Die Begegnung mit dem Auferstandenen auf einem Berg in Galiläa

11.5 Die Begegnung mit dem Auferstandenen auf einem Berg in Galiläa

(Bibeltext: Mt 28,6-10; 16-20)

 

Alle vier Evangelisten berichten zum Teil unterschiedlich über die Begegnungen und Ereignisse nach der Auferstehung Jesu. Der Hinweiss Jesu über das Treffen in Galiläa auf einem bestimmten Berg, wurde schon vor dem Tode gegeben (Mk 16,7). Der Engel (bzw. zwei Engel) welche im leeren Grab Wache hielten, wiederholen, bzw. erinnern die Frauen an diese Anweisung von Jesus. „Er ist nicht hier; er ist auferstanden, wie er gesagt hat. Kommt her und seht die Stätte, wo er gelegen hat; und geht eilends hin und sagt seinen Jüngern, dass er auferstanden ist von den Toten. Und siehe, er wird vor euch hingehen nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen. Siehe, ich habe es euch gesagt. Und sie gingen eilends weg vom Grab mit Furcht und großer Freude und liefen, um es seinen Jüngern zu verkündigen. Und siehe, da begegnete ihnen Jesus und sprach: Seid gegrüßt! Und sie traten zu ihm und umfassten seine Füße und fielen vor ihm nieder. Da sprach Jesus zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Geht hin und verkündigt es meinen Brüdern, dass sie nach Galiläa gehen: Dort werden sie mich sehen“ (Mt 28,6-10). Aus dem Bericht des Johannes wissen wir, dass es bereits in Jerusalem am ersten Tag der Woche zu mehreren Begegnungen mit Jesus kam. Die Begegnung am See von Tiberias (Joh 21,1-14), von der ebenfalls nur Johannes berichtet, ist höchstwahrscheinlich vor diesem Treffen auf dem Berg gewesen. Nun sprach es sich schon recht schnell in Galiläa unter den Gläubigen  herum, dass Jesus von den Toten auferstanden ist. So wäre auch die Aussage des Paulus in 1Kor 15,1-5 zu erklären, wonach mehr als fünfhundert Brüder den Auferstandenen auf einmal (das heißt gleichzeitig)  gesehen haben. Da es außer der letzten Begegnung auf dem Ölberg in den Evangelien keine weitere Begegnung erwähnt wird, ordnen wir die Aussage des Apostels Paulus in dieses Berg-Treffen ein.

Abbildung 54 Von der Anhöhe Gadara am Südufer des Jarmuk hat man einen weiten Blick über den See Genezaret nach dem nördlichen Galiläa. Auf einem der nordgaliläischen Bergen fand das von Jesus selbst geplante und vorausgesagte Treffen mit den Jüngern statt (Foto: 3. November 2014).

Und so schreibt Matthäus: „Aber die elf Jünger gingen nach Galiläa auf den Berg, wohin Jesus sie beschieden hatte“, es wäre müßig, den von Jesus zugewiesenen Berg in Galiläa zu suchen, gibt es doch in dieser Region sehr viele Berge, die geeignet wären für solch ein besonderes Treffen mit hunderten von Menschen. Doch wählte Jesus ganz bewusst einen Berg und nicht eine Ebene, oder Seeufer, wo er neugierigen Blicken ausgesetzt gewesen wäre. Er sucht also bewusst die Abgeschiedenheit, um ganz unter seinen Nachfolgern zu sein. Es gibt immer noch einige, welche zweifeln an der Realität der Auferstehung Jesu von den Toten. „Und als sie ihn sahen, fielen sie vor ihm nieder; einige aber zweifelten“ (Mt 28,17). Diese Bemerkung kann sich schwerlich auf einige aus dem Elferkreis beziehen, da alle Jesus bereits mehrmals gesehen hatten. Und nach der Thomas-Begegnung wohl kaum ein anderer aus dem Jüngerkreis neue Zweifel angemeldet hätte. Bei dieser Bergbegegnung gab Jesus seinen Jüngern die Anweisung zur Weltmission, bzw. Völkermission. Es ist eine Art Vermächtnis mit der Verheißung seiner ununterbrochenen Gegenwart. „Und hinzutretend redete Jesus mit ihnen sagend:

  • Mir ist gegeben alle Vollmacht im Himmel und auf Erden.
  • Hingehend nun macht zu Jüngern (schult/lernt an) alle Völker:
  •  Sie taufend in (hinein) den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes,
  •  lehrend sie zu halten alles, was ich euch befohlen habe.
  • Und siehe, ich bin mit euch alle Tage bis zur Vollendung des Zeitalters“ (Mt 28,18-20 frei übersetzt).

Folgende Aspekte hebt der Evangelist Matthäus hervor:

  1. Die rechtsmäßige (legale) Bevollmächtigung von Jesus durch den Vater. Erinnern wir uns daran, wie der Fürst dieser Welt, der Satan/Teufel schon zu Beginn in der Wüste Jesus die Vollmacht und Herrlichkeit dieser Welt anbot? Jesus hat durch den Dienst der Hingabe seines Lebens die tatsächliche Vollmachten über das gesamte Universum vom Vater selbst übertragen bekommen und er ist der wahre Beherrscher des Alls.
  2. Der Auftrag alle Völker zu unterrichten, zu schulen, anzulernen. Wir sind die Übersetzung „Macht zu Jüngern“ gewöhnt, doch im griechischen Text benutzt Matthgäus ein aktives Verb `μαθητευσατε – matheteusate` – es geht darum, alle Völker mit der Frohen Botschaft intensiv und detailiert bekannt zu machen, also sie `anlernen, schulen, ihnen beibringen`, letztlich zu Lernenden machen – dies ist vornehmlich die Aufgabe der Apostel und Evangelisten.
  3. Der Auftrag zu taufen (im oder mit Wasser) folgt dem Entschluß des Schülers die Frohe Botschaft der Erlösung durch Jesus Christus anzunehmen.
  4. Der Auftrag alles Gebotene von Jesus einzuhalten – hier tritt die aktive Lehr- und Versorgungstätigkeit der Hirten und Lehrer in den Vordergrund.
  5. Die Verheißung der beständigen, ununterbrochenen Gegenwart Jesu (durch den Heiligen Geist und sein Wort).

 

Hätten wir nicht den Bericht des Lukas über die Himmelfahrt Jesu vom Ölberg aus, könnte leicht der Eindruck entstehen, dass Jesus von diesem Berg in Galiläa zum Vater ging. Im nächsten Abschnitt wollen wir die Jünger mit Jesus auf den Ölberg bei Jerusalem begleiten.

 

Fragen / Aufgaben:

  1. Jesus hat das Treffen mit seinen Jüngern auf einem bestimmten Berg in Galiläa vorausgesagt. Warum sollte das Treffen auf einem Berg statfinden? Warum überlieferten uns die Jünger nicht die genaue Lokalität dieses Berges?
  2. Wer wurde außer den Jüngern höchstwahrscheinlich zu diesem Treffen miteingeladen?
  3. Warum gab es unter den Anwesenden Zweifler?
  4. Was waren die Inhalte des Vermächtnisses von Jesus an seine Jünger?
  5. Warum beschreibt Matthäus nicht wie Jesus gen Himmel gegangen ist?

Fortsetzung folgt

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Die Begegnung mit dem Auferstandenen am See von Tiberias

11.4 Die Begegnung mit dem Auferstandenen am See von Tiberias

(Bibeltexte: Joh 21,1-30)

11.4.1 Jesus lädt seine Jünger zum Frühstück ein

Es ist auffallend, wie Johannes diesen Offenbarungsbericht beginnt: „Danach offenbarte sich Jesus wieder seinen Jüngern am See von Tiberias, er offenbarte sich aber so“ (Joh 21,1). Weiterlesen

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Die Begegnung mit dem Auferstandenen am 8. Tag

11.3 Die Begegnung mit dem Auferstandenen am 8. Tag

(Bibeltext: Joh 20,24-30)

 

Der Evangelist Lukas schreibt in seinem zweiten Bericht, der Apostelgeschichte: „Ihnen (den Jüngern) zeigte er sich nach seinem Leiden durch viele Beweise als der Lebendige und ließ sich sehen unter ihnen vierzig Tage lang und redete mit ihnen vom Reich Gottes.“ (Apg 1,3). Weiterlesen

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12. Kapitel: Die Auferstehung

Abbildung 2. Das sogenannte Gartengrab und Grabstein in Jerusalem (Foto: April 1986).

12.1 Jesus ist auferstanden gemäß seinen Worten und gemäß der Heiligen Schriften

(Bibeltexte: Mt 28,6; Mk 16,6; Lk 24,6; Joh 20,11-18)

  1. Frage: Mit welchen Begriffen wird die Auferstehung beschrieben und was sagen diese darüber aus?

Jesus wird von seinem Vater in den frühen Morgenstunden des ersten Tages der Woche von den Toten auferweckt. In Bezug auf das Jahr und Datum der Auferstehung von Jesus gibt es zwar unterschiedliche Datierungen (30 – 33), doch nehmen wir vorerst an, dass es der 5. April des Jahres 33 n. Chr. war. Es wird nur die Tatsache der Auferstehung bezeugt und beschrieben. Wie sich diese körperliche Verwandlung vollzog bleibt ein göttliches Geheimnis.

Beachten wir die übereinstimmende und vollmächtige Kraftwirkung des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes bei der Auferweckung/Auferstehung von Jesus.

Im Griechischen gibt es zwei Begriffe, mit denen die Auferstehung von den Toten beschrieben wird:

  1. Das griechische Substantiv „anastasis´ bedeutet `die Auferstehung`. Die Vorsilbe ´ana – auf, hinauf´ weist nach oben und die Wortwurzel ´stas´ hat immer etwas mit stehen zu tun. Die Bedeutung des Wortes ist seitdem auch in einigen Eigennamen zu erkennen wie: Anastasia, Anastas, Anesti. Der Begriff wird auch für das natürliche Aufstehen verwendet.
  2. Das griechische Substantiv `egersis ` bedeutet `die Auferweckung` (Mt 27,53). Auch dieser Begriff wird im natürlichen Bereich für Aufrichten verwendet.

Im Epheserbrief werden beide Begriffe verwendet und zwar in einer logischen Reihenfolge: egeire o katheudön kai anasta ek tön nekrön – wach auf du Schlafender und steh auf von den Toten“ (Eph 5,14).

  1. Frage: Wann, wo und wie sprach Jesus selbst von seiner Auferstehung?

Jesus selbst hat viermal direkt und vier Mal indirekt seine Auferweckung – Auferstehung vorausgesagt:

  1. Johannes 2,19: „Brecht diesen Tempel ab, und in drei Tagen werde ich ihn aufrichten (egerö).“
  2. Matthäus 12,40: „Denn wie Jona drei Tage und drei Nächte in dem Bauch des großen Fisches war, so wird der Sohn des Menschen drei Tage und drei Nächte im Herzen der Erde sein.“ Indirekt sagt Jesus damit aus, dass er nach drei Tagen von den Toten auferstehen wird.
  3. Jesus sagt von sich selbst: „Darum liebt mich mein Vater, weil ich mein Leben lasse, dass ich’s wieder nehme. Niemand nimmt es von mir, sondern ich selber lasse es. Ich habe Macht ( exousia – Vollmacht, Berechtigung), es zu lassen, und habe Macht, es wieder zu nehmen. Dies Gebot habe ich empfangen von meinem Vater.“ (Joh 10,17-18).
  4. Von sich selbst sagt Jesus, dass er die Auferstehung und das Leben  ist (Joh 11,25).
  5. Matthäus 16,21: „und am dritten Tag auferweckt werden müsse.“
  6. Matthäus 17,23: „und am dritten Tag wird er auferweckt werden
  7. Matthäus 20,19: „und am dritten Tag wird er auferweckt werden .“
  8. Markus 14,28: „Nachdem ich aber auferweckt sein werde , werde ich euch voran nach Galiläa gehen.“. Die oben verwendete Verbform beschreibt das `Aufrichten, Auferwecken` von Jesus aus den Toten, als  ein  noch ausstehendes Ereignis.
  1. Frage: Wie wurde die Auferstehung von Jesus reflektiert?

Die selben Begriffe werden auch nach der Auferstehung verwendet, allerdings immer in der Vergangenheitsform.

  • Das Zeugnis des Engels: „er ist auferweckt worden.“ (Mt 28,6; so auch in Mk 16,6; Lk 24,6.34. In Lk 24,7.46 verwenden die Engel bzw. Jesus den Begriff `anasthenai ` im Sinne von Christus musste ja `auferstehen.
  • Johannes bezeugt, dass Jesus: „egertheis – auferweckt war“ von den Toten (Joh 21,14).
  • Apostelgeschichte 2,24: „Den hat Gott auferweckt (anest¢sen – aufstehen lassen), nachdem er die Wehen des Todes aufgelöst hatte, wie es denn nicht möglich war, dass er von ihm behalten würde.“ (So auch in Apg 13,34; 17,31).
  • Apostelgeschichte 4,10: „so sei euch allen und dem ganzen Volk Israel kund: Im Namen Jesu Christi, des Nazoräers, den ihr gekreuzigt habt, den Gott auferweckt hat aus den Toten.“ (So auch in Apg 10,40; 13,30).
  • Römer 8,11: „Wenn aber der Geist dessen, der Jesus aus den Toten auferweckt hat (egeirantos), in euch wohnt, so wird er, der Christus Jesus aus den Toten auferweckt hat ( egeiras), auch eure sterblichen Leiber lebendig machen wegen seines in euch wohnenden Geistes.“ In diesem Text wird die Wirksamkeit des Heiligen Geistes (in der Vergangenheitsform) bei der Auferweckung des Christus eindeutig beschrieben. Und er wird auch wirksam sein bei der Auferweckung der Gläubigen am jüngsten Tag.
  • 1Korinther 6,14: „Gott aber hat den Herrn auferweckt und wird auch uns auferwecken (exegerei) durch seine Macht.“
  1. Frage: Was beginnt mit der Auferstehung von Jesus?

Jesus wird am dritten Tag nach seinem Sterben und am ersten Tag der anbrechenden neuen Woche durch die Kraftwirkung des Vaters, des Heiligen Geistes (und die Rückkehr seines eigenen Geistes) von den Toten auferweckt und er steht in einem verwandelten Körper auf von den Toten. Unwillkürlich werden wir an den ersten Schöpfungstag der Geschichte aus 1Mose 1,1-2 erinnert, an dem Gott das Licht aus der Finsternis hervorrief (vgl. dazu auch 2Kor 4,6). Hier jedoch ruft Gott das wahre Licht aus der Finsternis des Todes hervor. Dieses Ereignis markiert den Beginn der Neuschöpfung. Mit dem Tod von Jesus ist die Vergangenheit geklärt, mit seiner Auferstehung beginnt die Zukunft. Christus ist somit der Erstling aus den Toten (1Kor 15,23). Zu beachten ist hier: Es gab schon vorher Totenauferweckungen, allerdings nur zurück in den früheren physischen Zustand des Körpers. Doch Christus ist der erste Mensch, der in einem neuen, verherrlichten und unvergänglichen Leib auferstanden ist (Phil 3,21). Bereits am Auferstehungstag erklärt Jesus den zwei Jüngern aus Emmaus, dass nicht nur das Leiden des Christus, sondern auch die Herrlichkeit danach in den Schriften des Mose und der Propheten vorhergesagt wurde, ohne jedoch konkrete Zitate zu nennen; zumindest hat der Ev. Lukas solche nicht aufgezeichnet (Lk 24,27; vgl. auch Lk 24, 44-46).

Nach Pfingsten ist die Überzeugung der Apostel in Bezug auf die Auferstehung des Christus nicht nur aus ihrem eigenem Erleben absolut sicher, sondern, sie wissen diese auch durch die Heiligen Schriften zu begründen. So sagt Petrus dem Volk Israel am Pfingsttag über Jesus, den Christus: „Den hat Gott auferweckt und hat ihn befreit aus den Wehen des Todes, denn es war unmöglich, dass er vom Tod festgehalten wurde. Denn David spricht von ihm (Psalm 16,8-11): »Ich habe den Herrn (JHWH) allezeit vor Augen, denn er steht mir zur Rechten, dass ich nicht wanke. Darum ist mein Herz fröhlich, und meine Zunge frohlockt; auch mein Leib wird ruhen in Hoffnung. Denn du wirst meine Seele nicht dem Reich des Todes überlassen und nicht zugeben, dass dein Heiliger die Verwesung sehe.“ (Apg 2,24-27).

In der Auferweckung Jesu von den Toten erfüllt sich auch die Prophetie aus Psalm 2,7: „Kundtun will ich den Ratschluss des HERRN (JHWH). Er hat zu mir gesagt: »Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt (wörtl: geboren).« Und der Ap. Paulus bezieht diese Aussage, in seiner Predigt an die Juden im pisidischen Antiochia, eindeutig auf die Auferstehung von Jesus, dem Christus, wenn er spricht: „(…) dass Gott sie (die Verheißung) uns, ihren Kindern, erfüllt hat, indem er Jesus auferweckte; wie denn im zweiten Psalm geschrieben steht (Psalm 2,7): »Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt (wörtl: geboren).« (vgl. dazu auch Hebr 1,5; 5,5). Der gr. Begriff ` gegenn¢ka se – ich habe dich geboren` bezieht sich in diesem Zusammenhang eindeutig auf die Auferweckung Jesu. Ebenso bezieht  der Apostel die Aussage in Kolosser 1,18 auf die Auferweckung des physisch verstorbenen Menschensohnes – Jesus. „Und er (Jesus) ist das Haupt des Leibes, nämlich der Gemeinde. Er ist der Anfang, der Erstgeborene ( prötotokos) von den Toten, auf dass er in allem der Erste sei.“ Als Sohn Gottes ist er in Ewigkeit Erstgeborener vor aller Schöpfung, wie der selbe Apostel an die Kolosser schreibt: „Er ist das Ebenbild ( eikön) des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene ( prötotokos) vor aller Schöpfung.“ (Kol 1,15).

Der Ap. Johannes schreibt: Jesus sei der „ monogen¢s theos – einziggeborener Gott (Sohn).“ (Joh 1,18). Und dieser, vor aller Zeit und Schöpfung erstgeborener und einziggeborener Gottes Sohn, wurde in diese Welt eingeführt, wie in Hebräer 1,6 geschrieben steht: „Und wenn er den Erstgeborenen wieder einführt in die Welt, spricht er (Psalm 97,7): »Und es sollen ihn alle Engel Gottes anbeten.« Gottes Sohn legt seine Göttlichkeit ab, wie der Ap. Paulus an die Philipper schreibt: „Welcher in der Gestalt ( morf¢) Gottes seiend (sich befindend), hielt das Gottgleichsein ( isa theö) nicht wie einen Raub fest, sondern entäußerte sich selbst (…).(Phil 2,6-8). Er wird also Mensch, nimmt Menschengestalt an, damit er als Mensch stellvertretend für alle Menschen sterben kann. So erkennen wir, dass durch die Begriffe:  Einziggeborener, Erstgeborener, sowohl seine göttliche „Herkunft“ in der Ewigkeit, als auch seine Auferweckung als Menschensohn aus physischem Tod beschrieben wird.

Jesus hat sich zwar immer wieder bewusst dem Willen seines Vaters unterstellt, doch bestand für ihn auch die Möglichkeit nicht zu sterben, wie folgende Texte andeuten: „Da sprach Jesus zu Petrus: Steck das Schwert in die Scheide! Soll ich den Kelch nicht trinken, den mir der Vater gegeben hat?“ Oder die Aussage: „Vater, willst du, so nimm diesen Kelch von mir; doch nicht mein, sondern dein Wille geschehe“ (vgl. auch mit Mt 16,22-23). Es war aber unmöglich, dass er im Tode geblieben wäre. Der Grund dafür liegt im Wesen Gottes – Gott ist Leben und er macht lebendig ( 2. Mose 3, 6,16; Joh 1,4;  5,21; Lk 20,38; Apg 1,3; 2,24-27; Offb 1,18).

Der Ap. Paulus schreibt Jahre später in seinem ersten Brief an die Korinther nicht nur über das Sterben und Begraben werden des Messias, sondern auch speziell über seine Auferstehung. In der Zeit gab es in der Gemeinde Korinth Menschen, welche die Auferstehung von Jesus leugneten. Der Apostel schreibt daher: „Denn als Erstes habe ich euch weitergegeben, was ich auch empfangen habe: Dass Christus gestorben ist für unsre Sünden nach der Schrift; und dass er begraben worden ist; und dass er auferweckt worden ist am dritten Tage nach (gemäß, entsprechend) der Schrift; und dass er gesehen worden ist von Kephas, danach von den Zwölfen (…).“ (1Kor 15,3-6). In diesem Zusammenhang zitiert der Apostel keine konkreten Aussagen aus den Schriften, nennt jedoch mehrere Zeugen der Auferstehung von Jesus (Kephas, Jakobus, die zwölf Apostel, danach mehr als fünfhundert Brüder, welche Jesus gleichzeitig als Auferstandenen gesehen haben, danach nennt er sich selbst als Zeuge, dem Jesus als der Lebendige erschienen ist). Außer der Aussage in Psalm 2,7, welche er im pisidischen Antiochia nennt (Apg 13,34), gibt es von ihm keine weiteren Zitate als Beleg für die Auferstehung von Jesus. Wir können jedoch davon ausgehen, dass er durchaus mehrere dieser Belege in mündlicher Form, besonders in den Gesprächen mit Juden angeführt hat (Apg 17,1ff; 18,5).

Daher suchen wir nach weiteren Hinweisen in den Schriften des Alten Testamentes, welche die Auferstehung des Messias andeuten oder vorhersagen.

  1. Die Verheißung an Eva: „ich werde Feindschaft setzen zwischen dir und der Frau, zwischen deinem Samen und ihrem Samen; er wird dir den Kopf zermalmen, und du, du wirst ihm die Ferse zermalmen.“ (vgl. 1Mose 3,15 mit Gal 4,4: Röm 16,20).
  2. Abraham bekam seinen einzigen Sohn Isaak wieder zurück und zwar am dritten Tag, 1Mose 22,1-18. Die Entsprechung im NT: „Durch den Glauben hat Abraham den Isaak dargebracht, als er versucht (geprüft) wurde, und gab den einzigen Sohn dahin, als er schon die Verheißungen empfangen hatte, von dem gesagt worden war (1. Mose 21,12): »Nach Isaak wird dein Geschlecht genannt werden.« Er dachte: Gott kann auch von den Toten erwecken; als ein Gleichnis dafür bekam er ihn auch wieder.“ (Hebr 11,17-19).
  3. Gott offenbart sich dem Mose als der Lebendige: „Dann sprach er: Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs.“ (vgl. (2Mose 3,6 mit Lk 20,38).
  4. Am dritten Tag kam der HERR hernieder auf den Gipfel des Berges Sinai, umgeben mit unbeschreiblicher Herrlichkeit (2Mose 19,11). Der Hinweis auf den dritten Tag und die Erscheinung der Herrlichkeit Gottes als Beginn des Bundesschlusses mit dem Volk Israel ist bemerkenswert.
  5. In 2Samuel 7,11-13 lesen wir: „seit der Zeit, da ich Richter über mein Volk Israel bestellt habe. Ich will dir Ruhe geben vor allen deinen Feinden. Und der HERR verkündigt dir, dass der HERR dir ein Haus bauen will. 12 Wenn nun deine Zeit um ist und du dich zu deinen Vätern legst, will ich dir einen Nachkommen erwecken, der von deinem Leibe kommen wird; dem will ich sein Königtum bestätigen. 13 Der soll meinem Namen ein Haus bauen, und ich will seinen Königsthron bestätigen ewiglich.“ Und der Engel Gabriel wiederholt diese Verheißung im Gespräch mit Maria und bezieht sie eindeutig auf den kommenden Erlöser  (Lk 1,31-33). Wenn das Reich dieses Nachkommen Davids ein ewiges ist, dann muss er (auch wenn er stirbt) wieder auferstehen.  Und der Ap. Petrus bestätigt: „Und alle Propheten von Samuel an und danach, wie viele auch geredet haben, die haben diese Tage verkündet.“ (Apg 3,24).
  6. In Psalm 110,1 lesen wir: „»Ein Psalm Davids. Der HERR sprach zu meinem Herrn: / »Setze dich zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde zum Schemel unter deine Füße lege.« Wie könnte der Messias sich zur Rechten Gottes setzen, wenn er nicht auferweckt worden wäre? (vgl. mit Mt 22,44; Apg 2,34; Hebr 1,13).
  7. In Hosea 6,1-3 steht geschrieben: »Kommt, wir wollen wieder zum HERRN; denn er hat uns zerrissen, er wird uns auch heilen, er hat uns geschlagen, er wird uns auch verbinden. Er macht uns lebendig nach zwei Tagen, er wird uns am dritten Tage aufrichten (a,nasthso,meqa anast¢sometha – auferwecken), dass wir vor ihm leben. Lasst uns darauf achthaben und danach trachten, den HERRN zu erkennen; so gewiss wie die schöne Morgenröte bricht er hervor und kommt über uns wie der Regen, wie Spätregen, der das Land feuchtet.« Hier wird ein Auferstehen am dritten Tag verheißen, auch wenn es nicht ausdrücklich auf den Messias bezogen wird.
  8. Die Jonageschichte ist eine der bekanntesten und Jesus begründet indirekt seine Auferstehung mit dieser Geschichte (Jona 2,1-11; Mt 12,40).
  9. Paulus schreibt: „Dass er ihn aber von den Toten auferweckt hat und ihn nicht der Verwesung überlassen wollte, hat er so gesagt (Jesaja 55,3): »Ich will euch die Gnade, die David verheißen ist, treu bewahren.« (Apg 13,33-34). Anschließend zitiert der Apostel Psalm 16,8-11.

Fragen /Aufgaben:

  1. Jesus hat seinen Jüngern mehrmals seine Auferstehung am dritten Tag vorausgesagt. Wie und wo sprach Jesus darüber und seine Apostel?
  2. Was waren die Gründe weshalb sie es nicht verstehen und auch nicht glauben wollten?
  3. Wie lässt sich die Auferstehung von Jesus aus den Schriften des Ersten Bundes begründen?
  4. Welcher Zusammenhang besteht zwischen der Schriftkenntnis und der Offenbarung Gottes durch seinen Geist?
  5. Welches ist der Hauptgrund für die Auferstehung von Jesus aus den Toten?
  6. Ein großer Teil der Christen glaubt, dass Jesus leibhaftig auferstanden ist. Warum ist ihr Zeugnis trotzdem oft so schwach?
  7. Wie lässt sich die Auferstehung von Jesus aus den Schriften des Ersten Bundes begründen?
  8. Welche Auswirkungen hatte die Auferstehung von Jesus auf die Entwicklung der Menschheitsgeschichte?

12.2 Begleiterscheinungen bei der Auferstehung von Jesus

(Bibeltexte: Mt 28,2-4; Mt 27,52-53)

Der Evangelist Matthäus überliefert drei Begleiterscheinungen bei der Auferstehung von Jesus. Auch wenn diese nur Bruchstücke darstellen, bilden sie doch einen konkreten Rahmen in dem Gott auf übernatürliche Weise wirkt. So schreibt der Evangelist: „Und siehe, es geschah ein großes Erdbeben. Denn der Engel des Herrn kam vom Himmel herab, trat hinzu und wälzte den Stein weg und setzte sich darauf.“ (Mt 28,2). Mit diesen knappen Worten schildert Matthäus als Einziger, das erste sichtbare, hörbare und spürbare Ereignis des Auferstehungstages. Gleich stellt sich die Frage, woher hatte der Evangelist diese Detailinformationen? Erstens: Einer der Wachsoldaten, der bereits bei der Kreuzigung von Jesus positiv gesprochen hatte, konnte es an die Jünger weitererzählt haben (Mt 27,54). Zweitens: Als zuverlässigste Quelle gilt immer noch Jesus selbst, denn in den folgenden 40 Tagen hat sich Jesus durch viele Beweise seinen Jüngern als der Lebendige gezeigt (Apg 1,3).

Mit dem Erscheinen eines himmlischen Boten  (gr. άγγελος  – angelos) geschieht zeitgleich ein großes Erdbeben. Dieses Erdbeben (gr. σεισμός seismos) wird mit Sicherheit von den meisten Menschen in der Stadt Jerusalem und Umgebung wahrgenommen worden sein. Es könnte auch mit der Auslöser für den frühen und ersten Grabesbesuch der Frauen gewesen sein, von dem nur der Evangelist Johannes kurz berichtet (Joh 20,1-2). Namentlich genannt ist Maria die Magdalenerin, doch sie war dort nicht allein (Mk 16,1-2). Eindeutig wird das starke Erdbeben mit dem Herabkommen des Engels in Verbindung gebracht und natürlich mit der Auferstehung von Jesus.

Abbildung 3 Grabstein im sogenannten Gartengrab in Jerusalem (Foto: April 1986).

Eine zeitliche Präzision im Eingreifen Gottes, ähnlich wie bei dem Tod von Jesus auf Golgatha (Mt 27,52). Doch das neue Felsengrab stürzt weder ein, noch rollt der große Grabstein davon.

Der Engel wälzt den durch die Hohenpriester versiegelten runden Stein von dem Eingang des Grabes und setzt sich auf ihn. Was für ein Bild der Ruhe und Überlegenheit über die menschlichen Sicherheitsmaßnahmen und die bewaffneten römischen Wachen. Kein Handgemenge, kein Anschreien oder gar Vertreiben der Soldaten, sie werden von dem Engel, so scheint es, gar nicht beachtet. Der Evangelist Matthäus schreibt, dass diese wie tot niederfielen. Wann sie wieder zu sich kamen, wird nicht gesagt.

Dass der Engel sich auf den Grabstein setzt, macht zweierlei deutlich. Erstens: für das Geschehen im Inneren des Grabes ist er nicht zuständig und zweitens: die Überwachung des jetzt bereits leeren Grabes übernimmt er – die Soldaten werden dafür nicht mehr gebraucht. Dies ist keineswegs ironisch gemeint. Obwohl von den Hohenpriestern bestellt, tun sie für Gott, ohne es zu wissen, einen  wertvollen Dienst. Sie bezeugen als erste und zwar unvoreingenommen, die Erscheinung des Engels in Blitzgestalt, dessen Aktion mit dem Wegrollen des Grabsteines und dass das Grab danach leer war. Begründung: „Als sie aber hingingen, siehe, da kamen einige von der Wache in die Stadt und verkündeten den Hohenpriestern alles, was geschehen war.“ (Mt 28,11).

Ab jetzt übernimmt der himmlische Bote die Regie, denn an diesem Tag stehen ihm und anderen Engeln noch weitere Aufgaben bevor. Nach Hebräer 1,14 sind Engel dienstbare Geister, die im Auftrag Gottes zum Teil ganz unterschiedliche Aufgaben wahrnehmen.

Abbildung 4 Das Leuchten des Blitzes über dem Meer (Foto mit freundlicher Genehmigung von Viktor Karpowitsch).

Dieser Engel wird wie folgt beschrieben: „Seine Gestalt war wie der Blitz und sein Gewand weiß wie der Schnee. Die Wachen aber erschraken aus Furcht vor ihm und wurden, als wären sie tot.“ (Mt 28,3-4). Der Blitz, besonders in der Dunkelheit der Nacht, löst bei den Menschen immer eine Faszination, bei gleichzeitigem Donner oft auch einen Schreck aus. Das glänzende Weiß des Engels wird mit dem in der Sonne strahlendem Schnee verglichen. Die Erscheinung himmlischer Boten haben Menschen immer wieder in Furcht und Schrecken versetzt (Lk 1,12.29; 2.9). Die mutigen Soldaten fallen bei der Erscheinung des Engels nieder und sind wie bewusstlos. Sie sind völlig handlungsunfähig, nehmen eine Zeitlang nichts mehr wahr.

Das Erdbeben ist eine Begleiterscheinung der Auferstehung von Jesus, so wie auch bei seinem Tod (Mt 27,52). Der Evangelist Matthäus schreibt: „Und die Gräber öffneten sich und viele Leiber der entschlafenen Heiligen wurden auferweckt und herausgekommen aus den Gräbern nach seiner Auferweckung  gingen hinein in die Heilige Stadt und erschienen vielen.“ (Mt 27,52-53). Diese Bemerkung des Evangelisten wird oft übersehen oder in zeitlichen Zusammenhang mit dem Tod von Jesus gebracht, weil sie im Text gleich nach Jesu Sterben folgt. Doch nicht nur beim Tod von Jesus gab es ein Erdbeben (Mt 27,51.54), sondern auch bei seiner Auferstehung (Mt 28,2). Und der Hinweis des Evangelisten, dass diese Auferweckten Gläubigen erst nach seiner (Jesu) Auferstehung hervorgingen und vielen erschienen, klärt die Sachlage und unterstreicht gleichzeitig die göttliche Reihenfolge, wie sie der Apostel Paulus später darlgelegt hatte: „Nun aber ist Christus auferstanden von den Toten als Erstling unter denen, die entschlafen sind“.  „Zuerst Christus, danach (wenn er kommen wird) die Christus angehören.“ (1Kor 15,20.23). Doch schon am Auferstehungstag seines geliebten Sohnes, wirkt Gott die Auferstehung vieler Gläubigen aus alter Zeit. Dass diese in der Heiligen Stadt (Jerusalem) noch vielen erschienen, verstärkt nur um so mehr Gottes Eingreifen in den Tod. Er ist ein Gott des Lebens und er macht lebendig! Es erübrigt sich jede Spekulation betreff dieser, in einem neuen verklärten Leib auferweckten Heiligen, da es später in den apostolischen Schriften darüber keinerlei konkreten Hinweise gibt.

Fragen /Aufgaben:

  1. Nenne die drei Begleiterscheinungen bei der Auferstehung von Jesus.
  2. Wie wirken diese sich auf die betroffenen Menschen aus?
  3. Sind Erdbeben immer in Verbindung mit göttlichem Eingreifen zu sehen?
  4. Worin besteht der Dienst von Engeln? Sind sie heute auch noch tätig (im Dienst)?
  5. Wie ist die Auferweckung vieler Gläubigen im Zusammenhang der Auferstehung von Jesus zu erklären oder einzuordnen?
  6. Welche Bedeutung hat es für uns heute, bzw. für unsere Zukunft?

12.3 Die Wachsoldaten bezeugen das leere Grab

(Bibeltexte: Mt 28,4. 11-15)

Durch das Erdbeben und die Erscheinung des Engels in Lichtgestalt wie der Blitz, erschrecken die Wachen, fallen zu Boden und sind (zunächst) wie tot (Mt 28,4). Doch nach einiger Zeit kommen sie wieder zu sich, sehen den abgewälzten Stein und überzeugen sich vom leeren Grab. Furcht und Schrecken erfüllt die sonst so mutigen Legionäre und einige von ihnen gehen in die Stadt und zu ihren Auftraggebern – den Hohenpriestern und verkündigen ihnen, was geschehen war. So schreibt der Evangelist Matthäus:

Als sie (die Frauen) aber hingingen, siehe, da kamen einige von der Wache in die Stadt und verkündeten den Hohenpriestern alles, was geschehen war. Und die kamen mit den Ältesten zusammen, hielten Rat und gaben den Soldaten viel Geld  und sprachen: Sagt, seine Jünger sind in der Nacht gekommen und haben ihn gestohlen, während wir schliefen. Und wenn es dem Statthalter zu Ohren kommt, wollen wir ihn beschwichtigen und dafür sorgen, dass ihr nichts zu fürchten habt. Sie nahmen das Geld und taten, wie sie angewiesen waren. Und dies Gerücht hat sich bei Juden verbreitet bis auf den heutigen Tag. (Mt 28,11-15).

Man bedenke, dass die oberste Führung des Volkes Israel als erste die Information von dem plötzlichen Verschwinden des Leichnams mitgeteilt bekamen und zwar aus dem Mund mehrerer offizieller vertrauter und zuverlässiger Personen. Die Soldaten ihrerseits hatten keinen Grund, um den Hohenpriestern irgendeine falsche Version für das plötzliche Verschwinden des Leichnams zu erzählen. Sie müssen ja um ihr Leben bangen. Und die Hohenpriester zweifelten keineswegs den Bericht der Soldaten an. Das starke Erdbeben hat die Hohenpriester genauso aus dem Schlaf gerissen, wie viele der Jerusalemer Bürger, wahrscheinlich auch die Frauen, die sich sehr früh auf den Weg zum Grab machen. Im Text steht von den Soldaten: „(…) sie verkündeten den Hohenpriestern alles, was geschehen war.“ (Mt 28,11). Was für ein Zeugnis für die Auferstehung von Jesus! Gott kommt zu Ehren und die Auferstehung von Jesus bekommt eine weitere Verbreitung und zwar unter den Gegnern.

Spätestens hier hätten die Obersten ihre Fehleinschätzung und Fehlverhalten einsehen und ihr unrechtes Urteil korrigieren müssen. Dieser Vorgang macht deutlich, wie gefährlich eine Verhärtung des Herzens ist. Je länger ein Mensch entgegen besseres Wissen die Wahrheit ignoriert, ja sich sogar bewusst gegen sie auflehnt, desto mehr steht er in der Gefahr und Versuchung sich in weitere Unwahrheiten und Ungerechtigkeiten zu verstricken.

Nach Beratung mit den Ältesten aus dem Hohen Rat, zahlen sie aus der Tempelkasse den Soldaten viel (Schmier)Geld, um sie zu einer Falschaussage zu überreden. Diese Falschaussage beinhaltet die Tatsache, dass die Soldaten einschliefen, denn sie waren ja durch die Engelerscheinung wie tot, also in einer Art Schlaf versunken. Der Rest der Aussage: „Sagt, seine Jünger sind in der Nacht gekommen und haben ihn gestohlen“, war eine üble und falsche Unterstellung. Die Jünger waren so sehr verängstigt, dass ihnen so etwas gar nicht eingefallen wäre.

Diese Version gründete sich auf ihre Unterstellung gegenüber den Jjüngern, welche sie dem Statthalter tags davor vorgetragen hatten, als sie diesen um die Bewachung des Grabes baten. Mit dieser Vorsichtsmaßnahme brachten sie sich selbst in große Erklärungsnot. Das Zudecken der Wahrheit mit der Zahlung eines Scweigegeldes (aus Steuergeldern, Opfergeldern), gewährt zudem einen weiteren Einblick in die korrupten Machenschaften der Tempelbehörde jener Zeit.

Die Zusicherung an die Soldaten des Statthalters lautete: „Und wenn es dem Statthalter zu Ohren kommt, wollen wir ihn beschwichtigen und dafür sorgen, dass ihr nichts zu fürchten habt.“ (Mt 28,13). Damals wie heute spielte Geld und Macht für das Verhalten von Menschen eine große Rolle. Die Führenden in Israel hatten darin Erfahrung (Mt 26,14-16) und wussten, wie mangelhaft die einfachen Soldaten für ihren oft lebensgefährlichen Dienst besoldet wurden. So heißt es weiter von den Soldaten: „Sie nahmen das Geld und taten, wie sie angewiesen waren. Und dies Gerücht hat sich bei Juden verbreitet bis auf den heutigen Tag.“ (Mt 29,14-15). Die Soldaten verbreiten diese falsche Version so intensiv, dass der Evangelist Matthäus noch Jahre später bemerkt: „dies Gerücht hat sich bei Juden verbreitet bis auf den heutigen Tag.“ Es war also noch im Umlauf zur Zeit der Abfassung des Evangelienberichtes durch Matthäus vor 70 n. Chr..

Öffentliche Propaganda ist ein wesentliches Mittel, das zur Meinungsbildung in einer Gesellschaft benutzt und oft auch missbraucht wird.

Die Vorsichtsmaßnahme, welche die Hohenpriester tags zuvor getroffen hatten, wendete sich letztlich gegen sie selbst. Sie haben sich bereits so sehr selbst geschadet, dass von ihnen keine weiteren Aufklärungsaktionen dieses Falles eingeleitet werden. Ein Untersuchungsausschuß zur juristischen Aufarbeitung und Klärung des mysteriösen Verschwindens des Leichnams, hätte nicht nur die Wachsoldaten, sondern auch sie selbst in weitere Erklärungsnot gebracht.

Hier erfüllte sich, was in Psalm 2,4 geschrieben steht: „Aber der im Himmel wohnt, lachet ihrer, und der Herr spottet ihrer.“ (Vgl auch Apg 4,23-28; Ps 2,1-2).

Fragen / Aufgaben:

  1. Die Wachsoldaten geraten in große Verlegenheit. Wie bewertest du ihr Handeln und ihre Berichterstattung vor den Hohenpriestern?
  2. Wie kam die Unterredung der Wachsoldaten mit den Hohenpriestern ans Licht, zum Beispiel bis zu den Jüngern?
  3. Schildere die Verlegenheit der Führung Israels und deren verfehlten Politik. Was können wir daraus ableiten?
  4. Welchen Eindruck hinterließen die Führenden Israels bei ihrem Volk und den Römern durch ihr korruptes Verhalten?
  5. Ist es möglich, Gottes Plan und dessen Durchführung zu verhindern?

In den folgenden Abschnitten wollen wir versuchen anhand aller Texte der vier Evangelien eine chronologische Abfolge der Ereignisse am ersten Tag der Woche zu erstellen. Diese Mühe lohnt sich, weil am Ende unser Glaube an den auferstandenen Jesus Christus gestärkt und gefestigt wird.

 

Auflistung der Texte aller vier Evangelisten:

Matthäus 28,1-8

Als aber der Sabbat vorüber war und der erste Tag der Woche anbrach, kamen Maria Magdalena und die andere Maria, um nach dem Grab zu sehen. Und siehe, es geschah ein großes Erdbeben. Denn ein Engel des Herrn kam vom Himmel herab, trat hinzu und wälzte den Stein weg und setzte sich darauf. Seine Erscheinung war wie der Blitz und sein Gewand weiß wie der Schnee. Die Wachen aber erbebten aus Furcht vor ihm und wurden, als wären sie tot. Aber der Engel sprach zu den Frauen: Fürchtet euch nicht! Ich weiß, dass ihr Jesus, den Gekreuzigten, sucht. Er ist nicht hier; er ist auferstanden, wie er gesagt hat. Kommt und seht die Stätte, wo er gelegen hat; und geht eilends hin und sagt seinen Jüngern: Er ist auferstanden von den Toten. Und siehe, er geht vor euch hin nach Galiläa; da werdet ihr ihn sehen. Siehe, ich habe es euch gesagt. Und sie gingen eilends weg vom Grab mit Furcht und großer Freude und liefen, um es seinen Jüngern zu verkündigen.

Markus 16,1-8:

Und als der Sabbat vergangen war, kauften Maria Magdalena und Maria, die Mutter des Jakobus, und Salome wohlriechende Öle, um hinzugehen und ihn zu salben. Und sie kamen zum Grab am ersten Tag der Woche, sehr früh, als die Sonne aufging. Und sie sprachen untereinander: Wer wälzt uns den Stein von des Grabes Tür? Und sie sahen hin und wurden gewahr, dass der Stein weggewälzt war; denn er war sehr groß. Und sie gingen hinein in das Grab und sahen einen Jüngling zur rechten Hand sitzen, der hatte ein langes weißes Gewand an, und sie entsetzten sich. Er aber sprach zu ihnen: Entsetzt euch nicht! Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden, er ist nicht hier. Siehe da die Stätte, wo sie ihn hinlegten. Geht aber hin und sagt seinen Jüngern und Petrus, dass er vor euch hingeht nach Galiläa; da werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat. Und sie gingen hinaus und flohen von dem Grab; denn Zittern und Entsetzen hatte sie ergriffen. Und sie sagten niemand etwas; denn sie fürchteten sich.

Lukas 24,1-12:

Aber am ersten Tag der Woche sehr früh kamen sie zum Grab und trugen bei sich die wohlriechenden Öle, die sie bereitet hatten. Sie fanden aber den Stein weggewälzt von dem Grab und gingen hinein und fanden den Leib des Herrn Jesus nicht.  Und als sie darüber ratlos waren, siehe, da traten zu ihnen zwei Männer in glänzenden Kleidern. Sie aber erschraken und neigten ihr Angesicht zur Erde. Da sprachen die zu ihnen: Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten? Er ist nicht hier, er ist auferstanden. Gedenkt daran, wie er euch gesagt hat, als er noch in Galiläa war und sprach: Der Menschensohn muss überantwortet werden in die Hände der Sünder und gekreuzigt werden und am ritten Tage auferstehen Und sie gedachten an seine Worte. Und sie gingen wieder weg vom Grab und verkündigten das alles den Elf und allen anderen Jüngern. Es waren aber Maria Magdalena und Johanna und Maria, des Jakobus Mutter, und die andern Frauen mit ihnen; die sagten das den Aposteln. Und es erschienen ihnen diese Worte, als wär’s Geschwätz, und sie glaubten ihnen nicht. Petrus aber stand auf und lief zum Grab und bückte sich hinein und sah nur die Leinentücher und ging davon und wunderte sich über das, was geschehen war.

Johannes 20,1-13:

Am ersten Tag der Woche kommt Maria Magdalena früh, als es noch finster war, zum Grab und sieht, dass der Stein vom Grab weggenommen war. Da läuft sie und kommt zu Simon Petrus und zu dem andern Jünger, den Jesus lieb hatte, und spricht zu ihnen: Sie haben den Herrn weggenommen aus dem Grab, und wir wissen nicht, wo sie ihn hingelegt haben. Da gingen Petrus und der andere Jünger hinaus, und sie kamen zum Grab. Es liefen aber die beiden miteinander, und der andere Jünger lief voraus, schneller als Petrus, und kam als Erster zum Grab, schaut hinein und sieht die Leinentücher liegen; er ging aber nicht hinein. Da kam Simon Petrus ihm nach und ging hinein in das Grab und sieht die Leinentücher liegen, und das Schweißtuch, das auf Jesu Haupt gelegen hatte, nicht bei den Leinentüchern, sondern daneben, zusammengewickelt an einem besonderen Ort. Da ging auch der andere Jünger hinein, der als Erster zum Grab gekommen war, und sah und glaubte. Denn sie verstanden die Schrift noch nicht, dass er von den Toten auferstehen müsste. Da gingen die Jünger wieder zu den anderen zurück. Maria aber stand draußen vor dem Grab und weinte. Als sie nun weinte, beugte sie sich in das Grab hinein und sieht zwei Engel in weißen Gewändern sitzen, einen zu Häupten und den andern zu den Füßen, wo der Leichnam Jesu gelegen hatte. Und die sprachen zu ihr: Frau, was weinst du? Sie spricht zu ihnen: Sie haben meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben.

In den frühen Morgenstunden des ersten Tages der Woche, als es noch finster war, ist Maria die Magdalenerin unterwegs zum Grab, so der Ev. Johannes. Auf den ersten Blick bekommen wir den Eindruck, dass Maria ganz allein unterwegs ist. Doch schon aus einer logischen und praktischen Überlegung heraus, wäre es unverständlich, wenn sich eine einzelne Frau bei Dunkelheit außerhalb der Stadt Jerusalems begeben würde und zwar mit dem Ziel, den Leichnam von Jesus (der nicht ihr Verwandter ist) zu salben. Ist sie wirklich allein unterwegs oder wird sie von weiteren Frauen begleitet, ohne dass der Evangelist dies vermerkt? Bereits am Vorabend, nach Ende des Sabbats (am Samstagabend nach Sonnenuntergang), haben drei namentlich genannten Frauen kostbares Salböl eingekauft, so schreibt der Ev. Markus:

Und als der Sabbat vergangen war, kauften Maria Magdalena und Maria, die Mutter des Jakobus, und Salome wohlriechende Öle (arömata), um hinzugehen und ihn zu salben. Und sie kamen zum Grab am ersten Tag der Woche, sehr früh, als die Sonne aufging. Und sie sprachen untereinander: Wer wälzt uns den Stein von des Grabes Tür? Und sie sahen hin und wurden gewahr, dass der Stein weggewälzt war; denn er war sehr groß. (Mk 16,1-4).

Wenn der Ev. Markus mindestens drei Frauen namentlich nennt, die am Vorabend gemeinsam Salb-Öle eingekauft hatten, mit dem Ziel am nächsten Morgen zum Grab zu gehen, dann liegt es nahe, dass sie auch gemeinsam am frühen Morgen des ersten Tages zum Grabe gingen. Diese drei, von Markus namentlich genannten Frauen sind:

  1. Maria aus Magdala (Joh 20,1; Mk 16,1-2; Lk 8,3).
  2. Maria, die Mutter des Jakobus (und Josef); sie ist mit Sicherheit die Mutter von Jesus (vgl. Mk 15,40 und Mt 27,56 mit Mt 13,55).
  3. Salome ist die Frau des Zebedäus und Mutter von Jakobus und Johannes, den Jüngern von Jesus. Der Vergleich von Mt 27,56 mit Mk 15,40 und Mk 16,1 legt dies nahe. Nimmt man noch Johannes 19,25 hinzu, bekommt man ein noch vollständigeres Bild über die Verwandtschaftsbeziehungen zwischen Salome und Maria, der Mutter von Jesus. Demnach wären diese beiden Frauen Schwestern.

Der Ev. Matthäus schreibt: „Als aber der Sabbat vorüber war und der erste Tag der Woche anbrach, kamen Maria Magdalena und die andere Maria, um nach dem Grab zu sehen.“ (Mt 28,1). Dass dieser Evangelist im Vergleich zu Markus nur zwei Frauen namentlich nennt, macht doch deutlich, dass jeder von ihnen nicht alle Details in seiner Berichterstattung aufgeschrieben hat. Die zwei Namen bei Matthäus sind:

  1. Maria aus Magdala,
  2. Maria, die Mutter von Jesus

Der Ev. Lukas schreibt: „Aber am ersten Tag der Woche sehr früh kamen sie zum Grab und trugen bei sich die wohlriechenden Öle, die sie bereitet hatten. Sie fanden aber den Stein weggewälzt von dem Grab (…).“ (Lk 24,1-2). Welche und wie viele Frauen meint er mit dem „sie“?

  • Es waren die Frauen, welche Jesus bereits aus Galiläa gefolgt waren
  • Welche in der Nähe des Kreuzes standen
  • und bei der Bestattung durch Josef aus Arimathea in Grabesnähe waren.

So schreibt der Evangelist: „Es folgten aber die Frauen nach, die mit ihm gekommen waren aus Galiläa, und sahen das Grab und wie sein Leib hineingelegt wurde. Sie kehrten aber um und bereiteten wohlriechende Öle und Salben. (…).“ (Lk 23,55-56a). Und in Kapitel 24,10 schreibt er: „Es waren aber Maria Magdalena und Johanna und Maria, des Jakobus Mutter, und die andern Frauen mit ihnen; die sagten das den Aposteln.“ Lukas nennt drei Frauen mit Namen:

    1. Maria aus Magdala
    2. Johanna (sie ist die Frau des Chuzas eines Verwalters des Herodes Antipas), (Lk 8,3; 24,10)
    3. Maria, des Jakobus Mutter (sie ist die Mutter von Jesus)

Der Ev. Lukas fügt hinzu, dass noch andere Frauen (im Plural) dabei waren (Lk 24,10b).

Fazit: Im Zusammenhang der Texte aller vier Evangelien zu den Grabesbesuchen von Frauen (Mt 28,1; Mk 16,1-2a; Lk 24,1.10; Joh 20,1. 9ff), sind folgende Frauen namentlich genannt:

  1. Maria aus Magdala
  2. Maria, die Mutter von Jesus
  3. Salome, die Schwester von Maria
  4. Johanna
  5. Maria des Kleophas Frau

Wir nehmen nun an, dass diese Frauen (mehr oder weniger vollzählig) als Gruppe  zum Grab gehen. Unterwegs sprechen die Frauen zueinander: Wer wälzt uns den Stein vom Grab?“ (Mk 16,3). Als sie jedoch zum Grab kommen, stellen sie fest, dass der Stein weggewälzt ist.

Anmerkung: Der Ev. Johannes beschreibt als Einziger, dass Maria aus Magdala zweimal das Grab besuchte (Joh 20,1.11). Die Ev. Markus, Matthäus und Lukas schreiben nur von einem Grabesbesuch der Frauen (Mk 16,2b).

Maria aus Magdala, welche in der gesamten Aktion eine führende Rolle hat, wird von dem Evangelisten Johannes in seinem Auferstehungsbericht hervorgehoben. Die Tatsache, dass sie in allen Listen immer an erster Stelle genannt wird, hebt ihre besondere Stellung hervor. Der Ev. Johannes berichtet aus der Sicht der Magdalenerin. Beim Anblick des offenen Grabes sind alle Frauen entsetzt. Wenn wir dem Bericht des Johannes folgen, dann kehrte Maria die Magdalenerin gleich wieder zurück in die Stadt zu Petrus und Johannes (Joh 20,1-2). Dort sage sie als Sprecherin der Frauengruppe zu Petrus und dem Jünger, welchen Jesus liebte: Sie haben den Herrn aus der Gruft weggenommen und wir wissen nicht, wo sie ihn hingelegt haben.(Joh 20,2). Mit dem „Sie“ ist für uns nicht klar, wen oder welche Personengruppe die Magdalenerin damit meint. Falls bei diesem ersten Grabesbesuch einige Soldaten noch am Grab waren, könnte Maria diese gemeint haben. Wir müssen auch bedenken, dass bis dahin weder die Frauen, noch die Jünger von der Überwachungsaktion vor dem Grab wussten. Hätten die Frauen es gewusst, wäre es nicht vorzustellen, dass sie sich noch bei Dunkelheit allein dorthin gewagt hätten.

Dass die anderen Frauen die Magdalenerin bei deren frühem Grabesbesuch begleiteten, wird durch das „wir“ in Joh.20,2 bestätigt.

Mit diesen spärlichen, aber für die Jünger sensationellen Aussagen der Maria kommen Petrus und Johannes in Bewegung. Nichts und niemand kann sie aufhalten, sie wollen mit eigenen Augen sehen was geschehen ist.

Fragen /Aufgaben:

  1. Welche Stellung hatten Frauen in römischer Zeit (auch in Israel)?
  2. Warum sind so viele Frauen an diesem frühen Morgen unterwegs zum Grab? Was ist ihr eigentliches Anliegen?
  3. Wie viele und welche Frauen sind Zeugen des leeren Grabes?
  4. Beschreibe die Reaktion der Frauen beim Anblick des leeren Grabes.

12.4 Erster Gabesbesuch der Frauen – Der Stein ist weg, das Grab ist leer

(Bibeltexte: (Joh 20,1-2; Mk 16,1-4; Lk 24,1-2)

In den folgenden Abschnitten wollen wir den Versuch unternehmen, anhand aller Texte der vier Evangelien eine chronologische Abfolge der Ereignisse am ersten Tag der Woche zu erstellen. Die Mühe bei diesem Unternehmen lohnt sich, weil am Ende unser Glaube an den auferstandenen Jesus Christus gestärkt und gefestigt wird.

 

Tabelle mit den Texten aller vier Evangelisten:

 

In den frühen Morgenstunden des ersten Tages der Woche, als es noch finster war, ist Maria die Magdalenerin unterwegs zum Grab, so schreibt der Evangelist Johannes:

Am ersten Tag der Woche kommt Maria Magdalena früh, als es noch finster war, zum Grab und sieht, dass der Stein vom Grab weggenommen war. Da läuft sie und kommt zu Simon Petrus und zu dem andern Jünger, den Jesus lieb hatte, und spricht zu ihnen: Sie haben den Herrn weggenommen aus dem Grab, und wir wissen nicht, wo sie ihn hingelegt haben. (Joh 20,1-2).

Auf den ersten Blick bekommen wir den Eindruck, dass Maria ganz allein unterwegs war. Doch schon aus einer logischen und praktischen Überlegung wäre es unverständlich, wenn sich eine einzelne Frau bei Dunkelheit außerhalb der Stadt Jerusalems begeben würde und zwar mit dem Ziel, den Leichnam von Jesus (der nicht ihr Verwandter war) zu salben. War sie wirklich allein unterwegs oder wurde sie von weiteren Frauen begleitet, ohne dass der Evangelist dies vermerkt? Bereits am Vorabend, nach Ende des Sabbats (am Samstagabend nach Sonnenuntergang), haben drei namentlich genannten Frauen kostbares Salböl eingekauft, so schreibt der Evangelist Markus:

Und als der Sabbat vergangen war, kauften Maria Magdalena und Maria, die Mutter des Jakobus, und Salome wohlriechende Öle (gr. αρώματα arömata), um hinzugehen und ihn zu salben. Und sie kamen zum Grab am ersten Tag der Woche, sehr früh, als die Sonne aufging. Und sie sprachen untereinander: Wer wälzt uns den Stein von des Grabes Tür? Und sie sahen hin und wurden gewahr, dass der Stein weggewälzt war; denn er war sehr groß.“ (Mk 16,1-4).

Wenn der Evangelist Markus mindestens drei Frauen namentlich nennt, die am Vorabend gemeinsam Salb-Öle eingekauft hatten mit dem Ziel am nächsten Morgen zum Grab zu gehen, dann läge es nahe, dass sie auch gemeinsam am folgenden frühen Morgen des ersten Tages zum Grabe gingen. Diese drei, von Markus namentlich genannten Frauen sind:

  1. Maria aus Magdala (Joh 20,1; Mk 16,1-2; Lk 8,3).
  2. Maria, die Mutter des Jakobus (und Josef), sie ist mit Sicherheit die Mutter von Jesus (vgl. Mk 15,40 und Mt 27,56 mit Mt 13,55).
  3. Salome ist die Frau des Zebedäus und Mutter des Jakobus und Johannes, der Jünger von Jesus. Der Vergleich  von Mt 27,56 mit Mk 15,40 und Mk 16,1 legt dies nahe. Nimmt man noch Johannes 19,25 hinzu, bekommt man ein noch vollständigeres Bild von den Verwandtschaftsbeziehungen zwischen Salome und Maria, der Mutter von Jesus. Demnach wären diese beiden Frauen Schwestern.

Der Evangelist Matthäus schreibt: „Als aber der Sabbat vorüber war und der erste Tag der Woche anbrach, kamen Maria Magdalena und die andere Maria, um nach dem Grab zu sehen.“ (Mt 28,1). Das dieser Evangelist im Vergleich zu Markus nur zwei Frauen namentlich nennt, macht doch deutlich, dass jeder von ihnen nicht alle Details in seiner Berichterstattung aufgeschrieben hat. Die zwei Namen bei Matthäus sind:

  1. Maria aus Magdala,
  2. Maria, die Mutter von Jesus

Der Evangelist Lukas schreibt: „Aber am ersten Tag der Woche sehr früh kamen sie zum Grab und trugen bei sich die wohlriechenden Öle, die sie bereitet hatten. Sie fanden aber den Stein weggewälzt von dem Grab (…).“ (Lk 24,1-2). Wen und wie viele Frauen meint er unter dem „sie“?

  • Es waren die Frauen, welche Jesus bereits aus Galiläa gefolgt waren,
  • Welche in der Nähe des Kreuzes standen
  • und bei der Bestattung durch Josef aus Arimathea in Grabesnähe waren.

So schreibt der Evangelist: „Es folgten aber die Frauen nach, die mit ihm gekommen waren aus Galiläa, und sahen das Grab und wie sein Leib hineingelegt wurde. Sie kehrten aber um und bereiteten wohlriechende Öle und Salben. (…).“ (Lk 23,55-56a). Und in Kapitel 24,10 schreibt er: „Es waren aber Maria Magdalena und Johanna und Maria, des Jakobus Mutter, und die andern Frauen mit ihnen; die sagten das den Aposteln.“ Lukas nennt drei Frauen mit Namen:

    1. Maria aus ‚Magdala
    2. Johanna (sie ist die Frau des Chuzas eines Verwalters des Herodes Antipas (Lk 8,3; 24,10)
    3. Maria des Jakobus Mutter (sie ist die Mutter von Jesus)

Der Evangelist Lukas fügt noch hinzu, dass noch andere Frauen (im Plural) dabei waren (Lk 24,10b).

Fazit: Im Zusammenhang der Texte aller vier Evangelien zu den Grabesbesuchen von Frauen (Mt 28,1;  Mk 16,1-2a;  Lk 24,1.10;  Joh 20,1. 9ff), sind folgende Frauen namentlich genannt:

  1. Maria aus Magdala,
  2. Maria, die Mutter von Jesus,
  3. Salome, die Schwester von Maria,
  4. Johanna,
  5. Maria, des Kleopas Frau,

Wir nehmen nun an, dass diese Frauen (mehr oder weniger vollzählig) als Gruppe zweimal zum Grab gingen. Unterwegs dorthin (bei ihrem ersten Grabesbesuch Joh 20,1als es noch finster war) sprechen die Frauen zueinander: Wer wälzt uns den Stein vom Grab?“ (Mk 16,3). Als sie jedoch zum Grab kommen, stellen sie fest, dass der Stein weggewälzt ist.

Anmerkung: Der Evangelist Johannes beschreibt als Einziger, dass die Frauen zweimal das Grab besuchten (Joh 20,1.11). Da der Evangelist Markus (sowie auch Matthäus und Lukas) nur von einem Grabesbesuch der Frauen schreiben (in der Zeit als die Sonne aufging Mk 16,2b), hat er die Frage der Frauen: Wer wälzt uns den Stein vom Grab“, die logischerweise nur beim ersten Grabesbesuch gestellt werden konnte. in seinen allgemeinen Bericht reingenommen (Mk 16,1-4). Denn diese Frage zu stellen bei dem zweiten Grabesbesuch wäre sinnlos, denn bereits beim ersten Besuch, wie der Evangelist Johannes es beschreibt, sah die Magdalenerin (sicher auch die anderen Frauen) dass der Stein weggewälzt war (Joh 20,1-2).

Maria aus Magdala, welche in der gesamten Aktion eine führende Rolle hatte, wird von dem Evangelisten Johannes in seinem Auferstehungsbericht hervorgehoben. Er berichtet aus der Sicht der Magdalenerin. Beim Anblick des offenen Grabes sind alle Frauen so sehr erschrocken, dass sie auf der Stelle kehrt machen und  zurück in die Stadt laufen. Dort sagten sie, bzw. die Magdalenerin, als Sprecherin zu Petrus und dem Jünger, welchen Jesus liebte (Johannes): Sie haben den Herrn aus der Gruft weggenommen und wir wissen nicht, wo sie ihn hingelegt haben.(Joh 20,2). Mit dem „Sie“ ist für uns nicht klar, wen oder welche Personengruppe die Magdalenerin damit meint. Falls bei diesem ersten Grabesbesuch einige Soldaten noch am Grab waren, könnte Maria diese gemeint haben. Wir müssen auch bedenken, dass bis dahin weder die Frauen, noch die Jünger von der Überwachungsaktion vor dem Grab wussten. Hätten die Frauen es gewusst, nicht vorzustellen, dass sie sich noch bei Dunkelheit allein dorthin gewagt hätten.

Dass die anderen Frauen die Magdalenerin bei deren erstem Grabesbesuch begleiteten, wird durch das „wir“ in Joh.20,2 bestätigt. Mit diesen spärlichen aber für die Jünger sensationellen Aussagen der Frauen kommen Petrus und Johannes in Bewegung. Nichts und niemand kann sie aufhalten, sie wollen es mit eigenen Augen sehen was geschehen war.

Fragen /Aufgaben:

  1. Welche Stellung hatten Frauen in römischer Zeit, auch in Israel?
  2. Warum sind so viele Frauen an diesem frühen Morgen unterwegs zum Grab? Was war ihr eigentliches Anliegen?
  3. Wieviele und welche Frauen sind Zeugen des leeren Grabes?
  4. Beschreibe ihre Reaktion beim Anblick des leeren Grabes.

12.5 Die Engel bezeugen den Frauen die Auferstehung von Jesus

(Bibeltexte: Mt 28,1-8; Mk 16,2-8; Lk 24,1-9)

Während der Abwesenheit von Maria der Magdalenerin könnte die Begegnung der übrigen Frauen mit den Engeln stattgefunden haben. Es ist der Versuch wert, anhand der vorhandenen Texte eine logische Reihenfolge zu erstellen. Denn obwohl jeder Evangelist seinen Bericht spezifisch entfaltet, sehen wir diese als einander ergänzend an. Im Garten angekommen, gehen diese sofort in das Innere der Grabkammer hinein. Inzwischen ist auch die Sonne aufgegangen (Mk 16,2b). Ihr Verhalten sagt etwas über ihre beharrliche Liebe zu ihrem Herrn aus. Wir versuchen einen möglichen chronologischen Ablauf der Begegnungen mit Engeln und anschließend mit dem Herrn selbst herzustellen.

Der Ev. Lukas vermerkt, dass sie (alle Frauen) nun in das Grab hineingehen (Lk 24,3). „Und als sie in Verlegenheit gerieten, siehe, da standen zwei Männer in glänzenden Kleidern bei ihnen.“ (Lk 24,4). Der Evangelist Markus hält fest, dass sie einen (kein Zahlwort) jungen Mann bekleidet mit einem weißen langen Gewand sehen, welcher zur Rechten sitzt. Beim Anblicka der Engel erschrecken die Frauen (Mk 16,5). Auch der Evangelist Matthäus spricht von einem Engel (Mt 28,5), der allerdings zu dieser Zeit nicht mehr auf dem Stein draußen vor dem Grabeingang sitzt, sondern sich jetzt in der Grabkammer aufhält.

Die Gruft muss ziemlich geräumig gewesen sein, sodass sich alle Frauen im Inneren aufhalten konnten und dazu noch die beiden himmlischen Boten. Wir können uns kein objektives Bild davon machen, wie die beiden Engel mit den Frauen reden, ob gleichzeitig oder nacheinander. Es ist sozusagen der erste Zeugnisgottesdienst zur Auferstehung von Jesus Christus, den praktisch die beiden Engel leiten.

Nach Matthäus sagt einer der himmlischen Boten: Ich weiß, dass ihr Jesus, den Gekreuzigten sucht. Er ist nicht hier, denn er ist auferstanden, wie er gesagt hat. Kommt her, seht die Stätte, wo er gelegen hat. (Mt 28.5-6). Der Evangelist Markus hält ähnlich fest: Entsetzt euch nicht! Ihr sucht Jesus, den Nazarener, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden. Er ist nicht hier. Siehe da die Stätte, wo sie ihn hingelegt hatten.(Mk 16,6). Der Evangelist Lukas berichtet ein wenig ausführlicher: Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten? Er ist nicht hier, sondern ist auferstanden. Gedenkt daran, wie er zu euch geredet hat, als er noch in Galiläa war, indem er sagte: Der Sohn des Menschen muss in die Hände sündiger Menschen überliefert und gekreuzigt werden und am dritten Tag auferstehen. (Lk 24,5b-7; 9,22). Die Engel fahren fort mit: Und geht schnell hin und sagt seinen Jüngern, dass er von den Toten auferstanden ist! Und siehe, er geht vor euch hin nach Galiläa, dort werdet ihr ihn sehen. Siehe, ich habe es euch gesagt.(Mt 28,7). Und Markus ergänzt mit den Worten:Aber geht hin und sagt seinen Jüngern und Petrus, dass er euch nach Galiläa vorausgeht. Dort werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat.(Mk 16,7; 9,31). Lukas fügt noch hinzu:Und sie gedachten an seine Worte. (Lk 24,8). Es fällt auf, dass Jesus in Galiläa die entsprechenden Voraussagen auf sein Leiden und Auferstehung nicht nur an seine Jünger richtet, sondern auch die Frauen, welche ihm nachfolgen, darüber informiert (Lk 8,1-3).

Abbildung 4. Das sogenannte Gartengrab in Jerusalem. Es ist nicht das Grab von Jesus, doch hier findet der Pilger Ruhe und kann sich im Gegensatz zu der Grabeskirche, auf das Geschehen auf Golgatha und die Auferstehung von Jesus, besinnen. (Foto: April 1986).

Bei Markus hört sich der Schluss seines Evangeliums sehr dramatisch an: Und sie gingen hinaus und flohen von der Gruft. Denn Zittern und Bestürzung hatte sie ergriffen, und sie sagten niemand etwas, denn sie fürchteten sich. (Mk 16,8). `Niemand` bedeutet hier wohl, während sie sich auf dem Weg zu den Jüngern befanden. Matthäus ergänzt mit den Worten: Und sie gingen schnell von der Gruft weg mit Furcht und großer Freude und liefen, es seinen Jüngern zu verkünden.(Mt 28.8). Diese unterschiedlichen Empfindungen und Wahrnehmungen passen sehr gut auf Frauen, die in ihrem subjektiven Erleben mit einer bunten Mischung von Emotionen reagieren.

  Fragen /Aufgaben:

  1. Die Frauen verharren am Grab. Was sagt es über sie aus, was bewegt sie?
  2. Womit werden sie für ihre „Wer sucht, der findet“ belohnt?
  3. Wie gut kennen sich die Engel im Plan Gottes und dessen Verwirklichung aus?
  4. Was ist das Ergebnis der Engelbegegnungen?
  5. Welchen Eindruck erwecken die Evangelientexte, die über das leere Grab und die Auferstehung von Jesus berichten, in dir?
  6. Gib acht, wie sich die Evangelisten trotz lückenhafter Berichterstattung ergänzen.

 

12.6 Petrus und Johannes bestaunen das leere Grab

(Bibeltext: Joh 20,2-10; Lk 24,12)

Im Folgenden sind die Paralleltexte der Evangelisten Johannes und Lukas, die vom Grabesbesuch des Petrus und Johannes berichten, nacheinander aufgelistet.

Johannes 20,3-10:

Da gingen Petrus und der andere Jünger hinaus, und sie kamen zum Grab. Es liefen aber die beiden miteinander, und der andere Jünger lief voraus, schneller als Petrus, und kam als Erster zum Grab, schaut hinein und sieht die Leinentücher liegen; er ging aber nicht hinein. Da kam Simon Petrus ihm nach und ging hinein in das Grab und sieht die Leinentücher liegen, und das Schweißtuch, das auf Jesu Haupt gelegen hatte, nicht bei den Leinentüchern, sondern daneben, zusammengewickelt an einem besonderen Ort. Da ging auch der andere Jünger hinein, der als Erster zum Grab gekommen war, und sah und glaubte. Denn sie verstanden die Schrift noch nicht, dass er von den Toten auferstehen müsste. Da gingen die Jünger wieder zu den anderen zurück.

Lukas 24,12:

Petrus aber stand auf und lief zum Grab und bückte sich hinein und sah nur die Leinentücher und ging davon und wunderte sich über das, was geschehen war.

Nun machen sich die zwei Jünger Petrus und Johannes auf den Weg zum Grab. Sie laufen, wobei Johannes schneller ist als Petrus (Joh 20,4). Er schaut ins Grab und sieht die Leinentücher liegen, geht aber nicht hinein, lässt sozusagen Petrus den Vortritt. Petrus eilt nun herbei und geht sofort in das Innere der Grabkammer hinein und sieht ebenfalls die Leinentücher liegen. Zweimal vermerkt der Evangelist Johannes, dass die Leinentücher im Grab lagen, ein wichtiger Beleg dafür, dass die Behauptung der Frauen, der Leib von Jesus wurde weggenommen, nicht stimmte (Joh 20,2). Im Falle eines Diebstahls wären die Leinentücher nicht mehr geordnet oder überhaupt nicht mehr im Grab geblieben. Der Evangelist Johannes vermerkt jedoch, dass das Schweißtuch, welches Jesus um den Kopf gewickelt wurde, nicht mit den übrigen Leinentüchern zusammen, sondern getrennt (und zwar ordentlich zusammengewickelt) an einer besonderen Stelle lag (Joh 20,7). Grabräuber hätten Spuren verwischt oder Chaos hinterlassen. Der Herr aber lässt seine zeitweilige Ruhestätte aufgeräumt und in völliger Ordnung zurück. Nach Petrus geht auch Johannes in die Grabkammer hinein und als er dies alles sieht glaubt er, denn sie kannten die Schrift noch nicht, dass er von den Toten auferstehen müsste.(Joh 20,9). So gehen die beiden wieder zurück zu den Ihren (Joh 20,8-9).

Anmerkung: Es gibt keinen Hinweis aus diesen Texten oder apostolischen Schriften dafür, dass die Jünger oder später die Frauen die Leinentücher und das Kopftuch als Beweismaterial oder als Reliquien mit sich genommen hätten. Die vielfach verbreitete Meinung, dass das Leichentuch und Kopftuch von Jesus erhalten geblieben seien und aufbewahrt werden, gehört ebenso in die Kategorie der mittelalterlichen Überlieferungen, wie auch die vielen sogenannten Überreste von Kreuzen und Körperteilen sogenannter Heiligen.

Der Evangelist Lukas hat den Grabesbesuch des Petrus (ohne Johannes zu erwähnen) sehr kurz beschrieben. Wir ordnen den Grabesbesuch von Petrus dem von dem Evangelisten Johannes beschriebenem zu. Da Lukas den Jünger Johannes aus irgendeinem (für uns nicht nachvollziehbarem Grund) nicht nennt, entsteht der Eindruck, dass Petrus bereits zum zweiten Mal zum Grab eilt. Doch könnte es sich bei Lukas auch um einen kurzen Einschub handeln, sodass bei dem gemeinsamen Grabesbesuch mit Johannes nur von Petrus gesprochen wird. Wir denken da an Johannes, der nur von Maria der Magdalenerin berichtet, obwohl sie in Begleitung mehrerer Frauen war.

Zweierlei wird über das Ergebnis dieses Besuches ausgesagt:

Als Johannes das sah, glaubte er“ und: denn sie kannten die Schrift noch nicht, dass er von den Toten auferstehen sollte.(Joh 20,9). Ob Petrus in diesem Augenblick auch glaubt, bleibt offen, denn Lukas schreibt von ihm, dass er sich verwundert über das Geschehene. Es scheint, als ob sie die wiederholten Hinweise von Jesus über sein Leiden und die anschließende Auferstehung nicht begriffen und auch nicht geglaubt hätten. In den vorhandenen Schriften des Alten Testamentes war es auch nicht einfach, die Auferstehung des Messias von den Toten zu erkennen. Die Jünger bleiben im Gegensatz zu den Frauen nicht lange im Grab oder in Grabesnähe. Sie bekommen keine Engel zu sehen und so gehen die beiden mit Verwunderung, Staunen und offenen Fragen wieder zurück in die Stadt.

Fragen /Aufgaben:

  1. Wie reagieren Petrus und Johannes auf die Nachricht von Maria der Magdalenerin?
  2. Die beiden Jünger inspizieren sorgfältig das leere Grab – mit welchem Ergebnis?
  3. Welche Schlüsse kann man aus dem Zustand des verlassenen Grabes ziehen?
  4. Warum ist es für die Jünger so schwierig zu glauben, dass der Messias von den Toten auferstehen sollte/musste?
  5. Mit welchem Ergebnis kehren beide Jünger wieder zurück in die Stadt?

 

 

12.7 Maria aus Magdala begegnet Jesus in Grabesnähe

(Bibeltexte: Joh 20,11-18)

Maria aus Magdala ist, so scheint es, den beiden Jüngern zum Grab gefolgt. Dies ist bereits ihr zweiter Grabesbesuch (Joh 20,1.11). Und nachdem diese wieder weg sind, bleibt sie am Grabeingang stehen und weint. Der Ev.t Johannes berichtet:

Maria aber stand draußen vor dem Grab und weinte. Als sie nun weinte, beugte sie sich in das Grab hinein und sieht zwei Engel in weißen Gewändern sitzen, einen zu Häupten und den andern zu den Füßen, wo der Leichnam Jesu gelegen hatte. Und die sprachen zu ihr: Frau, was weinst du? Sie spricht zu ihnen: Sie haben meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben. (Joh 20,11-13).

Der Eingang zum Grab hatte solche Maße, dass Maria sich bücken muss, um in das Grabesinnere hineinschauen zu können. Und jetzt wird sie überrascht. Was sie nun sieht, belohnt ihre Beharrlichkeit und Liebe zu ihrem Herrn. Die Beschreibung dessen, was sie zu sehen bekommt, ist sehr detailliert und präzise (Joh 20,12). Erinnern wir uns noch an die Aufmerksamkeit der Frauen, welche genau zugeschaut haben, wie Jesus von Josef und Nikodemus bestattet wurde (Lk 23,55). Die Frage der Engel „Frau, was weinst du?“, ist für sie wie ein Türöffner. Sie wiederholt ihre naive Vermutung, so sehr ist sie mit sich selbst, ihrem Leid und ihrem Verlust beschäftigt. Doch ehe sie von den weiß gekleideten himmlischen Boten eine Antwort bekommt, verspürt oder hört sie hinter sich Schritte, denn im Text steht weiter geschrieben:

Und als sie das sagte, wandte sie sich um und sieht Jesus stehen und weiß nicht, dass es Jesus ist. Spricht Jesus zu ihr: Frau, was weinst du? Wen suchst du? Sie meint, es sei der Gärtner, und spricht zu ihm: Herr, hast du ihn weggetragen, so sage mir: Wo hast du ihn ingelegt? Dann will ich ihn holen. (Joh 20,14-15).

Fast kindlich hört sich ihre Anfrage an, doch sie macht deutlich, wie schlicht, einfach und lauter ihr Herz ist. An der äußeren Erscheinung erkennt sie Jesus nicht, nicht mal an seiner Stimme, es bedarf einer Offenbarung von Jesus selbst.

Spricht Jesus zu ihr: Maria! Da wandte sie sich um und spricht zu ihm auf Hebräisch: Rabbuni!, das heißt: Meister! Spricht Jesus zu ihr: Rühre mich nicht an! Denn ich bin noch nicht aufgefahren zum Vater. Geh aber hin zu meinen Brüdern und sage ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott. (Joh 20,16-17).

Maria aus Magdala ist in Jerusalem nicht bekannt. Dass der vermeintliche Gärtner sie bei ihrem Namen nennt, ist für sie auffällig und sie erkennt augenblicklich den lebend vor sich, dessen Leichnam sie so vergeblich sucht. Wieder wendet sie ihren Blick auf Jesus und ruft auf Hebräisch:Rabbuni, das heißt: Meister/Lehrer!“ Anscheinend versucht Maria Jesus zu berühren, woraufhin Jesus mit den Worten: Fasse mich nicht an (berühre mich nicht)!“ reagiert. Die Begründung: „Denn ich bin noch nicht aufgefahren zum Vater. Das griechische Verb `aptou` hat die Bedeutung von berühren, anfassen (Mk 1,41; 5,27-30). In welchem Zusammenhang die versuchte Berührung des Körpers von Jesus durch die Magdalenerin mit seiner Begründung steht, ist nicht einfach zu erklären. Sicher ist, dass die Berührung seines auferstandenen Körpers grundsätzlich erlaubt war, wie die spätere Episode mit Thomas zeigt (Joh 20,27; vgl dazu auch Mt 28,9-10: „Sie (die Frauen) fassten ihn an den Füßen). Das begründende „denn ich bin noch nicht aufgefahren“, könnte auch heißen, „jetzt nicht, ich bin noch da, wir sehen uns noch, jetzt keine Zeit verlieren, schnell zu meinen Brüdern“. Aus dem Text geht nicht hervor, dass sie ihn berührt, geschweige denn, dass sie ihn umarmt wie gelegentlich in Büchern behauptet und in Filmen gezeigt wird. Daher lenken wir unsere Aufmerksamkeit auf die Aussagen von Jesus.

Abbildung 6. Der Haupteingang zur Grabeskirche in Jerusalem die auch als die Auferstehungskirche gesehen wird (Foto: April 1986).

Erstens: Jesus kündigt sein Hinaufgehen zu seinem Vater an. Durch die Aussage: „Ich fahre auf zu meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott“, macht Jesus deutlich, dass seine Beziehung zum Vater im Himmel eine spezielle, einmalige ist, denn er ist der Einziggeborene aus dem Vater (Joh 1,14.18; 3,16-18). Für die Beziehung der an Jesus Glaubenden ist der himmlische Vater „euer Vater“, „unser Vater“ (vgl. dazu auch Mt 6,9; 2Kor 6,16; Offb 7,10). Trotz ihrer besonderen tiefen Liebe und Ergebenheit zu ihrem Herrn hat Maria aus Magdala keinen speziellen Anspruch auf Jesus, ihn anzufassen oder vorrangig für sich in Anspruch zu nehmen. Denken wir doch an ihre Aussage: „Sie haben meinen Herrn weggenommen“ oder „dass ich ihn hole“. Jesus ordnet sie in die Gemeinschaft seiner anderen Jünger/Brüder ein. Die Aussage: „zu meinem Gott und zu eurem Gott“ ist sehr wohl auf dem Hintergrund seiner menschlichen Natur zu verstehen, welche er mit der Auferstehung aus den Toten keineswegs abgelegt hat, sondern zusammen mit seiner göttlichen Natur in Ewigkeit behalten wird.

Zweitens: Jesus ist noch hier und ein Wiedersehen mit den Jüngern in Galiläa ist fest eingeplant (Mt 26,32; Mk 14,28). Denn am Vorabend seines Todes sagt er seinen Jüngern: „Wenn ich aber auferstanden bin, will ich vor euch hingehen nach Galiläa.“. Nun erinnert er an sein Versprechen und er wird es zu gegebener Zeit einlösen.

Drittens: Maria hat einen Verkündigungsauftrag der eilends ausgeführt werden soll. Und sie tut, wozu Jesus sie beauftragt hat. Maria, die Magdalenerin geht hin und verkündigt den Jüngern: Ich habe den Herrn gesehen und dies habe er ihr gesagt.“

 Fragen /Aufgaben:

  1. Warum bekommt gerade Maria aus Magdala eine besondere Engel- und Jesusbegegnung?
  2. Gib eine Beschreibung über die Person von Maria und ihrer Charakterzüge.
  3. In der Christenheit gibt es viele spannende Erzählungen über Maria aus Magdala. Warum gibt es von dieser besonderen Frau aus der Zeit der Apostel keine weiteren Informationen? Warum wird sie von den neutestamentlichen Autoren später nicht mehr erwähnt?

 

12.8 Die Frauen begegnen Jesus auf dem Weg in die Stadt

(Bibeltexte: Mt 28,9-10; Lk 24,9)

Als die Frauen das Grab verlassen und sich auf den Weg zu den Jüngern machen, begegnet ihnen Jesus selbst. Nur der Evangelist Matthäus berichtet von dieser Begegnung (Mt 28,9-10). Die Frauen harren bis ans Ende bei Jesus aus und dürfen ihn als die Ersten sehen. Der Bericht des Evangelisten Matthäus weist zu dem von Johannes zwar einige Ähnlichkeiten auf, beinhaltet jedoch auch eine Reihe von Unterschieden. Dies spräche für eine gesonderte Begegnung, die nicht in Grabesnähe, wie im Falle von Maria der Magdalenerin, sondern bereits auf dem Weg in die Stadt stattfindet. Auch bei dieser Begegnung fängt Jesus das Gespräch an, er ist also auf der Suche nach den Seinen. So schreibt Matthäus: „Und siehe, da begegnete ihnen Jesus und sprach: Seid gegrüßt! Sie aber traten zu ihm, umfassten seine Füße und warfen sich vor ihm nieder.  Da spricht Jesus zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Geht hin, verkündet meinen Brüdern, dass sie hingehen nach Galiläa! Und dort werden sie mich sehen.“ (Mt 28,9-10).

Jesus begrüßt die Frauen und damit gibt er sich ihnen zu erkennen. Nach dem Zeugnis der Engel zweifeln diese nicht an der Echtheit der Person des auferstandenen Jesus. Sie huldigen ihm kniefällig und umklammern dabei fest seine Füße. Das gr. Verb `e,kra,thsan ekratisan` bedeutet eindeutig: „sie hielten fest“, wie auch folgende Stellen bei Matthäus deutlich machen: Mt 14,3; 18,28; 21,46; 22,6;  26,50.

Diese Frauen lässt Jesus gewähren, im Gegensatz zu Maria der Magdalenerin, der Jesus die Berührung nicht gestattet. Diese Frauen werden mit dem Zuspruch: „Fürchtet euch nicht“ ermutigt. Und auch für sie hat er einen klaren Auftrag: „Geht hin und verkündigt es meinen Brüdern, dass sie nach Galiläa gehen: Dort werden sie mich sehen.“

Der Evangelist Lukas, der die Begegnung der Frauen mit Jesus nicht aufgeschrieben hat, beschreibt jedoch die Momente, als die Frauen bei den Jüngern ankommen und ihnen die frohe Botschaft von der Auferstehung ihres Herrn mitteilen. Die Reaktionen der Jünger sind auffällig und auch unterschiedlich. So betont Lukas: „Und diese Worte erschienen vor ihnen gleichsam als leeres Geschwätz und sie glaubten ihnen nicht. (Lk 24,11). Das Zeugnis der Frauen, es spielt dabei keine Rolle wie viele es waren, galt bis dahin bei den Männern nicht viel.

Kleophas und sein Freund sind am frühen Vormittag im Kontakt mit den anderen Jüngern und bekommen mit, was die Frauen erzählen. Sie beschreiben ihre Reaktion mit den Worten: „Auch haben uns erschreckt einige Frauen aus unserer Mitte, die sind früh bei dem Grab gewesen, haben seinen Leib nicht gefunden, kommen und sagen, sie haben eine Erscheinung von Engeln gesehen, die sagen, er lebe. Und einige von denen, die mit uns waren, gingen hin zum Grab und fanden’s so, wie die Frauen sagten; aber ihn sahen sie nicht.“ (Lk 24,22-24). Hier fällt uns auf, dass Kleophas die Erzählung der Frauen durchaus positiv bewertet. Er spricht nicht von Unglauben oder leerem Geschwätz, sondern: „die Frauen haben uns erschreckt“. Er spricht von Engelerscheinungen, lässt aber die Details der Jesusbegegnungen aus und fügt hinzu, dass einige von ihnen (wahrscheinlich meinen sie Petrus und Johannes) hingingen und sich vom leeren Grab überzeugten, „aber ihn sahen sie nicht“.

Mit der Beauftragung der Frauen, den Jüngern seine Auferstehung zu bezeugen, hebt Jesus sie zu gleichberechtigten Zeugen bzw. Zeuginnen hervor – was für eine Würdigung der bis dahin Benachteiligten.

Fragen /Aufgaben:

  1. Warum bevorzugte Jesus die Frauen als erste Zeuginnen seiner Auferstehung?
  2. Was sind die Erkennungsmerkmale des auferstandenen Jesus? Woran erkannten die Frauen ihn letztlich?
  3. Wie reagieren diese Frauen? Was steht in den Texten, was nicht?
  4. Warum glaubten die Jünger dem Zeugnis dieser vielen Frauen zunächst nicht?

 

12.9 Jesus erscheint dem Simon Petrus

(Bibeltext: Lk 24,34)

Im Laufe des Tages begegnet Jesus dem Simon Petrus, was die übrigen Jünger vor den zurückkgekehrten Emmausjüngern bezeugen: „Der Herr ist wahrhaftig auferstanden und Simon erschienen.“ (Lk 24,34). Bis dahin wurde die Auferstehung von Jesus durch die Magdalenerin und etwas später durch mehrere Frauen bezeugt. Doch die Reaktion der Jünger auf diese Zeugnisse war nicht zurückhaltende Freude, sondern offener Unglaube. Im Kontrast dazu hört sich die Aussage der Jünger mit dem besonderen Prädikat: „der Herr ist wahrhaftig auferstanden“ befreiend und begeisternd an. Obwohl das einzelne Zeugnis des Petrus auch nicht rechtskräftig gewesen wäre, galt es in diesem Fall, weil er damit die Aussagen der Frauen bestätigte. Die überzeugende Aussage: „Der Herr ist wahrhaftig auferstanden“ markiert den deutlichen Übergang vom Unglauben zum Glauben. Ab jetzt gilt auch das Zeugnis der Frauen. Mit dieser fest verwurzelten und ebenso falschen Einstellung zu den Frauen, hat Jesus an diesem ersten Tag der Woche aufgeräumt.

Petrus bekommt also vom Herrn eine besondere, persönliche Begegnung. Schön, dass bei den übrigen Jüngern kein Neid aufkommt, sondern helle Freude. Der Evangelist nennt keine weiteren Details von dieser Erscheinung. Ziemlich sicher ist jedoch, dass bei dieser ersten Begegnung mit Simon, das Gespräch über die zerbrochene Beziehung, noch nicht geführt wurde. Jesus ist der perfekte Seelsorger und Wiederhersteller von Beziehungen. Er trägt Petrus dessen klägliches Versagen nicht nach, bzw. bestraft ihn deswegen nicht mit Ignoraanz. Im Gegenteil, gerade diesen sucht er ganz persönlich auf, weil sich Simon in seiner Reue und Traurigkeit nach Ermutigung durch Wiederannahme sehnt. Welch eine Liebe des Meisters! Erst später am Ufer des Sees Genezaret kommt es zu einer ausführlichen Aussprache zwischen Jesus und Simon Petrus. Die Tatsache, dass es zu solch persönlicher Begegnung bereits am Auferstehungstag kommt, scheint für die übrigen Jünger sehr wichtig gewesen zu sein.

Sogar der Apostel Paulus berichtet Jahre später in seinem ersten Brief an die Korinther über diese Sonderbegegnung von Jesus mit Petrus, wenn er schreibt: „Denn als Erstes habe ich euch weitergegeben, was ich auch empfangen habe: Dass Christus gestorben ist für unsre Sünden nach der Schrift; und dass er begraben worden ist; und dass er auferweckt worden ist am dritten Tage nach der Schrift; und dass er gesehen worden ist von Kephas, danach von den Zwölfen.“ (1Kor 15,3-5). Kephas ist die hebräisch-aramäische Bezeichnung des uns bekannten griechischen Namens Petros, lateinisch `Petrus`.

Anmerkung: Es fällt dabei auf, dass der Apostel Paulus die Begegnungen von Jesus mit den Frauen nicht erwähnt.

Petrus bekommt also doch den Vorrang vor den anderen Jüngern, aber nicht weil er es verdient hätte. Es bleibt also unserem Herrn überlassen, wem er wann und warum begegnet.

Fragen /Aufgaben:

  1. Versuche zu erklären, warum Jesus dem Versager Simon eine extra Begegnung einräumt?
  2. Wie reagierten die anderen Jüngern auf den Bericht des Petrus?
  3. Welche Bedeutung könnte diese besondere Begegnung für die anderen Jünger gehabt haben?
  4. Wie begegnet Jesus heute seinen Nachfolgern und auch suchenden Menschen?
  5. Wie drückt sich bei uns geistliche Reife aus?

12.10 Jesus begegnet Kleopas und seinem Freund auf dem Weg nach Emmaus

(Bibeltext: Lk 24,13-35)

Der Evangelist Lukas hat wieder eine Sondergeschichte über eine Begegnung von Jesus mit zwei Jüngern, die am Spätnachmittag desselben ersten Tages der Woche von Jerusalem nach Emmaus unterwegs sind (Lk 24,13.21b). Und siehe, zwei von ihnen gingen an demselben Tage in ein Dorf, das war von Jerusalem etwa sechzig Stadien entfernt; dessen Name ist Emmaus. (Lk 24,13). Der Ort Emmaus ist ein Dorf im Großraum Jerusalem. Die Distanz wird mit etwa 60 Stadien angegeben. Rechnet man ein Stadion mit etwa 185 Metern, so lag Emmaus umgerechnet knapp elf Kilometer von Jerusalem entfernt. Über die Ortslage von Emmaus gibt es bislang keine gesicherten Erkenntnisse, daher lenken wir unsere Aufmerksamkeit gleich auf die inhaltlichen Details der Geschichte. Die Tatsache jedoch, dass die beiden Männer noch am gleichen Abend nach Jerusalem zurückgekehrt sind und die Jünger von Jesus hell wach angetroffen hatten, spricht für eine Entfernung, die in 2-3 Stunden zu Fuß zurückgelegt werden konnte (Lk 24,33).

Das Gesprächsthema auf dem Weg war vorgegeben durch die aktuellen Ereignisse der letzten Tage. So schreibt Lukas weiter:

Und sie redeten miteinander von allen diesen Geschichten. Und es geschah, als sie so redeten und einander fragten (unter sich bewegten), da nahte sich Jesus selbst und ging mit ihnen. Aber ihre Augen wurden gehalten, dass sie ihn nicht erkannten. Er sprach aber zu ihnen: Was sind das für Dinge (Worte, Reden, Geschichten), die ihr miteinander verhandelt unterwegs? Da blieben sie traurig stehen. Und der eine, mit Namen Kleopas, antwortete und sprach zu ihm: Bist du der Einzige unter den Fremden in Jerusalem, der nicht weiß, was in diesen Tagen dort geschehen ist? Und er sprach zu ihnen: Was denn? Sie aber sprachen zu ihm: Das mit Jesus von Nazareth, der ein Prophet war, mächtig in Tat und Wort vor Gott und allem Volk; wie ihn unsere Hohenpriester und Oberen zur Todesstrafe überantwortet und gekreuzigt haben. Wir aber hofften, er sei es, der Israel erlösen werde. Und über das alles ist heute der dritte Tag, dass dies geschehen ist. Auch haben uns erschreckt einige Frauen aus unserer Mitte, die sind früh bei dem Grab gewesen, haben seinen Leib nicht gefunden, kommen und sagen, sie haben eine Erscheinung von Engeln gesehen, die sagen, er lebe. Und einige von denen, die mit uns waren, gingen hin zum Grab und fanden’s so, wie die Frauen sagten; aber ihn sahen sie nicht.“ (Lk 24,14-24).

In dem auferstandenen und verklärten Körper konnte sich Jesus, unbemerkt von anderen, frei bewegen – er nähert sich beiden Wanderern unauffällig. Auch sah er äußerlich anders aus als davor. Er hatte nicht mehr seine früheren Kleider. Dazu wurden ihre Augen gehalten, so dass sie ihn nicht erkannten. Der griechische Begriff  `εκρατούντο – ekratounto`, wörtlich: festgehalten, bedeutet in diesem Zusammenhang, dass Jesus sich sowohl ihren äußeren als auch inneren Augen nicht zu erkennen gab. Es geht hier nicht vordergründig um eine natürliche Einschränkung des Sehvermögens, auch nicht dass sie von der untergehenden Sonne geblendet wurden, sondern um die Einschränkung im Zusammenhang mit ihrer inneren Wahrnehmung, die Gott ihnen auf ihre Augen gelegt hatte (vgl. 2Kön 6,14-17). 

Ganz unauffällig steigt Jesus in das Gespräch der beiden Jünger mit ein und zwar mit einer Frage zum Thema. Was für ein weiser Zugang? Die Verwunderung der Jünger über die angebliche Unkenntnis des Fremden, in Bezug auf die, für alle offensichtlichen Ereignisse der letzten Tage, ist sehr groß. Kleopas ist der Name des einen Jüngers.

Anmerkung: Aus Johannes 19,25 erfahren wir, dass die Frau des Kleopas den Namen Maria trägt. Sie stand zusammen mit Maria, der Mutter von Jesus, der Salome, dem Jünger Johannes und Maria aus Magdala in der Nähe des Kreuzes. Aus dem Textzusammenhang von Lukas 23,55-24,10 geht hervor, dass Maria, die Frau des Kleopas auch zu den Augenzeuginnen des leeren Grabes und der Erscheinung der Engel gehörte. Aus dem Zusammenhang von Lukas 24,22-24 geht hervor, dass sich die Informationen des Kleopas auf eine Kurzfassung der beiden Grabesbesuche der Frauen und den Besuch des Petrus und Johannes am leeren Grab, bezogen. Er erwähnt auch, dass die Frauen (einschließlich seiner eigenen) von Engelerschenungen berichteten, Was er auslässt ist, dass die Frauen auch Jesus selbst begegneten. Sie glaubten den Frauen nicht und es war für sie leeres Geschwätz, welches zu wiederholen nicht der Rede Wert war. Im Vergleich dazu erwähnen sie, dass einige von „uns“ (gemeint sind Männer wie Petrus und Johannes) ebenfalls dort waren, aber niemand sahen. Nur das erste Zeugnis der Frauen über das leere Grab fanden sie bestätigt durch den Besuch einiger Männer und das erzählten sie ihrem Begleiter (Joh 20,1-18).

Aus der Aussage: „Wir aber hofften, er sei es, der Israel erlösen werde“ erkennt man deutlich ihre Messiaserwartung und gleichzeitig ihre Enttäuschung darüber, dass sich ihre Hoffnungen nicht erfüllt hatten. Sie dachten die ganze Zeit über an eine materielle, physische Erlösung, eine Befreiung von dem Joch der Römer. Die alte Sicht und Hoffnung ist zusammengebrochen, eine Neue hatten sie noch nicht. In diese Ratlosigkeit der Jünger kommt Jesus hinein als der perfekte Lehrer und Ausleger der Heiligen Schriften.

Und er sprach zu ihnen: O ihr Toren, zu trägen Herzens, all dem zu glauben, was die Propheten geredet haben! Musste nicht der Christus dies erleiden und in seine Herrlichkeit eingehen? Und er fing an bei Mose und allen Propheten und legte ihnen aus, was in allen Schriften von ihm gesagt war. (Lk 24,25-27).

Was für eine Lehrstunde während einer Wanderung! Allzu germe wüssten wir Einzelheiten der Schriftauslegung von Jesus, doch er schickt uns auf die Suche nach diesen prophetischen Aussagen über den leidenden und verherrlichten Christus. Hier einige davon:

  • 1Mose 3,21: Der Eva verheißt Gott einen Nachkommen als Retter (Jes 7,14; Mt 1,23; Gal 4,1-2);
  • 1Mose 22,1-18: Dem Abraham verspricht Gott einen Nachkommen, weil dieser bereit war, seinen einzigen Sohn zu opfern – ein Vorbild auf den leidenden und sterbenden Messias (Gal 3,16: „welcher ist Christus“);
  • 2Mose 12,1ff: Durch das Blut des Lammes geschieht Erlösung (Joh 1,29: „Siehe, das Lamm Gottes, welches die Sünde der Welt hinwegträgt.“);
  • Ps 22,1-20: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen (…).“; „!Sie haben meine Hände und Füße durchgraben.“ „Du legst mich in des Todes Staub.“ (Mt 27,46; Joh 19);
  • 2Sam 7,12-14: „(…) Wenn nun deine Zeit um ist und du dich zu deinen Vätern legst, will ich dir einen Nachkommen erwecken, der von deinem Leibe kommen wird; dem will ich sein Königtum bestätigen. Der soll meinem Namen ein Haus bauen, und ich will seinen Königsthron bestätigen ewiglich. Ich will sein Vater sein, und er soll mein Sohn sein.“ (Lk 1,31-33);
  • Ps 2,1-7: „(…) Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt“;
  • Ps 16,8-11: „(…) Du wirst nicht zugeben, dass dein Heiliger die Verweseung sehe (…).“;
  • 69,10: „(…) denn der Eifer um dein Haus hat mich gefressen, und die Schmähungen derer, die dich schmähen, sind auf mich gefallen.“ (Joh 2,17);
  • Jes 53,1-12: „(…) Wenn er sein Leben zum Schuldopfer gegeben hat, wird er Nachkommen haben und lange leben, und des HERRN Plan wird durch ihn gelingen“;
  • Jona 1-4: „Denn göeich wie Jona (…).“ (Mt 12,40);
  • Ps 110,1-2: „Der HERR sprach zu meinem Herrn: Setze dich zu meiner Rechten, bis dass ich deine Feinde zum Schemel deiner Füße lege.

Das sicherste Merkmal, an dem Israel hätte den wahren Messias erkennen können, war sein Leiden und Sterbem, denn herrschen wollten alle sogenannte Messiasse vor und nach Jesus Christus. Doch sie alle dachten und erwarteten eine irdisch/physische Erlösung.

Lukas fährt fort in seinem Bericht:

Und sie kamen nahe an das Dorf, wo sie hingingen. Und er stellte sich, als wollte er weitergehen. Und sie nötigten ihn und sprachen: Bleibe bei uns; denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneigt. Und er ging hinein, bei ihnen zu bleiben. Und es geschah, als er mit ihnen zu Tisch saß, nahm er das Brot, dankte, brach’s und gab’s ihnen. Da wurden ihre Augen geöffnet, und sie erkannten ihn. Und er verschwand vor ihnen (gr. άφαντοςafantos – wurde unsichtbar). Und sie sprachen untereinander: Brannte nicht unser Herz in uns, da er mit uns redete auf dem Wege und uns die Schrift öffnete? (Lk 24,28-32).

Jesus drängt sich nicht auf hier im Haus des Kleopas einzukehren. So haben die Jünger die Möglichkeit von sich aus ihn einzuladen und dies tun sie mit Nachdruck. Jesus willigt ein zu bleiben, das war auch sein Plan. Gastfreundschaft der Jünger von Jesus schließt immer auch eine Mahlzeit mit ein. So entstehen gute und tiefe Gespräche. Nach seiner Auferstehung ist Jesus nicht mehr auf die irdisch-materielle Bedürfnisse angewiesen. Essen und Trinken braucht er nicht mehr. Doch seine Gegenwart während der Tischgemeinschaft hinterlässt tiefe Spuren. Jesus, der von Kleopas noch auf dem Weg als Fremder bezeichnet wurde, verhält sich hier als der eigentliche Gastgeber. Er handelt dreifach.

  1. Er dankt für das Brot;
  2. Er bricht das Brot;
  3. Er teilt es unter die Jünger.

Was für ein Dienst mit Symbolkraft! Diese Jünger waren oft mit Jesus am Tisch und vielleicht auch Zeugen der Brotvermehrungen, bei denen Jesus immer für die Speisen dankte und diese segnete, sie brach und austeilte oder austeilen ließ. Durch diese Handlungen erkennen sie ihn und natürlich auch, weil ihnen in diesem Augenblick die Augen geöffnet wurden. Nachdem sie ihn erkannten, wurde er für sie unsichtbar (gr. άφαντος afantos – wurde unsichtbar)..

Und sie standen zur gleichen Stunde auf und kehrten nach Jerusalem zurück. Und sie fanden die Elf und die, die mit ihnen waren, versammelt, die sagten: Der Herr ist wirklich auferweckt worden und dem Simon erschienen. Und sie erzählten, was auf dem Weg geschehen war und wie er von ihnen erkannt worden war am Brechen des Brotes. (Lk 24,33-35).

Am gleichen Abend kehren die beiden Jünger zurück nach Jerusalem, denn an Schlafen war nicht zu denken. Dort treffen sie nicht nur die elf, bzw. zehn  Jünger an, sondern auch noch andere mit ihnen. Thomas war laut Johannes 20,24 an diesem Abend nicht dabei. Hier werden nun die erlebten Begegnungen mit dem auferstandenen Jesus lebhaft und begeistert ausgetauscht. Für die Jünger war die Begegnung des Auferstandenen mit Simon Petrus so wichtig, dass diese ins besondere Blickfeld gerückt wird. So ist Jesus, der sich dem am weitesten Entfernten, besonders widmet (Mt 18,12; Lk 15,4). Wie schön, dass unter den Jüngern kein Unwille oder gar Neid aufkommt, wegen der Bevorzugung des Simon und der beiden Emmausjüngern.

Fragen /Aufgaben:

  1. Geographische Angaben sind hilfreich und unterstreichen die Historizität der geschilderten Ereignisse. Was erfahren wir aus dem Text des Lukas über das Dorf Emmaus?
  2. Was ist das Thema des Tages zwischen Kleopas und seinem Freund auf dem Weg von Jerusalem nach Emmaus?
  3. Warum erkannten die beiden Jünger Jesus zunächst nicht?
  4. Wie gefällt dir der Gesprächseinstieg von Jesus und die Reaktion der Beiden darauf?
  5. Welchen Eindruck hinterlässt bei dir die Aufklärung von Jesus während dieser Wanderung und wozu motiviert sie dich?
  6. Woran lässt sich der wahre Messias/Erlöser am deutlichsten erkennen?
  7. Welche Bedeutung haben für uns auch heute die Schriften des Alten Testamentes?
  8. Wie hälst du es mit der Gastfreundschaft? Wen lädst du gerne und langfristig ein, wen spontan?
  9. Woran erkannten schließlich die zwei Jünger Jesus und wie reagierten sie darauf?
  10. Was können wir über den auferstandenen und verklärten Körper von Jesus erkennen?
  11. Wie gestaltete sich die Begegnung mit den Jüngern in Jerusalem nach ihrer Rückkehr?
  12. Wie erklärst du die Freude der Jünger über die Begegnung von Jesus mit Simon?
  13. Waren nun alle ganz sicher und fest überzeugt, dass Jesus wirklich auferstanden war?

12.11 Jesus begegnet seinen Jüngern am Abend des ersten Tages

(Bibeltexte: Joh 20,19-23; Lk 24,34-49).

Am gleichen Abend, während des Berichtes der Emmausjünger erscheint Jesus den elf, bzw. den zehn Jüngern. Der Evangelist Lukas ergänzt, dass an diesem Abend noch weitere Jünger dabei waren (Lk 24,33). Nach dem Bericht des Evangelisten Johannes war Thomas der Zwilling nicht dabei (Joh 20,24). Die Begegnung findet in einem Haus in Jerusalem statt. In Bezug auf das wo, in welchem Haus fand das Treffen statt, könnten folgende Möglichkeiten in Betracht gezogen werden:

  • Das Haus der Maria, der Mutter des Johannes-Markus (Apg 12,12).
  • Das Haus in dem Jesus mit seinen Jüngern das Passahlamm aß, ihnen die Füße wusch und  das Mahl des Neuen Bundes einführte (Lk 22,8-20; Mk 14,14).

Ausdrücklich betont der Evangelist Johannes auch, dass sich die Jünger aus Furcht vor den Juden eingeschlossen hatten (Joh 20,19). Doch Jesus klopft nicht an die verschlossene Tür, er erscheint plötzlich und unerwartet in ihrer Mitte. Seine Begrüßung lautet: Friede (sei) euch. (Lk 24,36). Der Evangelist Johannes überliefert den gleichen Gruß (Joh 20,19). Der Evangelist Lukas schreibt weiter:

Sie erschraken aber und wurden voll Furcht, weil sie meinten einen Geist zu sehen. Und er sagt zu ihnen: Warum seid ihr verwirrt und warum steigen Bedenken auf in eurem Herzen? Seht meine Hände und meine Füße, dass ich es selbst bin! Betastet mich und seht, weil ein Geist hat nicht Fleisch und Knochen, wie ihr an mir seht, dass ich habe. Und als er dies sagte, zeigte er ihnen die Hände und die Füße. (Lk 24,38-40).

Nach der Auferstehung wird Jesus dem Äußeren nach anders ausgesehen haben als davor.

  • Hat sich der Klang seiner Stimme verändert?
  • Was für Kleider hatte er an?
  • Trug er noch Sandalen?

Die berechtigte Doppelfrage von Jesus „Warum seid ihr verwirrt und warum steigen Bedenken auf in eurem Herzen?“, ist hier angebracht. Menschen, die zweifeln, die sich ängstigen lassen und sich auch noch einschließen, sind automatisch negariv eingestellt (Mt 8,25; 14,26). Die Aufforderung von Jesus, seine Hände und Füße anzuschauen, ja, sogar  zu betasten, ist ein besonderes Entgegenkommen für die ängstlichen und zweifelnden Jünger. Johannes ist hier ein wenig kürzer, ergänzt jedoch mit: Als er aber dies gesagt hatte, zeigte er ihnen die Hände und die Seite, da freuten sich die Jünger, dass sie den Herrn sahen.(Joh 20,20).

Nach Psalm 22,17 waren nicht nur die Hände von Jesus, sondern auch seine Füße durchbort. Dort steht geschrieben: „Denn Hunde haben mich umgeben, / und der Bösen Rotte hat mich umringt; sie haben meine Hände und Füße durchgraben.“ Lukas ergänzt: „Als sie aber noch nicht glaubten vor Freude und staunen, sagte er zu ihnen: Habt ihr etwas Essbares hier? Sie aber gaben ihm ein Stück eines gebratenen Fisches. Und er nahm und aß vor ihren Augen.“ (Lk 24,41-43).

Es ist gut möglich, dass einige Jünger ihn beim Wort nahmen und seine Hände und Füße abgetastet haben, denn so schreibt der Evangelist Johannes später: „Was von Anfang an war, was wir gehört haben, was wir gesehen haben mit unsern Augen, was wir betrachtet haben und unsre Hände betastet haben, vom Wort des Lebens.“ (1Joh 1,1).

Nach Lukas gibt Jesus sich noch durch das Essen von einem gebratenem Fisch zu erkennen. Ausdrücklich macht er es wegen ihres Zweifels, bzw. Kleinglaubens, nicht weil er hungrig wäre. So konnten sie zuschauen, wie er aß und sich überzeugen, dass er es wirklich ist – was für ein Bild!

Nach Johannes wiederholt Jesus seinen Friedensgruß und fügt dann noch einen Auftrag hinzu:

Friede euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so schicke ich auch euch. Und als er dies sagte: hauchte er sie an und sagt zu ihnen: Empfangt (den) Heiligen Geist! Wem ihr die Sünden vergebt, denen sind sie vergeben, wenn ihr sie jemand festhaltet, denen sind sie festgehalten. (Joh 20,21-24).

Das Anhauchen der Jünger ist hier wahrscheinlich nicht im Sinne eines Luftstromes zu verstehen. Er ist wohl leibhaftig seinen Jüngern erschienen, aber er war nicht mehr gefangen in der Sphäre von Raum und Zeit. Daher hatte er nicht mehr den lebensnotwendigen Bedarf an Atmung der Luft und Essen der Speisen. Er haucht sie an mit dem Geist, der in ihm ist und von ihm ausgeht. Die Vollmacht, mit der Jesus hier seine Jünger betraut, ist bereits schon früher mit ähnlichen Worten ausgesprochen worden (Mt 16,19; 18,18).

Der Evangelist Lukas berichtet, dass Jesus auch an diesem Abend seine Jünger über den wunderbaren Ratschluß Gottes aufklärt, ähnlich wie er es bereits bei der Begegnung mit den zwei Emmausjüngern getan hatte.

Er sprach aber zu ihnen: Das sind meine Worte, die ich zu euch gesagt habe, als ich noch bei euch war: Es muss alles erfüllt werden, was von mir geschrieben steht im Gesetz des Mose und in den Propheten und Psalmen. Da öffnete er ihnen das Verständnis, dass sie die Schrift verstanden, und sprach zu ihnen: So steht’s geschrieben, dass der Christus leiden wird und auferstehen von den Toten am dritten Tage; und dass gepredigt wird in seinem Namen Buße zur Vergebung der Sünden unter allen Völkern. Von Jerusalem an seid ihr dafür Zeugen. Und siehe, ich sende auf euch, was mein Vater verheißen hat. Ihr aber sollt in der Stadt bleiben, bis ihr angetan werdet mit Kraft aus der Höhe. (Lk 24,44-49). Die letzten Anweisungen von Jesus, welche Lukas in seinem Bericht an dieser Stelle beschreibt, sind von Jesus später noch mal ausgesprochen worden. Oder diese Aussagen hat Jesus später gemacht und Lukas hat sie hier in diesem Zusammenhang aufgeschrieben, weil er ja die Begegnung auf dem Berg in Galiläa nicht beschrieben hat.

Das Unfassbare ist Realität geworden. „Der Herr ist wirklich auferstanden!“ An diesem Tag wurde auch der Grundstein gelegt für einen neuen Tag der Versammlung der Gemeinde. Ein Versammlungstag, an dem die Frohe Botschaft, das Evangelium von Jesus Christus verkündigt wird, bis dass er wiederkommt in Macht und Herrlichkeit.

Der Herr ist auferstanden! Er ist wirklich auferstanden !!!

Fragen / Aufgaben:

  1. Wer war an diesem ersten Abend zusammen hinter verschlossenen Türen?
  2. Warum hatten die Jünger Furcht vor den Juden? War diese Furcht begründet?
  3. Warum fiel es den Nachfolgern von Jesus immer noch so schwer zu glauben, dass ihr Meister von den Toten auferstehen wird, obwohl er ihnen davon mindestens fünfmal gesagt hatte und er an diesem Tag bereits einigen erschienen war?
  4. Wie lautete der Gruß von Jesus an seine Jünger am ersten Abend und was bewirkte er? Haben wir auch bestimmte Grußformel?
  5. Welche Hinweise oder Zeichen gab Jesus als Auferstandener seinen Jüngern?
  6. Wie hättest du reagiert auf die Aufforderung von Jesus: „betastet mich“.
  7. Jesus haucht seine Jünger an und vermittelt ihnen den Geist und bevollmächtigt sie zur Sündenvergebung, wie ist dies zu verstehen? Gilt diese Vollmacht auch uns?
  8. Was lässt sich von den mehrfachen Begegnungen Jesu mit seinen Jüngern am Auferstehungstag ableiten?

12.12 Jesus begegnet seinen Jüngern am achten Tag

(Bibeltext: Joh 20,24-30)

Der Evangelist Lukas schreibt in seinem zweiten Bericht, der Apostelgeschichte: „Ihnen (den Jüngern) zeigte er sich nach seinem Leiden durch viele Beweise als der Lebendige und ließ sich sehen unter ihnen vierzig Tage lang und redete mit ihnen vom Reich Gottes.“ (Apg 1,3).

Drei wichtige Punkte hebt der Evangelist hervor:

  1. Jesus zeigte sich seinen Nachfolgern vielmals, auf unterschiedliche Weise, und an verschiedenen Plätzen in einem Zeitraum von 40 Tagen.
  2. Er zeigte sich durch vielerlei Beweise als der Lebendige.
  3. Sein Thema war – das Reich Gottes.

Wir müssen uns jedoch auf die von den Evangelisten festgehaltenen Aufzeichnungen beschränken. Das zweite Treffen mit seinen Jüngern als Gruppe fand gerade eine Woche nach der Auferstehung statt. Die Jünger sind noch in Jerusalem, obwohl Jesus sie angewiesen hatte nach Galiläa zu gehen, warum? Wir erinnern uns an die Verordnung bezüglich der Feier des Passah und der Tage der ungesäuerten Brote, die sich vom Passahabend des vierzehnten Tages bis zum einundzwanzigsten Tage des ersten Monats hinzogen (2Mose 12,17-18; 5Mose 16,16). Wieder sind die Jünger in einem verschlossenen Raum zusammen, wahrscheinlich in demselben Haus in Jerusalem. Diesmal ist auch Thomas der Zwilling dabei, der am Abend vor acht Tagen aus einem nicht genannten Grund fehlte. Auch diese Begegnung überliefert nur der Evangelist Johannes:

Thomas aber, der Zwilling genannt wird, einer der Zwölf, war nicht bei ihnen, als Jesus kam. Da sagten die andern Jünger zu ihm: Wir haben den Herrn gesehen. Er aber sprach zu ihnen: Wenn ich nicht in seinen Händen die Nägelmale sehe und meinen Finger in die Nägelmale lege und meine Hand in seine Seite lege, kann ich’s nicht glauben. Und nach acht Tagen waren seine Jünger abermals drinnen versammelt und Thomas war bei ihnen. Kommt Jesus, als die Türen verschlossen waren, und tritt mitten unter sie und spricht: Friede sei mit euch! Danach spricht er zu Thomas: Reiche deinen Finger her und sieh meine Hände, und reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig! Thomas antwortete und sprach zu ihm: Mein Herr und mein Gott! Spricht Jesus zu ihm: Weil du mich gesehen hast, Thomas, darum glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben! (Joh 20,24-30).

Es fällt geradezu auf, dass die Evangelisten ganz reale Erlebnisse mit Jesus aufgeschrieben haben. Die Begegnung mit Jesus wird nicht glorifiziert, die Aussagen nicht übertrieben, die Schwachpunkte der Jünger nicht verschwiegen.

Für die Jünger gilt wieder oder immer noch die höchste Sicherheitsstufe, sie befürchten, dass der Sanhedrin sie sucht, was höchstwahrscheinlich gar nicht der Fall war. Solange die Jünger sich nicht zeigten, galten sie in der offiziellen Stellungnahme der Hohenpriester als flüchtig mit dem Leichnam von Jesus. Den Hohenpriestern wäre es also gar nicht eingefallen, die Jünger bzw. den Leichnam von Jesus bei den Jüngern zu suchen, wussten sie doch, dass diese ihn nicht entwendet haben konnten. Immerhin glaubten sie den Aussagen der Soldaten, welche von ungewöhnlichen Ereignissen berichteten.

  • Helles Licht, einem Blitz gleich leuchtete auf,
  • Erdbeben, das wie auch beim Tod von Jesus, die Felsengräber erschütterte,
  • Die sonst furchtlosen Soldaten fielen zu Boden und waren wie tot, – eine bestimmte Zeit Handlungsunfähig).
  • Als sie wieder zu sich kamen, war das Grab offen und leer, alledings deutete nichts auf einen Raub, im Gegenteil, die Leinentücher lagen geordnet und zusammengewickelt auf der Leichenbank.

Thomas, der Zwilling genannt wurde, stellte die von seinen Mitjüngern gehörten Geschichten nicht nur in Frage. Er sagt ihnen: „Wenn ich nicht in seinen Händen die Nägelmale sehe und meinen Finger in die Nägelmale lege und meine Hand in seine Seite lege, glaube ich’s nicht“. Er ist also nicht der Zweifler, der unsicher ist, sondern in diesem Fall der Ungläubige. Doch was tut Jesus nicht alles, um auch noch den Letzten von dessen Unglauben zu überführen und überzeugen? Er bekommt nun einen extra Beweis durch den plötzlichen Besuch von Jesus. Es scheint so, als ob Jesus gerade seinetwegen dieses Treffen vorgesehen hätte, da ja fast das gesamte nachfolgende Gespräch sich um diesen Jünger dreht.

Doch zuerst kommt der schon bekannte Gruß von Jesus: „Friede sei mit euch“. Welch ein Gruß! In ihm ist eigentlich alles enthalten, was die Jünger benötigten, ihnen in der gegenwärtigen Situation jedoch fehlte – Ruhe, Sicherheit, Geborgenheit, Glaube, Mut, Gemeinschaft. Nun ist er wieder da unter ihnen und mit seiner Gegenwart ändert sich die Stimmung der Jünger schlagartig. Die Reaktion (zumindest bei den zehn Jüngern) ist nicht mehr, wie bei der Begegnung am ersten Tag. Jetzt kommen nicht mehr Gefühle der Furcht und Gedanken des Zweifels in ihnen auf.

Dann wendet sich Jesus an Thomas und fordert ihn auf zu tun, was er als Beweiß erwartete und seinen Unglauben aufzugeben. Denn Jesus hatte mitgehört, was Thomas aussprach.

Als aber Thomas die Nägelmale in den Händen und Füßen von Jesus sieht, auch die Narbe an seiner Seite, ist er so sehr überwältigt, ja, von dem stolzen ungläubigen Gehabe ist nichts mehr zu spüren und er ruft voller gläubigen Staunens aus: „Mein Herr und mein Gott“. Jesus nimmt diese Ehrung von Thomas an, denn er ist in Wahrheit HERR und er ist GOTT! Jesus liegt viel daran klarzustellen, wie Gott den Glauben bewertet, was er eigentlich erwarten könnte – einen Glauben ohne Beweise liefern zu müssen. Darum die Seligpreisung all derer, die ohne Bedingungen zu stellen kindlich glauben: „Glückselig sind, die nicht sehen und doch glauben“. Dies gilt all den späteren Generationen von Menschen, welche ihren Glauben auf die mündliche und auch schriftliche Berichte der Augenzeugen gründen werden. Jesus fordert zum Glauben auf, er gibt eine eindeutige Grundlage dafür, doch die Entscheidung zu glauben nimmt er dem Thomas nicht ab. Der Mensch ist also fähig zu glauben und daher steht er in der Verantwortung.

Doch stellen wir fest, dass durch den Unglauben des Thomas die Nachwelt einen zusätzlichen Beweiss von dem auferstandenen Jesus erhalten hat. Zum Schluß der Beschreibung dieser besonderen Begegnung schreibt Johannes: „Noch viele andere Zeichen tat Jesus vor seinen Jüngern, die nicht geschrieben sind in diesem Buch. Diese aber sind geschrieben, damit ihr glaubt, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes, und damit ihr durch den Glauben das Leben habt in seinem Namen.“ (Joh 20,30-31).

Natürlich würden uns auch die anderen Zeichen interessieren, doch Tatsache ist, dass der durchschnittliche Bibelleser weit nicht alle Wunder und Zeichen,  welche die Evangelisten überliefert haben, kennt. Auch hier gilt, nicht das Quantum der Berichte, sondern die Qualität der durch die Evangelisten aufgezeichneten Geschichten über Jesus und seine Worte, sind für seinen Glauben ausschlaggebend.

Fragen / Aufgaben:

  1. Warum sind die Jünger nicht sofort nach Galiläa gegangen, wohin Jesus sie nach dem Matthäusbericht hingeschickt hatte? Statt dessen blieben sie in Jerusalem noch mindestens eine Woche (Joh.20,26).
  2. Von wie vielen Begegnungen mit dem auferstandenen Jesus berichten die Evangelisten und Apostel in den Schriften des Neuen Testamentes?
  3. Was war der Hauptgrund bei der Begegnung am Abend des achten Tages?
  4. War die Furcht der Jünger vor den Juden begründet?
  5. Thomas wird manchmal als der Zweifler bezeichnet. Hatte er Grund nicht zu glauben?
  6. Wie nennt Jesus seine Einstellung? Welche Abstufungen gibt es zwischen dem Zweifel, dem Kleinglauben und dem Unglauben?
  7. Wie, auf welche Weise korrigiert Jesus den Thomas?
  8. Welchen Vorteil haben wir wegen dem Unglauben des Thomas?
  9. Warum beschränkten sich die Evangelisten auf eine Auswahl von Zeichen, Wundern und Worten von Jesus?
  10. Welche Identitätsbezeichnungen (Titel, Status oder Ämter) werden in diesem Abschnitt Jesus zugeschrieben – WER IST ER?

12.13 Jesus offenbart sich seinen Jüngern am See von Tiberias

(Bibeltexte: Mt 26,32; 28,7; Mk 14,28; 16,7; Joh 21,1-30)

Nach der Zählweise des Evangelisten Johannes ist dies die dritte Begegnung mit einer Gruppe aus seinem Jüngerkreis. So schreibt er: „Das ist nun das dritte Mal, dass Jesus den Jüngern offenbart wurde, nachdem er von den Toten auferstanden war.“ (Joh 21,14).

Wie kommen die Jünger an den See, der hier von Johannes `See von Tiberias` genannt wird? Hat Jesus sie nicht auf einen Berg in Galiläa bestellt, wie der Evangelist Matthäus berichtet (Mt 28,16)? Ja, aber jene Begegnung folgt nach dieser und sie wird auch noch nicht die letzte sein.

Das Treffen mit seinen Jüngern in Galiläa hatte Jesus vorausgesagt, im Zusammenhang der Ankündigung seiner Auferstehung, am Vorabend seines Leidens. Der Evangelist Matthäus zitiert die Worte von Jesus: „Wenn ich aber auferstanden bin, will ich vor euch hingehen nach Galiläa.“ (Mt 26,32; Mk 14,28). Auch die Engel, die sich im Grabesbereich aufhielten, erinnerten die Frauen an die Worte von Jesus: „(…) und geht eilends hin und sagt seinen Jüngern: Er ist auferstanden von den Toten. Und siehe, er geht vor euch hin nach Galiläa; da werdet ihr ihn sehen. Siehe, ich habe es euch gesagt.“ (Mk 14,7; Mt 28,7). Den Frauen, welchen Jesus am Auferstehungstag begegnete, sagte er: „Fürchtet euch nicht! Geht hin und verkündigt es meinen Brüdern, dass sie nach Galiläa gehen: Dort werden sie mich sehen.“ (Mt 28,10). Diese wiederholten Anweisungen, welche in Jerusalem gemacht wurden, enthielten noch nicht den konkreten Treffpunkt auf einem Berg in Galiläa, wie der Evangelist Matthäus berichtet (Mt 28,16). Und daher treffen wir die Jünger zunächst am See Genezaret. Der Evangelist Johannes hat die Anordnung von Jesus: die Jünger sollten nach Galiläa gehen, zwar nicht aufgeschrieben, dafür aber einen detaillierten Bericht über die Begegnung von Jesus mit mehreren seiner Jünger am Ufer des Sees von Tiberias überliefert.

Der Offenbarungsbericht beginnt so: „Danach offenbarte sich Jesus wieder seinen Jüngern am See von Tiberias, er offenbarte sich aber so.“ (Joh 21,1). Das griechische Zeitwort: `μετα ταύτα meta tauta – nach diesen (Dingen, Ereignissen)` Damit gibt der Evangelist eine gewisse Reihenfolge an, die jedoch keineswegs lükenlos ist (2,12; 5,1).

Abbildung 7 Der See Genezaret wird auch See von Tiberias genannt. Im Vordergrund der Uferstreifen um Kapernaum (Foto: Juli 1994).

Folgende sieben Jünger waren diesmal zusammen:

  1. Simon Petrus,
  2. Thomas, der Zwilling genannt wird,
  3. Nathanael aus dem Galiläischen Kana,
  4. Die Söhne des Zebedäus,- Jakobus
  5. und Johannes,
  6. Nicht namentlich genannter Jünger.
  7. Nicht namentlich genannter Jünger.

Bei all den Begegnungen ist Jesus der Iniziator, er sucht seine Jünger und Brüder auf. Er stellt die Beziehung, welche durch Verleugnung, Zweifel, Unglaube oder Feigheit gelitten hat, wieder her indem er an seinen Jüngern Seelsorge übt. Vorher war es Thomas der Zwilling, der seinen Unglauben aufgab, diesmal wird es Simon Petrus sein, mit dem der Meister ein sehr persönliches Gespräch führen wird. Natürlich werden die anderen Jünger auch miteinbezogen.

Nach den Begegnungen in Jerusalem, gehen die Jünger wieder zurück nach Galiläa. Was ist naheliegender, als dass sie in die Stadt zurückkehren, von wo sie mit ihrem Meister ausgezogen waren und woher mehrere seiner Jünger kommen – es ist Kapernaum am Nordufer des Sees. Petrus und Andreas sind hier zu Hause bei ihren Familien, auch die Zebedäiden wohnen mit ihren Familien hier. Die Ereignisse der letzten zwei Wochen in Jerusalem sind wohl das Gesprächsthema unter den Verwandten und Freunden in der Heimatstadt Kapernaum. Seitdem sie Jerusalem verlassen hatten und nach mehreren Tagen in Kapernaum angekommen waren, hatten sie keinen Kontakt zu Jesus gehabt. Diesen gesamten Abschnitt teilen wir aus thematischen Gründen in drei Teile ein

12.13.1 Jesus lädt seine Jünger zum Frühstück ein

Petrus hat immer noch hier am Ufer sein Fischerboot liegen, das vermutlich von einem seiner Verwandten in der Zwischenzeit benutzt wurde. Solange es von Jesus keine weiteren Anweisungen gibt, tut er das Naheliegende, das was seinem Beruf entspricht. Und so sagt er zu seinen Mitjüngern: „Ich will fischen gehen. Sie sprechen zu ihm: So wollen wir mit dir gehen. Sie gingen hinaus und stiegen in das Boot, und in dieser Nacht fingen sie nichts.“ (Joh 21,3). Dass sie gerade in dieser Nacht nichts fingen, kann objektiv gesehen als eine Vorsehung Gottes gewertet werden, so ähnlich wie bei der ersten Berufung (Lk 5,1-11). Doch für diese Fischer-Fachleute, die sich für die Versorgung ihrer Familien verantwortlich wussten, muss der Misserfolg schon sehr deprimierend gewesen sein. Was sie dachten ist nicht bekannt, doch für uns können wir folgende Überlegungen anstellen.

  • Wie werden die Kollegen am Ufer reagieren?
  • Mit welchen enttäuschten Gesichtern begegnen ihnen ihre Familienangehörigen?
  • Was ist mit dem Selbstbewustsein der Fachmänner?
  • Haben sie voreilig und eigenwillig gehandelt?

Doch ganz gleich was immer sie dachten, das waren unnötige Sorgen, denn was sie nicht wussten und woran sie nicht dachten – Jesus beobachtete sie die ganze Nacht, der Herr war dabei, er konnte jetzt überall gegenwärtig sein und selbst ungesehen bleiben. Natürlich können wir nicht mit Sicherheit sagen, was in den Jüngern in jener Nacht vor sich ging, wie sie (besonders aber Petrus als Initiator) ihren Misserfolg bewerteten und verarbeiteten. Doch ihr Meister ist ein MEISTER in Fragen des Misserfolges. Gerade in der Schwachheit des Menschen (dazu zählen auch die Misserfolge von Fachleuten) erweist Gott seine Macht und Herrlichkeit. So schreibt Johannes weiter:

Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer, aber die Jünger wussten nicht, dass es Jesus war. Spricht Jesus zu ihnen: Kinder, habt ihr nichts zu essen? Sie antworteten ihm: Nein. Er aber sprach zu ihnen: Werft das Netz aus zur Rechten des Bootes, so werdet ihr finden. Da warfen sie es aus und konnten’s nicht mehr ziehen wegen der Menge der Fische. (Joh 21,4-6).

Nicht neugierige Blicke der Frühaufsteher, nicht die Familienangehörigen der Fischer, sondern Jesus, ihr treuer Meister erwartet sie am Ufer mit ihrem Misserfolg. Und auch hier beginnt er das Gespräch, er holt sie dort ab, wo sie sich gerade befinden – beim NICHTS gefangen. „Kinder, habt ihr nichts zu essen“? Die Anrede `Kinder` scheint ungewöhnlich zu sein, doch für Johannes ein erster Hinweis auf die Person seines Meisters, denn im Laufe ihrer Nachfolge wurden sie von Jesus des öfteren als Kinder angeredet (Mk 10,24; Mt 9,22; Joh 12,36; 13,33; vgl. Hebr 2,13 mit Jes 8,18). Ihre Antwort lautete – nein. Das Gespräch entsteht, die Kommunikation ist hergestellt. Die Frage des Meisters soll nicht demütigen, sondern aufblicken lassen. Er spricht nicht ihren Misserfolg an, sondern ihren Hunger nach einer arbeitsreichen Nacht. Wie nahe ist er doch als Menschensohn den menschlichen Bedürfnissen. Sie werden erwartet, das Frühstück ist schon vorbereitet – was für eine Aussicht für sieben hungrige Männer!

!

Abbildung 8 Sonnenaufgang über dem See Genezaret – hinter der Landzunge ein Fischerboot (Foto: Juli 1994).

Es wird nicht nur heller durch die aufgehende Sonne über dem See, sondern auch in ihren Herzen wird es wieder Licht. Auf Geheiß des Mannes, der am Ufer steht lassen sie ihr Netz zur Rechten des Bootes hinab ins Wasser und spüren wie es sich mit Fischen füllt. „Da spricht der Jünger, den Jesus lieb hatte, zu Petrus: Es ist der Herr!“ (Joh 21,7). Warum klingt diese Aussage so überzeugend? Ist es eine Offenbarung oder hat er sich bereits seit seinem Grabesbesuch (Joh 20,8) umgestellt auf die neue Beziehung mit Jesus und erkennt die Stimme seines Herrn und Meisters? „Als Simon Petrus hörte, dass es der Herr war, gürtete er sich das Obergewand um, denn er war nackt, und warf sich ins Wasser.“ (Joh 21,7). Welch ein Kontrast zwischen diesen beiden Jüngern? Johannes bleibt im Boot, er bewahrt die Ruhe und kann warten. Petrus überlässt den Fischfang seinen Kollegen. Die Fische, der plötzliche Erfolg sind jetzt zweitrangig, dem Herrn als erster zu begegnen ist für ihn ALLES!

Anmerkung: Die Nebenbemerkung des Evangelisten Johannes, dass Petrus sich das Obergewand umgürtete bevor er sich ins Wasser warf um zu Jesus zu kommen, lässt den Schluss zu, dass er beim Fischfang nicht ohne jegliche Bekleidung war, sondern der Situation und Arbeit angepasste Unterkleider trug. Aber vor seinem Herrn wollte er so spärlich bekleidet nicht stehen.

Die andern Jünger aber kamen mit dem Boot, denn sie waren nicht fern vom Land, nur etwa zweihundert Ellen, und zogen das Netz mit den Fischen.“ (Joh 21,8). Das sind die Pragmatiker, die sachlich Denkenden, die Besonnenen, die ihre Emotionen zügeln können. Wie gut, dass nicht alle wie Petrus sind, sondern sachgemäß die letzten einhundert Meter mit Boot und vollem Netz ans Ufer rudern.

Als sie nun ans Land stiegen, sahen sie ein Kohlenfeuer und Fische darauf und Brot. Spricht Jesus zu ihnen: Bringt von den Fischen, die ihr jetzt gefangen habt! Simon Petrus stieg hinein und zog das Netz an Land, voll großer Fische, hundertdreiundfünfzig. Und obwohl es so viele waren, zerriss doch das Netz nicht. (Joh 21,9-11).

Die Jünger sind überrascht, denn das Frühstück ist für sie schon bereit. Ihr Meister ist der Gastgeber und erwartet sie, denn er ist immer noch im Dienst. Doch Jesus bezieht sie ein wenn er sagt: „Bringt von den Fischen die ihr jetzt gefangen habt“. Der Erfolg, das Gelingen der Jünger ist ebenfalls Gabe Gottes und deshalb soll auch diese Gabe auf den Tisch des Herrn kommen. Petrus fühlt sich angesprochen, vorbei ist die Enttäuschung über den nächtlichen Misserfolg, die volle Lebensfreude ist zurückgekehrt und damit auch neue Kraft mit der er das Netz mit den 153 großen Fischen ans Land zieht.

Spricht Jesus zu ihnen: Kommt und haltet das Mahl“ (Elbf.: „Kommt her, frühstückt!“). Niemand aber unter den Jüngern wagte, ihn zu fragen: Wer bist du? Denn sie wussten, dass es der Herr war. Da kommt Jesus und nimmt das Brot und gibt’s ihnen, desgleichen auch die Fische. (Joh 21,12-13).

Die Aufforderung von Jesus: kommt und „haltet das Mahl“, nehmt Teil an der Mahlzeit, ist im Griechischen mit dem Verb: `αριστήσατε – arist¢sate wiedergegeben. Damit liegt die Betonung auf dem gemeinsamen essen. Die zwei griechischen Mahlzeitbezeichnungen: άριστον – ariston und δείπνον – deipnon` in Lukas 14,12 werden dort mit Mittag- bzw. Abendmahl übersetzt. Obwohl es im Neuen Testament keine spezielle Bezeichnung für `Frühstück` gibt, ist es sinnvoll und der Tageszeit angepasst, hier mit: „kommt, frühstückt“ zu übersetzen. Bis heute hat das Abendessen bei den Kulturen in den Ländern des Orients einen wichtigeren Stellenwert als das frühstücken. Doch die Jünger hatten eine arbeitsschwere Nachtschicht hinter sich und sind hungrig. Jesus erweist sich dabei als der wahre Gastgeber. Das allgemein bekannte Tischgebet: „Komm, Herr Jesus, sei unser Gast und segne was du uns bescheret hast“, ist nicht ganz richtig. Die Jünger wissen sich geborgen in der Gegenwart ihres Herrn, denn niemand hat mehr Zweifel an der Wahrhaftigkeit seiner Person. Was bei diesem Frühstück geredet wurde, ist nicht überliefert, doch schweigsam waren sie bestimmt nicht, war doch das Hauptthema in diesen vierzig Tagen `das Reich Gottes`, wie der Evangelist Lukas berichtet: „Ihnen (seinen Jüngern) zeigte er sich nach seinem Leiden durch viele Beweise als der Lebendige und ließ sich sehen unter ihnen vierzig Tage lang und redete mit ihnen vom Reich Gottes.“ (Apg 1,3). Doch bevor Jesus mit dem für diesen Tag vorgesehenem wichtigen Seelsorgedienst an seinen Jüngern beginnt, versorgt er sie mit Brot und Fisch. Noch Jahre später im Hause des Kornelius in Cäsarea erinnert Petrus an die gemeinsamen Mahlzeiten mit ihrem Herrn: „(…) die wir mit ihm gegessen und getrunken haben, nachdem er auferstanden war von den Toten.“ (Apg 10,41).

Fragen / Aufgaben:

  1. Wie viele Tage zeigte sich Jesus seinen Jüngern nach seiner Auferstehung als der Lebendige?
  2. Welche und wie viele Offenbarungsberichte, bzw. Begegnungen haben uns die neutestamentlichen Autoren überliefert?
  3. Wo fand diese, nach Johannes 21,14 dritte Begegnung statt?
  4. Welche Jünger waren bei der Begegnung am See von Tiberias dabei?
  5. Warum geht Petrus wieder zu seinem Boot und seinen Netzen, wie bewertest du diese Tätigkeit in diesem neuen Kontext? War es richtig, dass er fischen ging, oder hätte er dies nicht tun sollen?
  6. Welcher der Jünger steht bei dieser Begegnung besonders im Mittelpunkt und warum?
  7. Woran erinnert uns das Wunder des Fischfangs auf das Geheiß von Jesus?
  8. Woran erkannte der Jünger, welchen Jesus liebte, dass der Mann am Ufer Jesus ist?
  9. Wer zählte die Fische und warum?
  10. Wer lädt wen zum Frühstück ein? Wer ist der wahre Gastgeber auch bei unseren Mahlzeiten? Wie gestalten sich unsere Gespräche am Tisch, worüber reden wir gerne?
  11. Welche Seelsorgerlichen Aspekte erkennst du aus dieser Begegnung mit Jesus?
  12. Welches Ziel verfolgt Jesus und wie erreicht er es?
  13. Welche positiven Erfahrungen hast du mit Menschen bei Mahlzeiten gemacht?

12.13.2 Jesus stellt die Beziehung des Petrus zu sich wieder her

(Bibeltext: Joh 21,15-23)

Nach dem Frühstück beginnt die Klärung der Beziehung mit Simon Petrus und dies in Gegenwart der Anwesenden Jünger.

Abbildung 9 Der vermutete Ort westlich von Kapernaum, an dem Jesus mit seinen Jüngern frühstückte und anschließend das Gespräch mit Petrus führte. Auch wenn die originalität des Ortes fraglich ist, ist es dennoch ein Ort der Ruhe, der noch heute zur Andacht und Zwiegesprächen einlädt (Foto: April 1986).

Wie Jesus hier vorgeht, ist höchst beeindruckend, Nach einer anstrengenden und doch so erfolglosen Nachtschicht auf See, sind die Jünger physisch und emotional am Ende ihrer Kräfte. In solcher Verfassung seelsorgerliche Themen anzusprechen, wäre nicht effektiv. Jesus ist auch nach seiner Auferstehung immer noch der Menschensohn, der seinen Jüngern zugewandt ist. Der Einstieg in das Gespräch über die Beziehung braucht einen Vorhof. Ausdrücklich wird im Text betont: „Als sie nun gefrühstückt hatten“. Der Stellenwert der Tischgemeinschaft ist nicht zu unterschätzen, hebt doch Jesus selbst durch die Vorbereitung der Mahlzeit, deren Bedeutung hervor. Das Gespräch mit Petrus  führt Jesus vor allen anderen Jüngern, denn auch die anderen haben ihm vor der Festnahme die Treue geschworen und als es ernst wurde, sind sie alle geflohen (Mt 26,35). Ein öffentlicher Treueschwur gefolgt von einer öffentlichen Verleugnung erfordert auch eine öffentliche Klärung. „Als sie nun gefrühstückt hatten, spricht Jesus zu Simon Petrus:

  1. Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich (αγαπάς μεagapas me) mehr als diese? Er spricht zu ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe (φιλώ σεphilö se). Spricht er zu ihm: Weide (βόσκε boske) meine Lämmer! Wieder spricht er zum zweiten Mal zu ihm:
  2. Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich (αγαπάς μεagapas me)? Er spricht zu ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe (φιλώ σε philö se). Spricht er zu ihm: Hüte (ποιμαίνε poimaine) meine Schafe! Er spricht zum dritten Mal zu ihm:
  3. Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb (φιλείς με phileis me)? Petrus wurde traurig, dass er zum dritten Mal zu ihm sagte: Hast du mich lieb (φιλείς με phileis me)? und sprach zu ihm: Herr, du weißt alles; du erkennst, dass ich dich lieb habe (φιλώ σε philö se). Jesus spricht zu ihm: Weide (βόσκε boske) meine Schafe!“ (Joh 21,15-17).

Das Verhalten des Petrus im Vorfeld der Festnahme von Jesus warf seine Schatten auf sein ganzes vorhergehendes Leben in der Nachfolge. Mit der Absage von Jesus, ja sogar der Leugnung unter Schwur ihn zu kennen, riss er sozusagen all das nieder, was in mehreren Jahren durch Jesus mühevoll aufgebaut wurde. Um das wieder herzustellen musste nach Einsicht und Reue (Mt 26,75) nun auch ein öffentliches Bekenntnis folgen. Diese Gelegenheit gab ihm Jesus in einem geschützten Rahmen. Betrachten wir folgende Details aus dem Gespräch mit Petrus, den Jesus hier immer nur Simon Sohn des Johannes nennt.

  • Jesus geht mit Petrus zurück in die Anfänge – „Simon, Sohn des Johannes“. Die Anrede mit dem Vaternamen ist nicht willkürlich, erinnert sie doch an die erste Begegnung am Jordan. Dort schreibt Johannes: „Als Jesus ihn sah, sprach er: Du bist Simon, der Sohn des Johannes; Du sollst Kephas heißen, das heißt übersetzt: Fels“ (gr. pe,troj petros – Joh 1,42). Jesus erinnert den Petrus nicht direkt an dessen Versagen, denn was Gott einem Menschen aufgrund von Reue und Umdenken/Umkehr vergeben hat, daran erinnert er nicht mehr (Jer 31,31-34; Hebr 8,10-12). Vielmehr geht es Jesus darum, dem Petrus bewusst zu machen, dass er an die erste Begegnung am Jordan denken soll, an seine erste Berufung am Ufer des Sees vor Kapernaum, das alles soll nicht vergeblich gewesen sein. Er soll nicht verzagen, denn was im Glauben getan wurde, bleibt bestehen. Er sollte neuen Mut fassen, seine Berufung zum Petrus wieder anzunehmen.
  • Die dreimalige herausfordernde Frage: „liebst du mich“, ist ebenso bemerkenswert. Die zwei Verben: `agapas` und `phileis ` – welche hier jedes Mal mit `liebst du` übersetzt sind, werden von Jesus an dieser Stelle als Synonyme verwendet. Trotzdem können sie in diesem Textzusammenhang auch die lückenlose Liebes- und freundschaftsbeziehung ausdrücken (Joh 15,14-15).
  • Jesus geht es dabei auch um die vollkommen geordnete, angstfreie Beziehung des Schülers zum Meister (Lk 5,10). Eine Beziehung, in welcher der Schüler dem Meister zugewandt und auf ihn ganz ausgerichtet ist. Eine Beziehung des Vertrauens und der Hingabe. Eine Beziehung, welche den Eigennutz, die Ichsucht  und die Überheblichkeit überwunden hat.
  • Weniger bekannt ist die Bedeutung, bzw. der Unterschied zwischen den Begriffen `weide meine Lämmer`,  `hüte meine Schafe`,  `weide meine Schafe`. Das gr. `,βόσκε boske – weide` steht mehr für die Versorgung der Lämmer und Schafe mit den nötigsten Nahrungsmitteln. Das gr. Verb `ποιμαίνε poimaine – hüte` ist in seinem Wortlaut dem Substantiv `ποιμέμπςpoimenos – Hirte` und `ποιμνηνpoimn¢n – Herde` ähnlich und steht für hüten, bewachen, schützen, leiten, verarzten. Im Auftrag von Jesus an Petrus liegt umfassende Verantwortung für seine Mithünger, Anfänger und Fortgeschrittene. Mit dieser Verantwortung ging er später auch sorgfältig um (1Petr 5,1-4).

Nun folgt eine Voraussage (spezielle Prophetie) an Petrus:

Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Als du jünger warst, gürtetest du dich selbst und gingst, wohin du wolltest; wenn du aber alt geworden bist, wirst du deine Hände ausstrecken, und ein anderer wird dich gürten und hinbringen, wohin du nicht willst. Dies aber sagte er, um anzudeuten, mit welchem Tod er Gott verherrlichen sollte. Und als er dies gesagt hatte, spricht er zu ihm: Folge mir nach. (Joh 21,18-19).

Was Petrus vor der Festnahme Jesu in überheblicher, eigenwilliger Selbstüberschätzung bereit war zu tun: „Herr, ich bin bereit, mit dir ins Gefängnis und in den Tod zu gehen“. (Lk 22,33), das erwartete ihn tatsächlich nach den Worten und dem Willen von Jesus gegen Ende seines Lebens. So konnte er später die Mitchristen ermutigen: „wenn er aber als Christ leidet, schäme er sich nicht, sondern verherrliche Gott in diesem Namen.“ (1Petr 4,16). Ob die Tradition recht hat, nach der Petrus den Kreuzestod erlitt? Auf jeden Fall war er nun darauf vorbereitet.

Das: „folge mir nach“ an Petrus ist sowohl Erneuerung der Berufung, als auch Ermahnung und Ermutigung, nicht mehr in eigener Regie Jesus vorauszueilen.

Johannes fährt fort mit den Worten:

Petrus wandte sich um und sieht den Jünger nachfolgen, den Jesus liebte, der sich auch bei dem Abendessen an seine Brust gelehnt und gesagt hatte: Herr, wer ist es, der dich überliefert? Als nun Petrus diesen sah, spricht er zu Jesus: Herr, was soll aber dieser? Jesus spricht zu ihm: Wenn ich will, dass er bleibe, bis ich komme, was geht es dich an? Folge du mir nach! Es ging nun dieses Wort hinaus unter die Brüder: Jener Jünger stirbt nicht. Aber Jesus sprach nicht zu ihm, dass er nicht sterbe, sondern: Wenn ich will, dass er bleibe, bis ich komme, was geht es dich an? (Joh 21,20-23).

Die Frage des Petrus in Bezug auf den nachfolgenden Johannes (wörtlich: „dieser aber was“) ist nicht ganz leicht zu verstehen. Mögliche Übersetzungen: „was soll aber dieser“ oder „was wird aber mit diesem“? Im Zusammenhang der erneuerten Beziehung des Petrus zu Jesus und ebenso dessen freundschaftlicher und vertrauensvoller Beziehung zu Johannes, scheint die Frage des Petrus in sich einen positiven, sogar fürsorglichen Aspekt zu bergen. Für Petrus ist nun in Bezug auf seine Zukunft eine Andeutung gemacht worden. Wenn er seinen Mithjünger Johannes schätzt, wird er sich nun auch um ihn kümmern und sich für dessen Zukunft fragend einsetzen. Auch die positive, wenn auch rätselhafte Antwort von Jesus „wenn ich will, dass er bleibe“ verstärkt diesen Aspekt. Übrigens hat das Verb `μένειν – menein – bleiben` im Johannesevangelium häufig die Bedeutung des mit Jesus geistlich gesehen untrennbar verbunden zu sein (Joh 6,56; 15,4.5.6.7.10). Diese Episode mit der etwas rätselhaften Redeweise von Jesus war für die Jünger Anlass zu einer diesseits bezogenen Deutung und so entstand und verbreitete sich eine Rede, die Johannes zur Zeit der Abfassung seines Evangelienberichtes korrigieren musste. Durch die Antwort von Jesus an Petrus „was geht es dich an“, die scheinbar hartem Vorwurf gleicht, konnte Petrus seine Motivation prüfen. Zeigt er aufrichtiges Interesse an seinem Mithünger, ist er einfach neugierig, oder gar fürsorglich? Doch Petrus muß erkennen, er ist nicht für alle und alles zuständig, die eigentliche Bezugsperson ist Jesus, der Meister und Herr. Darum: „folge du mir nach“!

Einige Parallelen zur ersten Berufung:

  • Der Ort des Geschehens – am Seeufer, Nähe Kapernaum.
  • Der Misserfolg beim nächtlichen Fischfang (sie fingen gar nichts).
  • Der über die Maßen große Fischfang auf das Wort Jesu hin.
  • Der Aufruf: „Folge mir nach“.
  • Die Berufung: „Ich will dich zum Menschenfischer machen“ und „Weide, hüte meine Lämmer und Schafe“.

Fragen / Aufgaben:

    1. Stelle die Verbindung zwischen der Tischgemeinschaft und der Wiederherstellung der Beziehung des Petrus zu Jesus her?
    2. Wie spricht er ihn an, bedeutet es etwas?
    3. Warum klärt Jesus die Beziehung des Petrus zu sich vor den anderen Jüngern und nicht unter vier Augen?
    4. Warum und wann ist öffentliches Bekenntnis und öffentliche Korrektur angebracht?
    5. Welche Rolle spielt der Zeitfaktor bei Klärungen von Beziehungsfragen?
    6. Warum fragt Jesus dreimal das Gleiche? Oder gibt es Unterschiede in der jeweiligen Frage? Was bedeuten die Begriffe `agape und philia`?
    7. Welche Prinzipien lassen sich beim Vorgehen von Jesus für unsere heutige Seelsorge ableiten?
    8. Warum beruft Jesus erneut den Petrus in seine Nachfolge und was bedeutet es für uns?
    9. Warum deutet Jesus dem Petrus an mit welchem Tod er Gott verherrlichen würde?
    10. Dürfen wir jemand hervorheben? Sind nicht alle Jünger gleich?
    11. Warum fragt Petrus wegen Johannes? Wie gehen wir mit Mitjüngern um, die in unserer Umgebung oder unserm Umfeld tätig sind oder sein wollen?
    12. Die Jünger haben Jesus wieder mal missverstanden. Liegt es an Jesus, oder an der Überlegungsfähigkeit der Jünger? Warum räumte Jesus dieses Missverständnis nicht sofort aus?
    13. Wie lassen sich Verantwortung und Kompetenzen eines Leiters sinnvoll eingrenzen?

12.13.3 Die Bedeutung der schriftlichen Überlieferung des Johannesevangeliums

(Bibeltext: Joh 21,24-25; 20,30-31)

Das Johannesevangelium schließt mit den Worten:

Das ist der Jünger, der von diesen Dingen zeugt und der dies geschrieben hat; und wir wissen, dass sein Zeugnis wahr ist. Es gibt aber auch viele andere Dinge, die Jesus getan hat; wenn diese alle einzeln niedergeschrieben würden, so würde, scheint mir, selbst die Welt die geschriebenen Bücher nicht fassen. (Joh 21,24-25).

Der Autor des Johannesevangeliums nennt sich an keiner Stelle namentlich. Immer wird von ihm in der dritten Person gesprochen (Joh 13,23; 19,26; 20,2; 21,7.20). Der Epilog (das Nachwort) beginnt mit den Worten: „Das ist der Jünger, der von diesen Dingen zeugt und der dies geschrieben hat“, – dadurch wird deutlich, dass es sich bei dem Autor des Evangeliums nicht nur um einen der Jünger von Jesus handelt, sondern um den ‚Jünger, von dem es heißt, dass Jesus ihn liebte. Der gesamte Evangelienbericht mit den vielen Details der persönlichen Aussagen von Jesus kann nur von einem stammen, der von Anfang an dabei war, also Augen- und Ohrenzeuge gewesen war. Ja, es muss einer gewesen sein, der sogar betasten konnte, wie es im ersten Johannesbrief heißt (1Joh 1,1-2). Der Jünger, welcher zusammen mit Petrus Jesus nachfolgte, ist derselbe, welcher den Petrus auf Jesus hingewiesen hat (Joh 21,7). Die freundschaftsbeziehung des Petrus zu Johannes dem Bruder des Jakobus und Sohn des Zebedäus war so intensiv, dass sie an verschiedenen Stellen zusammen genannt werden:

  • Im Rahmen des inneren Dreierkreises der Jünger (Mt 17,1; Mk 5,37; 14,33),
  • Im Zweierkreis bei der Vorbereitung des Passahmahles (Lk 22,8),
  • Nebeneinander  genannt im Obersaal des Hauses in Jerusalem (Apg 1,13),
  • Miteinander im Tempel (Apg 3,1.3.11.
  • Gemeinsam im Gefängnis und beim gemeinsamen Zeugnis vor dem Hohen Rat (Apg 4.13.19),
  • Zusammen im Missionsdienst in Samarien (Apg 8,14),
  • Zusammen als Säulen der Gemeinde (Gal 2,9).

Diese zusammenhänge legen nahe, dass Johannes der Bruder des Jakobus auch der Autor des Johannesevangeliums ist.

In seinem Nachwort betont der Evangelist die Vielzahl der Taten und Worte von Jesus, die nicht schriftlich erfasst wurden und begründet dies mit: „die Welt würde die Bücher nicht fassen“. Bei seiner Aussage in Kapitel 20,30-31 hebt der Autor ebenfalls die Vielzahl der nicht aufgezeichneten Werke von Jesus hervor mit den Worten: „Auch viele andere Zeichen hat nun zwar Jesus vor den Jüngern getan, die nicht in diesem Buch geschrieben sind. Diese aber sind geschrieben, damit ihr glaubt, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes, und damit ihr durch den Glauben Leben habt in seinem Namen.“ (Joh 20,30-31). Bei dem Evangelienbericht handelt es sich um eine Auswahl von Wunder-Zeichen, welche die Person von Jesus als den Messias und Gotteessohn bestätigen sollen. Das Johannesevangelium beschreibt die meisten Begegnungen von Jesus mit seinen Jüngern nach dessen Auferstehung.

Die Neigung zur Neugier der Menschen führte in nachapostolischer Zeit zur Verfassung verschiedener sogenannter Apokryphenschriften. Dabei stellen wir auch noch in unseren Tagen fest, dass viele Gläubigen nicht einmal die in den vier Evangelien aufgeschriebenen Geschichten kennen. Was, wenn es hundertmal so viele Schriften gäbe? Die Schlussfolgerung aus Johannes 21,24-25 und 20,30-31 wäre, dass zur Erlösung eines gottsuchenden Menschen bereits das Johannesevangelium genügen würde. Doch damals waren bereits die anderen drei Evangelienberichte im Umlauf. Die allerdings ursprünglich an bestimmte Gruppen oder Kulturkreise gerichtet wurden. Erst nach und nach begann man die Schriften der Apsotel zu sammeln.

Desweiteren würde uns interessieren, wie die Schreiber auf die Idee kamen, die Geschichten über Jesus aufzuschreiben?

  • Hat Jesus selbst ihnen diesen Auftrag gegeben?
  • Hat später der Heilige Geist sie dazu bewegt?
  • Oder war das Vorhandensein der Heiligen Schriften des Alten Testamentes, welche auf Anordnung Gottes entstanden sind, maßgebend und motivierend für ihre schriftlichen Aufzeichnungen?

Während das Volk Israel sich am Fuße des Berges Sinai aufhielt, übergab Gott selbst dem Mose zwei steinerne Tafeln. Die sogenannten `Zehn Gebote` waren mit dem Finger Gottes beschrieben, bzw. eingraviert worden (2Mose 31,18; 34,1; 5Mose 5,22; 9,10; 10,3-4). Zusätzlich schrieb Mose auf Anordnung Gottes alle Worte des Gesetzes in ein Buch (2Mose 34,27; 5Mose 31,24). Der König Israels sollte für sich eine Abschrift des Gesetzbuches anfertigen lassen (5Mose 17,18). David schrieb viel, ebenso die Propheten, besonders Jeremia wurde von Gott aufgefordert, zu schreiben (Jer 30,2). Was Jesus schrieb, ist nicht überliefert worden (Joh 8,6), doch sehr oft und mit Nachdruck berief er sich auf die Heiligen Schriften (Mt 12,3.5; 19,4; 22,31; 22,42-44; Joh 5,46). Das erste Schriftstück verfassten die Apostel und Ältesten in Jerusalem (Apg 15,23-29). Die ausdrückliche Anordnung des Herrn an Johannes, die Offenbarung von Jesus Christus aufzuschreiben, macht deutlich, dass der eigenliche Hinweiss oder Anstoß zum Schreiben von Gott kam. Und so verfasste der Jünger und Apostel Johannes einen Evangelienbericht, der sich jedoch von den anderen drei synoptischen Evangelien unterscheidet. Damit stand er in der Tradition der Schreiber des Alten Testamentes, ja im Willen Gottes selbst. Die Bemerkung: „und wir wissen, dass sein Zeugnis wahr ist“, macht deutlich, dass es viele Zeugen gab, welche diese schriftliche Abfassung prüfen und bestätigen konnten. Auch die Autoren hielten sich an das göttliche Prinzip der zwei/drei Zeugen (Mt 18,16; Joh 5,32; 8,18).

Der Zweck der schriftlichen Form der Überlieferung des Evangeliums von Jesus Christus war

  • zum einen, die authentischen Worte und Taten von Jesus unverfälscht den nachfolgenden Generationen zugänglich zu machen
  • und zum anderen, den Glauben zu wecken und Glauben zu stärken, wie der Text aus Johannes 20,30-31 hervorhebt: „Auch viele andere Zeichen hat nun zwar Jesus vor den Jüngern getan, die nicht in diesem Buch geschrieben sind. Diese aber sind geschrieben, damit ihr glaubt, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes, und damit ihr durch den Glauben Leben habt in seinem Namen.“

Aus der Fülle der Wunder-Zeichen, die Jesus getan hatte, schrieb Johannes gerade mal acht oder neun auf, je nach dem was zu einem Zeichen gezählt wird. Hier eine Auflistung der Zeichen:

  1. Das Wunderzeichen – die Verwandlung des Wassers in Wein (Joh 2,1-11),
  2. Das Wunderzeichen – die Heilung des Sohnes eines königlichen Beamten in Kapernaum von Kana aus (Joh 4,46-53),
  3. Das Wunderzeichen – die Heilung des Gelähmten am Teich Bethesda in Jerusalem und zwar an einem Sabbat (Joh 5,1-18),
  4. Das Wunderzeichen – die Brotvermehrung am Nordostufer des Sees von Genezaret im Gebiet der Trachonitis (Joh 6,1-15),
  5. Das Wunderzeichen – Jesus geht auf dem Wasser des Sees Genezaret, der Sturm legte sich und die Jünger waren plötzlich am Ziel angekommen (Joh 6,16-21),
  6. Das Wunderzeichen – die Heilung des Blindgeborenen lm Jerusalem an einem Sabbat (Joh 9,1-41),
  7. Das Wunderzeichen – die Auferweckung des Lazarus in Bethanien (Joh 11,1-45),
  8. Das Wunderzeichen – auf die Bitte hin von Jesus redet Gott der Vater aus dem Himmel laut und hörbar für alle, die sich zu der Stunde im Tempel befanden (Joh 12,28),
  9. Das Wunderzeichen – durch die Selbstbezeichnung von Jesus „Ich bin`s“ fallen die Soldaten der Tempelwache zu Boden nieder (Joh 18,6).

Alle von Johannes aufgeschriebenen Wunderzeichen (ausgenommen das der Brotvermehrung und gehen auf dem Wasser) sind Sondergut des Johannesevangeliums, sie sind nicht in den anderen drei Evangelien erwähnt.

Fragen / Aufgaben:

  1. Woher kommt der Gedanke, die Idee, Worte und Taten von Jesus aufzuschreiben?
  2. Warum ist auch im Neuen Testament die schriftliche Form der Überlieferung der Taten und Worte von Jesus so wichtig, ja unbedingt notwendig gewesen?
  3. Warum schränkt sich der Autor des Johannesevangeliums in der Auswahl der Berichte so sehr ein?
  4. Nenne die Wunderzeichen, die Johannes aufgeschrieben hat.
  5. Erinnere dich, wo und wann sich Jesus aber auch Johannes auf die Schrift beziehen?
  6. Was wäre aus den Geschichten über Jesus geworden, ohne die schriftliche Überlieferung?

12.14 Jesus begegnet seinen Jüngern auf einem Berg in Galiläa

(Bibeltexte: Mk 14,28; Mt 26,32; 28,6-10; 16-20)

Alle vier Evangelisten berichten über die verschiedenen Begegnungen und Ereignisse nach der Auferstehung von Jesus. Der Evangelist Matthäus konzentriert sich auf eine Begegnung der Jünger mit ihrem auferstandenen Herrn. Diese Begegnung fand auf einem Berg in Galiläa statt. So schreibt er in Kapitel 28,16: „Aber die elf Jünger gingen nach Galiläa auf den Berg, welchen Jesus ihnen bestimmt hatte.“ Sicher wusste man in apostolischer Zeit um die Lokalität dieses Berges. Dass der Evangelist ganz bewusst den Namen des für sie bekannten Berges nicht nennt, könnte man so verstehen, dass der Heilige Geist diese besondere Begegnungsstätte vor den zukünftigen Pilgern geheim halten wollte (vgl. auch Mt 17,1ff). Viel zu oft verdrängten die äußeren Aspekte den Inhalt eines wichtigen Ereignisses. Auch die nächsten Generationen der Christen werden um die Örtlichkeit dieses besonderen Ereignisses gewusst haben, doch für sie barg dieses Wissen keine Gefahr der Verehrung dieses Ortes (vgl. auch 2Petr 1,18), wie es bei den späteren Generationen leider der Fall war und bis heute der Fall ist. Das deutlichste Beispiel dafür sind die abstoßenden Zustände in der Grabeskirche. Der Hinweis über das Treffen in Galiläa wurde von Jesus bereits vor seinem Tod gegeben, allerdings noch ohne Angabe des genauen Treffpunkts. So lesen wir in Matthäus 26,32: „Nachdem ich aber auferweckt sein werde, werde ich vor euch hingehen nach Galiläa.“ (vgl. auch Mk 16,7 mit 14,28). Der Engel (bzw. zwei Engel), welche im leeren Grab Wache halten, wiederholen bzw. erinnern die Frauen an diese Voraussage von Jesus mit den Worten: „(…) und geht schnell hin und sagt seinen Jüngern, dass er von den Toten auferweckt worden ist! Und siehe, er geht vor euch hin nach Galiläa, dort werdet ihr ihn sehen. Siehe, ich habe es euch gesagt.“  (Mt 28,6-7).

Kurz danach begegnete ihnen Jesus selbst und wiederholt seine Anweisung an die Jünger, nach Galiläa zu gehen: „Da spricht Jesus zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Geht hin, verkündet meinen Brüdern, dass sie hingehen nach Galiläa! Und dort werden sie mich sehen.“ (Mt 28,10).

Es fällt geradezu auf, dass bei all den Vorankündigungen nichts über einen Berg gesagt wird, sondern lediglich „geht nach Galiläa“. Aus den Berichten der Evangelisten Johannes und Lukas wissen wir, dass es bereits in Jerusalem am ersten und achten Tag nach der Auferstehung zu mehreren Begegnungen mit Jesus gekommen war (Joh 20,1-29; Lk 24,13-33). Danach fand die Begegnung am See von Tiberias statt (Joh 21,1-23), von der nur Johannes berichtet. Dies wäre das dritte Treffen als Gruppe der Jünger (Joh 21,14). Das Treffen der Jünger mit Jesus auf dem Berg in Galiläa ist demnach das vierte Treffen. Nun sprach es sich schon recht schnell in Galiläa unter den Gläubigen herum, dass Jesus von den Toten auferstanden ist. So wäre auch die Aussage des Apostels Paulus in 1Korinther 15,1-5 zu erklären, wonach mehr als fünfhundert Brüder den Auferstandenen auf einmal (das heißt gleichzeitig) gesehen haben. Da außer der letzten Begegnung auf dem Ölberg in den Evangelien keine weitere Begegnung erwähnt wird, ordnen wir die Aussage des Apostels Paulus über die Begegnung von über fünfhundert Brüdern mit Jesus, in dieses Berg-Treffen ein. Damit schließen wir es nicht aus, dass es sich bei jener Begegnung auch um ein gesondertes Treffen gehandelt haben könnte.

Abbildung 10 Von der Anhöhe Gadara am Südufer des Flusses Jarmuk hat man einen weiten Blick über den See Genezaret und nach dem nördlichen Bergland Nordgaliläas. Auf einem der galiläischen Berge fand das von Jesus selbst geplante und vorausgesagte Treffen mit den Jüngern statt (Foto: 3. November 2014).

Und so schreibt der Ev. Matthäus: „Aber die elf Jünger gingen nach Galiläa auf den Berg, welchen Jesus ihnen bestimmt hatte.“ (Mt 28,16). Es wäre nun müßig, den von Jesus selbst bestimmten Berg in Galiläa, zu suchen, gibt es doch in dieser Region sehr viele Berge, die geeignet wären für solch ein besonderes Treffen. Doch wählt Jesus ganz bewusst einen Berg und nicht eine Ebene oder Seeufer, wo er neugierigen Blicken ausgesetzt gewesen wäre. Er sucht also bewusst die Abgeschiedenheit, um ganz unter seinen Nachfolgern zu sein. Ein Berg mit einem Gipfel und der Aussicht in alle Himmelsrichtungen, wäre sehr geeignet für die Botschaft, welche er seinen Jüngern vermitteln will. Wie Mose vom Berggipfel Nebo aus eine umfassende Aussicht über das Gelobte Land hatte, so könnten die Jünger von diesem Berge aus in alle Himmelsrichtungen sehen können, denn es gilt die Frohe Botschaft vom Reich Gottes zu allen Völkern zu bringen. Ein Treffen also an einem Ort mit Symbolkraft.

Der Evangelist schreibt weiter: „Und als sie ihn sahen, warfen sie sich vor ihm nieder; einige aber zweifelten (gr. οι δέ έδίστασαν – oi de edistasan – aber einige zögerten).“ (Mt 28,17). Der von Matthäus verwendete Begriff: `έδίστασανedistasan`, kommt nur noch in Matthäus 14,31 vor, dort bezogen auf Petrus in der Frageform: „warum hast du gezögert?“. Für zweifeln, bzw. Zweifelnder wird der Begriff: `διακριμένοςdiakrinomenos` verwendet, so in Römer 14,23; Jakobus 1,6; ähnlich auch in Matthäus 21,21; Röm 4,20. Zweifeln heißt: geteilten Herzens oder geteilter Seele zu sein, ähnlich wie wenn die Wellen vom Wind hin und her bewegt werden Jak 1,6-8.

Bei dem Bergtreffen zögerten jedoch einige niederzufallen und Jesus als den Auferstandenen anzubeten. Man bedenke in diesem Zusammenhang auch den jüdischen theologischen Kontext, in dem die Anbetung einer Menschengestalt absolut Tabu war.

Anmerkung: Die Bemerkung über jene, welche zögerten ihm zu huldigen und ihn anzubeten, kann sich schwerlich auf einige aus dem Elferkreis beziehen. Denn alle elf Jünger haben Jesus bereits mehrmals gesehen, persönlich erlebt und nach der Thomas-Begegnung dürfte wohl bei keinem ein Rest von Usicherheit bestaqnden haben. Daher liegt die Vermutung nahe, dass bei diesem Treffen auch noch viele andere Jesusnachfolger dabei gewesen sein konnten. Wir denken dabei:

  • an seine leiblichen Brüder (Mt 28,10; Joh 20,17; 1Kor 15,5-7);
  • an die 70, welche zum zweiten Jüngerkreis gehörten (Lk 10,1ff);
  • und andere mehr, welche noch in seiner Dienstzeit an ihn gläubig wurden (Joh 2,23; 4,53; 12,1-2; 19,38-39).

Zögern heißt jedoch nicht, die Anbetung völlig verweigern, sondern kann eine abwartende Haltung ausdrücken. Von den anderen aber nimmt Jesus die Ehrung an. Bereits in der Zeit vor seiner Auferstehung wurde ihm als dem von Gott gesandten Messias und Sohn Gottes kniefällig gehuldigt:

  • Die Weisen aus dem Morgenland: „(…) und sie fielen nieder und huldigten ihm (beteten es (das Kind) an).“ (Mt 2,11);
  • Die Jünger im Boot auf dem See Genezareth: „Die aber in dem Boot waren, warfen sich vor ihm nieder und sprachen: Wahrhaftig, du bist Gottes Sohn!“ (Mt 14,33);
  • Der sehendgewordene Mann in Jerusalem: „Er aber sprach: Ich glaube, Herr. Und er warf sich vor ihm nieder.“ (Joh 9,38);
  • Auch die Frauen, welchen Jesus nach seiner Auferstehung begegnete: „Sie aber traten zu ihm, umfassten seine Füße und warfen sich vor ihm nieder“ (Mt 28,9);
  • Die Jünger bei der Himmelfahrt von Jesus: „Und sie warfen sich vor ihm nieder.“ (Lk 24,52).

In all den oben erwähnten Texten (einschließlich Matthäus 28,17) wird der griechische Begriff   `προσεκύνησανprosekyn¢san` verwendet: Er bedeutet: kniefällige Huldigung, Anbetung von Jesus, dem Messias und Sohn Gottes. Dieser Begriff wird auch vom Ap. Paulus in Phillipper 2,10 verwendet; ebenso in Hebräer 1,6; Offb 7,11). Im Gegensatz dazu wird dieser Begriff gebraucht um Johannes von der Anbetung des Engels zurückzuhalten: Offb 19,4.10; 22,9), ebenso die Weigerung der drei jüdischen Beamten des Königs Nebukadnezars, vor dem goldenen Bild niederzufallen und es anzubeten (Dan 3,18). Aber Jesus ist als Menschgewordener Gottessohn würdig der Huldigung und Anberung (Offb 5,12).

Bei dieser Bergbegegnung gab Jesus seinen Jüngern die Anweisung zur Völkerevangelisation. Es ist eine Art Vermächtnis mit der Verheißung seiner ununterbrochenen Gegenwart. So schreibt der Evangelist Matthäus: „Und hinzutretend redete Jesus mit ihnen sagend:

  • Mir ist gegeben alle Vollmacht im Himmel und auf Erden.
  • Hingehend nun macht zu Jüngern alle Völker:
  •  Sie taufend in (hinein oder auf) den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes,
  •  lehrend sie zu halten (bewahren) alles, was ich euch befohlen habe.
  • Und siehe, ich bin mit euch alle Tage bis zur Vollendung des Zeitalters.“ (Mt 28,18-20 Elbf. mit Ergänzungen in Klammern).

Folgende Aspekte aus den Worten von Jesus hebt der Evangelist Matthäus hervor:

  1. Die rechtsmäßige (legale) Bevollmächtigung von Jesus durch den Vater. Erinnern wir uns daran, wie der Fürst dieser Welt, der Satan/Teufel schon zu Beginn in der Wüste, Jesus die Vollmacht und Herrlichkeit dieser Welt auf freche Art und Weise anbot? Jesus hat durch den Dienst der Hingabe seines Lebens die tatsächliche Vollmachten über das gesamte Universum vom Vater selbst übertragen bekommen und er ist der wahre Beherrscher des Alls. Das Wissen um seine Vollmacht, ist eine gute Voraussetzung für die Jünger, angstfrei und furchtlos das Evangelium zu verkündigen.
  2. Der Auftrag `alle Völker zu Jüngern zu machen`, bedarf einer Erklärung, die vom Gesamtkontext der Beauftragung zur Evangelisation ausgeht. Das griechische aktive Verb `maqhteu,sate – math¢teusate`, kommt noch in der Apostelgeschichte 14,21 vor. Dort lesen wir, dass Paulus und Barnabas viele zu Jüngern gemacht haben. Die Umsetzung dieses Verbs in der Evangelisationspraxis führte jedoch zu mancherlei Missverständnissen. So wurden später tatsächlich Menschen (auch unmündige Kinder) zu Christen gemacht, ganz zu schweigen von der gewaltsamen Christianisierung ganzer Volksstämme im Mittelalter. Doch dies hat Jesus mit Sicherheit nicht angeordnet. Bei dem Verb `μαθητεύσατε – math¢teusate` könnte es sich eher um den Auftrag handeln: `unterrichtet, unterweist, schult, lernt an, macht die Evangeliumsbotschaft bekannt.` unter allen Völkern. Auch in Matthäus 13,52 wo dieses Verb gebraucht wird (allerdings im passiv), kommt der Gedanke des `unterwiesen sein, unterrichtet sein, geschult sein` deutlich zum Ausdruck. „Jeder Schriftgelehrte unterwiesene (μαθητευθείςmath¢teutheis – geschulte) im Reich Gottes (…)“. Es geht dabei um alle Völker mit der Frohen Botschaft des Evangeliums von Jesus Christus intensiv und detailiert bekannt zu machen, also sie unterrichten, unterweisen, schulen. So dass Menschen nach dieser klaren Unterweisung zur Umkehr und Glauben aufgefordert werden können (Apg 2,21-40). Oder ein Beispiel aus der Verkündigungspraxis des Ap. Paulus: „Er ging aber in die Synagoge und sprach freimütig drei Monate lang, indem er sich mit ihnen unterredete und sie von den Dingen des Reiches Gottes überzeugte. Als aber einige sich verhärteten und ungehorsam blieben und vor der Menge schlecht redeten von dem Weg, trennte er sich von ihnen und sonderte die Jünger ab und redete täglich in der Schule des Tyrannus. Dies aber geschah zwei Jahre lang, so dass alle, die in Asien wohnten, sowohl Juden als auch Griechen, das Wort des Herrn hörten.“ (Apg 19,8-10). Dies ist vornehmlich die Aufgabe der Apostel und Evangelisten. Das taten sie auch und der Herr tat hinzu (zu der Gemeinde Apg 2,37-42). Wenn wir verstehen wollen, wie Jesus `Jünger machte – μαθητάς ποιεί, – math¢tas poiei ` (Joh 4,1-hier steht wirklich das Verb `machen`), dann müssen wir seine Evangelisationsweise beachten.
  3. Der Auftrag, die Gläubigen (im oder mit Wasser) zu taufen zum Zeugnis ihres Glaubens, ist der nächste Schritt.
  4. Erst dann folgt der Auftrag durch `gr. διδάσκοντεςdidaskontes – lehrend` alles von Jesus Christus Gebotene einzuhalten, zu bewahren – hier tritt die aktive Lehr- und Versorgungstätigkeit der Hirten und Lehrer in den Vordergrund. Es macht also Sinn, die Gläubiggewordenen zunächst mit den Inhalten der vier Evangelien vertraut zu machen. Ausgehend von den Berichten über das Leben und den Dienst bon Jesus, können all die Vorgeschichten der Bibel besser verstanden werden.
  5. Die Verheißung der beständigen, ununterbrochenen Gegenwart von Jesus (durch den Heiligen Geist und sein Wort.

Hätten wir nicht den Bericht des Lukas über die Himmelfahrt von Jesus vom Ölberg aus, könnte leicht der Eindruck entstehen, dass Jesus von diesem Berg in Galiläa zum Vater ging. Im nächsten Abschnitt wollen wir die Jünger mit Jesus zurück nach Jerusalem und anschließend auf den Ölberg begleiten.

Fragen / Aufgaben:

  1. Jesus hat das Treffen mit seinen Jüngern auf einem bestimmten Berg in Galiläa vorausgesagt. Was bedeutet dies?
  2. Warum überlieferte der Evangelist nicht den Namen des Berges?
  3. Warum sollte das Treffen auf einem Berg stattfinden?
  4. Erinnere dich an vorhergehende Bergerlebnisse der Jünger oder früherer Männer Gottes.
  5. Warum gab es unter den Anwesenden Zweifler?
  6. Wer wurde außer den Jüngern höchstwahrscheinlich zu diesem Treffen mit eingeladen?
  7. Was waren die Inhalte des Vermächtnisses von Jesus an seine Jünger?
  8. Wem gilt heute diese Herausforderung, dieser Auftrag?

Warum beschreibt Matthäus nicht wie Jesus in den Himmel aufgefahren ist?

12.15 Erneutes Treffen in Jerusalem – Abschied auf dem Ölberg

(Bibeltexte: Lk 24,48-50a; Apg 1,4-9)

Nach dem besonderen Bergtreffen in Galiläa, gingen die Jünger (sicher auf Anordnung von Jesus) wieder nach Jerusalem. Dort hielten sie sich in einem Haus auf. Dies wird indirekt durch die Formulierung in Lukas 24,50a: „Er (Jesus) führte sie aber hinaus bis nach Betanien.“, angedeutet. Das „hinaus“ meint wohl raus aus der Stadt Jerusalem. Desweiteren erfahren wir etwas über diesen Aufenthalt der Jünger in Jerusalem aus der Apostelgeschichte 1,13: „Und als sie (nach Jerusalem) hineinkamen, stiegen sie hinauf in das Obergemach des Hauses, wo sie sich aufzuhalten pflegten.“ Dieses Haus gehörte höchstwahrscheinlich einer wohlhabenden Familie, denn es war zweistöckig und großräumig. Auch während der Passahtage hielten sie sich dort auf (Joh 20,19.26). Vielleicht war es dasselbe Haus, in dem sie mit Jesus das letzte Passahmahl aßen. Auch jenes Haus war großräumig und zweistöckig (Mk 14,14; Lk 22,12).

Wir betrachten nun den Inhalt des Gesprächs von Jesus mit seinen Jüngern. Dieses Gespräch führte Jesus entweder in diesem Haus in Jerusalem oder auf dem Weg zum Ölberg. Jesus sagt seinen Jüngern über den verherrlichten Christus in der dritten Person:

(…) und sprach zu ihnen: So steht geschrieben, und so musste der Christus leiden und am dritten Tag auferstehen aus den Toten und in seinem Namen Buße zur Vergebung der Sünden gepredigt werden allen Nationen, anfangend von Jerusalem. Ihr seid Zeugen hiervon; und siehe, ich sende die Verheißung meines Vaters auf euch. Ihr aber, bleibt in der Stadt, bis ihr bekleidet werdet mit Kraft aus der Höhe! Er führte sie aber hinaus bis gegen Betanien und hob seine Hände auf und segnete sie.  (Lk 24,46-50a).

Ergänzend zu diesem Text schreibt der Evangelist Lukas in der Apostelgeschichte 1,4-8:

Und als er mit ihnen zusammen war, befahl er ihnen, Jerusalem nicht zu verlassen, sondern zu warten auf die Verheißung des Vaters, die ihr, so sprach er, von mir gehört habt; denn Johannes hat mit Wasser getauft, ihr aber sollt mit dem Heiligen Geist getauft werden nicht lange nach diesen Tagen. Die nun zusammengekommen waren, fragten ihn und sprachen: Herr, wirst du in dieser Zeit wieder aufrichten das Reich für Israel? Er sprach aber zu ihnen: Es gebührt euch nicht, Zeit oder Stunde zu wissen, die der Vater in seiner Macht bestimmt hat; aber ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch kommen wird, und werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an das Ende der Erde.

Die Texte sind voller wichtiger Aussagen und wir wollen diese im einzelnen betrachten.

  • Die Anordnung: „Jerusalem nicht zu verlassen“, hat Jesus erst jetzt, kurz vor seinem endgültigen Weggehen, sagen können, eben erst nach dem sie in Galiläa bereits waren.
  • Der Doppelbefehl – Jerusalem zunächst nicht zu verlassen, sondern zu warten auf die Erfüllung der Verheißung des Vaters. Es sollten also bis dahin keinerlei öffentlichen Aktionen unternommen werden. Die Sendung des Heiligen Geistes sollte nach den Worten von Jesus „nach nicht vielen Tagen“ erfolgen. Wie es sich dann herausstellte waren es genau zehn Tage nach der Himmelfahrt von Jesus.
  • Im Zusammenhang mit dem Kommen des Heiligen Geistes würde auch die von Johannes und Jesus vorausgesagte `Taufe mit dem Heiligen Geist` stattfinden (Mt 3,11; Mk 1,8; Lk 3,16; Joh 1,33; 14,16; 14;26; 15,26; 16,7; Lk 24,49). Es fällt auf, dass Gott zu bestimmten Zeitpunkten seine Heilsgeschichte offenbart, so geschah das Kommen des Heiligen Geistes am fünfzigsten Tag (Wochenfest – 3Mose 23,15-16) nach dem jüdischen Passah-Sabbat. Bei dem Wochenfest desselben Jahres fiel der fünfzigste Tag, wie auch bei der Auferstehung von Jesus, auf den ersten Tag der Woche (im Westen des Römischen Reiches war es der Sonntag).
  • Der Auftrag zur Verkündigung der „Buße (Sinneswandlung) zur (und) Vergebung der Sünden unter allen Nationen“, ist ähnlich wie auch bei Matthäus 28,19 und macht deutlich, dass Jesus sich an verschiedenen Orten wiederholte, bzw. Ähnliches gesagt hat.
  • Auf die Frage der Jünger nach der „Wiederherstellung (wiedereinsetzung) des Reiches für Israel“ gibt Jesus eine merkwürdige und rätselhafte Antwort. „Es ist nicht eure Sache zu wissen  (gr. χρόνους και καιρούςchronous kai kairous  – Zeitpunkte oder Zeitinhalte – wann und wie) welche der Vater in seiner Vollmacht bestimmt hat.“  Erinnern wir uns an Kleopas und seinen Freund aus Emmaus, welche ebenfalls in Jesus den (irdischen) Erlöser Israels sahen (Lk 24,21 – „Wir aber hofften, er sei es, der Israel erlösen werde“). Faktum ist, dass die zur Zeit von Jesus noch vorhandene Selbständigkeit (Autonomie) Israels bereits im Jahre 70 n. Chr. verloren ging. In den zurückliegenden etwa 18 Jahrhunderten hat Gott nichts zur Erlösung oder Wiederherstellung des Israelreiches unternommen. Der 1948 proklamierte Staat Israels, welcher bis heute eher friedlos um seine Existenz kämpfen muß, kann schwerlich der vollmächtigen Wirksamkeit des himmlischen Vaters zugeschrieben werden. Die gegenwärtige Staatsform ist keineswegs monarchisch, wie es dem alttestamentlichen Israel entsprechen würde, Auch ist diese Staatsform nicht geistlicher Natur. Nach der Aussage eines der bekanntesten jüdisch-messianischen Missionare unserer Zeit, ist das heutige Israel „ein Staat wie viele andere Staaten“. Ich teile aber den Wunsch vieler Christen, dass Gott eine geistliche Erweckung gäbe unter diesem Volk (Röm 9,1-5; 11,23-24: „Wenn sie nicht bleiben im Unglauben“).
  • Jesus lenkt aber den Blick und die Aufmerksamkeit seiner Jünger vielmehr auf die Ausstattung oder Ausrüstung mit der Kraft aus der Höhe und befähigt sie für die weltweite Evangelisation. Doch beginnen soll die Ausbreitung des Reiches Gottes (nicht Reich für Israel) in Jerusalem mit dem gläubigen Rest aus den Juden (Jes 10,22-23; Röm 9,27). Das ewige Reich, welches Gott dem David, bzw. seinem Nachkommen  verheißen hatte (2Sam 7,11-14a), das dann der Maria, bzw. deren Sohn durch den Engel Gabriel bestätigt wurde (Lk 1,31-33), hat mit Jesus begonnen. Die Jünger (12 – 120) haben es nach Pfingsten zunächst unter Juden in Jerusalem und Judäa verkündigt (Apg 2,16-8,2). Bereits nach kurzer Zeit breitete es sich in Samarien aus (Apg 8,4-25) und nach wenigen Jahren überschritten die Jünger die nationalen und kulturellen Grenzen des Judentums und verkündigten das Reicht Gottes den Nationen (Apg 9-12; 13-28). Es ist also müßig, die Frage der Jünger nach fast zweitausend Jahren wieder aufzuwerfen. Bis heute hat Jesus den Fokus von der Ausbreitung seines geistlichen Reiches nicht abgewendet (Joh 18,36 – mein Reich ist nicht von dieser Weltalso nicht physisch materieller oder nationaler Natur). Den größten Dienst, den wir Menschen jüdischer Abstammung erweisen können ist, an Jesus den Messias/Christus zu glauben und ihn sowohl den Juden als auch den übrigen Völkern zu verkündigen.

Der Abschied von Jesus mit seinen Jüngern ist von dem Evangelisten Lukas ziemlich genau lokalisiert worden. Der sogenannte Ölberg, genauer `Berg der Ölbäume` genannt, liegt östlich des Tempelberges in 816 Meter Höhe, dabei handelt es sich nicht um einen Berg mit einer Spitze oder Gipfel. Er bildet mit dem nördlich gelegenen Skopusberg (826  Meter hoch) eine Hügelkette in Nordsüdrichtung.

Zwischen dem Ölberg und der Ostmauer von Jerusalem verläuft das Kidrontal mit dem Bach Kidron (2Sam 15,23; Joh 18,1). Am Westhang des Ölberges wachsen noch heute in einem eingezäunten Garten (Getsemane) einige uralte Ölivenbäume..

Abbildung 11 Blick über über das Kidrontal zum Ölberg hin (Foto: April 1986).

In Richtung Osten fällt der Ölberg zunächst sanft ab. Unweit des Weges, der nach Jericho hinabführt, liegen die Dörfer Bethfage und Bethanien (Lk 19,29). Der Evangelist Lukas, der Augenzeugen befragte, macht zwei geographische Angaben für das letzte Treffen der Jünger mit Jesus. Er schreibt in Kapitel 24,50a: „Er (Jesus) führte sie aber hinaus bis nach Betanien.“ Das Dorf Bethanien befand sich knapp drei km entfernt von Jerusalem am Osthang des Ölberges. In der Apostelgeschichte 1,12 schreibt er: „Da kehrten sie (die Jünger) nach Jerusalem zurück von dem Berg, der Ölberg heißt und nahe bei Jerusalem liegt, einen Sabbatweg entfernt.“ Da die Angabe `Ölberg` ein größeres Gebiet umfasst, das Dorf Bethanien jedoch genau lokalisierbar ist in seinen Grenzen, können wir annehmen, dass das letzte Treffen mit dem Abschieds- und  Segnungsgottesdienstes am Ostabhang des Ölbergs in unmittelbarer Nähe des Dorfes Bethanien stattgefunden hatte. Mit den elf Jüngern waren noch viele andere dabei, die Jesus erneut von Galiläa nach Jerusalem begleiteten (Apg 1,13; 2,1-6). So waren sie zwar in der Nähe von Jerusalem, doch den Blicken der Jerusalemer Bürger entzogen, an einem Ort angekommen, in dem das größte Wunder-Zeiches vollbracht wurde – die Auferweckung des Lazarus (Joh 12,9). Hier fasst sich der Evangelist sehr kurz, es gibt keine lange Abschiedszeremonie. Alles was für die Jünger wichtig war, sagte Jesus in den letzten 40 Tagen. Alles was die Jünger noch wissen müssen, wird ihnen der Heilige Geist an Ort und Stelle mitteilen (Joh 14,26). Jesus hat seinen Dienst auf der Erde vollendet (Joh 17,4). In wenigen Augenblicken wird er dorthin zurückkehren, von wo er ausgegangen war (Joh 8,42; 16,28). Der Evangelist schreibt: „(Jesus) hob die Hände auf und segnete sie (die Jünger)“. Segnen heißt etwas gutes zusprechen – eine Verheißung, ein Zuspruch. Es kann sich um die Verheißung gehandelt haben aus Matthäus 28,20: „Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende“, oder der Wiederholung einer Verheißung aus den Abschiedsreden (Joh 14-17). Was für ein Abschied !

Fragen / Aufgaben:

  1. Was könnte der Grund gewesen sein, dass Jesus sich nach der Auferstehung an verschiedenen Orten gezeigt hatte?
  2. Wo hielten sich die Jünger zusammen mit Jesus auf, bevor sie hinüber zum Ölberg nach Bethanien gingen?
  3. Was war der Haptinhalt der Gespräche bei diesem Treffen in Jerusalem oder auf dem Weg zum Ölberg?
  4. Welche Verheißung wiederholt Jesus bei diesem Treffen?
  5. Warum fragen die Jünger den auferstandenen Jesus nach der Aufrichtung des Israelreiches? Warum beschäftigt sie dieses Thema?
  6. Wie antwortet Jesus auf ihre Frage, was nimmt er ihnen weg und was gibt er ihnen?
  7. Worauf lenkt Jesus den Blick und die Aufmerksamkeit seiner Jünger?
  8. Beachte die missiologischen Kreise. Wie kann deine Ortsgemeinde sie in ihrem Umfeld anwenden?
  9. Was bedeutet es für dein persönliches Leben in deinem Umfeld?
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Der Prozess vor Pontius Pilatus und vor Herodes Antipas

10.30 Der Prozess vor Pontius Pilatus und vor Herodes Antipas

(Bibeltext: Mt 27,1-30;  Mk 15,1-20;  Lk 23,1-25;  Joh 18,29-19,16)

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7. Kapitel: Jesu Wirken in Galiläa und Dekapolis

Kapitel 7: Jesu Wirken in Galiläa und Dekapolis

Einleitung

In den folgenden Abschnitten begleiten wir Jesus und seine Jünger nach Nazaret, in die Gegend um den See Genezaret, nach Tyrus und Sidon, in das Gebiet der Dekapolis, dann hoch in den Norden in das Stammesgebiet Dan nach Cäsarea Philippi, der Trachonitis der Tetrarchie des Herodes Philippus. Nachdem die Jünger von Jesus aus ihrer Missionstätigkeit zurückgekehrt waren, erkennt man eine Veränderung im Dienst von Jesus. Er meidet die Zentren, er hält sich mehr in unbewohnten Gegenden auf. Doch die Menschen suchen ihn auf, egal wohin er auch geht. Zeitlich gesehen, ist es wohl der längste Dienstabschnitt in Galiläa und Umgebung.

Abbildung 1 Von Gadara aus, dem heutigen Umm Qais, reicht der Blick weit über den nur zehn Kilometer weit entfernten See Genezaret in seiner vollen Ausdehnung. Links dahinter sieht man die Berge von Obergaliläa. Und direkt im Norden, östlich des Jordan war die Tetrarchie des Herodes Philippus. Im Vordergrund unterhalb der Anhöhe verläuft der Fluss Jarmuk. Dahinter rechts sieht man die Ausläufer der Golanhöhen, das ehemalige Gebiet der Dekapolis (Foto: 3. November 2014).

Jesus besucht Nazareth

(Mt 13,53-58; Mk 6,1-6a; Lk 4,16-30)

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6. Kapitel: Beziehung zum Vater

Kapitel 6: Beziehung zum Vater

Jesus am Teich Bethesda

(Joh 5,1-18)

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Kapitel 4: Die 1. Missionsreise

4.1. Vorbereitung auf die 1. Missionsreise

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Kapitel 3: Jerusalem – Tarsus – Antiochien – Jerusalem

3.1. Paulus bei der Gemeinde in Jerusalem

Als Paulus von Damaskus nach Jerusalem zurückkehrt, kann er nicht ahnen, dass sein Aufenthalt dort nur kurz sein wird. Er bemüht sich zunächst, Kontakt zu den Jüngern zu bekommen (Apg 9,26). Die früheren Versammlungsplätze sind ihm bekannt, doch wo immer er auch anklopft und sich als Jünger vorstellt, begegnen ihm Furcht und Misstrauen. Die Verfolgung hatte die Jünger Vorsicht gelehrt (Mt 10,17). In Damaskus dachte wohl niemand von den Jüngern an die Notwendigkeit eines Empfehlungsschreibens (Apg 18,27). Auch hatte Paulus zu diesem Zeitpunkt noch keine Mitarbeiter als Begleiter bei sich. Aber er gibt nicht auf. Schließlich trifft er auf Barnabas, einen Mann voll Glaubens und Heiligen Geistes (Apg 11,24). Barnabas war auf Zypern geboren und ist von seiner Abstammung her Levit. Seine Einstellung ist weitherzig, er wird „Sohn des Trostes“ genannt (Apg 4,36). Barnabas besitzt das Gespür, den Durchblick und den Mut, Paulus aufzunehmen (Apg 9,27a). Er kommt dem Wunsch des Paulus nach und brachte ihn zu den Aposteln (Apg 9,27b).

Aus Galater 1,18 erfahren wir jedoch von Paulus selbst, dass er lediglich mit Petrus intensive Gemeinschaft hatte und Jakobus, den Bruder des Herrn, sah. Paulus blieb fünfzehn Tage bei Petrus, das könnte heißen, er wohnte als Gast im gleichen Haus wie auch Petrus. Während Barnabas für Paulus die Brücke zur Gemeinde wurde, trug Petrus viel zu seiner Integration in die Gemeinde bei. Am Anfang ihres Kennenlernens stand mit Sicherheit die ausführliche Geschichte von Paulus‘ Begegnung mit Jesus sowie sein erstes Zeugnis in Damaskus (Apg 9,27). Von Petrus konnte Paulus sozusagen aus erster Hand vieles über das Leben und Wirken Jesu erfahren.Nachdem Paulus in der Gemeinde aufgenommen ist, drängt es ihn, den Namen Jesu in der Stadt zu bezeugen, in der er ihn ausrotten wollte: Und er ging mit ihnen aus und ein in Jerusalem und sprach freimütig im Namen des Herrn (Apg 9,28). Da er die griechische Sprache beherrschte, ist es leicht verständlich, dass er zu den Hellenisten sprach. Nach Apostelgeschichte 6,1 und 9,29 wurden als `Helenisten` Juden bezeichnet, die von der grichischen Kultur und Sprache sehr stark geprägt waren. Möglicherweise waren es Leute aus der Synagoge der Libertiner (…) und derer von Zilizien und Asien (Apg 6,9) mit denen auch Stephanus diskutierte, doch bei ihnen hat Paulus keinen Erfolg. Wahrscheinlich ist die Art seines Redens ein Streitgespräch (Apg 9,29) Er forderte seine Zuhörer heraus, so wie er es auch in Damaskus getan hatte. Die Reaktion ist ähnlich wie damals bei Stefanus: sie aber trachteten ihn umzubringen (Apg 9,29).

Es ist verständlich, dass Paulus sich Jerusalem gegenüber als `Schuldner` fühlt, aber der Herr will ihn an einem anderen Platz haben. Paulus will Klarheit in Bezug auf den weiteren Verlauf seines Lebens. Er tut das Richtige, indem er in den Tempel geht, um zu beten (Apg 22,18a). Für die Judenchristen war der Tempel noch längere Zeit nicht nur öffentlicher Versammlungsplatz, sondern nach wie vor Ort der Anbetung und Opferdarbringung (Apg 21,23).

3.2. Paulus wird nach Tarsus gesandt

Warum konnte Paulus nicht für längere Zeit in Jerusalem bleiben und wirken? Die Antwort finden wir in dem Auftrag, den er hier vom Herrn selbst empfangen hatte. In seiner Verteidigungsrede vor dem Volk Israel bei seinem letzten Jerusalembesuch im Jahre 59 n. Chr., erinnert er an diesen Auftrag: „Es geschah aber, als ich wieder nach Jerusalem kam und im Tempel betete, dass ich in Verzückung geriet und ihn sah. Da sprach er zu mir: Eile und mach dich schnell auf aus Jerusalem; denn dein Zeugnis von mir werden sie nicht annehmen“ (Apg 22,17-18). So erkennen wir, dass Gott die Geschichte des Paulus, seine Herkunft und auch sein Temperament berücksichtigt und ihm den vorgesehenen Dienstplatz zuteilt. Die Aufforderung, Jerusalem eilend und schnell zu verlassen, passt Paulus nicht besonders; er erhebt Einwände: „Und ich sprach: Herr, sie wissen doch, dass ich die, die an dich glaubten, gefangen nahm und in den Synagogen geißeln ließ.

 Und als das Blut des Stephanus, deines Zeugen, vergossen wurde, stand ich auch dabei und hatte Gefallen daran und bewachte denen die Kleider, die ihn töteten

(Apg 22,19-20). Doch der Herr bleibt dabei: „Geh hin, denn ich werde dich weit weg zu den Nationen senden“ (Apg 22,21). Auch die Gemeindeleiter in Jerusalem wissen die Entwicklungen richtig einzuschätzen. Paulus wird von den Brüdern hinab nach Cäsarea geleitet und mit dem Schiff nach Tarsus ausgesandt (Apg 9,30).

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Abbildung 14: Dieser Aquädukt war etwa 8 Kilometer lang und versorgte die Stadt Cäsaräa mit frischem Wasser aus dem Karmelgebirge (Foto: P. Schüle April 1986).

Auf diese Weise wirkt Gott immer wieder:

–  Er beauftragt und sendet aus.

–  Er bestätigt seinen Auftrag und seine Aussendung durch die vom Geiste Gottes erfüllte Gemeindeleitung.

–  Durch Bereitschaft und den Gehorsam  kommt der Plan Gottes zur Ausführung. „Danach kam ich in die Länder Syrien und Zilizien“ (Gal 1,21).

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Ein Zweimaster im östlichen Mittelmeer (Video: P.Schüle. April 2011).

Dem fünfzehntägigen Aufenthalt des Paulus in Jerusalem ist eine grundlegende Bedeutung zuzumessen. Auf dem Schiff nach Tarsus konnte Paulus ermutigt an die Zeit in Jerusalem zurückdenken. In Barnabas hatte er einen echten Freund gefunden. Die enge Gemeinschaft mit Petrus und anderen Leitern trug viel dazu bei, dass Paulus seinen Wirkungsplatz im Reiche Gottes finden konnte. So kehrt Paulus nach mehreren Jahren nach Tarsus zurück, in die Stadt, in der er geboren war und seine Kindheit verbracht hatte. Er war in eigener Kraft und eigener Gerechtigkeit ausgezogen, um für die väterlichen Überlieferungen zu kämpfen (Gal 1,14); als von Gott Begnadeter und Gerechtfertigter, als Diener des Evangeliums, kehrt er nun in seine Heimatstadt zurück (1Tim 1,12-14).

Was hat Paulus denn nun einige Jahre lang in Tarsus gemacht? Diese Frage würde uns sehr interessieren doch sie lässt sich nicht ganz befriedigend beantworten. Dass Paulus dort in Abgeschiedenheit und Stille einige Jahre lang lebte, ist jedoch unwahrscheinlich; dafür wäre Arabien allemal geeigneter gewesen. Die Stadt Tarsus mit ihrem pulsierenden Leben, dem Götzendienst unter den vielen Volksgruppen und der starren Gesetzlichkeit der Juden in den Synagogen war für Paulus eher eine Herausforderung zur Predigt des Evangeliums als zum einseitigen Rückzug in die Stille zur persönlichen Auferbauung. Es gibt einen direkten und einen indirekten Hinweis für die evangelistische Tätigkeit des Paulus während dieser Zeit:

1.  In Galater 1,21-24 gibt uns Paulus einen Einblick in sein Leben nach dem Besuch in Jerusalem: Darauf kam ich in die Gegenden von Syrien und Cilicien. Ich war aber den Gemeinden in Judäa, die in Christus sind, von Angesicht unbekannt. Sie hatten aber nur gehört: Der, der uns einst verfolgte, verkündigt jetzt den Glauben, den er einst zu vernichten suchte; und sie verherrlichten Gott um meinetwillen.

Hieraus kann man Folgendes schließen:

–  Paulus hielt sich nicht nur in Tarsus auf.

–  Er verkündigte die Frohe Botschaft.

–  Die Gläubigen in Judäa freuten sich über ihn und seine Arbeit und priesen Gott, obwohl sie ihn nicht persönlich kannten.

2.  In Apostelgeschichte 15,41 besucht Paulus zu Beginn seiner zweiten Missionsreise zusammen mit Silas die Gemeinden in Syrien und Zilizien, um sie zu stärken. An der Gründung dieser Gemeinden mögen auch andere beteiligt gewesen sein, aber warum nicht auch Paulus? Schließlich hatte er die gute Gewohnheit, Gemeinden immer wieder zu besuchen, die er gegründet hatte.

Eine weitere Begründung für seine evangelistische Tätigkeit in Zilizien wird durch die klare Beauftragung des Herrn in Jerusalem gegeben (Apg 22,21). Bei dieser Beauftragung und Aussendung wird nicht eindeutig gesagt, wann Paulus mit seinem Dienst unter den Heiden beginnen soll, doch warum nicht schon in seiner Geburtsstadt Tarsus und der Proinz Syien/Zilizien?

Man kann also annehmen, dass Paulus in jener Zeit in Tarsus wohnte, durch seinen Beruf als Zeltmacher seinen Lebensunterhalt verdiente und jede Möglichkeit nutzte, um das Evangelium in den Synagogen der Stadt und der Umgebung zu verkündigen.

3.3. Antiochien – eine Gemeinde entsteht

In der Zeit der Verfolgung in Jerusalem, die wegen Stephanus entstand, wurden die Gläubigen zerstreut und etliche von ihnen zogen bis nach Phönizien, Zypern und Antiochia (Apg 11,19).

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Antiochien am Orontes (heute Antakya in der Südosttürkei) war damals  Hauptstadt der römischen Provinz Syrien (Foto: P. Schüle  8. April 2011).

Einige Zyprioten und Kyrenäer redeten Gottes Wort in Antiochien auch zu den Hellenisten. Und des Herrn Hand war mit ihnen und eine große Zahl glaubte und bekehrte sich zum Herrn (Apg 11,19-21). Die Nachricht über diese Entwicklungen erreichte schließlich die Gemeinde in Jerusalem. Man wollte nicht nur Genaueres erfahren, sondern auch die Neuanfänge unterstützen (Apg 11,22). Die Jerusalemer Gemeindeleitung sandte Barnabas aus, dass er bis nach Antiochien gehen sollte (Apg 11,22b). Für diese Aufgabe war er der geeignete Mann. Er hatte weder familiäre Verpflichtungen (1Kor 9,5-6), noch war er an Haus und Hof gebunden (Apg 4,37). Seine geistlichen Qualitäten, die gedankliche Nähe nach Antiochien als Zypriot, seine griechischen Sprachkenntnisse, seine Erfahrung in der Gemeinde Jerusalem sowie seine Bereitschaft, Neuland zu betreten waren gute Voraussetzungen für diese Aufgabe.

Was die zeitliche Einordnung dieser Reise betrifft, so muss sie deutlich nach dem Paulusbesuch in Jerusalem stattgefunden haben. Der 1. Paulus-Besuch in Jerusalem war ca. 37 n.Chr., siehe Kap. 2.5. „Antiochien am Orontes (heute Antakia, Südosttürkei), um 300 v. Chr. von Seleukos I. Nikator gegründet. Ca. 25 km vom Meer entfernt befindet sich der Hafen Seleuzia. 64 v.Chr. von Pompeijus annektiert und zur Hauptstadt der röm. Provinz Syrien erklärt. Antiochien galt als drittgrößte Stadt im röm. Reich.“ Negev, Avraham. Archeologisches Lexikon, 1986.

Die Entfernung von Jerusalem bis Antiochien beträgt etwa fünfhundertfünfzig Kilometer. Auf dem Weg dorthin besuchte Barnabas wahrscheinlich die neu entstandenen Gemeinden in Phönizien mit den Städten Tyrus und Sydon, so dass seine Reise schon länger gedauert haben konnte. Die Wendung dass er hindurchzöge bis nach Antiochia (Apg 11,22b) würde die Annahme von Zwischenstopps in Phönizien begründen.

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Der Fluß Orontes floß durch die antike Stadt Antiochia (Foto: P. Schüle 8. April 2011).

Als Barnabas schließlich in Antiochien ankam und sah, was Gott durch seine Gnade bewirkt hatte, freute er sich (Apg 11,23). Sein Auftrag bestand also sowohl in der Bestandsaufnahme als auch in der Festigung der Gemeinde. Durch seinen Dienst wurden noch viel mehr Menschen gläubig (Apg 11,24). Die Arbeit weitete sich immer mehr aus und Barnabas erkannte seine Grenzen. Weder war er auf seine Karriere bedacht, die er in der Gemeinde machen konnte noch gibt sich zufrieden mit dem Erreichten. Barnabas sah den Bedarf der Gemeinde nach Unterweisung in der biblischen Lehre. Immer wieder erinnert er sich an Paulus. Diesen Mann wollte er nach Antiochien holen. So machte er sich auf den Weg nach Tarsus, um Paulus aufzusuchen und ihn nach Antiochien einzuladen (Apg 11,25f). Die Freude des Wiedersehens war mit Sicherheit groß. Die Freunde hatten sich viel zu erzählen, da seit ihrem Kennenlernen in Jerusalem inzwischen einige Jahre vergangen waren. Es ist gut vorstellbar, dass sich Paulus über die Einladung des Barnabas freute und sie gerne annahm. An der Seite eines Mannes zu arbeiten, der von Anfang an in der Jerusalemergemeinde dabei war, war für ich ein Privileg.

Paulus war ein Mann der Großstädte. Antiochien, eine Provinzhauptstadt mit einer aufblühenden Gemeinde, zog ihn an.[2]  Auf diese Weise würde er auch in den engeren Kreis der damaligen Gemeindeleitung einbezogen werden. Er bricht erneut seine Zelte ab und geht mit Barnabas in die etwa 225 km entfernte syrisch-kilikische Provinzhauptstadt. Die Wendung und als er ihn gefunden hatte, brachte er ihn nach Antiochia (Apg 11,26a), macht nicht nur deutlich, dass Barnabas die Regie führte, sondern dass Paulus bereit war, sich einbinden zu lassen, und anzuerkennen, dass Gott ihm seinen Weg auch durch die Brüder aufzeigen konnte. Die gesamte Suchaktion konnte viele Wochen in Anspruch genommen haben. In Antiochien angekommen, werden Barnabas und Paulus freudig aufgenommen. Für Paulus beginnt ein neuer Lebensabschnitt, der für seinen weiteren Dienst einen entscheidenden Eindruck hinterlassen wird. Die Gemeinde in Antiochien setzt sich aus verschiedenen Menschen zusammen. Da sind Juden, die aus einer festen Tradition kommen und aramäisch sprechen; Hellenisten, die der Herkunft nach zwar Juden sind, aber ihre Sprache und Lebensweise ist griechisch, sie sind viel weltoffener und toleranter. Und es sind auch recht bald Heiden (Nichtjuden) zum Glauben gekommen (Gal 2,12). Einen Teil der Bevölkerung in dieser Großstadt bildeten Sklaven. Man kann davon ausgehen, dass sich auch aus dieser Schicht viele zum Herrn bekehrten. Diese Menschen bilden nun eine Gemeinde. Hier erfüllt sich im Ansatz, was Jesus in Johannes 10,16 vorausgesagt hat: Und ich habe andere Schafe, die nicht aus diesem Hof (Schafgehege) sind, auch diese muß ich bringen, und sie werden meine Stimme hören; und es wird eine Herde, ein Hirte sein. An Barnabas und Paulus sehen wir, was gabenorientierte Gemeindearbeit bedeutet. Der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit besteht aus Lehre und Unterweisung (Apg 11,26b), und dies tun sie ein ganzes Jahr lang. Man kann sich sowohl Einzel- als auch Gruppen- und Gemeindeunterweisung vorstellen (vgl. Apg 20,20b). Hier führten Barnabas und Paulus aus, was Jesus seinen Jüngern aufgetragen hatte und lehrt sie alles zu bewahren, was ich euch geboten habe (Mt 28,20). Beiden wird bescheinigt, dass sie die Gabe der Prophetie und der Lehre hatten (Apg 13,1). So sind sie imstande, alttestamentliche Verheißungen richtig auf Jesus und das neu angebrochene Reich Gottes zu deuten und anzuwenden. Sicher waren Evangelisation und Seelsorge ebenfalls in ihrem Aufgabenbereich eingeschlossen. Auch andere Menschen arbeiteten mit ihnen, und so wuchs die Gemeinde. Es fällt hier auf, dass keine Wunder und Zeichen erwähnt sind, obwohl sie keineswegs ausgeschlossen sind. In ihrer Art ergänzen sich die beiden. Paulus ist sehr direkt in seiner Art; dies führt oft schnell zu zwei Fronten und zu Opposition (Apg 9,29). Barnabas kann den Weg vorbereiten, verbinden und ausgleichen. Außer Jesus selbst ist jeder Mensch einseitig, deswegen hat der Herr immer wieder seine Jünger in Zweierteams ausgesandt (Lk 10,1;  Mk 6,7). Dies ist ein wichtiges Prinzip sowohl im Gemeindebau, als auch in der Mission. Die Gemeinde muss in einem solchen Maße gewachsen und zu einem nicht übersehbaren Faktor in der Stadt geworden sein, dass man die Gläubigen mit dem Namen Christen belegte (Apg 11,26). Das kam wohl daher, dass sie so viel und öffentlich über Christus sprachen. Erst später wurde der Name Christen zur Selbstbezeichnung (1Petr 4,16).

 


[1] Der 1. Paulus-Besuch in Jerusalem war ca. 37 n.Chr., siehe Kap. 2.5.

[2] Antiochien am Orontes (heute Antakia, Südosttürkei), um 300 v. Chr. von Seleukos I. Nikator gegründet. Ca. 25 km vom Meer entfernt befindet sich der Hafen Seleuzia. 64 v.Chr. von Pompeijus annektiert und zur Hauptstadt der röm. Provinz Syrien erklärt. Antiochien galt als drittgrößte Stadt im röm. Reich. Negev, Avraham. Archeologisches Lexikon, 1986.

3.4. Paulus kehrt nach Jerusalem zurück

Das Leben und Wirken in der Gemeinde Antiochien war abwechslungsreich und die Gottesdienste vielseitig. Es gibt leider keinen Hinweis darauf, wo sich die Gläubigen versammelt haben.

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Die sogenannte Petrusgrotte oberhalb der Stadt Antiochia (Foto: P. Schüle 8. April 2011).

Das Innere der Petruskirche am Südhang von Antakya-Türkei (Antiochien) gelegen. Sie wird als eine der ältesten Versammlungsplätze der Christen in Antiochien vermutet. Die Grotte wurde im 5. Jh. zu einer Kirche ausgebaut. Heute finden dort zu bestimmten Anlässen Gottesdienste statt

Vermutlich wurden sie in den Synagogen nicht allzu lange geduldet. So werden wohl auch hier die Versammlungen in Häusern stattgefunden haben.

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Petruskirche in Antakya (Foto: P. Schüle 8. April 2011).

Mosaikfußboden in der

Eines Tages kommen einige prophetisch begabte Jünger aus Jerusalem nach Antiochien herab (Apg 11,27). Sicher werden sie freundlich aufgenommen und man freut sich, etwas Neues aus Judäa zu erfahren; allerdings hat einer der Jünger, Agabus, auch eine ernste und sorgenvolle prophetische Botschaft zu deuten (Apg 11,28). Über die ganze bewohnte Erde wird eine große Hungersnot kommen, wovon die Gläubigen in Judäa besonders betroffen sein werden. Der Begriff  `οικομενη – oikomene` kommt im NT sechzenmal vor (Mt 24,14;  Lk 2,1; 4,5; 21,26;  Apg 11,28; 17,6. 31; 19,27; 24,5;  Röm 10,18;  Hebr 1,6; 2,6;  Offb 3,10; 12,9; 16,14; 20,2) und hat meistens globale Bedeutung, in einigen Fällen wird der Begriff jedoch auch räumlich eingegrenzt verwendet. Römische Geschichtsschreiber bestätigen, dass es während der Regierungszeit des Kaisers Klaudius solche überregionale Dürreperioden und Hungersnöte gegeben hatte (Neudorfer: 1990, 249). Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich diese Hungersnöte damals auch über die Grenzen des römischen Reiches erstreckt haben, ähnlich wie in Offenbarung 3,10 angedeutet wird.

Diese Prophetie wird nicht einfach als Information aufgenommen, sondern löst eine gezielte Hilfsaktion bei den materiell besser gestellten Gläubigen in Antiochien aus. Dabei fallen drei Dinge auf:

  • Alle beteiligen sich (11,29),
  • alle geben gemäß ihres Vermögens (11,29),
  • die Motivation ist Dienst und Gemeinschaft (gr. διακονια und κοινονια – diakonia und koinonia) an denen, die bald große Not haben werden (vgl. Röm 15,27).

Das Geld wird nicht durch die Gäste aus Jerusalem nach Judäa übersandt, sondern durch Vertraute der Gemeinde in Antiochien, nämlich Barnabas und Saulus (Apg 11,30). Hier lässt sich ein Prinzip im Bereich Spenden und Opfergaben erkennen, nämlich, Transparenz, indem mehrere, unabhängige und verschiedene Personen einbezogen werden. Es heißt in diesem Text ausdrücklich: „das taten sie auch, indem sie es durch die Hand des Barnabas und Saulus an die Ältesten sandten“ (Apg 11,30). Es geht hier also in erster Linie um die Sendung des Geldes durch die genannten Personen, nicht um die Sendung von Personen.

Barnabas ist noch immer Abgesandter der Jerusalemer Gemeinde (Apg 11,22b); nun bietet sich ihm die Gelegenheit, nach Jerusalem zurückzukehren, um von der Entwicklung in Antiochien zu berichten. Paulus ist nicht in gleichem Maße wie Barnabas der Gemeinde in Jerusalem Rechenschaft schuldig; aber erstens ist er dessen engster Mitarbeiter und zweitens ist auch er von Jerusalem durch den Herrn und die Brüder ausgesandt worden (Apg 22,21; 9,30). Dies wird noch deutlicher in Apostelgeschichte 12,25a wo es heißt: „Barnabas aber und Saulus kehrten zurück nach Jerusalem, (gr. εις Ιερουσαλημ – eis Jerusalem) erfüllt habend den Dienst. Die Lesart `nach Jerusalem` gilt als die beste (Haubeck: 1997, 725). Der Formulierung: `kehrte (kehrten) zurück nach Jerusalem` begegnen wir noch an weiteren sechs Stellen bei Lukas: Lk 2,45;  24,33. 52;  Apg 1,12; 8,25; 13,13. Das `zurückkehren nach` (mit Akk.) einer Stadt, oder Region, wird noch durch weitere drei Stellen belegt (Lk 4,14;  Apg 14,21;  Gal 1,17). Dies führt zur Annahme, dass Barnabas und Saulus von Antiochien nach Jerusalem zurückgekehrt sind und nicht umgekehrt.

Sicher war das Überbringen des Geldes auch ein Dienst, aber im Kontext von Apostelgeschichte 11,22-12,25 überwiegt die eindeutige Aussendung des Barnabas nach Antiochien mit einem bestimmten Auftrag und die fast zwangsläufig daraus resultierende Rückkehr nach Jerusalem. Dass Barnabas hier an erster Stelle genannt wird, macht deutlich, dass er die Führung im Team hatte und Saulus/Paulus vorerst sein Begleiter war.

Doch auch für Paulus ist es eine willkommene Rückkehr nach Jerusalem, hat er doch damals diese Stadt nur ungern verlassen und inzwischen vieles erlebt, was er nun mitteilen will. Der Besuch in Jerusalem hat große Bedeutung. Zum einen können Barnabas und Paulus von der guten Entwicklung in Antiochien und anderen Städten berichten; die finanzielle Unterstützung aus Antiochien war ein spürbarer Beweis der Gemeinschaft unter den Gläubigen und somit eine Frucht des Evangeliums (Röm 15,27); zum anderen konnten sie in Bezug auf die weitere Missionsarbeit neue Vorschläge unterbreiten. Man kann also annehmen, dass die Gemeindeleitung in Jerusalem nach Überbringung des Geldes, Barnabas und Paulus erneut aussandte, um in Antiochien die Missionsarbeit fortzusetzen. Für Barnabas ist es eine Bestätigung, dass sein Arbeitsbereich nun außerhalb Jerusalems liegt. Für Paulus bedeutete dieser Besuch eine stärkere Einbindung in das Gesamtwerk der Gemeinde. Leider gibt es keine direkten Hinweise über Dauer und Inhalt ihres Jerusalemaufenthaltes, deswegen können wir hier nur mutmaßen. Die Anmerkung in Apostelgeschichte 12,25b „mitgenommen habend Johannes, mit Beinamen genannt Markus“ kann sich auf das erneute Verlassen Jerusalems beziehen; oder was wahrscheinlicher zu sein scheint, Markus war bereits bei der Inspektionsreise des Barnabas in Antiochien dabei und wurde nun von beiden auch wieder nach Jerusalem mitgenommen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Barnabas nicht allein nach Antiochien gegangen ist (Apg 11,22) ist sehr groß.

Gerade in diesen Zusammenhängen wird das Bemühen von Barnabas deutlich, mit viel Geduld neue Mitarbeiter für die Mission zu gewinnen.

Dieser Jerusalembesuch könnte im Jahr 44 n. Chr. gewesen sein, da die Ereignisse in Apostelgeschichte 12 (Verfolgung in Jerusalem durch Herodes Agrippa I, 37-44 n. Chr.) zwischen der Abreise von Antiochien und Ankunft in Jerusalem geschildert werden. Dieser Jerusalembesuch ist mit dem Besuch in Galater 2 nicht identisch, wie von einigen Kommentatoren angenommen wird (vgl. z.B. Tenney: 1997, 293 und Bradford: 1986, 127). Dagegen sprechen nicht nur zeitliche Gründe (siehe die Begründung in Kap. 2.5), sondern auch inhaltliche (Gal 2,5. 7-8). Zum Zeitpunkt des Jerusalembesuches von Galater 2 war die erste Missionsreise schon vorbei, bei diesem Jerusalembesuch stand sie noch bevor. Dass Lukas keine weiteren inhaltlichen Angaben zum Aufenthalt in Jerusalem macht, ist nicht verwunderlich, gibt es doch in seiner Berichterstattung immer wieder Lücken. Lukas konzentriert sich nun in seinem Bericht auf die neue Etappe der Ausbreitung des Evangeliums von Antiochien aus (Apg 13).

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Kapitel 2: Jerusalem – Damaskus – Jerusalem

2.1. Saulus begegnet Jesus vor Damaskus

 

Über die erste Begegnung des Saulus mit dem auferstandenen Herrn in der Nähe der Stadt Damaskus gibt es drei ausführliche Berichte in der Apostelgeschichte: Kapitel 9,3-9; 22,6-11; 26,12-18. Kurze Hinweise über seine Berufung finden wir in Apostelgeschichte 9,27; Galater 1,15; 1Korinther 15,8; 2Timotheus 1,11 und an anderen Stellen.

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Abbildung 7 Damaskus – die heutige Stadt erstreckt sich von West nach Ost auf einer Länge von etwa 24 Kilometer (Foto: P. Schüle 10. April 2011).

Die Verfolgung in Jerusalem und Umgebung hat sich wohl über mehrere Monate hingezogen. Dafür spricht zum einen der große Umfang der Verfolgung (Apg 8,1 „διογμος μεγας – große Verfolgung“ und zum anderen mussten viele Verfolgte erst in Damaskus angekommen sein, sich dort integriert und das Zeugnis von Jesus weitergegeben haben (Apg 8,4), bevor die Informationen über das Zunehmen der Nazoräer in Damaskus zurück nach Jerusalem gekommen sein konnten. Bis sich Saulus dann entschloss, nach Damaskus zu reisen, verging auch noch Zeit. Auch die Formulierung in Apg 9,1: „Saulus aber schnaubte immer noch Drohung und Mord gegen die Jünger des Herrn“, spricht für Kontinuität und zeitliche Ausdehnung der Verfolgungswelle in Jerusalem und Umgebung. Es ist also sehr wahrscheinlich, dass sich die Verfolgung über längere Zeit hingezogen hat. Nun muss es Saulus wohl aufgefallen sein, dass sein Vorgehen die Ausbreitung der neuen Lehre nicht verhinderte, sondern förderte. Hier werden seine Treue zum gesetzlichen Gottesdienst, sein eiserner Wille, sein fester Charakter sowie sein blinder Eifer für Gott deutlich (Joh 16,2; Röm 10,2). Paulus hörte, dass viele Gläubige nach Damaskus flohen und dort die neue Lehre verbreiteten.

Damaskus war eine bedeutende syrische Stadt, etwa 242 km von Jerusalem entfernt (6-8 Tagereise). Im Jahre 64 v. Chr. wurde sie der römischen Provinz Syrien einverleibt (Haubeck: 1997, 690f). Die Geschichte der Stadt reicht bis in die Frühzeit (1Mose 14). Sie hatte eine starke jüdische Bevölkerungsgruppe, die in mehreren Synagogengemeinden zusammengeschlossen war. Diese jüdischen Gemeinden betrieben ihrerseits eine starke Proselytenwerbung. Saulus ging es wohl in erster Linie um diejenigen des „neuen Weges“, die von Jerusalem flüchteten (Apg 26,11), also um Jerusalemer Bürger (Haubeck: 1997, 691). Obwohl die Juden in der Diaspora die Autorität des Hohenpriesters und Ältestenrates in Jerusalem anerkannten, ist es fraglich, ob die dort ansässigen Juden ohne Zustimmung der örtlichen Behörden gefesselt nach Jerusalem geführt werden durften. Auch Jesus wurde gefragt, aus welchem Herrschaftsgebiet er komme (Lk 23,7), und wurde entsprechend zu Herodes gesandt, der für juristische Angelegenheiten der galiläischen Bürger zuständig war.

Später taten sich in der Tat die Juden von Damaskus mit den Stadtbehörden zusammen, um Saulus zu fangen (vgl. Apg 9,23 mit 2Kor 11,32). In Apostelgeschichte 9,14 jedoch bezieht sich die Vollmacht zu fesseln auf alle, welche Jesu Namen anrufen. Zu der geplanten Verfolgung durch Saulus kam es jedoch nicht.

Es mag Saulus einige Überwindung gekostet haben, zu dem amtierenden Hohenpriester Kaiphas zu gehen, der zu der Partei der Sadduzäer gehörte. Lehrmäßig waren sich die Pharisäer und Sadduzäer nicht einig. Ja sogar weit voneinander entfernt; aber wie so oft in Fällen, in denen man einen gemeinsamen Feind hat, sieht man zeitweise über die internen Streitigkeiten hinweg. Die Initiative geht hier von Saulus aus. Und so bekommt er von dem Hohenpriester nicht nur die gewünschte Erlaubnis, sondern auch die erforderlichen Vollmachten in Form von beglaubigten Briefen an die Synagogen von Damaskus (Apg 9,2; 26,12). Dabei wurde die gesamte Aktion auch von anderen Oberpriestern und dem Ältestenrat unterstützt (Apg 22,5; 4,6). So bekommt Saulus wohl auch Begleitschutz durch die Tempelbehörde für die Ausführung seines Vorhabens und macht sich auf den Weg nach Damaskus.

Ludwig Schneller, der die palästinische und syrische Landschaft gut kannte, schreibt Anfang des 20. Jh.: „Acht Tage konnte diese Reise gedauert haben“ (Schneller: 1926, 32). Nach Apg 9,8b sind sie zu Fuß unterwegs – Bilder, die in der Pauluskirche in Damaskus zu sehen sind, nach denen Saulus bei der Erscheinung Jesu vom Pferd stürzt, sind durch die biblischen Texte nicht gedeckt. Wahrscheinlich ist Saulus zunächst entlang des Jordan und dann am See Genezaret über die Golan-Höhen, dann weiter über das biblische Edrej (heute Daraa) nach Damaskus gereist. Was mag in seinem Herzen vorgegangen sein, als er an den Wirkungsplätzen Jesu vorüber zog? Er wird wohl von den vielen Verhören, die er geführt hatte, mehr über Jesus erfahren haben, als ihm lieb war. Aber auch das mutige Erdulden und Ertragen von Schlägen und Misshandlungen seitens der Jünger Jesu, sprach eine deutliche Sprache. Woher nahmen sie die Kraft, für ihre Verfolger zu beten und sie zu segnen, anstatt sie zu verfluchen (Mt 5,44; Apg 7,60)? Reisen haben früher mehr als heute Gelegenheit zum Nachdenken geboten. Solch eine Reise konnte nicht nur wegen Gefahr durch Räuber gefährlich sein, sondern bot dem Reisenden je nach Jahreszeit Gelegenheit zum Nachdenken und sich der Natur zu erfreuen.

Das große und bedeutende Erlebnis des Saulus wird örtlich und zeitlich festgehalten. Von Süden her kommend, muss Damaskus in der Ebene des Barada-Flusses liegend, weit und gut sichtbar gewesen sein, d.h., nur noch einige Stunden entfernt (Apg 9,3; 22,6).

Die übernatürliche Begegnung mit Jesus geschah „mitten am Tag“ (Apg 26,13) oder „mittags“ (Apg 22,6), also zu einer Tageszeit, als die Sonne im Zenit stand und am hellsten leuchtete.

Es gibt wohl kaum einen aufmerksamen Bibelleser, der sich nicht mehr oder weniger an den zum Teil unterschiedlichen Texten, die das gleiche Ereignis beschreiben, gestoßen hätte. Mir geht es jedoch nicht darum, die Unterschiede hervorzuheben, sondern vielmehr die Gemeinsamkeiten, bzw. Ergänzungen zu unterstreichen, wenn auch eine Auseinandersetzung mit den scheinbar gegensätzlichen Aussagen nötig sein wird.

Dieter Hildebrand betont in seinem Buch Saulus-Paulus (1989, S. 69): „Nicht die Abweichungen verblüffen, sondern der Grad der Übereinstimmung in allen drei Texten.“ Hinzu kommt, dass Lukas in Kapitel 9 der Apostelgeschichte einen allgemeinen Bericht gibt, während er in den Kapiteln 22 und 26 Paulus selbst zu Wort kommen lässt, der wiederum dieses Erlebnis verschiedenen Personengruppen innerhalb seiner Verteidigungsreden erzählt (Apg 22,1; 26,1-2). Eine Aufstellung der Texte (zum Teil farblich unterschieden) in Form einer Tabelle gibt uns einen besseren Überblick über

  1. die wörtlichen und sinngemäßen Übereinstimmungen,
  2. die Ergänzungen und
  3. die scheinbaren Gegensätzlichkeiten (in rot/kursiv).

Statistisch gesehen sind von den etwa 450 Wörtern aller drei Texte

  • 38% wörtlich oder sinngemäß übereinstimmend,
  • 58% einander ergänzend
  • und nur ca. 4% einander scheinbar widersprechend.
Allgemeiner Bericht des LukasApg 9,3-9 Verteidigungsrede in JerusalemApg 22, 6-11 Verteidigungsrede in CäsareaApg 26,12-18
Als er aber hinzog, geschah es, daß er sich Damaskus nahte. Und plötzlich umstrahlte ihn ein Licht aus dem Himmel. Es geschah mir aber, als ich reiste und Damaskus nahte, daß um Mittag plötzlich aus dem Himmel ein helles Licht mich umstrahlte. Und als ich dabei mit Vollmacht und Erlaubnis von den Hohenpriestern nach Damaskus reiste, sah ich mitten am Tag, auf dem Weg, o König, vom Himmel her ein Licht, das den Glanz der Sonne übertraf, welches mich und die mit mir reisten umstrahlte.
Und er fiel auf die Erde und hörte eine Stimme, die zu ihm sprach: Und ich fiel zu Boden und hörte eine Stimme, die zu mir sprach: Als wir aber alle zur Erde niedergefallen waren, hörte ich eine Stimme in hebräischer Mundart zu mir sagen:
Saul, Saul, was verfolgst du mich? Saul, Saul, was verfolgst du mich? Saul, Saul, was verfolgst du mich? Es ist hart für dich, gegen den Stachel auszuschlagen!
Er aber sprach: Wer bist du, Herr? Ich aber antwortete: Wer bist du, Herr? Ich aber sprach: Wer bist du, Herr?
Er aber (sagte): Ich bin Jesus, den du verfolgst! Und er sprach zu mir: Ich bin Jesus, der Nazoräer,den du verfolgst. Der Herr aber sprach:Ich bin Jesus, den du verfolgst.
Die aber bei mir waren, sahen zwar das Licht, aber die Stimme dessen, der mit mir redete, hörten sie nicht.
Ich sagte aber: Was soll ich tun, Herr? Der Herr aber sprach zu mir:
Doch steh auf und geh in die Stadt und es wird dir gesagt werden, was du tun sollst. Steh auf und geh nach Damaskus und dort wird dir von allem gesagt werden, was dir zu tun verordnet ist. Aber richte dich auf und stell dich auf deine Füße, denn hierzu bin ich dir erschienen, dich zu einem Diener und Zeugen dessen zu verordnen, was du gesehen hast, wie auch dessen, worin ich dir erscheinen werde. Ich werde dich herausnehmen aus dem Volk und den Nationen, zu denen ich dich sende ihre Augen aufzutun, daß sie sich bekehren von der Finsternis zum Licht und von der Macht des Satans zu Gott, damit sie Vergebung der Sünden empfangen und ein Erbe unter denen, die durch den Glauben an mich geheiligt sind.
Die Männer aber, die mit ihm des Weges zogen, standen sprachlos, dasie wohl die Stimme hörten, aber niemand sahen.
Saulus aber richtete sich auf von der Erde. Als sich aber seine Augen öffneten, sah er nichts. Und sie leiteten ihn bei der Hand und führten ihn nach Damaskus. Da ich aber von der Herrlichkeit jenes Lichtes nicht sehen konnte, wurde ich von denen, die bei mir waren, an der Hand geleitet und kam nach Damaskus.
Und er konnte drei Tage nicht sehen und aß und trank nicht.
  • Bei der zentralen Aussage Saul, Saul, was verfolgst Du mich? und der Gegenfrage „Wer bist Du, Herr?“ gab es wohl keinen Anlass, bei den unterschiedlichen Gelegenheiten verschiedene Begriffe zu gebrauchen.
  • Bei der zweiten Aussage „Ich bin Jesus, den Du verfolgst“ fügt Paulus noch die Herkunftsbezeichnung „Nazoräer“ Vor dem Volk Israel (Apg 22,8) zitiert Paulus die volle Antwort Jesu, weil dies für die Juden wichtig war. Es geht um Jesus, den Nazoräer (Apg 4,10 und Joh 19,19).
  • Die zweite Frage des Paulus, „Was soll ich tun, Herr?“, ist im Zusammenhang mit der Verteidigungsrede in Jerusalem wichtig. Bis dahin hatte Paulus einen anderen Auftraggeber gehabt, den er fragen musste. Die Antwort Jesu auf diese Frage wird von Paulus in unterschiedlichem Umfang wiedergegeben. Die Antwort Jesu, die Berufung und Auftrag einschließt, fügt Paulus in seine Verteidigungsrede vor dem König Agrippa ein und nutzt damit die Gelegenheit zur Evangelisation (Apg 26,29) und zur Begründung seines Gehorsams gegenüber seinem neuen Dienst-Herrn (Apg 26,19).

Während wir beim Inhalt dieses Zwiegesprächs allein auf Saulus als Zeugen angewiesen sind, müssen wir feststellen, dass er nicht genau mitbekam, was mit seinen Begleitern geschah, bzw. wie sie die Vorfalle erlebten. Auch ist im Zwiegespräch, welches primäre Bedeutung hat, ein klares und eindeutiges Konzept zu sehen: Klare Aussagen von Jesus, logische Fragen von Saulus, wiederum für Saulus verständliche Antworten von Jesus. Der Rahmen jedoch, in dem die Botschaft übermittelt wird, enthält viele übernatürliche Elemente, die zum Teil auch unterschiedlich wahrgenommen werden. Daher ist es verständlich, wenn ergänzende oder sogar gegensätzliche Aussagen gemacht werden. Es ist auch leicht nachvollziehbar, dass es auf dem Restweg nach Damaskus zwischen Saulus und seinen Begleitern zum Austausch gekommen ist, wobei nicht unbedingt ein einheitliches Bild von den Begleitumständen des Ereignisses entstand. Ein übernatürliches Ereignis wird in der Regel subjektiv wahrgenommen.

a) Die Wahrnehmung durch Sehen:

  • Ein helles Licht umstrahlt plötzlich Saulus und seine Begleiter (Apg 26,13).
  • Saulus wird so stark geblendet, dass er eine Zeitlang (3 Tage) nicht sehen kann (Apg 22,11).
  • Die Begleiter sehen zwar das Licht, werden aber nicht geblendet (Apg 22,9).
  • Die Begleiter sehen niemand, d. h. keine Gestalt (Apg 9,7).
  • Saulus sieht (auch ohne natürliches Sehvermögen) den Herrn (Apg 26,16; 9,17b; 9,27; 1Kor 15,8).

b) Zu Wer fiel zu Boden?

  • Saulus und seine Begleiter fallen zur Erde/Boden (Apg 26,14).
  • Die Begleiter stehen irgendwann auf und sind sprachlos (Apg 9,7). (Wir vergleichen dazu Johannes 18,18 mit Markus 14,54 und die klärenden Details in Markus 14,68b-70. Johannes beschreibt Petrus stehend am Feuer mit den Dienern. Markus beschreibt Petrus als sitzend am Feuer mit den Dienern. Was nun, steht Petrus oder sitzt er? Er tur beides, aber nicht gleichzeitig. Markus beschreibt Petrus, wie er aufsteht, in den Vorhof des Palastes hinausgeht und sich zu den anderen Dienern dazustellt).
  • Saulus wird am Ende der Unterredung vom Herrn ausdrücklich aufgefordert aufzustehen (Apg 22,10). Die Begleiter standen schon vorher unaufgefordert auf.

c) Die Wahrnehmung durch Hören:

  • Saulus hörte eine Stimme (Apg 22,7). Diese Stimme ist ausdrücklich an ihn gerichtet (Apg 26,14).
  • Die Stimme geschah im hebräischen Dialekt (Apg 26,14).
  • Saulus konnte die Worte verstehen (Apg 22,10a).
  • Dass die Begleiter nicht mithören/verstehen konnten, was zu Saulus gesagt wurde (Apg 22,9), hat er wohl erst im Nachgespräch erfahren. Die Aussage in Apostelgeschichte 9,7, „sie hörten zwardie Stimme, sahen aber niemand“, betont die Einschränkung der Begleiter nicht nur im Sehen, sondern auch im Hören. (Für dieses Hören und doch nicht Hören/verstehen gibt es auch ein Beispiel in Johannes 12,28-29. Auch dort wurde die himmlische Stimme von den Dabeistehenden unterschiedlich wahrgenommen. Ein Teil des Volkes nehmen Donnergeräusch wahr, ein anderer Teil meint Engel reden zu hören. Wenn diese Stimme auch um der Menschen Willen geschah, wurde sie von ihnen doch nicht einheitlich wargenommen und schon gar nicht verstanden. Für das Volk war es ein Zeichen vom Himmel, nur Jesus verstand, was der Vater sagte).

Ergebnis: Lukas, der in einer Vielzahl von Details so präzise Angaben und Aussagen macht, wird sich doch an dieser Stelle nicht selbst widersprochen haben. Ich nehme an, dass der Heilige Geist den Lukas so geführt hat, dass er die scheinbar gegensätzlichen Aussagen nicht ausbügelte; vielmehr wird gerade dadurch das begrenzte und unterschiedliche Fassungsvermögen des Menschen zum Ausdruck gebracht, das sich zeigt, wenn er mit der himmlischen Welt konfrontiert wird.

In wenigen Minuten ist die mit viel Fleiß und Arbeit mühsam aufgebaute Lebenswelt des Saulus zusammengebrochen. Was er gesehen und gehört hatte, war so real, dass es sein Leben lang nie Zweifel gab, was den Glauben an Jesus betraf (2Tim 4,7). Doch so gewaltig dieses Erlebnis und so ehrlich das Fragen des Saulus auch war, Bekehrung kann man dieses Erlebnis noch nicht nennen.

Da Saulus auf Grund der Klarheit des Lichtes nichts sehen kann, wird er an der Hand geleitet und nach Damaskus gebracht (Apg 9,8b).

2. 2. Bekehrung des Saulus in Damaskus

Als Saulus am späten Nachmittag in die alte syrische Stadt Damaskus einzieht, ist die Stimme des Herrn immer noch in seinen Ohren. Es ist möglich, dass er an die Geschichten des Alten Testamentes dachte, in denen Damaskus eine nicht geringe Rolle gespielt hat (1Mose 14,15; 15,2; 2Sam 8,5; 1Kön 19,15; 2Kön 5,12; 8,7-9). Nun zieht er selber in diese Stadt ein. Doch er kann sich an dem pulsierenden Leben der Menschen nicht erfreuen, er sieht nichts. Momentan war er geistlich gesehen im Niemandsland. Zu seinem alten Leben würde er niemals mehr zurückkehren können, aber die Zukunft war noch nicht bestimmt.

Jesu Weisung war klar und eindeutig: „geh nach Damaskus, und dort wird dir von allem gesagt werden, was dir zu tun verordnet ist“ (Apg 22,10b). Saulus wird bei einem Juden namens Judas untergebracht. Dieser Jude wohnt in der „geraden“ Gasse. (Das griechische Wort „ευθεος heißt „sofort“, es wird in diesem Zusammenhang jedoch mit „gerade“, im Gegensatz zu „krumm“ übersetzt). Der Ausdruck „und er konnte drei Tage nicht sehen“ (Apg 9,9), kann nach hebräischem Verständnis bedeuten, dass er schon am übernächsten (also am dritten) Tag von Ananias besucht wurde. Saulus war es in dieser Zeit nicht nach Essen und Trinken zu Mute, Viele Fragen beschäftigten ihn jetzt. Bilder aus der jüngsten Verfolgungszeit, die Pläne, hier in Damaskus reiche Beute zu machen, quälten ihn in seinem Gewissen. Wie konnte er das, was er angerichtet hatte, wieder gutmachen? Doch nun tut er das einzig Richtige in dieser Situation: er betete (Apg 9,11), und der Herr zeigte ihm in einem Gesicht den Ananias (Apg 9,12), der dann zu ihm kam, ihm die Hände auflegte und Weisungen erteilte.

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Abbildung 8 Ananias legt Saulus die Hände auf und überbringt an ihn den Auftrag des Herrb. Eine Skulptur in der Ananiaskapelle in der Altstadt von Damaskus (Foto: P. Schüle 11. April 2011).

Dieser Ananias war gottesfürchtig nach dem Gesetz, hatte ein gutes Zeugnis bei den Juden in Damaskus (Apg 22,12) und war ein Jünger Jesu (Apg 9,10.13). Was Saulus dann am dritten Tag erlebte, lässt sich aus den zwei Texten der Apostelgeschichte 9,17-19 und 22,13-16 rekonstruieren:

  • Durch Handauflegung und Zuspruch des Ananias wird Saulus wieder sehend (Apg 22,16b).
  • Der Auftrag an Saulus wird wiederholt bzw. ergänzt (Apg 22,14-15).
  • Durch Anrufung des Namens Jesu erlangt Saulus Sündenvergebung (Apg 22,16 b).
  • Er lässt sich taufen (Apg 22,16b).
  • Er wird durch erneute Handauflegung durch Ananias, mit dem Heiligem Geist erfüllt (Apg 9,17).
  • Er nimmt Speise zu sich und kommt wieder zu Kräften (Apg 9,19).

Ananias legt Saulus die Hände auf und überbringt an ihn den Auftrag des Herrb. Eine Skulptur in der Ananiaskapelle in der Altstadt von Damaskus (Foto: am 11. April 2011).

Sicher war das, was Saulus vor Damaskus erlebte, mehr als nur ein geistliches Wachrütteln, aber die Bekehrung zu Christus durch die Sündenvergebung, Taufe und die darauf folgende Erfüllung mit dem Heiligen Geist, hat er erst in Damaskus erlebt. Die Aufforderung des Ananias in Apostelgeschichte 22,16 „Und nun, was zögerst du, steh auf, lass dich taufen und abwaschen deine Sünden indem du den Namen des Herrn anrufst“, spricht ebenfalls für die Umkehr des Saulus in Damaskus und nicht schon bei der ersten Begegnung vor Damaskus. Das alte Gebäude seines Lebens war völlig eingestürzt. Nun wurde ein neues, tragfähiges Fundament gelegt – Christus, seine Gnade, seine Vergebung und seine Gerechtigkeit. Auf diesem Fundament begann er nun aufzubauen.

2.3. Paulus bezeugt Jesus Christus in Damaskus

Der Text, der vom ersten Zeugnis des Saulus in Damaskus berichtet, ist sehr kurz, dafür aber voller wichtiger und interessanter Aussagen. Saulus geht nicht zu den örtlichen Synagogenleitern, um Grüße aus Jerusalem zu überbringen oder gar sich zu rechtfertigen für seine veränderte Einstellung gegenüber der neuen Bewegung, deretwegen er nach Damaskus kam. In Apostelgeschichte 9,19b wird deutlich gesagt, wo er sich nun aufhält, nämlich bei den Jüngern in Damaskus, d.h., bei denen, die er verfolgen, fesseln und nach Jerusalem bringen wollte.

Welch ein Triumph der Gnade Gottes. Die Jünger in Damaskus konnten es kaum fassen, doch sie sahen mit ihren eigenen Augen die Veränderung im Leben dieses Mannes. Sie hörten immer wieder von seiner Begegnung mit dem Auferstandenen vor Damaskus. Der von allen anerkannte und glaubwürdige Zeuge Ananias bestätigte die Echtheit der Bekehrung des Saulus. Hier bei den Jüngern fand er herzliche Aufnahme und Zuspruch, Einige Tage war Saulus bei den Jüngern und sofort am folgenden Sabbat wollte er öffentlich Zeugnis geben von seiner Begegnung mit Jesus.

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Abbildung 9: Der Haupteingang zur Pauluskirche in der Altstadt von Damaskus (Foto: P. Schüle 11. April 2011 ).

Er nutzte also die nächstmögliche Gelegenheit, um in den Synagogen der Stadt von Jesus zu predigen. Da es in Damaskus mehrere Synagogen gab, ist anzunehmen, dass er mindestens Wochen, wenn nicht sogar Monate dort verbrachte. Der Kern seiner Predigt war: „Jesus ist der Sohn Gottes“ (Apg 9,20) und „Jesus ist der Messias“ (Apg 9,22b). Auf dieser Grundlage predigte er das „Umdenken und die Hinwendung(Bekehrung)zu Gott, um des Umdenkens würdige Werke zu tun“ (Apg 26,20). Diese für ihn neue Glaubensgrundlage hat er durch die Offenbarung Jesu bekommen (Gal 1,12). Dass Gott seine gute Kenntnisse des Alten Testaments mitbenutzte, ist ohne Zweifel. Jedoch die Erkenntnis „Jesus ist der Messias und der Sohn Gottes“, kann einem Menschen nur durch göttliche Offenbarung zuteil werden (Mt 16,17; Lk 24,45).

Ausdrücklich betont Paulus in der Apostelgeschichte 26,20, dass er zuerst in Damaskus gepredigt hatte. Die Reaktion auf seine Predigt ist ebenso verblüffend wie auch verständlich. Es gibt keinen Hinweis auf Massenbekehrungen, obwohl sie gar nicht ausgeschlossen sind. Deutlich betont wird jedoch die Bestürzung der Juden über den plötzlichen Frontwechsel bei diesem Mann aus Tarsus und Bevollmächtigten aus Jerusalem(Apg 9,21). Es entsteht der Eindruck, dass Saulus in Damaskus unter den Juden nicht so sehr warmherzig und werbend das Evangelium verkündete, sondern sie mehr durch massive Schriftbeweise zur radikalen Umkehr herausforderte. Dies entspräche ganz seinem Temperament. So wie eine Feder, die bis ans Äußerste ihrer Spannungsmöglichkeit auseinander gezogen und dann plötzlich losgelassen wird, in die Gegenrichtung schnellt, so mag es auch aus Saulus, der sofort alle überzeugen wollte, hervor gesprudelt haben.

Es ist nicht deutlich, wo im Lukanischen Bericht die sogenannte „Arabienlücke“ zu suchen ist, zwischen Apostelgeschichte 9,21 und 22 oder 9,22 und 23; beides wäre möglich. Falls Saulus bei seiner Rückkehr aus Arabien auch seinen Predigtstil geändert hat, der Inhalt blieb mit Sicherheit der gleiche. Eindeutig muss jedoch der Vers 23 in Kapitel 9 dem zweiten Damaskusaufenthalt zugeordnet werden. Ein Anschlag auf Saulus zum Ende des ersten Aufenthaltes in Damaskus scheint fraglich, da sonst seine erneute Rückkehr trotz Todesgefahr unverständlich wäre.

2.4. Paulus reist nach Arabien

Lediglich ein paar Worte werden zu dieser Arabienreise gesagt. Den Galatern schreibt Paulus (Gal 1,17): „ich ging sogleich (gr. ευθεος) fort nach Arabien und kehrte wieder  nach Damaskus zurück.“ Es gibt keine detaillierten Angaben über das Ziel, die Dauer und den Grund der Reise. Deshalb gilt auch hier die Feststellung: je weniger Informationen, desto mehr Spekulationen sind im Umlauf. Trotzdem ist es sinnvoll, darüber nachzudenken und einige Überlegungen anzustellen.

 

a) Geographische Einordnung von Arabien

 

Arabien ist von dem Hebräischen `Arabah` (Wüste), abgeleitet. Schaut man auf Karten des Orients, so lässt sich dieses Gebiet im Süden gut in die Arabische Halbinsel einordnen, im Norden rechnete man zum Zeitpunkt der Arabienreise des Saulus das Nabatäerreich mit der Hauptstadt Petra, unter deren Verwaltung auch Damaskus stand (2Kor 11,32).

In dem Gebiet des nördlichen Arabien wird sich Saulus aller Wahrscheinlichkeit nach aufgehalten haben. Wenn Jesus dem Saulus oft innerhalb weniger Tage konkrete Weisungen gegeben hat (Apg 22,10; 9,12), dann wird er das Weggehen von Damaskus nach Arabien kaum auf eigene Faust unternommen haben.

 

b) Dauer des Arabienaufenthalts

 

Auch über die Dauer des Arabienaufenthaltes kann man nur Vermutungen anstellen. Man kann nicht aufgrund fehlender biblischer Informationen sagen, der Aufenthalt dort wäre kurz gewesen. Allerdings kann er auch keine drei Jahre gedauert haben. Nach Galater 1,18 betrug die gesamte Zeitspanne zwischen Bekehrung und dem ersten Jerusalembesuch schon drei Jahre (siehe auch die Erklärung in Kap. 2.6.). Wenn man die Wirksamkeit des Apostels in Damaskus vor und nach Arabien genauer analysiert, könnte der Arabienaufenthalt durchaus (ein Jahr?) gedauert haben. Sein Beruf als Zeltmacher könnte ihm dort gut zustatten gekommen sein.

 

c) Mögliche Gründe für den Arabienaufenthalt

 

Auch zu den Günden der Reise macht Paulus keinerlei Angaben. Aus der Aussage in Galater 1,17 „ich ging weg“ geht jedoch hervor, dass er Damaskus nicht fluchtartig verlassen hat, sondern wohlüberlegt und geplant. Nach stürmischen Wochen oder Monaten angefüllt mit der Verkündigung des Evangeliums, sowie der Beweisführung aus dem Alten Testament brachte Saulus die Juden in Verwirrung (Apg 9,22), so dass sich bald eine Gegenoffensive anbahnte. Ein Rückzug in die Stille wäre genauso verständlich wie auch neutestamentlich begründet. Nicht ausgeschlossen ist auch ein missionarischer Vorstoß in die arabischen Gebiete (Apg 26,17), wo es ja auch Juden gab (Apg 2,11). Dass Paulus in seiner Rede an den König Agrippa von seinem Zeugnis in Damaskus und Jerusalem spricht, Arabien aber nicht erwähnt, ist noch kein Beleg dafür, dass er nicht auch in Arabien gepredigt hat. Kann sich jemand den Paulus als Schweigenden vorstellen? Aber aus der Gesamtperspektive seines Lebensdienstes gesehen, waren jene Gebiete nicht sein Missionsfeld

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Abbildung 10: Ein Berg aus schwarzem Basalt im Wadi Rum in Südjordanien, unweit der Grenze zu Saudiarabien. Schon zur Zeit des Alten Testamentes suchten die Propheten die Stille und Einsamkeit in der Wüste (Foto: P. Schüle  6. November 2014).

In Galater 4,25 lokalisiert Paulus den Berg Sinai als „in Arabien“ befindlich. Er wusste also wo sich der Berg Sinai befand. War er vielleicht dorthin gereist zum bedeutenden Ort des Bundesschlusses zwischen Gott und dem Volk Israel? Aufgrund der Erklärung und Deutung des Zusammenhangs zwischen Hagar und Sinai in Galater 4,24ff könnte man sein Interesse am Berg Sinai in Arabien teilweise ableiten. Die Tatsache, dass gerade er im Galaterbrief zweimal Arabien nennt, lässt darauf schließen, dass ihm Arabien als Gebiet mit seiner historischen/theologischen Relevanz nicht gleichgültig war (2Mose 3,1-4Mose 10,13,; 1Kön 19,1-16). Obwohl Arabien `Wüste` und Araber ` Wüsten- oder Steppenbewohner` bedeutet, gab es dort seit uralten Zeiten auch Städte mit Hochkulturen und erfolgreichem Wirtschafts- und Handelsleben. Da zur Zeit des Saulus Arabien nicht nur die Arabische Halbinsel einschloss, sondern auch die Syrische Wüste südöstlich von Damaskus, ebenso die Gebiete des ehemaligen Moab und Edom, könnte sein Interesse auch diesen letzteren Gebieten gegolten haben, war doch das Ostjordanland eng mit der Geschichte seines Volkes verbunden.

 

 

2.5. Erneuter Aufenthalt in Damaskus und Flucht

 

Paulus folgte lebenslang dem Grundsatz, Missionsgebiete, in denen er das Evangelium verkündigte, immer wieder aufzusuchen und die dort gewonnenen Gläubigen zu stärken. Vorerst zog es ihn nicht nach Jerusalem, sondern zurück nach Damaskus, wo er sich zum Herrn bekehrte und wo er so herzliche Aufnahme bei den Jüngern gefunden hatte, dorthin, wo er seine ersten Schritte im Glauben machen konnte.

In Damaskus gab es eine funktionierende Gemeinde; es gab viele Juden und mehrere Synagogen. Die Stadt war ein Knotenpunkt für den ost-west und süd-nord Handel, eine Karawanenstadt am östlichen Rand des riesigen römischen Reiches.

Wenn Paulus noch später auf seinen Missionsreisen immer wieder sein Handwerk als Zeltmacher nutzte, um für sich und oft auch für seine Mitarbeiter das tägliche Brot zu verdienen (Apg 20,33) dann wird er auch sicherlich hier in Damaskus gearbeitet haben; die Stadt war auch für ihre Webereien bekannt.

An den Sabbaten wurde jede Gelegenheit genutzt, um das Evangelium zu predigen. Noch predigte Saulus den Juden oder auch den Proselyten, von denen es in Damaskus viele gab. Proselyten waren Heiden, die durch Beschneidung und Taufe in die jüdische . Gemeinschaft aufgenommen wurden. Er muss Erfolg gehabt haben, so dass sich schon bald wieder eine starke Opposition von Seiten der Juden gegen ihn formierte.

Im Text der Apostelgeschichte 9,23 lesen wir: „als sich aber viele Tage erfüllten, beschlossen die Juden ihn umzubringen“. Diese unbestimmte Zeitangabe lässt nicht nur auf Wochen, sondern auch auf einige Monate der Wirksamkeit des Apostels schließen.

Eindeutig geht der Beschluss, Saulus umzubringen, auf die Juden zurück (Apg 9,23b). Aber so viele Juden es auch in Damaskus gab, und so selbständig sie in einer für sie fremden Stadt in den Synagogenverbänden ihre Religion auch ausüben konnten, an einen römischen Bürger aus einer freien Stadt wie Tarsus, die sich dazu unter römischer Oberhoheit befand, konnten sie nicht so einfach herankommen. Lukas berichtet hier nicht vollständig, und es ist gut, dass wir von Paulus in 2Korinther 11,32 ergänzende und dazu noch geschichtlich wichtige Aussagen haben, dank derer wir die Flucht aus Damaskus zeitlich ziemlich genau einordnen können.

Damaskus wurde zwar schon 64 v. Chr. der römischen Provinz Syrien einverleibt, aber unter der Herrschaft Caligulas (37-41 n. Chr.) kam Damaskus für kurze Zeit unter die Oberhoheit des Nabatäerkönigs Aretas IV., der von 9 v. Chr. bis 39 n. Chr. regierte. Aretas ließ die Stadt Damaskus durch einen Statthalter, wörtlich: `έτναρχ – Volksfürst` (2Kor 11,32) verwalten.

2.5. Des Paulus erneuter Aufenthalt in Damaskus und Flucht

Paulus folgte lebenslang dem Grundsatz, Missionsgebiete, in denen er das Evangelium verkündigte, immer wieder aufzusuchen und die dort gewonnenen Gläubigen zu stärken. Vorerst zog es ihn nicht nach Jerusalem, sondern zurück nach Damaskus, wo er sich zum Herrn bekehrt hatte und wo er so herzliche Aufnahme bei den Jüngern gefunden hatte, dorthin, wo er seine ersten Schritte im Glauben machen konnte.

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Abbildung 12: Ein Teil der alten Stadtmauer von Damaskus, an der die frühere Bau- und Wohnweise erkennbar ist. Die Eingänge zu den Häusern und Wohnungen in der Stadtmauer sind nur von innen möglich, doch solch eine Fensteröffnung nach draußen ist eine ideale Möglichkeit, um in einem Tragekorb an einem Seil die Flucht unauffällig möglich zu machen (Foto:  11. April 2011).

In Damaskus gab es eine funktionierende Gemeinde; es gab viele Juden und mehrere Synagogen. Die Stadt war ein Knotenpunkt für den ost-west und süd-nord Handel, eine Karawanenstadt am östlichen Rand des riesigen römischen Reiches.

Wenn Paulus noch später auf seinen Missionsreisen immer wieder sein Handwerk als Zeltmacher nutzte, um für sich und oft auch für seine Mitarbeiter das tägliche Brot zu verdienen (Apg 20,33) dann wird er auch sicherlich hier in Damaskus gearbeitet haben; die Stadt war auch für ihre Webereien bekannt.

An den Sabbaten wurde jede Gelegenheit genutzt, um das Evangelium zu predigen. Noch predigte Saulus den Juden oder auch den Proselyten, von denen es in Damaskus viele gab. Proselyten waren Heiden, die durch Beschneidung und Taufe in die jüdische . Gemeinschaft aufgenommen wurden. Er muss Erfolg gehabt haben, so dass sich schon bald wieder eine starke Opposition von Seiten der Juden gegen ihn formierte.

Im Text der Apostelgeschichte 9,23 lesen wir: „als sich aber viele Tage erfüllten, beschlossen die Juden ihn umzubringen“. Diese unbestimmte Zeitangabe lässt nicht nur auf Wochen, sondern auch auf einige Monate der Wirksamkeit des Apostels schließen.

Eindeutig geht der Beschluss, Saulus umzubringen, auf die Juden zurück (Apg 9,23b). Aber so viele Juden es auch in Damaskus gab, und so selbständig sie in einer für sie fremden Stadt in den Synagogenverbänden ihre Religion auch ausüben konnten, an einen römischen Bürger aus einer freien Stadt wie Tarsus, die sich dazu unter römischer Oberhoheit befand, konnten sie nicht so einfach herankommen. Lukas berichtet hier nicht vollständig, und es ist gut, dass wir von Paulus in 2Korinther 11,32 ergänzende und dazu noch geschichtlich wichtige Aussagen haben, dank derer wir die Flucht aus Damaskus zeitlich ziemlich genau einordnen können.

Damaskus wurde zwar schon 64 v. Chr. der römischen Provinz Syrien einverleibt, aber unter der Herrschaft Caligulas (37-41 n. Chr.) kam Damaskus für kurze Zeit unter die Oberhoheit des Nabatäerkönigs Aretas IV., der von 9 v. Chr. bis 39 n. Chr. regierte. Aretas ließ die Stadt Damaskus durch einen Statthalter, wörtlich: `ετναρχ – Volksfürst` (2Kor 11,32) verwalten.

Da Caligula seine Herrschaft in Rom im Frühjahr 37 n. Chr. antrat und Aretas’ Herrschaft 39 n. Chr. endete, bleiben für die kurze Verwaltung der Stadt Damaskus durch den Nabatäerkönig nur zwei Jahre übrig. Für die Flucht aus Damaskus scheint mir das Jahr 37 deswegen naheliegend zu sein, weil nicht selten mit dem Kaiserwechsel in Rom auch Herrschaftsveränderungen in den Provinzen einhergingen. Auch die Juden konnten solch einen Machtwechsel für ihre eigenen Interessen nutzen, wie der Vergleich von Apostelgeschichte 18,12 mit 25,1-2 zeigt – Paulus vor Gallio in Korinth, Paulus vor Festus in Cäsarea. Als römischer Bürger stand Saulus bis zu solch einem Macht- und Verwaltungswechsel unter römischem Schutz. Dies änderte sich jedoch schnell zugunsten der dort ansässigen Juden, die in dem arabischen Fürsten plötzlich einen Verbündeten fanden. Jedoch konnte solch eine Großrazzia nicht geheim ablaufen, weil es auch viel gläubige Juden gab, die in verschiedenen Kreisen der Stadt tätig waren und wahrscheinlich Saulus warnten, die Stadt Damaskus nicht durch die Tore zu verlassen.

 

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Abbildung 13 Ob der Korb, in dem Saulus hinabgelassen wurde, so ausgesehen hatte? Dieses Exemplar ist in der Paulus-Kirche in Damaskus ausgestellt (Foto P. Schüle 11. April 2011).

An Einfallsreichtum fehlte es den Jüngern nicht und vielleicht erinnerten sie sich an die zwei Kundschafter, die Jericho auf eine ungewöhnliche Art und Weise verlassen hatten (Jos 2,15). Nur wurde es dem Saulus etwas bequemer gemacht: er wurde in einem Korb an der Außenmauer durch eine Fensteröffnung (Pförtchen) hinabgelassen (Apg 9,25). Auf diese Weise entkam er den Juden und dem Statthalter.

Am hellen Tag, jedoch blind, hatte er zum ersten Mal Damaskus betreten; in dunkler Nacht, aber mit dem hellsten Licht im Herzen, verließ er diese Stadt. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass er die Stadt seiner Bekehrung anschließend noch einmal besucht hätte. Doch auf diese Weise ging Damaskus in die Geschichte und das Bewusstsein der christlichen Gemeinde ein.

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2 6. Paulus kehrt nach Jerusalem zurück

Nun hatte Saulus ein klares Ziel vor sich: es war Zeit, nach Jerusalem zurückzukehren (Apg 22,16), es zog ihn geradezu dort hin, weil er Kephas kennenlernen wollte (Gal 1,18b). Seit seiner Bekehrung waren drei Jahre vergangen; oder waren es drei Jahre seit seiner Rückkehr aus Arabien? Der Kontext in Galater 1 gibt eine mögliche Antwort auf diese Frage.

Die Zeitangaben in Galater 1,18 und Galater 2,1 sind einmalig. An beiden Stellen folgt nach dem grichischen `επειτα`- èpeita – dann, danach, darauf, die bestimmte Zeitangabe: drei Jahre bzw. vierzehn Jahre. In der Regel baut das `επειτα` zeitlich auf das auf, was unmittelbar vorher geschehen ist, vgl. z. B. Galater 1,21 „Darauf“ (also nach dem fünfzehntägigen Aufenthalt in Jerusalem) „ging ich in die Gebiete Syriens und Kilikiens“. Wenn aber die Angabe „nach drei Jahren“ (Gal 1,18) auf den Zeitpunkt der Rückkehr aus Arabien aufbauen würde, würde dies bedeuten, dass Saulus‘ zweiter Aufenthalt in Damaskus drei Jahre lang dauerte. Das ist bei der Entwicklung der Umstände in Damaskus nicht vorstellbar. Das gleiche gilt auch für Gal 2,1: „dann, nach vierzehn Jahren“. Würde Paulus die vierzehn Jahre seit seinem ersten Jerusalembesuch rechnen, dann käme man für den Jerusalembesuch in Galater 2,1 in den Anfang der fünfziger Jahre, d.h. in die Zeit nach der zweiten Missionsreise. Dies ist jedoch viel zu spät, denn nach Galater 2,1-10 ist Paulus erstens noch mit Barnabas zusammen (was während und nach der zweiten Missionsreise nicht mehr der Fall war) und zweitens ist er noch am Anfang seiner Heidenmissionstätigkeit. Beim Summieren der unbestimmten Zeit des ersten Damaskus Aufenthaltes, dann der drei Jahre und vierzehn Jahre und der nicht geringen Reisezeiten, käme man eben in den Anfang der fünfziger Jahre. Diese Überlegung klingt etwas

Kompliziert, doch bietet sie durch ihren Vergleich eine Lösung zum besseren Verständnis und der Berechnung der Teildaten im Leben des Apostels. Hierzu ein Auszug aus der Chronologie des Lebens Pauli:

–  um 33 n. Chr.  Tod Jesu,

–  um 34 n. Chr.  Bekehrung des Saulus,

–  um 37 n. Chr.  erster Jerusalembesuch (15 Tage bei Petrus),

–  um 44 n. Chr. zweiter Jerusalembesuch (Hungeropfer) Rückkehr nach Antiochien,

– um 45 Aufbruch zur 1. Missionsreise,

– um 47 Rückkehr nach Antiochien,

–  um 48 n. Chr. dritter Jerusalembesuch (Apostel und Ältestenversammlung Apg 15; Gal 2),

–  um 49 n. Chr. Aufbruch zur 2. Missionsreise

– um 50 n. Chr.   Ankunft in Korinth und so weiter.

Nicht nur aus den logischen und rechnerischen Überlegungen empfiehlt sich hier eine andere Erklärung des Wortes `επειτα – dann, danach`, sondern aus der besonderen Satzstellung und dem griechischen Wort `ευθεος – sofort, sobald` (Gal 1,16), welches sich an den Zeitpunkt der Bekehrung des Paulus anlehnt. Dazu kommt, dass Paulus zweimal etwas verneint, was nach menschlicher Logik das Normale gewesen wäre, nämlich:

  1. Sofort nicht nach Jerusalem zu reisen und
  2. Sofort sich nicht mit den Führenden Aposteln abzusprechen, bzw. sich mit ihnen zu beraten.

Das heißt: sofort nach der Bekehrung keine Beratung mit Menschen und keine sofortige Rückkehr nach Jerusalem zu den Aposteln. Dies tut er erst „nach drei Jahren (seit dem Zeitpunkt der Bekehrung) ging ich hinauf nach Jerusalem“. Im gleichen Sinne und auf den gleichen zeitlichen Punkt (die Bekehrung) kann sich auch die zweite Zeitangabe aus Gal 2,1 beziehen: „Darauf nach vierzehn Jahren (nach der Bekehrung) ging ich wieder hinauf nach Jerusalem“. Das `wieder` meint nicht zwingend zum zweiten Mal, sondern `mal wieder` oder `wieder mit Barnabas`, weil er erst etwa vier Jahre zuvor (44 n. Chr.) mit Barnabas dort war. Die Aussage in Galater 1,18 ist die positive, bejahende Antwort auf die zwei verneinenden Aussagen in Galater 1,17.

Dass sich diese Variante der zeitlichen Berechnung besser in die Zeitspanne zwischen dem Tod Jesu (33) und der Apostelversammlung (48) einordnen lässt, steht außer Frage. Wenn also die Flucht aus Damaskus frühestens 37 n. Chr. geschah, dann könnte die Bekehrung des Saulus auf 34 n. Chr. datiert werden und der dritte Jerusalembesuch (Gal 2,1) auf das Jahr 48 n. Chr.. Damit bliebe zwischen Pfingsten des Jahres 33 und Sommer oder Herbst des Jahres 34 genügend Raum für die erste Blütezeit der Gemeinde in Jerusalem mit der sich anschließenden ersten Christenverfolgung an der Saulus stark beteiligt war.

Saulus kehrt nun zurück nach Jerusalem (Apg 22,17) mit einem neuen Herzen, einer neuen Identität, einer gewissen Erfahrung als Apostel, aber doch auch mit gemischten Gefühlen. Manche Wunde war geheilt, aber das Misstrauen saß bei den meisten Gläubigen in Jerusalem tief, wohin sollte er gehen, wen sollte er ansprechen, wo hielt sich Kephas auf?

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