein wird. Er bemüht sich zunächst, Kontakt zu den Jüngern zu bekommen (Apg 9,26). Die früheren Versammlungsplätze sind ihm bekannt, doch wo immer er auch anklopft und sich als Jünger vorstellt, begegnen ihm Furcht und Misstrauen. Die Verfolgung hatte die Jünger Vorsicht gelehrt (Mt 10,17). In Damaskus dachte wohl niemand von den Jüngern an die Notwendigkeit eines Empfehlungsschreibens (Apg 18,27). Auch hatte Paulus zu diesem Zeitpunkt noch keine Mitarbeiter als Begleiter bei sich. Aber er gibt nicht auf. Schließlich trifft er auf Barnabas, einen Mann voll Glaubens und Heiligen Geistes (Apg 11,24). Barnabas war auf Zypern geboren und ist von seiner Abstammung her Levit. Seine Einstellung ist weitherzig, er wird „Sohn des Trostes“ genannt (Apg 4,36). Barnabas besitzt das Gespür, den Durchblick und den Mut, Paulus aufzunehmen (Apg 9,27a). Er kommt dem Wunsch des Paulus nach und brachte ihn zu den Aposteln (Apg 9,27b).

Aus Galater 1,18 erfahren wir jedoch von Paulus selbst, dass er lediglich mit Petrus intensive Gemeinschaft hatte und Jakobus, den Bruder des Herrn, sah. Paulus blieb fünfzehn Tage bei Petrus, das könnte heißen, er wohnte als Gast im gleichen Haus wie auch Petrus. Während Barnabas für Paulus die Brücke zur Gemeinde wurde, trug Petrus viel zu seiner Integration in die Gemeinde bei. Am Anfang ihres Kennenlernens stand mit Sicherheit die ausführliche Geschichte von Paulus‘ Begegnung mit Jesus sowie sein erstes Zeugnis in Damaskus (Apg 9,27). Von Petrus konnte Paulus sozusagen aus erster Hand vieles über das Leben und Wirken Jesu erfahren.

Nachdem Paulus in der Gemeinde aufgenommen ist, drängt es ihn, den Namen Jesu in der Stadt zu bezeugen, in der er ihn ausrotten wollte: Und er ging mit ihnen aus und ein in Jerusalem und sprach freimütig im Namen des Herrn (Apg 9,28). Da er die griechische Sprache beherrschte, ist es leicht verständlich, dass er zu den Hellenisten sprach. Nach Apostelgeschichte 6,1 und 9,29 wurden als `Helenisten` Juden bezeichnet, die von der grichischen Kultur und Sprache sehr stark geprägt waren. Möglicherweise waren es Leute aus der Synagoge der Libertiner (…) und derer von Zilizien und Asien (Apg 6,9) mit denen auch Stephanus diskutierte, doch bei ihnen hat Paulus keinen Erfolg. Wahrscheinlich ist die Art seines Redens ein Streitgespräch (Apg 9,29) Er forderte seine Zuhörer heraus, so wie er es auch in Damaskus getan hatte. Die Reaktion ist ähnlich wie damals bei Stefanus: sie aber trachteten ihn umzubringen (Apg 9,29).

Es ist verständlich, dass Paulus sich Jerusalem gegenüber als `Schuldner` fühlt, aber der Herr will ihn an einem anderen Platz haben. Paulus will Klarheit in Bezug auf den weiteren Verlauf seines Lebens. Er tut das Richtige, indem er in den Tempel geht, um zu beten (Apg 22,18a). Für die Judenchristen war der Tempel noch längere Zeit nicht nur öffentlicher Versammlungsplatz, sondern nach wie vor Ort der Anbetung und Opferdarbringung (Apg 21,23).

3.2. Paulus wird nach Tarsus gesandt

Warum konnte Paulus nicht für längere Zeit in Jerusalem bleiben und wirken? Die Antwort finden wir in dem Auftrag, den er hier vom Herrn selbst empfangen hatte. In seiner Verteidigungsrede vor dem Volk Israel bei seinem letzten Jerusalembesuch im Jahre 59 n. Chr., erinnert er an diesen Auftrag: „Es geschah aber, als ich wieder nach Jerusalem kam und im Tempel betete, dass ich in Verzückung geriet und ihn sah. Da sprach er zu mir: Eile und mach dich schnell auf aus Jerusalem; denn dein Zeugnis von mir werden sie nicht annehmen“ (Apg 22,17-18). So erkennen wir, dass Gott die Geschichte des Paulus, seine Herkunft und auch sein Temperament berücksichtigt und ihm den vorgesehenen Dienstplatz zuteilt. Die Aufforderung, Jerusalem eilend und schnell zu verlassen, passt Paulus nicht besonders; er erhebt Einwände: „Und ich sprach: Herr, sie wissen doch, dass ich die, die an dich glaubten, gefangen nahm und in den Synagogen geißeln ließ.

 Und als das Blut des Stephanus, deines Zeugen, vergossen wurde, stand ich auch dabei und hatte Gefallen daran und bewachte denen die Kleider, die ihn töteten

(Apg 22,19-20). Doch der Herr bleibt dabei: „Geh hin, denn ich werde dich weit weg zu den Nationen senden“ (Apg 22,21). Auch die Gemeindeleiter in Jerusalem wissen die Entwicklungen richtig einzuschätzen. Paulus wird von den Brüdern hinab nach Cäsarea geleitet und mit dem Schiff nach Tarsus ausgesandt (Apg 9,30).

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Abbildung 14: Dieser Aquädukt war etwa 8 Kilometer lang und versorgte die Stadt Cäsaräa mit frischem Wasser aus dem Karmelgebirge (Foto:  April 1986).

Auf diese Weise wirkt Gott immer wieder:

–  Er beauftragt und sendet aus.

–  Er bestätigt seinen Auftrag und seine Aussendung durch die vom Geiste Gottes erfüllte Gemeindeleitung.

–  Durch Bereitschaft und den Gehorsam  kommt der Plan Gottes zur Ausführung. „Danach kam ich in die Länder Syrien und Zilizien“ (Gal 1,21).

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Ein Zweimaster im östlichen Mittelmeer (Video: P.Schüle. April 2011).

Dem fünfzehntägigen Aufenthalt des Paulus in Jerusalem ist eine grundlegende Bedeutung zuzumessen. Auf dem Schiff nach Tarsus konnte Paulus ermutigt an die Zeit in Jerusalem zurückdenken. In Barnabas hatte er einen echten Freund gefunden. Die enge Gemeinschaft mit Petrus und anderen Leitern trug viel dazu bei, dass Paulus seinen Wirkungsplatz im Reiche Gottes finden konnte. So kehrt Paulus nach mehreren Jahren nach Tarsus zurück, in die Stadt, in der er geboren war und seine Kindheit verbracht hatte. Er war in eigener Kraft und eigener Gerechtigkeit ausgezogen, um für die väterlichen Überlieferungen zu kämpfen (Gal 1,14); als von Gott Begnadeter und Gerechtfertigter, als Diener des Evangeliums, kehrt er nun in seine Heimatstadt zurück (1Tim 1,12-14).

Was hat Paulus denn nun einige Jahre lang in Tarsus gemacht? Diese Frage würde uns sehr interessieren doch sie lässt sich nicht ganz befriedigend beantworten. Dass Paulus dort in Abgeschiedenheit und Stille einige Jahre lang lebte, ist jedoch unwahrscheinlich; dafür wäre Arabien allemal geeigneter gewesen. Die Stadt Tarsus mit ihrem pulsierenden Leben, dem Götzendienst unter den vielen Volksgruppen und der starren Gesetzlichkeit der Juden in den Synagogen war für Paulus eher eine Herausforderung zur Predigt des Evangeliums als zum einseitigen Rückzug in die Stille zur persönlichen Auferbauung. Es gibt einen direkten und einen indirekten Hinweis für die evangelistische Tätigkeit des Paulus während dieser Zeit:

1.  In Galater 1,21-24 gibt uns Paulus einen Einblick in sein Leben nach dem Besuch in Jerusalem: Darauf kam ich in die Gegenden von Syrien und Cilicien. Ich war aber den Gemeinden in Judäa, die in Christus sind, von Angesicht unbekannt. Sie hatten aber nur gehört: Der, der uns einst verfolgte, verkündigt jetzt den Glauben, den er einst zu vernichten suchte; und sie verherrlichten Gott um meinetwillen.

Hieraus kann man Folgendes schließen:

–  Paulus hielt sich nicht nur in Tarsus auf.

–  Er verkündigte die Frohe Botschaft.

–  Die Gläubigen in Judäa freuten sich über ihn und seine Arbeit und priesen Gott, obwohl sie ihn nicht persönlich kannten.

2.  In Apostelgeschichte 15,41 besucht Paulus zu Beginn seiner zweiten Missionsreise zusammen mit Silas die Gemeinden in Syrien und Zilizien, um sie zu stärken. An der Gründung dieser Gemeinden mögen auch andere beteiligt gewesen sein, aber warum nicht auch Paulus? Schließlich hatte er die gute Gewohnheit, Gemeinden immer wieder zu besuchen, die er gegründet hatte.

Eine weitere Begründung für seine evangelistische Tätigkeit in Zilizien wird durch die klare Beauftragung des Herrn in Jerusalem gegeben (Apg 22,21). Bei dieser Beauftragung und Aussendung wird nicht eindeutig gesagt, wann Paulus mit seinem Dienst unter den Heiden beginnen soll, doch warum nicht schon in seiner Geburtsstadt Tarsus und der Proinz Syien/Zilizien?

Man kann also annehmen, dass Paulus in jener Zeit in Tarsus wohnte, durch seinen Beruf als Zeltmacher seinen Lebensunterhalt verdiente und jede Möglichkeit nutzte, um das Evangelium in den Synagogen der Stadt und der Umgebung zu verkündigen.

3.3. Antiochien – eine Gemeinde entsteht

In der Zeit der Verfolgung in Jerusalem, die wegen Stephanus entstand, wurden die Gläubigen zerstreut und etliche von ihnen zogen bis nach Phönizien, Zypern und Antiochia (Apg 11,19).

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Antiochien am Orontes (heute Antakya in der Südosttürkei) war damals  Hauptstadt der römischen Provinz Syrien (Foto: P. Schüle  8. April 2011).

Einige Zyprioten und Kyrenäer redeten Gottes Wort in Antiochien auch zu den Hellenisten. Und des Herrn Hand war mit ihnen und eine große Zahl glaubte und bekehrte sich zum Herrn (Apg 11,19-21). Die Nachricht über diese Entwicklungen erreichte schließlich die Gemeinde in Jerusalem. Man wollte nicht nur Genaueres erfahren, sondern auch die Neuanfänge unterstützen (Apg 11,22). Die Jerusalemer Gemeindeleitung sandte Barnabas aus, dass er bis nach Antiochien gehen sollte (Apg 11,22b). Für diese Aufgabe war er der geeignete Mann. Er hatte weder familiäre Verpflichtungen (1Kor 9,5-6), noch war er an Haus und Hof gebunden (Apg 4,37). Seine geistlichen Qualitäten, die gedankliche Nähe nach Antiochien als Zypriot, seine griechischen Sprachkenntnisse, seine Erfahrung in der Gemeinde Jerusalem sowie seine Bereitschaft, Neuland zu betreten waren gute Voraussetzungen für diese Aufgabe.

Was die zeitliche Einordnung dieser Reise betrifft, so muss sie deutlich nach dem Paulusbesuch in Jerusalem stattgefunden haben. Der 1. Paulus-Besuch in Jerusalem war ca. 37 n.Chr., siehe Kap. 2.5. „Antiochien am Orontes (heute Antakia, Südosttürkei), um 300 v. Chr. von Seleukos I. Nikator gegründet. Ca. 25 km vom Meer entfernt befindet sich der Hafen Seleuzia. 64 v.Chr. von Pompeijus annektiert und zur Hauptstadt der röm. Provinz Syrien erklärt. Antiochien galt als drittgrößte Stadt im röm. Reich.“ Negev, Avraham. Archeologisches Lexikon, 1986.

Die Entfernung von Jerusalem bis Antiochien beträgt etwa fünfhundertfünfzig Kilometer. Auf dem Weg dorthin besuchte Barnabas wahrscheinlich die neu entstandenen Gemeinden in Phönizien mit den Städten Tyrus und Sydon, so dass seine Reise schon länger gedauert haben konnte. Die Wendung dass er hindurchzöge bis nach Antiochia (Apg 11,22b) würde die Annahme von Zwischenstopps in Phönizien begründen.

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Der Fluß Orontes floß durch die antike Stadt Antiochia (Foto: P. Schüle 8. April 2011).

Als Barnabas schließlich in Antiochien ankam und sah, was Gott durch seine Gnade bewirkt hatte, freute er sich (Apg 11,23). Sein Auftrag bestand also sowohl in der Bestandsaufnahme als auch in der Festigung der Gemeinde. Durch seinen Dienst wurden noch viel mehr Menschen gläubig (Apg 11,24). Die Arbeit weitete sich immer mehr aus und Barnabas erkannte seine Grenzen. Weder war er auf seine Karriere bedacht, die er in der Gemeinde machen konnte noch gibt sich zufrieden mit dem Erreichten. Barnabas sah den Bedarf der Gemeinde nach Unterweisung in der biblischen Lehre. Immer wieder erinnert er sich an Paulus. Diesen Mann wollte er nach Antiochien holen. So machte er sich auf den Weg nach Tarsus, um Paulus aufzusuchen und ihn nach Antiochien einzuladen (Apg 11,25f). Die Freude des Wiedersehens war mit Sicherheit groß. Die Freunde hatten sich viel zu erzählen, da seit ihrem Kennenlernen in Jerusalem inzwischen einige Jahre vergangen waren. Es ist gut vorstellbar, dass sich Paulus über die Einladung des Barnabas freute und sie gerne annahm. An der Seite eines Mannes zu arbeiten, der von Anfang an in der Jerusalemergemeinde dabei war, war für ich ein Privileg.

Paulus war ein Mann der Großstädte. Antiochien, eine Provinzhauptstadt mit einer aufblühenden Gemeinde, zog ihn an.[2]  Auf diese Weise würde er auch in den engeren Kreis der damaligen Gemeindeleitung einbezogen werden. Er bricht erneut seine Zelte ab und geht mit Barnabas in die etwa 225 km entfernte syrisch-kilikische Provinzhauptstadt. Die Wendung und als er ihn gefunden hatte, brachte er ihn nach Antiochia (Apg 11,26a), macht nicht nur deutlich, dass Barnabas die Regie führte, sondern dass Paulus bereit war, sich einbinden zu lassen, und anzuerkennen, dass Gott ihm seinen Weg auch durch die Brüder aufzeigen konnte. Die gesamte Suchaktion konnte viele Wochen in Anspruch genommen haben. In Antiochien angekommen, werden Barnabas und Paulus freudig aufgenommen. Für Paulus beginnt ein neuer Lebensabschnitt, der für seinen weiteren Dienst einen entscheidenden Eindruck hinterlassen wird. Die Gemeinde in Antiochien setzt sich aus verschiedenen Menschen zusammen. Da sind Juden, die aus einer festen Tradition kommen und aramäisch sprechen; Hellenisten, die der Herkunft nach zwar Juden sind, aber ihre Sprache und Lebensweise ist griechisch, sie sind viel weltoffener und toleranter. Und es sind auch recht bald Heiden (Nichtjuden) zum Glauben gekommen (Gal 2,12). Einen Teil der Bevölkerung in dieser Großstadt bildeten Sklaven. Man kann davon ausgehen, dass sich auch aus dieser Schicht viele zum Herrn bekehrten. Diese Menschen bilden nun eine Gemeinde. Hier erfüllt sich im Ansatz, was Jesus in Johannes 10,16 vorausgesagt hat: Und ich habe andere Schafe, die nicht aus diesem Hof (Schafgehege) sind, auch diese muß ich bringen, und sie werden meine Stimme hören; und es wird eine Herde, ein Hirte sein. An Barnabas und Paulus sehen wir, was gabenorientierte Gemeindearbeit bedeutet. Der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit besteht aus Lehre und Unterweisung (Apg 11,26b), und dies tun sie ein ganzes Jahr lang. Man kann sich sowohl Einzel- als auch Gruppen- und Gemeindeunterweisung vorstellen (vgl. Apg 20,20b). Hier führten Barnabas und Paulus aus, was Jesus seinen Jüngern aufgetragen hatte und lehrt sie alles zu bewahren, was ich euch geboten habe (Mt 28,20). Beiden wird bescheinigt, dass sie die Gabe der Prophetie und der Lehre hatten (Apg 13,1). So sind sie imstande, alttestamentliche Verheißungen richtig auf Jesus und das neu angebrochene Reich Gottes zu deuten und anzuwenden. Sicher waren Evangelisation und Seelsorge ebenfalls in ihrem Aufgabenbereich eingeschlossen. Auch andere Menschen arbeiteten mit ihnen, und so wuchs die Gemeinde. Es fällt hier auf, dass keine Wunder und Zeichen erwähnt sind, obwohl sie keineswegs ausgeschlossen sind. In ihrer Art ergänzen sich die beiden. Paulus ist sehr direkt in seiner Art; dies führt oft schnell zu zwei Fronten und zu Opposition (Apg 9,29). Barnabas kann den Weg vorbereiten, verbinden und ausgleichen. Außer Jesus selbst ist jeder Mensch einseitig, deswegen hat der Herr immer wieder seine Jünger in Zweierteams ausgesandt (Lk 10,1;  Mk 6,7). Dies ist ein wichtiges Prinzip sowohl im Gemeindebau, als auch in der Mission. Die Gemeinde muss in einem solchen Maße gewachsen und zu einem nicht übersehbaren Faktor in der Stadt geworden sein, dass man die Gläubigen mit dem Namen Christen belegte (Apg 11,26). Das kam wohl daher, dass sie so viel und öffentlich über Christus sprachen. Erst später wurde der Name Christen zur Selbstbezeichnung (1Petr 4,16).

 


[1] Der 1. Paulus-Besuch in Jerusalem war ca. 37 n.Chr., siehe Kap. 2.5.

[2] Antiochien am Orontes (heute Antakia, Südosttürkei), um 300 v. Chr. von Seleukos I. Nikator gegründet. Ca. 25 km vom Meer entfernt befindet sich der Hafen Seleuzia. 64 v.Chr. von Pompeijus annektiert und zur Hauptstadt der röm. Provinz Syrien erklärt. Antiochien galt als drittgrößte Stadt im röm. Reich. Negev, Avraham. Archeologisches Lexikon, 1986.

3.4. Paulus kehrt nach Jerusalem zurück

Das Leben und Wirken in der Gemeinde Antiochien war abwechslungsreich und die Gottesdienste vielseitig. Es gibt leider keinen Hinweis darauf, wo sich die Gläubigen versammelt haben.

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Die sogenannte Petrusgrotte oberhalb der Stadt Antiochia (Foto: P. Schüle 8. April 2011).

Das Innere der Petruskirche am Südhang von Antakya-Türkei (Antiochien) gelegen. Sie wird als eine der ältesten Versammlungsplätze der Christen in Antiochien vermutet. Die Grotte wurde im 5. Jh. zu einer Kirche ausgebaut. Heute finden dort zu bestimmten Anlässen Gottesdienste statt

Vermutlich wurden sie in den Synagogen nicht allzu lange geduldet. So werden wohl auch hier die Versammlungen in Häusern stattgefunden haben.

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Petruskirche in Antakya (Foto: P. Schüle 8. April 2011).

Mosaikfußboden in der

Eines Tages kommen einige prophetisch begabte Jünger aus Jerusalem nach Antiochien herab (Apg 11,27). Sicher werden sie freundlich aufgenommen und man freut sich, etwas Neues aus Judäa zu erfahren; allerdings hat einer der Jünger, Agabus, auch eine ernste und sorgenvolle prophetische Botschaft zu deuten (Apg 11,28). Über die ganze bewohnte Erde wird eine große Hungersnot kommen, wovon die Gläubigen in Judäa besonders betroffen sein werden. Der Begriff  `οικομενη – oikomene` kommt im NT sechzenmal vor (Mt 24,14;  Lk 2,1; 4,5; 21,26;  Apg 11,28; 17,6. 31; 19,27; 24,5;  Röm 10,18;  Hebr 1,6; 2,6;  Offb 3,10; 12,9; 16,14; 20,2) und hat meistens globale Bedeutung, in einigen Fällen wird der Begriff jedoch auch räumlich eingegrenzt verwendet. Römische Geschichtsschreiber bestätigen, dass es während der Regierungszeit des Kaisers Klaudius solche überregionale Dürreperioden und Hungersnöte gegeben hatte (Neudorfer: 1990, 249). Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich diese Hungersnöte damals auch über die Grenzen des römischen Reiches erstreckt haben, ähnlich wie in Offenbarung 3,10 angedeutet wird.

Diese Prophetie wird nicht einfach als Information aufgenommen, sondern löst eine gezielte Hilfsaktion bei den materiell besser gestellten Gläubigen in Antiochien aus. Dabei fallen drei Dinge auf:

  • Alle beteiligen sich (11,29),
  • alle geben gemäß ihres Vermögens (11,29),
  • die Motivation ist Dienst und Gemeinschaft (gr. διακονια und κοινονια – diakonia und koinonia) an denen, die bald große Not haben werden (vgl. Röm 15,27).

Das Geld wird nicht durch die Gäste aus Jerusalem nach Judäa übersandt, sondern durch Vertraute der Gemeinde in Antiochien, nämlich Barnabas und Saulus (Apg 11,30). Hier lässt sich ein Prinzip im Bereich Spenden und Opfergaben erkennen, nämlich, Transparenz, indem mehrere, unabhängige und verschiedene Personen einbezogen werden. Es heißt in diesem Text ausdrücklich: „das taten sie auch, indem sie es durch die Hand des Barnabas und Saulus an die Ältesten sandten“ (Apg 11,30). Es geht hier also in erster Linie um die Sendung des Geldes durch die genannten Personen, nicht um die Sendung von Personen.

Barnabas ist noch immer Abgesandter der Jerusalemer Gemeinde (Apg 11,22b); nun bietet sich ihm die Gelegenheit, nach Jerusalem zurückzukehren, um von der Entwicklung in Antiochien zu berichten. Paulus ist nicht in gleichem Maße wie Barnabas der Gemeinde in Jerusalem Rechenschaft schuldig; aber erstens ist er dessen engster Mitarbeiter und zweitens ist auch er von Jerusalem durch den Herrn und die Brüder ausgesandt worden (Apg 22,21; 9,30). Dies wird noch deutlicher in Apostelgeschichte 12,25a wo es heißt: „Barnabas aber und Saulus kehrten zurück nach Jerusalem, (gr. εις Ιερουσαλημ – eis Jerusalem) erfüllt habend den Dienst. Die Lesart `nach Jerusalem` gilt als die beste (Haubeck: 1997, 725). Der Formulierung: `kehrte (kehrten) zurück nach Jerusalem` begegnen wir noch an weiteren sechs Stellen bei Lukas: Lk 2,45;  24,33. 52;  Apg 1,12; 8,25; 13,13. Das `zurückkehren nach` (mit Akk.) einer Stadt, oder Region, wird noch durch weitere drei Stellen belegt (Lk 4,14;  Apg 14,21;  Gal 1,17). Dies führt zur Annahme, dass Barnabas und Saulus von Antiochien nach Jerusalem zurückgekehrt sind und nicht umgekehrt.

Sicher war das Überbringen des Geldes auch ein Dienst, aber im Kontext von Apostelgeschichte 11,22-12,25 überwiegt die eindeutige Aussendung des Barnabas nach Antiochien mit einem bestimmten Auftrag und die fast zwangsläufig daraus resultierende Rückkehr nach Jerusalem. Dass Barnabas hier an erster Stelle genannt wird, macht deutlich, dass er die Führung im Team hatte und Saulus/Paulus vorerst sein Begleiter war.

Doch auch für Paulus ist es eine willkommene Rückkehr nach Jerusalem, hat er doch damals diese Stadt nur ungern verlassen und inzwischen vieles erlebt, was er nun mitteilen will. Der Besuch in Jerusalem hat große Bedeutung. Zum einen können Barnabas und Paulus von der guten Entwicklung in Antiochien und anderen Städten berichten; die finanzielle Unterstützung aus Antiochien war ein spürbarer Beweis der Gemeinschaft unter den Gläubigen und somit eine Frucht des Evangeliums (Röm 15,27); zum anderen konnten sie in Bezug auf die weitere Missionsarbeit neue Vorschläge unterbreiten. Man kann also annehmen, dass die Gemeindeleitung in Jerusalem nach Überbringung des Geldes, Barnabas und Paulus erneut aussandte, um in Antiochien die Missionsarbeit fortzusetzen. Für Barnabas ist es eine Bestätigung, dass sein Arbeitsbereich nun außerhalb Jerusalems liegt. Für Paulus bedeutete dieser Besuch eine stärkere Einbindung in das Gesamtwerk der Gemeinde. Leider gibt es keine direkten Hinweise über Dauer und Inhalt ihres Jerusalemaufenthaltes, deswegen können wir hier nur mutmaßen. Die Anmerkung in Apostelgeschichte 12,25b „mitgenommen habend Johannes, mit Beinamen genannt Markus“ kann sich auf das erneute Verlassen Jerusalems beziehen; oder was wahrscheinlicher zu sein scheint, Markus war bereits bei der Inspektionsreise des Barnabas in Antiochien dabei und wurde nun von beiden auch wieder nach Jerusalem mitgenommen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Barnabas nicht allein nach Antiochien gegangen ist (Apg 11,22) ist sehr groß.

Gerade in diesen Zusammenhängen wird das Bemühen von Barnabas deutlich, mit viel Geduld neue Mitarbeiter für die Mission zu gewinnen.

Dieser Jerusalembesuch könnte im Jahr 44 n. Chr. gewesen sein, da die Ereignisse in Apostelgeschichte 12 (Verfolgung in Jerusalem durch Herodes Agrippa I, 37-44 n. Chr.) zwischen der Abreise von Antiochien und Ankunft in Jerusalem geschildert werden. Dieser Jerusalembesuch ist mit dem Besuch in Galater 2 nicht identisch, wie von einigen Kommentatoren angenommen wird (vgl. z.B. Tenney: 1997, 293 und Bradford: 1986, 127). Dagegen sprechen nicht nur zeitliche Gründe (siehe die Begründung in Kap. 2.5), sondern auch inhaltliche (Gal 2,5. 7-8). Zum Zeitpunkt des Jerusalembesuches von Galater 2 war die erste Missionsreise schon vorbei, bei diesem Jerusalembesuch stand sie noch bevor. Dass Lukas keine weiteren inhaltlichen Angaben zum Aufenthalt in Jerusalem macht, ist nicht verwunderlich, gibt es doch in seiner Berichterstattung immer wieder Lücken. Lukas konzentriert sich nun in seinem Bericht auf die neue Etappe der Ausbreitung des Evangeliums von Antiochien aus (Apg 13).

4.1. Vorbereitung auf die 1. Missionsreise

Paulus und Barnabas sind nun wieder zurück in Antiochien.

IMG_1943Antiochien (heute Antakya-Türkei) Blick über die Stadt vom Südhang in der Nähe der Petruskirche (Foto: P.S. 8. April 2011).

Durch den Besuch in Jerusalem haben sie neue Motivation und Bestätigung für ihren geistlichen Dienst bekommen. Das Eingebundensein in die Gesamtgemeinde ist eine gute Voraussetzung für eine gesegnete, geistliche Arbeit auf dem Missionsfeld. Den Rückhalt der Jerusalemer Leitung brauchen sie in der Gemeindearbeit in Antiochien. Lukas gibt uns nun einen Einblick in das Gemeindeleben der Antiochener. Der Beginn in Apostelgeschichte 13,1: „Es waren aber in Antiochia in der dortigen Gemeinde, Propheten und Lehrer“, macht deutlich, dass Lukas nun einen neuen Ansatz für seine weitere Berichterstattung macht. Die Gemeinde in Antiochien entwickelt sich zu einem geistlichen Knoten- und Ausgangspunkt für eine weitere Etappe der Mission in Richtung Westen. Die überwiegend aus Nichtjuden zusammengesetzte Gemeinde eignete sich gut für die Heidenmission. Die Propheten und Lehrer, die hier mit Namen genannt werden, kommen aus verschiedenen Gegenden; sie sind unterschiedlichen Alters und Standes: „Barnabas und Simeon, genannt Niger, und Luzius von Kyrene und Manaën, der mit dem Landesfürsten Herodes erzogen worden war, und Saulus“.

Der Gottesdienst hat klare geistliche Inhalte. Durch biblische Unterweisung (Apg 11,26) wird die Gemeinde mündig; durch prophetische Rede, gebunden an alttestamentliche Prophetie und neutestamentliche Erfüllung, wird der Glaube lebendig; im Fasten und Gebet wird das Suchen und Fragen der Gemeinde nach dem Willen Gottes deutlich. Die Vielzahl der geistlichen Mitarbeiter (Apg 13,1) mit ihren verschiedenen Gaben und ihrer Einheit tragen zum schnellen und gesunden Wachstum bei.

„Während sie aber dem Herrn dienten und fasteten, sprach der Heilige Geist (wohl durch einen der genannten Propheten): sondert mir nun Barnabas und Saulus zu dem Werk aus, zu dem ich sie berufen habe“ (Apg 13,2). Die Gemeinde hatte sich Zeit zum Gebet und Fasten Zeit genommen. Der Anlass zum Fasten war wohl das Fragen nach Gottes Willen. Das Reden des Heiligen Geistes durch die Propheten entsprach dem Wort und Willen Jesu (Mt  28,19f;  Apg 1,8c). Obwohl das Werk nicht näher definiert wird, wissen doch die Gläubigen, um was es geht. Die Reife der Gemeinde zeigt sich darin, dass sie sich nicht in verschiedene Diskussionen einlässt, sondern erneut im Gebet und Fasten und mit Handauflegung (wohl durch die Ältesten) den Barnabas und Saulus segnen, freistellen und für eine neue große Aufgabe beauftragen. Dass die Gemeinde bereit ist, die Apostel vorerst mit den notwendigen finanziellen Mitteln zu versorgen, die das Reisen, besonders mit dem Schiff erforderte, steht außer Frage. Die Gemeinde erbat von Gott Weisung, in welche Richtung Barnabas und Paulus gehen sollten und welche geistlichen und natürlichen Anhaltspunkte es dafür gab.

Schon bei der Berufung vor und in Damaskus (Apg 9) und der Bestätigung in Jerusalem (Apg 22,21) hatte der Herr dem Paulus die Richtung angegeben, nämlich, „Ich will dich ferne unter die Heiden senden“; doch natürlich waren dabei auch die Juden nicht ausgeschlossen. Der lebenslange Grundsatz des Paulus war es, das Evangelium dort zu verkündigen, wo Christi Name noch nicht bekannt war (Röm 15,20). Dies tat auch Jesus, der sein planmäßiges Vorgehen mit den Worten begründete: „Laßt uns anderswohin in die benachbarten Marktflecken gehen, damit ich auch dort predige; denn dazu bin ich ausgegangen“ (Mk 1,38).

Der Süden (Palästina) war durch die anderen Apostel bereits missioniert worden, im Osten/Südosten (Damaskus und Arabien) war Paulus schon. in Nordsyrien und Zilizien war erauch schon tätig (Gal 1,21-24) und diese Gegend konnte ohnehin von Antiochien aus erreicht werden. Der Westen aber, der Kern des römischen Reiches, war noch frei.

Was liegt da näher als Zypern, stammt doch Barnabas von der Nachbarinsel Zypern (Apg 4,36). Einigen Mitbegründern der Gemeinde Antiochien (Apg 11,20), die ebenfalls aus Zypern stammten, lag die Stärkung der Gläubigen auf der Insel und der weiteren Evangelisierung der Inselbewohner am Herzen. Gut möglich, dass der eine und der andere aus der Gemeinde dort Verwandte und Freunde hatte; dadurch gab es auch Kontakte/Uterkünfte. Somit konnte Gott seine geistlichen Ziele mit den verschiedenen natürlichen Gegebenheiten in Verbindung bringen.

Die Abfahrt konnte frühestens im Frühjahr mit Beginn der Schifffahrt (weil in Landnähe ca. 200 km schon im März/April) erfolgt sein, wahrscheinlich im Jahr 45 n. Chr.

4.2. Barnabas und Paulus in Salamis auf Zypern

IMG_1891Eine fruchtbare Landschaft erstreckt sich zwischen dem Gebirgszug und dem Mittelmeer westlich von Antiochien – Antakya-Süosttürkeo (Foto. P.S. 8. April 2011).

Die Apostelgeschichte berichtet, wie die Gemeinde in Antiochien Barnabas und Paulus in die Mission aussendet, nachdem diese beiden vom Heiligen Geist (wohl durch Prophetenwort) dazu berufen und ausgesondert wurden (Apg 13,3b-4a). Wie Lukas später in Apg 13,5 erwähnt, nahmen sie Johannes, mit dem Zunamen Markus als `Diener` (gr. υπηρετης–yperetes-Gehilfe) mit auf die Missionsreise. Wahrscheinlich gingen sie die etwa 30 km Strecke zu Fuß hinab nach Seleuzia, dem Mittelmeerhafen Antiochiens (Apg 13,4b). Ludwig Schneller berichtet: „fünf Fußstunden sind es von Antiochien bis Seleuzia. Unter den Trümmern der Stadt sieht man noch zwei Hafenmolen, die ins Meer hineinreichten“ (Schneller: 1926, 85). Die Strecke von Seleuzia nach Salamis auf Zypern betrug etwa 200 km und konnte bei günstigen Windverhältnissen in zwei Tagen bewältigt werden (vgl. Apg 16,11: Troas-Neapolis ca. 200 km in zwei Tagen).

Zypern ist die drittgrößte Mittelmeerinsel und liegt im Nordosten des Mittelmeeres. „Die Insel kam 58 v. Chr. unter römische Herrschaft. Nach der Schlacht bei Aktium 31 v. Chr. hatte Augustus sie in Besitz genommen, ihre Verwaltung aber nach zehn Jahren in die Hände des römischen Senats gelegt“ (Bradford: 1986, 130). Von der antiken Hafenstadt Salamis im Osten der Insel, sind heute noch viele Überreste sichtbar, auch vom antiken Hafen.

IMG_4423Die Reste des antiken Hafens von Salamis liegen meist unter Wasser. Eine noch gut erhaltene Marmortreppe führte hinauf in die Stadt (Foto: P.S. 7. Januar 2012).

Die ausgegrabenen Objekte der einstigen Stadt zeugen von einer blühenden Vergangenheit. Sie liegt  fünf Kilometer nördlich vom heutigen Famagusta  (Magusa-Nordzypern). Lukas berichtet weiter: „Und als sie in Salamis waren, verkündigten sie das Wort Gottes in den Synagogen der Juden (Apg 13,5b). Allein die Tatsache, dass es in dieser Stadt mehrere Synagogen gab, spricht für einen beträchtlichen jüdischen Bevölkerungsanteil. „Dies kam wohl auch daher, dass Herodes der Große längere Zeit von Augustus das Monopol für die Ausbeutung der Bergwerke auf Zypern gepachtet hatte und somit auch viele Juden auf die Insel anzog“ (Schneller: 1926, 86). Die Tatsache, dass Barnabas und Paulus in mehreren Synagogen ohne Widerstand predigten, spricht indirekt dafür, dass sie wohlwollend aufgenommen wurden, dass man auf sie hörte und dass sie längere Zeit dort blieben. Barnabas und Paulus hatten keinen Grund zur Eile; ihr Aufenthalt konnte mehrere Wochen gedauert haben. Die Kürze des Berichts bedeutet nicht, dass sie schnell weitergezogen sind.

Auf Zypern muss es schon Gläubige gegeben haben, die durch die Predigt der Zerstreuten aus Jerusalem gewonnen wurden (Apg 11,20). Es wäre höchst ungewöhnlich, wenn deren Zeugnis ohne Frucht geblieben wäre. Hier können wir uns ein Wiedersehen des Barnabas mit seinen Bekannten aus der Jerusalemer Zeit wohl vorstellen. Das Stillschweigen des Lukas über Auswirkungen der Predigt des Evangeliums in Salamis bedeutet nicht, dass sie keinen Erfolg hatte. Barnabas und Paulus konnten hier die Gläubigen stärken und neue Menschen für den Glauben an Jesus Christus gewinnen.. Johannes-Markus hat wohl auf dieser Reiseetappe guten Dienst getan, erinnert uns doch Lukas gerade an dieser Stelle an ihn (Apg 13,5). Johannes-Markus konnte für das Gepäck, die Unterkunft, verschiedene Besorgungen und natürlich auch für geistliche Aufgaben eingesetzt werden. Gerade er hatte als Augenzeuge gute Kenntnisse von den Ereignissen in Jerusalem (Mk 14,51; Apg 12,12).

Die zwei frühchristliche Kirchen aus dem 5. Jh. auf dem Ausgrabungsgelände in Salamis belegen, dass es in den Jahrhunerten avor in der Stadt und auch wohl in der Umgebung viele Christen gegeben hat. Die zahlreichen Kirchenruinen aus den 4-6. Jahrhundert in der Umgebung und auf der Halbinsel Karpasia zeugen zusätzlich von der raschen Ausbreitung des Evangeliums im Osten Zyperns. Der Dienst der beiden Apostel brachte reiche geistliche Frucht.

Bild 261Die Reste der großen  Kirchenbasilika `Kampanopetra` in Salamis aus dem 5. Jh. (Foto: P.S.11. März 2008).

 

 

 

 

Bild 227Frühchristliche Kirche `Epiphania` in Salamis mit einem gut erhaltenen kreuzförmigen Taufbecken (Foto: P.S. 11. März 2008).

Eines Tages jedoch macht sich das Missionsteam wieder auf den Weg in den Südwesten der Insel, nach Paphos

4.3. Die Bekehrung des Sergius Paulus in Paphos

100_2464Reste der Stadtmauer in Paphos aus römischer Zeit (Foto: P.S. 7.  Januar 2005).

Lukas schreibt in seinem Bericht über das Missionsteam: „Als sie aber die ganze Insel durchzogen haben bis Paphos“ (Apg 13,6a). In der Luftlinie lagen diese zwei Städte etwa 150 km voneinander entfernt, so dass diese Strecke unter Umgehung des zentralen Troodos-Gebirges schon in fünf bis sechs Tagen zu bewältigen gewäsen wäre. Aber das `Durchziehen` schließt Zwischenstopps nicht generell aus. Es gab schon in der ‚Antike mehrere wichtige Städte auf der Insel, von denen Barnabas und Paulus auf ihrem Weg einige besucht haben könnten.

IMG_0164Überblick über die Ruinen der frühchristlichen Bischoffskirche in Kurion aus dem 4/5. Jh., östlich von Paphos. Auch in dieser Kirche ist ein kreuzförmiges Taufbecken gut erhalten geblieben (Foto: P.S. 2. Februar 2010).

Andererseits zog es Paulus immer wieder in die jeweiligen Zentren der Regionen, so auch hier auf Zypern. Paphos war die Verwaltungshauptstadt der Insel mit dem Sitz des römischen Prokonsuls (Apg 13,7).

100_2460Eine noch gut erhaltene römische Wasserleitung in Paphos (Foto: P.S.  7. Januar 2005).

Es ist auffallend, dass Lukas von der für Paulus und Barnabas üblichen Vorgehensweise, nämlich zunächst in die Synagoge zu gehen, nichts berichtet, sondern uns dafür ein erstaunliches Ereignis im Palast des Prokonsuls schildert.

Barnabas und Paulus treffen in der Stadt auf einen Juden, der im Dienste des römischen Prokonsuls war. Dieser Jude war ein Zauberer (gr. μαγος – magos) und nach der Beurteilung des Paulus ein falscher Prophet. Sein Name `Barjesus` (Sohn des Jesus) hat ihm in seiner Tätigkeit wohl noch zusätzlichen Auftrieb gegeben (in Anlehnung an Josua den Sohn Nuns (Josua 1,1) und Jeschua den Hohepriester Hag 1,12). Menschen wie er beobachten Entwicklungen in der Stadt, neue Menschen und insbesondere neue Lehren sehr aufmerksam (vgl. Simon den Zauberer in Apg 8,9-12). Die Apostel müssen wohl in der Stadt schon gepredigt haben, sonst wäre die Aufmerksamkeit und das Interesse des Prokonsuls nicht zu verstehen. Jedenfalls erreichte die Nachricht von den neu angekommenen jüdischen Lehrern bald auch den Regierungspalast. Sergius Paulus war vom römischen Senat als Prokonsul auf Zypern eingesetzt worden. „Prokonsul  (gr. anqupatoV – anthypatos) römischer Statthalter, der eine Provinz, die dem Senat unterstellt war, verwaltete“ (Tenney: 1979,  33). Dass Lukas an dieser, wie an einigen anderen Stellen, solche Details wie Namen und exakte Amtstitel nennt, spricht sowohl für seine guten Kenntnisse der damaligen Welt als auch für die Zuverlässigkeit und Überprüfbarkeit seines Berichtes. Dieser Sergius Paulus wird als verständiger Mann charakterisiert, „der wünschte (suchte, strebte danah) Gottes Wort zu hören“. Zu diesem Zweck rief er Barnabas und Paulus zu sich. Zu jeder Zeit und unter allen Volksgruppen gab es Menschen, die mit den üblichen, im Alltag verankerten Praktiken des Heidentums nichts anfangen konnten (Apg 10,1-2). Jemand der Gottes Wort zu hören wünscht, hat grundsätzlich Sehnsucht nach Wahrheit (Apg 10,33). Nicht Neugier also, sondern aufrichtiges Suchen scheint diesen Mann zu bewegen. Doch wie so oft, ist auch der Seelenfeind aktiv dabei, um suchende Menschen von Gott abzuhalten, ja sie sogar verunsichern und durcheinanderbringen. „Elymas aber, der Zauberer – denn so wird sein Name übersetzt -, widerstand ihnen und suchte den Prokonsul vom Glauben abwendig zu machen (Apg 13,8). Den beiden Aposteln hat dieser Magier jedoch nichts wirksames entgegenzusetzen, seine Zaubereien sind keine besseren Alternativen mehr. Doch von der Kraft der Lehre des Herrn im Inneren getroffen, entscheidet er sich gegen Gott. Er sucht sein Ansehen beim Prokonsul und damit auch seine gute Einnahmequelle zu retten. Elymas setzt all seine Überredungskunst ein, um den Prokonsul abzulenken. Wahrscheinlich war  Barnabasbis dahin der Wortführer. Paulus, der bis dahin von Lukas immer mit seinem hebräischen Namen `Saul` angesprochen wurde, wird vom Heiligen Geist erfüllt und bevollmächtigt, das Innere des Herzens dieses falschen Propheten zu offenbaren. „Saulus aber, der auch Paulus heißt, voll Heiligen Geistes, sah ihn an und sprach: Du Sohn des Teufels, voll aller List und aller Bosheit, du Feind aller Gerechtigkeit, hörst du nicht auf, krumm zu machen die geraden Wege des Herrn? Und nun siehe, die Hand des Herrn kommt über dich, und du sollst blind sein und die Sonne eine Zeit lang nicht sehen! Auf der Stelle fiel Dunkelheit und Finsternis auf ihn, und er ging umher und suchte jemanden, der ihn an der Hand führte“ (Apg 13,9-11).

Gemäß seiner prophetischen Gabe (Apg 13,1) kann Paulus ein Gericht verkündigen, welches auf der Stelle eintrifft (Apg.  Einige Details fallen bei diesem Geschehen auf:

  • Paulus richtet seinen Blick fest auf den Zauberer. Das griechische Wort `ατενισας – atenisas` – gespannt hinsehen, angespannt sehen auf) kommt auch an einigen anderen Stellen der Apostelgeschichte vor (so z.B. in 14,9; 23,1). Wenn man jemand gut verstehen will, muss man ihm auf die Lippen schauen; wenn man jemand etwas Wichtiges sagen will, muss man ihm in die Augen schauen. Paulus schaut dem Mann in die Augen, denn sein Blick ist frei von Argem und er will diesen Menschen in seinem Herzen treffen. Sicher hat dieses scharfe, ernste, vom Geiste Gottes durchdrungene Hinsehen nichts mit Hypnose zu tun, sondern ist Ausdruck der Vollmacht Gottes. Äußerlich scheint Elymas einen für damals akzeptablen, sogar anerkannten Dienst zu tun, doch nun wird das Verborgene des Herzens offenbar und es gibt nichts, was in den Augen Gottes gut wäre.
  • Voll Arglist und Bosheit ist er,
  • ein Feind aller Gerechtigkeit,
  • ein Sohn des Teufels – dies ist die Bestandsaufnahme.

Paulus wirft ihm fragend vor: „Willst du nicht aufhören, die geraden Wege des Herrn zu verkehren“ (Apg 13,10)? Die innere Einstellung des Elymas wird hier offenbart. Er hatte die Chance zur Umkehr während der Predigt der Apostel nicht genutzt. Doch die Strafe wird nicht sein ganzes Leben lang andauern, sondern nur bis zu einem bestimmten Zeitpunkt – gr. `μεχρι καιρος` – bis zu einer (von Gott bestimmten, oder durch Buße begrenzte) Zeit. Es ist möglich, dass Elymas sich später zu Gott bekehrte und wieder sehend wurde. Zunächst jedoch muss er jemanden suchen, der ihn an der Hand leitet. Irgendwie erinnert diese Geschichte an das Erleben des Paulus, der viele von Christus wegbringen wollte, der auch (für drei Tage) geblendet wurde und der durch Einsicht wieder sehend wurde, so dass Gott ihn als sein Werkzeug einsetzen konnte.

„Dann, als der Prokonsul sah, was geschehen war, glaubte er, erstaunt über die Lehre des Herrn“ (Apg 13,12). Für Paulus mag diese Bekehrung eines hohen römischen Beamten ein Schlüsselerlebnis gewesen sein. Gott sprach zu Ananias über Paulus: „Geh nur hin; denn dieser ist mein auserwähltes Werkzeug, dass er meinen Namen trage vor Heiden und vor Könige und vor das Volk Israel“ (Apg 9,15). Man kann sich zudem vorstellen, dass dieses Ereignis sich günstig auf die weitere Mission in Paphos und auf der ganzen Insel auswirkte. Ab diesem Zeitpunkt ist auch eine Veränderung im Missionsteam festzustellen. Paulus zog nicht eigenmächtig die Führung an sich, sondern der Heilige Geist hat an dieser Stelle die Verantwortung aufgrund der geistlichen Entwicklung bei Paulus und wegen des Planes, den Gott mit ihm hatte, von Barnabas auf Paulus übertragen. Zu sehen und mitzuerleben, wie Gott den jüngeren, begabten Freund und Bruder fördert und befähigt, erfordert große geistliche Reife. Barnabas ist zu dieser Umstellung bereit; er zieht sich nicht beleidigt zurück, sondern begleitet Paulus auf der weiteren Reise und erlebt Gottes wunderbares Wirken.

Die Auswirkungen der Evangelisation in Paphos (Pafos) und Umgebung sind an den zahlreichen Kirchengebäuderesten aus dem 4-6. Jahrhundert zu erkennen.

IMG_0273 Die Ag. Kyria- Kirche in Paphos, erbaut auf den Fundamenten der ältesten, ursprünglich  siebenschiffigen  Kirche auf Zypern aus dem späten 4. Jh. (Foto: P.S. 3. Februar 2010).

IMG_0291Eine griechische Inschrift im Mosaikfußboden der Kirche in Paphos, die lautet: „Ich bin der wahre Weinstock„- Joh 15,1 (Foto: P.S. 3. Februar 2010).

So wird das Evangelium sich in den ersten Jahrhunderten auf der gesamten Insel ausgebreitet haben.

IMG_0090Reste einer frühchristlichen Kirche am Kap Drepanon, etwa 30 km nördlich von Paphos mit einem noch sehr gut erhaltenen kreuzförmigen Taufbecken (Foto: P.S. 1. Februar 2010).

Neben der traditionellen orthodoxen Kirchen gibt es heute in und um Paphos herum mehrere verschiedene Freikirchen, sowohl griechisch,- als auch englischsprachig.

Wie lange die Aposel auf Zypern verbrachten, lässt sich durch folgende Faktoren zeitlich in etwa eingrenzen.

  • Bei der Mission in den genannten Städten Salamis und Paphos sind keinerlei Verfolgungsaktionen seitens der Juden oder staatlicher Behörden bekannt. Sie mussten also die Insel nicht vorzeitig verlassen.
  • Das Werk zu dem sie ausgesandt waren, war jedoch viel zu umfassend, als dass sie zu lange auf der Insel geblieben wären. Wenn sie jedoch auf Zypern nicht überwintern wollten, mussten sie die Insel im Frühherbst verlassen, da der Schiffsverkehr im gesamten Mittmeerraum während der Wintermonate ruhte. Als relativ sichere Schiffahrtssaison galt die Zeit von Ende Mai bis Mitte September.

Ihr nächstes Ziel war Perge in Pamphylien.

4.4. In Perge verlässt Markus das Missionsteam

100_2484Der Hafen in Paphos, von dem aus das Missionsteam nach Attalia (Antalya) segelte (Foto: P.S. 7. Januar 2005).

Von Paphos aus bot sich den Missionaren die Gelegenheit nach Nordwesten zu segeln. Im Text des Lukas lesen wir: „Als aber Paulus und seine Begleiter von Paphos abgefahren waren, kamen sie nach Perge in Pamphylien“ (Apg 13,13a). Es fällt gleich auf, dass Paulus ab jetzt im Team immer als erster genannt wird. Aufgrund anderer Textzeugnisse hatte es in der Regel immer mit der Leitung des Teams zu tun (Apg 1,13; 3,1. 4; 4,13. 19 – Petrus und Johannes). Die Seestrecke von Paphos nach Attalia, etwa 270 km, konnte bei günstigen Windverhältnissen in einigen Tagen bewältigt werden. In der Regel fuhren die Schiffe entlang der heutigen kleinasiatischen Küste. Die Apostel kamen zunächst im Hafen von Attalia (heute Antalya) an.

Bild 143Der Hafen in Antalya mit seinen Fischer- und Ausflugsbooten ist ein Naturhafen und liegt an der gleichen Stelle, wie der antike Hafen. Hier kamen Paulus Barnabas und Markusan (Foto: P.S. 8. März 2008).

Von Atalia zogen sie in das etwa 15 Kilometer weiter nordöstlich gelegene Perge.

Pamphylien, Küstenregion im südlichen Kleinasien zwischen Lyzien und Zilizien. Von 43 bis ca. 68 n. Chr. Teil der römischen Provinz Pamphylia/Lycia (Haubeck 1997, 619 mit Bezug auf Bruce: Kommentar zu Apg 13, S 300).

Seit Antonius gehörte Pamphylien, Westzilizien, Isaurien, Pisidien und Lykaonien zur röm. Provinz Galatien“ (Schneller: 1926, 95).

Die zahlreichen gut erhaltenen Monumente, wie  das Stadion, das Theater, die römischen Bäder und in weiten Teilen gut erhalktene Stadtmauer, zeugen von der einstigen Bedeutung der ehemalgen Provinzhauptstadt.

IMG_3343An einer Strassenseite der antiken Stadt Perge ist in den beiden oberen Zeilen der Stadtname `ΠΕΡΓΗ – PERGE`eingemeißelt (Foto: P.S. 3. März 2008).

 

 

 

 

IMG_3329Von Marmorsäulen gesäumte und gepflasterte Strasse im Zentrum von Perge. (Foto: P.S. 3. März 2008)

 

 

 

 

Lukas berichtet nichts über eine missionarische Tätigkeit der Apostel in dieser Stadt. Verutlich zog es den Paulus in die Provinzhauptstadt Galatiens – das Pisidische Antiochia. Die Überquerung der hohen Pässe des Taurusgebirges war in den späten Herbstmonaten in der Antike nicht mehr möglich.

IMG_1559Noch bis in dem April hinein ist das Überqueren des Taurusgebirges ein nicht ungefährliches Unterfangen (Foto: P.S. 6. April 2011).

Ludwig Schneller berichtet: „Auch der Straßenbau, sonst ein besonderer Ruhm der römischen Regierung, war in diesen Gegenden nur auf das notdürftigste beschränkt. Wo es, wie hier im Cestrustal, die militärischen Zwecke nicht durchaus erforderten, war gar nichts geschehen. An den notwendigsten Stellen führten, wie Strabo berichtet, Brücken über den Cestrus.“ (Schneller: 1926, 91).

Im Text hebt Lukas hervor, das Johannes-Markus sich hier von Paulus und Barnabas trennte und nach Jerusalem zurückkehrte (Apg 13,13b). Über die Gründe für diese Trennung kann nur gemutmaßt werden. Ausgehend von der scharfen Auseinandersetzung zwischen Paulus und Barnabas wegen Markus, kurz vor der zweiten Missionsreise (Apg 15,38) und der Begründung, die Paulus für seine Haltung anführt, müssen bei Markus, zumindest aus der Sicht des Paulus, keine zu entschuldigenden Gründe vorgelegen haben. Doch was könnte Markus bewogen haben eine solch schwerwiegende Entscheidung getroffen zu haben? Hier einige Überlegungen:

  • Der Entschluss der Apostel, noch vor Wintereinbruch über die nicht ungefährliche hohe Passstrasse nach Antiochien in Pisidien zu gelangen, – Gefahren.
  • Spätestens hier war abzusehen, dass bei Fortsetzun der Reise, eine Rückkehr nicht so schnell erfolgen wird – Heimweh?
  • Dass sein Onkel Barnabas nicht mehr wie bisher die Leitung des Teams innehatte und er daher weniger in die Planung einbezogen war – weniger Einflussnahme?
  • Er wurde mitgenommen als Diener, hatte jedoch keine spezielle oder ausdrückliche Berufung – Minderwertigkeitsgefühle?

Was auch immer es für Gründe gab, aus der Sicht des Paulus verlor Markus fortan die Eignung zum Dienst. Hat nicht auch Jesus gesagt: „Niemand, der seine Hand an den Pflug gelegt hat und zurückblickt, ist tauglich für das Reich Gottes“ (Lk 9,62)? Paulus ist in Markus enttäuscht, Barnabas litt darunter. Die Frage, die sich hier aber stellt, ist nicht, wie das Verhalten des Markus zu beurteilen ist (uns sind ja die wahren Motive nicht bekannt) sondern wie man in solchen Fällen mit einem Mitarbeiter umgeht. Die spätere Einbindung des Markus in weitere Missionsarbeit lehrt uns jedoch, niemandem vorschnell die Eignung zum Dienst abzusprechen. Nach einigen Jahren bekam Markus durch Barnabas eine zweite Chance und dies führte bei ihm zu einer guten geistlichen Entwicklung, so dass er zu einem noch späteren Zeitpunkt auch für Paulus nützlich werden konnte (vgl. Apg 15,39 mit 2Tim 4,11).

Doch gerade jetzt, wo es schwierig wurde und man den jungen Mann gut gebrauchen konnte, verlässt er das Team und zieht nicht mit zum Werk des Dienes (Apg 15,38).. Aber Paulus und Barnabas lassen sich von ihrem weiteren Weg nicht abbringen: „Sie aber zogen von Perge aus hindurch und kamen nach Antiochia in Pisidien“ (Apg 13,14a).

Kapitel 5

 

 

 

 

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Die Sprachenrede Gabe –ein ZEICHEN – für wen ?

Abbildung 1 „Mose redete, und Gott antwortete ihm mit einer lauten Stimme. Und der HERR stieg auf den Berg Sinai herab, auf den Gipfel des Berges, und der HERR rief Mose auf den Gipfel des Berges, und Mose stieg hinauf. Und der HERR sprach zu Mose“ (2Mose 19,19b-21a). Ein Berg aus schwarzem Basalt in der Sandwüste des Wadi Rum im Süden Jordaniens (Foto: P. Schüle 6. November 2014).

Einleitung

Es gibt kaum einen anderen Bereich in der Ausübung der Frömmigkeit unter den Christen, der mehr Aufsehen erregt, als die sogenannte `Zungenrede`. Warum ist die Äußerung dieser Geistes- und Gnadengabe für die einen ein Muss als Zeichen der Geistestaufe, während diese von anderen völlig abgelehnt wird? Während die Kontraste innerhalb der Gottesdienste oft nicht größer sein können, ist die Lebensführung im Alltag, sowohl bei den einen als auch bei den anderen, sehr ähnlich – von geistvoll bis geistleer. Die vorliegende Studie ist ein Versuch, die biblischen Texte und die damit verbundenen Geschichten sorgsam zu erforschen und wenn möglich Schlüsse daraus zu ziehen. Die Reihenfolge der einzelnen Textabschnitte ist grundsätzlich chronologisch, ebenso wie sie in den Schriften des Alten- und Neuen Testamentes aufgeschrieben wurden.

Begriffe erklärt:

  • glössa – a) Zunge als Körperglied mit Mehrzweckbestimmung, b) Zunge als Sprache.

lalia – die Rede, Redensart, Sprache, Aussprache, das Gesagte, das Gesprochene.

  • eteroglössois – in/mit anderen Zungen/Sprachen (anderssprachig).
  • cheileön – (im Pl.) – Lippen (oft auch als Synonym für Sprache gebraucht).
  • etero – das andere.
  • dialektos – Dialekt – Mundart (der Begriff wird gebraucht, um eine deutlichere Unterscheidung oder Eingrenzung bei einer bestimmten Sprache auszudrücken. Z. B. `ebraidi dialektö – im hebräischen Dialekt).

Machen wir uns nun auf den Weg und erforschen die Bibel auf die oben gestellte Frage hin.

1. Teil: Die Sprache – Gottes Gabe an die Menschen und deren Verlust

Die Sprache und Sprechfähigkeit kommt von Gott (1Mose 1-4; 2Mose 4,11). Diese Sprache war

vollkommen, verständlich und durch sie konnte der Mensch alles ausdrücken, was er dachte, empfand, sah und anderen mitteilen wollte. In dieser Sprache verständigte sich Gott mit Adam, Eva und auch deren Kindern und späteren Nachkommen (1Mose 2; 3; 4; 6-9). Noah und seine Familie verständigten sich in dieser Sprache auch noch Jahrzehnte wenn nicht gar Jahrhunderte nach der Sintflut.

Beim ersten Städte- und Turmbau hatten alle Menschen nur eine Sprache, so in 1Mose 11,1 nach LXX: „Und die ganze Erde war (und es hatte die ganze Erde) eine Lippe und eine Stimme überall“. Diese Tatsache eröffnete den Menschen fast grenzenlose Möglichkeiten zur schöpferischen Entfaltung. Und sie machten Gebrauch davon, indem sie beschlossen eine Stadt und einen Turm zu bauen um zusammenzubleiben, anstatt sich zu zerstreuen und die Erde in Besitz zu nehmen, wie Gott es angeordnet hatte (1Mose 1,22. 29; 9,1.7). Der Anführer war Nimrod, ein Enkel von Ham und Urenkel von Noah, der in der Bibel als erster Herrscher bezeichnet wird. Er hatte die Idee zum Städtebau verwirklicht (1Mose 10,6-10). Die Reaktion Gottes ließ nicht lange auf sich warten. So lesen wir in 1Mose 11,6 nach der LXX: „Und der Herr sprach: siehe, ein Geschlecht und eine Lippe bei allen.“ Nach dieser Feststellung reagiert Gott mit einer Veränderung im Bereich der Sprache. 1Mose 11,7 nach  LXX: „Kommt (auf) und herabgefahren, verwirren wir dort ihre Zunge/Sprache, damit keiner die Stimme seines Nächsten höre (verstehe).“ Der griechische Begriff `syncheömen` wird meist mit `verwirren‘ übersetzt. Da dieser Begriff in dieser Schreibweise und grammatischen Form nur ein einziges Mal vorkommt, suchen wir des besseren Verständnisses wegen nach der gleichen Wortwurzel in anderen Texten. Wir finden im Propheten Joel (3,1-2) das Verb `ek-cheö  – aus-gießen, aus-schütten`. Genau so bei der Erfüllung dieser Prophetie in Apostelgeschichte 2,17.18.33. Bemerkenswert ist, dass gerade an Pfingsten für die Ausgießung des Heiligen Geistes dieselbe Wortwurzel `ek-cheö ` gebraucht wird, wie bei der Verwirrung der Sprache zur Zeit des Nimrod. In der Geschichte mit dem Verschütten/Ausschütten des Wechselgeldes im Tempel durch Jesus, wird das gleiche Verb benutzt wie bei der Sprachverwirrung, nur im Singular und der Vergangenheitsform. In Johannes 2,15 steht: `ex-echeen to kerma – er schüttete das Geld aus`. In 1Mose 11,9 steht: `ekei syn-echeen – dort verwirrte er` ebenfalls im Singular undVergangenheitsform. Bei dem Begriff `συγ-χέω-μεν – syn-cheö-men` (1Mose 11,7) deutet die Endung `men` auf den Plural des Verbes (auch Plural des Handelnden hin, hier ist es Gott und die Vorsilbe `syn` auf ein Zusammenschütten, also vermischen, verwirren. Auch das hebräische Verb `balal` bedeutet `durchmischen`. Gott hat also damals nicht viele verschiedene und neue Sprachen gegeben (wie ‚Neues Leben‘ übersetzt), sondern die eine, für alle Menschen verständliche Sprache verwirrt, vermischt, vermengt, unkenntlich unverständlich gemacht. Vorstellbar wäre, dass er das grammatische Gerüst/System, die sprachliche und logische Gesetzmäßigkeit dieser einen Sprache entzogen hat. Vergleichbar mit: wie wenn ein großes, schönes zweckmäßig ausgestattetes, bewohnbares Gebäude durch Einsturz zu einem Schutthaufen zusammenfällt. Weil die Menschen in ihrem Hochmut, Größenwahn, Stolz und Überheblichkeit, Gottes Sprache-Gabe für ihre eigenen Ziele missbrauchten, entzog er ihnen diese Gabe der Verständigung. Daher wurde diese Stadt `Babel` genannt (1Mose 11,9), weil daselbst der Herr ihre Sprache/Lippe verwirrte, (LXX: `syn-echeen kyrios ta cheil¢ `.

Nun formten die Menschen in ihren jeweiligen Wohngebieten neue Hilfsmittel zur Verständigung in Sprache und Schrift.

2. Teil: Die Entstehung der hebräischen Sprache und Schrift

Die Ausführungen in diesem Abschnitt beruhen nicht auf wissenschaftlichen Forschungen, sie sind lediglich Beobachtungen, welche aus den Texten des Alten Testamentes abgeleitet werden können. Sie tragen jedoch wesentlich dazu bei, die geistliche Dimension der von Gott geschaffenen und an die Menschen geschenkten Gabe der Sprache und Schrift, zu erkennen. Denn wie das Volk Israel selbst aus den Völkern herausgerufen wurde, so bildete/formte Gott für dieses Volk eine eigene Sprache/Dialekt, welche sich schon deutlich von den anderen abgrenzte. Diese Abgrenzung war nicht so sehr im Vokabular selbst (ist sie doch der Aramäischen und Arabischen verwandt), sondern vielmehr im Inhalt der Begriffe. Der besondere kollektive, aber auch persönliche Gottesbezug durchdrang die Sprache der Israeliten. Denn wie die Schrift, die Gott Mose auf dem Sinai gab, heilig war, sollte auch die Sprache seines Volkes gereinigt werden, bzw. frei sein von Elementen, welche den Götzendienst, Aberglauben und die sittenlose Lebens- und Ausdrucksweise der Völker durchdrang. Natürlich blieb zwischen den Heiligen Schriften und der Sprache des Volkes Israel immer wieder eine gewisse Diskrepanz, doch bestand immerhin die Möglichkeit einer Rückbesinnung auf die Schrift und die daraus fließende Reinigung der Sprache im Alltag.

Abraham war Semit (Nachfahre Sems) und brachte aus Ur in Chaldäa die dortige Sprache (wahrscheinlich Chaldäisch) mit nach Haran (Nordwestmesopotamien). Da Abraham und seine Familie dort längere Zeit lebten (bis zum Tod seines Vaters Terach, Apg 7,4), lernten sie auch noch den ostaramäischen Dialekt. In Kanaan wohnte er mit seiner Familie unter den Nachkommen Hams. Und auch hier lernten sie noch aus örtlichen Dialekten dazu. Es fällt auf, dass sie sich relativ gut mit der einheimischen Bevölkerung verständigen konnten (1Mose 14,13. 18ff; 20,1ff). Sogar in Ägypten konnte Abraham sich mit Pharao und seinen Untertanen verständigen (1Mose 12,15-19).

Zur Zeit Josefs unterschied sich die hebräische Sprache eindeutig von der ägyptischen, denn Josef verständigte sich mit seinen Brüdern mittels eines Dolmetschers (1Mose 42,23). Die hebräische Sprache formte sich wohl erst richtig in der Wüste, fern von anderen Volksgruppen. Gott redete mit Mose in der für ihn bekannten Sprache. Natürlich verstand Mose außer Ägyptisch und Hebräisch auch noch andere Sprachen, war er doch gelehrt in aller Weisheit der Ägypter (Apg 7,22). Durch das Reden Gottes auf dem Berg Sinai und die von Gott selbst hergestellten und beschriebenen zwei steinernen Tafeln des Zeugnisses mit den Zehn Geboten formte sich die hebräische Sprache und Schrift weiter (2Mose 31,18; 5Mose 9,10). Aber nicht nur die Zehn Gebote, sondern auch alle weiteren Gesetze und Anordnungen für den Gottesdienst und den Alltag, die Gott dem Mose in mündlicher Form mitteilte, schrieb dieser auf Anordnung Gottes in ein Buch (wahrscheinlich Papyri) – das Buch des Gesetzes (2Mose 17,14; 24,4; 34,1. 22; 4Mose 33,2; 5Mose 5,22; 10,4; 31,9. 24). Die direkte und aktive Einflussnahme Gottes auf Sprache und Schrift, trug wesentlich zu deren Reinigung und Abgrenzung von anderen Sprachen bei. Zeitgleich vollzog sich auch eine Klärung der Identität dieses Volkes:

  • Sie hatten Gottes Berufung in einen Sonderstatus unter den Völkern,
  • Sie hörten mit ihren Ohren Gottes Stimme vom Berg Sinai,
  • Sie hatten eine Sprache und Schrift, die sie mit Gottes Offenbarung am Sinai verband.

Die Berufung durch Gott aufgrund der Verheißungen an die Väter, die Schriftoffenbarung und die einheitliche Sprache begründeten ihre Identität. Auf diesem Hintergrund können wir die folgenden Geschichten im Zusammenhang unseres Themas besser verstehen. Zwei Beispiele:

  1. Der Verlust bzw. die Beeinträchtigung der hebräischen Sprache zum Beispiel durch Heirat mit ausländischen Frauen stellte für den Reformer Nehemia ein großes Problem dar (Neh 13,26-27). Er erinnert seine Landsleute an den Gesetzesbruch Salomos, der es liebte, ausländische Frauen nach Jerusalem in seinen Harem zu holen (1Kön 11,1-8). Diese Frauen brachten nicht nur ihre kulturellen und religiösen Elemente mit sich in die israelitische Oberschicht, sondern auch ihre Sprachen, welche mit vielen verderblichen Elementen durchsetzt waren.
  2. Als Rapschake, der syrische Feldherr, vor den Mauern Jerusalems den Gott Israels in hebräischer (jüdischer) Sprache verhöhnte, baten ihn die Verantwortlichen aus Juda: „Rede mit deinen Knechten Syrisch (Aramäisch), denn wir verstehen‘s und rede nicht Jüdisch (Hebräisch) vor den Ohren des Volks, das auf der Mauer ist.“ (2Kön 18,26; Jes 36,11).

Zum einen wird hier deutlich, dass die Oberschicht in Juda durchaus sprachgewandt war, denn sie verstand das Aramäische. Zum anderen war das Hebräische für das gemeine Volk die Muttersprache. In diesem Fall handelte es sich um Missbrauch der hebräischen Sprache gegen Gott und die Einwohner von Juda (Jerusalem) von Seiten der Assyrer.

Im Jahre 722/21 wurde das Nordreich Israel mit der Hauptstadt Samaria durch Salmanassar nach dreijähriger Belagerung erobert (2Kön 18,9-12). Die Bewohner wurden nach Medien weggeführt und dort angesiedelt. In der Fremde verlor sich auch bald ihre Sprache. „Der König von Assyrien aber ließ Leute von Babel kommen, von Kuta, von Awa, von Hamat und Sefarwajim und ließ sie wohnen in den Städten von Samarien an Israels statt. Und sie nahmen Samarien ein und wohnten in seinen Städten“  (2Kön 17,24). Von dort stammen die Samariter, welche unter Druck Teile des jüdischen Kultes übernommen hatten, gleichzeitig aber auch den Göttern ihrer Herkunftsländer opferten (2Kön 17,33). Diese Neusiedler sprachen natürlich ihre eigenen Sprachen oder Dialekte.

Im Jahr 586 wurde Jerusalem nach etwa zweijähriger Belagerung durch Nebukadnezar erobert. Dabei wurde insbesondere die Oberschicht aus Juda nach Babylon und Umgebung weggeführt und dort angesiedelt. Nach dem Edikt des Kyrus (539) sind rund 50 Tausend Judäer, Benjaminiten, Leviten und Priester (einschließlich deren Sklaven und Bediensteten) nach Jerusalem (Judäa) zurückgekehrt (Esra 2,64). Inzwischen setzte sich im palästinischen Raum als Amtsprache das Aramäische durch (Esra 4,7). Doch das Hebräische hörte nicht auf, denn gerade in der Diaspora pflegten die frommen Juden die Schriftlesung und Schriftauslegung. Auch im Heimatland konkurrierte das Hebräische mit dem Aramäischen. Als Esra, der Schriftgelehrte und Priester (ca. 458), aus dem Buch des Gesetzes Moses vor allem Volk vorlas, verstanden die Menschen, was gelesen und ausgelegt wurde (Neh 8,1-8). Es heißt im Text nicht, dass es übersetzt wurde, sondern dass es erklärt wurde. Natürlich kann man annehmen, dass nicht alle vom Volk die gleichen Sprachkenntnisse des Hebräischen besaßen.

Nehemia (444-433) stellt fest, dass sich einige Juden ausländische Frauen genommen hatten und die Hälfte ihrer Kinder die jüdische (hebräische) Sprache nicht mehr verstand oder sprach (Neh 13,24-27). Daraus geht hervor, dass der Großteil der jüdischen Bevölkerung um die Mitte des 5. Jh. v. Chr. immer noch Jüdisch (Hebräisch) verstand und sprach. Gerade in der nachexilischen Zeit strebten die Juden nach einer Rückkehr zu ihren Wurzeln, auch den sprachlichen.

3. Teil: Die Bedeutung der hebräischen Sprache und Schrift

Es ist erstaunlich, welchen Einfluss gerade die hebräische Sprache bzw. hebräische Schrift auf die Gesetzgebungen großer Teile der Welt hatte, sozusagen richtungsweisend für eine ganze Zivilisation wurde. Diese Popularität sagte Mose voraus, wie in 5Mose 4,5-8 geschrieben steht:

Sieh, ich habe euch gelehrt Gebote und Rechte, wie mir der HERR, mein Gott, geboten hat, dass ihr danach tun sollt im Lande, in das ihr kommen werdet, um es einzunehmen. So haltet sie nun und tut sie! Denn dadurch werdet ihr als weise und verständig gelten bei allen Völkern, dass, wenn sie alle diese Gebote hören, sie sagen müssen: Ei, was für weise und verständige Leute sind das, ein herrliches Volk! Denn wo ist so ein herrliches Volk, dem ein Gott so nahe ist wie uns der HERR, unser Gott, sooft wir ihn anrufen? Und wo ist so ein großes Volk, das so gerechte Ordnungen und Gebote hat wie dies ganze Gesetz, das ich euch heute vorlege?

Doch wie fand diese Schrift und Sprache solch eine Verbreitung und Einfluss unter den Völkern? Schon unter Salomo wusste man weit über die Grenzen des Landes hinaus von dem Gott Israels (1Kön 10,1-14). Durch die leidvolle Entwicklung des Abfalls von dem lebendigen Gott bereits unter Salomo und in größerem Ausmaß nach dessen Tod, wurde Israel zunächst im Gebiet des Zweistromlandes angesiedelt (721-538). Damit vollzog Gott, was er im Falle von Ungehorsam angedroht hatte. „Und der HERR wird euch zerstreuen unter die Völker, und es wird von euch nur eine geringe Zahl übrig bleiben unter den Heiden, zu denen euch der HERR wegführen wird. (5Mose 4,27). Mit der Expansion der Makedonier/Griechen unter Alexander dem Großen (333-322) und seiner Generäle nach ihm gingen weitere Juden in die Diaspora (Zerstreuung). Natürlich nahmen sie Abschriften ihrer Heiligen Schriften mit sich. Schon in der Zeit des babylonischen Exils bildeten sich die sogenannten Synagogen (Zusammenkünfte/Versammlungen). Dies war ein Ersatz für den Gottesdienst im Tempel in Jerusalem, der damals längere Zeit nicht in Funktion war. Auch später hatte ein Großteil der Diasporajuden zum wiederaufgebautem Tempel in Jerusalem keinen Zugang mehr.

Mit der Ausbreitung der griechischen Sprache in Kleinasien, Syrien, Mesopotamien und Ägypten sowie der gleichzeitigen Entfremdung der jüdischen Sprache unter den Juden in der Diaspora, entstand das Bedürfnis nach einer griechischen Übersetzung der hebräischen Heiligen Schriften. So entstand in der Mitte des 3. Jh. v. Chr. die griechische Fassung des Alten Testamentes – Septuaginta genannt (die lateinische Abkürzung dafür ist LXX für ‚siebzig‘). Diese fand rasche Verbreitung nicht nur unter den Exiljuden. Viele suchende Menschen aus den Völkern staunten über den Ein-Gott-Glauben der Juden, über die klaren Gesetze und Gebote für das Leben und den Gottesdienst. Es konvertierten viele zum Judentum, diese Konvertiten wurden griechisch Proselyten genannt, das heißt:  die Hinzugekommenen.

Zur Zeit von Jesus existierten im Kernland der Juden mehrere Versionen des hebräischen Alten Testamentes, die nur geringfügig voneinander abwichen. Es ist auffallend, dass Jesus auf dieses Thema in seinem Dienst nicht eingeht. Die Abweichungen müssen unwesentlich gewesen sein, der Hauptinhalt der Heiligen Schriften war übereinstimmend. Ungewöhnlich oft stützt Jesus sich auf die Schriften des Gesetzes, der Psalmen und Propheten. Und dies wirkte sich entsprechend nachhaltig auf die Abfassung, Verbreitung und Auswirkung der vier Evangelien aus. Auch der Heidenapostel Paulus scheint sich nicht an den geringen Unterschieden in den hebräischen Texten des Alten Testamentes oder den Abweichungen im griechischen Text zu stören. Als ausgezeichneter Theologe seiner Zeit benutzte er in seinen in Griechisch verfassten Briefen sogar die griechische Übersetzung des Alten Testamentes (LXX), wenn er daraus zitierte (Röm 14,11 aus LXX Jes 45,23). Somit konnten ihn die griechischsprachigen Hörer und Leser in seinen Argumentationen prüfen bzw. die Zitate nachlesen.

Auf diese Weise breitete sich der Einfluss göttlicher Inhalte von der hebräischen Sprache und Schrift weiter über die griechische Sprache und Schrift im damaligen Orient und Mittelmeerraum rasch aus. Dazu kamen Übersetzungen der Heiligen Schriften ins Koptische, Syrische, Lateinische und andere Sprachen. Bis heute sind diese Heiligen Schriften weltweit verbreitet und haben reinigende Wirkung in verschiedenen Lebensbereichen.  Hier einige Begriffe und Namen, die aus dem hebräischen Sprachgebrauch unübersetzt in andere Sprachen übernommen wurden.

Namen: Adam, Eva, Henoch, Noah, Abraham, Sara, Isaak, Rebekka, Jakob, Lea, Rahel, Josef, Benjamin, Ruben, Simon, Mose, Mirjam, Aaron, Joschua, Deborah, Jael, Samuel, Isai, Ruth, David, Jonathan, Nathan, Salomon, Elias, Elisej, Micha, Amos, Jonas, Joel, Josia, Jeremias, Nathanael, Zacharias, Elisabet, Johannes, Matthäus, Matthias, Thomas, Maria, Anna, Talita, Tabita.

Begriffe und Orte: Abba, Eli, Messias, Rabbi, Nehuschta, Eben-Ezer, Bethesda, Siloah, Gabbata, Golgatha, Amen, Halleluja, Hosianna, Maranata, Korban, Satan, Gehenna, Beelzebul, Cherubim, Seraphim, Thora, Sabbat, Passah, Schalom, Eben Ezer, Bet El, Bethesda.

Mit dem Gebrauch dieser Begriffe und Namen, werden mehr oder weniger auch die damit verbundenen biblischen Geschichten assoziiert.

Durch die Funde in Qumran haben die Schriftforscher die Möglichkeit, anhand hebräischer Texte aus den Jahrhunderten vor Christus dem Originaltext der Heiligen Schriften des Alten Testamentes sehr nahe zu kommen. Auch dies ist eine besondere Gabe Gottes an die Menschen. Kein Buch der Welt wird von so vielen Menschen gelesen wie die Bibel (die Schriften des Alten und Neuen Testamentes). Und keine Schriften der Antike haben solche Auswirkungen auf das Denken, Reden und Handeln der Menschen wie die Bibel. „Denn alle Schrift, von Gott eingegeben, ist nütze zur Lehre, zur Zurechtweisung, zur Besserung, zur Erziehung in der Gerechtigkeit, dass der Mensch Gottes vollkommen sei, zu allem guten Werk geschickt.“ (2Tim 3,16-17).

4. Teil: Warum wird Gott zu Israel in anderen Sprachen reden?

So wie die Überschrift sehr ungewöhnlich klingt, so ungewöhnlich ist auch die Tatsache, dass Gott sich dem Volk Israel in einer fremden Sprache bzw. Sprachen/Lippen mitteilen will. Diese Aussage lesen wir in dem Propheten Jesaja:

Ja, durch stammelnde (gr. φαυλισμὸνfaulismon – eigentlich: faule, unreine, verdorbene) Lippen (gr. χειλέων – cheileön) und durch eine fremde (andere) Sprache (gr. γλώσσης ἑτέραςglöss¢s eteros) wird er zu diesem Volk reden, er, der zu ihnen sprach: Das ist die Ruhe! Schafft Ruhe dem Erschöpften! Und das ist die Erquickung! Aber sie wollten nicht hören. Und das Wort des HERRN für sie wird sein: Zaw la zaw, zaw la zaw, kaw la kaw, kaw la kaw; hier ein wenig, da ein wenig; damit sie hingehen und rückwärts stürzen und zerschmettert werden, sich verstricken lassen und gefangen werden. Darum hört das Wort des HERRN, ihr Männer der Prahlerei, Beherrscher dieses Volkes, das in Jerusalem ist! (Jes 28,11-14).

Durch die Jahrhunderte redete Gott zu Israel durch die Propheten in der Klarheit und Verständlichkeit der von Gott gereinigten und geheiligten Hebräischen Sprache. Doch besonders die reiche, wohlhabende und regierende Oberschicht im Volk wollte nicht darauf hören. Deswegen kündigt Gott an, dass er ein Mittel der Verständigung gebrauchen wird, welches sehr ungewöhnlich ist. Der griechische Text in Jesaja 28,13-14 (eingeschlossen eine freie Übersetzung) lautet: „καὶ ἔσται αὐτοῖς τὸ λόγιον κυρίου τοῦ θεοῦ (und sein wird an sie das Wort des Herrn des Gottes) θλῖψις ἐπὶ θλῖψιν (Drangsal auf/über Drangsal) ἐλπὶς ἐπ‘ ἐλπίδι (Hoffnung auf/über Hoffnung) ἔτι μικρὸν ἔτι μικρόν (so ein kleinwenig, so ein kleinwenig) ἵνα πορευθῶσιν καὶ πέσωσιν εἰς τὰ ὀπίσω (dass sie hingehen und nach hinten fallen) καὶ κινδυνεύσουσιν καὶ συντριβήσονται καὶ ἁλώσονται (und zerschmettert werden, sich verstricken lassen und gefangen werden) διὰ τοῦτο ἀκούσατε λόγον κυρίου ἄνδρες τεθλιμμένοι καὶ ἄρχοντες τοῦ λαοῦ τούτου τοῦ ἐν ιερουσαλημ (deswegen hört dies Wort des Herrn, Männer der Prahlerei und Beherrscher dieses Volkes, welches in Jerusalem wohnt). Da wo die deutschen Übersetzungen im Vers 13  „zaw la zaw, kaw  la kaw“ haben, übersetzt die LXX mit: „θλῖψις ἐπὶ θλῖψιν“ (Drangsal auf Drangsal) „ἐλπὶς ἐπ‘ ἐλπίδι“ (Hoffnung auf Hoffnung). Der Text im Griechischen lässt sich zwar leichter übersetzen, bleibt aber, wie auch der Hebräische, in seiner Deutung und Anwendung schwer verständlich. Eindeutig ist, dass Gott mit dieser boshaften Führung des Volkes ins Gericht gehen wird, denn er hört sehr wohl, was sie sagen, ja, er zitiert sogar ihre boshaften, frechen Aussagen (Jes 28,14-15). Doch worauf sie ihre Sicherheit bauen, wird einstürzen, sie werden fallen und gefangen weggeführt werden.

Lesen wir weiter, was Gott sagt: „So höret nun des HERRN Wort, ihr Spötter, die ihr herrscht über dies Volk, das in Jerusalem istIhr sprecht: Wir haben mit dem Tod einen Bund geschlossen und mit dem Totenreich einen Vertrag gemacht. Wenn die brausende Flut daherfährt, wird sie uns nicht treffen; denn wir haben Lüge zu unsrer Zuflucht und Trug zu unserm Schutz gemacht. Darum spricht Gott der HERR: Siehe, ich lege in Zion einen Grundstein, einen bewährten Stein, einen kostbaren Eckstein, der fest gegründet ist. Wer glaubt, der flieht nicht“ (Jes 28,14-16). Sicher ist, dass die Verheißung Gottes, in Zion einen auserwählten Eckstein zu legen, von den Aposteln auf den Christus bezogen wurde (Röm 9,33; 1Petr 2,6-7). Ja, selbst Jesus bezog ihn auf sich in der Diskussion mit den Juden in Jerusalem (Mt 21,42-44; Ps 118,22). Nicht von ungefähr steht diese Verheißung im Textzusammenhang unseres Themas.

Der Prophet Jesaja wurde etwa um das Jahr 770 geboren und 739 (im Todesjahr des Königs Asarja/Usija) also mit etwa 30 Jahren vom Herrn zum Propheten berufen (Jes 6,1). Er übte großen Einfluss auf die Königsfamilien aus, beriet und ermahnte die Könige und Oberen in Jerusalem. Mit zum Teil harten Worten brandmarkte er das ungerechte Handeln der reichen Oberschicht in Jerusalem, aber auch in Samaria, dem Nordreich, wo etwa zur gleichen Zeit der Prophet Hosea im Auftrag Gottes wirkte. Der oben zitierte Text gibt Einblick in die Situation und den geistlichen bzw. sehr ungeistlichen Rede- und Lebensstil der regierenden Oberschicht in Juda und Jerusalem. Das Hauptproblem kann mit folgenden Worten beschrieben werden: „Sie wollten nicht hören, was Gott ihnen in ihrer, für sie sehr verständlichen hebräischen Sprache sagte“. Auf diesem Hintergrund stechen folgende Worte geradezu heraus: „Ja, durch stammelnde Lippen und durch eine fremde Zunge wird er (der Herr) zu diesem Volk reden, … Aber sie wollten (oder werden) nicht hören.“

Der Apostel Paulus zitiert als Einziger im Neuen Testament dieses Prophetenwort und zwar in einem ganz bestimmten thematischen wie auch praktischen Zusammenhang, auf den später noch im Detail eingegangen wird. Hier nur das Zitat aus 1Korinther 14,21 mit einer wesentlichen Wahrheit, die zum besseren Verstehen unseres Themas beitragen kann. „Im Gesetz steht geschrieben (Jesaja 28,11-12): »Ich will in andern Zungen und mit andern Lippen reden zu diesem Volk, und sie werden mich auch so nicht hören, (gr. εισ-ακού-σονται – eis-akou-sontai) spricht der Herr.« Es scheint, dass sich diese Prophetie in den Jahrhunderten nach Jesaja und sogar noch bis in die Zeit von Jesus nicht erfüllte. Von Jesus lesen wir nirgendwo, dass er in fremden, das heißt, in Sprachen, welche die Juden nicht verstanden, gesprochen hätte. Das er oft nicht verstanden wurde, ist bekannt. Und er hält seinen Zuhörern vor: „Warum versteht ihr denn meine Sprache (gr. λαλιαν – lalian – Rede) nicht? Weil ihr mein Wort nicht hören könnt!“ (Joh 8,43; nicht hören – 6,60: nicht verstehen – 10,20; was anderes verstehen als gesagt wurde – 12,37). Nach der Aussage des Propheten Jesaja und auch dem Zitat des Paulus, geht es um Menschen, die  nicht hören wollen, was Gott sagt (Jes 28,12b). Und das „nicht hören wollen“ ist einer der Gründe, warum Gott zu diesem Volk in anderen Sprachen reden wird. Sicher nicht um sie zu ärgern, sondern um sie aufzurütteln, um sie zum Staunen zu bringen und damit zum Hinhören. Doch gleichzeitig wird vorausgesagt, dass sie auch so nicht hören werden (Jes 28,12b; 1Kor 14,21b). Solch eine ablehnende Haltung gegenüber Gottes Reden wird besonders der führenden Schicht in Juda und Jerusalem zugeschrieben. Es gab jedoch immer eine Minderheit, welche auf Gott hörte und ihn suchte.

Doch das „nicht hören wollen“ begann schon in Ägypten (2Mose 6,9: „aber sie hörten nicht auf ihn vor Kleinmut und harter Arbeit“).

– Im Rückblick der Geschichte Israels aus der Zeit der Wüstenwanderung, beklagt und bekennt Nehemia in seinem Gebet zu Gott (um die Mitte des 5. Jh.): „und weigerten sich zu hören und gedachten auch nicht an deine Wunder, die du an ihnen tatest, sondern sie wurden halsstarrig und nahmen sich fest vor, zu ihrer Knechtschaft in Ägypten zurückzukehren.“ (Neh 9,17).

– Durch den Propheten Jesaja hält Gott seinem Volk vor: „Denn ich rief und niemand antwortete, ich redete und sie hörten nicht und taten, was mir nicht gefiel, und hatten ihre Lust an dem, woran ich kein Wohlgefallen hatte.“ (66,4).

– Und auch durch den Propheten Jeremia beklagt Gott: „Aber sie wollten nicht hören noch ihre Ohren mir zukehren.“ (7,24). „Aber sie hörten nicht und kehrten mir ihre Ohren nicht zu, sondern blieben halsstarrig, dass sie ja nicht auf mich hörten noch Zucht annähmen.“ (Jer 17,23).

– Und Sacharia beklagt: „und machten ihre Herzen hart wie Diamant, damit sie nicht hörten das Gesetz und die Worte, die der HERR Zebaoth durch seinen Geist sandte durch die früheren Propheten. Daher ist so großer Zorn vom HERRN Zebaoth gekommen. Und es ist so ergangen: Gleichwie gepredigt wurde und sie nicht hörten, so wollte ich auch nicht hören, als sie riefen, spricht der HERR Zebaoth.“ (Sach 7,12-13).

Diese Texte heben die Bedeutung des Hörens auf Gott hervor. Und sie machen deutlich, dass im Laufe der Geschichte des Volkes Israel, das „nicht hören auf Gott“ bei den meisten die Regel war und das „Hören auf Gott“ sich meistens nur auf eine Minderheit bezog. Der Apostel Paulus schreibt, dass der Glaube aus dem ‚Hören‘ (kommt), das Hören aber durch das Wort (die Aussprüche) Christi (kommt) (Röm 10,17). Das griechische Wort für hören ist  `ακοή – ako¢`, für die Verbform `ich höre – ακούω – akouö`. Das uns bekannte Wort `Akustik` kommt aus dem Griechischen – Hören.

Gott hat das Gehör, das Hörvermögen beim Menschen geschaffen und auf diesem Wege kommuniziert er mit dem Menschen. Dem Hören, Hinhören, Horchen, Aufhorchen folgt dann das Gehorchen. Das Annehmen oder Aufnehmen des Gehörten bezeichnet die Bibel als `glauben`. Weil jedoch die Israeliten so oft nicht hörten, blieb auch der Glaube aus. Weil sie nicht glaubten, verfielen sie in allerlei Arten von Aberglauben und Götzendienst.

Schon durch Mose ließ Gott sagen:

Einen Propheten wie mich wird dir der HERR, dein Gott, erwecken aus dir und aus deinen Brüdern; dem sollt ihr gehorchen. (in der LXX – ἀκούσεσθε – akouseste – hört, Imp.)  Ganz so wie du es von dem HERRN, deinem Gott, erbeten hast am Horeb am Tage der Versammlung und sprachst: Ich will hinfort nicht mehr hören die Stimme des HERRN, meines Gottes, und dies große Feuer nicht mehr sehen, damit ich nicht sterbe. Und der HERR sprach zu mir: Sie haben recht geredet. Ich will ihnen einen Propheten, wie du bist, erwecken aus ihren Brüdern und meine Worte in seinen Mund geben; der soll zu ihnen reden alles, was ich ihm gebieten werde. Doch wer meine Worte nicht hören wird, die er in meinem Namen redet, von dem will ich’s fordern. (5Mose 18,15-19).

Der Hebräerbriefschreiber macht deutlich: „Nachdem Gott vorzeiten vielfach und auf vielerlei Weise geredet hat zu den Vätern durch die Propheten, hat er in diesen letzten Tagen zu uns geredet durch den Sohn.“ (Hebr 1,1-2). Wird Israel auf diesen Propheten hören? Und es kam so, dass ein Großteil des Volkes unter der Führung der Priesterschaft und religiösen Elite, auf diesen von Gott gesandten und beauftragten Propheten Jesus nicht hörte. Dadurch erfüllte sich die Voraussage zum Fall, der Gefangenschaft und Zerstreuung (Jes 28,11-14; Lk 19,41-44). Doch dies kam später. Zuvor jedoch bekam Israel das Zeichen der fremden Sprachen von Gott und dies geschah am Pfingsttag, völlig unerwartet zum großen Erstaunen und zur Bestürzung des Volkes Israel.

5. Teil: Die Sprachen-Gabe am Pfingsttag – ein ZEICHEN für Israel?!

Einleitend zunächst folgende Fragen und Anmerkungen:

  • Das Sprachenwunder an Pfingsten ist nach den Worten von Petrus ausdrücklich die Erfüllung der Prophetie aus dem Propheten Joel Kapitel 3,1-3.
  • Ist das Sprachenwunder am Pfingsttag vielleicht auch die Erfüllung der Prophetie aus Jesaja 28,11-12, obwohl der Apostel Petrus keinen Bezug darauf nimmt?
  • Benutzt Gott nun als neuen Kommunikationsweg zu Israel am Pfingsttag fremde/andere Sprachen, um ihnen die Frohe Botschaft der Erlösung mitzuteilen?
  • Besteht da ein Zusammenhang zur Sprachverwirrung, indem er nun die bestehenden Sprachen zur Ausbreitung der Frohbotschaft unter alle Nationen einsetzt?
  • Oder ist es Gottes Antwort auf mehrere Fragen bzw. Verheißungen, die in seiner Heilsgeschichte bis dahin noch nicht erfüllt waren?
  • Was war der Inhalt der verschiedenen Sprachen am Pfingsttag?

Wir wollen die Inhalte des Textes aus der Apostelgeschichte 2,1-18 im großen Zusammenhang der Heilsgeschichte Gottes mit seinem Volk kennenlernen. Dies trägt zum besseren Verständnis unseres Themas bei. Erst danach versuchen wir ,daraus bestimmte Schlüsse zu ziehen. Der deutsche Text ist der Elberfelder Bibelübersetzung entnommen. „Und als der Tag des Pfingstfestes erfüllt war, waren sie alle an einem Ort beisammen.“ (2,1). Wer war wann und wo einmütig beieinander? Durch Mose ordnete Gott an: „Dreimal im Jahr soll alles bei dir, was männlich ist, vor dem Angesicht des Herrn, HERRN, des Gottes Israels, erscheinen.“ (2Mose 34,23; vgl. 5Mose 16,16). Allerdings sind weit nicht alle diesem Gebot nachgekommen, sogar von Josef und Maria lesen wir, dass sie lediglich nur einmal jährlich nach Jerusalem pilgerten und zwar zum Passahfest (Lk 2,41).

Eins dieser drei Feste war das Wochenfest, oder auch Pfingstfest genannt, weil es sieben Wochen nach dem Passah bzw. am fünfzigsten Tag nach dem Passah gefeiert werden musste (5Mose 16,9).

In der Apostelgeschichte 1,13-14 listet Lukas die Namen der elf Jünger Jesu auf, dazu Frauen (im Plural) Maria, die Mutter Jesu und dessen Brüder. Nach dem Abschied von ihrem Herrn Jesus auf dem Ölberg bei Bethanien und auf dessen Anweisungen kehrten sie zurück nach Jerusalem. Sie stiegen hinauf in das Obergemach eines Hauses. Es kann sich um das Haus gehandelt haben, in dem sich die Jünger während des Todes und nach der Auferstehung von Jesus aufgehalten haben (Joh 20,19-24). Vielleicht oder wahrscheinlich ist es dasselbe Haus mit einem Oberzimmer (Saal) in dem die Jünger mit ihrem Herrn das letzte Passahlamm aßen und bei dem Jesus das Herrenmahl mit der neuen Bundesstiftung eingesetzt hatte (Mk 14,14; Lk 22,12), denn auch dort ist von einem großen, gepolsterten Raum im Obergeschoß des Hauses die Rede. Die Formulierung des Lukas in Apostelgeschichte 1,13: „wo sie sich aufzuhalten pflegten“, verstärkt die oben erwähnte Annahme. In diesem Haus verbrachten sie die nächsten 10 Tage im Gebet. Gleich in Vers 15 des ersten Kapitels erwähnt Lukas fast nebenbei, dass die Zahl/Namen, der Jünger (wörtlich Menge) ungefähr 120 war. Bei dieser großen Versammlung erfolgte unter der Leitung des Petrus die Wahl des 12. Jüngers (Matthias) zum Apostel an Judas statt. Nirgendwo wird auch nur andeutungsweise dieses Vorgehen des Petrus vom Herrn oder anderen Autoritäten getadelt oder infrage gestellt. Von der Volksmenge werden die im Haus Versammelten später als Galiläer identifiziert (Apg 2,7). Gut möglich, dass die 70/72 Jünger aus Galiläa auch unter diesen Versammelten waren. Doch ist es nicht ausgeschlossen, dass sich Jesu Freunde aus Bethanien und andere Gläubige aus Judäa, wie Nikodemus und Josef aus Arimathea mit unter den etwa einhundertundzwanzig befanden. Es ist auffallend, dass sie sich an diesem vom Gesetz vorgeschriebenem Fest nicht im Tempel, sondern in einem Privathaus aufhielten (Apg 2,1-2).

„Und plötzlich geschah aus dem Himmel ein Brausen (¢chos – Schall, Hall) als (ösper  – wie, sowie) führe ein gewaltiger Wind daher, und erfüllte das ganze Haus, wo sie saßen.“ (Apg 2,2).

Dem Kommen des Heiligen Geistes ging ein gewaltiges Rauschen voraus (vgl. dazu 2Mose 19,16 – Bundesschluss am Sinai). Dieses Rauschen wird mit dem Echo/Schall eines plötzlich daherfahrenden, gewaltigen Windes verglichen. Es ist also kein physischer realer Wind, sondern ein vom Himmel her kommendes Geräusch, das mit einem Wind verglichen wird. Jesus selbst vergleicht das Wirken des Geistes mit dem Wind (Joh 3,7-8). Dieses Geräusch erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen und es war in der Stadt Jerusalem zu hören (Apg 2,6). „Und es erschienen ihnen zerteilte Zungen (δdiamerizomenai glössai) wie (ösei) von Feuer, und sie (die Zungen/Sprachen) setzten sich auf jeden Einzelnen von ihnen.“ (Apg 2,3). Die gemalten Bilder, welche das Pfingstgeschehen darstellen, zeigen aneinandergereihte feurige Zungen, die pfeilartig über den Häuptern schweben. Doch auch hier benutzt Lukas das vergleichende Wörtchen `ösei  – wie‘ vor dem Wort Feuer und macht damit deutlich, dass es sich nicht um physisches Feuer handelt. Aber auch das Phänomen Feuer, wie auch der Wind hat seine Verwendung am Sinai gehabt (2Mose 3,2ff; 19,18). Auch ist hier von keinem Mischmasch oder Durcheinander der Sprachen die Rede, sondern wie das griechische Wort `diameri-zomenai gössai`‘ deutlich macht, wird die klare Trennung oder genauer gesagt Unterteilung der einzelnen Sprachen hervorgehoben. Es wird auch betont, dass sich diese klar differenzierten Sprachen auf einen jeden Einzelnen setzten/niederließen. Wenn wir davon ausgehen, dass sich in diesem Haus etwa einhundertundzwanzig gläubige Menschen befanden, dann könnten es ebenso viele Sprachen gewesen sein. Gleichzeitig „wurden sie alle mit Heiligem Geist erfüllt und fingen an, in anderen Sprachen (eterais glössais) zu reden (lalein) wie der Geist ihnen gab auszusprechen.“ (Apg 2,4).

Das erfüllt werden mit dem Geist Gottes ist die Erfüllung der Zusage Gottes

  • durch den Propheten Joel (Joel 3,1ff)
  • durch Johannes den Täufer (Mt 3,11; Lk 3,16) und
  • durch Jesus selbst (Joh 14,16. 26; 15,26; 16,7; Lk 24,49; Apg 1,5).

Die Notiz: „Wie der Geist ihnen gab auszusprechen“ lässt offen, ob sie gleichzeitig oder nacheinander redeten. Fast unbegreiflich, doch jeder von ihnen redete in einem anderen Dialekt (Apg 2,6). Das griechische Wort `dialektos – Mundart` wird von der Wortwurzel `λlex`  für `Wort` und der die Worte oder Sprachen trennenden, bzw. teilenden Vorsilbe `dia – durch` gebildet und heißt im Deutschen `Mundart`. Dadurch wird die Differenzierung der einzelnen Sprachen bzw. Sprachuntergruppen noch genauer hervorgehoben. Aus dem Text ist nicht ersichtlich, ob die Redenden selbst verstanden, was der Geist sie aussprechen ließ. Doch sie redeten nicht in den Wind (1Kor 14,9), sondern sie wurden von den in Jerusalem anwesenden Menschen verstanden. Etwas noch nie Dagewesenes schafft Gott mit dem Kommen des Heiligen Geistes. Es war also ein Sprachen-Rede-Wunder.

„Es wohnten (katoikountes) aber in Jerusalem Juden, gottesfürchtige Männer, von jeder Nation unter dem Himmel.“ (Apg 2,5). Der Begriff  `katoikountes`, den Lukas an neun weiteren Stellen gebraucht, meint nicht Pilger oder Durchreisende, sondern in diesem Fall in Jerusalem `Wohnende, Ortsansässige` (vgl. dazu: Lk 13,4; Apg 2,9; 2,14; 9,22.32.35; 13,27; 19,10; 22,12). So lesen wir später in der Apostelgeschichte von Einzelnen, aber auch ganzen Gruppen von Menschen jüdischer Herkunft, die zwar im Ausland geboren und aufgewachsen sind, doch zu dem besagten Zeitpunkt ihren festen Wohnsitz in Jerusalem hatten. Als Beleg hier einige Beispiele:

  • Josef/Barnabas, der gebürtig von Zypern war, aber in Jerusalem wohnte (Apg 4,36).
  • In Apostelgeschichte 6,9 lesen wir von der Synagoge (einer jüdischen Versammlung) der Libertiner, Kyrenäer und Alexandriner und derer aus der Provinz Asien, die sich gegen Stefanus auflehnten. Diese alle waren in den jeweils genannten Provinzen oder Städten der Diaspora  geboren und aufgewachsen, wohnten `katoikountes` aber zur Zeit in Jerusalem.
  • Einige jüdische Zyprioten und Kyrenäer, die in Jerusalem wohnten `katoikountes`  und zum Glauben an Jesus Christus kamen, verließen wenige Jahre später ihren Wohnsitz Jerusalem und gingen bis Antiochia (Apg 11,20) und verkündigten dort das Evangelium von Jesus Christus.
  • Ein Jünger der ersten Generation namens Mnason, der ebenfalls Zypriot war, also als Jude auf Zypern geboren bzw. dort aufgewachsen war und später in Jerusalem wohnte und in seinem Haus den Apostel Paulus mit dessen Begleitern gastlich aufnahm (Apg 21,16).
  • Selbst von Paulus wissen wir, dass er, obwohl in Tarsus (Kilikjen) geboren, als Jugendlicher viele Jahre in Jerusalem lebte und zu den Füßen Gamaliels studierte (Apg 22,3).
  • Auch die Schwester des Paulus ist mit Sicherheit in Tarsus geboren wie auch ihr Bruder Saul, doch sie lebte/wohnte mit ihrem Sohn ebenfalls in Jerusalem (Apg 23,16).

Daher wird der Begriff `katoikountes`  auch in unserem Zusammenhang das gleiche bedeuten. Der Bericht über die, bei der täglichen Brotverteilung vernachlässigten Witwen der `Helenisten`  gegenüber den Hebräischen, unterstreicht zusätzlich diese Annahme (Apg 6,1). Die Hellenisten (gr. Ell¢nistön) waren Juden, die aber in der griechischen Kultur beheimatet waren, sozusagen hellenisierte Juden. Aus den oben angeführten Gründen können wir schließen, dass zur Zeit des Pfingstfestes, davor und auch danach, viele (ausländische) Juden in Jerusalem wohnten/lebten, die aus verschiedenen Ländern und vermutlich aus religiösen Gründen (Messiaserwartung) nach Jerusalem umgezogen waren und dort zur Zeit des Passah (Apg 2,23) und des Pfingstfestes des Jahres 33 n. Chr. ihren festen Wohnsitz hatten.

Dieser Tatbestand schließt selbstverständlich die Anwesenheit vieler Pilger beim Pfingstfest aus dem Kernland Israels und auch aus der Diaspora mit ein. Diese Pilger kann man hier voraussetzen, weil es auch durch folgende Aussage bestätigt wird: „und die hier weilenden (vorübergehend sich aufhaltenden) Römer, sowohl Juden als auch Proselyten.“ (Apg 2,10b; vgl. dazu Apg 17,21 – „dort weilenden Gästen/Fremden“). Es handelt sich hier um römische Bürger jüdischer Herkunft und um römische Bürger aus den Heiden, welche durch Beschneidung und Proselytentaufe zum Judentum konvertierten.

„Als aber dieses Geräusch entstand, kam die Menge zusammen und wurde bestürzt, weil jeder Einzelne sie in seiner eigenen Mundart (idia dialektos – eigenen Mundart) reden hörte.“ (Apg 2,6). So befanden sich in diesen Tagen viele Tausende Juden aus aller Welt in Jerusalem, einschließlich derer, die im Land geboren wurden und höchstwahrscheinlich auch Gäste aus dem Ausland. Viele von ihnen waren zu dieser frühen Vormittagszeit bereits im Tempel oder unterwegs dorthin. Man stelle sich die Volksbewegung vor, die sich auf einmal zu dem Haus beeilte, aus dem das laute Geräusch zu hören war. Während die Masse der Menschen dorthin eilte, traten anstelle des undeffinierten lauten Geräusches klar vernehmbare und für alle verständliche Sprachen. Denn jeder, der hier wohnenden oder angereisten Juden, auch Proselyten, hörten aus der Sprachenvielzahl ihren eigenen Dialekt, bzw. die Sprache des Landes, in dem sie geboren wurden, deutlich heraus. Es war also ein Sprachen-Rede-Wunder.

Sie entsetzten sich aber alle und wunderten sich und sagten: Siehe, sind nicht alle diese, die da reden, Galiläer? Und wie hören wir sie, ein jeder in unserer eigenen Mundart, in der wir geboren sind?“ (Apg 2,7-8). Die Liste der Volksgruppen, welche Lukas aufführt, ist sehr bunt, obwohl die Bemerkung „von jeder Nation unter dem Himmel“ erkennen lässt, dass sie weit nicht vollständig ist.

  1. Parther (Gebiet des Iran).
  2. und Meder (im Gebiet des Iran).
  3. und Elamiter (Südwesten des heutigen Iran).
  4. und die Bewohner von Mesopotamien (Gebiete im Zweistromland – Euphrat und Tigris).
  5. und von Judäa (also auch einheimische Juden hörten ihre hebräische/jüdische Sprache/Dialekt).
  6. und Kappadozien, (Gebiet in Mittelanatolien).
  7. Pontus (Gebiet am Südufer des Schwarzen Meeres).
  8. und Asien, (gemeint ist hier Kleinasien in der heutigen Westtürkei).
  9. und Phrygien (westlicher Teil des Hochplateaus Anatoliens).
  10. und Pamphylien, (Gebiet um das heutige Antalya in der Südtürkei).
  11. Ägypten (etwa in den gleichen Grenzen wie heute).
  12. und den Gegenden von Libyen gegen Kyrene hin (das heutige Libyen in Nordafrika).
  13. und die hier weilenden (epidemountes – sich vorübergehend aufhaltenden) Römer, sowohl Juden als auch Proselyten, (gemeint sind hier römische Staatsbürger jüdischer Herkunft sowie römische Staatsbürger, die durch Beschneidung und die Proselytentaufe zum Judentum übertraten).
  14. Kreter (von der Insel Kreta).
  15. und Araber – (Sinai, Arabische Halbinsel).

wie hören wir sie von den großen Taten Gottes in unseren Sprachen reden?  Sie entsetzten sich aber alle und waren in Verlegenheit und sagten einer zum anderen: Was mag dies wohl sein? Andere aber sagten spottend: Sie sind voll süßen Weines.“ (2,9-13).

Von den Bemerkungen, die aus der Menge kamen, ist Folgendes abzuleiten:

  1. Der Inhalt der Sprachenrede ist uns nur unter der Überschrift überliefert und diese lautet: „Die Groß-Taten Gottes!“ Auch wenn wir nicht sagen können, was da im Detail geredet wurde, so sind doch die bekannten Kraftwirkungen Gottes aus der biblischen Überlieferung den meisten Juden bekannt gewesen und daher gaben sie den ausgesprochenen Inhalten diese Überschrift. Sicher redeten sie auch von den Großtaten Gottes durch Jesus Christus. Diese Proklamation der Taten Gottes in Redeform/Verkündigung war eine Ehrung und Verherrlichung Gottes auf der einen Seite und gleichzeitig ein inhaltsvolles Zeugnis und Zeichen für das Volk der Juden, die bis dahin im Unglauben verharrten. Ja, seit der gewaltigen und herrlichen Offenbarung Gottes am Berg Sinai, gab es nicht Desgleichen.
  2. Dieses Rede-Zeugnis ist auch deshalb bewundert worden, weil es von einfachen (nicht in Jerusalem theologisch ausgebildeten) Leuten kam – sie werden nämlich als Galiläer erkannt. Auch damit setzte Gott ein deutliches Zeichen – Er beruft und bevollmächtigt wen Er will (1Kor 1,20).
  3. Aus der Menge wurde die Frage laut: „Was mag dies sein?“ Dies kam von Menschen, welche für Gottes Wirken offen waren. Ob jemand jedoch an die Prophetie aus Jesaja 28,11-12 dachte? Auch wenn in diesem Textzusammenhang nicht auf jene Prophetie Bezug genommen wird, bleibt doch die Tatsache bestehen, dass gerade an diesem Tag in Jerusalem, der heiligsten Stätte der Juden, und vor Israel, durch das Wirken des Heiligen Geistes in anderen Sprachen gesprochen wurde. Das mag für viele nationalistisch und orthodox geprägte Juden ein Ärgernis gewesen sein. Die Vermutung liegt doch nahe, dass viele der nach Jerusalem umgesiedelten Juden sich aus guten und frommen Gründen von ihrer heidnischen Umgebung bewusst auch räumlich lösen wollten. Und was erleben sie in Jerusalem? In denen für sie verdorbenen, unreinen Sprachen der Heiden, von denen sie möglicherweise geflüchtet sind, werden die Heilsgeschichten Gottes in Jerusalem mit solch einer Begeisterung erzählt. Das bringt Staunen hervor und sie fragen: „Was soll das bedeuten“?
  4. Es gab, wie immer und überall auch die Ungläubigen, die über die heiligen Dinge spotteten. Ihre Aussage: „Sie sind voll süßen Weins“ spricht gegen sie und auch gegen die Wahrheit. Die Weintraubenernte begann in Israel einige Wochen später. Diese Aussage erinnert an die Menschen, welche sich einige Monate vorher und ebenfalls in Jerusalem mit ähnlich spöttischen Bemerkungen gegen Jesus stellten (Joh 10,20 – „Viele unter ihnen sprachen: Er hat einen bösen Geist und ist von Sinnen; was hört ihr ihm zu“). An ihnen (und der Mehrheit des Volkes) erfüllte sich, was Gott vorausgesagt hatte: „Aber sie wollen (werden) nicht hören.“ (Jes 28,12b; Paulus sagt dazu in 1Korinther 14,21-22: „Im Gesetz steht geschrieben: »Ich will in andern Zungen und mit andern Lippen (eteroglossois kai cheilesin eteron) reden zu diesem Volk, aber auch so werden sie nicht auf mich hören, spricht der Herr.« Darum ist die Zungenrede (glossai) ein Zeichen nicht für die Gläubigen, sondern für die Ungläubigen; die prophetische Rede aber ein Zeichen nicht für die Ungläubigen, sondern für die Gläubigen.“ Aus der Prophetie durch Jesaja und das entsprechende Zitat durch den Apostel Paulus könnte man schließen, dass dieses Sprachen-Rede-Wunder in Jerusalem am Pfingsttag als Zeichen für das bis dahin ungläubige Israel gegeben wurde.
  5. Interessant ist der Einstieg der Predigt des Petrus, bei dem er auf die spöttischen Bemerkungen der Ungläubigen Bezug nimmt. Damit widerlegt er mutig und auf logische Weise die unsinnige Behauptung der Ungläubigen. In seiner Predigt nimmt er zwar nicht Bezug auf Jesaja 28,11ff, zieht aber für das Pfingstgeschehen  eine weit positivere Verheißung aus dem Propheten Joel heran. Deutlich steht damit das Kommen des Heiligen Geistes im Vordergrund und erst dann seine Wirkungen in und durch Menschen – das Reden in anderen Sprachen.

Petrus aber stand auf mit den Elfen, erhob seine Stimme und redete zu ihnen: „Männer von Judäa und ihr alle, die ihr zu Jerusalem wohnt, dies sei euch kund, und hört auf meine Worte!“ Warum Petrus in seiner Anrede die Bewohner Jerusalems und Judäas ausdrücklich nennt, die angereisten Pilger jedoch nicht erwähnt, mag darin liegen, dass der größere Pilgerstrom an Passah und im Herbst zum Laubhüttenfest nach Jerusalem kam, aber weniger zum Wochenfest.

„Denn diese sind nicht betrunken, wie ihr meint, denn es ist die dritte Stunde des Tages“ (etwa 9h vormittags); sondern dies ist es, was durch den Propheten Joel gesagt ist: „Und es wird geschehen in den letzten Tagen, spricht Gott, dass ich von meinem Geist ausgießen (ekcheö) werde auf alles Fleisch, und eure Söhne und eure Töchter werden weissagen (prophetisch reden), und eure jungen Männer werden Gesichte sehen, und eure Ältesten werden in Träumen Visionen haben; und sogar auf meine Knechte und auf meine Mägde werde ich in jenen Tagen von meinem Geist ausgießen (ekcheö) und sie werden weissagen (prophetisch reden). (Apg 2,14-18; Joel 3,1-2).

Das Reden in verschiedenen Sprachen/Dialekten am Pfingsttag war, wie Petrus es deutet, prophetisches Reden (Weissagen). Denn zu dem prophetischen Reden gehört nicht vordergründig oder zwingend eine Voraussage, sondern, wie hier deutlich wurde, die Proklamation, das Bekanntmachen, das Erinnern an die großen Taten Gottes in der Geschichte mit der Anwendung bzw. Bezugnahme auf die Gegenwart. Genau dies ist hier geschehen, zwar in anderen Sprachen, aber für alle Zuhörer verständlich.

Schlussfolgerungen:

  1. Die größte Gabe Gottes an Pfingsten ist der Heilige Geist selbst.
  2. Der Heilige Geist kommt jedoch nicht leer, sondern bringt verschiedene Gaben mit sich, eine davon ist die Sprachen-Gabe. In diesem Fall diente diese Gabe als Kanal für die prophetische Rede. Mose wünschte schon in der Wüste, dass das ganze Volk weissagen könnte (4Mose 11,28-29). Es war auch später der Wunsch des Paulus an die Korinther (1Kor 14,5). Ausdrücklich werden auch Frauen mit dem prophetischen Reden ausgestattet, was sich später an verschiedenen Orten wiederholte (Apg 21,9; 1Kor 11,5).
  3. Diese Sprachen-Gabe, zunächst nur an Gläubige aus den Juden gegeben, soll auch als erstes für die noch ungläubigen Juden ein Zeichen sein. Denn sie haben im Großen und Ganzen durch ihre Führung Jesus nicht angenommen, sondern abgelehnt (so Petrus in Apg 2,23). Dadurch wurde diese Gabe zum Zeichen für die Ungläubigen in Israel (so die Erklärung des Paulus in 1Korinther 14,22, der sich auf Jesaja 28,12-13 bezieht).
  4. Weil Gott durch den Heiligen Geist alle Sprachen (pauschale Aussage) an Pfingsten einbezogen hat, erklärte er diese auch für rein bzw. als anerkannt und brauchbar für die Verbreitung des Evangeliums. Ähnliche Parallele in Apg 10,15.35 – allerdings dort auf alle Menschengruppen bezogen. Gott betreibt hier keine Wiederherstellung der einen ursprünglichen Sprache, die vor dem Turmbau zu Babel gesprochen und von allen verstanden wurde, sondern bezieht vorhandene Sprachen in seinen Plan einfach mit ein.
  5. Da Sprachen für konkrete Völker oder Kulturen stehen, sind damit auch alle Völker in das Heil Gottes einbezogen. Dies stimmt völlig mit dem Missionsauftrag Jesu in Matthäus 28,19 überein.
  6. Die Juden, insbesondere die aus der Diaspora nach Jerusalem umgesiedelten, sind damit, wenn auch indirekt, beauftragt, das Evangelium unter den jeweiligen Völkern, unter denen sie bereits gelebt hatten und deren Sprachen sie sprechen, zu bezeugen. Wer, wenn nicht gerade diese Juden, sind gut geeignet für die Völkermission in ihren Heimatländern, beginnend in den Synagogen der Juden. Erstaunlich, wie bald dies praktiziert wurde.
    • Apg 11,19: „Die aber zerstreut waren wegen der Verfolgung, die sich wegen Stephanus erhob, gingen bis nach Phönizien und Zypern und Antiochia und verkündigten das Wort niemandem als allein den Juden.“
    • Apg 11,20-21: „Es waren aber einige unter ihnen, Männer aus Zypern und Kyrene, die kamen nach Antiochia und redeten auch zu den Griechen (Helenisten-Juden, die griechisch lebten) und predigten das Evangelium vom Herrn Jesus. Und die Hand des Herrn war mit ihnen und eine große Zahl wurde gläubig und bekehrte sich zum Herrn.“
    • Apg 9,1-2: „Saulus aber schnaubte noch mit Drohen und Morden gegen die Jünger des Herrn und ging zum Hohenpriester und bat ihn um Briefe nach Damaskus an die Synagogen, damit er Anhänger des neuen Weges, Männer und Frauen, wenn er sie dort fände, gebunden nach Jerusalem brächte.“ (Apg 9,21). Wer hat das Evangelium schon vor Aposteleinsatz nach Damaskus gebracht? Waren es nicht die Diasporajuden?
  7. Das Pfingstgeschehen in einem Haus außerhalb des Tempels macht auch deutlich, dass Gott in seinem Wirken von nun an nicht mehr an die heilige Stätte der Juden (den Tempel auf dem Zionsberg) gebunden ist. Jesus sagte dies bereits voraus (Joh 4,19-24).
  8. Das Pfingstwunder macht deutlich, dass Gott in seinen Mitteilungen grundsätzlich für eindeutige und verständliche Rede ist.

Ergänzung: Prophetisches Reden durch Männer und Frauen – Apg 2,4: „wie der Geist ihnen zu reden eingab.“ (vgl. auch Apg 2,15-18).

Das Sprechen in, für sie  fremden Sprachen – Apg 2,5-11: „Wir hören sie in unsern Sprachen die großen Taten Gottes verkünden.“

6. Teil: Der Heilige Geist und seine Gaben in der Gemeinde Jerusalem

Wir wollen darauf achtgeben, wo, wie und wodurch sich der Heilige Geist in der Gemeinde Jerusalem offenbarte. Gottes Geist ist vom Himmel herabgekommen und begann sein Wirken zunächst örtlich begrenzt in Jerusalem. Es entsprach dem inneren Kreis, in dem die Evangelisation beginnen sollte (Apg 1,8c). Der Heilige Geist erfüllte die dort versammelten Gläubigen mit sich selbst und befähigte diese zum Zeugnis der wunderbaren Heilstaten Gottes und zwar in den verschiedensten Sprachen/Dialekten (Apg 2,4). Diese besondere Äußerung des Heiligen Geistes in Jerusalem durch fremde Sprachen in dieser Fülle ist einzigartig und unwiederholbar. Zwar wird die Äußerung des Heiligen Geistes durch Sprachen-Rede noch an zwei anderen Orten beschrieben (Apg 10 und 19) wahrscheinlich mit ähnlichem Inhalt und zu ähnlichem Zweck, aber nicht mehr in der Fülle wie es am Pfingsttag in Jerusalem geschehen ist. Auf jeden Fall wird eine ähnliche Äußerung des Geistes in Jerusalem nicht mehr erwähnt. Petrus nimmt Bezug auf dieses besondere (und wohl auch einmalige) Ereignis nachdem er von Cesaräa nach Jerusalem zurückkehrte (Apg 11,1ff). So sagte er zu den Kritikern der Heidenmission: „Als ich aber anfing zu reden, fiel der Heilige Geist auf sie ebenso wie am Anfang auf uns“, d.h. als Begleiterscheinung äußerte sich der Heilige Geist durch die gläubig Gewordenen in Cesaräa in anderen Sprachen, ähnlich wie in Jerusalem am Pfingsttag (Apg 11,15; 10,44-46; 2,4). Dazu mehr in dem Abschnitt 8. Teil: „Die Auswirkungen des Heiligen Geistes in der Hausgemeinde des Kornelius in Cesaräa“. Dieses „am Anfang“ lässt die Vermutung zu, dass sich der Heilige Geist bei den etwa 120 Versammelten am Pfingsttag einmalig war. Und das sich der Heilige Geist in den gläubig Gewordenen nach dem Pfinmgstgeschehen (Apg 2,40-41) durchaus auch anders als mit der Sprachen-Rede-Gabe manifestieren konnte. Bevor wir jedoch der Frage nachgehen: wie sich der Heilige Geist in den Gläubigen in Jerusalem äußerte, wollen wir festhalten, welche Gaben und Befähigungen die Apostel empfingen.

  • Der Heilige Geist befähigte Petrus und die anderen Jünger zum mutigen und furchtlosen Auftreten in der Öffentlichkeit: „Da trat Petrus auf mit den Elf, erhob seine Stimme und redete zu ihnen: Ihr Juden, und alle, die ihr in Jerusalem wohnt, das sei euch kundgetan, vernehmt meine Worte!“ (Apg 2,14).
  • Apostelgeschichte 2,29a: „Ihr Männer, liebe Brüder, lasst mich freimütig zu euch reden.“
  • Er befähigte den Petrus um Zusammenhänge zwischen alttestamentlicher Prophetie und neutestamentlicher Erfüllung herzustellen und diese auf die gegenwärtige Situation anzuwenden – Apg 2,16-21: „sondern das ist’s, was durch den Propheten Joel gesagt worden ist“ (Joel 3,1-5); Oder Psalm 16,8-11: „Denn David spricht von ihm (dem Messias):Ich habe den Herrn allezeit vor mir“ (Apg 2,22-28; David hat „von der Auferstehung des Christus gesagt: Er ist nicht dem Reich des Todes überlassen, und sein Leib hat die Verwesung nicht gesehen.“ Apg 2,29-31; Apg 2,32; „Diesen Jesus hat Gott auferweckt; des sind wir alle Zeugen. Da er nun durch die rechte Hand Gottes erhöht ist und empfangen hat den verheißenen Heiligen Geist vom Vater, hat er diesen ausgegossen, wie ihr seht und hört. Denn David ist nicht gen Himmel gefahren; sondern er sagt selbst (Psalm 110,1): »Der Herr sprach zu meinem Herrn: Setze dich zu meiner Rechten.“ (Apg 2,32-36).
  • Der Heilige Geist wirkte Einsicht und Sündenerkenntnis bei den Zuhörern: „Als sie aber das hörten, ging’s ihnen durchs Herz, und sie sprachen zu Petrus und den andern Aposteln: Ihr Männer, liebe Brüder, was sollen wir tun?“ (Apg 2,37). Diese Tätigkeit des Geistes Gottes hat Jesus vorausgesagt: „Und wenn er kommt, wird er der Welt die Augen auftun (sie überführen) über die Sünde und über die Gerechtigkeit und über das Gericht; über die Sünde: dass sie nicht an mich glauben.“ (Joh 16,8-11).
  • Er befähigte Petrus und die elf Apostel zu klaren Antworten auf die Fragen der Menschen: „Petrus sprach zu ihnen: Tut Buße (metano¢sate – ändert eure Gesinnung, euer Denken, denkt um) und jeder von euch lasse sich taufen auf den Namen Jesu Christi zur Vergebung eurer Sünden, so werdet ihr empfangen (l¢mpsesthe) die Gabe (dörean – Geschenk) des Heiligen Geistes. Denn euch und euren Kindern gilt diese Verheißung und allen, die fern sind, so viele der Herr, unser Gott, herzurufen wird.“ (Apg 2,37-38).
  • Der Heilige Geist wirkte an diesem Tag eine Wiedergeburt (geistliche Geburt) bei etwa dreitausend Menschen (Apg 2,41; Joh 3,3.5.7) und erfüllte sie mit sich selbst (Apg 2,38; Hes 11,19; 36,25-27; Joel 3,1-2).
  • Der Heilige Geist wirkte bei den Gläubigen Verlangen nach Gemeinschaft mit Christus und untereinander (Herrenmahl), Verlangen nach Gebetsgemeinschaft, Hunger und Durst nach dem Wort Christi durch die Apostel (Apg 2,42).
  • Der Heilige Geist wirkte Wunder und Zeichen durch die Apostel, so dass die Menschen mit Furcht (Gottesfurcht) erfüllt wurden (Apg 2,43).
  • Er wirkte unter den Gläubigen sozialen Ausgleich (Apg 2,44-46).
  • Er wirkte Gastfreundschaft – Häuser wurden für Versammlungen zur Verfügung gestellt, Mahlzeiten wurden dort gemeinsam eingenommen (Apg 2,44-45).
  • Er wirkte Mut, Tragkraft und Freude in der Verfolgung und mutiges Bekennen vor der Obrigkeit (Apg 4,20).
  • Er wirkte Einheit im Gebet und frische Geistesfülle zum Zeugnis des Wortes Gottes (Apg 4,24-31).
  • Er wirkte Einheit: „Die Menge der Gläubigen waren ein Herz und eine Seele.“ (Apg 4,32; Joh 17,21).
  • Er befähigte die Apostel zu Lösungen von Problemen (Apg 6,1-6).
  • Der Heilige Geist erfüllte Stephanus und bevollmächtigte ihn zu wirken Wunder und Zeichen: „Stephanus aber, voll Gnade und Kraft, tat Wunder und große Zeichen unter dem Volk.“ (Apg 6,8.10). Der Heilige Geist rüstete ihn aus mit Weisheit, dadurch war er den theologisch versierten Gegnern weit überlegen. Danach befähigte ihn der Geist Gottes vor dem Hohen Rat zu einem detaillierten Zeugnis über die Geschichte Israels. Dies war eine prophetische Rede in der Rückblende mit der richtigen Anwendung auf die Zuhörer (Apg 6,11-7,53).
  • Der Geist Gottes befähigte die einen zum mutigen Zeugnis und Standhaftigkeit in der großen Verfolgung (Apg 8,3; 22,4), die anderen zum Verlassen der Stadt. Dadurch gelangte das Evangelium nach ganz Judäa und Samarien, die nächsten zwei Kreise, welche Jesus für die Evangelisation angeordnet hatte (Apg 8,1; 1,8).

Wie wir sehen und erkennen, wirkt der Heilige Geist im Auftrag Jesu Christi souverän, überraschend und vielseitig. Die Gabe des Heiligen Geistes ist ein Geschenk Gottes an die Gläubigen, denn die Welt kann ihn nicht empfangen (Joh 14,17). Der Gläubiggewordene empfängt diese Gabe, wie der Text sagt: „Ihr werdet empfangen“. Um ein Missverständnis auszuräumen, hier geht es zunächst nicht um die Gaben (Charismata) des Heiligen Geistes, die er in Fülle mit sich bringt, sondern um DIE GABE – den Heiligen Geist selbst. Es ist auffällig, dass bei der Bekehrung von so vielen Menschen an diesem ersten Tag der Woche (dem Pfingsttag) von keinerlei direkten Auswirkung des Geistes (wie Reden in anderen Sprachen) die Rede ist.

Bei der nächsten Predigt forderte Petrus das Volk auf: „So tut nun Buße und bekehrt euch (denkt um und kehrt um), dass eure Sünden getilgt (juristischer Begriff) werden.“ (Apg 3,19). Das geistliche Ergebnis dieser Predigt war: „Aber viele von denen, die das Wort gehört hatten, wurden gläubig; und die Zahl der Männer stieg auf etwa fünftausend.“ (Apg 4,4). Auch bei dieser zweiten großen Bekehrungswelle werden uns keine Auswirkungen des Heiligen Geistes (wie die Sprachen-Rede-Gabe) genannt, obwohl sicher ist, dass sie laut Verheißung die Gabe des Heiligen Geistes bei ihrem gläubig werden empfangen haben, wie auch bei der ersten Bekehrungswelle (Apg 2,38).

Nach der Freilassung des Petrus und Johannes aus dem Gefängnis wird von der Gemeinde ein öffentliches Lobpreis- und Anbetungsgebet angestimmt und zwar als Prophetie. So heißt es in Apostelgeschichte 4,24-30: „Als sie das hörten, erhoben sie ihre Stimme einmütig zu Gott und sprachen: Herr, du hast Himmel und Erde und das Meer und alles, was darin ist, gemacht, du hast durch den Heiligen Geist, durch den Mund unseres Vaters David, deines Knechtes, gesagt (Psalm 2,1-2): »Warum toben die Heiden, und die Völker nehmen sich vor, was umsonst ist? Die Könige der Erde treten zusammen, und die Fürsten versammeln sich wider den Herrn und seinen Christus.« Wahrhaftig, sie haben sich versammelt in dieser Stadt gegen deinen heiligen Knecht Jesus, den du gesalbt hast, Herodes und Pontius Pilatus mit den Heiden und den Stämmen Israels, zu tun, was deine Hand und dein Ratschluss zuvor bestimmt hatten, dass es geschehen solle. Und nun, Herr, sieh an ihr Drohen und gib deinen Knechten, mit allem Freimut zu reden dein Wort; strecke deine Hand aus, dass Heilungen und Zeichen und Wunder geschehen durch den Namen deines heiligen Knechtes Jesus.“

Das Ergebnis war:  „Und als sie gebetet hatten, erbebte die Stätte, wo sie versammelt waren; und sie wurden alle vom Heiligen Geist erfüllt und redeten das Wort Gottes mit Freimut.“ (Apg 4,31).

In diesem Zusammenhang sind die Auswirkungen des Heiligen Geistes in dreierlei Hinsicht zu erkennen:

  1. Die Stätte, wo sie versammelt waren, erbebte.
  2. Sie alle wurden (erneut) erfüllt mit Heiligem Geist (nicht zu verwechseln mit dem Empfang des Heiligen Geistes bei dem gläubig werden).
  3. Sie redeten das Wort Gottes mit Freimut.
  4. Die prophetische Gabe kam hier schon im Gebet zum Vorschein, als sie aus Psalm 2 zitierten und es auf ihre Zeit anwendeten.
  5. Der Heilige Geist befähigte die Apostel zu Heilungen, Befreiungen von Dämonen und zu anderen Wundern (Gaben des Geistes Gottes), dadurch kamen noch viel mehr Menschen zum Glauben an Jesus Christus in Jerusalem und Umgebung. „Von den andern aber wagte keiner, ihnen zu nahe zu kommen; doch das Volk hielt viel von ihnen. Desto mehr aber wuchs die Zahl derer, die an den Herrn glaubten – eine Menge Männer und Frauen -, sodass sie die Kranken sogar auf die Straßen hinaustrugen und sie auf Betten und Bahren legten, damit, wenn Petrus käme, wenigstens sein Schatten auf einige von ihnen fiele. Es kamen auch viele aus den Städten rings um Jerusalem und brachten Kranke und solche, die von unreinen Geistern geplagt waren; und alle wurden gesund.“ (Apg 4,13-16). Welch wunderbare Auswirkungen durch das Wirken des Heiligen Geistes im Volk der Juden! Eine gnadenvolle Zuwendung Gottes an Israel, wie sie vorher nicht offenbart wurde, wird hier erkennbar (Hes 36,25-27; 37: die geistliche Auferstehung in Israel). Jesus sagte voraus: „Ihr werdet noch größere Werke tun“ (Joh 14,12).

In Apostelgeschichte 6,1-6 wird von der Erwählung und Berufung der sieben sogenannten Almosenpfleger berichtet. Als dies ausgerichtet war, heißt es:

  1. Und das Wort Gottes breitete sich aus.“
  2. „und die Zahl der Jünger wurde sehr groß in Jerusalem.“
  3. „Es wurden auch viele Priester dem Glauben gehorsam.“ (Apg 6,7).

Auch hier sind keine konkreten Charismen bei den Gläubigen erwähnt. Hier liegt der Schwerpunkt auf der geistlichen Ernte, die eingefahren wurde.

So können wir sehen, dass der Heilige Geist die Gläubigen mit unterschiedlichen Gaben ausgerüstet hatte. Und diese Gaben kamen dort zum Einsatz, wo sie der Herr für notwendig erachtete. Daraus entnehmen wir, dass die Sprachen-Gabe, um die es in unserem Thema geht, nur eine von vielen Gaben ist, die Gott durch das Wirken des Heiligen Geistes bislang

  • an einem bestimmten Ort (Jerusalem),
  • zu bestimmter Zeit (Pfingsttag)
  • und für bestimmte Menschen (die Juden) zum Einsatz brachte.

7. Teil: Die Charismen des Geistes in Samaria

Alles, was bis jetzt durch die Kraft des Heiligen Geistes gewirkt wurde, geschah unter den Juden in Jerusalem und Judäa, das heißt im nationalen und sogar geographischen Kontext der Juden. Damit wurde erfüllt, was der Herr Jesus in seinem Auftrag an die Jünger angeordnet hatte, nämlich: „ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch kommen wird, und werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa.

Als nächster geographischer und kultureller Kreis war laut Jesus: „Samarien“ (Apg 1,8) an der Reihe. Das Mischvolk der später sogenannten Samariter brachte bei der Besiedlung des Nordreichs (722/721 v.Chr.) ihre Kulte mit. Zu dem übernahm es auch Teile des jüdischen Kultes einschließlich der Beschneidung. Da die Samariter die fünf Bücher Moses – die Thora – anerkannten, standen sie theologisch und kultmäßig den Juden nahe. Daher erklärt sich auch der nächste, von Jesus vorgegebene Missionskreis. Er selbst hatte während seiner Dienstzeit Samarien mehrmals besucht (Joh 4; Lk 17; Joh 7). Nun führt der Heilige Geist nicht die Apostel, sondern den Philippus hinab in die (Haupt)Stadt der Samariter.

Die nun zerstreut worden waren, zogen umher und predigten das Wort.  Philippus aber kam hinab in die Hauptstadt Samariens und predigte ihnen von Christus. Und das Volk neigte einmütig dem zu, was Philippus sagte, als sie ihm zuhörten und die Zeichen sahen, die er tat. Denn die unreinen Geister fuhren aus mit großem Geschrei aus vielen Besessenen, auch viele Gelähmte und Verkrüppelte wurden gesund gemacht; und es entstand große Freude in dieser Stadt.“ (Apg 8,4-8).

Es handelte sich wahrscheinlich um Sebaste, die Hauptstadt Samarias. Diese lag unweit der biblischen Stadt Sichem (heute Nablus). Philippus wurde vom Heiligen Geist mit der Gabe des Evangelisten (gr. evangelistou) befähigt, dazu Kraftwirkungen zur Heilung von Krankheiten und Befreiung von Dämonen. Lukas berichtet: „Als sie aber den Predigten (wörtlich: der Evangelisierung – Frohbotschaftsverkündigung) des Philippus von dem Reich Gottes und von dem Namen Jesu Christi glaubten, ließen sich taufen Männer und Frauen.“ (Apg 8,12).

Diese auffallende Evangelisationstätigkeit des Philippus in Samaria ruft die Apostel in Jerusalem auf den Plan und sie senden Petrus und Johannes dort hin, um festzustellen, was der Evangelist durch die Kraft und Wirkung des Heiligen Geistes und des Wortes ausgerichtet hat. Sie stellen unter anderem fest, dass die Gläubigen die Gabe des Heiligen Geistes noch nicht empfangen haben. Die große Freude in Samarien, die auch als Frucht des Geistes gesehen werden kann (Gal 5,22), ist verständlich und legitim für errettete Menschen, doch laut Kontext bezog sie sich mehr auf die Erfahrungen durch Wunderheilungen und Befreiungen von Dämonen (Apg 8,8). Erst durch Gebet und Händeauflegen der Apostel Petrus und Johannes empfangen die dortigen Gläubigen die Gabe des Heiligen Geistes, so lesen wir in Apostelgeschichte 8,15-17: „Die (Apostel) kamen hinab und beteten für sie, dass sie den Heiligen Geist empfingen. Denn er war noch auf keinen von ihnen gefallen, sondern sie waren allein getauft auf den Namen des Herrn Jesus. Da legten sie die Hände auf sie und sie empfingen den Heiligen Geist.“

Spätestens hier entstehen bei uns eine Reihe von Fragen:

  1. Woran erkannte Philippus, dass die Gläubigen an Jesus Christus und auch Getauften auf seinen Namen, die Gabe des Heiligen Geistes nicht empfingen? Blieben sie stumm, gaben sie kein Zeugnis von ihrer Erlösung?
  2. Und warum haben die gläubigen Samariter die Gabe des Heiligen Geistes nicht bei ihrem Gläubigwerden empfangen? Hat Philippus ihnen in seiner Verkündigung nichts davon gesagt?
  3. War etwa Philippus als Evangelist nicht befähigt, die Echtheit des Glaubens bei den Samaritern zu durchschauen, wie das Beispiel von Simon dem Zauberer enthüllt?
  4. Oder war vielleicht gerade das noch Festhalten an diesem Zauberer Simon, der sie lange be- und verzauberte, der Grund dafür, dass der Heilige Geist bei den Gläubiggewordenen nicht einziehen konnte und wollte?
  5. Oder bedurfte es im Falle der Samariter (halbheidnisches Neuland, dazu Feinde der Juden) die Gegenwart und Autorität der Apostel, durch welche der Heilige Geist eindeutig die Annahme dieser Volksgruppe bestätigen und hervorheben wollte?

Es scheint klar zu sein, dass Philippus als ‚Einzelgänger‘ zwar einige für die Evangelisation wichtige und wunderbare Charismen hatte, dass er aber die Schalkheit/Falschheit des Zauberers Simon nicht durschaut hatte. Die Gabe zur Unterscheidung der Geister und zur Klärung der Echtheit des Glaubens unter den Samaritern war bei Petrus und Johannes offensichtlich vorhanden, wie auch folgende Bibelstellen bestätigen: Apg 5,1-11; 1Joh 4,1-4.

Auch wenn es schwierig ist, auf all diese Fragen eine logische Antwort zu bekommen, so kann man Folgendes festhalten:

  1. Der Heilige Geist wirkt nicht immer nach dem gleichen Schema.
  2. Der Heilige Geist sorgte dafür, dass in Samarien eine feste und echte Glaubensgrundlage gelegt wurde.
  3. Der Heilige Geist sorgte dafür, dass die Anerkennung der Samariter durch die gläubig gewordenen Juden in Jerusalem sichergestellt wurde, denn dies hatte weitreichende Auswirkungen. Die an Jesus Christus gläubigen Samariter sind nun anerkannt als vollwertige Gotteskinder und gehören zu Gottes Volk.
  4. Sicher beschenkte der Heilige Geist die gläubig gewordenen Samariter mit Gaben, da diese jedoch nicht erwähnt werden, liegt auf ihnen auch nicht der Schwerpunkt, sondern die Erlösung und auch der Empfang des Heiligen Geistes (Geistestaufe) stehen im Vordergrund der Erwähnung.

Praktische Anwendung:

– Gerade bei Evangelisationen durch begabte Mitarbeiter ist Überprüfung, Nacharbeit und Festigung der Gläubiggewordenen durch weiterführende Gaben (Begabte) unerlässlich.

– Auch wenn der Heilige Geist den Philippus in seinem Dienst segnete, bleibt doch das Prinzip der `zwei Zeugen`, wie Jesus es bei seinen Jüngern für den Missionsdienst eingeführt hatte, in Kraft und sollte auch heute noch eingehalten werden (Mk 6,7; Lk 10,1).

8. Teil: Die Sprachengabe im Haus des Kornelius in Cäsarea

Inzwischen sind nach dem Pfingstereignis (33 n.Chr.) einige Jahre vergangen. Das Evangelium ist bereits in Jerusalem, Judäa, Samaria und Galiläa ausgebreitet worden. Das sind übrigens die Gebiete, in welchen Jesus mit seinen Jüngern gewirkt hatte. Verständlich, dass dadurch der Herzensboden der Menschen für die Evangelisation vorbereitet worden war.

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Abbildung 2 Die Stadt Cäsarea wurde mit frischem Wasser aus dem etwa 8 km entfernten Karmelgebirge über dieses Aquadukt versorgt. (Foto:  April 1986)

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Abbildung 3 Das gewaltige Bauwerk ist in Teilen noch sehr gut erhalten und zeugt von der einstigen Bedeutung der Stadt Cäsarea am Mittelmeer. (Foto:  April 1986)

Bei seinen Reisen durchs Land (die Provinz) Judäa kommt Petrus in die Städte am Mittelmeer – nach Lydda (heute Lod) und anschließend nach Joppe (heute Jaffa). Dort wirkt der Heilige Geist durch ihn Wunder und zu den bereits gläubig gewordenen Juden kommen noch viele Menschen hinzu – es ist eine landesweite Erweckung unter den Juden im Gange. Eines Tages wird Petrus von Joppe nach Cäsarea zu Kornelius gerufen, einem römischen Offizier der Kohorte `Die Italische`. Kurz zuvor war Petrus verzückt (gr. extasis) und hatte eine Vision (gr. örama – Gesicht, das Geschaute) in der Gott ihm zeigte, dass in seinen Augen und nach seiner Bewertung alle Menschen gleich sind (Apg 10,10-16). Die Abgesandten von Kornelius übernachten in Joppe im Haus des Gerbers Simon und am darauffolgenden Tag ging Petrus mit ihnen und in Begleitung von sechs weiteren Brüdern aus Joppe, zu der etwa 50 km nördlich gelegenen Hafenstadt Cäsarea.

Der Evangelist Lukas schreibt: „Am nächsten Tag machte er sich auf und zog mit ihnen, und einige Brüder aus Joppe gingen mit ihm. Und am folgenden Tag kam er nach Cäsarea. Kornelius aber wartete auf sie und hatte seine Verwandten und nächsten Freunde zusammengerufen. Und als Petrus hereinkam, ging ihm Kornelius entgegen und fiel ihm zu Füßen und betete ihn an. Petrus aber richtete ihn auf und sprach: Steh auf, ich bin auch nur ein Mensch. Und während er mit ihm redete, ging er hinein und fand viele, die zusammengekommen waren.“ (Apg 10,23-27).

Mit der Ankunft in Cäsarea und ganz konkret mit dem Betreten des Hauses des Kornelius überschreitet Petrus (nach jüdischer Tradition) eine rote Linie. Er selber sagt dazu: „Ihr wisst, dass es einem jüdischen Mann nicht erlaubt ist, mit einem Fremden (gr. allofylö – andersstämmigen) umzugehen oder zu ihm zu kommen; aber Gott hat mir gezeigt, dass ich keinen Menschen meiden oder unrein nennen soll.“ (Apg 10,28). Hier betritt Petrus nun zum ersten Mal heidnisches Terrain. Doch Gott hatte ihn zur rechten Zeit darauf vorbereitet und er kann mit Überzeugung sagen: „Darum habe ich mich nicht geweigert zu kommen, als ich geholt wurde. So frage ich euch nun, warum ihr mich habt holen lassen?“ (Apg 10,29). Demnach wusste Petrus nicht, was ihn in Cäsarea erwartete, es war für ihn ein Glaubensschritt.

Kornelius sprach: Vor vier Tagen um diese Zeit betete ich um die neunte Stunde (15h) in meinem Hause. Und siehe, da stand ein Mann (ein Engel) vor mir in einem leuchtenden Gewand und sprach: Kornelius, dein Gebet ist erhört und deiner Almosen ist gedacht worden vor Gott. So sende nun nach Joppe und lass herrufen Simon mit dem Beinamen Petrus, der zu Gast ist im Hause des Gerbers Simon am Meer. Da sandte ich sofort zu dir; und du hast recht getan, dass du gekommen bist. Nun sind wir alle hier vor Gott zugegen, um alles zu hören, was dir vom Herrn befohlen ist.“ (Apg 10,30-33).

Schon lange vorher hat Gott diese Menschen für seine Heilsbotschaft vorbereitet. „Petrus aber tat seinen Mund auf und sprach: Nun erfahre ich in Wahrheit, dass Gott die Person nicht ansieht; sondern in jedem Volk, wer ihn fürchtet und recht tut, der ist ihm angenehm.“ (Apg 10,34-35). Eine fundamentale Wahrheit wird hier von Petrus erkannt und ausgesprochen! Und diese ist richtungsweisend für die weitere Mission unter Nichtjuden.

Und nun beginnt Petrus mit der eigentlichen Predigt: „Er (Gott) hat das Wort dem Volk (den Söhnen) Israel gesandt und Frieden verkündigt durch Jesus Christus, welcher ist Herr über alle.

Ihr wisst, was in ganz Judäa geschehen ist, angefangen von Galiläa nach der Taufe, die Johannes predigte, wie Gott Jesus von Nazareth gesalbt hat mit Heiligem Geist und Kraft; der ist umhergezogen und hat Gutes getan und alle gesund gemacht, die in der Gewalt des Teufels waren, denn Gott war mit ihm. Und wir sind Zeugen für alles, was er getan hat im jüdischen Land und in Jerusalem. Den haben sie an das Holz gehängt und getötet. Den hat Gott auferweckt am dritten Tag und hat ihn erscheinen lassen, nicht dem ganzen Volk, sondern uns, den von Gott vorher erwählten Zeugen, die wir mit ihm gegessen und getrunken haben, nachdem er auferstanden war von den Toten.

  • Und er (Jesus) hat uns geboten, dem Volk zu predigen und zu bezeugen, dass er von Gott bestimmt ist zum Richter der Lebenden und der Toten.

Von diesem bezeugen alle Propheten, dass durch seinen Namen alle, die an ihn glauben, Vergebung der Sünden empfangen sollen. Während Petrus noch diese Worte redete, fiel der Heilige Geist auf alle, die dem Wort zuhörten.“ (Apg 10,36-44).

Etwas ganz Unerwartetes und Ungewöhnliches geschieht während der Predigt des Petrus: in dem Augenblick, als er von der Vergebung der Sünden im Namen Jesu Christi spricht, erfüllt der Heilige Geist die Herzen der Anwesenden im Haus des Kornelius und zwar gleichzeitig. Beachten wir, dass Petrus die Worte Buße und Bekehrung in seiner Predigt nicht erwähnt hatte, er betonte nur das Unentbehrliche, nämlich den Glauben an Jesus. Laut den einleitenden Worten des Kornelius waren sie alle von vornherein bereit, auf alles zu hören, was Petrus ihnen im Namen des Herrn sagen wird. Und sie waren laut der Aussage des Petrus: „Ihr wisst, was in ganz Judäa geschehen ist“ über die Geschichten von Johannes und Jesus wohl informiert. So konnte der Heilige Geist während der Verkündigung in ihnen Sinneswandlung, Umkehr und den Glauben an Jesus Christus bewirken. Dies alles und die persönliche innere Bereitschaft waren die Voraussetzungen für den Einzug des Geistes in ihre Herzen (Apg 2,37-38).

Die Wassertaufe, so dieser Bericht, ist jedoch keine Voraussetzung für den Empfang des Heiligen Geistes. Selbst Petrus und insbesondere die sechs jüdischen Begleiter aus Joppe sind überrascht und erstaunt, dass auf Menschen nicht- jüdischer Herkunft die Gabe des Heiligen Geistes, also der Geist selbst, ausgegossen wurde. Zu erkennen war dies an der Äußerung des Geistes durch das Reden in anderen Sprachen. So lesen wir: „Und die gläubig gewordenen Juden (aus der Beschneidung), die mit Petrus gekommen waren, entsetzten sich, weil auch auf die Heiden die Gabe des Heiligen Geistes ausgegossen wurde; denn sie hörten, dass sie in Zungen (gr. glössais – Sprachen) redeten und Gott hoch priesen (machten Gott groß).“ (Apg 10,45-46). Im Vergleich zu dem Sprachenwunder am Pfingsttag, ist hier die Herkunft der Sprachen nicht genannt, obwohl es sich auch hier nach dem gesamten Kontext um differenzierte menschliche Sprachen gehandelt hatte. Der Inhalt muss ähnlich gewesen sein wie damals, weil es heißt: „sie machten Gott groß“. An Pfingsten hieß es: „sie redeten von den Großtaten Gottes“. In beiden Fällen ist diese Sprachenäußerung „Gott verherrlichend“, also zu Gott hin gewandt, aber für die Anwesenden (Petrus und seine Begleiter) ist es ein Weissagen (prophetisches Reden – Joel 3,1ff).

Wir wollen an dieser Stelle auf folgende Bemerkung achtgeben: „Und die gläubig gewordenen Juden (aus der Beschneidung), die mit Petrus gekommen waren, entsetzten sich, weil auch auf die Heiden die Gabe des Heiligen Geistes ausgegossen wurde.“ Bis dahin konnten die Gläubigen aus den Juden und bis vor kurzem sogar selbst Petrus nicht glauben, dass das Heil in Christus und die Verheißung des Heiligen Geistes auch für die Nichtjuden vorgesehen ist. So war auch hier die Sprachengabe des Geistes unter anderem ein Zeichen, ein Hinweis besonders für die anwesenden Juden, die bis dahin nicht glauben/wahrhaben wollten, dass Gott auch den Heiden Umdenken zum Leben gegeben hat (Apg 11,18). Als Petrus später nach Jerusalem zurückkehrte, konnten er und die sechs Brüder aus Joppe diese Heilstatsache glaubhaft begründen.

Schlussfolgerung:

  1. Die Gabe des Redens in anderen (menschlichen) Sprachen/Dialekten kann den Empfang des Heiligen Geistes bestätigen, wie diese Begebenheit zeigt. Der Heilige Geist grenzt sich jedoch nicht auf diese eine Gabe ein, sondern teilt einem jeden eine Gabe oder Gaben zu, wie er will und auch wann er will (Apg 8,17; 1Kor 12,11).
  2. Die Äußerung des Heiligen Geistes in anderen Sprachen/Dialekten, ist ein besonderes Zeichen für die Juden, denn dadurch bestätigt der Heilige Geist in deren Anwesenheit, dass das Heil Gottes in Jesus Christus allen Nationen gilt und dass die Juden sogar in der Pflicht sind, ihre geistlichen Güter mit den Heiden zu teilen (Mt 28,19; Röm 15,27).

Da antwortete Petrus: Kann auch jemand denen das Wasser zur Taufe verwehren, die den Heiligen Geist empfangen haben ebenso wie wir? Und er befahl, sie zu taufen in dem Namen Jesu Christi.“ (Apg 10,37-38). Noch einige Tage blieb Petrus in Cäsarea und festigte die Gläubigen, so entstand die erste heidenchristliche Gemeinde in Judäa durch Mitwirkung eines Apostels. Im Jahre 48 bei der Apostelversammlung in Jerusalem erinnert Petrus daran: „Als man sich aber lange gestritten hatte, stand Petrus auf und sprach zu ihnen: Ihr Männer, liebe Brüder, ihr wisst, dass Gott vor langer Zeit unter euch bestimmt hat,

  • dass durch meinen Mund die Heiden das Wort des Evangeliums hörten und glaubten.
  • Und Gott, der die Herzen kennt, hat es bezeugt und ihnen den Heiligen Geist gegeben wie auch uns,
  • und er hat keinen Unterschied gemacht zwischen uns und ihnen,
  • nachdem er ihre Herzen gereinigt hatte durch den Glauben.“ (Apg 15,7-9).

Auf diese Weise benutzte Gott den Petrus, der als Säule (Autorität) in der Gemeinde angesehen wurde und machte ihn zum Bahnbrecher für die künftige Heidenmission.

9. Teil: Die Gaben des Geistes in der Gemeinde Antiochien

Wir verfolgen weiter die Spuren der Ausbreitung des Evangeliums über die Grenzen des Landes Israel. Es ist offensichtlich, dass der Heilige Geist für die sogenannte Außenmission gerade diejenigen Männer jüdischer Abstammung berief und beauftragte, die ausländische Wurzeln hatten, also in einer anderen Kultur geboren und aufgewachsen waren.

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Abbildung 4 Antiochien am Orontes (heute Antakya) war Provinzhauptstadt von Syrien mit weit über Hunderttausend Einwohnern (Foto:  9. April 2011

So schreibt Lukas: „Die aber zerstreut waren wegen der Verfolgung, die sich wegen Stephanus erhob, gingen bis nach Phönizien und Zypern und Antiochia und verkündigten das Wort niemandem als allein den Juden. Es waren aber einige unter ihnen, Männer aus Zypern und Kyrene, die kamen nach Antiochia und redeten auch zu den Griechen (genauer: Helenisten – griechisch sprechende und lebende Juden) und predigten das Evangelium vom Herrn Jesus. Und die Hand des Herrn war mit ihnen und eine große Zahl wurde gläubig und bekehrte sich zum Herrn.“ (Apg 11,19-21). Wir stellen Folgendes fest:

  • Juden mit ausländischem Hintergrund lösten sich schneller von ihrer zweiten Heimat in Israel und gingen in die Mission.
  • Weniger strenge Juden sind auch eher geeignet unter den Offeneren im Judentum zu sprechen.
  • Gott gebraucht und segnet die einen und auch die anderen.
  • Wenn Gottes Wort verkündigt wird, werden Menschen gläubig und bekehren sich zum Herrn.

Hier in Antiochien werden zum Empfang des Heiligen Geistes und dessen Auswirkungen keine Details genannt. Das heißt nicht, dass es diese nicht gab, aber ähnlich wie im Falle von Samaria, schicken die Apostel in Jerusalem begabte und befähigte Mitarbeiter, in diesem Fall den Barnabas (Sohn des Trostes) nach Antiochien, um die Glaubensgrundlage der neuen Jünger zu prüfen und die Gläubigen zu festigen. Seine Stärke war – voll Heiligen Geistes und Glaubens. „Es kam aber die Kunde davon der Gemeinde von Jerusalem zu Ohren; und sie sandten Barnabas, dass er nach Antiochia ginge. Als dieser dort hingekommen war und die Gnade Gottes sah, wurde er froh und ermahnte sie alle, mit festem Herzen an dem Herrn zu bleiben; denn er war ein bewährter Mann, voll Heiligen Geistes und Glaubens.“ Das Ergebnis dieses Dienstes war: „Und viel Volk wurde für den Herrn gewonnen.“ (Apg 11,22-24).

Neben all den geistlichen Gaben hatte Barnabas auch noch die Gabe der Integration von neuen Gläubigen und Mitarbeitern. „Barnabas aber zog aus nach Tarsus, Saulus zu suchen. Und als er ihn fand, brachte er ihn nach Antiochia. Und sie blieben ein ganzes Jahr bei der Gemeinde und lehrten viele. In Antiochia wurden die Jünger zuerst Christen genannt.“ (Apg 11,25-26; 9,27). Eine weitere Gabe des Geistes wird hier besonders hervorgehoben, die Gabe der Lehre. In Apg 13,1-2 wird neben der Lehrbegabung auch noch die prophetische Gabe betont und auch eingesetzt. „Es waren aber in Antiochia in der Gemeinde Propheten und Lehrer, nämlich Barnabas und Simeon, genannt Niger, und Luzius von Kyrene und Manaën, der mit dem Landesfürsten Herodes erzogen worden war, und Saulus.“ (Apg 13,1). Eine starke Gemeinde – solche Gaben und Begabten. „Als sie aber dem Herrn dienten und fasteten, sprach der Heilige Geist (anscheinend durch diese Propheten): Sondert mir aus Barnabas und Saulus zu dem Werk, zu dem ich sie berufen habe.“ (Apg 13,2).

Schlussfolgerungen:

  1. Auch hier wird die Sprachengabe nicht erwähnt, dafür aber andere für die Gemeinde wichtigen Gaben wie Prophetie und Lehre. Bei den Gläubigen wird die Umkehr zu Gott und der Glaube an Jesus Christus den Herrn hervorgehoben.
  2. Die Gabe der Barmherzigkeit und des Mitteilens ist besonders erwähnt: „Aber unter den Jüngern beschloss ein jeder, nach seinem Vermögen den Brüdern, die in Judäa wohnten, eine Gabe zu senden.“ (Apg 11,27-30; Röm 12,8).
  3. Es steht fest, dass gerade die Gemeinde in Antiochien (neben Jerusalem) zu einer der stärksten Missionsgemeinden wurde (Apg 13,3; 15,40).

10. Teil: Die Sprachengabe des Geistes in Ephesus

Es ist auffällig, dass Lukas in den Berichten über die erste und zweite Missionsreise des Apostels Paulus auf Zypern, im pisidischen Antiochia, Ikonion, Lystra, Derbe, Philippi, Thessalonich, Beröa, Athen, keinen Hinweis auf die Sprachengabe bei gläubig gewordenen gibt. Auch nicht in der Gründungsphase der Gemeinde Korinth, obwohl gerade dort Jahre später die Diskussion über die Praxis der Sprachenrede ausbrach.

Erst bei der dritten Missionsreise, welche den Apostel Paulus vom syrischen Antiochia über Galatien in den äußersten Westen der römischen Provinz Asia, nach Ephesus führte, berichtet Lukas von einer Auswirkung des Heiligen Geistes durch Sprachenrede der dort in Ephesus  Gläubiggewordenen.Wir lesen in Apostelgeschichte 19,1-7: „Es geschah aber, während Apollos in Korinth war, dass Paulus, nachdem er die höher gelegenen Gegenden durchzogen hatte, nach Ephesus kam. Und er fand einige Jünger und sprach zu ihnen: Habt ihr den Heiligen Geist empfangen, als ihr gläubig geworden seid? Sie aber sprachen zu ihm: Wir haben nicht einmal gehört, ob der Heilige Geist überhaupt da ist. Und er sprach: Worauf seid ihr denn getauft worden? Sie aber sagten: Auf die Taufe des Johannes. Paulus aber sprach: Johannes hat mit der Taufe der Buße getauft, indem er dem Volk sagte, dass sie an den glauben sollten, der nach ihm komme, das ist an Jesus. Als sie es aber gehört hatten, ließen sie sich auf den Namen des Herrn Jesus taufen; und als Paulus ihnen die Hände aufgelegt hatte, kam der Heilige Geist auf sie, und sie redeten in Sprachen und weissagten. Es waren aber insgesamt etwa zwölf Männer.“

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Abbildung 5 Das sehr gut erhaltene Taufbecken in der Marienkirche gibt Zeugnis, dass auch noch in den späteren Jahrhunderten Menschen auf den Namen Jesu getauft wurden (Foto:   6. März 2008).

Wir versuchen zunächst den Kontext dieser Geschichte zu beleuchten. Schon ein Jahr zuvor hatte Paulus zum Ende seiner zweiten Missionsreise hier in Ephesus kurz Halt gemacht. Bei seinem Abschied von den Juden versprach er wieder zu kommen, wenn Gott es zulässt (Apg 18,19-21). Das Ehepaar Priszilla und Aquila, welche ihn von Korinth bis hierher begleitet hatten, blieben in Ephesus mit ihrer Hausgemeinde. Beim Besuch des Apollos in Ephesus versahen die beiden den wichtigen Dienst der Nacharbeit und Vertiefung der Glaubensbeziehung zu Jesus bei Apollos (Apg 18,24-26). Dann reiste Apollos mit einem Empfehlungsschreiben weiter nach Korinth (Apg 18,27-28).

Es ist nicht leicht, die (etwa) zwölf Männer, welche Paulus in Ephesus (aufsuchte) und fand, zuzuordnen. Doch machen wir uns auf die Suche nach einer möglichen Antwort auf die Frage: wer waren die 12 Männer, aus welcher kulturellen und religiösen Gruppe kamen sie? Hatten sie Kontakt zu Aquila und Priszilla? Wenn ja, warum waren sie noch auf dem Stand der Johannes-Taufe?

  • Die eine mögliche Zuordnung wäre – sie sind Juden und gehören der örtlichen Synagoge an, Unter Juden gab es Johannesjünger auch über die Grenzen des Landes Israel hinaus. Paulus suchte auf seinen Missionsreisen in der Regel zuerst Juden auf und diese fand er in der Synagoge. Es ist wahrscheinlich, dass sich auch das Ehepaar Aqula und Priszilla, trotz der neuen Glaubensbeziehung, zur örtlichen Synagoge hielten.
  • Eine zweite Zuordnung wäre – sie sind Hellenisten, also gebürtige Juden, die aber wie Griechen lebten.
  • Die dritte Zuordnung wäre – sie sind Proselyten, also Menschen, welche aus den Heiden durch Beschneidung und Taufe zum Judentum konvertierten.
  • Eine vierte Zuordnung wäre – sie sind Heiden, die Gott fürchten. Diese standen ebenfalls der jüdischen Synagoge und dem Ein-Gott-Glauben nahe. Diese letztgenannten werden in der Apostelgeschichte als die `seboumenoi – Gottesfürchtige` genannt, ähnlich wie Kornelius in Cäsarea (Apg 10,1-2; 17,4; 18,7).

Da auch die Nachfolger des Täufers als `Jünger` bezeichnet werden, kann man diese 12 Männer dem Kreis der Johannesjünger zuordnen, die es auch in der Diaspora gab, wie das Beispiel von Apollos deutlich macht. Nach ihrem theologisch/geistlichem Stand zu urteilen gehörten die 12 Männer wohl nicht zu der Hausgemeinde von Aquila und Priszilla. Wären sie mit diesen in engerem Kontakt gewesen, hätten sie klare Informationen über Jesus und den Heiligen Geist erhalten. Halten wir also zunächst fest, dass es sich hier um die ersten Gläubigen in Ephesus handelt, welche durch den direkten Missionsdienst des Paulus zum wahren Glauben an Jesus Christus kamen. Meistens gehörten diese auch zu den späteren Gemeindeleitern oder auch überörtlichen Mitarbeitern des Apostels. Aus den späteren Texten der Apostelgeschichte des Lukas und den Briefen des Paulus werden uns einige Personen namentlich vorgestellt, die höchstwahrscheinlich zu den ersten in Ephesus gehörten.

  1. Epänetus – sein griechischer Name bedeutet `löblich`. Von ihm schreibt Paulus: „Grüßt Epänetus, meinen Lieben (Geliebten), der aus der Provinz Asien der Erstling für Christus ist.“ (Röm 16,5b).
  2. Tychikus, – die Wortwurzel seines Namens hat die Bedeutung von `Glück, Erfolg`. Möglicherweise dachten seine Eltern bei seiner Geburt an die griechische Göttin des Zufalls/Schicksals, des Glücks? Er ist aus der Provinz Asien – Ephesus (Apg 20,4; Eph 6,21; Kol 4,7; Tit 3,12; 2Tim 4,12).
  3.  Trophimus, – sein griechischer Name hat die Bedeutung von `nährend, ernährend`. Er war einer der treuen Mitarbeiter und Begleiter des Paulus und stammte aus Ephesus Stadt (Apg 20,4; 21,29;  2Tim 4,20).
  4. Onesiphorus, sein griechischer Name bedeutet `der Nutzbringende`; nach den Worten des Paulus hatte er eine Hausgemeinde in Ephesus. Er leistete viele Dienste in der Gemeinde und besuchte unter Lebensgefahr den Apostel Paulus im Gefängnis in Rom (2Tim 1,16-18; 2Tim 4,19).
  5. Artemas, – sein griechischer Name erinnert an die Artemis der Epheser. Auch er war einer der treuen Mitarbeiter des Paulus (Tit 3,12). Ein eindeutig heidnisch/griechischer Name, doch Paulus machte wohl keinerlei Anstalten, diesen zu ändern (übrigens auch nicht bei Apollos).

Dass alle diese fünf Männer und engste Mitarbeiter des Apostels Paulus griechische Namen trugen, ist zwar noch kein letzter Beweis dafür, dass es sich um Griechen, also Heiden handelte (es könnten auch Hellenisten gewesen sein), doch einiges spricht dafür, dass sie zu der vierten Gruppe, der sogenannten `seboumenoi – Gottesfürchtige` gehörten. Aus dem Text des Lukas erfahren wir, dass Paulus erst nach der Begegnung mit den 12 Männern in die Synagoge der Juden hineinging, wo er drei Monate lang predigte. Dies spräche dafür, dass er diese 12 außerhalb der Synagoge kennenlernte. Möglich, dass sie mit Apollos im Kontakt waren, noch bevor dieser mit Aquila und Priszilla zusammengekommen war. Diese Unklarheiten machen aber auch deutlich, dass der Dienst von Aquila und Priszilla nicht ausreichte für Gemeindegründung. Doch sicher scheint, dass Paulus bei ihnen gastliche Aufnahme fand (Apg 18,3; Röm 16,3-5a). Auf jeden Fall fand Paulus diese 12 Männer nicht irgendwo auf dem Marktplatz, sondern im großen Umfeld der jüdischen Synagoge.

Im Gespräch mit den 12 Jüngern stellt Paulus fest, dass ihnen etwas fehlt und deshalb fragt er sie: „Habt ihr den Heiligen Geist empfangen, als ihr gläubig geworden seid?“ Anhand der Frage und der grammatischen Form macht Paulus klar, dass der Heilige Geist in der Regel zum Zeitpunkt des gläubig werden in den Menschen einzieht (Apg 2,38; Eph 1,13). Doch bei diesen Männern konnte der Heilige Geist nicht nur nicht einziehen, weil sie vom Heiligen Geist nichts wussten, sondern weil sie noch nicht an Jesus glaubten. Sie waren immer noch auf dem Stand der Johannestaufe, welche nur eine Taufe zum Umdenken war. Diese beinhaltete zwar den theoretischen, aber nicht den praktischen Glaubensbezug zu Jesus (Apg 19,4). Ihre Antwort hebt dies hervor: „Sie aber sprachen zu ihm: Wir haben nicht einmal gehört, ob der Heilige Geist überhaupt da ist.“ Eine uns schockierende Aussage, es sieht so aus, dass die Nachricht von dem Pfingstgeschehen noch nicht bis zu ihnen durchgedrungen war. Und Paulus klärt sie über den auf, auf den schon Johannes in seiner Predigt hingewiesen hatte. Sie sind bereit, sich auf den Namen von Jesus taufen zu lassen, das schließt ein, dass sie Jesus als den Messias/Retter im Glauben angenommen haben. Nun ist der Weg frei zum Empfang des Heiligen Geistes. In diesem Fall geschieht dies extra durch Händeauflegen, ähnlich wie in Samarien, auch dort legten die Apostel den Gläubigen die Hände zum Empfang des Heiligen Geistes auf. Die 12 Jünger empfangen den Heiligen Geist und nun erleben sie das besondere Phänomen der Sprachen-Rede-Gabe und zwar mit prophetischem Inhalt – „und weissagten“, das heißt, sie redeten in verschiedenen Sprachen, ähnlich wie in Jerusalem am Pfingsttag und in Cäsarea im Haus des Kornelius.

Dieses Phänomen wird sich unter den Juden, aber auch anderen Bewohnern von Ephesus schnell herumgesprochen haben. Nun ist durch den Heiligen Geist erneut bestätigt worden, dass das Heil/Rettung anderen Nationen genauso angeboten wird wie den Juden. Damit wäre das Phänomen der Sprachen-Rede-Gabe in Ephesus mit prophetischem Inhalt auch als Zeichen für die ungläubigen Juden in der westlichen Diaspora zu werten. Ähnlich wie Petrus die Ausdrucksweise des Heiligen Geistes in Cäsarea als Beleg gegen die Kritiker aus den Juden in Jerusalem verwendete, so könnte Paulus den Juden der Diaspora (Ephesus/Asien) diese Bestätigung des Geistes bei den zwölf Männern als Beleg für die Annahme der Heiden zum Volk Gottes entgegenhalten. Schon im Pfingstgeschehen in Jerusalem konnten wir feststellen, dass die Sprachengabe nicht primär zur besseren Verständigung, sondern eher als Zeichen für die ungläubigen Juden gegeben wurde, die in Jerusalem wohnten und die aus der Diaspora nach Jerusalem umgesiedelt waren. Als Zeichen, dass Gott über die Grenzen des jüdischen Volkes und Landes  hinaus allen Nationen das Heil in Christus anbietet und gerade die Juden für diese Aufgabe berufen worden sind. Davon musste Gott nicht die Heiden überzeugen, sondern die Juden, welche nicht wahrhaben wollten, dass das Heil auch den Heiden gilt (Apg 11,18; 22,21).

An dieser Stelle scheint es sinnvoll zu sein, einige Erfahrungen im Dienst der zwei namhaften Apostel – Petrus und Paulus – einander gegenüberzustellen.

– Aus dem Dienst des Petrus wird eine Befreiung aus dem Gefängnis berichtet, so auch aus dem Dienst des Paulus (Apg 4,7-11; 16,25-40).

– Aus dem Dienst des Petrus wird eine Totenerweckung berichtet, so auch aus dem Dienst des Paulus (Apg 9,39-42; 20,8-12).

– Aus dem Dienst des Petrus wird ein Gesicht (orama) berichtet, wodurch Petrus Neuland betreten sollte (Kornelius) so auch im Dienst des Paulus, als er in einem Gesicht (orama) den Mazedonierruf sieht und hört, der ihn zum Betreten des Neulandes Mazedonien auffordert (Apg 10,10-20: 16,9).

– Aus dem Dienst des Petrus wird ein Empfang des Heiligen Geistes mit Sprachengabe als Auswirkung in einem heidnischen Kontext in Cäsarea berichtet, so auch aus dem Dienst des Paulus in Ephesus (Apg 10,28-48; 19,1-7).

Diese Parallelen sind von Lukas nicht zufällig aufgeschrieben worden. Sie heben das herausragende Handeln des Heiligen Geistes durch besondere Vollmachten der beiden  Apostel hervor. So schreibt der Apostel Paulus in Galater 2,7-9: „da sie sahen, dass mir anvertraut war das Evangelium an die Heiden so wie Petrus das Evangelium an die Juden

– denn der in Petrus wirksam gewesen ist zum Apostelamt unter den Juden, der ist auch in mir wirksam gewesen unter den Heiden -, und da sie die Gnade erkannten, die mir gegeben war, gaben Jakobus und Kephas und Johannes, die als Säulen angesehen werden, mir und Barnabas die rechte Hand und wurden mit uns eins, dass wir unter den Heiden, sie aber unter den Juden predigen sollten.

Die nächsten drei Monate predigte Paulus in der Synagoge der Juden. Auch nachdem er die Synagoge verlassen musste, kamen sehr viele Menschen durch seine vollmächtige Verkündigung zum Glauben, doch wird uns keine weitere derartige Erfahrung oder Auswirkung genannt. Es entsteht der starke Eindruck, dass es sich in den drei Fällen (Jerusalem, Cäsarea und Ephesus) in denen sich der Heilige Geist auf diese Weise kundgab, immer um den Beginn eines neuen Missionsfeldes handelte.

Nirgendwo blieb der Apostel Paulus so lange an einem Ort wie in Ephesus und Umgebung. „Und Gott wirkte nicht geringe Taten durch die Hände des Paulus. So hielten sie auch die Schweißtücher und andere Tücher, die er auf seiner Haut getragen hatte, über die Kranken, und die Krankheiten wichen von ihnen und die bösen Geister fuhren aus.“ (Apg 19,11-12).Von hier aus ist das Evangelium in der gesamten Provinz Asia ausgebreitet worden (Apg 19,10. 20; Offb 2-3). Die Auswirkungen des Heiligen Geistes bei vielen, die in Ephesus gläubig wurden, sind in folgenden Aussagen zusammengefasst: „Es kamen auch viele von denen, die gläubig geworden waren, und bekannten und verkündeten, was sie getan hatten. Viele aber, die Zauberei getrieben hatten, brachten die Bücher zusammen und verbrannten sie öffentlich und berechneten, was sie wert waren, und kamen auf fünfzigtausend Silbergroschen. So breitete sich das Wort aus durch die Kraft des Herrn und wurde mächtig.“ (Apg 19,18-20).

11. Teil: Die Sprachengabe in der Gemeinde Korinth

Als der Apostel Paulus etwa im Jahre 55 n.Chr. von Ephesus aus den sogenannten 1Korintherbrief schrieb, war die Gemeinde Gottes in Korinth noch keine vier Jahre alt (Apg 18,1-18; 1Kor 16,7-9).

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Abbildung 9 Die griechische Aufschrift „Synagoge der Hebräer“ bestätigt das Vorhandensein eines jüdischen Versammlungshauses in Korinth (Foto:  23. Mai 2011).

Für den Apostel, der mit seinen Mitarbeitern Silvanus und Timotheus die Gemeinde in Korinth gründete, waren die Nachrichten und Fragen der Gemeinde Grund genug, um einen ausführlichen Brief zu schreiben. Dem Thema Gaben des Geistes widmet der Apostel in seinem Brief viel Raum und speziell der Prophetie- und Zungenrede, sowie deren Zweck und Praxis, ein ganzes Kapitel (1Kor 14,1-33). In der Gründungsphase der Gemeinde wird das Phänomen  `Sprachenrede-Zungenrede` nicht erwähnt (Apg 18,1-18). Das Argument des Schweigens bedeutet natürlich noch nicht, dass es dieses Phänomen in den Anfängen nicht gegeben hat. Höchstwahrscheinlich gab es dort in der Zeit der Wirksamkeit des Apostels solche Äußerungen des Heiligen Geistes. Die Korinther machen jedoch von dieser Geistesgabe falschen Gebrauch. Darum erläutert der Apostel so detailliert die Zweckbestimmung und den rechten Gebrauch dieser Gabe in der Gemeinde.

Paulus leitet dieses Thema ein mit: „Strebt nach der Liebe (gr.agap¢n).“ (14,1a). Die Liebe ist Frucht des Heiligen Geistes (Gal 5,22) und als solche steht sie vor und über den Gaben und Werken (1Kor 13,1-13). An ihr soll erkannt und gemessen werden, ob jemand den Heiligen Geist hat (Röm 5,5b: „denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben worden ist“). Oder vom Geist Gottes geleitet wirvv oder vom Heiligen Geist geleitet ist oder vom Heiligen Geist geleitet ist oder vom Heiligen Geist geleitet ist oder vom Heiligen Geist geleitet ist oder vom Heiligen Geist geleitet ist oder vom Heiligen Geist geleitet ist oder vom Heiligen Geist geleitet ist cvv oder vom Heiligen Geist geleitet ist oder vom Heiligen Geist geleitet ist oder vom Heiligen Geist geleitet ist oder vom Heiligen Geist geleitet ist oder vom Heiligen Geist geleitet ist oder vom Heiligen Geist geleitet ist oder vom Heiligen Geist geleitet ist oder vom Heiligen Geist geleitet ist oder vom Heiligen Geist geleitet ist oder vom Heiligen Geist geleitet ist aber nach den geistlichen Gaben (gr. πνευματικά – pneumatika), besonders aber, dass ihr weissagt (gr. prof¢teu¢te – prophetisch redet).“ (14,1b).  Der Hauptkern der Prophetie ist die Verkündigung des Wortes Gottes auf verschiedene Weise, wie der Herr selbst durch den Propheten erklären ließ: „Ein Prophet, der Träume hat, der erzähle Träume; wer aber mein Wort hat, der predige mein Wort recht.“ (Jer 23,28a). Und Mose wünschte: „Wollte Gott, dass alle im Volk des HERRN Propheten wären und der HERR seinen Geist über sie kommen ließe.“ (4Mose 11,29). Diese Gabe verhieß Gott, in reichem Maß unter seinen Kindern auszuteilen (Joel 3,1-2; Apg 2,17-18). Da liegt der Apostel Paulus ganz auf der Linie, die Gott in Bezug auf die Mitteilung seines Willens festgelegt hatte.

Der Apostel fährt fort: „Denn wer in einer Sprache redet, redet nicht zu Menschen, sondern zu Gott; denn niemand versteht (hört auf) es, im Geist aber redet er Geheimnisse.“ (14,2). Im Griechischen gibt es für `Zunge als Körperglied` (Ri 7,5; Mk 7,33) und `Zunge als Sprache` nur einen Begriff, nämlich `gloss¢ `. Mit dem griechischen Begriff `cheilos` für Lippe ist auch oft Sprache gemeint (1Mose 11,1-9; Jes 6,5; 28,11). In unserem Textzusammenhang handelt es sich um eine Sprache, welche der Redende von Natur aus nicht beherrscht und auch den Zuhörern unbekannt und daher auch unverständlich ist. Wahrscheinlich leiten einige Christen davon ab, dass es sich hier nicht um eine menschliche Sprache handelt. In 1Korinther 13,1 erwähnt der Apostel neben menschlichen Sprachen (im Plural) auch Sprachen der Engel (im Plural). Allerdings haben sich die himmlischen Boten bei ihren Mitteilungen an Menschen, immer in der für die betreffenden Menschen verständlicher Sprache geäußert. Da es sich aber am Pfingsttag in Jerusalem eindeutig um menschliche Sprachen/Dialekte handelte, ist es wahrscheinlich, dass es sich bei Kornelius in Cäsarea und auch in Ephesus um Äußerungen des Geistes in menschlichen Sprachen/Dialekte handelte. Was läge hier näher, auch für Korinth unter dem Begriff `γλόσση – gloss¢ ` das gleiche zu verstehen. Was die Zungenrede-Gabe in Korinth betrifft, so ist kein einziger Inhalt einer solchen Sprachäußerung überliefert worden und daher auch keine Auslegung. Wir haben aus dem Korinthischen Kontext keine praktischen Beispiele von Zungenrede (mit konkreter Auslegung) und daher ist ein Vergleich mit der heutigen Praxis in den Gemeinden nicht möglich. In Jerusalem am Pfingsttag und in Cäsarea war das Reden in Sprachen unter der Überschrift „Die Großtaten Gottes“ den jeweiligen Zuhörern verständlich, eine Auslegung war nicht notwendig. Was aber ein Gemeindeglied in der Gemeinde Korinth im Geist redete, blieb den Versammelten verborgen.

Wer aber weissagt (prophetisch redet), redet zu den Menschen zur Erbauung und Ermahnung und Tröstung.“ (14,3). Es folgt eine Art Gegenüberstellung von Zungenrede und Prophetie, während Letztere sich an Menschen wendete und so die geistliche Auferbauung der Gemeinschaft im Auge hatte. „Wer in einer Sprache redet, erbaut sich selbst; wer aber weissagt, erbaut die Gemeinde.“ (14,4). Hier geht es nicht mehr nur um eine Gegenüberstellung, sondern schon um eine Wertung. Das Wohl der Gemeinschaft steht über der subjektiven Erfahrung des Einzelnen.

Ich möchte aber, dass ihr alle in Sprachen redet, mehr aber noch, dass ihr weissagt. Wer aber weissagt, ist größer, als wer in Sprachen redet, es sei denn, dass er es auslegt, damit die Gemeinde Erbauung empfange.“ (14,5).

Der Wunsch des Apostels, dass alle in Sprachen reden könnten, wird jedoch von ihm selber relativiert durch die Aussage in 1Kor 12,30: „Nicht alle reden in Sprachen“. Paulus ist zwar für die Sprachen-Rede-Gabe, hebt jedoch die für die Gemeinschaft verständliche und aufbauende Gabe der prophetischen Rede (in einer für alle verständlichen Landessprache/Volkssprache) deutlich hervor. Nur durch die Übersetzung/Auslegung der Sprachenrede wird ihr Wert für die Gemeinschaft anerkannt.

Jetzt aber, Brüder, wenn ich zu euch komme und in Sprachen rede, was werde ich euch nützen, wenn ich nicht zu euch rede in Offenbarung oder in Erkenntnis oder in Weissagung oder in Lehre.“ (14,6). Der Gemeinschaft nützt nach den Worten des Apostels die Sprachenrede (ohne Übersetzung) nichts. Dagegen sind Offenbarung, Erkenntnis, Weissagung (Prophetie) und Lehre die aufbauenden geistlichen Elemente für die Gemeinde vor Ort.

Und dann begründet er seine Argumentation: „Doch auch die tönenden leblosen Dinge, Flöte oder Harfe, wenn sie den Tönen keinen Unterschied geben, wie wird man erkennen, was geflötet oder geharft wird?  Denn auch wenn die Posaune einen undeutlichen Ton gibt, wer wird sich zum Kampf rüsten?  So auch ihr, wenn ihr durch die Sprache nicht eine verständliche Rede gebt, wie soll man erkennen, was geredet wird? Denn ihr werdet in den Wind reden.“ (14,7-9). Wie schon an Pfingsten, so macht der Apostel Paulus auch für Korinth deutlich, dass es sich bei der durch den Geist Gottes gewirkten Sprachenrede um eine klar definierte Sprache (Dialekt) handelt und keineswegs um ein undeutliches Gemisch von Lauten oder Wortfetzen aus verschiedenen Sprachen.

Schon in jungen Jahren empfand ich es als störend, wenn in einer Stubenversammlung gemeinsam (gleichzeitig) halblaut, leise oder sogar flüsternd gebetet wurde. Natürlich hat Gott alle gehört und verstanden, doch der Aufbaueffekt für die Gemeinschaft war verfehlt. Ich selber konnte mich nicht konzentrieren und hörte meist dem zu, der am lautesten betete. Dabei handelte es sich noch nicht um eine Art Zungenredegebet, sondern alle beteten in Deutsch. Das Ergebnis war das gleiche, keiner verstand so richtig, was der andere betete.

Paulus fährt fort: „Es gibt zum Beispiel so viele Arten (gen¢) von Sprachen (hier: fönön – Stimmen/Töne) in der Welt, und nichts ist ohne Sprache (hier: afönön – unstimmig/tonlos). (14,10). Dieser Vergleich unterstützt zusätzlich die Annahme, dass es sich auch bei der Sprachenredegabe um eine in dieser Welt vorhandenen und gesprochenen Sprache/Dialekt handelt, die in sich stimmig ist.

Paulus weiter: „Wenn ich nun die Bedeutung (dynam¢n – Kraft) der Sprache (hier: φfön¢s – Stimme/Tones) nicht kenne, so werde ich dem Redenden ein Barbar sein und der Redende für mich ein Barbar.“ (14,11). Jetzt wird Paulus ganz drastisch in seinen Vergleichen, denn als Barbaren wurden all die Völker bezeichnet, die außerhalb der damals zivilisierten und im Römischen Reich anerkannten und verstandenen Sprachen lebten. Obwohl auch die sogenannten Barbaren auf der Insel Melite (Apg 28,1ff) in sich stimmige Sprache benutzten. Damit ist für die Gemeinschaft das unverständliche Reden oder Beten in Sprachen zwecklos und nutzlos.

So auch ihr, da ihr nach geistlichen Gaben (pneumatön) eifert, so strebt danach, dass ihr überreich seid zur Erbauung der Gemeinde.“ (14,12). Der Hinweis hier ist: was zur Auferbauung der Gemeinde dient, diese Gaben sollen auch in der öffentlichen Versammlung in ihrer Vielfalt zum Zuge kommen.

Darum, wer in einer Sprache redet, bete, dass er es auch auslege! Denn wenn ich in einer Sprache bete, so betet mein Geist, aber mein Verstand ist fruchtleer.“ (14,13-14). Auslegen, bzw. übersetzen/dolmetschen ist unbedingte Voraussetzung für lautes, öffentliches beten oder reden in einer unbekannten Sprache. Hier fällt noch auf, dass Paulus von `seinem` Geist spricht, bzw. dem Geist des Redenden oder Betenden in einer anderen Sprache. Und dass in diesem Fall der Verstand (nous) des Redenden ausgeschaltet ist, so dass er selbst nicht kontrollieren oder beurteilen kann, was er sagt oder betet. Merken wir, dass sich hier auch eine Gefahr verbergen kann? Wenn schon beim prophetischen Reden von zwei oder drei Personen die Gemeinde beurteilen soll, wie viel mehr wenn nur einer eine Aussage macht?

Was ist nun? Ich will beten mit dem Geist, aber ich will auch beten mit dem Verstand; ich will lobsingen mit dem Geist, aber ich will auch lobsingen mit dem Verstand. Denn wenn du mit dem Geist preist, wie soll der, welcher die Stelle des Unkundigen einnimmt, das Amen sprechen zu deiner Danksagung, da er ja nicht weiß, was du sagst? Denn du sagst wohl gut Dank, aber der andere wird nicht erbaut.“ (14,15-17). Wieder und wieder betont Paulus den begrenzten Nutzen des Sprachen-Rede (Gebets) für die Gemeinschaft, die nichts davon hat und entsprechend nicht mit einem Amen als Bestätigung bekräftigen kann.

Ich danke Gott, ich rede mehr in Sprachen als ihr alle. Aber in der Gemeinde will ich lieber fünf Worte mit meinem Verstand reden, damit ich auch andere unterweise, als zehntausend Worte in einer Sprache.“ (14,18-19). Das ist die Kulmination der Auseinandersetzung mit der Thematik Sprachengabe in der Gemeinde – fünf zu zehntausend. Natürlich spitzt der Apostel stark zu, aber doch nur, um die Korinther wieder ins richtige Lot zu bringen. Und er bekräftigt seine Argumentation mit dem Aufruf: „Brüder, seid nicht Kinder am Verstand, sondern an der Bosheit seid Unmündige, am Verstand aber seid Erwachsene.“ (14,20)!

Nun folgt eine von der Schrift her abgeleitete Erklärung des Apostels über die Zweckbestimmung der Sprachenrede. „Im Gesetz steht geschrieben: »Ich will in andern Zungen  (eteroglössois – Anderssprachige) und mit andern Lippen (cheilesin eterön – Lippen anderer) reden zu diesem Volk, aber auch so werden sie nicht auf mich hören, spricht der Herr.« Und Paulus zieht daraus den Schluss: „Darum sind die Sprachen (glössai) ein Zeichen nicht für die Gläubigen, sondern für die Ungläubigen; die prophetische Rede aber ein Zeichen nicht für die Ungläubigen, sondern für die Gläubigen.“ (14,21-22). Das Zitat, welches Paulus hier als Erklärung für die Sprachenrede anführt, ist aus dem Propheten Jesaja 28,11-12 entnommen. Dort ist der Bezug zum Volk Israel (Juda und Jerusalem) deutlich erkennbar. Dazu nennt Paulus die Bestimmung dieser Sprachen-Rede-Gabe, bzw. das Phänomen dieser Ausdrucksweise Gottes – es ist ein ZEICHEN für die Ungläubigen, für die, die nicht hören wollten. Diese Verstockten im Herzen und den Ohren gab es zur Zeit des Propheten Jesaja, die gab es zur Zeit Jesu und der Apostel. Damals wollte die Mehrheit der Juden nicht hören und nicht glauben. Ein kleiner Teil der Gesamtheit der Juden in Korinth, (ähnlich wie auch in Jerusalem am Pfingsttag), nahm Jesus als den Messias an. So schreibt Lukas: „Als aber Silas und Timotheus aus Mazedonien kamen, richtete sich Paulus ganz auf die Verkündigung des Wortes und bezeugte den Juden, dass Jesus der Christus ist. Als sie aber widerstrebten und lästerten, schüttelte er die Kleider aus und sprach zu ihnen: Euer Blut komme über euer Haupt; ohne Schuld gehe ich von nun an zu den Heiden. Und er machte sich auf von dort und kam in das Haus eines Mannes mit Namen Titius Justus, eines Gottesfürchtigen; dessen Haus war neben der Synagoge. Krispus aber, der Vorsteher der Synagoge, kam zum Glauben an den Herrn mit seinem ganzen Hause, und auch viele Korinther, die zuhörten, wurden gläubig und ließen sich taufen.“ (Apg 18,5-8).

Zwar wird in der Gründungsphase das Phänomen der Sprachenrede nicht erwähnt, doch die spätere Praxis dieser Gabe in der Gemeinde lässt zumindest den Schluss zu, dass es dieses Phänomen in der Anfangszeit als Zeichen für die Juden, die nicht hören und glauben  wollten, gegeben haben könnte.

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Abbildung 10 Das Kreuz – für die Juden ein Ärgernis, für die Griechen eine Torheit (Foto:  23. Mai 2012).

Denn die Juden fordern Zeichen.“ (1Kor 1,22), Und wenn sie welche bekommen, glauben sie doch nicht (Joh 12,37: „Und obwohl er solche Zeichen vor ihren Augen tat, glaubten sie doch nicht an ihn“).

Aber ist die Sprachenredegabe nicht auch ein Zeichen für die Ungläubigen aus den Heiden? Im Abschnitt 8 (Sprachengabe in Cäsarea) konnten wir sehr deutlich feststellen, dass der Empfang des Heiligen Geistes in Verbindung mit der Sprachen-Rede-Gabe bei den Heiden (Haus des Kornelius) von Petrus geradezu als Beweis ihrer Annahme bei Gott in Jerusalem (bei den Juden) vorgetragen wurde (Apg 11,18).

Für Heiden wäre solch ein Zeichen sinnlos und zwecklos, wie der Apostel im folgenden Text klar macht. „Wenn nun die ganze Gemeinde zusammenkommt und alle in Sprachen reden, und es kommen Unkundige (idiötai – Laien) oder Ungläubige herein, werden sie nicht sagen, dass ihr von Sinnen seid? Wenn aber alle weissagen und irgendein Ungläubiger oder Unkundiger kommt herein, so wird er von allen überführt, von allen beurteilt; das Verborgene seines Herzens wird offenbar, und so wird er auf sein Angesicht fallen und wird Gott anbeten und verkündigen, dass Gott wirklich unter euch ist.“ (14,23-25). Aus dieser Erklärung des Paulus zur Bestimmung der Sprachenrede geht hervor, dass sie nicht für die Evangelisation von Laien (besonders der Unkundigen/Ungläubigen aus den Heiden) bestimmt ist. Für diesen Zweck ist die Gabe der prophetischen Rede viel geeigneter.

Was ist nun, Brüder? Wenn ihr zusammenkommt, so hat jeder einen Psalm, hat eine Lehre, hat eine Offenbarung, hat eine Sprachenrede, hat eine Auslegung; alles geschehe zur Erbauung.“ (14,23-26). Der Apostel ist für die Vielfalt der Gaben in einer Gemeinde, doch jede Ausdrucksform soll sich an einem Ziel orientieren – die Auferbauung der Gemeinde. Das Gemeinwohl steht im Vordergrund, nicht die subjektive Erbauung, oder gar Selbstdarstellung.

Wenn nun jemand in einer Sprache redet, so sei es zu zweien oder höchstens zu dritt und nacheinander, und einer lege aus. Wenn aber kein Ausleger da ist, so schweige er in der Gemeinde, rede aber für sich und für Gott. Von den Propheten aber sollen zwei oder drei reden, und die anderen sollen urteilen. Wenn aber einem anderen, der dasitzt, eine Offenbarung zuteil wird, so schweige der Erste. Denn ihr könnt einer nach dem anderen alle weissagen, damit alle lernen und alle getröstet werden. Und die Geister der Propheten sind den Propheten untertan Denn Gott ist nicht ein Gott der Unordnung, sondern des Friedens.“ (14,27-33). Es gibt Einschränkungen was die Anzahl der Redenden betrifft und dazu auch noch der Reihe nach. Dies gilt auch für das Beten oder Psalmensingen. Und es gibt Sprachen-Rede Verbot bei Fehlen einer Auslegung/Übersetzung. Doch bei allem Streben nach Gaben und deren Anwendung in der Gemeinde soll der Friede Gottes gewahrt werden.

12. Teil: Der Stellenwert der Sprachen-Rede-Gabe

In den vorherigen Abschnitten versuchten wir festzustellen, wo, wann und wie diese Gabe in der ersten Gemeindegeneration zum Einsatz kam. In diesem letzten Abschnitt geht es nicht um eine detaillierte Studie aller Gnadengaben und deren Träger, sondern mehr um die Frage, welchen Stellenwert die Sprachen-Rede-Gabe unter den anderen Gnadengaben des Heiligen Geistes einnimmt. Und schließlich eine Zusammenfassung mit einigen Schlussfolgerungen.

Die Listen der Gnadengaben und die Ämter (Dienste).

Mit den Geistesgaben befasst sich systematisch nur der Apostel Paulus. Im ersten Korintherbrief und im Epheserbrief finden wir insgesamt drei Listen mit zum Teil ähnlicher Reihenfolge von Gaben und Gabenträgern.

1Korinther 12,28-30:

Und die einen hat Gott in der Gemeinde eingesetzt:

  1. Erstens – Apostel
  2. Zweitens – Propheten
  3. Drittens – Lehrer
  4. Danach – Wunderkräfte
  5. Danach – Gnadengaben der Heilungen
  6. Hilfeleistungen
  7. Leitungen
  8. Arten von Sprachen
  • Sind etwa alle Apostel?
  • Alle Propheten?
  • Alle Lehrer?
  • Haben alle Wunderkräfte?
  • Haben alle Gnadengaben der Heilungen?
  • Reden alle in Sprachen?
  • Legen alle aus?

Epheser 4,11-13:

Und er hat gegeben die einen als

  1. Apostel,
  2. Propheten,
  3. Evangelisten,
  4. Hirten,
  5. Lehrer.

Zur Ausrüstung der Heiligen für das Werk des Dienstes, für die Erbauung des Leibes Christi.

1Korinther 12,7-11:

In einem jeden offenbart sich der Geist zum Nutzen aller;

  1. Dem einen wird durch den Geist gegeben, von der Weisheit zu reden;
  2. Dem andern wird gegeben, von der Erkenntnis zu reden, nach demselben Geist;
  3. Einem andern Glaube, in demselben Geist;
  4. Einem andern die Gabe, gesund zu machen, in dem „einen“ Geist;
  5. Einem andern die Kraft, Wunder zu tun;
  6. Einem andern prophetische Rede;
  7. Einem andern die Gabe, die Geister zu unterscheiden;
  8. Einem andern mancherlei Zungenrede;
  9. Einem andern die Gabe, sie auszulegen.

Dies alles aber wirkt derselbe „eine“ Geist und teilt einem jeden das Seine zu, wie er will.

Kurze Bemerkungen zu dem, was in diesen Gabenlisten auffällt.

  • Die Träger der apostolischen Berufung und Begabung sind immer ganz vorne bzw. oben in den Listen.
  • Der prophetische Dienst ist in den ersten zwei Listen jeweils an zweiter Stelle.
  • Die Gabe der Sprachenrede ist in den zwei Listen, in denen diese genannt wird, immer an letzter Stelle.

Wie wir in den vorhergehenden Abschnitten feststellen konnten, hatte diese Gabe folgende Bestimmung:

  1. An Pfingsten war sie offensichtliche Begleiterscheinung beim Kommen des Heiligen Geistes.
  2. Ebenfalls am Pfingsttag diente sie der Verherrlichung Gottes, denn durch diese Gabe wurden die Großtaten Gottes gerühmt.
  3. Die Vielfalt der eindeutigen Sprachen/Dialekte am Pfingsttag diente als Zeichen für die ungläubigen Juden. Dadurch bestätigte Gott dem gesamten Volk Israel, dass alle Völker in Gottes Heilsplan eingeschlossen sind.
  4. In Cäsarea, im Haus des Kornelius, diente diese Gabe als Zeichen/Bestätigung für Petrus und seine sechs jüdischen Begleiter, dass auch Heiden durch Herzensumkehr und Glauben den Heiligen Geist empfangen haben wie auch die gläubig gewordenen Juden/Galiläer am Pfingsttag.
  5. Auch diente sie später als Beweis für die Judenchristen in Jerusalem, die nicht wahrhaben wollten, dass die Heiden auch Anteil an der Erlösung haben. Petrus begründet: „Sie haben den Heiligen Geist empfangen gleichwie wir am Anfang“ (gemeint ist am Pfingsttag).
  6. In Ephesus diente sie (wie auch das prophetische Reden) höchstwahrscheinlich zur Bestätigung des Empfangs des Heiligen Geistes bei gläubig gewordenen und Getauften aus den Heiden. Dieses hörbare Zeichen war grundlegend, nicht nur für die Heiden selbst, sondern auch für die Juden vor Ort.
  7. In Korinth diente diese Gabe der individuellen Auferbauung der Gläubigen.
  8. Sie diente der Auferbauung der Gemeinde nur, wenn sie in eine für alle bekannte und verständliche Sprache ausgelegt wurde. Sonst wurde sie von Paulus als hörbare Äußerung im öffentlichen Gottesdienst untersagt.
  9. Für keine andere Gnadengabe wird irgendwo eine Einschränkung gemacht, nur für die Gabe der Sprachenrede.
  10. Es ist ein legitimes und auch ehrliches Anliegen, dass diese Gabe nicht erzwungenermaßen gesucht und erlangt werden sollte.
  11. Jede Äußerung der Geistesgaben muss überprüfbar sein. Wenn sogar die Prophetie, welche in der landesüblichen Sprache ausgesprochen wurde, nach den Worten des Paulus von der Gemeinde beurteilt/geprüft werden sollte, wie viel mehr die Zungenrede, die häufig nicht ausgelegt wird, und wenn sie ausgelegt wird, dann beruht die Auslegung oft nur auf einem einzigen Zeugen.
  12. Die Zungenredegabe (wie auch alle anderen Gaben) kann vom Herrn erbeten werden, doch der Heilige Geist teilt letztlich jedem die Gabe(n) zu, wie er will.
  13. Diese Gabe allein kann nicht als sichere Bestätigung für das Innewohnen des Heiligen Geistes (Geistestaufe) im Gläubigen angesehen werden. Die Äußerungen des Heiligen Geistes bei der Wiedergeburt eines Menschen sind unterschiedlich.
  14. Diese Sprachengabe wurde nicht gegeben, um das natürliche Erlernen von Sprachen bei Gläubigen aufzuheben.
  15. Der Heilige Geist ist uneingeschränkt im Zuteilen von Gaben und Befähigungen. Er gibt sie und kann diese auch wieder zurückziehen. Er kann diese auf Lebenszeit oder auch nur für bestimmte Situationen zuteilen.
  16. Weil die Sprachengabe nach den Worten des Apostels in erster Linie der Selbstauferbauung dient, ist bei ihrem Gebrauch besonders behutsamer Umgang nötig. Jede Art von Stolz oder Überheblichkeit über andere Gabenträger, bei denen die Geistesgaben nicht so offensichtlich hervorstechen, sollte bekämpft werden (das gilt natürlich auch für alle anderen Gabenträger).
  17. In manch einer Situation, besonders bei der Mission, wäre diese Gabe auf den ersten Blick hilfreich zur verständlichen Weitergabe der Heilsbotschaft, doch gerade dafür ist sie in der Urgemeinde nicht eingesetzt worden. In der Regel benutzt Gott die menschlichen Sprachkenntnisse als natürliche Kanäle (irdene Gefäße) zur Verbreitung seines Evangeliums.
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Dies Geschlecht – diese Genea

 

 Geschlecht – Genea

(Generation, Geschlecht, Nachkommen, Art)

Eine Bibelstudie über den Begriff `Genea` von Paul Schüle

 

 

Inhaltsverzeichnis

 

 

1. Teil: Dies Geschlecht (Genea) wird nicht vergehen

 

Schon in meinen jungen Jahren galt in der Gemeinde die Meinung, dass unter der Aussage Jesu in Matthäus 24,34:„dies Geschlecht“ sei das Volk Israel, bzw. die Juden gemeint. Nun, da ist was dran, lebte doch Jesus mitten unter Israel und sprach auch hauptsächlich zu Juden. Und in der Tat, es gibt kaum ein anderes Volk, das seine Identität so sehr bewahrt hat, wie das Volk der Juden. Wir machen uns also auf die Suche nach den Texten, welche dieses Thema erhellen können.

Der griechische Begriff  `γενέα – Genea` kann zunächst übersetzt werden mit:

Generation im natürlichen und wörtlichen Sinne, so das Geschlechtsregister von Jesus nach Matthäus 1,1-17. In diesem Textzusammenhang beschreibt Matthäus die Generationenabfolge von Abraham bis Josef – insgesamt 42 Generationen oder Glieder. In der Regel zählte eine Generation/Generationsspanne von der Geburt des Erstgeborenen Sohnes bis zur Geburt des erstgeborenen Enkels (1Mose 5,1ff). Das Geschlechtsregister von Jesus nach Lukas, enthält im gleichen Zeitraum (Josef – Abraham) sogar 56 Generationen/Glieder (Lk 3,23-36). Hier wird also der Begriff `Genea` buchstäblich verwendet (vgl. dazu auch 1Mose 17,7. 9 – von Generation zu Generation). Die Markierung einer Generationsspanne war wichtig in mancherlei Hinsicht. So benutzt Gott selber die Generationen-Markierungen: „Denn ich, der HERR, dein Gott, bin ein eifernder Gott, der die Missetat der Väter heimsucht bis ins dritte und vierte Glied (Genea) an den Kindern derer, die mich hassen“ (2Mose 20,5). Die Weitergabe (das Tradieren) von Geschichten und Erfahrungen war sehr oft mit der Generationenabfolge verbunden. So wurden wichtige Informationen von den Eltern über die Kinder bis auf die Enkel weitergegeben/überliefert. Wir lesen in 1Mose 18,19: „Denn dazu habe ich ihn (Abraham) auserkoren, dass er seinen Kindern befehle und seinem Hause nach ihm, dass sie des HERRN Wege halten und tun, was recht und gut ist, auf dass der HERR auf Abraham kommen lasse, was er ihm verheißen hat.“ So konnte Abraham das geistliche Erbe, die Gottesverheißungen, aber auch die Gebote und Rechtsordnungen Gottes an seinen Sohn Isaak weitergeben und erlebte noch seinen Enkel Jakob bis zu dessen 15. Lebensjahr. Auch durch Mose ordnete Gott an, dass seine Wunderwerke, die er in Ägypten getan hatte, weitererzählt werden: „… und auf dass du verkündigst vor den Ohren deiner Kinder und deiner Kindeskinder, wie ich mit den Ägyptern verfahren bin und welche Zeichen ich unter ihnen getan habe, damit ihr wisst: Ich bin der HERR“ (2Mose 10,2).

Nicht zuletzt war eine Aufzeichnung von bestimmten Generationen und einer Generationenliste für die Geburt und Erkennung des Menschensohnes Jesus, als Messias Gottes wichtig, daher die sogenannten Geschlechtsregister bei Matthäus und Lukas, welche von Christen häufig übersehen werden.

Doch der Begriff `Genea` birgt in sich noch weitere inhaltliche Aspekte.

2. Teil: Dies Geschlecht wird nicht vergehen

 

2.1 Das Geschlecht gleicht …

eim Betrachten der Texte in denen Jesus selbst diesen Begriff verwendet stellen wir auch noch andere inhaltliche Aspekte fest. In Lukas 7,29-35 führt Jesus einen Vergleich an um zu zeigen, wie er seine Zeitgenossen einschätzt und bewertet. „Und alles Volk, das ihn hörte, und die Zöllner gaben Gott Recht und ließen sich taufen mit der Taufe des Johannes. Aber die Pharisäer und Schriftgelehrten verachteten, was Gott ihnen zugedacht hatte, und ließen sich nicht von ihm taufen. Mit wem soll ich die Menschen dieses Geschlechts (genea) vergleichen, und wem sind sie gleich? Sie sind den Kindern gleich, die auf dem Markt sitzen und rufen einander zu: Wir haben euch aufgespielt und ihr habt nicht getanzt; wir haben Klagelieder gesungen und ihr habt nicht geweint.

Denn Johannes der Täufer ist gekommen und aß kein Brot und trank keinen Wein; so sagt ihr: Er ist besessen. Der Menschensohn ist gekommen, isst und trinkt; so sagt ihr: Siehe, dieser Mensch ist ein Fresser und Weinsäufer, ein Freund der Zöllner und Sünder!  Und doch ist die Weisheit gerechtfertigt worden von allen ihren Kindern“ (vgl. dazu auch Mt 11,16-19). In diesem Textzusammenhang teilt Jesus die Menschen, um die es hier geht, in zwei Kategorien ein. Die eine Gruppe sind die Zöllner und Sünder und die andere Gruppe sind die Pharisäer und Schriftgelehrten. Die erste Gruppe wird von Jesus gelobt, die zweite getadelt. Und diese zweite Gruppe von Menschen meint Jesus mit der `Genea`, der man es nicht recht machen kann, denn diese haben sowohl Johannes als auch Jesus abgelehnt. Das asketische Leben des Täufers passte ihnen nicht, weil jener ihr selbstgerechtes Verhalten tadelte. Der geistlich/natürliche, alltagsnahe, den Sündern zugewandte Lebensstil von Jesus passte ihnen auch nicht. Damit bekommen diese Menschen von Jesus eine negative Bewertung.

 

2.2 Dies Geschlecht fordert Zeichen

In einer anderen Situation wird Jesus von den Schriftgelehrten und Pharisäern regelrecht herausgefordert. So lesen wir in Matthäus 12,38-42; „Da fingen einige von den Schriftgelehrten und Pharisäern an und sprachen zu ihm: Meister, wir möchten gern ein Zeichen von dir sehen. Und er antwortete und sprach zu ihnen: Dieses böse und ehebrecherische Geschlecht (Genea) sucht ein Zeichen, aber es wird ihm kein Zeichen gegeben werden, es sei denn das Zeichen des Propheten Jona. Denn wie Jona drei Tage und drei Nächte im Bauch des Fisches war, so wird der Menschensohn drei Tage und drei Nächte im Schoß der Erde sein. Die Leute von Ninive werden auftreten beim Jüngsten Gericht mit diesem Geschlecht (Genea) und werden es verdammen; denn sie taten Buße nach der Predigt des Jona. Und siehe, hier ist mehr als Jona. Die Königin vom Süden wird auftreten beim Jüngsten Gericht mit diesem Geschlecht (Genea) und wird es verdammen; denn sie kam vom Ende der Erde, um Salomos Weisheit zu hören. Und siehe, hier ist mehr als Salomo“ (vgl. Lk 11,29-32). Laut Parallelbericht aus dem Lukasevangelium, drängten viele Menschen zu Jesus, doch die Wortführer sind wieder die geistlichen Führer des Volkes. Die Schriftgelehrten und Pharisäer forderten Jesus heraus zu einem besonderen Zeichen. Darauf reagiert Jesus sehr empfindlich und bewertet das ungläubige, selbstsüchtige, ja boshafte Verhalten dieser Menschen öffentlich mit der oben zitierten Aussage: „Dieses böse und ehebrecherische Geschlecht (Genea)“. Jesus spricht hier zu konkreten Menschen, ja, einer konkreten Menschengruppe, die sich offensichtlich und entgegen ihrem besseren Wissen (Joh 3,1), ihm und seinem Heilsangebot widersetzt. Diese Menschen sind zwar unterschiedlich im Alter, aber in der Gesinnung sind sie gleich, bzw. ähnlich, denn Jesus fügt der Genea seiner Zeit auch noch eine qualitative Komponente zu und zwar eine sehr negative. Die Bezeichnung `böses Geschöecht` ist eine doch etwas allgemein negative Qualifizierung. Die Bezeichnung `ehebrecherisches Geschlecht` ist konkreter, jedoch kann sich solch ein Verhalten auf dreierlei Ebenen äußern.

  • Buchstäblicher Ehebruch (2Sam 11,21),
  • Ehebruch im übertragenen Sinne – Abgötterei (Hes 23,37),
  • Ehebruch im Herzen/Gedanken (Mt 5,28).

Und auf einem dieser Gebiete hat sich jeder von diesen Menschen schuldig gemacht (Joh 8,1-11). Es ist also eine Generation, die das besondere Privileg hatte, den Christus Gottes direkt zu erleben und daher tragen diese auch ein besonders hohes Maß an Verantwortung.

Im darauffolgenden Text aus Matthäus 12,43-45 vergleicht Jesus den späteren Zustand der zeitgenössischen ungläubigen Generation mit einem Menschen welcher von einem Dämon befreit wurde, der jedoch die Freiheit nicht als seine Chance nutzte und so zogen weitere sieben unreine und schlimmere Geister in ihn ein, sodass es mit diesem Menschen am Ende schlimmer wurde als sein Anfangszustand war. Und Jesus überträgt diese negative Entwicklung auf die Genea seiner Zeit wenn er sagt: „So wird es mit diesem Geschlecht (Genea) sein“ (V. 45). Der letztere Zustand einer Genea, welche Jesus ablehnt, wird schlimmer sein als der Erstere.

 

2.3 Dies Geschlecht fordert Zeichen vom Himmel

In einem weiteren Textzusammenhang geht Jesus auf die Genea seiner Zeit ein und diesmal sind neben den Pharisäern auch Menschen aus der Sadduzäerpartei dabei. So lesen wir in Matthäus 16,1-4; „Da traten die Pharisäer und Sadduzäer zu ihm; die versuchten ihn und forderten ihn auf, sie ein Zeichen vom Himmel sehen zu lassen. Aber er antwortete und sprach: Des Abends sprecht ihr: Es wird ein schöner Tag werden, denn der Himmel ist rot. Und des Morgens sprecht ihr: Es wird heute ein Unwetter kommen, denn der Himmel ist rot und trübe. Über das Aussehen des Himmels könnt ihr urteilen; könnt ihr dann nicht auch über die Zeichen der Zeit urteilen? Ein böses und abtrünniges Geschlecht  (Genea) fordert ein Zeichen; doch soll ihm kein Zeichen gegeben werden, es sei denn das Zeichen des Jona. Und er ließ sie stehen und ging davon“ (vgl. Mk 8,12). Auch hier sind es konkrete Menschen, bzw. Menschengruppen mit ähnlicher Gesinnung, welche nicht aus schwachem Glauben oder Unsicherheit heraus Jesus fragen oder um Erklärungen bitten, sondern Ihn bewusst  versuchen, bzw. zu Fall bringen wollen und dies wiegt sehr schwer in der Bewertung und dem Urteil des Herrn. Trotz ihrer Boshaftigkeit geht Jesus auf sie ein mit dem Hinweis auf die damalige Möglichkeit der Wettervorhersage durch bloßes Beobachten der Natur am Himmel. Darin kannten sie sich bestens aus, weil sie sich täglich damit beschäftigten. Die Zeichen der Zeit jedoch durch Jesus gewirkt, ignorierten sie, ja sogar noch schlimmer, sie schrieben diese Zeichen dämonischen Wirkungen zu (Mt 12,24 – Er treibt die bösen Geister durch Beelzebul aus). Sie ignorierten ein nie dagewesenes Ausmaß an wunderkräften, Heilungen, Totenauferweckungen und der kraftvollsten Wortverkündigung. Wer diese Zeichen der Zeit dauerhaft und bewusst ignoriert, ja sogar sich ihnen widersetzt, der schließt sich selbst von der Bundesvolk-Gemeinschaft aus. An dieser Stelle sei noch einmal deutlich darauf hingewiesen, dass das Urteil Jesu sich nicht pauschal auf alle Israeliten bezog, sondern auf die Menschen und besonders führende Gruppen im Judentum, die ihn und seine rettende Botschaft ablehnten, bzw. in ihrer Verstockung verharrten und andere hinderten sie zu hören und anzunehmen. Jesu prophetisches Urteil in Johannes 8,24 lautete: „ Darum habe ich euch gesagt, dass ihr sterben werdet in euren Sünden; denn wenn ihr nicht glaubt, dass ich es bin, werdet ihr sterben in euren Sünden“.

 

2.4 Klares Bekenntnis unter dem sündhaften Geschlecht

In einem anderen Zusammenhang prophezeit Jesus: „Wer sich aber meiner und meiner Worte schämt unter diesem abtrünnigen und sündigen Geschlecht (Genea), dessen wird sich auch der Menschensohn schämen, wenn er kommen wird in der Herrlichkeit seines Vaters mit den heiligen Engeln“ (Mk 8,38). Auch hier nennt Jesus die ungläubigen Zeitgenossen als abtrünniges und sündiges Geschlecht, bzw. Generation – Genea. Die Kehrseite ist demnach: „Wer mich bekennt vor den Menschen, den wird auch der Menschensohn bekennen vor den Engeln Gottes“(Lk 12,8).

 

2.5 Das böse und ungläubige Geschlecht

Als Jesus mit seinen drei Jüngern Petrus, Jakobus und Johannes vom Berg der Verklärung herabkommt, trifft er auf eine große Menschenmenge. „Und als sie zu dem Volk kamen, trat ein Mensch zu ihm, fiel ihm zu Füßen und sprach: Herr, erbarme dich über meinen Sohn! Denn er ist mondsüchtig und hat schwer zu leiden; er fällt oft ins Feuer und oft ins Wasser; und ich habe ihn zu deinen Jüngern gebracht und sie konnten ihm nicht helfen.

 Jesus aber antwortete und sprach: O du ungläubiges und verkehrtes Geschlecht, wie lange soll ich bei euch sein? Wie lange soll ich euch erdulden? Bringt ihn mir her! Und Jesus bedrohte ihn; und der böse Geist fuhr aus von ihm und der Knabe wurde gesund zu derselben Stunde. Da traten seine Jünger zu ihm, als sie allein waren, und fragten: Warum konnten „wir“ ihn nicht austreiben? Er aber sprach zu ihnen: Wegen eures Kleinglaubens“ (Mt 17,14-20). Gelegentlich wird gesagt, dass Jesus mit diesem harten Urteil seine neun Jünger meinte, doch beachten wir die Worte Jesu, welche er an diese neun später richtet: „Wegen eures Kleinglaubens“ konntet ihr nicht helfen. Außer dem Judas Iskariot, hatten die übrigen acht Jünger eine gläubige Beziehung zu Jesus dem Messias. In Bezug auf die Heilung des Kindes jedoch war ihr Glaube schwach, bzw. klein. Mit der Beurteilung: „O du ungläubiges und verkehrtes Geschlecht – Genea“, meint Jesus solche Menschen, wie der Vater des Kindes, welche die Verantwortung gehabt hätten alles zu meiden, was zu dämonischer Einflussnahme bei seinem Sohn beigetragen hatte. Bei der Vielzahl an Dämonenaustreibungen durch Jesus und seine Jünger in Israel, ist es nur eine gerechtfertigte Feststellung, dass das Volk geistlich verseucht war durch aller Art von Aberglauben und okkulten Praktiken – und das in Israel. Dämonen nehmen keinen Besitz von Menschen, die gottesfürchtig leben. Auch Kinder sind geschützt, wenn ihre Eltern sie vor okkultem Einfluss schützen. Ein trauriges Zeugnis also für die Zeitgenossen Jesu aus dem Volk Israel.

 

2.6 Die Klugheit der Menschen in ihrer Art

Jesus erzählt seinen Jüngern eine Geschichte über das Haushalten und die Treue im Kleinen. Dabei lenkt er ihre Aufmerksamkeit auf die schlaue Denkweise der Menschen in dieser Welt. „Und der Herr lobte den ungetreuen Verwalter, weil er klug gehandelt hatte; denn die Kinder dieser Welt (kosmos toutou) sind unter ihresgleichen (in ihrem Geschlecht-Genea) klüger als die Kinder des Lichts“ (Lk 16,8). Mit dem schon bekannten Begriff `Genea` bezeichnet hier Jesus eindeutig die Denkstruktur und daraus folgende clevere Handlungsweise der Menschen dieser Welt.

 

2.7 Weh den Schriftgelehrten und Pharisäern

Doch die schärfsten Worte gebraucht er gegen Ende seines Dienstes gegenüber den zwei gesetzestreuesten Gruppen des Judentums seiner Zeit. „Weh euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler, die ihr die Becher und Schüsseln außen reinigt, innen aber sind sie voller Raub und Gier! Du blinder Pharisäer, reinige zuerst das Innere des Bechers, damit auch das Äußere rein wird“ (Mt 23,25-26)! Jesus beschreibt den Tatbestand, bzw. den realen Zustand der führenden Menschen im Judentum und ruft diese gleich danach auf ihre Einstellung und Lebensweise zu ändern.

„Weh euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler, die ihr seid wie die übertünchten Gräber, die von außen hübsch aussehen, aber innen sind sie voller Totengebeine und lauter Unrat! So auch ihr: von außen scheint ihr vor den Menschen fromm, aber innen seid ihr voller Heuchelei und Unrecht. Weh euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler, die ihr den Propheten Grabmäler baut und die Gräber der Gerechten schmückt

und sprecht: Hätten wir zu Zeiten unserer Väter gelebt, so wären wir nicht mit ihnen schuldig geworden am Blut der Propheten! Damit bezeugt ihr von euch selbst, dass ihr Kinder derer seid, die die Propheten getötet haben.“ Kinder sein in diesem Zusammenhang heißt, in der gleichen Gesinnung wie ihre Vorfahren, zu handeln. So ist auch hier der Begriff `Genea`deutlich mit dem inhaltlichen Leben besetzt.

Wohlan, macht auch ihr das Maß eurer Väter voll! Ihr Schlangen, ihr Otternbrut! Wie wollt ihr der höllischen Verdammnis entrinnen? Darum: siehe, ich sende zu euch Propheten und Weise und Schriftgelehrte; und von ihnen werdet ihr einige töten und kreuzigen, und einige werdet ihr geißeln in euren Synagogen und werdet sie verfolgen von einer Stadt zur andern, damit über euch komme all das gerechte Blut, das vergossen ist auf Erden, von dem Blut des gerechten Abel an bis auf das Blut des Secharja, des Sohnes Berechjas, den ihr getötet habt zwischen Tempel und Altar. Wahrlich, ich sage euch: Das alles wird über dieses Geschlecht (Genea) kommen Mt 23,25-36). Hier stellt sich die Frage, warum sollen die Zeitgenossen (die Generation) Jesu zur Verantwortung gezogen werden wegen der Ermordung Abels oder der Propheten-Märtyrer, oder des Zacharias, der vor Jahrhunderten getötet wurde? Sicher hat der Begriff `Genea auti` (diese Generation, dieses Geschlecht) eine zeitüberspannende Bedeutung. Die Generationen der verschiedenen Epochen, mit gleicher oder ähnlicher Gesinnung, sind inhaltlich und in der Verantwortung miteinander verbunden, denn sie bauen aufeinander auf – Vorbild und Nachahmung. Die Generation mit dieser sündigen, boshaften, heuchlerischen, neidischen, eigennützigen, ehebrecherischen und hartherzigen Einstellung und Lebensausrichtung gab es

  • seit den Tagen Kains und Lamechs (1Mose 4).
  • Sie gab es in den Tagen vor der Sintflut (1Mose 6).
  • Und diese Genea gab es während der Wüstenwanderung der Israeliten. So lesen wir in 4Mose 32,13: „So entbrannte des HERRN Zorn über Israel, und er ließ sie hin und her in der Wüste ziehen vierzig Jahre, bis es zu Ende war mit dem ganzen Geschlecht (Genea), das übel getan hatte vor dem HERRN.“

Dass es unter dieser Genea auch eine Minderheit derer gab, die sich nicht gegen Gott aufgelehnt hatten, ist bekannt, doch auch diese mussten mitleiden unter den Folgen des Ungehorsams der Mehrheit. Auch zur Zeit Jesu gab es diese gläubige Minderheit, welche ebenfalls unter den Folgen der ungläubigen Mehrheit gelitten haben. Beispiel: Die Verweigerung der führenden Elite, Jesus als den Messias anzunehmen, führte später zur Auflehnung gegen die römische Besatzung und diese führte letztlich zur Belagerung und Zerstörung Jerusalems mit dem Tempel, sowie zur Vertreibung aus dem eigenen Land (Lk 19,41-44).

 

Abschließend können wir sagen:

  1. Menschen mit einer Gesinnung wie die zur Zeit Jesu gab es schon davor und die gab es danach und die wird es geben bis alles vollendet sein wird (Mt 24,34).
  2. Damit bekommt der Begriff  `Genea` in den betrachteten Texten eine qualitativ-negative Komponente, die sich nicht auf eine Generation von 40-50 Jahren beschränkt, sondern wegen gleicher Gesinnung all die Menschen umfasst, die sich dem Evangelium Gottes auf irgendeine Art widersetzen.
  3. Im Übertragenen Sinne sind die gleichen oder ähnlichen `Genen` in der Denk- und Handlungsweise dieser Menschen am wirken.
  4. Wir konnten auch feststellen, dass Jesus mit dem Begriff `Genea` nicht pauschal das ganze Israel meinte, sondern immer nur die Gegner des Evangeliums.
  5. Wir konnten ebenfalls feststellen, dass in all den Texten, in denen Jesus selbst den Begriff `Genea` verwendete, dieser sich immer auf Menschen, oder Menschgruppen bezog, die sich Jesus und seinem Evangelium widersetzten – der Begriff also immer negariv gefüllt war.

 

 

 

3. Teil: Dies Geschlecht wird nicht vergehen

 

Und wie ist nun die Aussage Jesu in Matthäus 24,34 „Wahrlich, ich sage euch: Dies Geschlecht (Genea) wird nicht vergehen, bis dass es alles geschehe“ zu verstehen?

 

a). Im Zusammenhang der Reden Jesu über den Ablauf der Geschichte mit all deren Inhalten und insbesondere in der Endzeitphase, erwähnt Jesus nochmal die uns schon bekannte Genea. „Er sprach aber zu den Jüngern: Es wird die Zeit (die Tage) kommen, in der ihr begehren werdet, zu sehen einen der Tage des Menschensohns, und werdet ihn nicht sehen. Und sie werden zu euch sagen: Siehe, da!, oder: Siehe, hier! Geht nicht hin und lauft ihnen nicht nach! Denn wie der Blitz aufblitzt und leuchtet von einem Ende des Himmels bis zum andern, so wird der Menschensohn an seinem Tage sein. Zuvor aber muss er viel leiden und verworfen werden von diesem Geschlecht (Genea)“ (Lk 17,22-25). Unter dieser Genea meint Jesus wiederum die gleichen Menschen – die Führung der Juden mit ihren Gesinnungsgenossen. Beachten wir auch, dass die Reden Jesu in Lukas 17,22-37 ergänzend sind zu den Reden in Matthäus 24,1-41 und vom Wortlaut zum Teil identisch. Das heißt, diese Aussage steht zeitlich und Inhaltlich im Zusammenhang mit der Aussage in Matthäus 24,34 und bezieht sich demnach auf die gleiche Gruppe von Menschen. Bis zum Zeitpunkt der Aussage: „Dies Geschlecht wird nicht vergehen…“ (Mt 24,34; Mk 13,30; Lk 21,32) hat Jesus bereits 11 Mal den Begriff `Genea` verwendet und zwar immer mit negativem Bezug zu Menschen, oder Menschengruppen, die nicht zu ihm gehörten, sondern sich ihm widersetzten und ihn verfolgten. Daher ist es naheliegend, dass er diesen Begriff beim 12 Mal in Matthäus 24,34 auch wieder auf die gleiche Gruppe, bzw. Gruppenart bezogen hat. Und dieses Geschlecht, diese Generation, diese Art, die sich kontinuierlich gegen ihn stellt, wird nicht vergehen, nicht aufhören wirksam zu sein bis alles geschehen ist,

  • was dem Kommen des Menschensohnes vorangehen soll und
  • was Gott sich vorgenommen hat zu verwirklichen.

Die zeitliche Angabe `έως – bis` deckt die gesamte Zeitspanne bis zum Ende ab, denn nach dem alles geschehen ist, ist ENDE ! Allerdings nur Ende von Himmel und Erde, welche vergehen werden (Mt 24,35). Dies wäre also ein Tatbestand.

 

b). Aber warum, aus welchem Grund soll oder wird diese Genea nicht vorher aufhören/vergehen, warum wird es bis zum Ende bleiben? Folgende ´Textaussagen können als Begründung angeführt werden: Im Zusammenhang der Reinigung eines aussätzigen Menschen in der Nähe von Kapernaum sagte Jesus: „Sieh zu, sage es niemandem, sondern geh hin und zeige dich dem Priester und opfere die Gabe, die Mose befohlen hat, ihnen zum Zeugnis“ (Mt 8,4; vgl. Mk 1,44; Lk 5,14; 3Mose 14,1-7). Die Priester, welche von Jesus bereits zu jenem Zeitpunkt zu dieser Genea gezählt wurden, sollen mitbekommen, dass Jesus sich einerseits an die Vorschriften des Mosaischen Gesetzes hält, andererseits diese Reinigung aber auch als Weg und Zugang zu der Priesterschaft im Tempel nutzt. Der Priester war in seiner Funktion auch Arzt, der sowohl den Aussatz, als auch die Reinigung von Aussatz bestätigen mußte. Denn nur so konnte der Geheilte/Gereinigte wieder in das soziale Gefüge seiner Familie und der Gesellschaft eingegliedert werden. Im Tempel angekommen wird er entsprechende Fragen des Priesters beantworten müssen. Dadurch wird der Priester erfahren, wie, wo und durch wen der Aussätzige gereinigt wurde. Zur Zeit des Propheten Elisa gab es viele Aussätzige Menschen in Israel, so Jesus in Lukas 4,27, ohne dass nur ein Einziger von ihnen gereinigt worden wäre (außer dem Syrer Naemann). Und ebenso gab es sehr viele Menschen zur Zeit Jesu, die an Aussatz litten (Mt 10,8; 11,5; 26,6; Lk 17,12). Und all diese gereinigten Menschen schickte Jesus nach Jerusalem zu den zuständigen Priestern – was für ein ZEUGNIS für die Priesterschaft zu Ehren Jesu und der Bekräftigung seiner Messianität!

 

c). Im Zusammenhang der Aussendung der 12 Jünger sagte Jesus voraus: „Und man wird euch vor Statthalter und Könige führen um meinetwillen, ihnen und den Heiden zum Zeugnis“ (Mt 10,18). Oder die Ergänzung aus dem Markustext: „Ihr aber seht euch vor! Denn sie werden euch den Gerichten überantworten, und in den Synagogen werdet ihr gegeißelt werden, und vor Statthalter und Könige werdet ihr geführt werden um meinetwillen, ihnen zum Zeugnis“ (Mk 13,9). Zu dieser Genea gehören also nicht nur die Gegner Jesu aus den Juden, sondern auch aus den Heiden. Dieser Genea wird bezeugt, dass Jesus der Herr und Christus ist und dass er  seinen Plan durchführt trotz ihrer ständigen Ablehnung und Gegenoffensive. Menschlich gesprochen kann man sagen: Gott will oder wird dieser Genea durch vielerlei Zeugnisse beweisen, dass sie im Unrecht sind und er recht hat (so auch Paulus in Phillipper 2,9-11: „… und alle Zungen bekennen, dass Jesus Christus der Herr ist, zu Ehren Gottes des Vaters“).

 

d). Schon am Tag der Bekehrung des Saulus in  Damaskus, gab der Herr Jesus ihm seinen Plan und sein Ziel bekannt, so lesen wir in der Apostelgeschichte 9,15: „Doch der Herr sprach zu ihm (zu Ananias): Geh nur hin; denn dieser ist mein auserwähltes Werkzeug, dass er meinen Namen trage vor Heiden und vor Könige und vor das Volk Israel.“ Und  nach seiner Verteidigungsrede vor dem Volk Israel im Tempel zu Jerusalem erschien der Herr dem Paulus, so schreibt Lukas in Apostelgeschichte 23,11: „In der folgenden Nacht aber stand der Herr bei ihm und sprach: Sei getrost! Denn wie du für mich in Jerusalem Zeuge warst, so musst du auch in Rom Zeuge sein.“ Und wenig später bekommt er den Hiunweiss:  „Fürchte dich nicht, Paulus, du musst vor den Kaiser gestellt werden (Apg 27,24). Gott lässt niemand aus, alle sollen es hören, die Kleinen und die Großen, die aus Israel und die aus den Nationen.

 

d). Auf die Frage eines Zuhörers aus der Menge, ob denn  viele gerettet würden, antwortete Jesus: „ Ringt darum, dass ihr durch die enge Pforte hineingeht; denn viele, das sage ich euch, werden danach trachten, wie sie hineinkommen, und werden’s nicht können. Wenn der Hausherr aufgestanden ist und die Tür verschlossen hat und ihr anfangt, draußen zu stehen und an die Tür zu klopfen und zu sagen: Herr, tu uns auf!, dann wird er antworten und zu euch sagen: Ich kenne euch nicht; wo seid ihr her? Dann werdet ihr anfangen zu sagen: Wir haben vor dir gegessen und getrunken und auf unsern Straßen hast du gelehrt. Und er wird zu euch sagen: Ich kenne euch nicht; wo seid ihr her? Weicht alle von mir, ihr Übeltäter! Da wird Heulen und Zähneklappern sein, wenn ihr sehen werdet Abraham, Isaak und Jakob und alle Propheten im Reich Gottes, euch aber hinausgestoßen. Und es werden kommen von Osten und von Westen, von Norden und von Süden, die zu Tisch sitzen werden im Reich Gottes. Und siehe, es sind Letzte, die werden die Ersten sein, und sind Erste, die werden die Letzten sein“ (Lk 13,22-30; Mt 8,12). Jesus ist mit seinen Landsleuten zum Teil sehr streng ins Gericht gegangen. In diesem und den Paralleltexten gibt Jesus keinen Grund für die Hoffnung auf eine zukünftige, vollzählige Rettung Israels. Nur wer durch die enge Pforte hineingeht – danach muß jeder Einzelne ringen, das heißt, er muß einsehen und zugeben, dass es auf dem Weg der Selbstgerechtigkeit keinen Freispruch (Rechtfertigung) gibt. Johannes der Evangelist schreibt: „Wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben. Wer aber dem Sohn nicht gehorsam ist, der wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibt über ihm“ (Joh 3,36). Doch gerade solche klare und offene, zum Teil bedrohliche Hinweise und Prognosen, gaben vielen aus jener Genea den Anstoß/Ruck zur Umkehr. Wie klar und offen sind wir heute in unserer Verkündigung an Juden und an Heiden?

 

4. Teil – Wie verwendeten die Apostel den Begriff Genea?

 

Die Apostel blieben Jünger ihres Meisters und wiederholten oft, was sie von Jesus gehört und gelernt hatten.

a). An Pfingsten spricht der Apostel Petrus zu der versammelten Menge der Juden in Jerusalem, den Einheimischen und den Pilgern aus den verschiedenen Ländern. Und in seiner Evangelisationspredigt ruft er die Menschen auf: „Lasst euch retten aus diesem verkehrten Geschlecht (γενέα σκολιάς τάυτης – Geneas skolias tautis)“ (Apg 2,40). Der qualitative Zusatz `σκολιάς – skolias` kann übersetzt werden mit:

  • verkehrtem, im Gegensatz zu richtigem;
  • krummem, im Gegensatz zu geradem;
  • verdorbenem, im Gegensatz zu heilem, gesundem (Lk 3,5; Phil 2,15; 1Petr 2,18).

Auch hier geht eindeutig hervor, wer mit dem Begriff `Genea` bezeichnet wird. Es sind die Zeitgenossen und Landsleute der Apostel und zwar unter der Führung der Priesterschaft, der Schriftgelehrten und Pharisäer die den Ton und die Richtung im Volk angaben. Und an diesem Tag ließen sich etwa 3000 Menschen aus dieser Genea herausrufen. „Die nun sein Wort annahmen, ließen sich taufen; und an diesem Tage wurden hinzugefügt etwa dreitausend Menschen“ (Apg 2,41). Doch gerade die mutige und klare Aussage der Apostel führte dazu, dass in der ersten Evangelisationsphase sehr viele Menschen zu Gott umkehrten. „Und das Wort Gottes breitete sich aus und die Zahl der Jünger wurde sehr groß in Jerusalem. Es wurden auch viele Priester dem Glauben gehorsam“ (Apg 6,7). Fällt uns diese Bemerkung auf: „Es wurden auch viele Priester dem Glauben gehorsam“? Klare Botschaften ermutigen zu entschlossener Positionierung. Kaum vorstellbar, dass die gläubiggewordenen Priester weiterhin in ihrer früheren Generation/Genea geduldet worden wären. Ebenso sind auch viele Juden aus der Pharisäerpartei zum Glauben gekommen (Apg 15,5).

 

b). Auch Stefanus spricht in seiner Verteidigungsrede vor dem Hohen Rat die gleiche Personengruppe an, obwohl er den Begriff Genea nicht verwendet: „Ihr Halsstarrigen, mit verstockten Herzen und tauben Ohren, ihr widerstrebt allezeit dem Heiligen Geist, wie eure Väter, so auch ihr. Welchen Propheten haben eure Väter nicht verfolgt? Und sie haben getötet, die zuvor verkündigten das Kommen des Gerechten, dessen Verräter und Mörder ihr nun geworden seid“ (Apg 7,51-52). Dabei verwendet er zum Teil die gleichen Worte wie auch Jesus in Matthäus 23,30-37. Sein mutiges Zeugnis vor den Oberen hat zunächst eine Verfolgung ausgelöst, doch danach und dadurch entstand eine große Erweckung im ganzen Land.   

 

c). Auch der Apostel Paulus verwendet den Begriff Genea und bezieht ihn pauschal auf die Generation, welche die Gläubigen zu jener Zeit umgab. Die Ermahnung an die Philipper lautete: „damit ihr ohne Tadel und lauter seid, Gottes Kinder, ohne Makel mitten unter einem verdorbenen und verkehrten Geschlecht (Genea), unter dem ihr scheint als Lichter in der Welt, dadurch dass ihr festhaltet am Wort des Lebens, mir zum Ruhm an dem Tage Christi, sodass ich nicht vergeblich gelaufen bin noch vergeblich gearbeitet habe“ (Phil 2,15-16). Der gleiche Begriff wird also ausgedehnt und auf die römisch/heidnische Gesellschaft in der römischen Kolonie angewendet.  Seit Kain und Abel, bzw. Seth, teilte sich die Menschheit in zwei qualitativ entgegengesetzte Menschengruppen/Arten. In der Regel beherrschten die Kainiten die Sethiten, weil diese Gewalt ausübten – es galt das Recht des Stärkeren (1Mose 6,1ff). Und immer wieder rief Gott `seine Genea` heraus aus der `Genea dieser Welt` und sonderte sie ab. Paulus schreibt an die Korinthern: „Wir aber sind der Tempel des lebendigen Gottes; wie denn Gott spricht (3.Mose 26,11-12; Hesekiel 37,27): »Ich will unter ihnen wohnen und wandeln und will ihr Gott sein und sie sollen mein Volk seinDarum »geht aus von ihnen und sondert euch ab«, spricht der Herr; »und rührt nichts Unreines an, so will ich euch annehmen und euer Vater sein und ihr sollt meine Söhne und Töchter sein«, spricht der allmächtige Herr (2Kor 6,16b-18; Jesaja 52,11; Hesekiel 20,41; 2.Samuel 7,14).

 

 

5. Teil – Jesus und seine Genea

 

Nachdem wir schon fast alle Texte nach diesem besonderen Begriff und dessen Bezug aufgesucht und betrachtet haben, wenden wir uns der Frage zu, gibt es bei dem Begriff Genea auch einen positiven Bezug? Oder anders gefragt, gibt es auch ein frommes Geschlecht – das Geschlecht der Gerechten? Und in der Tat finden wir diese qualitative Bezeichnung in Bezug auf die Menschen, die sich in Gefangenschaft befinden und auf die Erlösung durch den Herrn hoffen. In einem Lied fasste David folgende Worte zusammen: „denn Gott ist bei dem Geschlecht der Gerechten (γενεά δικαία – genea dikaia). Euer Anschlag wider den Armen wird zuschanden werden; denn der HERR ist seine Zuversicht. Ach dass die Hilfe aus Zion über Israel käme / und der HERR sein gefangenes Volk erlöste! So würde Jakob fröhlich sein und Israel sich freuen“ (Ps 14,5-7). Und dieser Begriff kommt ebenfalls in einem Zitat aus Jesaja 53 in der Apostelgeschichte vor. Der Textzusammenhang spricht von einem gottesfürchtigen äthiopischen Kämmerer, der unterwegs von Jerusalem nach Gaza auf seinem Wagen saß und laut aus der Rolle des Propheten Jesaja las. Der Evangelist Philippus bekommt vom Heiligen Geist den Hinweis, sich zu diesem Wagen zu halten. „Der Inhalt aber der Schrift, die er (der äthiopische Beamte) las, war dieser: »Wie ein Schaf, das zur Schlachtung geführt wird, und wie ein Lamm, das vor seinem Scherer verstummt, so tut er seinen Mund nicht auf. In seiner Erniedrigung wurde sein Urteil aufgehoben (Urteil weggenommen, ihm wurde das Urteil. das Recht versagt). Wer kann seine Nachkommen (Genea) aufzählen (wer kann davon erzählen, berichten)? Denn sein Leben wird von der Erde weggenommen« (Jesaja 53,7-8). Hier bezieht sich der Begriff Genea auf den Messias – sein Geschlecht/seine Genea. Und zu dieser Genea gehören alle,

  • die Jesus durch seine Hingabe in den Tod gewonnen hat,
  • alle, die durch den Glauben an Jesus seine Nachfolger geworden sind,
  • alle die nach Jesu Art und nach seiner Gesinnung ihr Leben ausrichten,
  • es sind seine Nachkommen, seine Kinder,
  • es ist – sein Geschlecht, seine Generation, seine Genea, die er durch sein eigenes Blut erworben hat (Jes 53,8: Mt 26,26-28: Apg 20,28).

Von diesen Menschen schreibt Petrus in seinem ersten Brief: „Ihr aber seid das auserwählte Geschlecht (γένος– – Genos), die königliche Priesterschaft, das heilige Volk, das Volk des Eigentums, dass ihr verkündigen sollt die Wohltaten dessen, der euch berufen hat von der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht; die ihr einst »nicht ein Volk« wart, nun aber »Gottes Volk« seid, und einst nicht in Gnaden wart, nun aber in Gnaden seid“ (1Petr 2,9-10; Hosea 2,25). In diesem Zusammenhang bezeichnet Petrus das Volk Gottes als den auserwählten `Genos` (hier als Maskulinum). Jesus selbst stellt sich in der Offenbarung vor als: „Ich, Jesus, habe meinen Engel gesandt, euch dies zu bezeugen für die Gemeinden. Ich bin die Wurzel und das Geschlecht (γένος – genos) Davids, der helle Morgenstern“ (Offb 22,16). Was Jesus ist (der vom Vater Auserwählte/Geliebte) das ist er in Einheit mit seiner Gemeinde (der Auserwählten/Geliebten). Im gleichen Sinne schreibt auch Paulus im Römerbrief über Gottes Heilsplan sowohl für Juden, als auch für Heiden: „Dazu hat er uns berufen, nicht allein aus den Juden, sondern auch aus den Heiden.Wie er denn auch durch Hosea spricht (Hosea 2,25; 2,1): »Ich will das mein Volk nennen, das nicht mein Volk war, und meine Geliebte, die nicht meine Geliebte war.«  »Und es soll geschehen: Anstatt dass zu ihnen gesagt wurde: „Ihr seid nicht mein Volk“, sollen sie Kinder des lebendigen Gottes genannt werden.«  Jesaja aber ruft aus über Israel (Jesaja 10,22-23): »Wenn die Zahl der Israeliten wäre wie der Sand am Meer, so wird doch nur ein Rest gerettet werden; denn der Herr wird sein Wort, indem er vollendet und scheidet, ausrichten auf Erden.« Und wie Jesaja vorausgesagt hat (Jesaja 1,9): »Wenn uns nicht der Herr Zebaoth Nachkommen übrig gelassen hätte, so wären wir wie Sodom geworden und wie Gomorra.« (Röm 9,24-29). Wenn wir uns erinnern an die Zeit und die Menschen, auf die zum ersten Mal der Begriff Genea bezogen wurde, werden wir staunen über Gottes Berufung aus Gnaden. In 2Mose 19,3-6 lesen wir: „Und Mose stieg hinauf zu Gott (auf den Berg Sinai). Und der HERR rief ihm vom Berge zu und sprach: So sollst du sagen zu dem Hause Jakob und den Israeliten verkündigen: Ihr habt gesehen, was ich mit den Ägyptern getan habe und wie ich euch getragen habe auf Adlerflügeln und euch zu mir gebracht. Werdet ihr nun meiner Stimme gehorchen und meinen Bund halten, so sollt ihr mein Eigentum sein vor allen Völkern; denn die ganze Erde ist mein. Und ihr sollt mir ein Königreich von Priestern und ein heiliges Volk sein. Das sind die Worte, die du den Israeliten sagen sollst.“ (vgl. auch 2Mose 23,22). Das heilige Volk Gottes sein ist an die Bedingung geknüpft, der Stimme Gottes gehorchen und seine Gebote zu halten. In Titus 2,14 greift Paulus diese Zugehörigkeit zu Gottes Volk auf mit den Worten: „der sich selbst für uns gegeben hat, damit er uns erlöste von aller Ungerechtigkeit und reinigte sich selbst ein Volk zum Eigentum (περιουσίον – periousion – Eigentum) das eifrig wäre zu guten Werken.“ Der gläubige Rest aus Israel und zwar aller Zeiten, so wie die Gläubigen aus den Nationen, bilden gemeinsam Gottes Volk. Dies ist also die geistliche `Genea/Genos` des Christus Jesus und diese stehen im krassen Gegensatz zu der Genea dieser Welt und haben den Auftrag zur Verkündigung der frohen Botschaft der Erlösung durch Jesus Christus unter allen Völkern zur Ehre und dem Ruhm Gottes des Vaters.

 

 

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Syrien – ein Land in Schmerzen

Diese Galerie enthält 12 Fotos.

Syrien – ein Land in Schmerzen (Reisebericht von Paul Schüle vom 9-14. April 2011, alle Foto`s sind Eigentum des Autors).

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