8. Kapitel: Aufbruch nach Judäa

Vorwort

8.1 Jesus verlässt endgültig Kapernaum und durchzieht zum letzten Mal Galiläa und Samarien

(Mt 19,1;  Mk 10,1; Lk 9,51)

 

Und es geschah, als Jesus diese Reden vollendet hatte begab er sich von Galiläa hinweg und kam in das Gebiet von Judäa“ (Mt 19,1).

„Und er brach von dort auf und kommt in das Gebiet von Judäa und jenseits des Jordan“ (Mk 10,1).

Es geschah aber, als sich die Tage seiner Aufnahme erfüllten, da richtete er sein Angesicht fest darauf nach Jerusalem zu gehen“ (Lk 9,51).

Jesus nimmt Abschied von Kapernaum und der Gegend um das Galiläische Meer bzw. See Gennesaret. Schon seit ihrem Besuch in Cesaräa Philippi hat er seine Jünger daraufeingestimmt, dass sie nach Jerusalem gehen werden. Den Weg dorthin nutzt er um noch mal viele galiläische Dörfer und Städte zu besuchen. Auch diesen Wegabschnitt bereitet er sorgfältig vor, indem er 70/72[1] weitere Jünger zu je zwei und zwei vor sich her sendet. Bis er jedoch die Grenze von Galiläa nach Samarien überschreitet, geschehen noch eine Reihe von Dingen, von denen besonders Lukas in den Kapitel 10 – 16 berichtet.

8.2 Jesus sucht Mitarbeiter

(Lk 9,57-62)

 

Und als sie auf dem Wege waren, sprach einer zu ihm: Ich will dir folgen, wohin du gehst. Und Jesus sprach zu ihm: Die Füchse haben Gruben und die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege. Und er sprach zu einem andern: Folge mir nach! Der sprach aber: Herr, erlaube mir, dass ich zuvor hingehe und meinen Vater begrabe.  Aber Jesus sprach zu ihm: Lass die Toten ihre Toten begraben; du aber geh hin und verkündige das Reich Gottes! Und ein andrer sprach: Herr, ich will dir nachfolgen; aber erlaube mir zuvor, dass ich Abschied nehme von denen, die in meinem Haus sind. Jesus aber sprach zu ihm: Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes (Lk 9,57-62).

Der Evangelist Lukas hat diesen Bericht wahrscheinlich chronologisch und auch thematisch treffend eingeordnet. Wir lesen in Joh 6,60.66 von vielen Menschen, die neben den zwölf Jüngern Jesus nachfolgen – wohin und wie lange bleibt hier aber offen. Bei der Auswahl und Berufung der Siebzig fallen einige Details auf, die wir als Kriterien für heutige missionarische Dienste übertragen können. Zurzeit von Jesus suchten sich Schüler ihre Lehrer selbst aus. Manche versuchten ihre künftigen Schüler = Jünger durch überzogene Anforderungen abzuschrecken, um so nur die würdigsten Kandidaten in ihren Schülerkreis aufzunehmen. Folgende drei Beispiele machen aber auch deutlich, dass sich sogar bei Jesus die Auswahl und Berufung weiterer Jünger nicht leicht gestaltet.

  • Im ersten Fall meldet sich ein Kandidat selbst bei Jesus mit den Worten: „Ich will dir folgen, wohin du gehst.“ Doch Jesus gibt ihm zu bedenken, dass die Nachfolge mit Verzicht und einem sehr einfachen Lebensstil verbunden ist. Jesus hat dabei insbesondere die häufigen Reisen und die schlichten bis nicht vorhandenen Übernachtungsmöglichkeiten im Sinn. Dieser unregelmäßige und anstrengende Lebensstil im Tages- und Wochenrhythmus war zudem auch mit Gefahren verbunden (vgl. 2Kor 11,26; siehe auch Mt 8,18-22; Mk 5,18-20). Das Wort weist hin auf die Mühe und die Einsamkeit, die dazugehören, wenn man dem Menschensohn nachfolgt (Bruce 1985, 136).
  • Im zweiten Fall spricht Jesus selbst einen Kandidaten an. Doch dieser erwidert: „Herr, erlaube mir, dass ich zuvor hingehe und meinen Vater begrabe.“ Diesem macht Jesus jedoch deutlich, dass der momentane Auftrag zum Verkündigungsdienst dringender ist, als der erbetene Aufschub. Söhne würden sich angesichts eines todkranken Vaters oder gar kurz nach dem Tod ihres Vaters nicht draußen auf der Straße aufhalten und mit einem Rabbi plaudern. Der Kandidat möchte also mit der Nachfolge warten, bis der wahrscheinlich jetzt noch gesunde Vater Hilfe und dann auch eine ordentliche Bestattung von Seiten seines Sohnes erfährt. Es ist gut möglich, dass dieser Kandidat nur eine Ausrede suchte.[2] Man kann die hinweisenden Worte von Jesus so verstehen: „Lass die geistlich Toten die körperlich Toten begraben – es gibt Leute, die keinerlei Antenne für das Reich Gottes haben, und sie können sich um Routineangelegenheiten wie Beerdigungen kümmern; aber die, die offen sind für die Forderungen des Reiches Gottes, müssen dessen Ansprüchen den ersten Platz einräumen“ (Bruce 1985,138)
  • Den dritten Kandidaten spricht Jesus ebenfalls von sich aus an. Der Angesprochene ist grundsätzlich zur Nachfolge bereit, will sich jedoch zuerst von seinen Familienangehörigen verabschieden. Doch dies könnte unter Umständen länger dauern – vielleicht sogar Tage. Jesus sucht aber Nachfolger, die bereit sind sofort in den Verkündigungsdienst zu treten. Aus dem Kontext wird deutlich, dass dieser Auftrag zunächst zeitlich und räumlich begrenzt war. Jesus prägt in diesem Zusammenhang folgendes Wort: „Wer seine Hand an den Pflug legt und zurückschaut, ist nicht geschickt (geeignet) für das Reich Gottes.“ Beim Pflügen muss man bis heute vorausschauend arbeiten, damit die Furchen nicht krumm werden. Damals war der hölzerne Pflug relativ leicht und hatte eine Spitze aus Eisen. Diese Begebenheit erinnert uns an die Berufung Elisas, der doch seinen Abschied richtig feiern durfte (1Kön 19,19-21).

 

Fragen:

  1. Wann bricht Jesus endgültig von Kapernaum auf in Richtung Judäa?

 

  1. Warum war es so schwierig Menschen zu finden, die für den Verkündigungsdienst bereit waren?

 

  1. Warum geht Jesus auf die verschiedenen Ausreden der Menschen ein?

 

  1. Welche Ausreden nutzen wir, um einen bestimmten Dienst nicht tun zu müssen? Was versäumen wir dabei?

 

  1. Hat Jesus etwas gegen Fürsorge und Pflege von Eltern im Alter?

 

  1. Erlebten wir Situationen in denen wir einen gewünschten Auftrag/Dienst nicht bekamen, sondern etwas ganz anderes machen mussten?

 

  1. Welche Aufgaben im Reich Gottes hast du bewusst gemacht und wie zeitintensiv/kraftintensiv waren sie?

 

  1. Magst du lieber kleine/kurze Projekte oder liebst du es an Langzeitaufgaben dran zu bleiben?

 

 

8.3  Die Aussendung der 70/72

(Lk 10,1-12)

  • Danach setzte der Herr weitere zweiundsiebzig[3] Jünger ein und sandte sie je zwei und zwei vor sich her in alle Städte und Orte, wohin er gehen wollte, und sprach zu ihnen: Die Ernte ist groß, der Arbeiter aber sind wenige. Darum bittet den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter aussende in seine Ernte. Geht hin; siehe, ich sende euch wie Lämmer mitten unter die Wölfe (Lk 10,1-3).

 

Wie gut, dass der Evangelist Lukas uns von diesem wichtigen Detail aus dem Dienst von Jesus berichtet. Nach der Reduzierung der Jünger in Joh 6,66 entsteht der Eindruck, dass um Jesus nur noch die zwölf Jünger geblieben sind. Dieser Bericht macht jedoch deutlich, dass es Jesus wichtig ist, ständig nach fähigen Menschen Ausschau zu halten, sie zu seinen Nachfolgern zu machen und auch zu gegebener Zeit einzusetzen.

Wir haben schon zu Beginn des Dienstes von Jesus sein planmäßiges Vorgehen festgestellt. Mit der Aussendung dieser 70 Jünger kann Jesus mehrere Ziele gleichzeitig erreichen.

1) Die Städte und Dörfer auf seiner geplanten Reiseroute werden auf sein Kommen vorbereitet – oder durch seine Jünger schon erreicht.

2) Die 70 haben eine einzigartige Gelegenheit ihre Gaben und Befähigungen während der Dienstzeit von Jesus einzusetzen und damit die Möglichkeit ihre Erfahrungen mit ihm zu reflektieren, zu analysieren und somit korrigieren zu lassen.

3) Jesus kann durch die Vorarbeit der Siebzig eventuell einige an Zeit gewinnen.

4) Jesus kann den Zwölf zeigen, wie sie in Zukunft Jünger werben, ausbilden und auch einsetzen können, denn „Die Ernte ist groß, aber wenige sind der Arbeiter“ (Lk 10,2). Diese Aussage stimmt zu allen Zeiten!

5) Es scheint so, dass Jesus flächendeckend evangelisieren möchte und dabei keine Ortschaft auslassen will.

 

Die Anweisungen, welche er den Siebzig mit auf den Weg gibt, sind sehr ähnlich wie bei der Aussendung der Zwölf (Mt 10,1ff):

  • Ihr seid gesandt als Lämmer mitten unter die Wölfe

Auf Nachfolger von Jesus wartet nicht ein Ruhebett – es wird Gefahren geben. Doch der Gute Hirte selbst sendet – auch angesichts scheinbar hoffnungsloser Situationen.

  • Keinen Geldbeutel

Sie konnten auf ihren Geldbeutel verzichten, denn die Versorgung durch den himmlischen Vater wurde ihnen von Jesus zugesichert. Im Rahmen dieser Sendung, sollten sie weder Geld ausgeben, noch Geld einnehmen.

  • Keine Tasche

Eine Tasche weckt Begehrlichkeiten bei Räubern, die es damals viele gab.

  • Keine Schuhe

Um diese warme Jahreszeit[4] konnten sie auf Schuhe verzichten und barfuss gehen – dies war im Orient keine Seltenheit. Doch denken wir daran, dass Jesus selbst Sandalen trug (Mt 3,11;  Joh 1,27).

  • Grüßt niemand unterwegs

Diese Anweisung steht im krassen Gegensatz zu den Gepflogenheiten in Palästina. So konnte es sich hier hauptsächlich um den Faktor Zeit handeln. Denn Begrüßungen nahmen oft viel Zeit in Anspruch und waren auch oft mit einem Essen und Übernachtung verbunden. Sie sollten jedoch zielstrebig in den Ort gehen, den ihnen der Herr aufgetragen hatte.

  • Wenn ihr in ein Haus kommt, sprecht zuerst: „Friede sei diesem Haus.

Der hebräische Friedensgruß „Schalom“ darf ganzheitlich verstanden werden und umfasst Geist, Seele und Leib (siehe 1Mose 43,23; Ri 6,23; 19,20; 1Sam 25,6 u.v.m.). Jesus legte in diesen Gruß weitere Elemente des angebrochenen Friedensreiches hinein (Joh 14,27). In jedem Ort gibt es solche Häuser und Menschen des Friedens. Diese Häuser und Menschen können Brücken für das Evangelium sein – so sollte der Einstieg für das Evangelium in einem Ort gut gewählt werden (siehe Mt 10,13)

  • Zieht nicht von Haus zu Haus, sondern bleibt dort, wo ihr zuerst einkehrt

Da die erste Gastfreundschaft, ausgedrückt durch üppiges Essen, bald der alltäglichen oft auch ärmlichen Routine weicht, dürfen sich die Gesandten auch mit kargen Verhältnissen begnügen. Später hat sowohl Petrus als auch Paulus sich danach gerichtet (Apg 9,43; 16,15).

  • Esst und trinkt, was euch vorgesetzt wird, denn ein Arbeiter ist seines Lohnes wert

Stellt keinerlei Ansprüche, fügt euch in die Möglichkeiten der gastgebenden Familie. Seid nicht wählerisch! Da die Möglichkeit besteht, dass sie in Dörfer mit mehrheitlich nicht jüdischer Bevölkerung kommen, bedeutetet dies auch, dass die jüdischen Speisegesetze keine bindende Kraft für diese Missionare haben konnten.

  • Heilt die Kranken, die in jener Stadt oder Dorf sind

Dieser Dienst war Teil ihrer Verkündigung vom angebrochenen Gottesreich. Die Jünger vollbrachten die Werke ihres Meisters.

  • Sprecht dort zu den Bewohnern: „Das Reich Gottes ist nahe zu euch gekommen

Diese Verkündigung schloss die Aufforderung zur Umkehr zu Gott ein, so wie der Glaube an den Menschensohn, in dessen Vollmacht die Jünger auftraten und handelten.

  • Wenn ihr abgelehnt werdet, so geht heraus auf ihre Straßen und schüttelt den Staub von euren Füßen ab über sie und sprecht:  „Auch den Staub aus eurer Stadt, der sich an unsre Füße gehängt hat, schütteln wir ab auf euch. Doch sollt ihr wissen: das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen. Ich sage euch: Es wird Sodom erträglicher ergehen an jenem Tage als dieser Stadt“ (Lk 10,11-12;  Vgl. Apg 13,51).

 

Die Schlußaussage von Jesus an die siebzig gilt für alle Zeiten und unter allen Umständen:

  • Wer euch hört, der hört mich; und wer euch verachtet, der verachtet mich; wer aber mich verachtet, der verachtet den, der mich gesandt hat“ (Lk 10,16).

 

Fragen:

  1. In welcher Periode seines Dienstes beruft Jesus die siebzig Jünger?

 

  1. Nenne den Grund dafür, dass Jesus noch weitere siebzig Jünger beruft und ausgesendet?

 

  1. Warum sollen sie immer zu zweit losziehen? Entdeckst du ein Prinzip?

 

  1. Was bedeutet die Aussage: „Siehe, ich sende euch wie Lämmer mitten unter die Wölfe“ (Lk 10,3) heute?

 

  1. Welches Detail von den Dienstanweisungen fällt dir besonders auf?

 

  1. Können diese Dienstanweisungen ohne weiteres auf heute übertragen werden? Was gilt immer und was ist nur im damaligen Kontext anwendbar?

 

  1. Nach welchem Maßstab misst Jesus unsere Verantwortung für die Menschen, die seine Boten und seine Botschaft ablehnen werden?

 

  1. Wenn Jesus die Stadt Sodom nennt, was wird damit indirekt unterstrichen?

 

  1. Was drückt die Handlung „Staub von den Kleidern oder Füßen abschütteln“ aus? Wo und von wem wurde diese Anweisung von Jesus buchstäblich ausgeführt? (Siehe Kap 7,2)

 

 

8.4  Das Urteil von Jesus über die unbußfertigen Städte

(Lk 10,13-16; Vgl. Mt 11,20-24 und Mt 10,1)

Etwa drei Jahre sind seit dem Dienstbeginn von Jesus in Kapernaum vergangen (Mt 4,17). Es ist etwa Spätsommer des Jahres 32 n.Chr. und Jesus zieht Resüme, nicht über seine Tätigkeit, sondern über die Reaktion und geistlichen Stand derer, die Zeugen von vielen  wunderbaren Machttaten (gr. Δυναμεις – dynameis) wurden.

  • Weh dir, Chorazin! Weh dir, Betsaida! Denn wären solche Taten in Tyrus und Sidon geschehen, wie sie bei euch geschehen sind, sie hätten längst in Sack und Asche gesessen und Buße getan. Doch es wird Tyrus und Sidon erträglicher ergehen im Gericht als euch. Und du, Kapernaum, wirst du bis zum Himmel erhoben werden? Du wirst bis in die Hölle hinuntergestoßen werden“ (Lk 10,13-15).

Am Ende war es eine Minderheit, die von Herzen umgekehrt ist, die Mehrheit blieb verhärtet in ihrem Herzen. Die meisten haben die Gaben Gottes in Anspruch genommen, ohne den Geber anzuerkennen und ihm zu glauben. Hier war die Reaktion auf seinen Bußruf ähnlich wie auch später in Jerusalem, denn in Johannes 12,37 lesen wir: „Und obwohl er solche Zeichen vor ihren Augen tat, glaubten sie doch nicht an ihn,“

 

Drei Städte nennt Jesus, – Chorazin, Bethsaida und Kapernaum[5], dort geschahen die meisten seiner Taten. Und Gottes Prinzip lautet: Wem viel anvertraut wurde, von dem wird auch viel erwartet oder gefordert werden (Lk 12,47-48). Dies unterstreicht Jesus, indem er  als Beispiele die Städte Tyrus und Sidon nennt, welche im Vergleich weniger Kenntnis von Gott hatten und die auch ein geringeres Maß von Gottes Handeln zu ihrer Zeit erlebten. Zu seiner Zeit sagte Gott durch den Propheten Hesekiel den Sidoniern eine düstere Zukunft voraus (Hes 32,30), doch im Endgericht wird es sie nicht so hart treffen, wie die oben genannten Städte und solche, welche die Frohe Botschaft des Evangeliums abgelehnt haben.

Kapernaum wird in den Evangelien als `seine Stadt`, d.h. die Stadt von Jesus genannt (Mt 9,1). Ihr hat er sich am intensivsten zugewandt. Mindestens 5 Jünger stammten aus dieser Stadt.Die Aussage von Jesus über Kapernaum „bist du bis zum Himmel erhoben, bis zur Hölle (gr. αδης – Hadesch) wirst du hinabgestoßen werden“, bezieht sich zum einen auf ihre Einwohner und zum anderen auch auf ihren Wohnort. Und die einst so bedeutende und blühende Handelstadt Kapernaum wurde bei dem Arabersturm 640 erobert, zerstört und verlassen. Erst im 19. Jh wurde die Stadt von Archäologen wiederentdeckt und später teilweise ausgegraben. Ab dem Ende des 19 Jh kümmerten sich die Franziskaner um die Ausgrabungsstätte und umzäunten sie. Bis heute ist dieser Ort nicht mehr besiedelt worden. Auch die Städte Bethsaida und Chorazin sind seit langem nur noch unbedeutende Ruinenfelder.

Anmerkung: Auch im Text in Matthäus 11,20-24 finden wir die gleichen Weherufe von Jesus über die genannten drei Städte. Matthäus fügt diese Aussage von Jesus bewusst in einen früheren Kontext und zwar zeitlich nach der Aussendung der zwölf Jünger. Lukas jedoch lässt den Bericht über die Aussendung der zwölf Jünger völlig aus, hat dafür die Aussendung der 70 aufgezeichnet, nach welche er auch die Weherufe einfügt. Dadurch  wird von den Evangelisten ein thematischer Zusammenhang deutlich gemacht. Auch ist es gut möglich, dass Jesus diese Aussage zweimal gemacht hat. Schon in Matthäus 10,15 im Zusammenhang der Aussendung der 12 Jünger belegte Jesus jene Städte mit einem ähnlichen `Wehe`, welche das Zeugnis der Jünger nicht annehmen werden. Auch bei der Aussendung der 70 widerholt er die gleiche Aussage (Lk 10,16).

Wie an vielen anderen Stellen, kommt der Dienst von Jesus als Prophet hier zum tragen. Ebenso hat auch nur er das Recht und die Vollmacht ein Urteil im voraus auszusprechen, denn nach seiner eigenen Aussage hat der Vater das gesamte Gericht dem Sohn übergeben (Joh 5,22-23).

 

Fragen:

  1. Bedenke die besondere und vielzählige Zuwendung von Jesus den Menschen in den drei genannten Städten und versuche herauszufinden, warum bei ihnen so wenig Bereitschaft zur Buße und Glauben war?

 

 

  1. Was ist die Folge, wenn Menschen in besonderen Zeiten der gnädigen Zuwendung Gottes nicht umkehren?

 

3.Was geschieht, wenn Menschen unser Zeugnis ablehnen?

 

  1. Auf welcher Grundlage kann Jesus ein so weitreichendes Urteil über die Menschen dieser Städte aussprechen?

 

8.5 Die siebzig (72) kehren mit Freuden zurück

Lk 10,17-20

 

  • Die Zweiundsiebzig (70) aber kamen zurück voll Freude und sprachen: Herr, auch die bösen Geister sind uns untertan in deinem Namen. Er sprach aber zu ihnen: Ich sah den Satan vom Himmel fallen wie einen Blitz. Seht, ich habe euch Macht gegeben, zu treten auf Schlangen und Skorpione, und Macht über alle Gewalt des Feindes; und nichts wird euch schaden. Doch darüber freut euch nicht, dass euch die Geister untertan sind. Freut euch aber, dass eure Namen im Himmel geschrieben sind“ (Lk 10,17-20).

Wir gehen zunächst davon aus, dass Jesus die 70 Jünger im Bereich Galiläa einsetzte. Und an einen bestimmten Ort kehrten sie auch wieder zurück. Vorstellbar wäre, dass sie zwei bis drei Wochen unterwegs waren. Es war also ein zeitlich und räumlich begrenzter Missionseinsatz. Übervoll von Freude, erzählen sie nun Jesus über ihre Erfolge. Die Wendung: „auch die Dämonen sind uns untertan …“ schließt auch andere wundervolle Erfahrungen wie Heilungen von Kranken, mit ein. Auch Heute würden die meisten Christen danach fragen, wer und wie viele Menschen haben sich denn bekehrt bei der Evangelisation?

Jesus reagiert auf die Freude der Jünger über deren Missionserfolg mit einem Hinweis auf Veränderungen in der himmlischen Sphäre und einer Korrektur in der Wahrnehmung des sogenannten `Erfolges`. Von der Welt Gottes ist uns nur soviel bekannt, wie der Vater und der Sohn uns geoffenbart hat. Die hebr. Bezeichnung `Satanas` meint den Feind und Gegner, den Widersacher, der sich entgegen stellt und entgegen handelt. Es gibt noch weitere ähnliche Anspielungen auf den sogenannten `Fall Satans`, so zum Beispiel in Hesekiel 28,14-17 und Jes 14,12-15. Obwohl dort im Vordergrund von den Königen Tyrus und Babel die Rede ist, scheint doch noch ein weiterer tieferer Sinn darin verborgen zu sein, nämlich der Vorgang in der Sphäre der Engel (hebr. Cherubim). Die Bezeichnung `glänzender Cherub, Morgenstern[6]` (Jes 14,1 und Hes 28,14) sind Umschreibungen des Wesens und Charakters dieses Fürstenengels vor dem Fall. Ein Teil der Engel, welche gesündigt haben (2Petr 2,4) wurden von Gott in die Finsternis hinaus zur Hölle verstoßen.

  • Denn Gott hat selbst die Engel, die gesündigt haben, nicht verschont, sondern hat sie mit Ketten der Finsternis in die Hölle gestoßen und übergeben, damit sie für das Gericht festgehalten werden.“

Dieses Ereignis liegt in der Vergangenheit und hat sich vor dem Sündenfall des Menschen zugetragen[7]. Auch Jesus spricht in der Vergangenheisform vom Fall Satans aus dem Himmel. Dies war ein plötzliches und blitzschnelles Ereignis.

Wenn Jesus in Johannes 12,31 sagt: “Jetzt ergeht das Gericht über diese Welt; nun (jetzt) wird der Fürst dieser Welt ausgestoßen werden (nach draußen)“, weißt er auf eine weitere Einschränkung der Machtbefugnisse des Satans hin (vergl auch Joh 14,30 und 16,11). Diese Entmachtung des Satans ist offensichtlich im Werk Christi, in seinem Tod und Auferstehung begründet. Weitere Stellen zu diesem Thema: Offb 12,1-18 Wie auch immer die Symbolik dieses Textes gedeutet wird, gibt er uns doch einen Hinweis in die Sphäre, die Wirksamkeit und ebenso die Machteinschränkung des Feindes. „Ja, unser Widersacher der Teufel geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlingen kann“ (1Petr 5,8-9). Doch die Macht des siegreichen Christus ist größer als alle Mächte der Finsternis zusammengenommen. Das ist eine gute Nachricht für alle angefochtenen Gläubigen. Doch gibt uns Jesus nicht nur die Macht Widerstand zu leisten, sondern auch die Vollmacht in seinem Namen die Werke des Teufels zu zerstören (1Joh 3,8).

 

Die Vergleiche mit bestimmten Tieren macht Jesus öfters in seinen Reden, das haben die Alttestamentlichen Schreiber auch schon gemacht, so in Psalm 91,13

  • Über Löwen und Ottern wirst du gehen und junge Löwen und Drachen niedertreten“ (Vgl. Mk 16,18).

Schlangen und Skorpione sind Kriechtiere, die tödliches Gift in sich tragen und wer ihnen zu nahe kommt, riskiert sein Leben. Mit der Vollmacht über diese Art von Feinden sind die Jünger von Jesus ausgestattet worden. Er erklärt gleichsam auch, dass mit diesen Feinden nicht Menschen gemeint sind, sondern es geht um Mächte der Finsternis, wie auch Paulus später in Eph 6,12ff weiter ausführt. Beachten wir auch, dass diese Vollmacht immer nur an den Namen von Jesus gebunden ist und nur in Übereinstimmung mit seinem Willen wirksam und zu Gottes Ehre eingesetzt werden kann.

 

Die Korrektur, welche Jesus bei den siebzig anbringt ist sehr wichtig für alle seine Nachfolger. Er legt den Schwerpunkt nicht auf das emotionale Hoch welches durch den Erfolg hervorgerufen wird, sondern ganz deutlich auf die Grund-Tatsache der himmlischen Bürgerschaft seiner Jünger. Beachten wir hier die Gegensätze,- der Satan wurde aus dem Himmel ausgestrichen, die Namen der Jünger sind dort eingeschrieben, eingraviert.

Weitere Stellen, die diese Realität beschreiben, finden wir in:

  • Phil 4,3 „Ja, ich bitte auch dich, mein treuer Gefährte, steh ihnen bei; sie haben mit mir für das Evangelium gekämpft, zusammen mit Klemens und meinen andern Mitarbeitern, deren Namen im Buch des Lebens stehen“ (2Mose 32,32-33; Ps 69,29;  Offb 3,5; 12,11; 17,8; 20,12. 13).

 

 

Fragen:

  1. Womit sind die siebzig bei ihrer Rückkehr beschäftigt, – was erfüllt sie?

 

  1. Wie reagiert Jesus auf das emotionale Hoch der Jünger?

 

  1. Was bewegt uns Heute nach einer Evangelisation oder Missionseinsatz?

 

 

  1. Welchen Einblick gibt uns Jesus über die Welt des Satans, über seinen Stand, seine Entmachtung, bzw. seine Machteinschränkung?

 

  1. Warum werden in der biblischen Offenbarung und auch besonders in den Reden von Jesus bestimmte Tiere als Anschaungsmaterial benutzt?

 

  1. Wie und in welche Richtung korrigiert Jesus seine Jünger?

 

 

8.6 Jesus jubelt und lobt seinen Vater im Himmel

Lk 10,21-24 (Mt 11,25-27)

  • In dieser Stunde jubelte Jesus im (Heiligen) Geist und sprach: Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, dass du dies vor Weisen und Verständigen verborgen hast und hast es Unmündigen offenbart. Ja, Vater, denn so war es wohlgefällig vor dir. 22 Alles ist mir übergeben von meinem Vater; und niemand erkennt, wer der Sohn ist, als nur der Vater, und wer der Vater ist, als nur der Sohn und wem der Sohn ihn offenbaren will. 23 Und er wandte sich zu den Jüngern allein und sprach: Glückselig (μακάριοι) die Augen, die sehen, was ihr seht! 24 Denn ich sage euch, dass viele Propheten und Könige begehrt haben, zu sehen, was ihr seht, und haben es nicht gesehen, und zu hören, was ihr hört, und haben es nicht gehört“ (L 1,21-24; Vgl. ‚Mt 11,25-27).

 

Matthäus ordnet dieses Gebet von Jesus (Mt 11,25-27) nach den Weherufen über die unbußfertigen Städte ein. Lukas etwas später, als die siebzig zurückgekehrt waren. Beide Evangelisten überliefern das Gebet fast wortgenau. Der kleine Unterschied liegt in der Zeitbestimmung. Lukas leitet ein mit: In jener Stunde` – gr. ωρα[8] – ora, Matthäus mit : Ìn jener Zeit`- gr. καιρος[9] – kairos. Dies lässt den Schluß zu, dass Jesus dieses Gebet direkt nach der Rückkehr der siebzig sprach.

Wir lernen Jesus kennen in seiner vielseitigen Gebetspaxis. Er betet bei Nacht, bei besonderen Anlässen und wie hier ganz spontan, wahrscheinlich mit erhobenem Haupt zum Himmel gerichtet. Jesus, als den Jubelnden zu erleben in seinem Dienst, ist schon etwas Besonderes. Dass er aber seine tiefe Freude und Begeisterung in die Adresse seines himmlischen Vaters zum Ausdruck bringt, ist beispielhaft. Für die Wendung `er freute sich`(so Lutherübersetzung), steht im griechischen `ηγαλλιασατο – igalliasato`, was genauer mit `er jubelte` übersetzt werden könnte. Jubel ist ein intensiver emotionaler Ausdruck und hier bei Jesus mit konkreten Worten gefüllt. Es ist ein Lobpreis auf den Vater im Himmel, den Allherrscher, der in seiner Souveränität anders oder entgegengesetzt den Gepflogenheiten dieser Welt handelt. Die `Weisen und Klugen` in dieser Welt sind Menschen, welche den Zugang zur Erkenntnis und Wissen außerhalb göttlicher Offenbarung suchen. Die Unmündigen in Gottes Augen sind Menschen, welche sich in kindlicher Abhängigkeit von Gott erkennen. Der Grund und Auslößer der Freude bei Jesus ist die Erkenntnis und Erfahrung, dass Gottes Willen und Wohlgefallen (gr. ευδοκία – eudokia) offenbar geworden sind. Einfacher ausgedrückt: der Sohn freut sich über das Handeln seines Vaters im Himmel und bejubelt ihn (Vgl. 1Kor 2,7).

Durch diese Zwiesprache mit seinem Vater zeigt Jesus auch den göttlichen Offenbarungsweg, eben wie und durch wen sich Gott mitteilt. Jesus ist allein der Wissende um die Person des Vaters und durch ihn kommt jegliche Offenbarung und Erkenntnis über den Vater im Himmel. Dies ermutigt uns um so mehr, Jesus, durch die Schriften der vier Evangelien, näher kennenzulernen.

Nach dem Gebet zum Vater, wendet sich Jesus direkt an seine Jünger, wahrscheinlich einschließlich der siebzig. Jesus kannte die Sehnsucht der Propheten und Könige in der Zeit des alten Bundes, doch mussten sich jene begnügen mit der Vorfreude, die Jünger erleben die Erfüllung aller Gottesverheißungen (Vgl. Mt 13,16;  1Petr 1,10-12). Dies ist genug Grund für ihre Glückseligkeit. Somit wird deutlich, dass die Erkenntnis um Gott und sein Handeln die wahren Grunde zur Freude und Jubel sind, nicht unsere Leistungen, unsere Erfolge oder sogar Dienste.

 

Fragen:

  1. Worüber freut sich Jesus und wie und wem gegenüber drückt er seinen Jubel aus?

 

  1. Wen meint Jesus unter dem Begriff `Weise und Kluge` und wer sind im Gegensatz dazu `Unmündige`?

 

  1. Wo liegt die Begrenzung für unser `Erkennen` und wodurch oder durch wen gelangen wir zur Gotteserkenntnis?

 

  1. Warum haben die Jünger von Jesus einen Vorteil gegenüber vielen Propheten und Königen des Alten Bundes?

 

 

8.7  Jesus lehrt beten und bitten

(Lk 11,1-13;  Mt 6,9-15)

8.7.1 Jesus lehrt seine Jünger beten

  • Und es begab sich, dass er an einem Ort war und betete. Als er aufgehört hatte, sprach einer seiner Jünger zu ihm: Herr, lehre uns beten, wie auch Johannes seine Jünger lehrte. Er aber sprach zu ihnen: Wenn ihr betet, so sprecht: Vater! Dein Name werde geheiligt. Dein Reich komme. Unser tägliches Brot gib uns Tag für Tag und vergib uns unsre Sünden; denn auch wir vergeben allen, die an uns schuldig werden. Und führe uns nicht in Versuchung“ (Lk 11,1-4; Vgl. Mt 6,9-15).

Der Evangelist Matthäus hat bekanntlich das `Vaterunser` Gebet in die Sammlung der Berglehre eingefügt. Aus dem Text des Lukas wird jedoch deutlich, dass Jesus seine Jünger das Beten lehrte auf eine konkrete Anfrage seitens eines der Jünger (Lk 11,1). Allerdings hat Lukas den Inhalt des `Vaterunser` Gebets in kekürzter Form widergegeben. In Kapitel 3, Abschnitt 7c sind wir auf den Inhalt dieses Gebets von Jesus schon eingegangen. Im Text bei Lukas erklärt Jesus durch eine nachfolgende Geschichte den Wert und Erfolg des dringlichen Bittens.

 

8.7.2 Mein Freund, leihe mir drei Brote

(Lk 11,5-8)

 

  • Und er sprach zu ihnen: Wenn jemand unter euch einen Freund hat und ginge zu ihm um Mitternacht und spräche zu ihm: Lieber Freund, leih mir drei Brote; denn mein Freund ist zu mir gekommen auf der Reise, und ich habe nichts, was ich ihm vorsetzen kann“ (Lk 11,5-6).

Jesus ist Meister in Geschichten erzählen, in Geschichten bestimmte Aspekte zuspitzen, damit die zu mitteilende Wahrheit besser verstanden wird und im Gedächtnis haften bleibt. Diese Geschichte erzählt Jesus im Konjuktiv, nach dem Muster: stellt euch mal folgende Situation vor. Einige Details zum Kontext dieser Geschichte:

  • Brot wurde damals täglich frisch gebacken und es lag an der Einstellung der Hausfrau oder anderen Umstände, ob nach dem Abendessen noch etwas übrig geblieben ist oder nicht.
  • Geschlafen haben die Orientalen damals meist in einem Raum (Schlafraum) der mit Polstern oder Teppichen ausgelegt war. Nur die Reicheren hatten große Häuser mit mehreren getrennten Räumen und meistens auch mit einem großen Innenhof.
  • Es ist Mitternacht und da man meist früh aufstand, war eine Schlafunterbrechung sehr unwillkommen. Obwohl der Freund diese Gepflogenheiten kennt, unternimmt er den ungewönlichen Versuch bei seinem Nachbarfreund Brote zu bekommen.
  • Es fällt auf, dass er nicht für sich bittet, er hat also keinerlei direkten Vorteile.
  • Die Gastfreundschaft im Orient war damals (wie heute) eine Ehrensache. Bei wem der Reisende einkehrte, dessen Namen erwähnte man im Stadttor. Und eher riskierte jemand die Freundschaft mit dem Nachbarn, als dass er seinen Gast hungrig schlafen gehen ließe.

Auf diesem Hintergrund ist auch seine dringliche, ja gar unablässige Bitte zu verstehen.

Jesus bleibt aber nicht hängen an den Gepflogenheiten seiner Landsleute, sondern zieht seine eigene Schlussfolgerung. Dabei verwendet er den Ausdruck `αναιδειαν – anaideian`, was mit Unverschämtheit oder Aufdringlichkeit übersetzt werden kann. Das Ergebnis ist eindeutig, der Freund will endlich den Ruhestörer los haben und gibt ihm die gewünschten drei Brote.

 

8.7.3 Bittet, sucht, klopft an

(Lk 11,9-13;  Mt 7,7-11)

 

  • Und ich sage euch auch: Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan.  Denn wer da bittet, der empfängt; und wer da sucht, der findet; und wer da anklopft, dem wird aufgetan“.(Lk 11,9-10).

 

Es erstaunt schon, dass Jesus soviel Wert auf unsere Aktivität legt. Dabei geht es um die Dinge, welche wir uns selber nicht erarbeiten und nicht nehmen können. Es geht also um Gaben, die uns zwar zur Verfügung stehen, doch werden sie uns nicht automatisch zufallen.  Wer bittet,- empfängt, wer zu faul oder stolz zum Bitten ist, geht leer aus.

Bittet, sucht, klopft an, alle drei Aufforderungen stehen im Imperativ, also in der Befehlsform. Jesus sagt nicht, probiert es mal auf diese oder jene Weise aus. Auch die Reihenfolge ist bewußt gewählt und auf allen drei aktiven Schritten liegt eine konkrete Verheißung.

Und wieder fügt Jesus einen Vergleich an, diesmal aus der Vater-Sohn-Beziehung. Bezieht man den Text aus Matthäus mit ein, ergibt sich ein dreifacher Vergleich, denn welcher Vater gibt seinem Sohn anstatt:

  1. Brot – Stein
  2. Fisch – Schlange
  3. Ei – Skorpion

Und auf dem Hintergrund der normalen fürsorglichen Beziehung von Vätern (Eltern) zu ihren Kindern hebt er die alles überragende Güte und Fürsorge des himmlischen Vaters hervor Der Vater im Himmel gibt nur gute Gaben, denn schlechte hat er nicht. Dieses Gute vom Vater ist jedoch nicht immer dass, was wir erbitten oder erwarten. Der Schwerpunkt liegt auch nicht auf den natürlichen oder materiellen Gaben, sondern es geht ihm dabei um die Gabe des Heiligen Geistes, den Gott reichlich und ohne Maß geben will:

  • Denn der, den Gott gesandt hat (Jesus), redet Gottes Worte; denn Gott gibt den Geist ohne Maß“ (Joh 3,34).

Auch hier gilt:

  • Sucht zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit, so wird euch dieses alles zufallen“ (Mt 6,33).

 

Fragen:

  1. Lerne das Gebet `Vater unser` auswendig. Merke dir die Ergänzungen bei Lukas.

 

  1. Bist du mal mitten in der Nacht geweckt worden, weil jemand an der Tür klingelte oder dich am Telefon sprechen wollte?

 

 

  1. Hast du mal einen Engpass gehabt an Lebensmitteln und dabei festgestellt, dass der Supermarkt schon geschlossen hatte?

 

 

  1. Wie reagierst du auf Absagen deiner Bitten?

 

 

  1. Kennst du Gott als einen, der zurückhaltend ist im Geben oder der großzügig gibt?

 

  1. Bittest du um die Fülle und Leitung des Heiligen Geistes?

 

 

8.8 Jesus besiegt die Macht der Dämonen

(Bibeltexte: Lk 11,14-26)

8.8.1 Jesus befreit einen dämonisch belasteten Menschen

  • Und er trieb einen bösen Geist aus, der war stumm. Und es geschah, als der Geist ausfuhr, da redete der Stumme. Und die Menge verwunderte sich“ (Lk 11,14).

Wie kurz sind oft die Berichte über Heilungen oder Befreuungen von dämonischer Belastung. Da wird wieder mal deutlich, es geht Jesus und auch den Evangelisten nicht um Sensationelle und detailierte Bschreibungen der Vorgänge, sondern um Tatsachen und dann auch um die Anwendung, bzw. die daraus resultierende Lehre für die Geheilten. Dabei entstehen oft auch kritische Nachfragen und spannende Diskussionen.

Der Textzusammenhang macht deutlich, dass es sich nicht um einen Stummen Geist handelt, sondern, dass der Mensch in seiner Sprache von diesem unreinen Geist gelämt wurde. Denn nachdem der Geist ausgefahren war, redete der Mensch, so dass sich das Volk verwunderte. Doch es gab etliche, die suchten eine theologische Erklärung zu der Befreiungstat von Jesus. Es war wohl der Neid, der sie hinderte Jesu Vollmacht als von Gott gegeben anzuerkennen. Stattdessen schreiben sie diese dem Beelzebul zu, dem Obersten der Dämonen. Es ist hilfreich in diesem Zusammenhang die Befreiungsgeschichte aus Matthäus 12,22-37 zu lesen. Nach der Befreiung folgen dann die gleichen Schilderungen und Erklärungen. Auch hier wird deutlich, dass Jesus in unterschiedlichen Situationen die gleichen Lehren verkündigte und oft die gleichen Beispiele verwendete.

 

Fragen / Aufgaben:

  1. Kennst du Menschen in deinem Umfeld, die Sprachbehindert sind?
  2. Weist du um den Grund/Ursache dieser Behinderung?
  3. Wie gehst du mit diesen Menschen um?

8.8.2 Wer hat die vollmacht zum Befreiungsdienst?

  • Einige aber unter ihnen sprachen: Er treibt die bösen Geister aus durch Beelzebul, ihren Obersten. Andere aber versuchten ihn und forderten von ihm ein Zeichen vom Himmel. (Mk 8,11) Er aber erkannte ihre Gedanken und sprach zu ihnen: Jedes Reich, das mit sich selbst uneins ist, wird verwüstet und ein Haus fällt über das andre. Ist aber der Satan auch mit sich selbst uneins, wie kann sein Reich bestehen?“ (Lk 11,15-18; vgl. Mt 12,25).

In der Volksmenge gab es fast immer Menschen, welche Jesus bewusst ablehnten und offen kritisierten. Nach Matthäus 12,22ff kommen diese Kritiker aus der Gruppe der Schriftgelehrten. Aus dem Text erfahren wir, dass Jesus die Überlegungen in ihren Gedanken sah, oder erkannte. Es fällt immer wieder auf, dass Jesus auch die Entstehung und Formung der Worte sieht und aus welchen Motiven und zu welchem Zweck sie dann ausgesprochen werden. Der Evangelist Lukas erwähnt in einem Zug zwei auf den ersten Blick unterschiedliche Anfragen. In diesem Fall wird deutlich, sie versuchten ihn, indem sie ein Zeichen fordern und das Motiv ist keinesfalls ehrliches suchen nach Wahrheit, sondern eher der Neid, denn ihnen fehlt offensichtlich diese Vollmacht. Zunächst geht Jesus auf den Urheber der Vollmacht über die bösen Geister ein und erst später auf die Zeichenforderung.

In ihrer Feststellung schreiben die Kritiker die Befreiungsmacht von Jesus dem Obersten der Dämonen – Beelzebul zu. Die Herkunft des Namens stammt wohl aus einem kanaanäischen Kult (1Kön 1,2-16). Dies nimmt Jesus zum Anlass, um auf eine sehr sachliche Weise die Unsinninkeit solcher Behauptungen zu entlarfen.

Für die Juden war Beelzebul der Oberste Satan und Jesus lässt diese Bezeichnung so gelten, weil er sie kurz danach auch verwendet. Die Stärke von Jesu Argumentation liegt in den treffenden Beispielen, Gleichnissen und Geschichten. Folgende Realitäten der dämonischen Welt offenbart Jesus:

  • Es gibt ein Reich oder Herrschaftsbereich Satans
  • In diesem Herrschaftsbereich gibt es auch ein bestimmtes Regierungssystem in dem eine gewisse Einigkeit praktiziert wird, welche für das Bestehen unerlässlich ist
  • Konkret heißt es, dass ein Dämon niemals einen anderen austreiben wird, auch wenn er stärker oder höher im Rang ist

Die Gegenfrage von Jesus: „Durch wen treiben eure Söhne sie (die Dämonen) aus“ ist nicht einfach zu verstehen. Es gab wohl im Judentum die Praxis der Dämonenaustreibung (Exorzismus). Dieser Begriff kommt aus dem griechischen und hat mit Beschwörung, bzw. Austreibung  der bösen Geister zu tun. Die Praxis der Vertreibung böser Geister wird in verschiedenen Religionen durch unterschiedliche Riten praktiziert. Im christlichen Glauben immer nur im Namen von Jesus durch dazu bevollmächtigte Diener Gottes. Ein Beispiel aus der Apostelgeschichte belegt diese Praxis, in diesem Fall jedoch war es Unfug und Missbrauch des Namens von Jesus (Apg 19,13-16).

Jesus lässt seine Kritiker nicht im Unklaren – er treibt die Dämonen durch den `Geist Gottes` oder den `Finger Gottes` aus (Mt 12,28;  Lk 11,20). Seinen Jüngern hat er schon zuvor diese Vollmacht gegeben, dass sie in seinem (Jesu) Namen handeln sollen.

Mit einem einprägsamen Spruch hebt Jesus das entweder oder im Dienst für ihn hervor: „Wer nicht mit mir ist, ist gegen mich und wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut.“ (Lk 11,23).

 

Fragen Aufgaben:

  1. Jesus sieht oder kennt die Gedanken der Menschen, was bedeutet dies für uns?

 

  1. Welchen realen Einblick gibt uns Jesus über die Sphäre der unreinen Geister-Dämonen?

 

  1. Durch wen treibt Jesus die bösen Geister aus?

 

  1. Wie sollen wir mit solch schwierigen oft undurchsichtigen Fällen umgehen?

 

  1. Lerne den Merkvers, den Jesus verwendet bei diesen Wahrheiten auswendig.

 

 

8.8.3 Die Gefahr des Rückfalls nach der Befreiung

(Bibeltext: Lk 11,24-26)

 

Wenn der unreine Geist von einem Menschen ausgefahren ist, so durchstreift er dürre Stätten, sucht Ruhe und findet sie nicht; dann spricht er: Ich will wieder zurückkehren in mein Haus, aus dem ich fortgegangen bin. Und wenn er kommt, so findet er’s gekehrt und geschmückt. Dann geht er hin und nimmt sieben andre Geister mit sich, die böser sind als er selbst; und wenn sie hineinkommen, wohnen sie darin, und es wird mit diesem Menschen hernach ärger als zuvor. (Lk 11,24-26).

Niemand weiß so gut Bescheid über die Welt der Dämonen wie Jesus. Und daher kann er auch Einblick geben in das Denken und Handeln dieser menschenfeindlicher Geister. Die Betonung `wasserlose Gegenden` macht deutlich, dass jene unreinen Geister sich in der Sphäre der Ruhelosigkeit, Heimatlosigkeit und ungestillter Sehnsucht befinden. Für den Menschen, der von solchen Mächten frei wurde, ist nun die Gefahr groß, dass er wieder unter die Macht und Einflussbereich unreiner Geister kommt, es sei denn sein Lebenshaus wird vom Geist Gottes ausgefüllt. Diese Warnung galt wohl dem Menschen, der frei wurde, doch ist diese Folgeentwicklung nicht nur auf Einzelne Menschen, sondern auch auf ganze Gruppen zu beziehen (Mt 12,45). In etwas abgewandelter Form geschieht es auch bei einzelnen Personen, welche die ihnen erwiesene Gnade nicht schätzen (2Petr 2,20-22).

Einen weiteren Einblick gibt Jesus uns in die Welt und das Reich der Dämonen: Es gibt unterschiedliche Größen und Stärken in der boßhaften und unreinen Geisterwelt.

  • Es gibt eine Art Zusammenarbeit zwischen den Geistern
  • Sie suchen und finden einander
  • Sie einigen und unterstützen sich gegenseitig, um sich das Menschenopfer gefügig zu machen

Kurz davor hat Jesus erklärt, dass der Satan mit sich selbst nicht uneins wird, weil so seine Herrschaft nicht bestehen würde (Lk 11,18).  Es ist also unärlässlich für die, welche solchen Befreiungsdienst ausüben, dafür zu sorgen, dass dem Befreiten das Evangelium nahegelegt und verständlich gemacht wird, damit er durch Buße und Vergebung Gottes Kind wird und der Heilige Geist in ihm Wohnung bezieht.

 

Fragen / Aufgaben:

  1. Welchen Einblick gibt uns Jesus in die Sphäre der unreinen Geister?

 

  1. Auf welche Gefahr nach der Befreiung macht Jesus aufmerksam?

 

  1. Auf was ist beim Befreiungsdienst insbesondere zu achten?

 

  1. Auf welche Menschengruppe bezieht Jesus im weiteren Sinne die Folgeerscheinung: „Das letztere wird schlimmer als das Erste gewesen ist“?

 

 

8.8.4 Glückselig wer Gottes Wort hört und bewahrt

(Bibeltext: Lk 11,27-28)

 

  • Und es begab sich, als er so redete, da erhob eine Frau im Volk ihre Stimme und sprach zu ihm: Selig ist der Leib, der dich getragen hat, und die Brüste, an denen du gesogen hast. (Lk 1,28)  Er aber sprach: Ja, selig sind, die das Wort Gottes hören und bewahren“ (Lk 11,27-28).

Jesus lässt sich auch mal unterbrechen in seiner Rede von einer Frau aus der Volksmenge und geht auf deren Bemerkung ein. Das Motiv dieser Frau bleibt unklar, doch empfindet sie durchaus positiv sowohl in Bezug auf Jesus als auch auf dessen Mutter – Maria. Vielleicht wird hier auch die Verbindung von Lukas 1,48 hergestellt, wenn auch unbewusst. Auffällig auch besonders für uns im Abendland die orientalische Offenheit und Gelöstheit in Bezug auf den menschlichen Körper, die Beziehung von Säugling und Mutter, Mann und Frau.  Jesus ignoriert diese Bemerkung nicht, lässt sie sozusagen im Raum stehen und lenkt die Gedanken der Zuhörer auf das Wesentlichere, nämlich: „Gottes Wort hören und bewahren“. Auch Maria ist Glückselig nicht in erster Linie weil sie Jesus geboren und gestillt hat, sondern weil es auch von ihr heißt: „Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen“ (Lk 2,19). Damit ist sie in dieser Beziehung Vorbild und bekommt, wenn auch indirekt, Lob von Jesus.

 

 

Fragen:

  1. Wie gehst du damit um, wenn du in deiner Erzählung oder Rede unterbrochen wirst?

 

  1. Wie ordnest du Lob ein, das dir oder deiner Familie ausgesprochen wird?

 

  1. Welche Prioritäten setzt Jesus?

 

8.8.5 Jesus antwortet auf die Zeichenforderung

(Bibeltext: Lk 11,29-32)

  • Die Menge aber drängte herzu. Da fing er an und sagte: Dies Geschlecht ist ein böses Geschlecht; es fordert ein Zeichen, aber es wird ihm kein Zeichen gegeben werden als nur das Zeichen des Jona. Denn wie Jona ein Zeichen war für die Leute von Ninive, so wird es auch der Menschensohn sein für dieses Geschlecht“ (Lk 11,29-30).

Mit der Antwort auf die Zeichenforderung (Lk 11,15) fällt Jesus auch ein klares Urteil über den ungläubigen und verhärteten Teil der Juden in Israel. Dies ist sehr auffällig und wird an mehreren Stellen wiederholt und bekräftigt ((Mt 12,38-45; 16,4 (Vgl. Mk 8,11-12; Lk 11,32) Mt 17,17 (Vgl. Mk 9,19; Lk 9,41) Mt 24,34 (Vgl. Mk 13,30; Lk 21,32) Mk 8,38;   Apg 2,40)).

Aus dem Kontext wird deutlich, dass diese Anfrage/Forderung aus den Reihen der Pharisäer und Schriftgelehrten (Gesetzeskundigen) kam (Lk 11,42+44). Somit wjrd klar, wen Jesus mit der Bezeichnung `Arges/böses Geschlecht` in erster Linie meint. Im griechischen steht dafür die Bezeichnung `γενεα[10] πονηρα – genea ponira`. Die Glaubenden an Jesus sind aus der Gruppe des `Bösen Geschlechts`ausgenommen. Doch nicht nur viele Schriftgelehrte aus der Pharisäerpartei, sondern auch aus den Reihen der Sadduzäer und dem Kreis um Herodes, gehören zu den Zeichenforderern (Mt 12,39; Lk 23,8) und damit zu diesem `argen Geschlecht`. Bei den vielen und verschiedenen Wundern von Jesus, welche immer auch Zeichen seiner Messianität waren, drängt sich schon die Frage auf: Wie viel und was soll Jesus noch tun zum Beweis seiner göttlichen Sendung?

  • Alle Arten von Krankheiten heilte er,
  • Aussätzige reinigte er vollständig,
  • Tote weckte er wieder zum Leben auf,
  • Wasser verwandelte er in Wein (eindeutiges messianisches Zeichen),
  • Brot vermehrte er (eindeutig das Zeichen des verheißenen Propheten),
  • Auf dem Wasser ging er einher, wie auf festem Boden,
  • Den Sturmwind stillte er plotzlich,
  • Gedanken der Menschen sah und erkannte er vollkommen,
  • Prophetische Aussagen wurden in seinem Leben erfüllt,

Wer damals wie heute gegen besseres Wissen sich Jesus verweigert, gehört zu diesem `argen Geschlecht`.

Jesus geht niemals auf die selbstsüchtigen und unlauteren Forderungen oder Erwartungen der Menschen ein. Vielmehr tut er das, was sein himmlischer Vater ihn anwies. Und immer wieder greift er zur Schrift zurück, so auch hier (Jona 3,3-10). Dieser ungläubigen Generation soll das Zeichen des Propheten Jona gegeben werden, also etwas, was Gott für richtig und notwendig hält und auch in seinem Plan eingeschlossen ist.

Die Menschen in Ninive (Heiden und zeitweise Feinde des Volkes Israel) taten geschlossen Buße auf die Wortpredigt des Jona. Jesus bekräftigt ständig seine Lehre mit den Wunderwerken des Vaters und ihm wird nicht geglaubt. Daraus folgt ein höheres Maß an Verantwortung. In zweierlei Hinsich ist Jona ein Zeichen, welches auf Jesus hinweist (Mt 12,38-41). Zum einen seine scheinbare Niederlage (drei Tage in des Fisches Bauch) und zum anderen sein Erfolg (Tagespredigt und die Niniviten bekehrten sich zu Gott). Mit den Worten: „Hier ist mehr als Jona“ wird die überragende Person von Jesus und auch sein unübertroffener, vollmächtiger Verkündigungs,- und Heilungsdienst hervorgehoben.

Sehen wir uns einmal die Parallelen, Unterschiede und Gegensätze von Jona und Jesus näher an:

Jona Jesus
Jona bekommt von Gott den Auftrag nach Ninive zu gehen

 

Jesus wird von seinem Vater in diese Welt gesandt
Jona ist ungehorsam und flieht Jesus gehorcht und geht
Jona ist drei Tage/Nächte im Bauch des großen Fisches Jesus ist drei Tage/Nächte mitten in der Erde
Jona wird auf Gottes Geheiß wieder zum natürlichen Leben befreit Jesus wird von seinem Vater von dem körperlichen Tod zum geistlich/köperlichen ewigen Leben auferweckt
Jona predigt Untergang, die Niniviten bekehren sich geschlossen zu Gott Jesus predigt Rettung, der größte Teil des Volkes lehnt ihn jedoch ab
Jona erfüllt einen lokalen Auftrag (Stadt Ninive)  mit zeitlichem Erfolg Jesus erfüllt den allumfassenden Auftrag seines Vaters (Rettungsbotschaft für die ganze Welt) mit Langzeitauswirkungen

 

Zur Bekräftigung führt Jesus noch ein weiteres Ereignis aus der Geschichte Israels an. Den Besuch der Königin von Saba, die vom äußersten der Erde kam, um Salomos Weisheit zu hören (1Kön 10,1ff; 2Chron 9,3ff). Und damit legt er eine große Verantwortung auf die Menschen (Generation) seiner Zeit, welche trotz besseres Wissen sich ihm und seiner Rettung größtenteils verweigerten.

 

Fragen:

  1. Wer sind die Menschen, welche immer wieder ein besonderes Zeichen von Jesus fordern und wie nennt Jesus sie?

 

  1. Wo erkennen wir auch in unserer Zeit, dass traditionelle Religiosität Eifersucht, Neid und Status, einer echten Buße und kindlichem Glauben im Wege stehen?

 

  1. Warum geht Jesus nicht auf die Zeichenforderung ein?

 

  1. Woran wird Jesus die Verantwortung des Menschen messen am Jüngsten Tag?

 

  1. Nenne einige Vergleiche und Unterschiede zwischen Jona und Jesus.

 

8.8.6 Das Gleichnis vom Licht

Lk 11,33-36

  • „Niemand zündet ein Licht an und setzt es in einen Winkel, auch nicht unter einen Scheffel, sondern auf den Leuchter, damit, wer hineingeht, das Licht sehe.  Dein Auge ist das Licht des Leibes. Wenn nun dein Auge lauter ist, so ist dein ganzer Leib licht; wenn es aber böse ist, so ist auch dein Leib finster.  So schaue darauf, dass nicht das Licht in dir Finsternis sei. Wenn nun dein Leib ganz licht ist und kein Teil an ihm finster ist, dann wird er ganz licht sein, wie wenn dich das Licht (der Blitz) erleuchtet mit hellem Schein“ (Lk 11,33-36).

Schon in Matthäus 5,15-16 und Lukas 8,16 verwendet Jesus das Bild/Gleichnis vom Licht und wendet es dort im Kontext an. Der griechische Begriff für Licht heißt `φως[11], φοτεινος – fos, foteinos` und wird grundsätzlich positiv verwendet. Licht ist bis in unsere Zeit eins der am schwierigsten erklärbaren Elemente. Bis heute haben die Wissenschaftler keine eindeutige und umfassende Definition für Licht gefunden. Doch Licht hat Auswirkungen und daraus können wir einiges ableiten:

  • Licht, wenn es auch noch so gering ist, vertreibt die Finsternis,
  • Licht erzeugt, oder durch Licht entsteht Leben,
  • Licht wärmt,
  • Licht macht Gegenstände erkenntlich,
  • Licht ist immer der Finsternis überlegen,

8.9  Ein Pharisäer lädt Jesus zum Essen ein

Lk 11,37-54

 

  • Als er noch redete, bat ihn ein Pharisäer, mit ihm zu essen. Und er ging hinein und setzte sich zu Tisch. Als das der Pharisäer sah, wunderte er sich, dass er sich nicht vor dem Essen gewaschen hatte“ (Lk 11,37-38).

Mitten in das Gespräch fragt ein Pharisäer, ob Jesus mit ihm essen würde? Und Jesus willigt ein, obwohl er weiß, dass ihm unangenehme Gespräche bevorstehen. Auslöser dafür war die Verwunderung des Pharisäers über den Umstand, dass Jesus vor dem Essen das Waschen der Hände unterlassen hatte. Es ist eher unwahrscheinlich, dass Jesus aus provozierender Absicht dieses Ritual unterlassen hatte. Eher ist der Umstand, dass er gar keine schmutigen Hände hatte und kein Bedarf am waschen bestand. Kaum vorstellbar, dass Jesus absichtlich mit schmutzigen Händen jemand berührt hätte oder sich an den gedeckten Tisch gesetzt hätte.Denn auch bei anderen Gelegenheiten ignorierte er die jüdischen Vorschriften der Ältesten, so bei Heilungen am Sabbat.

Wie auch in anderen Fällen so auch hier kommt es Jesus nicht darauf an nur wegen Einhaltung von Sitten, Gebräuchen oder Tradiditon, ein Ritual ohne Grund einzuhalten.

Der Pharisäer konnte jedoch seinen Unwillen nicht verbergen und hat es Jesus spüren lassen. Dies nimmt Jesus zum Anlaß, um auf die eigentlichen Missstände jener Gruppe hinzuweisen.

Folgende Bereiche nennt Jesus hier:

  • Einforderung des Zehnten von Gräßern und Gewürzen – Dill und Kümmel
  • Das äußere der Becher (Kelche) und Schüsseln (Schalen, Tablets) wird peinlich genau rein gehalten. Was aber Jesus beanstandet, ist das Innere des Herzens bei den Pharisäern – es ist nämlich voll Raubes und Schlechtigkeit (Bosheit). Nur Jesus kennt das ganze Ausmaß an Bösen Gedanken, Neid, Eifersucht, Besserwisserei, Stolz und Überheblichkeit des menschlichen Herzens.

Doch wie stellt Jesus fest, dass die Pharisäer voll von Raub sind?

  • Sie Raubten die Armen aus, indem jenen Abgabe-Lasten aufgezwungen werden (Zehnter von allerlei Gewürzgräßern und Kräutern), am Gericht (rechtes Urteil) und an der Liebe Gottes (die sich immer auch dem Nächsten zuwendet) gehen sie kaltherzig vorbei (Lk 11,42).
  • Durch falsche Interpretation der Schrift leiteten sie Zuwendungen der Kinder welche für die Eltern bestimmt waren, an den Tempel um (der sogenannte Korban) – und dies war Raub (Mk 7,11),
  • Sie raubten Gott die Ehre und eigneten diese sich selber an (Joh 5,44),
  • Auf den Marktplätzen nahmen sie gerne die ehrenvollen Begrüßungen der Leute an, so lenkten sie die Ehrerbietung der Menschen auf sich anstatt auf Gott (Lk 11,43) – auch dies ist Raub.
  • In den Synagogen wetteiferten sie um die ehrenvollen ersten Sitzplätze, auch wenn jene ihnen nicht zustanden – Ehrsucht – Ellbogenmentalität (Lk 11,43).
  • Ferner deckt Jesus die Heuchelei der Pharisäer auf (Vergleich mit den verdeckten Gräbern Lk 11,44).
  • Auch die sogenannten Gesetzeskundigen spricht Jesus an: Mit unerträglichen Lasten belastet ihr die Menschen, selber jedoch rührt ihr diese nicht mit einem Finger (Lk 11,46).
  • Ihr baut (schmückt) die Gräber der Propheten (Lk 11,47).
  • Die Schlüssel zum Himmelreich (die Erkenntnis Gottes) haben sie weggenommen (Lk 11,52) – auch dies ist Raub.

Fragen:

  1. Aus welchen Motiven lädt dieser Pharisäer Jesus zum Essen ein?
  2. Warum lässt sich Jesus ohne weiteres einladen, obwohl er um die Brisanz der Fragen und Gespräche am Tisch im voraus ahnen kann oder einfach weiss?
  3. Warum hält sich Jesus nicht an die vorgeschriebenen Rituale der Ältesten?
  4. Warum deckt Jesus so schonungslos die innere verborgene Welt der Pharisäer und Schriftgelehrten auf?
  5. Was sind unsere Tischgespräche? Fragen zur Herstellung vom Essen, Austausch von Rezepten? Kommt es auch zu tieferen Gesprächen über die innere Welt der Gedanken und Motive?

 

 

8.10  Ermutigung zu einem ehrlichen Bekenntnis zu Gott

Lk 12,1-12

8.10.1 Sein oder Schein – Verborgenes wird offenbar

  • Unterdessen kamen einige tausend Menschen zusammen, sodass sie sich untereinander traten. Da fing er an und sagte zuerst zu seinen Jüngern: Hütet euch vor dem Sauerteig der Pharisäer, das ist die Heuchelei. 2 Es ist aber nichts verborgen, was nicht offenbar wird, und nichts geheim, was man nicht wissen wird. 3 Darum, was ihr in der Finsternis sagt, das wird man im Licht hören; und was ihr ins Ohr flüstert in der Kammer, das wird man auf den Dächern predigen“ (Lk 12,1-3).

Die folgenden Abschnitte scheinen eine zeitliche und thematische Fortsetzung des Vorhergehenden zu sein. Nach dem Besuch im Haus des Pharisäers, wendet sich Jesus nun zunächst wieder an seine Jünger, obwohl eine große Menschenmenge auf ihn wartet. Es ist eine Art Reflexion dessen, was sie bei jenem Besuch hörten und erlebten.

Lukas vermerkt hier die Vielzahl der Menschen, die zusammenkamen, nämlich `μυριαδων – myriadon`, das sind zehntausende[12] (hier im Plural). Dabei gehen sie miteinander keineswegs zimperlich um, im Text steht: „sie traten einander“. Jeder drängte nach vorne, dabei wurden Menschen verletzt. Doch Jesus zeigt sich hier nicht zuständig für die öffentliche Ordnung, er wendet sich zuerst an seine Jünger. Zu sehr bewegt ihn der Virus der Heuchelei, besonders deutlich erkennbar bei den gesetzestreuen Pharisäern und Schriftgelehrten. Das Bild vom Sauerteig[13] verwendet Jesus in diesem Zusammenhang, um auf die rasche und gänzliche Durchdringung des Viruses der Heuchelei in alle Lebensbereiche des Menschen hervorzuheben. Für Heuchelei benutzen die Evangelisten den Begriff `υποκρισις – ypokrisis`. Der Heuchler war dann der `υποκριτης – ypokritis`, also jemand der unter dem Richter stand, bzw. unter Gericht, oder der dem Gerichtsurteil nicht standthalten konnte. Die Heuchelei bei Bileam ist ein deutliches Beispiel dafür (Vgl. 4Mose 22,7-18; mit 2Petr 2,15-16). Mit seinen Worten lehnte Bileam den Wahrsagerlohn ab, doch in seinem Herzen begerhte er ihn und das ist Heuchelei, deshalb stand er unter dem Urteil Gottes.

Im Alltag wurde dieser Begriff im griechischen Kulturraum für die Schauspieler im Theater auf der Bühne gebraucht. Es sind Menschen, die ihr wahres Gesicht unter einer Maske verdecken und mit Stimme, Worten und Gestik die zu spielende Rolle einer Person zu immitieren versuchen. Dadurch bleibt meistens der Schauspieler in seiner eigentlichen Identität unerkannt.

Mit dieser verderblichen Unart geht Jesus sehr offen ins Gericht. Dazu verwendet er Bilder mit Gegensätzen. Es ist nichts verborgen, das nicht offenbar werde und nichst Heimliches, was man nicht wissen werde. Ein deutlicher Hinweiss, dass alles Verborgene des Menschen und im Menschen entweder noch zu seinen lebteiten oder spätestens im Endgericht offengelegt wird. Paulus greift später diesen Gedanken in 1Tim 5,24 auf:

  • Bei einigen Menschen sind die Sünden offenbar und gehen ihnen zum Gericht voran; bei einigen aber werden sie hernach offenbar.“

Dieser sündige Hang des Menschen zum Schein (Heiligen) ist keineswegs auf die Kultur und das Leben im Judentum zur Zeit von Jesus beschränkt, sondern findet sich in allen Kulturen, besonders in religiösen Systemen und frommen Kreisen.

 

 

 

Fragen:

  1. Lukas der Arzt und Geschichtsschreiber geht grundsätzlich sehr genau mit Zahlen um. Doch hier wird es schwierig mit dem zählen. Wie gehen wir mit Zahlen um, übertreiben wir gern, oder untertreiben wir lieber, wie nahe sind wir der Wahrheit?

 

 

  1. Warum kümmert sich Jesus hier nicht um die öffentliche Ordnung? Ist es ihm egal, dass Menschen einander wegdrängen, oder sieht er darin nicht seinen Auftrag? Wo und wann haben wir öffentlich in eine chaotische Situation eingegriffen mit oder ohne Erfolg?

 

 

  1. Warum wendet sich Jesus an seine Jünger, obwohl die Gelegenheit da ist, zu einer großen Menschenmenge zu sprechen? Was unterscheidet ihn von den religiösen Führern unserer Zeit?

 

 

  1. Erkläre den Begriff Heuchelei anhand eines konkreten Beispiels. Wie und wodurch können wir heute diesen Virus erkennen und erfolgreich bekämpfen?

 

  1. Nenne Beispiele von Dingen, die streng geheim waren oder lange geheim gehalten wurden, aber am Ende doch an die Öffentlichkeit gelangten? Wie reagieren die Menschen darauf?

8.10.2 Wer ist zu fürchten? Wer kann den Leib töten? Wer hat die Vollmacht Leib und Seele in der Hölle verderben?

 

  • Ich sage aber euch, meinen Freunden: Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten und danach nichts mehr tun können. Ich will euch aber zeigen, vor wem ihr euch fürchten sollt: Fürchtet euch vor dem, der, nachdem er getötet hat, auch Macht hat, in die Hölle zu werfen. Ja, ich sage euch, vor dem fürchtet euch“ (Lk 12,4-5).

Folgende Fragen stellen wir an den Text:

  1. Wer kann den Leib (Körper) töten, aber danach nichts mehr tun? Warum sollen die Jünger diese Töter/Täter nicht fürchten?

Antworten auf diese Frage bekommen wir aus folgenden Texten, welche auch über die Erfahrungen der ersten Christen berichten.

  • Joh 16,2 „Sie werden euch aus der Synagoge ausstoßen. Es kommt aber die Zeit, dass, wer euch tötet, meinen wird, er tue Gott einen Dienst damit.“
  • Apg 12,1-2 „Um diese Zeit legte der König Herodes Hand an einige von der Gemeinde, sie zu misshandeln. Er tötete aber Jakobus, den Bruder des Johannes, mit dem Schwert.“
  • Apg 26,10 „Das habe ich in Jerusalem auch getan; dort brachte ich viele Heilige ins Gefängnis, wozu ich Vollmacht von den Hohenpriestern empfangen hatte. Und wenn sie getötet werden sollten, gab ich meine Stimme dazu.“
  • Apg 7,59 „und sie steinigten Stephanus; der rief den Herrn an und sprach: Herr Jesus, nimm meinen Geist auf!“

Die Beispiele in diesen Texten machen deutlich,- Menschen werden von und durch Menschen getötet. Dahinter steht der Einfluß und das Wirken Satans von dem Jesus sagt, dass er von Anfang an ein Lügner und Menschenmörder ist.

  • Joh 8,44 „Ihr habt den Teufel zum Vater, und nach eures Vaters Gelüste wollt ihr tun. Der ist ein Mörder von Anfang an und steht nicht in der Wahrheit; denn die Wahrheit ist nicht in ihm. Wenn er Lügen redet, so spricht er aus dem Eigenen; denn er ist ein Lügner und der Vater der Lüge.“

 

  1. Wer besitzt die Vollmacht über das Leben, den Tod, die Hölle, die Verdammnis?

Wen meint Jesus mit den Worten: „Ich will euch aber zeigen, wen ihr fürchten sollt“?

Wir haben bereits festgestellt, dass es nicht Menschen sind, die wir zu fürchten haben, auch wenn diese töten/morden. Wer ist also dann hier als der Vollmächtige gemeint, der unbedingt zu fürchten ist? Ist es der Teufel oder Gott?

Das der Teufel als Urheber von Lüge und Mord von Jesus selbst als solcher bezeichnet wird, gibt uns zunächst das Recht zu sagen, dass alles Böse letztlich in ihm wurzelt und obwohl er selbst im Hintergrund bleibt, doch offensichtlich den Menschen instrumentalisiert für seine Zwecke. Ist daraus der Schluss zu ziehen, dass er auch das legare Recht und die Vollmacht bekommen hat, nach dem töten auch zu verderben in die Hölle?

Zunächst der altgriechische Text:

  • „ὑποδείξω δὲ ὑμῖν τίνα φοβηθῆτε· φοβήθητε τὸν μετὰ τὸ ἀποκτεῖναι ἔχοντα ἐξουσίαν ἐμβαλεῖν εἰς τὴν γέενναν. ναὶ λέγω ὑμῖν, τοῦτον φοβήθητε.“

Der griechische Begriff ´αποκτειναι – apokteinai´ wird mit ´töten-umbringen´ übersetzt, so in Lk 13,31; Apg 21,31;  Joh 5,18; 7,1. 19. 20; 8,31. 40). In all diesen Stellen in denen dieser Begriff vorkommt,  geht es um ein aktives Töten/umbringen und es ist gegen Jesus und seine Nachfolger gerichtet.

Hier die unterschiedlichen Übersetzungsvarianten:

Elberfelder ÜS: „der nach dem Töten die Vollmacht hat.“ Hier ist nicht eindeutig, wer der Tötende ist.

Neues Leben ÜS:Aber ich sage euch, wen ihr wirklich fürchten sollt: Fürchtet Gott, der die Macht hat, Menschen zu töten und sie danach in die Hölle zu werfen.“

In dieser Übersetzung ist Gott der allein Handelnde.

Neue Genfer ÜS: „Fürchtet den, der nicht nur töten kann, sondern auch die Macht hat, in die Hölle zu werfen.“ Hier sind beide Aktionen in einer Person vereint, doch nicht eindeutig in welcher Person.

Luther ÜS. 84: „Fürchtet euch vor dem, der, nachdem er getötet hat, auch Macht hat, in die Hölle zu werfen. Ja, ich sage euch, vor dem fürchtet euch.“ Auch hier bleibt offen, wer getötet hat. Doch der Tötende ist gleichsam auch der Vollmächtige, um in die Hölle zu werfen.

Die Neugriechische ÜS: „Να σας πω ποιον να φοβηθειτε, το Θεο, που εχει την εξουσια να σας ριξει στην κολαση μετα το φυσικα θανατο“. Gott hat die Vollmacht nach dem physischen Tod in die Hölle zu werfen. Bei dieser Übersetzung wird Gott nicht zwangsläufig als ´Töter´des Leibes gesehen. Menschen sterben, oder werden getötet, doch nur Gott hat die Vollmacht nach eintreten des physischen Todes jemand in die Verdammnis zu werfen. Diese bunte Vielfalt bei den Übersetzungen zeigt, dass wir es nicht nur mit einem schwierigen Text zu tun haben, sondern auch, dass es unterschiedliche Sichtweisen über Gottes Wesen gibt (auch unterschiedliche Sichtweisen über das Wesen Satans und seiner Kompetenzen).

In Psalm 90,3 sagt Mose von Gott:

  • Der du die Menschen lässest sterben und sprichst: Kommt wieder, Menschenkinder!

Doch gibt es auch viele Texte und Aussagen, aus denen eindeutig hervorgeht, dass Gott die Vollmacht besitzt und das legale Recht hat aufgrund seiner Heiligkeit und Gerechtigkeit, das physische Leben von Menschen zu beenden. Und diese Vollmacht hat er auch unter konkreten und klaren Voraussetzungen an bestimmte Institutionen übertragen. Doch Gott ist ein Gott des Lebens und nicht des Todes und Tötens.

 

Schauen wir uns noch den Pralleltext aus Matthäus 10,28 an:

  • Und fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, doch die Seele nicht töten können; fürchtet euch aber viel mehr vor dem, der Leib und Seele verderben (απολεσαι-apolesai) kann in der Hölle.“

In diesem Text ist der Bezug auf das ´Verderben in die Hölle´ als Schwerpunkt hervorgehoben. Und dieser Vollmachthabende ist zu fürchten. Der gr.Begriff  ´απολεσαι-apolesai´ wird mit ´verderben´ übersetzt (Mk 1,24: „Bist du gekommen uns zu verderben?“;   Jak 4,12 „Einer ist Gesetzgeber und Richter, der kann retten und verdammen“) und bezieht sich auf die vollmächtige und richterliche Vollmacht Gottes und der Person Jesu.

 

Fazit: Der Teufel ist also der Verursacher und der Veranlasser des tötens/Mordens. Die  Menschen als seine Diener, sind Handlanger der Tötungs oder Mordtaten. Niemals hat Gott ihm dem Satan die Vollmacht erteilt über das körperliche oder auch geistliche Leben der Menschen, dies hat er sich mit List und Betrug angeeignet. Es wäre graußam und schrecklich, hätte der Teufel dieselbe Vollmacht wie Gott, er würde sie nur zu seinem eigenen Vorteil einsetzen. Es gibt keinen Hinweis im Neuen Testament, dass die Gläubigen den Teufel/Satan oder gar seine Dämonen fürchten sollen (Angst haben), schon gar nicht ehr-fürchten.

  • Lk 10,18-19 „Er sprach aber zu ihnen: Ich sah den Satan vom Himmel fallen wie einen Blitz (Joh 12,31). Seht, ich habe euch Macht gegeben, zu treten auf Schlangen und Skorpione, und Macht über alle Gewalt des Feindes; und nichts wird euch schaden“ (1Petr 5,8-9; Joh 14,1 „Euer Herz erschrecke nicht! Glaubt an Gott und glaubt an mich!).

Immer forderte Jesus seine Jünger auf: „fürchtet euch nicht“, weil ihre Furcht/Erschrecken ausgelöst wurde durch Konzentration auf ein angebliches Gespenst (Mt 14,26; Mk 6,49). Gerade in diesem Fall will Jesus seinen Jüngern die Angst/Furcht vor dämonischen Geistern nehmen und auf den gerechten und fürsorgenden Gott ausrichten.

  • Hebr 2,14-15 „Weil nun die Kinder von Fleisch und Blut sind, hat auch er’s gleichermaßen angenommen, damit er durch seinen Tod die Macht nähme dem, der Gewalt über den Tod hatte, nämlich dem Teufel“ (2Tim 1,10).

Der Teufel ist entmachtet durch den Tod und die Auferstehung von Jesus Christus. Dagegen gibt es viele Hinweise und Aufforderungen in der Heiligen Schrift zur Furcht Gottes (sowohl Erfurcht vor Gott als auch ein Erzittern in seiner Gegenwart: 2Mose 1,17+21; Hebr 12,21; 2Kor 5,11;  Offb 14,7).

 

Wenn also der Teufel seiner Macht über den Tod durch Christus beraubt (entmachtet) wurde, dann hat er auch keine Vollmacht Menschen nach dem physischen Tod (wie auch immer derselbe eingetreten ist) in die Hölle zu werfen. Diese Vollmacht steht allein Gott zu, wie folgende Textaussagen deutlich machen: Mt 25,41+46;  2Thes 2,8;  2Thes 1,8-9;  Offb 19,20;  Joh 16,8-11; Mt 22,13; Offb 11,18.

Daher muß unser Text nicht zwingend mit: „Nachdem er getötet hat“ übersetzt werden, sondern einfach: „Nachdem getötet worden ist“, es kann hier offengelassen werden, wer den Leib getötet hat.

 

Fragen:

  1. Vor wem sollen sich die Jünger von Jesus nicht fürchten und warum?

 

  1. Vor wem ist Furcht/Erzittern und auch Ehrfurcht geboten?

 

  1. Daß der Teufel ein Lügner und Mörder ist von Anfang an ist bekannt, doch warum fällt es Christen so schwer anzunehmen, dass Gott nicht nur Leben ist, Leben geschaffen hat, sondern auch Leben beenden kann, ja auch nach dem Ende dieses Lebens freisprechen oder verdammen kann?

 

Das Thema wird von Jesus weitergeführt unter dem Aspekt der kindlichen Vertrauensbeziehung zum Vater im Himmel. Und wieder spricht Jesus in einem Vergleich.

  • Verkauft man nicht fünf Sperlinge für zwei Groschen? Dennoch ist vor Gott nicht einer von ihnen vergessen. Aber auch die Haare auf eurem Haupt sind alle gezählt. Darum fürchtet euch nicht; ihr seid besser als viele Sperlinge“ (Lk 12,6-7).

Gott kümmert sich um seine Geschöpfe und ergreift lebenserhaltende Maßnahmen. Während wir uns wenig darum kümmern, wenn uns beim waschen oder kämmen einige Haare vom Haupt fallen, sind sie bei Gott gezählt. Welche Aufmerksamkeit, was für eine Fürsorge! Darum sollen wir uns nicht fürchten vor denen, welche uns physische Gewalt antun können. Er wird dafür sorgen, dass wir von seinem Geist mit Weisheit beschenkt werden (Lk 21,15;  Mk 13,11) und über uns seine Gnade wie einen Schirm ausbreiten (1Petr 4,14).

 

8.10.3 Das klare Bekenntnis zu Jesus

Die Nachfolge der Jünger von Jesus ist immer mit einer Herausforderung verknüpft.

  • Ich sage euch aber: Wer mich bekennt vor den Menschen, den wird auch der Menschensohn bekennen vor den Engeln Gottes. Wer mich aber verleugnet vor den Menschen, der wird verleugnet werden vor den Engeln Gottes“ (Lk 12,8-9).

Irgendwann müssen sie, die Jünger, Farbe bekennen. Sich zu Gott im allgemeinen zu bekennen, ist fast in allen Religionen und sogar weltlichen Systemen akzeptiert, doch das Bekenntnis zur Person von Jesus Christus aus Nazaret, wird immer wieder auf Widerstand, Verachtung und sogar Verfolgung stoßen.

 

Fragen:

  1. Warum ist der allgemeinde Glaube und Bekenntnis zu Gott fast überall akzeptiert?

 

  1. Nenne Beispiele, wo und wann du zu einem Bekenntnis zu Jesus herausgefordert wurdest?

 

 

8.10.4 Jesus warnt vor der Lästerung des Heiligen Geistes

Lk 12,

 

Die Frage nach der Sünde, die zum Tode führt wird hier gestellt und beantwortet (1Joh 5,16).

  • Wenn jemand seinen Bruder sündigen sieht, eine Sünde nicht zum Tode, so mag er bitten und Gott wird ihm das Leben geben – denen, die nicht sündigen zum Tode. Es gibt aber eine Sünde zum Tode; bei der sage ich nicht, dass jemand bitten soll.

1Joh 5,17

  • Jede Ungerechtigkeit ist Sünde; aber es gibt Sünde nicht zum Tode.“

 

  • Und wer ein Wort gegen den Menschensohn sagt, dem soll es vergeben werden; wer aber den Heiligen Geist lästert, dem soll es nicht vergeben werden. (Mt 12,32; Mk 3,28) Wenn sie euch aber führen werden in die Synagogen und vor die Machthaber und die Obrigkeit, so sorgt nicht, wie oder womit ihr euch verantworten oder was ihr sagen sollt; denn der Heilige Geist wird euch in dieser Stunde lehren, was ihr sagen sollt“ (Lk 12,10-12).

 

Mt 12,28

  • „Wenn ich aber die bösen Geister durch den Geist Gottes austreibe, so ist ja das Reich Gottes zu euch gekommen.

 

Mt 12,31-32

  • Darum sage ich euch: Alle Sünde und Lästerung wird den Menschen vergeben; aber die Lästerung gegen den Geist wird nicht vergeben. Und wer etwas redet gegen den Menschensohn, dem wird es vergeben; aber wer etwas redet gegen den Heiligen Geist, dem wird’s nicht vergeben, weder in dieser noch in jener Welt.

 

Mt 9,34

  • „Aber die Pharisäer sprachen: Er treibt die bösen Geister aus durch ihren Obersten.

Mt 12,24

  • „Aber als die Pharisäer das hörten, sprachen sie: Er treibt die bösen Geister nicht anders aus als durch Beelzebul, ihren Obersten.

Mk 3,22

  • „Die Schriftgelehrten aber, die von Jerusalem herabgekommen waren, sprachen: Er hat den Beelzebul, und: Er treibt die bösen Geister aus durch ihren Obersten.

Lk 11,15

  • „Einige aber unter ihnen sprachen: Er treibt die bösen Geister aus durch Beelzebul, ihren Obersten.

 

Hebr 6,4-6

  • „Denn es ist unmöglich, die, die einmal erleuchtet worden sind und geschmeckt haben die himmlische Gabe und Anteil bekommen haben am Heiligen Geist und geschmeckt haben (Hebr 10,26; 2Petr 2,20 das gute Wort Gottes und die Kräfte der zukünftigen Welt  und dann doch abgefallen sind, wieder zu erneuern zur Buße, da sie für sich selbst den Sohn Gottes abermals kreuzigen und zum Spott machen.

 

Hebr 10,26-29

  • denn wir mutwillig sündigen, nachdem wir die Erkenntnis der Wahrheit empfangen haben, haben wir hinfort kein andres Opfer mehr für die Sünden, (Hebr 6,4) sondern nichts als ein schreckliches Warten auf das Gericht und das gierige Feuer, das die Widersacher verzehren wird. Wenn jemand das Gesetz des Mose bricht, muss er sterben ohne Erbarmen auf zwei oder drei Zeugen hin. Eine wie viel härtere Strafe, meint ihr, wird der verdienen, der den Sohn Gottes mit Füßen tritt und das Blut des Bundes für unrein hält, durch das er doch geheiligt wurde, und den Geist der Gnade schmäht?

 

Hebr 12,25

  • Seht zu, dass ihr den nicht abweist, der da redet. Denn wenn jene nicht entronnen sind, die den abwiesen, der auf Erden redete, wie viel weniger werden wir entrinnen, wenn wir den abweisen, der vom Himmel redet. (Hebr 2,2; Hebr 10,28)

 

 

 

1Kor 6,18

  • Flieht die Hurerei! Alle Sünden, die der Mensch tut, bleiben außerhalb des Leibes; wer aber Hurerei treibt, der sündigt am eigenen Leibe.

 

Joh 16,9

  • über die Sünde: dass sie nicht an mich glauben;

 

Kol 3,5

  • So tötet nun die Glieder, die auf Erden sind, Unzucht, Unreinheit, schändliche Leidenschaft, böse Begierde und die Habsucht, die Götzendienst ist.

1Tim 6,1

  • Denn Geldgier ist eine Wurzel alles Übels; danach hat einige gelüstet und sie sind vom Glauben abgeirrt und machen sich selbst viel Schmerzen.

1Johannes 1,5-2,2

 

Fragen:

  1. Was sagt uns die Bibel über die verschiedenen Sündenarten? Gibt es Unterschiede zwischen den Sünden?

 

  1. Warum ist die Lästerung des Heiligen Geistes mit so einem strengen Urteil bemessen?

 

  1. Kann ein Christ, der den Heiligen Geist hat, diesen lästern?

 

  1. Wie können wir uns vor Sünden schützen? Und was ist zu tun, wenn wir gesündigt haben?

8.11  Jesus warnt vor Habgier

Lk 12,13-21 (HUL)

8.11.1 Herr, sage meinem Bruder, dass er das Erbe mit mir teile

  • Es sprach aber einer aus dem Volk zu ihm: Meister, sage meinem Bruder, dass er mit mir das Erbe teile. Er aber sprach zu ihm: Mensch, wer hat mich zum Richter oder Erbschlichter über euch gesetzt? Und er sprach zu ihnen: Seht zu und hütet euch vor aller Habgier; denn niemand lebt davon, dass er viele Güter hat“ (Lk 12,13-15).

Jesus lässt sich immer wieder unterbrechen in seiner Rede, oder es gab mal eine Redepause und ein Zuhörer fordert Jesus heraus ihm in seinem Problem beizustehen. Es gab eine gesetzliche Regelung in der Frage des Erbrechts (5Mose 21,17) obwohl in der Anfangszeit der Geschichte Israels damit sehr individuell umgegangen wurde (1Mose 29,30; 49,3;  5Mose 21,17). Jesus hätte hier die Möglichkeit und auch Fähigkeit diese Streitsache gerecht zu klären, was er jedoch nicht tut. Nicht dass es ihm die soziale Gerechtigkeit gleichgültig wäre, sondern weil er ein neues Prinzip einführen will, dass für die Lösungen von solcherart Problemen geeigneter ist. Warum will dieser Mensch seine Sache vor dem Lehrer Jesus verhandeln? Was geht in seinem Herzen vor?

 

Fragen:

  1. Fordert er seinen Anteil von seinem Bruder aus der Not, dem Bedarf heraus, weil er darauf angewiesen ist?

 

  1. Fordert er seinen Anteil, weil dieser ihm vom Gesetz zusteht?

 

  1. Fordert er seinen Anteil aus Habgier?

 

Jesus wendet sich an alle Umherstehenden mit der Herausforderung: „Hütet euch von  jeder Art von Habgier“. Verzichte auf dein Recht. Begnüg dich mit dem, was du hast. Denk an die Beziehung zu deinem Bruder. Was habt ihr davon, wenn ihr das Recht bekommt, aber die Beziehung verliert?

 

 

Fragen:

  1. Warum geht Jesus nicht auf das Anliegen dieses Menschen ein? Ist ihm die soziale Gerechtigkeit nicht wichtig?

 

  1. Was ist Habgier, durch welche weiteren Begriffe wird diese sündhafte Neigung des Menschen beschrieben?

 

  1. Welche Lösung für dieses Problem (Teilung des Erbes) bietet Jesus an?

 

 

8.11.2 Das Gleichnis vom reichen Ertrag des Feldes eines Grundbesitzers

Lk 12,16-21

 

Fragen:

  1. Der Grundbesitzer, was besaß er und welches Glück hatte er? Ist es so schlimm, wenn jemand viel Erfolg hat, ein gutes Gehalt bekommt, oder mal eine besondere Premie?

 

2.Was dachte der Grundbesitzer in seinem Herzen, welche Überlegungen stellte er an? Was für Pläne machte er? An was denken wir, wenn wir Erfolg haben?

 

3.Was hatte er in seinen Überlegungen falsch gemacht? Welche weiteren Möglichkeiten standen ihm offen? Was hättest du an seiner Stelle gemacht?

  1. Welches Urteil trifft ihn? Warum lässt Gott ihn nicht genießen, was er erwirtschaftet hat?

Wer fordert die Seele des Menschen? Wer hat Recht auf sie oder Vollmacht über Tod und Leben?

 

Merkspruch: So geht es dem, der Schätze sammelt für sich selbst und ist nicht reich in Gott

 

8.12  Sucht Gottes Reich

Lk 12,22-34 (PS)

 

In diesem Abschnitt kommt Jesus auf grundlegende menschliche Bedürfnisse zurück. Es fallen die vielen parallelen Aussagen zu Mt 6,21-34 auf. Viele satte Konsumbürger fragen sich heute: Was ist lebensnotwendig? In der damaligen philosophischen Welt der Griechen gab es wie heute Denker, die Streben nach Privatbesitz als verwerflich brandmarkten. Die Kyniker versuchten das Ideal der Armut zu leben. Im Bereich des Judentums versuchten die Essener ihren gesamten Besitz brüderlich miteinander zu teilen (siehe auch Qumran-Klöster). Wie schon im Gesetz (Gen 15,7.8; Gen 49,29-32) und bei den Propheten (Obad 1,17) deutlich wird, ist Besitz auch bei Jesus nichts Verwerfliches. Jesus setzt allerdings Prioritäten, die eine Kritik an der Lebensweise seiner Jünger zu allen Zeiten enthält. Menschen und ihre Bedürfnisse sind zwar wichtig, doch Besitz über das Lebensnotwendige hinaus anzuhäufen ist sinnlos. (Keener 1998, 366)

Jüdische Weisheitslehrer veranschaulichen ihre Lehren oft anhand von Bildern aus der Natur.

Zur übermäßigen Sorge um die tägliche Nahrung

Schneller empfiehlt durch das Heilige Land zu wandern und die Versorgung der Vögel zu beobachten: „Da sieht man die Vögel unter dem Himmel hochüber fliegen, jeder ein Bild schrankenloser Freiheit und sorgloser Lebensfreude, ein fröhliches, sangreiches Geschlecht. Zumal die Sperlinge scheinen ein mächtiges Volk zu sein, zahlreich wie der Sand am Meere. Wenn ein Mensch dafür zu sorgen hätte, daß diese durch ihren notorischen Appetit berühmte Gesellschaft jahraus jahrein anständig gekleidet und selbst im dürren Sommer, wenn alle Halme verbrannt, alle Bäche versiegt sind, gespeist und getränkt werde, der würde bald in schwere Sorgen geraten und die Bevölkerungszahl dieser leichtsinnigen Freiherren des Himmels würde bedenklich zurückgehen. Der Herr Jesus mag sie auf seinen Reisen von Kind auf oft beobachtet haben. Bewundernd erkannte er die weise Hand des himmlischen Vaters, welcher keinen von ihnen vergißt… (Schneller 1925, 218

Seid nicht in Unruhe in der Suche nach immer feineren Genuss. Hier ist weniger die notwendige Unruhe gemeint, die mich bewegt Garten und Feld zu bebauen, damit ich ernten und essen kann, sondern die Unruhe nach immer feineren kulinarischen Vorlieben – wie sie typisch für eine griechisch-römische Lebensweise ist. Darüber hinaus haben Raben wie die meisten Vögel keine Möglichkeit Vorräte zu sammeln. Ihre gute Versorgung durch ihren Schöpfer darf auch Menschen hoffnungsfroh stimmen.

 

Zur übermäßigen Sorge um gute Kleidung

Die Sorge um schöne Gewänder betrifft natürlich den einfachen Landbewohner in anderer Weise als den verwöhnten Stadtbewohner. Viele einfache Bauern kämpfen im 1. Jahrhundert ums Überleben – weniger um schicke Kleidung. Dennoch ist Eitelkeit wohl bei allen Menschen anzutreffen. Jesus spricht besonders zu reichen Mitbürgern seiner Zeit und verweist auf die Schönheit der Lilien (griech.) – wahrscheinlich im Frühjahr. Bei der Suche nach der entsprechenden Pflanze, kann allerdings auch die weit verbreitete Anemone (anemone coronaria) in Betracht kommen (Malina 2003, 278). Die Pracht des salomonischen Hofes in einer Zeit, die später als eine nie mehr erreichte Blütezeit verstanden wurde, war nach den damaligen Maßstäben höchst eindrucksvoll.

 

Jesus lässt seine Aussagen über die Sorgen des Alltags in ein jüdisches Standardargument münden: Wie viel mehr! Wenn Gott dir das Gottesreich schenkt, wie viel mehr wird er dir alles zum Leben Notwendige geben. Der Segen des angebrochenen Gottesreiches schließt die Fürsorge Gottes in unserem Alltag mit ein. Jesus erwartet in den alltäglichen Dingen der Sorge um Nahrung und Kleidung einen klaren Unterschied zur Umgebungskultur. Jesus setzt voraus, dass seine Nachfolger anderen Zielen folgen. Ihr Denken, Hoffen und Planen ist von ganz anderen Dingen erfüllt. Die Liebe zu etwas deutlich Anderem ist typisch für sie. Wenn Jesusnachfolger hier nicht unterscheidbar sind – dann ist er nach seinen Worten gründlich missverstanden worden. Zum deutlich unterscheidbaren Lebensstil und Lebensinhalt lesen wir: 4Mo 23,9; 1Kön 18,21; 2Kor 6,14. Jünger Jesus sehnen sich danach, dass die Herrschaft Gottes in ihrem Leben, in ihrer Gemeinde und in ihrem Volk mehr und mehr aufgerichtet wird. Die geistlichen Segnungen sind der Inhalt des Hoffens – doch dabei werden auch die irdischen Bedürfnisse nicht zu kurz kommen.

Jesus spricht die Schar seiner Nachfolger nur hier als „kleine Herde“ an. Gott hat ein besonderes Wohlgefallen am Kleinen, Geringen, Verachteten – hier sind in besonderer Weise seine Segnungen zu erwarten. Diese geringe Schar soll einerseits das Reich suchen und doch wird sie das Reich als Gabe erhalten. Dies ist kein Wiederspruch, denn so vieles im Leben der Nachfolger ist Geschenk und doch auch höchste Aktivität. Gott gibt beides das Geschenk und das Wirken (Phil 2,12-14; siehe auch Mt 7,13). Jesus nennt seinen Vater hier „eurem Vater“. Dieser Vater ist nicht geizig – sondern ein Gott der überreichen Fülle. Hier folgt ein Rat an uns heute – angesichts unserer vollen Häuser, Wohnungen, Garagen und Gemeindehäuser – verkaufe, reduziere und investiere in einen unvergänglichen Schatz. Viele Generationen von Christen haben in Deutschland mit diesen Worten gerungen – doch selten haben so wenige Christen wie in der Gegenwart diese Worte umgesetzt – kommen uns die Exzesse kommunistischer, sozialistischer oder von Kommune zu schnell in den Sinn um als Entschuldigung für einen materialistischen Lebensstil herzuhalten? Paulus merkt hierzu einiges an: 1Kor 16,2; 2Kor 8,1-9; Gal 6,10.

 

Fragen:

  1. Ist uns heute die Sorge um das ewige Leben wichtig? Wird diese Sorge von meinem Besitz verdrängt?

 

  1. Nenne Beispiele für übermäßiges Sorgen um Nahrung! Welche Lösung siehst du?

 

  1. Nenne Beispiele für übermäßiges Sorgen um Kleidung! Welche Lösung siehst du?

 

  1. Nenne biblische Beispiele für Gottes Wohlgefallen am „Kleinen“!

 

  1. Nenne himmlische Schätze (Ps 89,33; Joh 3,16; Joh 4,14; Joh 6,37; Joh 10,28; Röm 8,29.30; Röm 8,39; Röm 11,29; 2Tim 2,19; 1Petr 1,4.5)

 

8.13 Vom Warten auf das Kommen des Menschensohnes

Lk 12,35-48

 

Jesus hatte in Lk 12,13-21 das Gleichnis vom Reichen Narren erzählt. Er schloss seine Hinweise zum irdischen Sorgen an. Der Reiche hatte sein Herz und Verstand an diese Erde gehängt. Jetzt kommt Jesus mit einem starken Kontrast auf Menschen zu sprechen, die ihr Herz auf den Himmel richten. In 12,35-40 lesen wir das Gleichnis vom wachsamen Knecht und 12,41-48 vom Treuen und Untreuen Knecht. Im zweiten Gleichnis ist die Frage von Petrus eingeschlossen.

 

8.13.1 Gerüstet für sein Kommen

Der Kontext lehrt uns, dass nur Nachfolger von Jesus mit leichtem Gepäck dem Meister folgen können. Sie können sich auf ihn und auf die immer neue Situation besser einstellen. Viele Zeitgenossen von Jesus sehnen sich zwar nach der Erlösung und beteten täglich darum, dass sie so bald wie möglich kommen solle – doch auf der anderen Seite sind sie mit ihren alltäglichen Pflichten und Plänen so beschäftigt, dass sie jegliche Vorkehrungen für das kommende Gericht aus dem Blick verloren haben.

Wie Soldaten auf ihrem Wachposten sollen die Jesusnachfolger jederzeit zum Handeln bereit sein (2Mo 12,11). Die Lampen brennen lassen, setzte voraus, dass der Wächter wach blieb, um ständig Öl nachzugießen – auch dies ist ein Bild für das Gerüstet sein (Mt 25,3-10).

Wohlhabende Hausherren haben zurzeit von Jesus oft einen Sklaven der als Türhüter dient (Security-Personal). Dieser sorgt dafür, dass unerwünschte Personen draußen blieben. Natürlich hat dieser Türhüter zu wachen. Doch wie sollen wir warten? Nervös wie die Gemeindeglieder in Thessaloniki (2Thess 2,1.2; 3,6-12); lauwarm wie die Gemeindeglieder in Laodicea (Offb 3,14-22)  oder aktiv und vertrauensvoll wie die Gemeindeglieder in Symrna (Offb 2,8-11)? Jesus verdeutlicht seine Aussage, indem er in seinem Gleichnis fortfährt. Gastmähler dauern oft bis in die Nacht hinein, doch dann bleibt man über Nacht als Gast im Haus. Dass ein wohlhabender Hausherr in der Nacht zurückreist, ist ungewöhnlich. Straßenräuber warten gerade auf solch einen Reisenden. In der Nacht den Türsklaven wach vorzufinden ist eine gute und Sicherheit vermittelnde Erfahrung (lies auch 2Petr 3,4). Diese plötzliche Prüfung ist der Kern des Gleichnisses. Den damaligen Zuhörern ist aus dem Alten Testament die Bezeichnung Knecht für die führenden Männer des Volkes wie Könige, Propheten und Gottes Männer geläufig. Sie werden von Jesus dazu gedrängt, an die mit der Aufsicht betrauten religiösen Führer ihrer Zeit zu denken (Jeremias 1998, 55). Dieser Weckruf wird auch in der ersten Gemeinde erklungen sein. Doch dann berichtet Jesus von einem Verhalten, dass sehr ungewöhnlich ist. Dass ein Herr mit seinem Sklaven isst – gut das hatte man gehört: Doch dass der Herr dem Sklaven dient – dass war ein großer Stein des Anstoßes für alle Zuhörer. Doch für Jesus ist dies eine passende Metapher, wie er die Nachfolger behandeln wird, die ihm bis zum Ende treu bleiben (Keener 1998, 367).  Lukas überliefert uns hier übrigens hier im Gegensatz zu Markus die jüdische Zeiteinteilung der Nacht.

 

8,13.2 Leiten heißt Dienen

Leiter von Hauskreisen, Gruppen und Gemeinden müssen erkennen, dass ihre Berufung darin besteht Glaubensgeschwister zu dienen. Petrus will an dieser Stelle wissen, ob Jesus hier zu allen spricht oder nur zu den Nachfolgern. Jesus antwortet mit diesem Gleichnis. Wohlhabende Hausherren haben oft einen Sklaven als Verwalter eingesetzt. Dieser hochrangige Sklave ist dafür verantwortlich, dass die anderen Sklaven ihren rechtmäßigen Teil bekommen. Ein solcher privilegierter Sklave missbraucht seine Vollmacht in Abwesenheit seines Herrn. Völlerei und Trunkenheit gelten als schändliches Verhalten, nicht nur weil dies auf Kosten des Hausherrn geht. Auch Gewaltmissbrauch wird hier deutlich angeprangert. Jesus nennt eine für alle Zuhörer und Leser abstoßende Strafe mit Schändung des Leichnams. Das Gleichnis will alle Leitern zeigen, dass größeres Wissen größere Verantwortung mit sich bringt (Lies 3Mo 26,18; Amos 3,1-2; Keener 1998, 368).

 

 

Fragen:

  1. Wie drückt sich das Wachsam sein heute im Alltag aus?

 

  1. Auf was Warten wir als Gemeinde kurz-, mittel- und langfristig?

 

  1. Was macht uns so müde?

 

  1. In welcher Weise dient der HERR seinen wachsamen Nachfolgern?

 

  1. Welche Fallen lauern auf Leiter? Wie können sie so blind werden?

 

  1. Warum haben Leiter mehr Verantwortung? Wie können wir sie rechtzeitig daran erinnern?

 

 

Fragen:

  1. Der Text ist voller Bildersprache. Liste alle Bilder, Gleichnisse oder Gegenstände auf.

 

  1. Was ist der Hauptgedanke in diesen Texten?

 

  1. Welche Details-Handlungen scheinen hier ungewönlich zu sein?

 

  1. Woran, an welchen Aussagen erkennt man Gerechtes Urteil?

 

  1. Warum ist es überflüssig, ja sogar hinderlich für uns Menschen, die Zeit der Wiederkunft des Menschensohnes zu wissen?

 

  1. Worin ist wahres Glücklichsein zu finden, oder zu erleben?

 

  1. Griechische Begriffe lernen: Kardia-Herz, oikodespotis-Hausherr, oikonomos-Hausverwalter, doulos-Sklave, diakonia-Tischdienst, kyrios-HERR, aber auch Herr, amin-Amen-eine Art Schwur, anthropos-Mensch, makarios-glückselig.
  2. Bild: Er wird sich umgürten und ihnen dienen.
  3. Bild: Haus, Hausherr, Dieb, Bewachung des Hauses

Petrus mit seiner Frage,- der Herr macht deutlich, es geht alle was an.

 

Verantwortung für die Aufgabe, Treue, Zuverlässigkeit.

 

8.14  Entzweiungen um Jesu willen

Lk 12, 49-53

 

Diese Jesusworte sind hart, weil sie schwer zu verstehen sind. Bei den Worten ist der Zusammenhang schwer zu erkennen. Darum müssen die Worte über das Feuer, die Taufe und die Entzweiung zuerst separat untersucht werden.

8.14.1 Feuer

Feuer auf die Erde zu werfen, ist Jesus gekommen – was meint er damit?

 

Wie bei fast allen in der Bibel verwendeten Gegenständen und Bildern lassen sich mit dem Begriff Feuer positive und negative Bedeutungen oder Anwendungen verbinden. In den meisten Texten weist das Bild vom Feuer auf: Vernichtung, Strafe, Qualen (Jes 33,11-16;  Zef 3,8;  Mt 3,12; 1Kor 3,1ff. Es wird auch für Prüfung (Läuterung durch Leid) verwendet (Jes 48,10;  Petr 1,6).

Es liegt nahe, den Begriff Feuer in diesem Wort mit dem Feuer in Verbindung zu bringen, von dem Johannes der Täufer in seiner Beschreibung seines Werkes spricht. Er soll den Weg einem bereiten der mit Feuer tauft (lies Lk 3,16). Feuer und Heiliger Geist stehen hier als eng beieinander. Jesus wünscht die baldige und rasche Verbreitung der Frohen Botschaft – so eine mögliche Auslegung dieses Wortes. Die andere Möglichkeit weist daraufhin, dass nun bald das Gericht über diese Welt ergeht, wie Jesus es in Joh 12,31 erklärt (Vgl. dazu auch Joh 3,19; 9,39). Beide Auslegungsmöglichkeiten weisen daraufhin, dass Jesus sieht, wie das angebrochene Reich Gottes noch Begrenzungen unterworfen ist. Das Reich ist jetzt schon angebrochen, aber noch nicht in ihrer vollendeten Form sichtbar.

8,14.2 Taufe

Im direkten Anschluss fügt Lukas das Wort von der Taufe ba,ptisma baptisma an, mit der Jesus sich taufen lassen muss.

 

Zwei Fragen stellen sich uns:

  1. Was war die Taufe, mit der Jesus getauft werden muss?
  2. Was war die Begrenzung, unter der er zu wirken hatte, bis seine Taufe stattfinden würde?

 

Zu 1.

Es gibt wenig Zweifel, dass Jesus in diesem Zusammenhang an seinen Tod durch die Kreuzigung denkt. Nicht allein ein schmachvoller Tod, sondern ein Tod, der die Belastung der Sünde der gesamten Menschheit trägt. Jesus schaut nach vorne und wünscht das Ende – wünscht sich ganz menschlich endlich am Ziel anzukommen. Doch – warum nennt er diesen Tod eine Taufe? Schon zu Beginn seines Dienstes war er ja am Jordan von Johannes getauft worden. Bei dieser Taufe war deutlich geworden, dass Jesus bereit ist, sich uns Sündern zu identifizieren, denn er hätte diese Taufe nicht benötigt. Jesus wollte auch gegen das Zögern von Johannes getauft werden, damit „…damit alle Gerechtigkeit erfüllt werde! (Mt 3,15). Seine Taufe im Jordan war der sichtbare Ausdruck seiner Entschlossenheit, den Willen Gottes zu erfüllen. Schon der Dienstbeginn zeigt seine uneingeschränkte Hingabe an den Willen Gottes und seine ungeteilte Freundschaft mit den Sündern. Sein Tod, die Krönung dieses Dienstes, vollendet das Tun des Willen Gottes in seinem Leben. In 1Joh 5,6 lesen wir: „Dieser ist es, der gekommen ist durch Wasser und Blut, Jesus Christus; nicht im Wasser allein, sondern im Wasser und im Blut.“ Hier hören wir, dass er nicht durch die Wassertaufe, sondern auch die Blutstaufe/Todestaufe gekommen ist. Die Wassertaufe war nur der schwache Schatten der Todestaufe, die seinen Dienst krönt (Bruce 1985, 108).

Zu 2.

Jesus ist mit dem Geist Gottes völlig ausreichend für seinen messianischen Dienst von der Taufe bis zum Kreuz ausgestattet. Doch sein Tod und seine Auferstehung setzt eine bisher nicht dagewesene Kraft frei. Die Begrenzung, deren er sich während seines Dienstes bewusst ist, beruht darauf, dass „…der Geist noch nicht da war; denn Jesus war noch nicht verherrlicht“ (Joh 7,39).

8.14.3 Schwert

Lukas ordnet die Jesusworte recht überraschend an. Wir lesen die Aussage, Jesus sei nicht gekommen, um Frieden auf Erden zu bringen oder zu geben, sondern Entzweiung, Zerteilung. Das griechische Wort diamerismo,j diamerismos hat etwas mit teilen, durchschneiden, zerteilen, zu tun. Der Evangelist Matthäus fügt hier das Bildwort vom Schwert ma,caira machaira ein (Mt 10,34). Dies ist ein hartes Wort für uns, wenn wir an die Botschaft der Engel von Bethlehem denken: „Herrlichkeit Gott in der Höhe, und Friede auf Erden in den Menschen des Wohlgefallens“ (Lk 2,14). Lukas und Matthäus zitieren dann Jesus. Es wird Entzweiungen in den Familien geben. Erinnert dies nicht an Micha 7,6

Denn der Sohn behandelt den Vater verächtlich, die Tochter erhebt sich gegen ihre Mutter, die Schwiegertochter gegen ihre Schwiegermutter; die Feinde eines Mannes sind seine eigenen Hausgenossen.

Jesus selbst suchte nicht den Konflikt. Er lehrte seinen Nachfolgern, sich nicht zu wehren oder zu rächen, wenn sie angegriffen werden (Mt 5,9). Wenn Jesus von Spannungen und Konflikten innerhalb der Familie spricht, dann aus eigener Erfahrung. Seine Familie versuchte seinen Dienst beenden, da sie dachten, er sei „…von Sinnen“ (Mk 3,21). In Joh 7,5 lesen, wir dass seine Brüder nicht an ihm glaubten. Jesus spricht hier nicht vom Zweck seines Kommens, sondern von der Wirkung. Damit wird deutlich, es geht um Zerteilen, klare Fronten schaffen, sogar durch die Familien hindurch. In keinem Fall meint Jesus ein buchstäbliches Schwert zum Blutvergießen. An anderer Stelle sagt er deutlich: “Stecke dein Schwert an seinen Ort! Denn wer das Schwert nimmt, der soll durchs Schwert umkommen“ (Mt 26,52). Schwert ist auch ein Bild für Gottes Wort (Eph 6,12ff und Hebr 4,12) welches die Kraft besitzt, Gedanken und sogar Motive klar voneinander zu trennen, zu teilen, zu klären und zu sortieren. Es ist gut, dass Jesus seine Nachfolger warnte, welchen Preis die Nachfolge kostet.

 

Fragen:

  1. Welche Bedeutungen hat das Feuer in der Bibel?

 

  1. Was könnte Jesus in unserem Text mit Feuer gemeint haben?

 

  1. Auf was weist uns das Wort von der Taufe hin. In welcher Weise hängen Taufe heute bis heute mit Leiden und dem Tod zusammen.

 

  1. Zu welchen Missverständnissen und verwerflichen Handlungen hat das Bild vom Schwert in der Kirchengeschichte geführt?

 

  1. Warum ist es so wichtig, Aussagen und Bilder der Heiligen Schrift immer im Kontext und Gesamtzusammenhang zu betrachten? Was könnte der Gesamtzusammenhang von Feuer, Taufe und Entzweiung sein?

 

 

Feuer auf die Erde zu werfen, ist Jesus gekommen, was meint er damit?

 

So wie fast bei allen, in der Bibel verwendeten Gegenständen und Bildern, so auch bei dem Element Feuer lassen sich positive wie auch negative Bedeutungen, oder Anwendungen ausdrücken. In den meisten Texten, in denen das Element Feuer als Bildmaterial genutzt wird, meint die Schrift ein Gericht, ja sogar Vernichtung, Strafe, Qualen (Jes 33,11-16;  Zef 3,8;  Mt 3,12; 1Kor 3,1ff;

Es wird aber auch für Prüfung (Leuterung) durch Leiden und Elend verwendet Jes 48,10;  1Petr 1,6).

Was bedeutet es aber in unserem Text? Wünscht Jesus die baldige und rasche Verbreitung der Frohen Botschaft, so eine Variante der Auslegung? Oder ist der Gedanke dabei, dass nun bald das Gericht über diese Welt ergeht, wie er es in Johannes 12,31 erklärt (Vgl.dazu auch Joh 3,19; 9,39)?

 

Kaum eine Wahrheit durch das Bild vom Feuer gegeben, kommt schon das nächste Bild mit einer Art von Taufe (βαπτισμα – baptisma), mit der Jesus sich taufen lassen muß. In diesem Zusammenhang ist es ihm bange, wenn er an den Tod durch Kreuzigung denkt. Nicht einfach den schmachvollen Tod, sondern den Tod wegen der Belastung mit der Sünde der gesamten Menschheit. Auch Jesus schaut nach vorne und wünscht Vollendung, wünscht am Ziel anzukommen.

Und gleich setzt er noch was drauf und überrascht seine Jünger mit einer weiteren scheinbar wiedersprüchlichen Behauptung. Er sei nicht gekommen, um Frieden auf Erden zu bringen oder zu geben, sondern Entzweiung, Zerteilung. Das griechische Wort ´διαμερισμον – diamerismon´ hat etwas mit teilen, durchschneiden, zerteilen, zu tun. Der Evangelist Matthäus gibt diese Stelle mit ´μαχαιραν – machairan, Schwert´, wieder (Mt 10,34). Damit wird deutlich, es geht um Zerteilen, klare Fronten schaffen, sogar durch die Familien hindurch. In keinem Fall meint Jesus ein buchstäbliches Schwert zum Blutvergießen. An anderer Stelle sagt er deutlich: “Stecke dein Schwert an seinen Ort! Denn wer das Schwert nimmt, der soll durchs Schwert umkommen“ (Mt 26,52). Schwert ist auch ein Bild für Gottes Wort (Eph 6,12ff und Hebr 4,12) welches die Kraft besitzt, Gedanken und sogar Motive klar von einander zu trennen, zu teilen, zu klären und zu sortieren.

 

Fragen:

  1. Welche bedeutungen hat das Element Feuer in der Bibel?

 

  1. Was könnte Jesus in unserem Text mit Feuer gemeint haben?

 

  1. Zu welchen Missverständnissen und verwerflichen Handlungen hat das Bild vom Schwert in der Kirchengeschichte geführt?

 

  1. Warum ist es so wichtig, die Aussagen und Bilder der Heiligen Schrift immer im Kontext und Gesamtzusammenhang zu verstehen?
    8.15 Beurteilung der Zeit

Lk 12,54 – 59 (PS)

 

(Lk 12,54 – 59; siehe Mt 5,25.26)

 

Diese Worte von Jesus beziehen sich vordergründig auf die Allerweltsthemen: Wetter und Gerichtsverfahren. Jesus knüpft an folgendes Allgemeinwissen an: Eine Wolke aus dem Westen kommt von Mittelmeer und bringt häufig Regen. Ein Wind aus dem Süden bringt heiße Luft aus der Wüste. Derartige Wettervorhersagen sind nicht weiter schwierig. Jesus meint also, dass die Wahrheit seiner Botschaft vom anbrechenden Reich Gottes ebenso auf der Hand liegt, wie die Wettervorhersagen. Recht aggressiv weist Jesus seine mehr und mehr ablehnende Zuhörerschaft zu Recht: „…ihr Heuchler! Sie sehen die Machttaten des Menschensohns und lehnen ihn trotzdem ab. Der Messias steht vor ihnen und sie scheinen völlig blind zu sein – sie reden lieber vom Wetter als vom RETTER im bevorstehenden Weltgericht!

Lukas fügt in seiner Sammlung von Reden, hier den Hinweis auf Gerichtsverfahren an. Er fordert seine Zuhörer auf selbst nachzudenken (V. 57) und den gesunden Menschenverstand zu nutzen. Jesus bezieht sich dazu auf die Praxis, Gläubiger, die ihre Schulden nicht zurückzahlen können, ins Gefängnis werfen zu lassen. Wer im Gefängnis sitzt, ist ganz und gar auf seine Sippe und seinen Freunden abhängig, wenn sie die Schulden nicht bezahlen ist der Gläubiger wirklich in einer schwierigen Lage. Aus V. 41ff haben wir noch die Frage im Sinn, die sich jeder Zuhörer stellen muss: Bin ich ein treuer oder untreuer Knecht der Rückkehr des Herrn? Diese Frage muss jetzt beantwortet werden – bevor es zu spät ist. Die Gerichtsmetapher weist hier im Wesentlichen auf die drängende Zeit hin. Jetzt bist du noch auf dem Weg. Auch wenn wir die Botschaft heute nicht gerne hören: Gott ist ein Richter. Wir lesen: Ps 7,12; 50,6; 58,12; Jer 11,20; Apg 10,42; Hebr 12,22.23; Jak 5,9; Offb 20,4a. Die Frage angesichts des anbrechenden Reiches Gottes ist: Bist du mit Gott versöhnt? Zu allen Zeiten waren Gerichtsverfahren unangenehme und für nicht so Einflussreiche unvorhersehbar im Ausgang. In dieser Metapher geht Jesus von einer Niederlage vor Gericht aus – wirklich ich kann nicht die kleinste Münze zu meinem Freispruch beitragen – es wird pure Gnade geschehen. Aber ich kann so viel beitragen um diesen Freispruch zu verpassen – vom Wetter zu reden, statt von der Notwendigkeit einer Entscheidung. Hier ist besonders auch Jes 1,18 mit dem ähnlichen Gerichtskontext zu beachten:

Kommt denn und lasst uns miteinander rechten! spricht der HERR. Wenn eure Sünden rot wie Karmesin sind, wie Schnee sollen sie weiß werden. Wenn sie rot sind wie Purpur, wie Wolle sollen sie werden.

 

Fragen:

  1. Warum ist im Leben das Gesetz von Ursache und Wirkung oft so verschleiert?

 

  1. Gott als Richter – warum ist dies Bild heute so unpopulär?

 

  1. Warum ist Jesus so fest von unserer Chancenlosigkeit im Gerichtsverfahren vor Gott überzeugt? Tun wir nicht oft so, als hätten wir durch unsere frommen Taten doch Chancen?

 

  1. Wie können wir in Alltagsgesprächen von Allerweltsthemen zum wesentlichsten Thema: Endgericht kommen? Welche Erfahrungen hast du?

 

  1. Beschreibe deine Erfahrungen vor Gericht!

 

  1. Warum ist der Gerichtsausgang nicht eine ungewisse Hoffnung?

 

8.16 Pilatus, der Turm und der Feigenbaum

Lk 13,1-9 (HUL)

 

  • Es kamen aber zu der Zeit einige, die berichteten ihm von den Galiläern, deren Blut Pilatus mit ihren Opfern vermischt hatte. 2 Und Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Meint ihr, dass diese Galiläer mehr gesündigt haben als alle andern Galiläer, weil sie das erlitten haben? (Joh 9,2)  3 Ich sage euch: Nein; sondern wenn ihr nicht Buße tut, werdet ihr alle auch so umkommen“ (Lk 13,1-3).

 

Jesus befindet sich noch in Galiläa (wahrscheinlich im südlichen Galiläa). Und zu dieser Zeit/kairos[14] wird ihm eine Nachricht übermittelt, die unter damaligen Umständen jeden Galiläer-Eiferer herausgefordert hätte bestimmte Maßnahmen zu ergreifen. Maßnahmen im Sinne von Racheaktionen gegen die römische Besatzung. Wir stellen auch fest, dass zur Zeit von Jesus Gewalt mit Blutvergießen an der Tagesordnung waren. Möglich, dass die Informanten von Jesus eine Art Aufforderung zum bewaffneten Widerstand oder Aufstand gegen die Römer erwarteten. Dies entspräche sowohl ihrer als auch der gesamt jüdischen Erwartung vom Messias ihrer Tage. Wenn solch eine Erwartung schon die Jünger von Jesus hatten (Lk 24,21) wie viel mehr dann die übrigen Juden, ganz zu schweigen von den sogenannten Zeloten, den jüdischen Eiferern, von denen viele aus Galiläa kamen und die sich in den oft unzugänglichen Bergschluchten und Hölen von Galiläa aufhielten, um von dort Blitzaktionen, wie Überfälle auf römische Legionäre zu verüben.

Nun, wie geht Jesus mit solchen Nachrichten um, wie reagiert er darauf? Jesus reagiert ganz anders darauf als von ihnen erwartet wurde. Nicht nur, dass er dieses Verbrechen nicht tadelt, sondern dass er die Überbringer der Nachricht mit aller Ernsthaftigkeit auf die Notwendigkeit der Buße (Sinnesveränderung) hinweist. Fast entsteht der Eindruck, dass Jesus diese Gräueltat verharmlost. Doch wenn er sie vordergründig nicht offen tadelt, bedeutet dies noch lange nicht, dass er diese bagatelisiert. Aber er benutzt sie, um bei dieser besonderen Gelegenheit auf ein ganz anderes, viel wichtigeres Problem der Informanten hinzuweisen.

Zum gewissen Ausgleich muss gesagt werden, dass sich die römischen Statthalter normalerweise zurückhielten, was den jüdischen Opfergottesdienst betraf. Dass sie in der Regel nicht ohne Grund in die religiößen Angelegenheiten der Juden eingriffen. Auf dem Hintergrund dieser generellen Haltung der römischen Besatzer kann vermutet werden, dass es irgendeine Provokation gegeben haben musste, die für Pilatus Anlass gab zu solch grausamer Tat.[15]

 

Die unbedingte Sinneswandlung, von der Jesus hier spricht, bezieht sich nicht nur auf eine bestimmte Lebensanschauung, einen Lebensbereich oder einer bestimmten Sünde. Die von Jesus geforderte Sinnesveränderung betraf alle Lebensbereiche. Mit dem „Ich aber sage euch“ (Mt 5,22. 32) schärft er den Blick für den tiefen und vollkommenen Sinn des göttlichen Willens. Dieser göttliche Wille ist im Gesetz verankert, durch die Propheten vorausgesagt und in der Person von Jesus sichtbar und fassbar geworden. Dies heißt, alles was Jesus sagt und tut, ist Maßstab und Richtung für Lehre und Leben (Denken und Handeln). Auch das, was Jesus nicht tut, ist ebenfalls Richtlinie für das Verhalten seiner Jünger. Zum Beispiel fordert er nicht auf zum Aufstand gegen die Obrigkeit, zur Rebellion, sondern für die Obrigkeit zu beten und die erforderliche Steuer zu zahlen (Mt  22,21;  Röm 13,1ff).

Mit der Aussage: „Wenn ihr nicht Buße tut, werdet ihr auf die gleiche Weise umkommen“ meint Jesus nicht einfach gleicher Tod unter gleichen Umständen. Mit dem ´umkommen´ ist hier das ewige und endgültige Verlorengehen gemeint (2Petr 2,12; 3,9; Mt 25,46).

Und als ob es nicht schon genug wäre, setzt Jesus noch eins drauf, indem er eine andere leidvolle Geschichte erzählt.[16]

  • Oder meint ihr, dass die achtzehn, auf die der Turm in Siloah fiel und erschlug sie, schuldiger gewesen sind als alle andern Menschen, die in Jerusalem wohnen? 5 Ich sage euch: Nein; sondern wenn ihr nicht Buße tut, werdet ihr alle auch so umkommen“ (Lk 13,4-5).

Immer wieder stellt sich die Frage nach den Ursachen von Katastrophen und nach der Schuld des Menschen. Inwieweit stehen Naturkatastrophen im Zusammenhang mit der Schuld und Sünde von Menschen? Bei wem ist die Schuld zu suchen, wenn ein Turm einstürzt, oder das Dach einer Halle einbricht. Wer hat mehr Schuld, wer weniger, welche Sünden sind größer, welche geringer? In diesen Texten will Jesus ausdrücklich den Blick und die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer auf die Perspektive, den Ausweg aus jeglicher Schuld und ewiger Verlorenheit aufzeigen. Und dieser Ausweg heißt Buße-Veränderung des Denkens und dies zieht eine Veränderung des Lebens nach sich.

 

Mit dem Gleichnis vom unfruchtbaren Feigenbaum wird Gottes Langmut in seinem Bemühen um den unbußfertigen Menschen deutlich.

  • Er sagte ihnen aber dies Gleichnis: Es hatte einer einen Feigenbaum, der war gepflanzt in seinem Weinberg, und er kam und suchte Frucht darauf und fand keine.  7 Da sprach er zu dem Weingärtner: Siehe, ich bin nun drei Jahre lang gekommen und habe Frucht gesucht an diesem Feigenbaum und finde keine. So hau ihn ab! Was nimmt er dem Boden die Kraft? 8 Er aber antwortete und sprach zu ihm: Herr, lass ihn noch dies Jahr, bis ich um ihn grabe und ihn dünge; 9 vielleicht bringt er doch noch Frucht; wenn aber nicht, so hau ihn ab“ (Lk 13,6-9; vgl. auch Lk 3,9Mt 21,19;  2Petr 3,9).

Ein unfruchtbarer, also geistlich toter Christ ist einerseits im Blickfeld der Gnade und Güte Gottes, langfristig jedoch gesehen ein Hindernis im Reiche Gottes. Es fällt jedoch auf, dass Gott diese Nachteile in Kauf nimmt, um dem Menschen immer noch und immer wieder eine weitere Chance zur Umkehr zu geben (vgl. dazu auch Offb 2-3).

 

Fragen:

  1. Gewalt und Verbrechen gab es zur Zeit von Jesus. Wie geht er damit um, wie ordnet er sie ein, wie reagiert er darauf? Womit reagieren wir auf die Ungerechtigkeiten in der Welt, besonders in unserer unmittelbaren Umgebung?

 

  1. Was war die Erwartung der Informanten zur Zeit von Jesus? Haben wir den Mut den düsteren Ereignissen unserer Zeit mit dem Evangelium zu begegnen?

 

  1. Gott ist gütig, geduldig und voller Erbarmen, doch gibt es bei ihm auch Grenzen? Wie lange hat es gedauert bis zu deiner Buße und Glauben an Jesus Christus? Welche bestimmte Früchte des Heiligen Geistes sind bei dir erkennbar?

 

Es kamen aber zu der Zeit einige, die berichteten ihm von den Galiläern, deren Blut Pilatus mit ihren Opfern vermischt hatte. Und Jesus antwortete und sprach zu ihnen:

 

  1. Meint ihr, dass diese Galiläer

            mehr gesündigt haben

                        als alle andern Galiläer, weil sie das erlitten haben?

 

  1. Ich sage euch: Nein;

                                               sondern wenn ihr nicht Buße tut,

                                                           werdet ihr alle auch so umkommen.

 

  1. Oder meint ihr, dass die achtzehn, auf die der Turm in Siloah fiel und erschlug sie,

             schuldiger gewesen sind

                        als alle andern Menschen, die in Jerusalem wohnen?

 

  1. Ich sage euch: Nein;

                                    sondern wenn ihr nicht Buße tut,

                                               werdet ihr alle auch so umkommen

 

Unser Textabschnitt teilt sich in zwei parallele Prosa-Einheiten V. 1-5 und V. 6-9. Beide behandeln das Thema: Politik und Sinnesänderung/Buße. Beide Einheiten beziehen sich auf konkrete tragische Ereignisse, die in der Öffentlichkeit diskutiert wurden. Wir sehen wie 1-2 und 3-4 stufenartig erzählt wurden. 2 und 4 sind identisch und enden mit dem angekündigten Unheil.

Jesus befindet sich wahrscheinlich noch im südlichen Galiläa. Zu dieser Zeit[17] wird ihm eine außergewöhnliche Nachricht übermittelt, die unter damaligen Umständen jeden Nationalisten herausgefordert hätten, extreme Maßnahmen zu ergreifen: Pilatus habe eine Delegation mit den lokalen Opfergaben auf dem Weg zum Tempel überfallen und töten lassen. Spontane Racheaktionen gegen die römische Besatzung sind somit zu erwarten. Nachrichten über Gewalt mit Blutvergießen gehören damit leider auch zur Tagesordnung von Jesus. Für jeden der im Nahen Osten (selbst heute noch) lebt, ist nur vorstellbar, dass die Informanten von Jesus eine Aufforderung zum bewaffneten Widerstand oder gar zum Aufstand gegen die Römer erwarten. Vorstellbar wären Worte wie: „Genug ist Genug! Auf zu den Waffen und brecht die Vorherschaft der HEIDEN, der Hunde![18] Dies entspricht der Erwartung vieler Juden – da der Messias nach der Meinung vieler vor der Tür stehe. Solch eine Erwartung haben auch die eigentlich recht bürgerlichen Jünger von Jesus (Lk 24,21). Wie viel mehr werden jüdischen Aktivisten (siehe Klosterbewohner in Qumran) und die sogenannten Zeloten, die jüdischen Eiferern, zum Kampf agitiert haben. Die Nachricht von einem Massaker wird in solchen aufgeheizten Gerüchteküchen schnell zu zehn Massakern gesteigert, um Menschen zum Krieg aufzustacheln. Wehe, wer in solch einer Situation fragt: „Hast du deine Quelle gut geprüft!“ Es scheint so, dass der Evangelist Lukas uns mitteilt, dass es sich um solch ein Gerücht handelt – zumal Josephus, der ja gerne Pilatus in ein schlechtes – Licht stellt, uns nichts von diesem Vorfall berichtet. Von den Zeloten kommen viele aus Galiläa. Sie halten sich zurzeit von Jesus in den oft unzugänglichen Bergschluchten und Höhlen von Galiläa auf, um von dort nach Guerilla-Taktik Blitzaktionen auf römische Legionäre zu verüben.

Wie geht Jesus mit solchen Nachrichten um – wie reagiert er darauf? Sicher hat auch er dies als Test für seine Treue zum Nationalen Anliegen gesehen. Jesus reagiert auf diese Versuchung anders als erwartet. Nicht nur, dass er dieses Verbrechen nicht tadelt, sondern dass er die Überbringer der Nachricht mit aller Ernsthaftigkeit auf die Notwendigkeit der Buße (Sinnesveränderung) hinweist. Fast entsteht der Eindruck, dass Jesus diese Gräueltat verharmlost. Doch auch wenn er sie nicht offen tadelt, bedeutet dies noch lange nicht, dass er diese bagatellisiert. Aber er benutzt die Sensationsmeldung, um bei dieser besonderen Gelegenheit auf ein ganz anderes, viel wichtigeres Problem der Informanten hinzuweisen.

Die Täter dieser Mordtaten sollen nicht entschuldigt werden. Eigentlich hielten sich die römischen Statthalter meist aus allen Angelegenheiten des jüdischen Kultus heraus. Wir können sogar vermuten, dass es irgendeine Provokation vorlag, die Pilatus den Anlass zu solch grausamer Tat gab.[19]

Der unbedingte Sinneswandel, von dem Jesus hier spricht, bezieht sich nicht nur auf eine bestimmte Lebensanschauung, einen Lebensbereich oder angesichts einer bestimmten Sünde. Die von Jesus geforderte Sinnesveränderung betraf alle Lebensbereiche. Mit dem „Ich aber sage euch“ (Mt 5,22. 32) schärft er den Blick für den tiefen und vollkommenen Sinn des göttlichen Willens. Dieser göttliche Wille ist im Gesetz verankert, durch die Propheten vorausgesagt und in der Person von Jesus sichtbar und fassbar geworden. Dies heißt, alles was Jesus sagt und tut, ist Maßstab und Richtung für Lehre und Leben (Denken und Handeln). Auch das, was Jesus nicht tut, ist ebenfalls Richtlinie für das Verhalten seiner Jünger. Zum Beispiel fordert er nicht zum Aufstand gegen die Obrigkeit, zur Rebellion auf, sondern für die Obrigkeit zu beten und die erforderliche Steuer zu zahlen (Mt 22,21; Röm 13,1ff).

Die Aussage: „Wenn ihr nicht Buße tut, werdet ihr auf die gleiche Weise umkommen“ wurde während der Eroberungen unter römischen Oberbefehlshaber und späteren Kaiser Titus 70 n. Chr. in tragischer Weise erfüllt. Doch Jesus meint hier nicht einfach den gleichen Tod unter gleichen Umständen. Mit dem umkommen ist hier das ewige und endgültige Verlorengehen gemeint (2Petr 2,12; 3,9; Mt 25,46).

 

Und als ob diese Aussage nicht schon genug wäre, erweitert Jesus die traurige Betrachtung noch weiter, indem er auf die zweite leidvolle Geschichte hinweist.[20]

Edersheim macht den Vorschlag, ob der in Frage kommende Turm nicht Teil des von Pilatus errichteten Aquädukts gewesen könnte. Pilatus hatte das Geld für dieses Bauprojekt aus dem Tempelschatz genommen (Edersheim 1979, 222). Zwar ist dies unsicher – aber dann wären die Opfer jeweils die „nationalen Helden.“ Jesus stellt ihnen gegenüber die „Sünder“ und die „Schuldner“.

Immer wieder stellt sich die Frage nach den Ursachen von Katastrophen und nach der Schuld des Menschen. Inwieweit stehen Naturkatastrophen im Zusammenhang mit der Schuld und Sünde von Menschen? Bei wem ist die Schuld zu suchen, wenn ein Turm einstürzt, oder das Dach einer Halle einbricht. Wer hat mehr Schuld, wer weniger, welche Sünden sind größer, welche geringer? In diesen Texten will Jesus mutig die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer auf den Ausweg aus Schuld und ewiger Verlorenheit lenken. Dieser Ausweg heißt Buße – Veränderung des Denkens und des Lebens. Bis heute wundern sich Leser im Nahen Osten, warum Jesus nicht sofort von den Zuhörern gewaltsam angegriffen wurde… wie konnte einer ,der so deutlich ein Verräter am Nationalen Anliegen ist, noch weiterreden? Der Kampf ist doch gerecht – jeder der andere Antworten hat ist doch ein VERRÄTER! Jesus attackiert damit die „gerechte Gewalt“ der Freiheitskämpfer, der Nationalisten.[21] Jesus scheint um das geistliche Wohl „der nationalen Helden“ besorgt zu sein. Ihr Heil ist ohne Umkehr in Frage gestellt. Mit dem Gleichnis vom unfruchtbaren Feigenbaum wird Gottes Langmut in seinem Bemühen um Menschen deutlich, die noch nicht zur Sinnesänderung bereit sind.

 

Er sagte ihnen aber dies Gleichnis:

 

1. Es hatte einer einen Feigenbaum, der war gepflanzt in seinem Weinberg,

        und er kam und suchte Frucht darauf

              und fand keine.

(das Problem)

     2. Da sprach er zu dem Weingärtner:

        Siehe, ich bin nun drei Jahre lang gekommen

           und habe Frucht gesucht an diesem Feigenbaum

              und finde keine.

 

          3. Hau ihn ab!

              Was nimmt er dem Boden die Kraft?

 

(die Lösung)

     4. Er aber antwortete und sprach zu ihm:

        Herr, lass ihn noch dies Jahr,

            bis ich um ihn grabe

                und ihn dünge;

5. vielleicht bringt er doch noch Frucht;

        wenn aber nicht,

           so grab ihn aus.

pflanzen

 

Frucht suchen

keine Frucht finden

 

Meister spricht

drei Jahre

Frucht suchen

keine Frucht finden

 

ABHAUEN

BODEN SCHONEN

 

 

Weingärtner spricht

ein Jahr

Hilfe zur Frucht

Hilfe zur Frucht

Frucht finden?

keine Frucht

ausgraben

 

(Bibeltext: Lk 13,6-9; vgl. auch Lk 3,9Mt 21,19; 2Petr 3,9).

 

Zu 1.

Schon in Joel 1,7 und 1,12 werden der Feigenbaum und der Weinstock zusammen betrachtet. Feigenbäume sind in Weinbergen keine Seltenheit. Weinstock und Feigenbaum sind Symbole des Schalom / Friedens (Micha 4,4; Sach 3,10). In Jes 5,7 finden wir den tiefen Hinweis auf diesen Text. Der HERR ist der Weinbergbesitzer und sein Volk Israel der Weinberg (nicht der Baum!). Die Zuhörer von Jesus werden diesen Bezug sofort hergestellt haben, auch wenn Jesus selbst ihn hier nicht ausdrücklich herstellt. Der Feigenbaum trägt in Nahen Osten bis zu 10 Monate im Jahre Früchte. Allerdings verliert er im Winter kurz seine Blätter. Im Gegensatz zum Olivenbaum, Zum Johannisbrotbaum oder zur Steineiche fällt er dann durch seine kahlen, hervorstechenden Zweige auf. Die Wiederkehr des Saftes ist besonders deutlich zu sehen. Sein Sprossen und Durchbruch des Lebens ist Vorbote des Frühlings. Der Evangelist Lukas macht auch an anderer Stelle deutlich, dass Jesus Gleichnisse zur Offensive gegen Schriftgelehrte und die Priesterschaft nutzt (Lk 20,19) – allerdings nicht allgemein gegen das Volk. Der Besitzer des Weingartens ist besorgt über den Ertrag, er will den Weinberg erhalten, gute Früchte genießen – ihn aber nicht zerstören (anders als in Jes 5,5.6). Das Gleichnis bezieht sich also auf die Krise der Verantwortlichen im Volk Gottes und nicht auf das Volk allgemein. Somit ist das Problem in schlichter und knapper Weise umrissen.

 

 

Zu 2.

Normallerweise wartet man bei einem Feigenbaum einige Jahre bis zur ersten Ernte. Die Frucht, die im 4. Jahr wuchs brachte man dem HERRN dar (Lev 19,24). Es ist also genug Zeit vergangen, doch die Erwartungen sind enttäuscht. In der Übertragung heißt dies, dass die Leiterschaft des Volkes Gottes genug Zeit hatte, gute Früchte hervorzubringen – wohl nach Lk 3,8 die Früchte der Umkehr/Buße. Der Weinbergbesitzer war geduldig.

 

Zu 3.

Der Feigenbaum hatte nicht nur keine Frucht gebracht – er hatte auch gute Erde, Wasser und Nährstoffe beansprucht, die für andere Pflanzen von Nutzen gewesen wäre. Der Besitzer sieht die Verschwendung der Ressourcen und ordnet an, dass der Baum ausgegraben wird. Nach westlichem Verständnis wird ein Baum so abgehackt, dass ein Stumpf stehen bleibt – im Nahen Osten wird er ausgegraben. Der Baum fällt mitsamt seinem Stumpf und den Hauptwurzeln. Dies sehen wir auch in Lk 3,9, wo ja Johannes der Täufer das kommende Gericht mit folgendem Bild beschreibt: „Schon ist aber die Axt an die Wurzel der Bäume gelegt..“ Dies weist auf die Beseitigung des unfruchtbaren Baumes und damit der Leiterschaft des Volkes.

 

Zu 4.

An dieser Stelle finden wir eine radikale Wende. Anders als im Prototyp für dieses Gleichnis in Jes 5,5.6 finden wir hier nicht die Zerstörung, sondern ein Angebot der Gnade. Wir finden hier den in jeder Gemeindeleitung so bekannten Dialog zwischen Gericht und Gnade – was hat Vorrang? Die Barmherzigkeit bittet um Aufschub – um eine 2. Chance.

Auch der Weingärtner hat noch eine Hoffnung. Noch gibt es einen Aufschub des Gerichts – ja sogar besondere Aufmerksamkeit für den unfruchtbaren Baum (= die unfruchtbare Leiterschaft des Volkes). Der Baum soll gepflegt werden, indem die Erde bearbeitet und gedüngt wird. Der Zustand der Leiterschaft ist in den Augen von Jesus nicht hoffnungslos! Das Thema der Gnade leuchtet auf! Wir sind gar nicht so falsch, wenn wir in diesem Bild eine humorvolle Beleidung sehen: alles was die Leiter des Volkes brauchen ist Dünger (damals wie heute Biodünger: der Mist von Tieren). Noch deutlicher: Alles was sie brauchen ist ein wenig Sch…. Dies wird auch damals zum Schmunzeln angeregt haben.

 

Zu 5.

Wie lange währt Gnade und Barmherzigkeit? Die hier benutzte griechische Wendung eivj to. me,llon\ eis to mellon wird wie in 1Tim 6,9 am besten mit: zukünftig“ übersetzt. Es wird also zwischen dem Besitzer und der Weingärtner keine begrenzte Zeitspanne vereinbart. Doch eins ist klar – der Baum muss Frucht bringen, sonst wird er samt und sonders entfernt. Der Baum selbst kann sich nicht retten – die Aktionen der Gnade erfolgen von außen – der Weingärtner muss aktiv werden und den Baum retten. Doch auch der Baum muss aktiv werden – Frucht bringen. Hier die Frucht der Sinnesänderung, der Umkehr, der Buße. Das Ende dieses Gleichnisses bleibt offen – sind Früchte gewachsen? Der Zuhörer bzw. der Leser muss die Antwort geben – doch eins ist sicher: das kommende Gericht ist unausweichlich.

 

So ist auch ein unfruchtbarer, also geistlich toter Nachfolger von Jesus einerseits im Blickfeld der Gnade und Güte Gottes, andererseits langfristig jedoch ein Hindernis im Reich Gottes – besonders wenn er wie im Kontext des Gleichnisses ein Leiter ist. Es fällt auf, dass Gott diese Nachteile in Kauf nimmt, um Menschen immer noch und immer wieder eine weitere Chance zur Umkehr zu geben (vgl. dazu auch Offb 2-3).

 

Fragen:

  1. Gewalt und Verbrechen gab es zurzeit von Jesus. Wie geht er damit um, wie ordnet er sie ein, wie reagiert er darauf (Beachte auch seine Predigten!)? Wie reagieren wir auf die Ungerechtigkeiten in der Welt, besonders in unserer unmittelbaren Umgebung?

 

 

  1. Was war die Erwartung der Informanten zurzeit von Jesus? Haben wir den Mut den düsteren Ereignissen unserer Zeit mit dem Evangelium (Wort) und mutigen Hoffnungszeichen der Nächstenliebe (Tat) zu begegnen?

 

  1. Gott ist gütig, geduldig und voller Erbarmen, doch gibt es bei ihm auch Grenzen? Wie lange hat es gedauert, bis zu deiner Umkehr und zum Glauben an Jesus Christus gefunden hast?

 

  1. Welche Früchte der Umkehr sind in deinem Alltag/deinem Leben erkennbar?

 

 

 

 

8.17 Heilung der verkrümten Frau am Sabbat

Lk 13,10-17

 

  • Und er lehrte in einer Synagoge am Sabbat.Und siehe, eine Frau war da, die hatte seit achtzehn Jahren einen Geist, der sie krank machte; und sie war verkrümmt und konnte sich nicht mehr aufrichten. Als aber Jesus sie sah, rief er sie zu sich und sprach zu ihr: Frau, sei frei von deiner Krankheit! Und legte die Hände auf sie; und sogleich richtete sie sich auf und pries Gott. Da antwortete der Vorsteher der Synagoge, denn er war unwillig, dass Jesus am Sabbat heilte, und sprach zu dem Volk: Es sind sechs Tage, an denen man arbeiten soll; an denen kommt und lasst euch heilen, aber nicht am Sabbattag. Da antwortete ihm der Herr und sprach: Ihr Heuchler! Bindet nicht jeder von euch am Sabbat seinen Ochsen oder seinen Esel von der Krippe los und führt ihn zur Tränke? Sollte dann nicht diese, die doch Abrahams Tochter ist, die der Satan schon achtzehn Jahre gebunden hatte, am Sabbat von dieser Fessel gelöst werden? Und als er das sagte, mussten sich schämen alle, die gegen ihn gewesen waren. Und alles Volk freute sich über alle herrlichen Taten, die durch ihn geschahen“ (Lk 13,10-17).

Jesus ist wieder mal an einem Sabbat in einer der Synagogen der Juden. Es wird nicht erwähnt an welchem Ort oder Stadt er war, doch seine Tätigkeit als Lehrer wird betont.

Es wird auch mit keinem Wort erwähnt, was das Thema oder der Schwerpunkt dieser Lehreinheit war. Doch die nachfolgende Geschichte enthält eine wichtige Lektion. Zuerst bemerkt Lukas, dass Jesus aufmerksam wird auf eine Frau, die ungewöhnlich tief gebeugt stand und ihn wohl nicht ansehen konnte. Bemerkenswert ist auch, dass Frauen damals freien Zugang in die Synagoge hatten und es wohl keine Raumunterteilung zwischen Männern und Frauen gab.

Hier sehen wir  Jesus, als der aktiv Handelnde, er sieht die Frau und er ruft sie zu sich, vor den Augen aller Anwesenden. Welche Aufmerksamkeit schenkt Jesus einer einzelnen Frau? Welchen Mut hat Jesus, das er den Ablauf des Gottesdienstes einfach unterbricht. Wir würden heute eher sagen oder empfehlen – warte bis der Gottesdienst zu Ende ist, dann sprechen oder beten wir mit dir. Jesus hingegen ist hier der mit Vollmacht auftritt, auch gegen die Synagogenordnung und das Gottesdienstliche Programm.

Von der Frau wird gesagt, dass sie seit achtzehn Jahren einen Geist der Krankheit hatte und dass der Satan sie solange gebunden hielt. Die meisten Krankheiten zur Zeit von Jesus waren physischer Natur, oder hatten natürliche Ursachen. Aber auch oft wird eine Krankheit oder Behinderung  als vom Satan verursacht beschrieben, so war es auch hier bei der Frau, obwohl weder die Ursache noch sonstige Details dieser Krankheit erwähnt werden. Doch für uns ist es heute sehr wichtig, die Ursachen einer Krankheit herauszufinden, bevor man vorschnell jemand die Hände auflegt. Jesus kann jedoch ohne jegliche Nachfrage die Krankheit und deren Ursache erkennen und somit auch spontan und in Vollmacht handeln.

Er legt der Frau vor allen Anwesenden die Hände auf und spricht die befreienden Worte: „Frau, sei gelöst von deiner Krankheit“. Und sofort richtet sie sich auf und preist Gott.

 

Die Reaktion des Synagogenvorstehers ist verblüffend. Als dass er sich direkt an Jesus, den Verursacher der ´Sabbatübertretung´ gewendet hätte, tadelt er die gesamte Synagogenversammlung und weist diese auf das Sabbatgebot, bzw. die Interpretation dieses Gebotes hin. Dass er das Volk und nicht Jesus direkt anspricht ist auf dem Hintergrund der orientalischen Verhaltensweise zu erklären. Man vermied oft, besonders gegenüber hochgestellten Personen den direkten Tadel. Ein Hinweis wurde indirekt gemacht, oder durch eine Bildrede.[22]

Doch Jesus ist offen und direkt, er kümmert sich wenig oder gar nicht um die sogenannte Etikette in jener Kultur, sondern nennt dieses Verhalten eindeutig ´Heuchelei´ und den Synagogenvorsteher mit seinen Gesinnungsgenossen ´Heuchler´. Damit versucht er mit aller Deutlichkeit das grobe Missverständnis der Sabbatbestimmung bei seinen Landsleuten zu korrigieren. Deutlich macht er dies an einem Vergleich aus dem Alltag eines normalen Haushaltes. Dabei erkennen wir, dass man in jener Zeit gegenüber den Haustieren oft mehr Aufmerksamkeit, Nachsicht und Fürsorge gezeigt hat, als Menschen in Krankheit und Not (vgl. 2Mose 23,5;  Lk 14,5).

Ja, Jesus richtet auf was gebeugt ist durch Sünde und Satan (auch durch eigenes Verschulden) und er stellt etwas wieder richtig, was verbogen ist.an Erkenntnis über Gott und Verständnis seines Wortes. So ist JESUS!

Das Ergebnis war schließlich doch ein wahrer Lobpreis zu Gottes Ehren.

 

Fragen:

  1. Wo und an welch einem Tag trug sich diese Geschichte zu?

 

  1. Was war die Hautptätigkeit von Jesus wenn er die Synagogengottesdienste besuchte?

 

  1. Warum unterbricht Jesus seine Lehrtätigkeit, hätte er nicht auch noch nach dem offiziellen Gottesdienstende handeln können?

 

  1. Schildere die Position/Verantwortung und religiöse Einstellung des Synagogenvorstehers und seine Reaktion auf das Handeln von Jesus?

 

  1. Welcher wichtige Hinweis oder Lehre/Wahrheit offenbart sich bei der Heilung am Sabbat?

 

  1. Welches sind die Kriterien zur Unterscheidung von Ursachen einer Krankheit oder geistigen Belastung eines Menschen? Welche Hilfestellung können wir heute Menschen geben in ähnlichen Situationen?
    8.18 Gleichnis vom Senfkorn und Sauerteig

Lk 13,18-21

 

Diese beiden Gleichnisse fügt der Evangelist Lukas sozusagen zwischen sein Sondergut (Kapitel 13-16), während Matthäus sie in seine Gleichnissammlung in Kapitel 13 einfügt. Auch in diesem Fall können wir annehmen, dass Jesus diese Gleichnisse zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten erzählt hat.

8.18.1 Das Reich Gottes gleicht einem Senfkorn

  • Er aber sprach: Wem gleicht das Reich Gottes, und womit soll ich’s vergleichen? Es gleicht einem Senfkorn, das ein Mensch nahm und in seinen Garten säte; und es wuchs und wurde ein Baum, und die Vögel des Himmels wohnten in seinen Zweigen“ (Lk 13,18-19). Und Matthäus ergänzt: „… das ist das kleinste unter allen Samenkörnern; wenn es aber gewachsen ist, so ist es größer als alle Kräuter…“ (Mt 13,32).

Der Hauptgedanke in diesem Gleichnis,- Gott macht aus etwas kleinem Großes und aus wenig viel. Das Senfkorn gebraucht Jesus an anderer Stelle zum Vergleich mit der Kraft des Glaubens (Mt 17,20 – Berg; Lk 17,6 – Maulbeerbaum). „Das Samenkorn des Schwarzen Senf, einer einjährigen Pflanze mit holzigem Stamm, die sehr schnell aufschießt und eine Höhe von  zweieinhalb-drei Meter erreicht. Dieser ´Baum´ ist ein beliebter Aufenthalt der Distel,- und Goldfinke, die seine ölhaltigen Samenkörer besonders gern fressen“.[23]

Der Samen des schwarzen Senfs (Brassica nigra) ist viel kleiner als der Samen des uns hier bekannten weisen oder hellen Senfsamens. Er hat einen Durchmeeser von ca. einem Millimeter, ist nur ein hundertstel Gramm schwer.

Dieser Strauch ist einjährig, wird also nicht wirklich zu einem Baum. Doch vielleicht ist hier eine Anlehnung an Hesekiel 17,22-23 und im negativen Gegensatz dazu Hes 31 und Daniel 4, wo die jeweiligen Herrscher (Pharao und Nebukadnezar) und ihre Weltreiche mit großen Bäumen vergliechen werden, die aber letztlich gefällt werden.

Das Nisten der Vögel in den Zweigen dieses Baumes deutet auf die Möglichkeiten, die  schon hier im Reiche Gottes zum Schutz und Zuhause ausgebaut werden (Schutzräume). Es sind einzelne Menschen, Ehepaare, Familien, Kleingruppen und ganze Gemeinden, welche dem Suchenden Schutz und Geborgenheit bieten, ja einen Nistplatz, um sich zu entfalten und auszubreiten.

8.18.2 Das Reich Gottes gleicht dem Sauerteig

  •  „Und wiederum sprach er: Womit soll ich das Reich Gottes vergleichen? Es gleicht einem Sauerteig, den eine Frau nahm und unter einen halben Zentner Mehl mengte, bis es ganz durchsäuert war“ (Lk 13,20-21).

Die Substanz[24] Sauerteig (Hefe) wird von Jesus in diesem Vergleich positiv verwendet. So wie Sauerteig die Fähigkeit hat eine große Menge Teig unter bestimmten Voraussetzungen schnell zu durchsäuern, so hat das Evangelium die Kradt unter der Voraussetzung, dass es verkündigt wird, ebenso die Kraft zum Durchdringen in das Bewusstsein der Menschen und sie zu verändern im Denken und Handeln. Die Formulierung: „Bis dass es ganz durchsäuert war“, deckt sich mit den Worten von Jesus aus Matthäus 24,14: „Und das Evangelium muss gepredigt werden unter allen Völkern und dann wird das Ende kommen.“

Das Evangelium hat die Kraft das Leben des Einzelnen Christen in alle seine Lebensbereiche zu durchdringen.

 

Fragen:

  1. Was will Jesus durch das Gleichnis mit dem Senfkorn deutlich machen?

 

  1. Erkläre die natürliche Wirkung des Sauerteigs und die Wahrheit dahinter.

 

  1. Nenne Beispiele, aus denen hervorgeht, dass die Bibel verschiedene Elemente, Gegenstände und Bilder für negative als auch positive Übertragungen verwendet.

 

8.19 Die Bildrede über die enge Pforte und verschlossene Tür

Lk 13,22-30

 

  • Und er ging durch Städte und Dörfer und lehrte und nahm seinen Weg nach Jerusalem. Es sprach aber einer zu ihm: Herr, meinst du, dass nur wenige selig werden? Er aber sprach zu ihnen: 24 Ringt darum, dass ihr durch die enge Pforte hineingeht; denn viele, das sage ich euch, werden danach trachten, wie sie hineinkommen, und werden’s nicht können“ (Lk 13,22-24; Vgl. mit Mt 7,13-14;  Joh 10,1-10).

Das Thema von der schmalen Tür hat auch Matthäus im Rahmen der Berglehre  aufgeschrieben. Er gebraucht jedoch das Bild vom schmalen Tor (Mt 7,13-14). Der Evangelist Lukas vermerkt, dass Jesus das Bild über die schmale Tür auf dem Weg nach Jerusalem verwendete, wahrscheinlich hält er sich noch im Grenzgebiet von Galiläa/Samarien auf. Diese Bildrede von Jesus ist eine Antwort auf die Frage eines Zuhörers. Fragen waren für Jesus immer Anlass zur Unterweisung, Klärung oder Korrektur, so auch in diesem Fall. Jesus gibt wie so oft keine direkte Antwort auf die gestellte Frage, weil damit lediglich  die Neugier befriedigt worden wäre. Dafür will Jesus über das ´wie´ und ´wodurch´ ein Mensch gerettet wird, Auskunft geben.

Das Bild von der engen Pforte ist möglicherweise aus der Bauweise mancher Toreingänge in Palästina entnommen. So hatten nicht selten die Stadt,- und Hoftore noch ein kleines Törchen, welches nur von einer Person in etwas gebückter Haltung durchschritten werden konnte. Durch das Bild macht Jesus deutlich,- es bedarf der Mühe, Anstrengung, ja der Beugung, um in das Reich Gottes hineinzukommen. Ohne echte Buße und loswerden der Schuld durch Vergebung kommt niemand in das Reich Gottes hinein. Wer auf dem Weg der Frömmigkeit, Selbstgerechtigkeit und Einhaltung der Gebote Gottes versucht hineinzukommen, wird es nicht schaffen (Röm 9,32).

Im ausführlicheren Paralleltext des Mathäus kommt nach dem schmalen Tor die Fortsetzung im Bilde eines eingeengten, schmalen Weges. Auf diesem eingeschränkten Weg gibt es Bedrängnisse, ddoch er ist nicht eine Linie, sondern ein gut begrenzter und markierter Weg auf dem ein Christ sicher gehen kann. Ja, dieser Weg ist eingeschränkt, doch dies geschieht zum Vorteil des Pilgers. Er weist auf einen Lebensstil hin, der Selbssucht, Besserwisserei, Stolz und dergleichen ausschließt und von Selbstverleugnung, Selbstbeherrschung und Liebe zu Christus und seinem Wort bestimmt wird.

Nach Johannes 10,1-10 ist Jesus selbst die Tür (Tor (Pforte) als Eingang und auch der Weg (Joh 14,6) der zum ewigen Leben führt. Auf diese Weise gibt Jesus eine klare Antwort über das ´wie´ ein Mensch für das ewige Leben gerettet werden kann. Doch sagt er auch deutlich, dass es wenige sind, die es schaffen durch die schmale Tür in das Reich Gottes hineinzukommen und damit zur Rettung zu gelangen. Demgegenüber sind es viele, die mit falscher Anstrengung diesen Eingang in das Reich Gottes nicht schaffen werden.

 

  •  „Wenn der Hausherr aufgestanden ist und die Tür verschlossen[25] hat und ihr anfangt, draußen zu stehen und an die Tür zu klopfen und zu sagen: Herr, tu` uns auf!, dann wird er antworten und zu euch sagen: Ich kenne euch nicht; wo seid ihr her? 26 Dann werdet ihr anfangen zu sagen: Wir haben vor dir gegessen und getrunken und auf unsern Straßen hast du gelehrt. Und er wird zu euch sagen: Ich kenne euch nicht; wo seid ihr her? Weicht alle von mir, ihr Übeltäter! Da wird Heulen und Zähneklappern sein, wenn ihr sehen werdet Abraham, Isaak und Jakob und alle Propheten im Reich Gottes, euch aber hinausgestoßen. 29 Und es werden kommen von Osten und von Westen, von Norden und von Süden, die zu Tisch sitzen werden im Reich Gottes. 30 Und siehe, es sind Letzte, die werden die Ersten sein, und sind Erste, die werden die Letzten sein“ (Lk 13,25-30;  vgl. auch Mt 25,11-12).

Auch bei dieser Bildrede muß beachtet werden, dass Jesu Aussage zuerst die Menschen betraf, die direkt um ihn herum standen, also seine Zeitgenossen. An diese ergeht die ernste Mahnung, denn sie haben ihn leibhaftig gesehen und gehört und die meisten von ihnen haben doch nicht geglaubt. So kann sich die Aussage: „Die Ersten werden Letze sein und Letzte die Ersten“ zuerst auf jene Menschen beziehen, die seine Zeitgenossen waren. Auch bezieht Jesus diese Aussage auf die Einladung an alle Mühseligen und Beladenen (Zöllner und Sünder) die damals in der jüdischen religiösen Gesellschaft ausgeschlossen waren. Von ihnen sagt Jesus selbst: „Wer von den beiden hat des Vaters Willen getan? Sie antworteten: Der erste. Jesus sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Die Zöllner und Huren kommen eher ins Reich Gottes als ihr“ (Mt 21,31; vgl. auch Mt 21,32).

Natürlich bezieht sich diese Aussage auch auf alle Menschen aus späteren Generationen, die auf verschiedene Weise immer Erste waren, vorne standen, bessere Chancen hatten, oder zum Beispiel schon in jungen Jahren die rettende Botschaft gehört, sie jedoch nicht angenommen haben. Jemand anders ist alt geworden, ohne von Jesus etwas gehört zu haben und kurz vor seinem Tod bekommt er noch die Chance zur Rettung, so war er im Leben immer der Letzte, nun aber ist er Erster geworden.

Die Aussage Jesu enthält aber auch eine prophetische Vorausschau wenn er sagt: „viele werden von Ost, West, Süd und Nord kommen und mit Abraham, Isaak und Jakob im Reich Gottes ihren Platz bekommen“. Es ist ein klarer Hinweiss auf die Ausbreitung des Evangeliums unter allen Völkern. Und dass aus diesen verschiedenen Nationen Menschen  den Weg ins Reich Gottes finden werden. Und daher werden die, welche ganz vorne standen und Erste waren, hinten stehen, oder gar ausgeschlossen bleiben, weil sie die Zeit (καιρος – kairos[26]) der Gnade nicht genutzt haben (vgl. auch mit Lk 19,41-42;  Apg 13,46). Jesus bestätigt auch in prophetischer Rückschau die Seligkeit/Errettung der Patriarchen, der Propheten und damit auch aller Glaubenden zur Zeit des Alten Bundes (V.28).

Es ist also Faktum, dass es einmal ein ´nicht mehr möglich´ geben wird. Mit der  Wendung: „Heulen und zähneknirschen“ unterstreicht Jesus den Zustand der Menschen, welche sich dann selber geißeln werden wegen der verpassten Gelegenheiten zur Rettung und denen nun das volle Ausmaß des ´keine Chance mehr´ bewusst werden wird.

 

 

Fragen:

  1. Warum gibt Jesus hier keine direkte Antwort?

 

  1. Erkläre die Bildrede Jesu von der schmalen Tür, welche allein zur Rettung führt.

 

  1. Wie lange ist diese Tür offen, wer macht sie zu und ab wann bleibt sie verschlossen?

 

  1. Wer sind die Ersten, wer die Letzten? Wo wird diese Redewendung noch heute im Gebrauch?

 

  1. Was bedeutet die Redewendung „Heulen und Zähneknirschen“?

 

 

 

8.20 Die Feindschaft des Herodes – Jesus klagt über Jerusalem

Lk 13,31-35

8.20.1 Ist Jesus ein Untertan von Herodes Antipas?

Da Jesus in Galiläa/Nazaret aufgewachsen ist, war er formal gesehen ein Untertan des Herodes Antipas. Jesus befindet sich noch im Grenzgebiet von Galiläa/Samarien. Die Kunde von seiner Tätigkeit ist dem Vierfürsten nicht verborgen geblieben (Mt 14,1ff;  Lk 9,7-9; Mk 6,14-16).

  • Zu dieser Stunde kamen einige Pharisäer und sprachen zu ihm: Mach dich auf und geh weg von hier; denn Herodes will dich töten. 32 Und er sprach zu ihnen: Geht hin und sagt diesem Fuchs: Siehe, ich treibe böse Geister aus und mache gesund heute und morgen, und am dritten Tage werde ich vollendet sein. 33 Doch muss ich heute und morgen und am folgenden Tage noch wandern; denn es geht nicht an, dass ein Prophet umkomme außerhalb von Jerusalem“ (Lk 13,31-33).

Zunächst stellt sich hier die Frage nach der Motivation der Pharisäer? Sie sind nicht von Herodes gesandt worden, sondern handeln aus eigener Initiative. Kann es sein, dass diese kleine Gruppe von Pharisäern gegenüber Jesus gute Absichten hat und liegt ihnen wirklich daran, Jesus vor drohender Gefahr zu schützen? Denn die meisten Pharisäer hatten sich als religiöse Partei von Anfang an gegen Jesus gestellt. Schon in Kapernaum machten sie eine Verschwörung mit den Herodianern gegen Jesus (Mk 3,6). Dort ging die Initiative nicht von Herodes aus, sondern von den Pharisäern, welche ihrerseits die weltliche Macht für sich ausnutzen wollten (dies war auch später ihre Praxis).

Die bedrohliche Information „Herodes will dich töten“ birgt in sich mehr als auf den ersten Blick zu erkennen ist. Aus den Textstellen über Herodes ist nicht ersichtlich, dass er beabsichtigte Jesus zu töten. Traf er sich doch früher des öfteren mit Johannes dem Täufer und unterhielt sich mit ihm gern, schützte ihn sogar vor den Nachstellungen seiner Frau Herodias. Und als ihn die Kunde über Jesu Tätigkeit erreicht (Mt 14,1ff;  Lk 9,7-9;  Mk 6,14-16) eignet er sich die These an: „Dieser ist Johannes der Täufer, er ist von den Toten auferstanden[27], darum wirken in ihm solche Kräfte.“ Solch eine Annahme beruhigte  möglicherweise ein wenig sein belastetes Gewissen, legt aber auch nahe, dass er nicht die Absicht hat erneut gegen diesen mächtigen Propheten vorzugehen. Auch die Bemerkung: „Er begehrte (suchte) ihn zu sehen“ birgt in sich nicht zwingend eine Lebensbedrohliche Einstellung zu Jesus. Sollte er dennoch Böses beabsichtigt haben, dann wäre dies seinem wankelmütigen Charakter zuzuschreiben, bescheinigt ihm doch Jesus ein heuchlerisches Verhalten (Mk 8,15). Wie die Sache auch immer stand, Jesus durchschaut sowohl Herodes als auch die Gruppe der Pharisäer und er lässt sich nicht aus seinem Konzept bringen. Die Anweisung Jesu: „Geht hin und sagt diesem Fuchs (Füchsin-Fem.)“, ist eine starke Herausforderung an die Informanten. Jesus konnte sicher sein, dass sie niemals mit solch einer Aussage vor Herodes treten würden. Damit hätten sie sich blamiert und wahrscheinlich auch selbst geschadet. Darum gilt die Aussage von Jesus in erster Linie ihnen und erst dann auch Herodes. Bemerken wir auch den Tatbestand, dass Jesus sich mit keinem Wort bei den Pharisäern bedankt für ihre Fürsorge um seine Sicherheit, wurden doch die Informanten in solchen Fällen belohnt. Doch er lobt sie nicht, bedankt sich auch nicht bei ihnen, was unter anderen Umständen das Normale gewesen wäre. Dagegen beauftragt er sie mit einer Botschaft an den Vierfürsten. Aus diesem Verhalten können folgende Überlegungen abgeleitet werden:

  1. In erster Linie ist Jesus seinem Vater im Himmel unterstellt, dessen Plan er erfüllt. Nicht einmal von seiner eigenen Mutter Maria oder seinen Brüdern lies er sich dreinreden, was er zu tun hat, auch nicht von seinen Jüngern (Joh 2,4; 7, 3-6; Mt 16,23).
  2. Die Pharisäer werden auf ihren Mut und ihre Motivation hin geprüft. Wahrscheinlich werden sie sich hüten zu Herodes zu gehen und ihm von Jesu Reaktion berichten. Müssen sie doch mit der Missbilligung des Herodes rechnen, dass sie seine Pläne verraten haben. Und sie müssen sich selbst die ehrliche Antwort geben, wozu und aus welcher Motivation sie solche Informationen an Jesus weiterleiten.
  3. Alle Umherstehenden bekommen mit, wie Jesus unverholen und unerschrocken den galiläischen Herrscher charakterisiert. Herodes kann ruhig erfahren, was Jesus von ihm (und seiner Frau) denkt. Es gehörte immer auch zum Dienst der Propheten, die Herrscher auf ihren sündigen Lebensstil aufmerksam zu machen.
  4. Und natürlich denkt Jesus an die vielen bedürfrigen Menschen, welche in diesen drei Tagen seine Hilfe benötigen. Es sind die letzten Tage seines Dienstes in Galiläa.

Herodes bekommt noch Gelegenheit Jesus zu sehen und jene Begegnung soll in Jerusalem stattfinden.

  1. Es geht nicht an, dass ein Prophet außerhalb Jerusalems umkomme“. Was wann mit Jesus zu geschehen hat, liegt nicht im Ermessen und auch nicht in der Vollmacht des Herodes. Auch nicht in der Beeinflussung durch die Pharisäer. Jesus selbst legt fest, wo, wann und was geschehen soll und geschehen wird.

8.20.2 Jesu klaggeruf über Jerusalem

  •  „Jerusalem, Jerusalem, die du tötest die Propheten und steinigst, die zu dir gesandt werden, wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen wie eine Henne ihre Küken unter ihre Flügel und ihr habt nicht gewollt! Seht, »euer Haus soll euch wüst gelassen werden.  Aber ich sage euch: Ihr werdet mich nicht mehr sehen, bis die Zeit kommt, da ihr sagen werdet: Gelobt ist, der da kommt in dem Namen des Herrn!“ (Lk 13,34-35).

Es ist Spätsommer des Jahres 32, Noch wenige Tage verbringt Jesus in Galiläa um dann heimlich (nicht offen) auf dem Weg über Samarien nach Jerusalem zu gehen. Dort wird er plötzlich und unerwartet auf dem Laubhüttenfest auftreten (Joh 7).

Es fällt auf, dass Jesus die gleiche Aussage während seines letzten Jerusalemaufenthaltes gemacht hat und zwar im Zusammenhang mit den Weherufen gegen die Schriftgelehrten und Pharisäer (Mt 23,37-39). Auf welche Zeit sich jedoch die prophetische Aussage bezieht: „Siehe, euer Haus soll euch wüst gelassen werden …“ ist verschlüsselt. Doch wir werden später noch auf diese Frage eingehen.

Danach setzte Jesus seinen Dienst mit Verkündugung und Heilung in dem Grenzgebiet unerschrocken fort.

 

Fragen;

  1. In welcher Zeit und welcher Gegend wird Jesus von den Pharisäern über die Drohung des Herodes informiert?

 

  1. Welche Motivation könnte hinter jener Informationsweitergabe durch die Pharisäer stehen? Wie gehen wir mit Informationen um die wir bekommen und die wir weitergeben?

 

  1. Nenne Zusammenhänge, Gegensätze und auch Ähnlichkeiten zwischen den Pharisäern und Herodes.

 

  1. Warum bleibt Jesus so gut wie ungerührt von der Drohung des Herodes? Was wollte er mit seiner Reaktion aussagen?

 

  1. Haben die Wehe,- und Klagerufe über Jerusalem uns auch heute etwas zu sagen?
    8.21 Jesus zu Gast bei einem Obersten der Pharisäer

Lk 14,1-6

8.21.1 Jesus heilt am Sabbat einen Menschen von Wassersucht

  • Und es begab sich, dass er an einem Sabbat in das Haus eines Oberen der Pharisäer kam, das Brot zu essen, und sie belauerten ihn. Und siehe, da war ein Mensch vor ihm, der war wassersüchtig. Und Jesus fing an und sagte zu den Schriftgelehrten und Pharisäern: Ist’s erlaubt, am Sabbat zu heilen oder nicht? Sie aber schwiegen still. Und er fasste ihn an und heilte ihn und ließ ihn gehen. Und er sprach zu ihnen: Wer ist unter euch, dem sein Sohn oder sein Ochse in den Brunnen fällt und der ihn nicht alsbald herauszieht, auch am Sabbat Und sie konnten ihm darauf keine Antwort geben“ (Lk 14,1-6).

Wieder folgt Jesus einer Einladung zum Essen bei einem Pharisäer, dazu noch einem ihrer Obersten. Mit am Tisch sitzen auch Gesetzeskundige und andere Pharisäer. Gegenüber von Jesus ist ein Mensch, der an Wassersucht[28] leidet. Mehrere Aspekte werden in dieser Geschichte deutlich:

  • Wie bei vorhergehenden Einladungen nach Hause zum Essen, ist Jesus auch hier der Ehrengast.
  • Bei dieser Gelegenheit wird Jesus besonders genau beobachtet „Sie belauerten ihn“. Im Vergleich mit Lk 11,54 und 20,20 drückt der gr. Begriff ´παρατηρουμενοι´ eine auflauernde Haltung aus. Sie sind also von vornherein negativ und kritisch auf Jesus eingestellt.
  • Obwohl Jesus diese Einladungen gerne annimmt, schmeichelt er nie weder den Gastgebern, noch anderen ehrwürdigen Gästen (was damals wie heute nicht nur im Orient üblich war und ist.
  • Immer wieder wird deutlich, dass auch kranke Personen freien Zugang hatten zu solchen Festmählern. Es könnte sich hier aber auch um einen Verwandten des Hauses gehandelt haben.
  • Bei solchen Mahlzeiten nutzt Jesus jedes Mal die Gelegenheit, um tätig zu werden (heilen) und zu lehren.
  • Meistens finden diese Festmahle am Sabbat statt. Da es der Ruhetag ist, hat man genügend Zeit zum Essen und zur Gemeinschaft.
  • Jesus liegt viel daran, die wahre Bedeutung des Sabbats immer wieder deutlich zu machen, nämlich ganzheitliche Widerherstellung der Beziehung des Menschen zu Gott.

Beachten wir auch, wie Jesus vorgeht. Zuerst fragt er die Anwesenden Pharisäer und Gesetzeskundigen, ob  es denn erlaubt wäre am Sabbat zu heilen. Er fragt nicht weil er ihre Meinung und Einstellung nicht kennen würde, sondern um sie herauszufordern zur Korrektur ihres Denkens. Wie oft haben sie schon Jesus erlebt, dass er am Sabbat heilte und doch blieben sie unnachgiebig in ihrer Einstellung und Haltung zur Sabbatfrage. Ihr Schweigen bedeutet keineswegs, dass sie mit Jesus einverstanden sind (nach dem Motto: Schweigen bedeutet Zustimmung). Durch anfassen heilt Jesus aus eigener Initiative den Kranken und lässt ihn gehen. Damit erkennen alle, dass eine plötzliche Heilung geschehen ist. Und bevor sie irgendwie darauf reagieren konnten, führt Jesus den Vergleich an mit dem Sohn oder Ochsen eines der Anwesenden und sagt voraus, was sie in solch einer Notsitustion auch am Sabbat tun würden. Wieder folgt Schweigen, doch dieses Schweigen ist ausdrücklich ein Zeichen ihrer Unfähigkeit dem Handeln und Argumentieren Jesu etwas entgegenzusetzen. Konnte Jesus sie von ihrer Hartherzigkeit und Buchstabentöterei überzeugen? Möglich, dass sie tief in ihrem Inneren Jesus zustimmten, doch keiner hat den Mut sich offen auf die Seite von Jesus zu stellen. Auch hier gilt:

  • Sie hatten lieber die Ehre bei den Menschen, als die Ehre bei Gott“ (Joh 12,43).

 

Fragen:

  1. Durch welche Besonderheiten zeichnen sich die Festmahle mit Jesu Beteiligung aus?

 

  1. Welchen Stellenwert haben bei uns heute die gemeinsamen Mahlzeiten?

 

  1. Was waren die Gesprächsthemen am Tisch? Was sind heute unsere Themen beim Essen?

 

  1. Ließen sich die Pharisäer von Jesus in ihrer Einstellung korrigieren? Wo müssen bei uns alte verhärtete Ansichten aufgegeben werden?

 

8.21.1 Wer sich selbst erhöht, der soll ernidrigt werden

Lk 14,7-11

 

Jesus ist immer noch im Haus des angesehenen Pharisäers. Nun ist er es, der genau hinschaut auf das Verhalten der Gäste. Jesus stellt durch seine Beobachtung fest, dass viele der Anwesenden sich nach einem bestimmten Denk,- und Verhaltensmuster aufführen.

Dieses Verhalten enspringt der Ehrsucht, Selbsgefälligkeit, Selbsterhöhung und Selbstdarstellung, ja sogar mangelndem oder fehlendem Selbstwertgefühl.

  • Er sagte aber ein Gleichnis zu den Gästen, als er merkte, wie sie suchten, obenan zu sitzen, und sprach zu ihnen: Wenn du von jemandem zur Hochzeit geladen bist, so setze dich nicht obenan; denn es könnte einer eingeladen sein, der vornehmer ist als du,  und dann kommt der, der dich und ihn eingeladen hat, und sagt zu dir: Weiche diesem!, und du musst dann beschämt untenan sitzen.  Sondern wenn du eingeladen bist, so geh hin und setz dich untenan, damit, wenn der kommt, der dich eingeladen hat, er zu dir sagt: Freund, rücke hinauf! Dann wirst du Ehre haben vor allen, die mit dir zu Tisch sitzen. Denn wer sich selbst erhöht, der soll erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der soll erhöht werden“ (Lk 14,7-11;  Vgl. auch Spr 25,6-7;  Mt 23,6; 23,12; Lk 18,14)

Jesus nutzt in dieser Situation die Gelegenheit und lehrt aus der Praxis für die Praxis. Er kennt die natürliche Neigungen der Menschen.

  • Menschen suchen ihre eigene Ehre,
  • Menschen suchen ihren eigenen Vorteil,
  • Menschen wollen sich ins Rampenlicht stellen oder setzen.

Doch Jesus liegt viel daran, das Denken der Menschen zu verändern. Die Grundaussage seiner Botschaft lautete: „Tut Buße“, das heißt verändert euer Denken. Und diese Aufforderung bezieht er nun auf die konkrete falsche Denk,- und Verhaltensweise seiner Zuhörer. Auch die Apostel haben zu einer Erneuerung des Denkens aufgerufen (Apg 2,37ff;  Röm 12,1-2;  Jak 4,6).

 

Fragen:

  1. Beachten wir den kulturellen Kontext und stellen fest, was war damals (ist auch heute noch) Normalität im Verhalten der Menschen?

 

  1. Wie sieht unser heutiger Kontext aus? Haben wir den Mut, missstände in Familie oder einer Gruppe offen anzusprechen?

 

  1. Welche Erfahrungen haben wir gemacht mit erniedrigt oder erhöht worden sein?

 

Berühmte Lehrer pflegen zurzeit von Jesus auf Festmählern häufig eine Art Vorlesung zu halten. Anschließende Diskussionen wurden von den Gästen spannend erwartet. Auch bei den antiken Schriftstellern finden wir Monologe oder Dialoge, die im Kontext von Festmählern gehalten wurden. Die soziale Rangordnung spielt während eines solchen orientalischen Banketts eine wesentliche Rolle (siehe 1Kor 11,21; Keener 1998, 375).    Hinten anstellen! Solange man noch nicht weiß, wo man sitzen wird, soll man sich nicht gleich den besten Platz aussuchen, sondern den niedrigsten. Diesen Rat erteilt Jesus vor dem Hintergrund von Spr 25,6-7.[29]

Brüste dich nicht vor dem König und an den Platz der Großen stelle dich nicht! Denn besser man sagt zu dir: Komm hier herauf! – als dass man dich heruntersetzt vor einem Edlen…

Umso beglückender, wenn man dann den Ehrenplatz einnehmen darf. Gerade so, sagt Jesus ist es auch bei Gott. Wer sich niedrig einstuft, kommt zu Ehren. Der Hochmütige kommt zu Fall.

Es gab drei Lager aus Matten oder Kissen von rechts nach links in der Abstufung und jeweils in jedem Lager wieder die Abstufung. Jeder Gast liegt auf seiner linken Seite den Kopf mit der linken Hand abgestützt. Der Kopf schaute Richtung Tisch und alle Füße nach außen. Der Höchste hatte alle im Blick und keinem im Rücken. Diese Art der Tischgemeinschaft ist für die reichen Bürger der griechisch-römischen Antike belegt. Wir haben guten Grund zur Annahme, dass diese Art der Tischgemeinschaft auch in Palästina bei einflussreichen Juden üblich war. Hier eine mögliche Liegeordnung rekonstruiert nach den Aussagen aus dem 1. Jahrhundert gemäß Pliny dem Jüngeren (Malina 2003, 285)

Summo/us = höchster

Medio/us = mittlerer

Imo/us = geringster;

Mensa = Tisch

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

hier saß der Geringste;                                     hier saß der Höchste

In Jesu Sirach 3,17-20 lesen wir: Mein Sohn, bei all deinem Tun bleibe bescheiden, und du wirst mehr geliebt werden als einer, der Gaben verteilt. Je größer du bist, um so mehr bescheide dich, dann wirst du Gnade finden bei Gott. Denn groß ist die Macht Gottes, und von den Demütigen wird er verherrlicht.

In Lk 14,11 wiederholt Jesus eine bekannte und eindrückliche alttestamentliche Verheißung, die vor allem mit dem Tag des Gerichts in Zusammenhang gebracht wurde:

Jes 2,12 „Denn der HERR der Heerscharen hat sich einen Tag vorbehalten über alles Hoffärtige und Hohe und über alles Erhabene, dass es erniedrigt werde.“

Hes 17,24 „Und alle Bäume des Feldes werden erkennen, dass ich, der HERR, den hohen Baum erniedrige, den niedrigen Baum erhöhe, dass ich den grünen Baum vertrocknen lasse und den dürren Baum zum Blühen bringe. Ich, der HERR, habe geredet und werde es tun.“

Hes 21,31 „Das Niedrige soll erhöht und das Hohe erniedrigt werden!“

 

Der Lehrer Jesus wird im weiteren Verlauf seiner Rede unhöflich, provozierend und sogar ätzend unangenehm für den Gastgeber. Er fordert den Gastgeber auf, die sozial Gleichgestellten zu übergehen und stattdessen in einem Akt der Barmherzigkeit die Bedürftigkeit und nicht den sozialen Status zu berücksichtigen. Keiner soll Gäste einladen, um sich von ihnen feiern zu lassen oder gar auf eine Rückeinladung zu spekulieren (Lies Spr 19,17).

 

Fragen:

  1. Welche Rolle spielt der soziale Status damals und heute? Aus welchem Milieu kommen deine Gäste oder die Gäste der Gemeinde?

 

  1. Warum störte Jesus diese feine Gesellschaft? Wo würde er heute stören und provozieren?

 

  1. Wie halten wir es heute mit der Sitzordnung bei Festmählern?

 

  1. Wie beurteilst du den Drang zur Gemeinschaft mit den „Schönen und Reichen?“ Gibt es so etwas auch in der Gemeinde?

 

  1. Welche Konsequenzen willst du für dich aus diesen Jesusworten ziehen? Sollen wir nicht mehr unsere Freunde einladen?

 

8.21.3 Wenn du ein Mittag oder Abendessen machst 

Lk 14,12-14

 

Nun wird Jesus ganz persönlich, er wendet sich an den Gastgeber mit einer konkreten Aufforderung:

  • Er sprach aber auch zu dem, der ihn eingeladen hatte: Wenn du ein Mittags- oder Abendmahl machst, so lade weder deine Freunde noch deine Brüder noch deine Verwandten noch reiche Nachbarn ein, damit sie dich nicht etwa wieder einladen und dir vergolten wird.  Sondern wenn du ein Mahl machst, so lade Arme, Verkrüppelte, Lahme und Blinde ein,  dann wirst du selig sein, denn sie haben nichts, um es dir zu vergelten; es wird dir aber vergolten werden bei der Auferstehung der Gerechten“ (Lk 14,12-14).

Es fällt geradezu auf, dass Jesus die Prinzipien Gottes aus dem AT hier in ein neues Licht stellt und zur Umsetzung im Alltag auffordert. So heißt es schon bei dem Propheten Jesaja:

  • „… sondern den Hungrigen dein Herz finden lässt und den Elenden sättigst, dann wird dein Licht in der Finsternis aufgehen, und dein Dunkel wird sein wie der Mittag“ (Jes 58,10).

Wie weit weg entfernten sich doch die Pharisäer in ihrem Lebensstil von dem, wie Gott sich ein gerechtes und soziales Miteinander vorgestellt hatte. Wenn diese göttlichen Prinzipien nicht gelehrt und praktiziert werden, bricht sich das menschliche sündige Herz wieder seine Bahn.

  • Gastfreundschaft aus Gründen des persönlichen Nutzens. Menschen erwarten und erhoffen Belohnung oder Gegenleistung für ihre Gastfreundschaft, Dies ist nicht nur orientalische Verhaltensweise. In erster Linie werden die nächsten Familienangehörigen zu Feiern oder Festen mit üppigen Mahlzeiten eingelden. Dann sind es die Freunde, dann die bekannten, welche unserem sozialen Status entsprechen. Die Behinderten fehlen gänzlich auf der Gästeliste der Pharisäer.
  • Statuserhalt,- Menschen sind von sich aus nicht geneigt, mit sozial niederen Ständen Gemeinschaft zu suchen oder gar sie in ihre Häuser einzuladen. Sie suchen in der Regel immer Ihresgleichen oder auch solche, die höheren Ranges sind,
  • Bequemlichkeit,- es erfordert viel Zeit und Aufwand  sich mit Armen, Krüppeln, Gelähmten oder Blinden abzugeben[30]. Die Gemeinsamkeiten mit solchen behinderten Menschen sind auf den ersten Blick sehr gering. Man übersieht jedoch, dass gerade solche Menschen haben andere den gesunden Menschen unbekannte Eigenschaften oder Fähigkeiten, die für das Miteinander wertvoll sind.
  • Materiell abhängiger Lebensstil raubt dem Menschen schon hier die Glückseligkeit[31] und die Belohnung in der Gotteswelt bei der Auferstehung der Gerechten.

Es wird auch deutlich, dass Jesus sich um die soziale Gerechtigkeit in seinem Volk kümmert. Und er tut etwas dafür, er prangert nicht nur unerschrocken die Missstände an, sondern zeigt deutlich auf, wie es richtig zu machen ist. Und er lenkt den Blick der Zuhörer immer wieder auf das Ende und das Ziel hin, nämlich auf die ewige Gotteswelt zu der er gerade und besonders die hier benachteiligten einlädt.

 

Fragen:

  1. Lassen wir uns von Jesus auf unsere falschen Gewohnheiten auch ganz persönlich ansprechen, oder ärgert es uns, wenn wir zur Veränderung aufgerufen werden?

 

 

  1. Ladest du gerne zu dir nach Hause ein? Nach welchen Kriterien (Gesichtspunkten) suchst du dir deine Gäste aus?

 

  1. Welche Erfahrungen hast du mit behinderten Menschen gemacht?

 

  1. Machst du dir Gedanken über die Belohnung bei der Auferstehung der Gerechten?

 

8.21.4  Das große Abendmahl

Lk 14,15-24

 

15 Als aber einer das hörte, der mit zu Tisch saß, sprach er zu Jesus: Selig ist, der das Brot isst im Reich Gottes! (Lk 13,29) 16 Er aber sprach zu ihm: Es war ein Mensch, der machte ein großes Abendmahl und lud viele dazu ein. 17 Und er sandte seinen Knecht aus zur Stunde des Abendmahls, den Geladenen zu sagen: Kommt, denn es ist alles bereit! 18 Und sie fingen an alle nacheinander, sich zu entschuldigen. Der erste sprach zu ihm: Ich habe einen Acker gekauft und muss hinausgehen und ihn besehen; ich bitte dich, entschuldige mich. 19 Und der zweite sprach: Ich habe fünf Gespanne Ochsen gekauft und ich gehe jetzt hin, sie zu besehen; ich bitte dich, entschuldige mich.

20 Und der dritte sprach: Ich habe eine Frau genommen; darum kann ich nicht kommen. (1Kor 7,33)  21 Und der Knecht kam zurück und sagte das seinem Herrn. Da wurde der Hausherr zornig und sprach zu seinem Knecht: Geh schnell hinaus auf die Straßen und Gassen der Stadt und führe die Armen, Verkrüppelten, Blinden und Lahmen herein. 22 Und der Knecht sprach: Herr, es ist geschehen, was du befohlen hast; es ist aber noch Raum da. 23 Und der Herr sprach zu dem Knecht: Geh hinaus auf die Landstraßen und an die Zäune und nötige sie hereinzukommen, dass mein Haus voll werde. 24 Denn ich sage euch, dass keiner der Männer, die eingeladen waren, mein Abendmahl schmecken wird.

 

Fragen:

 

  1. Welche Vorstellung hatten die Pharisäer in Bezug auf das zu erwartende Reich Gottes?

 

  1. Jesus reagiert auf die theologische Bemerkung mit einem Vergleich. Was ist so ungewöhnlich bei diesem Gleichnis? Beachte den Kontext zur Zeit Jesu.
  2. Welche zuerst geladene Gruppe von Menschen ist gemeint? Warum bekommen sie keine weitere Chance mehr?
  3. Warum wendet sich Gott besonders Behinderten, Schwachen, ja sogar Verachteten Menschen zu? Von diesen Gruppen von Menschen scheint niemand die Einladung abgelehnt zu haben. Heißt es, dass alle Behinderten Gottes Einladung zum Heil annehmen werden?

 

  1. Du hat nun Jesus begleitet an einem Sabbat und hast ihn erlebt. Was willst du in deinem Leben verändern?

8.22 Gleichnisse

(Lk 14,15-24[32] lies auch Mt 22,1-14)

 

Lukas 14 und 15 sind theologische und literarische Meisterstücke der Darstellung von Gottes bedingungsloser Gnade. Der Evangelist Lukas verbindet das Zentrum seiner theologischen Absicht mit einem orientalischen Bankett. Denn so wie für Johannes dem Täufer die feurige Bußpredigt typisch war, so ist für das Jesus die provokative Ansprache während eines üppigen Abendessens typisch.

Vers 15 Als aber einer von denen, die mit zum Mahl lagen

Mit diesen knappen einführenden Worten führt uns Lukas mitten in ein abendfüllendes orientalisches Diner. Jesus liegt mit den anderen auf Kissen. Einen Tisch erwähnt der Text nicht, wäre aber vorstellbar. Der Tisch wird zwar nur viermal im Neuen Testament erwähnt – ist aber typisch für die reichere Oberschicht zu dem der gastgebende Pharisäer gehört. Einer der anwesenden Gäste eröffnet das theologische Thema, mit dem zum guten Mahl passenden Hinweis auf das große messianische Freudenmahl, wie es im Prophetenbuch Jesaja Kapitel 25,6-9 beschrieben wird.

 

Vers 15 …(als er) dies hörte, sprach er zu ihm: „Glückselig, wer das Brot essen wird im Reich Gottes!“

 

Im Jesajabuch wird das anbrechende messianische Heilszeitalter als ein großes fettes Mahl mit internationalen Gästen beschrieben. Alle werden Trost und Heil finden und gemeinsam beste Speisen essen (Hinweis für heute: endlich ohne auf Diäten achten zu müssen!). In der frühen jüdischen Literatur (z. B. 1Hennoch 62,1-16) hatte man Probleme mit Texten, die solch ein universales Heilsangebot zum Inhalt hatten. Diese Lehrer waren sich einig: die internationalen Gäste werden eingeladen, aber nur um mal so richtig abgewatscht zu werden. Keinesfalls würden sie dieses Mahl genießen. Aber die Frommen des Gottes Volkes – sicherlich die anwesenden Herren – würden zu den Genießern gehören. Jesus antwortet, ohne im Geringsten auf die strengen orientalischen Regeln der Gastfreundschaft zu achten, mit einem Gleichnis:

Vers 16 Er (Jesus) aber sprach zu ihm:

Wir haben guten Grund zur Annahme, dass der Evangelist Lukas uns hier in Form und Inhalt nahe an den unvergleichlichen Prediger Jesus heranführt. Wir lesen die Antwort von Jesus in einem Gleichnis, bestehend aus einer Einleitung, 7 kurzen Reden und dem Schluss.1

Einleitung:

Ein Mensch machte ein großes Gastmahl               GASTMAHL

und lud viele ein.                   EINGELADENE

Jesus eröffnet, indem er eine Szene beschreibt, die seinem aktuelle Kontext sehr nahe kommt. Ein reicher, wichtiger Mann lädt Kollegen und Gleichgestellte zu einem Festmahl ein. Nach dieser ersten Einladung konnte der Gastgeber anhand der zu erwarteten Gäste bestimmen, welches Tier er zu diesem Fest schlachtet: ein Huhn für 2-4 Gäste, eine Ente für 5-8 Gäste, ein Lamm für 10-15 Gäste, einen Hammel für 15 bis 35 Gäste und ein Kalb für 35-75 Gäste. In dem Vorkühlschrankzeitalter musste natürlich alles am gleichen Tag verzehrt werden. Alle anderen Speisen – besonders die vielen Gemüsesorten – wurden vorbereitet, um dann kurz vor Beginn des Festmahles einen Diener mit der zweiten Einladung loszuschicken (so eine Art Glocke kurz vor Eröffnung des Banketts).

 

 

  1. Rede

Und er sandte seinen Knecht zur Stunde des Gastmahls,   TUT DIES

um den Eingeladenen zu sagen: Kommt!

Denn schon ist alles bereit.                                      AUF GRUND

Und sie fingen alle ohne Ausnahme an,             ENTSCHULDIGE

sich zu entschuldigen.

Alles ist zubereitet. Ihr habt die erste Einladung akzeptiert. Die die Sonne ist untergegangen – ran an die herrlichen Speisen! Jesus legt das messianische Mahl am Ende der Tage aus – soviel ist allen Zuhörern klar. So gilt für die Zuhörer: Der Messias ist gekommen. Alles ist bereit für das anbrechende Heil. Liebe jüdischen Zeitgenossen kommt zum Mahl! Kommt zum Heil! – Doch hier kommt die unerwartete Wende.

 

  1. Rede

Der erste sprach zu ihm: Ich habe einen Acker gekauft          ICH TAT DIES

und muss unbedingt hinausgehen und ihn besehen;   JETZT MUSS ICH

ich bitte dich, halte mich für entschuldigt.       ENTSCHULDIGE

Der Landexperte hat Land gekauft (haben viele der anwesenden Zuhörer auch getan) – jetzt will er hingehen und es besehen. Jeder Großstadtneurotiker kann hier durchblicken – wenn das nicht eine glatte Lüge ist. Nicht nur in unseren Großstädten ist gutes Land knapp – auch im Orient. Vor dem Kauf wurde jeder Quadratmeter begutachtet. Quellen, Wege, Steinwälle, Bäume wurden im Vertrag aufgenommen. Sogar der Ertrag wurde über Generationen zurück verfolgt. Heute würde so ein Typ sagen: Ich habe gerade ein Haus am Telefon gekauft und muss es jetzt am Abend noch anschauen (Da wird er aber viel sehen!) Die Aussage lautet: „Meine Immobilie ist mir wichtiger als das Fest – der Gastgeber ist mir gleichgültig!“ Auch die dürftigen Worte der Entschuldigung ändern daran nichts.

 

  1. Rede

Und ein anderer sprach: Ich habe fünf Joch Ochsen gekauft,    ICH TAT DIES

und ich gehe hin, sie zu erproben;                                     JETZT MUSS ICH

ich bitte dich, halte mich für entschuldigt.           ENTSCHULDIGE

Der Viehzuchtexperte muss reichlich Bargeld haben. Darüber hinaus muss ein Mensch der zur Feldbearbeitung 10 Tiere benötigt, einen ungewöhnlich großen Landbesitz haben. Er hat zehn Hornochsen gekauft, wahrscheinlich als Paar gut am Joch trainiert und will diese jetzt am Abend testen. (Da wird er aber noch viel testen!) Selbst Menschen mit einer ausgesprochen Tierphobie ahnen es – der Experte hat doch sicherlich schon viele 100m Testpflügen hinter sich – denn erst danach begann die Preisverhandlung. Heute würde so ein Typ sagen: Ich habe gerade fünf Gebrauchtwagen am Telefon gekauft, jetzt will mal hingehen und schauen ob die überhaupt anspringen. Auch seine Aussage lautet: „Mein Hornvieh ist mir wichtiger als deine Party, ja sogar wichtiger als eine Beziehung mit dem Gastgeber.“ Die Entschuldigungsfloskel ändert auch daran nichts.

 

 

  1. Rede

Und ein anderer sprach: Ich habe eine Frau geheiratet,      ICH TAT DIES

und darum ???                                                             JETZT MUSS ICH

kann ich nicht kommen.                                  ICH KOMME NICHT

Der leidenschaftliche Bräutigam beendet seine 2. Zeile nicht! Er hat – wie wahrscheinlich alle anwesenden Zuhörer – geheiratet. Irgendwann – denn niemals gab es zwei Feste im Dorf am gleichen Abend. Wahrscheinlich war auch schon seine Honeymoon-Zeit verstrichen. Was er jetzt am Abend so dringendes tun muss, wird gemäß der orientalischen Schamkultur verschwiegen. Zumal er doch sich doch nachts wieder bei seiner Ehefrau wärmen kann. Auch die höfliche Entschuldigung fehlt. Wir gehen von einer zweimaligen Einladung aus. Da fragt man sich doch zu Recht, warum dieser Zeitgenosse die erste Einladung annahm. In der damaligen patriarchalen Gesellschaft sprachen Männer ungern über die weiblichen Glieder ihrer Familie. Seine Aussage lautet: „Mein Beschäftigung mit meiner Frau ist mir wichtiger als dein Bankett – ich komm nicht, auch wenn der Gastgeber fortan der erbittertste Feind im Dorf ist. Ja im Gegenteil, ich tue alles, damit dieses Fest der größte Reinfall wird.“

Die damaligen Zuhörer konnten die theologischen Implikationen leicht nachvollziehen: Jesus der Messias lädt ein und die Leiter der jüdischen Gemeinschaft weisen ihn mit glatten Lügen und dummen Sprüchen zurück (z. B. er isst mit den Sündern!) Dieses Fest ist keine Armenspeisung – sondern das Endzeitliche Mahl, das über Heil oder Unheil entscheidet. Es werden keine Essenspakete an die Verhinderten versandt werden. Sie müssen kommen oder alles verpassen.

 

  1. Rede

Und der Knecht kam herbei und berichtete dies seinem Herrn.

Da wurde der Hausherr zornig und

sprach zu seinem Knecht: Geh schnell hinaus                    HAUSHERR GEH!

auf die Straßen und Gassen der Stadt                      AUF DIE STRASSE

und bringe die Armen und Krüppel MACH VOLL

und Blinden und Lahmen hier herein!

Der Zorn des Gastgebers ist selbst in unserer heutigen Individual-Gesellschaft nachvollziehbar. Er ist öffentlich beleidigt worden. Aber er reagiert mit Gnade und Barmherzigkeit – nicht mit Rache. Er wendet sich an die Marginalisierten, die am Rand der Dorfgesellschaft geduldet wurden und bricht damit seine Beziehung zur Elite. Die Zöllner und Sünder Israels sind damals gemeint. Solche Menschen würden nach der Meinung vieler Zuhörer weder im Tempel und sicher auch nicht am Tisch des Messias willkommen geheißen werden. Weder der Gastgeber noch die Betroffenen verbanden soziale Verpflichtungen. Diese Eingeladenen würden sich auch nie mit einer Gegeneinladung revanchieren können. Blinde können damals nicht erst ihre Immobilie besehen, Körperbehinderte nicht erst Probepflügen, Verkrüppelte durften nicht heiraten – sie nehmen die Einladung an. Es ist diese unerwartete Demonstration der Liebe in Demut die Menschen zur Annahme der Einladung bewog – wie im Gleichnis von den verlorenen Söhnen. Diese Sünder saßen doch so oft mit Jesus beim Essen – sie sind dabei – auch wenn sich die Frommen Israels über diesen Jesus und seine Gesellschaft heftig beschweren.

 

 

  1. Rede

Und der Knecht sprach:                                                       KNECHT

Herr, es ist geschehen, wie du befohlen hast,         ICH GING

und es ist noch Raum.                                   NICHT VOLL

  1. Rede

Und der Herr sprach zu dem Knecht: Geh hinaus              MEISTER – GEH!

auf die Wege und an die Zäune                               ZU DEN WEGEN

und nötige sie hereinzukommen,                  MACH VOLL

Hiermit sind wir mitten in bei der Diskussion über heutige Gemeindekonzepte angekommen. Wir sehen beides: die zentrifugale Bewegung: Kommt! – aber auch die zentripetale Bewegung: Geh! Neben den am Rande der Gemeinschaft geduldeten Zeitgenossen kommen jetzt die verachteten Heiden (= alle Nichtjuden) ins Blickfeld, die schon in der Vorlage im Jesajatext genannt waren. Sie waren die Mitmenschen jenseits der Gemeinschaft, die nicht im nähren Lebensumfeld geduldet wurden und darum außerhalb der Stadtmauern leben mussten. Die Frommen lehnten die Einladung ab, die am Rande lebenden nahmen sie an – ob die sogenannten Heiden sie annehmen bleibt offen! Dieser Ruf zur Heidenmission wurde damals in der ersten Gemeinde vom Evangelisten Lukas gehört und in dieser herausfordernden Weise wiedergegeben. Dies ist auch der bis heute offene Auftrag unseres Herrn. Es ist noch Raum für Fernstehende – wirklich auch in meiner Gemeinde, in meinem Hauskreis? Nötigen meint hier freundlich am Arm schüchterne Mitmenschen herein geleiten – nie kann dies die Belegstelle für z.B. die spanische Inquisition sein.

Gnade ist unglaublich! Meint sie mich? Kann ich sie zurückzahlen? Ja, sie meint jeden der kommt – nicht nur die ursprünglich Erwählten. Jesus ist der Gedanke einer mechanischen Erwählung fremd. Wirklich ich kann nichts für das Heil tun, aber so viel um es zu verpassen!

Schluss

Denn ich sage euch,

dass nicht einer jener Männer, die eingeladen waren,             EINGELADENE

mein Gastmahl schmecken wird.                              GASTMAHL

Jesus ruft an Gottes Stelle zum Heil. Jeder der hereinkommt wird es genießen! Lieber Frommer Teilnehmer, wenn du dich nur bekehrt und gerettet fühlst, aber nicht zur großen Party des Heils in der Gemeinschaft mit all den seltsamen Gästen kommst –

das große messianische Mahl wird ohne dich stattfinden!

 

Die Schlichtheit dieser Logik ist eine Form geradezu verzweifelter Hoffnung auf Gerechtigkeit. Sie lässt Raum für Gottes Handeln, Helfen und Heilen auch für den, der hier nicht schon alles hat, genießt, verbraucht und der so seine Sehnsucht lebendig erhalten kann oder auch muss (Berger 2004, 487). Das ähnliche Gleichnis endet bei Matthäus mit der angefügten Frage nach dem Festgewand. Damit wird die Frage aufgegriffen, ob es auf das Verhalten der Menschen, die gerufen werden, überhaupt nicht ankomme. Hier finden wir das Prinzip der Würdigkeit und der Umkehr für das Bestehen im Gericht (Jeremias 1998, 63).

 

Fragen:

  1. Was können wir Menschen tun, um beim letzten Mahl teilzunehmen? Was nicht? Was können wir tun, um es zu verpassen?

 

  1. An welchen Worten von Jesus machst du das universale Heilsangebot von Jesus fest? Gibt es eine Vorsortierung, Erwählung zum Heil oder Unheil an der ein Mensch nichts mehr ändern kann?

 

  1. Beschreibe die Komm-Struktur und die Geh-Struktur im Reich Gottes. An welche Zielgruppe richtet sich das „Komm!“ und welche das „Geht hin!“?

 

  1. Wie erreichen wir Fernstehende? Was heißt, sie zum Hereinkommen nötigen?

 

  1. Der Auftrag ist noch offen – noch ist Raum! Was tun wir als Hauskreis, als Gemeinde und auch als Gemeindebund, um diesen Auftrag zu erfüllen.

 

8.23  Selbstverleugnung und Nachfolge

Lk 14,25-35

 

Jesus lenkt den Blick seiner großen Schar von Nachfolgern weg von der Sorge um den eigenen guten Ruf hin zu den Gottesfernen (Lk 14,7-24). Wenn Jesus hier mit dem Wort „hassen“ eine Hyperbel, als eine rhetorische Übertreibung nutzt, dann weist er darauf hin, dass wir jemanden oder etwas weniger lieben sollen (Mt 10,37). Doch auch so sind seine Aussagen in einer absolut familiendominierten Gemeinschaft anstößig. Die erweiterte Familie war Lebensinhalt und größte Freude der Menschen (Keener 1998, 377). Der Bruch mit den sozialen Netzwerken und die Hinwendung zur Ersatzfamilie, d.h. der Gemeinschaft der Nachfolger von Jesus ist und bleibt ein Ärgernis für alle Generationen von Bibellesern. Es hat den Anschein, dass Jesus hier bei seiner Anhängerschaft die Spreu vom Weizen trennen will (Fans oder Nachfolger). Die Versorgung dieser Ersatzfamilien wird weiter unten geregelt.

Jesus kommt dann auf die vielfach öffentlich vollzogenen Hinrichtungen zu sprechen. Ein verurteilter Verbrecher musste den Querbalken des Kreuzes vorbei an einer johlenden Menge zur Hinrichtungsstelle tragen. Dort ragte schon der vertikale Balken empor an dem er gekreuzigt werden sollte. Ein solches Schicksal nahm niemand freiwillig auf sich. Doch Jesus provoziert hier in extremer Form, wenn er seine Nachfolger zum „Kreuztragen“ auffordert. Das bedeutet, dass sie im Vergleich zwischen Hingabe und persönlichem Wohlfühlen, ihr eigenes Leben hassen sollen. Wenn es um die Nachfolge geht, darf die Billigung der eigenen Familie (14,26) oder den Besitz (14,33) nicht über den Ruf Gottes gestellt werden.

Erst denken und dann handeln! Wer bestehen will, muss Kräfte und Größenverhältnisse richtig einschätzen. Voll Einsicht in katastrophal missglückte Unternehmungen warnt Jesus vor Bauruinen aufgrund von Geldmangel. Hier wird der Bau eines Wachturms oder eines Turms zur Speicherung der Vorräte erwähnt – was kann hier alles schief gehen! So war ein fehlerhaft konstruiertes Amphitheater für Gladiatorenkämpfe in Fidenae in der Nähe Roms 27 n. Chr. eingestürzt und hatte den Tod von (Tacitus Annalen 4,62-63) 50.000 oder (Sueton Tiberius 40) 20.000 Menschen gefordert. Die Fundamente und Holzbalken-verbindungen waren wohl mangelhaft gewesen. Selbst der Kaiser kam aus Capri herbeigeeilt, um die Rettungsmaßnahmen zu koordinieren. Hier geht es um die Schande des Architekten oder Bauherrn in einer Gesellschaft, die von Ehre geradezu besessen war (Keener 1998, 377).

Jesus stellt weiter vor Augen, das es den Tod ungezählter Soldaten bedeutet, wenn sich ein Feldherr in der Truppenstärke des Gegners verschätzt hat. Ist der Gegner weitaus stärker, dann ist nur ein Massaker zu erwarten. Wenn man Größenverhältnisse nicht richtig einschätzen kann, führt das zu Quälerei und Grausamkeit. Herodes Antipas hatte kurz vorher einen Krieg gegen einen benachbarten römischen Vasallenkönig verloren. Die bitteren Konsequenzen kannten die Zuhörer. So, sagt Jesus, müsst ihr auch bei der Entscheidung für das Reich Gottes wissen, wie es um eure Kräfte bestellt ist. Seid ihr dem Risiko gewachsen? Im Grunde genommen wirbt Jesus hier geschickt für das Reich – denn nur eine anspruchsvolle Sache ist interessant. Andererseits soll man auch nichts unnütz riskieren (Berger 2004, 208).

Jesus fordert dann in V. 33 zu einem radikalen Verzicht auf. Die jüdische Gemeinschaft der Essener stellte ihren Besitz der Bruderschaft zur Verfügung. Die Jünger von Jesus waren nicht völlig besitzlos, aber sie teilten alles was sie besaßen (Apg 2,44-45. Jesus lässt keinen Zweifel daran, dass jemand, der angesichts der Not von Mitmenschen seinen Besitz für wichtiger hält, nicht sein Jünger sein kann.

Salz ist ein lebensnotwendiges Lebensmittel – mit diesem Vergleichspunkt fordert Jesus sein Nachfolger heraus. Nachfolger die nicht wie Nachfolger leben, sind so viel wert wie geschmackloses, verunreinigtes Salz[33] – gut für den Mist! (Lies Mk 9,50; Mt 5,13, Kol 4,6 nach versch. Übersetzungen).

 

Fragen

  1. Was sind die Kosten der Jesusnachfolge (lies: Mt 7,14; Lk 13,24; Joh 16,33; 2Tim 3,12)?

 

 

  1. Warum kann keiner der von Jesus gerufen wird, neutral abwarten? Was sagt uns das Gleichnis vom König der Krieg führt in dieser Hinsicht? Warum kann das Leben des Nachfolgers als ein Kampf beschrieben werden (siehe auch 1Petr 5,8; 1Joh 2,16)?

 

 

  1. Welche Stellung haben soziale Netzwerke im Leben der Nachfolger? Wo ist der Bruch notwendig? Wo sind sie für die Ausbreitung des Reiches Gottes notwendig? Wohin sandte Jesus Geheilte? Wie verhielten sich die Zwölf?

 

 

  1. Was hindert Nachfolger einen einfachen Lebensstil und das großzügige Teilen im Alltag umzusetzen?

 

Fragen:

  1. Jesus ist unterwegs nach Jerusalem, viele Menschen folgen ihm nach, gehen mit ihm. Warum freut es denn ihn nicht? Dagegen erhebt er hohe Ansprüche an die Nachfolger. Wie soll man dies einordnen? Verlangt er nicht zu viel, sind nicht seine Erwartungen zu hoch`Was heißt es die Kosten überschlagen?

 

Frage:

Wir sind wie Salz, dass nur in seiner Wirksamkeit einen Wert hat. Wann sind Menschen fade, also  nicht mehr würzig?
8.24  Verloren und gefunden

Lk 15,1-32

Die einleitenden Worte beschreiben die Umstände unter denen Jesus diese drei Gleichnisse erzählte. Diese Umstände beschreiben  „moderne“ Theologen als den „Sitz im Leben“. In unserem Fall wird der Sitz im Leben von diesen Theologen als glaubwürdig und historisch zuverlässig beschrieben. Die Gleichnisse sind also als Verteidigungs- und Rechtfertigungsreden zu verstehen. Jesus hat seine Tischgemeinschaft mit den jüdischen Sündern, den Verlorenen die wissentlich das Gesetz missachten (nicht mit dem Volk des Landes = den Durchschnittsbürgern) zu rechtfertigen. Damit sind wir bei einer wesentlichen kulturellen Frage des Nahen Ostens.

Zu Tisch geladen zu werden, war und ist eine besondere Ehre. Dies war ein Angebot des Friedens, des Vertrauens, der Brüderlichkeit und Vergebung. Das gemeinsame Mahl bedeutet: gemeinsam zu leben.  Darum waren die gemeinsamen Mahlzeiten Jesu mit Zöllnern und Sündern ein Ausdruck von Jesu Mission und Botschaft. Es waren eschatologische Mahlzeiten in Erwartung des letzten großen Abendmahles, wobei jetzt schon die teilnehmenden Heiligen repräsentiert wurden. Die Teilnahme von Sündern an diesem Mahl war ein Ausdruck der Botschaft von der vergebenden Liebe Gottes (Jeremias 1971, 115).

Im Nahen Osten ist es heute wie damals üblich, dass ein Vornehmer eine Anzahl von niedrigeren Bedürftigen als Anzeichen seiner Großzügigkeit, speist. Aber nie würde er mit ihnen essen. Wenn jemand die „Sünder“ aufnimmt, d.h. sie empfängt, bedeutet dies, dass er mit ihnen isst und sie in einer besonderen Weise akzeptiert. Kein Wunder: die anwesenden Pharisäer waren entsetzt!

Hinzu kommt noch die Möglichkeit, dass sich das Wort Sünder „aufnehmen“ darauf bezieht, dass Jesus als Gastgeber selbst Sünder in „sein“ Haus einlud. Wir lesen davon in Mk 2,15f. Das griechische Verb prosde,cetai prosdechotai hat als eine mögliche Bedeutung: „jemanden als Gast aufnehmen.“ Wenn Jesus der Gastgeber wäre, würde dies eine weitere wesentliche Schlussfolgerungen zulassen. Zu einem orientalischen Bankett werden Gäste eingeladen, die zur Ehre des Gastgebers beitragen. Der Gastgeber würde das Bankett eröffnen, indem er den Gästen Komplimente macht, über die Ehre die ihr Besuch für sein Haus darstelle. Die Gäste würden dann antworten, indem sie entweder die Ehre Gottes für den Gastgeber erflehen, oder betonen, was für eine Ehre es ebenfalls für sie sei, im Hause des Gastgebers eingeladen zu sein. Wir verstehen: für die meisten Pharisäer war es ein gröberer Verstoß Sünder als Gastgeber einzuladen, als bei anderer Gelegenheit mit ihnen zu essen oder sich von einem Zachäus aus Jericho einladen zu lassen. Dennoch war beides ein herausfordernder Verstoß, der die kulturellen und theologischen Empfindlichkeiten der Pharisäer verletzte. Jesu Verteidigungsrede lesen wir dann Lk 15,4-32.

 

Fragen

  1. Wie hängen die Begriffe „Ehre“ und „Mahlgemeinschaft“ für einen Orientalen des 1. Jahrhunderts zusammen?

 

 

  1. Suche andere Beispiele für Jesu absichtliche Provokationen der „Frommen!“

 

 

8.24.1 Das wiedergefundene Schaf

Lk 15,4-7

 

Wir erkennen in diesem Gleichnis wieder eine auffallende Literaturstruktur. Wir können das Gleichnis in drei Strophen einteilen, wobei die 1. und die 3. Strophe enge Verbindungen auf weisen. Die 2.Strophe hat einen deutlichen anderen Aufbau als die beiden äußeren.

Die Struktur

A         Welcher Mensch unter euch, der hundert Schafe hat

B         und eines von ihnen verloren hat,

C         lässt nicht die neunundneunzig in der Wüste

1          und geht dem verlorenen nach,

2          bis er es findet, und wenn er es gefunden hat,

3          so legt er es mit Freuden auf seine Schultern;

4          und wenn er nach Hause kommt,

ruft er die Freunde und die Nachbarn zusammen

3′         und spricht zu ihnen: Freuet euch mit mir,

2′         denn ich habe mein Schaf gefunden,

1′         das verloren war.

A‘        Ich sage euch: Also wird Freude im Himmel sein

B‘         über einen Sünder, der Buße tut,

C‘         mehr als über neunundneunzig Gerechte, welche der Buße nicht bedürfen.

 

Die semantischen Entsprechungen wären folgende:

A         wer von euch

B         eines

C         neunundneunzig

1          das Verlorene

2          finden

3          Freude

4          die Heimkehr, die Wiederherstellung

3′         Freude

2′         finden

1′         das Verlorene

A‘        Ich sage euch

B’`       einer

C‘         neunundneunzig

In den beiden äußeren Strophen finden wir einen Stufenparallelismus in drei Schritten. In der mittleren Strophe finden einen nach innen gekehrten (inversen) Parallelismus mit der „freudigen Heimkehr zu Freunden“ (der Wiederherstellung) als Höhepunkt.

 

Die kulturellen Hintergründe

Das Gleichnis vom verlorenen Schaf einem Pharisäer zu erzählen ist eine direkte Herausforderung.[34] Die Hirten, die mit ihren Herden zurzeit von Jesus umherwanderten, wurden zum unreinen „Volk des Landes“ (‚am ha ‚aretz) gerechnet. Im Programm der Pharisäer war ein Sünder, entweder eine unmoralische Person, die sich nicht an das Gesetz hielt oder eine Person, die einen verachteten Beruf ausübte – der Beruf des Hirten gehörte dazu. Zu beachten ist der Unterschied zwischen unrein (bedarf einer Reinigungszeremonie) und sündig (bedarf eines Schuld-/ Sündopfers). Der Umstand, dass ihre Tiere oft illegal auf Privatland grasten und dass die Berufsausübung eher schlecht mit den Regeln der jüdischen Tradition in Einklang zu bringen war, führten zu einem schizophrenem Verhältnis gegenüber den Hirten. Einerseits waren sie in literarisch-allegorischer Form geachtet, doch als Menschen sehr verachtet.

Jesus beginnt das Gleichnis mit einem Schock. Er verletzt bewusst die Empfindlichkeiten der pharisäischen Zuhörer mit seinen Worten: „Wer unter euch hat 100 Schafe…..“ Jesus greift ihre Vorurteile und verächtlichen Urteile direkt an. So als würde heute jemand eine Frauenstunde mit den Worten eröffnen: „Wer unter euch, der als Prostituierte wie Rahab arbeitet könnte sich vorstellen, dass…..“ Einige Pharisäer haben ernsthaft diskutiert, ob sie jemals unter irgendwelchen hypothetischen Bedingungen, die Aufgaben eines Hirten ausüben könnten. Jesus spricht sie direkt als Hirten an.

Unser Text liest: „Welcher Mensch unter euch, der 100 Schafe hat.“ Eine normale Familie hatte 5-15 Schafe. Ein wohlhabender Mensch, der 100 Schafe sein eigen nennen konnte, heuerte sicherlich einen „Mietling“ an. In unserem Fall könnte man sich eine erweiterte Sippe vorstellen, die einem Mitglied der erweiterten Sippe alle Schafe anvertraute. Der Hirte versorgte dann eigene Schafe und die der erweiterten Sippe. Die Freude bei der erweiterten Sippe bei seiner Heimkehr mit dem verlorenen Schaf, würde diese Konstellation stützen.

Das Gleichnis macht klar, dass sich der Hirte zweimal freut. Einmal in (3) beim Fund des Schafes und dann wieder im Dorf (3′). Beim ersten Mal freut sich der Hirte, obwohl die ganze Arbeit der „Wiederherstellung“ des Schafes noch vor ihm liegt. Das erschöpfte Tier muss geborgen und dann nach Hause getragen werden – auch über eine weite Entfernung – und da soll sich einer freuen? Der arabische Ausleger Said betont hier: „Der Hirte legt das Schaf auf seine Schulter wissend, dass die harte Arbeit noch vor ihm liegt!“ Das Thema der schweren Last, die der Wiederherstellung vorausgeht ist wichtig zu notieren. Nach dem Finden des Tieres muss es gepflegt, wiederhergestellt werden. Die Freude über das zurückgebrachte Tier wird in (3′) beschrieben. Damit umrahmt die Freude die Heimkehr, die Wiederherstellung.

Interessant ist auch noch die Ausdrucksweise: „…und eins von ihnen verloren hat“ Wann immer in der heutigen orientalischen Gesellschaft ein Missgeschick passiert, wird die Schuld nicht der Person, sondern dem Gegenstand des Missgeschickes gegeben. So hat nicht der Hirte das Schaf verloren, sondern das Schaf hat sich verirrt. In Mt 18,13 (lies!) finden wir diese Aussage. Hier bei Lukas gewinnt die Aussage an Schärfe, da dem Hirten die Schuld gegeben wird: er hat „aktiv“ verloren, hier steht noch nicht einmal das mildere Passiv.

Das nächste Problem, ist die Tatsache, dass der Hirte seine Herde in der Wüste, Steppe oder Einöde zurücklässt, aber mit dem verlorenen Schaf zum Haus zurückkehrt. Levison bemerkt zu diesem Umstand:

Ich sah nie in Syrien, Palästina oder Mesopotamien eine große Herde, die nur von einer Person begleitet wurde. Zwei oder drei Hirten wurden im Allgemeinen angestellt. Wenn ein Schaf verloren ging, würde einer sich auf die Suche machen, während der andere die Herde nach Hause bringt. Beim Nachhause kommen würde gleich die ganze Sippe das Fehlen des einen Hirten bemerken und um seine Sicherheit besorgt sein. Gerade wenn der Hirte nur eine Hand frei hat und dann noch ein verletztes Tier trägt, kann er sich schlecht gegen wilde Tiere zur Wehr setzen. Das Finden und Nachhause bringen des verlorenen Schafes, wird sicher Anlass zum freudigen Dank im Dorf (Levinson 1926, 152f).

Der Text kann darum auch bedeuten, dass der Hirte die Herde verließ, als diese noch in der Wildnis war. Der zweite Hirte hätte dann die große Herde verantwortlich übernommen. Wir werden allerdings tatsächlich im Unklaren darüber gelassen, ob die 99 auch nach Hause gebracht wurden.

Der Hirte freut sich mit seiner Sippe über seine sichere Rückkehr und das wiedergefundene Schaf, das evtl. einem anderen Sippenmitglied gehörte. Sollte sich nicht ein Dorf genauso über die Wiederherstellung eines verlorenen Sünders freuen, anstatt zu murren, wie in V.2 beschrieben?

 

Das theologische Bündel des Gleichnisses

Wir finden in diesem Gleichnis eine Serie von mindestens vier Themenbereichen, die alle in Beziehung zu einander betrachtet werden müssen. Kein Thema sollte hier herausgehoben werden, da jedes gleich wichtig ist.

 

Freude:

Die Freude des Hirten wird deutlich ausgedrückt. „Kommt nehmt Teil an der Freude über die Umkehr eines Sünders!“ Diese Freude wird ausgedrückt und mit der ganzen Gemeinde geteilt.

 

Last der Wiedergutmachung:

Der Hirte freut sich auch angesichts der kommenden, beschwerlichen Lasten, die das gefundene Schaf verursacht. Jesus verteidigt seine Haltung, dass er Sünder willkommen heißt. Dieses willkommen heißen beinhaltet auch die Wiedereingliederung in die Gemeinschaft. Das verirrte Schaf muss zur Herde zurückgebracht werden, die jetzt im Dorf ist. Dafür muss der Hirte einen Preis zahlen. Die Suche hat ihren Preis, aber die Wiederherstellung hat ihn genauso. Hier liegt ein Hinweis auf den Preis vor, den Jesus für die Wiederherstellung des verirrten Sünders zu zahlen bereit ist. Der Schafhirte trägt die Last des verirrten Schafes auf seiner Schulter – ohne die „Aufschulterung“ keine Wiederherstellung. Diese Aufgabe übernimmt der Schafhirte mit Freuden.

 

Gnädige Liebe:

Diese Liebe sucht den Sünder. „Welche Mühe machen sich sowohl der Hirte, als auch die Hausfrau im folgenden Gleichnis, um ihren Besitz wiederzufinden und welch tiefe Befriedigung erfahren beide, als sie erfolgreich waren. Die Schlussfolgerung wäre dann: Zöllner und Sünder gehören wirklich zu Gott, auch wenn es äußerlich so anders aussehen mag, und Gott selbst will sie zurückhaben, er nimmt Schwierigkeiten auf sich um sie wieder zu gewinnen…..Darum ist neben der Freude über die einen umkehrwilligen Sünder, die göttliche Liebe, die hinausgeht und den Sünder sucht, bevor er Buße tut, charakteristisch für beide Gleichnisse.“ (Mason, T.W. 1937. Sayings of Jesus. London: SCM, S. 283f)

 

Fragen:

  1. Was war die Provokation von Jesus in diesem Gleichnis?

 

 

  1. Mache einige Aussagen über die Lehre der Errettung des Menschen (Soteriologie), die in diesem Gleichnis ausgedrückt werden.

 

 

  1. Was bedeuten dir Freude, die Last der Wiederherstellung und gnädige, suchende Liebe?

 

 

L

k 15,1-7

8.24.2 Der wiedergefundene Groschen

15,8-10

 

 

Das Gleichnis vom „Verlorenen Schaf“ und von der „Verlorenen Münze“ kann man als ein Doppelgleichnis betrachten. Das zweite Gleichnis hat eine einfachere, nicht so präzise Struktur wie das vorhergehende Gleichnis.

 

 

Die Struktur

Oder welche Frau, die zehn Drachmen hat,

A         wenn sie eine Drachme verliert,

B         zündet nicht, eine Lampe an und kehrt das Haus und sucht sorgfältig, bis sie sie findet? Und wenn sie sie gefunden hat,

C         ruft sie die Freundinnen und Nachbarinnen zusammen und spricht: Freuet     euch mit mir,

B‘         denn ich habe die Drachme gefunden,

A‘        die ich verloren hatte.

Also, sage ich euch, ist/wird Freude vor den Engeln Gottes über einen Sünder, der Buße tut.

 

Folgendes Muster bildet die obenstehende Struktur:

 

Einleitung: eine Frau mit 10 Münzen

A         eine ist verloren

            B         sucht bis sie findet

C         Freude im Dorf über die Wiederherstellung

B‘         weil gefunden hat,

A‘        was verloren war

Anwendung: Freude über einen der umkehrt

 

Allein der Umstand, ein Gleichnis zu erzählen, in dem eine Frau die Hauptperson ist, war im Palästina des 1 Jahrhunderts eine mutige Entscheidung. Jesus weist damit alle pharisäischen Vorurteile gegenüber den Frauen genauso zurück, wie er ja auch schon die Vorurteile gegenüber den Schafhirten zurückwies.

  1. Rihbany, der christliche Syrer, weist auf folgende Tatsache hin: „Die Seltenheit Bargeld im Besitz eines ländlichen Kleinbauern zu finden, macht den Verlust einer Münze … zu einem traurigen Ereignis“ (Rihbany 1916, 153). Er beschreibt wie Kleinbauern damals weitgehend autark leben. Nahrung und Kleidung werden selbst produziert. Darum ist Bargeld etwas Seltenes. Der Verlust ist darum noch größer, als der Lohn eines Tages für einen Tagelöhner, der ja einen Drachme ausmacht.

Es wurde in manchen Kommentaren und Predigten oft darauf hingewiesen, dass die Münze zum Schmuck oder zur Brautgabe der Frau gehörte. Hier muss allerdings daraufhin gewiesen werden, dass Beduinenfrauen wohl ihre Brautgabe als Schmuck verarbeitet öffentlich trugen. Frauen aus ländlichen Gegenden taten dies jedoch kaum. Dennoch kann die Münze Bestandteil einer Halskette gewesen sein, die alle Frauen trugen und heute noch tragen. Der ägyptische Ausleger Said betont, dass der Verlust einer Münze die Schönheit des Schmuckstückes zerstörte. Auch hier wäre der Verlust wesentlich größer, als der Wert „nur“ einer Münze (Sa’id, I. 1970/1935. Sharh Bisharit Luqa, 394).

Der Bewegungsfreiraum der Frauen in den ländlichen Dörfern ist begrenzt. Die Frau weiß darum, dass die Münze im Haus sein muss. Die Münze kann gefunden werden, wenn man nur lang genug fegt. In diesem mühsamen Fegen des festgetretenen Lehmbodens, über den oft einfache Binsenmatten ausgebreitet sind, das noch dazu im Halbdunkeln geschieht (kleine Fenster- und Türöffnungen), kann man die „Last der Wiederherstellung“ sehen. Interessant sind in diesem Zusammenhang die die überall im östlichen Mittelmeerraum verbreiteten „Handfeger“ aus Schilf oder Reisstroh. Mit ihnen kann man nur in gebückter Haltung fegen, da sie keinen Besenstiel haben.

 

Zwei Aspekte werden im 2.Gleichnis intensiviert:

  • Der Wert des Verlorenen ist nicht mehr 1 aus 100, sondern 1 aus 10. Wobei der Wert als Bestandteil eines Schmuckstückes noch wesentlich höher gewesen sein mag.
  • Der Ort der Suche ist wesentlich eingegrenzter: das Haus und nicht die weite Wüste. Dadurch wird die Wahrscheinlichkeit des Gefundenwerdens größer.

Theologisch ragen natürlich die Themen Gnade, Freude und Wiederherstellung des Verlorenen heraus.

 

Frage:

  1. Beschreibe das Münzwesen im Palästina des 1. Jahrhunderts!

 

  1. Begründe die Freude der Frauen nach dem Fund der Münze!

 

  1. Welche Last der Wiederherstellung hat die Frau auf sich genommen? (Wenn du beim nächsten Gemeindeputz dabei bist – bitte ansprechen!)

 

  1. Das Schaf konnte meckern – dies Münze nichts zum Finden beitragen. Was sagt dies über unser Gefundenwerden aus?

 

 

8.24.3 Wiedergefundene Söhne

15,11-32

Der jüngere Sohn

Lk 15,11-24

 

Die Struktur

Die vorhergehenden Verse 4-10 waren ein Doppelgleichnis. Jedes hatte eine ähnliche und doch andere Struktur. Dies gilt auch für die Verse 11-32. Hier haben wir auch eine Doppelparabel mit zwei unterschiedlichen Strukturen. Wie in allen Gleichnissen werden uns die dahinterstehende Kultur und die Literaturstruktur des Gleichnisses Hinweise für eine angemessene Interpretation des Gleichnisses liefern. Hier die Struktur:

 

 

A     Ein gewisser Mensch hatte zwei Söhne;1     und der jüngere von ihnen sprach zu dem Vater: Vater,                                    gib mir den Teil des Vermögens, der mir zufällt.                                               Und er teilte ihnen das Leben (den Lebensunterhalt, die Habe).

2     Und nach nicht vielen Tagen brachte der jüngere Sohn alles

zusammen und reiste weg in ein fernes Land, und daselbst vergeudete er sein Vermögen, indem er ausschweifend lebte.

3     Als er aber alles verzehrt hatte, kam eine gewaltige Hungersnot über jenes Land, und er selbst fing an, Mangel zu leiden.

4     Und er ging hin und hängte sich an einen der Bürger jenes Landes; der {W. und er} schickte ihn auf seine Äcker, Schweine zu füttern.

5     Und er begehrte, seinen Bauch zu füllen mit den Schoten, welche die Schweine fraßen; und niemand gab ihm.

6     Als er aber zu sich selbst kam, sprach er: Wie viele Tagelöhner meines Vaters haben Überfluss an Brot, ich aber komme hier um vor Hunger.

Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen,

6′    und will zu ihm sagen: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir, ich bin nicht mehr würdig, dein Sohn zu heißen; mache mich wie einen deiner Tagelöhner.

5′     Und er machte sich auf und ging zu seinem eigenen Vater. Als er aber noch fern war, sah ihn sein Vater und wurde innerlich bewegt und lief hin und fiel ihm um seinen Hals und küsste ihn sehr vielmals.

4′    Der Sohn aber sprach zu ihm: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir, ich bin nicht mehr würdig, dein Sohn zu heißen.

3′     Der Vater aber sprach zu seinen Knechten: Bringt die beste Robe her und zieht sie ihm an und tut einen Ring an seine Hand und Sandalen an seine Füße;

2′   und bringet das gemästete Kalb her und schlachtet es, und lasset uns essen und fröhlich sein;

1′    denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden, war verloren und ist gefunden worden. Und sie fingen an fröhlich zu sein.

 

Ein Sohn ist verloren

 

Güter durch Ausschweifungen verschleudert

Alles verloren

 

 

Die große Sünde

(Schweine für Heiden füttern)

Totale Ablehnung

 

 

Sinneswandel

 

 

 

 

Höhepunkt

 

 

erste Buße

 

 

 

 

Totale Annahme

 

 

 

 

die große Buße

 

 

Alles gewonnen

 

 

Güter sinnvoll verschwendet

Ein Sohn ist gefunden

 

Die Struktur ist eine parabolische Ballade mit zwölf Strophen, wobei sich jeweils 6 Strophen einander in einem nach innen gekehrten (inversen) Parallelismus entsprechen. Die ersten 6 Strophen handeln von den materiellen Bedürfnissen, Nöten und Verlusten (siehe Kursivschrift). Die Strophen 6′ bis 1′  handeln fortschreitend von der Wiedereinsetzung des Sohnes. Eine weitere bemerkenswerte parallele Struktur kann man aufzeigen:

 

Die Strophen 1-6

Rede 1

er verlässt

in Nöten, aber nicht bereit zur Buße

wird ein Schweinehirt

hat nichts  zu essen

stirbt fast

Die Strophen 1′-6′

Rede 2

er kehrt zurück

in Nöten, aber bereit zur Buße

isst vom fetten Kalb

lebt wieder

 

Die kulturellen Aspekte des Gleichnisses

 

8.25.1 Die Eröffnungsstrophe (15,11-12)

In dieser Strophe wird die Bühne für das gesamte Gleichnis vorbereitet. Nach der Festlegung, dass ein gewisser Vater zwei Söhne hatte, beginnt die Parabel mit der Bitte des jüngeren offensichtlich unverheirateten Sohnes[35]: „Vater, gib mir den Teil des Vermögens, der mir zufällt.“ Das normale Heiratsalter war 18-20 Jahre – wir haben also wahrscheinlich einen Jugendlichen vor uns. Überall in den ländlichen Gebieten des Mittleren Ostens könnten wir Kleinbauern fragen, welche Implikationen diese Bitte an einen lebenden Vater mit sich bringt. Wir würden überall ungefähr folgendes Gespräch entfachen:

  • Hat jemand irgendwann in eurem Dorf solch eine Bitte geäußert?
  • Nie!
  • Könnte jemand irgendwann solch eine Bitte äußeren?
  • Unmöglich!
  • Wenn es aber trotzdem jemand wagen würde, was würde geschehen?
  • Sein Vater würde ihn selbstverständlich auf den Kopf schlagen!
  • Warum?
  • Diese Bitte bedeutet – der Sohn wünscht den Tod des Vaters herbei!

 

In der Zeit zwischen den Testamenten finden wir bei Sirach einen bedeutungsvollen Abschnitt, in dem vehement gegen die Weitergabe des eigenen Besitzes während der Lebzeit argumentiert wird Sirach 33:20-24:

Lass den Sohn, die Frau, den Bruder, den Freund nicht über dich verfügen, solange du lebst; und übergib niemand dein Hab und Gut, damit es dich nicht reut und du sie darum bitten musst. Solange du lebst und atmen kannst, überaß deinen Platz keinem andern Menschen. Es ist besser, dass deine Kinder dich brauchen, als dass du aus ihren Händen nehmen musst.

33:23   Bei allem, was du tust, behalte die Entscheidung in der Hand, und lass dir deine Ehre nicht nehmen. Wenn dein Ende kommt, dass du davon musst, dann teile dein Erbe aus.

In der Mischna finden wir folgende Schlüsselangabe, auf die wir im weiteren Verlauf immer wieder stoßen werden Baba Bathra 13,7: Wenn jemand beabsichtigt seinen Besitz seinen Kindern zu überschreiben, schreibe er: ‚Von heute an und nach (meinem) Tod gelte

Im Talmud kann man lesen (Baba Mezia): „Unsere Rabbis lehrten: Drei Rufe werden nicht beantwortet: der, der Geld ohne Zeugen verliehen hat…..der, der seinen Besitz während seiner Lebzeit  seinen Kindern übergab….

Die Aktionen des jüngeren Sohnes sind umso mehr bemerkenswert, da seine Bitte zweierlei beinhaltet. Er verlangt die Teilung des Erbes. Diese Bitte wird ihm erfüllt. Allerdings gibt ihm das Besitzerrecht nicht automatisch das freie Verfügungsrecht über den Familienbesitz. Die Grundstücke gehören zwar ihm, aber verkaufen darf er sie nicht. Der junge Herr möchte mehr, so drängt er seinen Vater ihm sofort das volle Verfügungsrecht zu geben. In der Mischna haben wir oben erfahren, dass ein Vater immer bis zum Lebensende über seine Güter verfügen konnte, auch nach einer bekundeten Erbteilung unter seinen Erben. Der Sohn bekommt sofort das volle Verfügungsrecht, wohl weil er es gefordert hat, obwohl er das Recht dazu ausdrücklich erst nach dem Tod des Vaters hatte. Hinter beiden Aspekte der Bitte kann nur folgende Implikation liegen: „Vater, ich kann nicht warten bis du endlich stirbst!“

Im Lichte dieser Hinweise ist das Verhalten des Vaters umso erstaunlicher. Im Milieu des Mittleren Ostens würde man erwarten, dass der Vater explodiert und seinen Sohn  für dessen unmögliches Benehmen diszipliniert. Was für eine dramatische Demonstration der Liebe liegt im Verhalten des Vaters, als er die Bitten seines Sohnes erfüllt! Er gibt ihm eine Freiheit, die sich sogar gegen seine Liebe zum Sohn wenden darf. Der Vater musste doch auch an seine Altersversorgung denken – würde der jüngere Sohn seinen Pflichten nachkommen? Der Vater gefährdet mit seinem Handeln wissentlich seine Altersrente, dennoch gibt er dem Sohn Besitz- und Verfügungsrechte.  Der ägyptische Ausleger und Patriarch Said fügt hier an:

Der Hirte und die Frau taten nichts Außergewöhnliches als sie nach Schaf und Münze suchten. Die Handlungsweise des Vaters im dritten Gleichnis ist allerdings einzigartig, bewundernswert und letztlich göttlich, da noch nie ein Vater in der Vergangenheit ähnlich handelte.

Die Frage was der Vater dem Sohn nun gab, lässt sich beantworten. Es war die Auszahlung des Erbes und damit der Verlust aller weiteren Ansprüche: „…und er teilte ihnen das Leben (den Lebensunterhalt, die Habe)“. Sagte der Vater doch am Schluss in V. 31 zum Älteren: „..und alles, was mein ist, das ist dein. Rechtlich handelte der Vater so, als wäre es vollkommen seine Idee, schon jetzt das Erbe zu teilen. Der Vater demütigt sich so weit, dass er den wahren Sachverhalt unerwähnt lässt.

Rengstorf (NTD 1949, Lukas) weist ausführlich auf die übliche QesasahZeremonie im Palästina des 1. Jahrhunderts hin. In der Midrasch Rabbah, Ruth Rabba 12,11 von 4,7 lesen wir: Was ist ‚qesasah‘? Rabbi Jose ben Abin antwortete: Wenn ein Mann sein Feld einem Heiden verkaufte, war es üblich, dass seine Verwandte Gefäße mit gerösteten Nüssen und Körnern brachten, diese vor den Kindern öffneten und diese anstifteten laut aus zu rufen: „So-und-so ist von seinem Erbe abgetrennt“. Wenn es ihm zurückgegeben wurde , riefen sie :“So-und-so ist zu seinem Erbe zurückgekehrt!“ Genauso wurde verfahren, wenn ein Mann eine nicht zu ihm passende Frau heiratete, wobei die Kinder dann riefen: „So-und-so ist seiner Familie verloren gegangen!“. Wenn er sich dann von ihr scheiden ließ, riefen die Kinder: „So-und-so ist zur seiner Familie zurückgekehrt!“

Andere rabbinische Quellen weisen daraufhin, dass bei einer solchen Gelegenheit ein Topf zerbrochen wurde. Rengstorf weist daraufhin, dass diese Zeremonie Ende des 1. Jahrhunderts erlosch, doch zur Lebzeit Jesu noch gebräuchlich war. Er bezieht diese Zeremonie des „Abgeschnitten seins“ und des „Wiedereingesetzt werdens“(Reinvestitur) auf unser Gleichnis. Diese Zeremonie bezieht sich zwar in erster Linie auf einen Landverkäufer, der einem Heiden verkauft oder auf einen Bräutigam, der „falsch“ gewählt hatte. Dennoch gibt uns diese Zeremonie wichtige Einsichten in das dörfliche Leben, des 1. Jahrhunderts. Zeigt sich hier doch die enge Solidarität der erweiterten Familie und des Dorfes. Familienbesitz (Anteil am verheißenen Land = Segen Gottes) an Heiden zu verlieren, war eine ernsthafte Angelegenheit. Einer der hier gegen die Familienregeln verstieß, bekam die radikale „Familiensolidarität“ zu spüren. Als der jüngere Sohn ins Dorf zurückkehrte, hatte er ja in der Tat den Familienbesitz unter den Heiden verschwendet. Dies würde sehr schnell im Dorf bekannt werden. Vorstellbar wäre darum, dass bei seiner Ankunft im Dorf, ein Topf auf der Straße zerbrochen wird. Er wäre damit von der erweiterten Familie und dem ganzen Dorf abgeschnitten. An dieser Stelle wird deutlich, dass es nicht nur um die zerbrochene Beziehung zwischen Vater und Sohn geht, sondern um die Beziehung zum ganzen Dorf.

Der ältere Sohn wird zweimal in dieser Eröffnungsszene erwähnt. In V.11 wird uns gesagt, dass der Vater zwei Söhne hatte. In V.12 erfahren wir, dass auch der ältere sein Erbteil erhielt. Eigentlich müsste er doch in dreierlei Weise reagieren:

  • Lauter Protest müsste von ihm zu hören sein. Sein Schweigen kann darauf hindeuten, dass auch sein Verhältnis zum Vater nicht ungetrübt war.
  • Er müsste als Sohn und Bruder unbedingt als verbaler Schlichter auftreten. Sein Schweigen bedeutet, dass er sich weigert diese Rolle anzunehmen. Sein Schweigen deutet wieder eine belastete Beziehung zum Vater an.
  • Als schließlich das „Leben“ (bi,oj, bios das Leben, die Habe) des Vaters aufgeteilt wurde, weiß er doch, dass hier Unrecht geschieht. Er müsste sich laut und deutlich gegen das Unrecht des jüngeren Bruder wehren und sich vorbehaltlos loyal gegenüber dem Vater  zeigen. Hier wird die Geschwister-Typologie der Rabbis voll bestätigt. (siehe Fußnote über „Jüngere Brüder“)

 

In Ps.133,1 lesen wir: Siehe, wie gut und wie lieblich ist es, wenn Brüder einträchtig beieinander wohnen! Dieser idealistische Vers bezieht sich gerade auf die Situation, dass Brüder nach dem Ableben ihres Vaters alle Erbangelegenheiten einträchtig regeln und beieinander leben.

In der nächsten Strophe wird festgestellt, dass nach „nicht vielen Tagen“ sein Erbteil in „Cash“ umwandelt. Die nötige Eile ist leicht erklärbar, da im Verlauf der Verkaufsverhandlungen die Stimmung des Dorfes immer unfreundlicher und feindseliger wird. An jeder Dorfecke begegnet ihm Abscheu, Ablehnung und Hass. Der normale Kleinbauer in Palästina hängt bis heute so sehr an Grund und Boden, wie Nabot in seinen Tagen einen Weinberg liebte (siehe Situation der Palästinenser nach 1948). Normalerweise dauerte eine Transaktion von Immobilien Monate, doch die unhaltbare Stellung des Jüngeren im Dorf drängte zur Eile.

 

8.25.2 Die Strophen 2-6 Das ferne Land (15,13b-17)

In diesem Abschnitt sehen wir, wie der junge Herr graduell in seine persönliche Hölle hinabsteigt. Die Auswanderung in ein fernes Land, war zur Zeit von Jesus allgegenwärtig. In Palästina leben ca. 500.000 in der Zerstreuung (Diaspora) dagegen ca. 4 Millionen Juden (Jeremias 1998, 129). Aus der Strukturanalyse sind die Schritte zur Verzweiflung sichtbar geworden.

Das Verprassen wird in der Grundsprache als zw/n avsw,twj zœn asœtœs = extravagantes Leben beschrieben. Dieser Ausdruck ist wertungsfrei, weist einfach nur auf das sorgenfreie und spendable Leben in der Fremde hin – der absolute Kontrast zur nahen Dürre. In keiner Weise kann von diesem Ausdruck eine unmoralische Lebensweise abgeleitet werden. Die Peschitta und arabischen Übersetzungen bestätigen diese Aussage, wobei allerdings die altsyrische Übersetzung hinzufügte: …er verschleuderte seinen Besitz in Nahrung die unpassend war, und weil er verschwenderisch mit Huren lebte…  Doch halten wir fest, im Grundtext wird die Art der Verschwendung nicht als unmoralisch eingestuft. Dies wird noch wichtig sein, wenn wir die Kommentare des Älteren in V.30 bewerten wollen.

Jeremias hat für den Zeitraum 169 v. Chr. bis 70 n. Chr. 10 Hungernöte nachgewiesen, ausgenommen die durch Krieg verursachten. Eine Hungersnot war darum der Zuhörerschaft des 1.Jhd in Palästina durchaus geläufig (Jeremias 1969, 140f). Weiter war auch klar, dass ein Jude mittellos allein in der Fremde, besonders den Härten solch einer „großen“ Notzeit ausgesetzt war. Im Text wird dies recht dramatisch durch den Infinitiv Passiv ausgedrückt: „…er begann Mangel zu erleiden.“ Wirklich er litt mehr als andere!

Der Text erzählt uns dann bildlich, wie er sich selbst an einen Bürger des fremden Landes „klebte/hängte.“ Dieser junge Mann war doch in der dortigen Gesellschaft bekannt, als derjenige der mit viel Geld in Tasche angereist war. Von ihm wird ein gewisser Rest an Selbstachtung erwartet. Eine höfliche Art wie ein Orientale solche „Schleicher,“ die sicher zahlreich vor der Tür lungerten, loswerden kann, ist ihnen eine Aufgabe zu übertragen, die diese einfach ablehnen müssen. Doch der Stolz des jüngeren Sohnes ist noch nicht vollkommen gebrochen, und so muss der erstaunte Hörer/Leser zur Kenntnis nehmen, wie diese versuchte „Abwimmelung“ fehlschlägt. Der spendable Herr nimmt den Job eines Schweinehirten an.

Der „Bürger“ des fremden Landes ist wahrscheinlich ein freier Grundbesitzer. Das „Anhängen an die Heiden“ beziehen manche Ausleger auf das gleiche Verhalten der Zöllner. Andere weisen daraufhin, dass er als Hirte unreiner Tiere, alle Elemente seiner Religion verleugnen muss, besonders die Sabbatheiligung.

Der Sohn wird beschrieben, wie er ein Verlangen entwickelt seinen Bauch mit Schoten zu füllen, die die Schweine fraßen. Einig ist man sich in der Identifizierung dieser Schoten, sie stammen vom ceratonia siliqua, dem Johannisbrotbaum oder Carob-Baum. Rabbi Hanina ben Dosa konnte dank der Carob-Schoten in Notzeiten gar überleben. In der Lutherübersetzung von 1914 finden wir hier das Wort: Treber, was den Gedanken an ekelhafte Tiernahrung hervorruft. Dies war also nicht der Grund, warum der heruntergekommene Exiljude nicht vom Tierfutter aß.

„Niemand gab ihm…“ – ist das abschließende Wort zu diesem eindrücklichen Bild. Er bekam zwar regelmäßig Schweinefutter doch in Hungerszeiten mit dem Überangebot an billigen Arbeitskräften, konnte es sich der Arbeitgeber leisten, seinem Hirten weniger als das Existenzminimum zu geben. Selbst auf seinem Pflichtanteil von einem Schlachtschwein wird der jüdische Schweinehirt verzichtet haben, zu groß war seine Abneigung gegenüber dem unreinen Tier.

Damit kommen wir zur ersten Buße im fremden Land. Wir lesen: „Aber er kam zu sich selbst.“ Dieser Ausdruck kann in gewisser Weise als „Buße tun“ übersetzt werden. Doch ist die Art dieser ersten Umkehr ganz anders als die Buße, die vor dem Vater ausgedrückt wird. Die erste Buße ist von der Intention her eine Umkehr, ein In-sich-Gehen, das deutlich von der eigentlichen Buße unterschieden werden kann.

 

8.25.3 Die Strophen 6′-1′ Die Heimkehr (15,18-24)

Wir kommen zur eigentlichen Buße. Wie in Lukas 16 der Verwalter hat auch der verschwenderische Sohn keine Entschuldigung zu bieten. Er tut Buße, aber für was? War er nicht schlicht und einfach am Ende der Fahnenstange seiner Selbstverwirklichungsversuche angekommen? War seine Sünde nur der Verlust des Geldes?

Wir wollen hier die Beziehung zum Vater, zum Bruder und zur Dorfgemeinschaft untersuchen. Die Beziehung zum Vater nimmt natürlich eine Schlüsselrolle ein. In 6′ finden wir den „Gesichtsrettungsplan“ des Sohnes. Dort strebt der jüngere Sohn die Anstellung als Tagelöhner an. In der damaligen Arbeitswelt gab es drei Klassen von Arbeitern:

  • die Sklaven (dou/loj doulos) die zum Landbesitz gehörten und als ein Teil der Familie betrachtet wurden
  • die untersten Sklaven (pai/j pais auch: Knabe), die den Haussklaven unterstellt waren
  • die bezahlten Knechte/Tagelöhner  (mi,sqioj misthios)

Der bezahlte Knecht war ein Außenseiter, er gehörte nicht zu einem speziellen Landbesitz. Er hatte keine besonderen Interessen in die persönlichen Verhältnisse seines zeitweiligen Meisters. Er war nur ein Gelegenheitsarbeiter, der bei Bedarf angeheuert wurde. Seine Lage war unsicher, obwohl er ein freier unabhängiger Mann war. Der jüngere Sohn malt sich also aus, welches zukünftige Verhältnis er zu seinem Vaterhaus haben könnte. Als ein bezahlter Knecht könnte er als freier Mann von seinem eigenen Einkommen im Dorf leben. Sein Status wäre nicht wesentlich schlechter als der seines Vaters und Bruders. Als unabhängiger Knecht wäre er in der Lage einen Teil des verschleuderten Gutes als eine Art Alterspension seinem Vater zurückzuzahlen. Der junge Herr wollte arbeiten und seine moralischen Verpflichtungen gegenüber seinem Vater erfüllen. Er will sich selbst retten – er will keine Gnade.

Als bezahlter Knecht würde der jüngere nicht das „Brot“ des älteren Bruders essen, da er doch zu genau weiß, dass alles, was der Vater übriglässt, legal dem Älteren gehört. Der Jüngere könnte nur zu Hause leben, wenn er sich mit seinem Bruder versöhnen würde. Dies scheint dem Jüngeren unmöglich zu sein, darum entwickelt er seinen Alternativplan, so dass diese Versöhnung überflüssig wird.

Das letzte Problem des heimkommenden Sohnes würde die Dorfgemeinschaft sein. Jeglicher Status im Dorf wäre schwer zu erreichen. In der Ferne ist er jämmerlich gescheitert – welcher Emigrant könnte zurückkommen – doch wohl nur der Erfolgreiche! Die Rückkehr wird weiter wesentlich durch die Art seines Auszuges erschwert. Er hatte die gesamte Dorfgemeinschaft gekränkt, als er vom lebenden Vater das Erbe forderte, es vor allen Augen verkaufte und dann offensichtlich das ganze Erbe bei den Heiden verschleuderte. Er hatte die oben beschriebene übliche Qesasah-Zeremonie zu erwarten. Spott und Feindseligkeiten würden seiner warten. Hier gab es keinen Ausweg!

Der jüngere Sohn breitet hiermit seine „Reparationshandlungen“ vor, um seine Ernsthaftigkeit unter Beweis zu stellen. Auch sein Bekenntnis ist in diesem Licht ein Werk der Sühne für seine „Sünden.“ Jesus gerät mit dem Ansatz – Menschen würden ohne die von Mose vorgeschriebenen Reparationshandlungen wieder Teil der Heilsgemeinschaft – in eine deutliche Opposition zu allen damaligen religiösen Gruppen. Doch in allen drei Gleichnissen wird die Last der Wiederherstellung beschrieben – allerdings so ganz anders als Mose es tat.

Der Vater in unserem Gleichnis lebte in einer Dorfgemeinschaft. Er erwartete wahrscheinlich das unrühmliche Ende des Ausflugs seines jüngeren Sohnes. Vielleicht haben manche im Dorf seinen Spross schon für tot erklärt. Wenn er jemals zurückkommen würde, dann als Bettler. Wie oft hatte der Vater die Vorwürfe der Dorfgemeinschaft gehört, er hätte nie die Bitte des Sohnes erfüllen dürfen. Das Verhalten der Dorfgemeinschaft beim Eintreffen des Sohnes konnte der Vater auch schon vorhersehen. In Sirach 26,5f lesen wir: „Vor drei Dingen scheut sich mein Herz, und vor dem vierten graut mir: böse Gerüchte in der Stadt, Volksauflauf, Verleumdung – alles ärger als der Tod.“ Das Zusammenlaufen des Straßenmobs hatte der heimkommende Sohn zu befürchten. Demütigungen, Spott und vielleicht sogar körperliche Gewalt würden ihm begegnen. Von all dem wusste der Vater. Er wusste wie sehr sein Sohn von der Dorfgemeinschaft zurückgestoßen werden würde. Was der Vater in der „Heimkehrszene“ tat, verstehen wir am besten als eine Serie von dramatischen Aktionen, die den Sohn vor den feindlichen Aktionen der Dorfgemeinschaft bewahren sollte.

Diese Aktionen begannen mit dem öffentlichen „Rennen“ auf der Dorfstraße. Ein ehrenwerter Orientale rennt nie – es ist einfach ehrenrührig: Sirach 19,30: Denn Kleidung, Lachen und Gang zeigen, was an ihm ist. Selbst der Heide Aristoteles sagte: „Große Männer rennen nie in der Öffentlichkeit!“ Der Vater wurde innerlich bewegt. Dies bezieht sich wohl auf den erwarteten Empfang im Dorf. Doch der Vater vollzieht das erwartete Spießrutenlaufen für ihn. Sicher folgten dem rennenden Vater so mancher Dorfbewohner.

Der Vater vollzieht dann die Versöhnung öffentlich am Rande des Dorfes. Der Sohn kann so unter dem sorgenden Schutz des Vaters das Dorf betreten. Der Sohn der schon entnervt sich auf den Spot des Dorfes gefasst machte, muss in seiner großen Verwunderung sehen, wie ihm sein Vater entgegen gerannt kommt. Anstatt nun sein „Fett“ am Rande des Dorfes abzubekommen, anstatt der berechtigten Feindseligkeiten, erwartet ihm eine unerwartete sichtbare Demonstration der Liebe in Demut. Die Handlungen des Vaters ersetzen alle Worte. So gibt es keine Worte der Annahme und keine Willkommensgrüße. Der ägyptische Ausleger Said bemerkt an dieser Stelle: „Christus berichtet uns von den Worten des Sohnes, allerdings nichts von Worten des Vaters. In Wirklichkeit ersetzt der Vater Worte mit Küsse, Erklärungen durch Gefühlsausbrüche und seine Augen sprechen für seine Zunge.“

Die Strophe 5 ist der Ausdruck für die totale Ablehnung – 5′ dagegen die Beschreibung der totalen Annahme. In seiner öffentlichen Demonstration der unerwarteten Liebe steht der Vater mit dem Schafhirten und der Hausfrau aus Lukas 15 in einer Reihe. Der bußbereite Sohn hätte dem Vater die Hand, wahrscheinlicher sogar die Füße geküsst, doch der Vater hindert ihn daran. Der griechische Text weist hier auf einen herzhaften Kuss hin, der bis heute kultureller Standard ist.

Der Sohn kommt nun zum 1.Teil seiner vorbereiteten Rede. Wir merken sofort, dass er gar nicht zu seiner Bitte kommt, nun als ein bezahlter Knecht eingestellt zu werden. Wurde er nur vom Vater unterbrochen? Dann hätte er ja später seine Rede vorsetzen können. War es die innere Erkenntnis: „Dieser Empfang gestaltet sich ja besser, als ich mir in meinen kühnsten Träumen hätte ausmalen können!“ die ihn, von der Vollendung seiner kleinen Rede abhielt? Doch die Annahme der Rolle eines Sohnes hatte entscheidende Nachteile. Er muss fortan mit und von seinem Bruder leben. Er muss unter die totale Autorität des Vaters zurückkehren. Er müsste seinen Plan, sich seinen eigenen Weg erkämpft zu haben, aufgeben. Was trieb den jüngeren Sohn, zu einer Entscheidung mit so vielen Konsequenzen? Denn er hat doch offensichtlich seine Meinung geändert – sein Ego gegen die Gnade eingetauscht!

Wie wir sahen, kam der Jüngere mit seinem rabbinischen Verständnis von Buße zurück ins Heimatdorf. Er ist natürlich erschüttert durch den außergewöhnlichen Liebesbeweis seines Vaters. In diesem Zustand der Verzagtheit und Furcht erlebt er diese Rettung als ein überwältigendes Erlebnis. Jetzt muss er einsehen, dass er überhaupt keine Lösung für weitergehende Beziehung anzubieten hat. In diesem Moment sieht er nicht mehr das verschleudert Erbe, sondern die zerbrochene Beziehung, die er nicht mehr heilen kann. Jetzt versteht er, dass eine neue Beziehung eine alleinige Gabe des Vaters ist. Der Sohn kann überhaupt keinen Ausweg anbieten. Ja mehr noch, jedes Angebot den Schaden durch Arbeit wiedergutmachen zu wollen, wäre eine Beleidigung des Vaters. Die einzig passende Antwort des Sohnes ist darum: „Ich bin unwürdig!“

In 3′ wendet sich der Vater an seine Sklaven, die mit ihm auf der Straße stehen. Sie sollen den Sohn einkleiden, wie es sonst die Sklaven des Königs tun. Dem Sohn wird nicht gesagt: „Geh hin, bade dich und wechsle deine Kleider!“ Diese Anweisung sorgte dafür, dass der junge Herr wieder den gehörigen Respekt von den Haussklaven erwarten durfte. Diese hatten die ganze Zeit auf einen Hinweis ihres Herrn gewartet, wie sie den heimkehrenden Bettler behandeln sollten. Hätte der Vater von der Ferne nur gleichgültig mit der Schulter gezuckt, hätten sie nie etwas für den heimkehrenden Sohn getan. Das beste Gewand, ist wahrscheinlich das beste Festgewand des Vaters. Alle später kommende Gäste und Neugierige würden sofort das Festgewand des Vaters am jüngeren Sohn bemerken. Alle würden von der stattgefundenen Versöhnung sofort Notiz nehmen. Dies würde auch die Versöhnung mit der Dorfgemeinschaft einleiten. Diese Szene erinnert an 1Mo 41,42. Dort wird Joseph zum Herrscher eingesetzt. Dort finden wir einen Fingerring, ein kostbares Gewand und eine goldene Kette. Jes.61,10 weist auf die messianische Zeit, als einem neuen Gewand hin EÜ:

Hoch erfreue ich mich in Jahwe; meine Seele soll frohlocken in meinem Gott!

Denn er hat mich bekleidet mit Kleidern des Heils,

den Mantel der Gerechtigkeit mir umgetan,

wie ein Bräutigam den Kopfschmuck nach Priesterart anlegt,

und wie eine Braut sich schmückt mit ihrem Geschmeide.

In die gleiche Richtung würde auch Mt. 22,11-13 weisen.

Der Ring ist wahrscheinlich ein Siegelring. Er deutet daraufhin, dass ihm sofort wieder auf bemerkenswerte Art und Weise in alle geschäftlichen Bereichen vertraut wird. Die Schuhe weisen daraufhin, dass er ein freier Mann im Hause ist – kein Sklave. Die erkennen ihren neuen Herrn durch das Anziehen der Sandalen an.

Schließlich ordnet der Vater die Schlachtung des gemästeten Kalbes an. Die Schlachtung eines gemästeten Kalbes deutet daraufhin, dass der größte Teil, wenn nicht das ganze Dorf zum abendlichen Bankett eingeladen wird. Wie beim Schafhirten und der Frau, muss die Freude mit vielen geteilt werden.

Hier sei noch auf den „Bund-des-Blutes“ hingewiesen, der im Orient allgemein verstanden. Der Gastgeber schlachtet auf der Schwelle seines Hauses ein Tier, sodass der Gast über das Blut in das Haus tritt.[36] Dies trifft besonders für die Einweihung eines Hauses bis heute zu. Diese Willkommenszeremonie, heute oft nur verbal ausgedrückt, macht Gastgeber und Gast zu einer Einheit. Der Vater im Gleichnis heißt seinen jüngeren Sohn, wie einen sehr hochgeehrten Gast willkommen. Diese Ehre erfuhr sonst nur der örtliche Regierungsvertreter oder ein Bräutigam. Die ganze Dorfgemeinschaft soll so wieder mit dem heimkommenden Sohn versöhnt werden.

In 1′ hören wir die abschließende Rede des Vaters. Der Sohn könnte ja noch immer die Freiheit und Unabhängigkeit vorziehen, weit entfernt von Komplikationen des Lebens mit seinem Vater und Bruder unter einem Dach. Pervertierter Stolz könnte ihn darauf bestehen lassen, dass er zu demütig für die Wiederaufnahme als Sohn sei. Nein, der Sohn nimmt die reine Gnade an. Gnade gewinnt. Er lässt den abschließenden Vorschlag in seiner kleinen vorbereiteten Rede weg. Er macht den entscheidenden Schritt von der Unverantwortlichkeit zur Freiheit in Grenzen. Jetzt können Vater und Sohn wieder fröhlich sein.

 

Christologische Implikationen

Die Zuhörer von Jesus werden natürlich zuerst den Vater als Symbol für Gott verstehen. Als dann in der dramatischen Entwicklung des Gleichnisses der Vater sein Haus verlässt, demonstriert er in aller Demut unerwartete Liebe in der Öffentlichkeit (wie auch später beim älteren Sohn). Diese Liebesdemonstration wollte Jesus als sein Willkommenheißen für alle Sünder verstanden wissen. Wenn der Vater sein Haus verlässt, um in Demut und Liebe heraus zu seinem Sohn zu kommen, will Jesus doch zumindest teilweise auf seine Fleischwerdung und sein Versöhnungswerk hinweisen. Der Vater wollte einen Sohn – keinen Sklaven (Hatte er solch einen Sklaventyp schon im Hause?). Der Vater liebte immer tief und fortdauernd, nur der jüngere Sohn verstand dies nicht. Er verstand es erst, als der Vater mit wehenden Kleidern ihm entgegenkam. Jetzt hatte der Vater wieder einen Sohn – einen Sohn der in Liebe an ihm hang.

 

Fragen:

  1. Beschreibe die die übliche Qesasah-Zeremonie. Warum wurde sie dem jüngeren Sohn erspart?

 

 

  1. Fasse die Aussagen dieses Gleichnisses über die Lehre von Gott zusammen!

 

 

  1. Fasse die Aussagen dieses Gleichnisses über die Lehre der Errettung des Menschen zusammen!

 

 

  1. Was wird dir für unsere Evangelisationsarbeit wichtig?

 

 

Der Ältere Sohn

Lk 15,25-32

 

Der ältere Sohn erscheint auf der Bühne, als er auf dem Felde war. Er ist außerhalb des Hauses. Sein Weg hinein zum Bankett wird Schritt für Schritt parallel zum Weg seines Bruders gezeigt. Die Literatur Struktur erhellt dies:

 

 

B Es war aber sein älterer Sohn auf dem Felde;

1    und als er kam und sich dem Hause näherte,

hörte er Musik und Reigen.

Und er rief einen der Knechte herzu und erkundigte sich, was das  wäre.          2    Der aber sprach zu ihm: Dein Bruder ist gekommen,

und dein Vater hat das gemästete Kalb geschlachtet,

weil er ihn gesund wieder erhalten hat.

3    Er aber wurde zornig und wollte nicht hineingehen.

Sein Vater aber ging hinaus

und drang in ihn.

4′      Er aber antwortete und sprach zu dem Vater: Siehe, so

viele Jahre diene ich dir, und niemals habe ich ein Gebot

von dir übertreten; und mir hast du niemals ein Böcklein

gegeben, auf dass ich mit meinen Freunden fröhlich wäre;

4′     da aber dieser dein Sohn gekommen ist,

der deine Habe mit Huren verschlungen hat,

hast du ihm das gemästete Kalb geschlachtet.

3′    Er aber sprach zu ihm: Kind,

du bist allezeit bei mir,

und all das Meinige ist dein.

2    Es geziemte sich aber fröhlich zu sein und sich zu freuen;

denn dieser dein Bruder war tot und ist wieder lebendig geworden

und verloren und ist gefunden worden.

[Und er kam und betrat das Haus

nahm teil an der Musik und am Tanz

und begann fröhlich zu sein

 

Und die beiden Söhne wurden mit ihrem Vater versöhnt]

 

Er kommt

 

 

Dein Bruder ist da -ein Fest

 

 

Ein Vater kommt um zu versöhnen

 

Beschwerden I.

(Wie hast du mich behandelt)

 

Beschwerden II.

 

 

Ein Vater versucht zu versöhnen

Dein Bruder ist da – ein Fest

 

fehlt

 

 

Wieder haben wir es mit einer parabolischen Ballade zu tun. Die einzelnen Strophen haben jeweils drei Zeilen. Die nach innen gekehrte Struktur tritt deutlich hervor. Die Entsprechungen sind klar und ausgeprägt. 4 und 4′ bilden den Höhepunkt des Stufenparallelismus. In 3 kommt der Vater, während er in 3′ durch seine Rede versucht zu versöhnen. In 2 wird vom Fest berichtet, während in 2′ der Vater dieses Fest begründet. Natürlich haben wir schon früher bemerkt, das 1′  im Gleichnis fehlt. Ein mögliches Happyend haben wir einfach mal in Klammern dazugesetzt.

Der ältere Sohn kommt vom Feld und nähert sich dem Haus und hört eine Symphonie (sumfwni,a symphonia) und Tanzen (coro,j choros). Das Wort Symphonie deutet hier wohl auf eine Doppelflöte hin. Die alten orientalischen Versionen des Neuen Testamentes schließen hier noch das Singen mit ein. Eins war von weitem klar: Hier war ein komplettes orientalisches Fest im Gange. Warum wurde der ältere Sohn nicht sofort nach der Heimkehr benachrichtigt? Liegt es nur am szenischen Aufbau der Geschichte? Oder war zu befürchten, dass er versuchen würde, den Lauf der Dinge zu Ungunsten seines jüngeren Bruders zu beeinflussen? Auf jeden Fall erscheint der Altere erst, als der Gegensatz zwischen ihm und dem Heimkehrer nicht mehr krasser sein könnte.

Der Vater hatte eine Menge zu organisieren. Das Schlachten und Braten des Kalbes war schon ein Aufwand. Alles musste am frühen Abend, nach der Heimkehr der Landarbeiter, fertig zubereitet sein. Die Musik würde anfangen zu spielen, sobald die ersten Speisen gereicht würden. Dieses Versammlungssignal lockt in einem bunten Treiben das ganze Dorf an. Einen offiziellen Anfang und ein offizielles Ende gibt es nicht – alles ist in Bewegung: Kommen und Gehen, Alte und Säuglinge, Männer und Frauen, Weintrinken und Bratenessen. Alles wird die halbe Nacht dauern. Die absolute Eintönigkeit des Dorflebens musste durch ein fröhliches Chaos durchbrochen werden. Der ältere Sohn näherte sich seinem Vaterhaus als das Fest im Gange war, die Musik spielte, die Gäste ankamen und das Essen serviert wurde.

Gemäß seinem Charakter ist er zuerst misstrauisch. Ein „normaler“ Sohn würde sofort das Haus betreten und neugierig am Fest teilnehmen – was immer auch der Anlass des Festes sein würde. Der Rhythmus der Musik machte jedem doch sofort deutlich, dass hier ein freudiger Anlass gefeiert wurde. Der ältere Sohn verlangt zuerst eine Erklärung von einem pai/j pais = Junge/Sklave. Normalerweise übersetzen wir dies Wort als Sklave, doch immer hatte es auch die Bedeutung: Junge, Bursche. Die alten orientalischen Übersetzungen, auch die arabischen Übersetzungen lesen hier: Junge, Bursche. War es einer der Teenager, die sich üblicherweise vor dem Haus in Gruppen sammelten? Im weiteren Verlauf des Gleichnisses wird deutlich, dass der ältere Sohn alle für ihn wesentlichen Fakten von diesem Jungen erfahren hatte.

Der Ältere reflektiert über den Gang der Dinge und entschließt sich, nicht am Fest teilzunehmen. Die Sitte verlangt natürlich seine Teilnahme: er müsste die Gäste mit Komplimenten begrüßen, den Sklaven Aufträge erteilen, die reichliche Versorgung der Gäste mit Wein und Braten sichern und so folgende Aussage des Vaters durch Taten unterstreichen: „Mein ältester Sohn sei euer Knecht!“ Muss er als Bruder sich über die Rückkehr des Jüngeren nicht freuen, die Komplimente und Glückwünsche der Gäste entgegennehmen und seinen Bruder in besonderer Weise öffentlich ehren?   Wenn alle gegangen sind, dann könnte er sich unter vier Augen bei seinem Vater beschweren. Doch der Ältere entschließt sich seinen Vater öffentlich zu demütigen, indem er versucht in Gegenwart der Gäste einen Streit vom Zaun zu brechen.

Die Sitten Palästinas gehen von einer recht hohen Autorität des älteren Vaters über seine erwachsenen Söhne aus. Darum sind die Aktionen des Sohnes so beleidigend für das Familienoberhaupt. Nie würde man vor den Gästen einen Streit ausfechten. Hier wird uns geschildert, wie die Beziehung zwischen dem älteren Sohn und dem Vater zerstört wird. Was für eine Parallele zum Beginn des Gleichnisses! Erinnern wir uns an Esther 1,12? König Ahasveros bestellte seine Gemahlin zum abendlichen Bankett: Aber die Königin Wasti wollte nicht kommen, wie der König durch seine Kämmerer geboten hatte. Da wurde der König sehr zornig, und sein Grimm entbrannte in ihm. Ihre Verweigerung war eine sehr ernste Angelegenheit – sie wurde wenig später entfernt. In der orientalischen Erzählkunst existiert manche Geschichte über einen Sohn, der seinen Vater anlässlich eines Banketts demütigte. Der Hörer nahm die schrecklichen Konsequenzen freudig zur Kenntnis.

Vom Vater erwartet jeder Zuhörer mächtigen Ärger, der sich im Ignorieren es Sohnes oder in drastischer Zurückweisung von dessen Handlungsweise zeigen sollte. Doch zum zweiten Mal an diesem schicksalsreichen Tag kommt der Vater aus seinem Haus, geht die Straße hinab seinem Sohn entgegen. Wieder demonstriert er seine Liebe unerwartet in der Öffentlichkeit. Wieder ist der Vater besorgt um seinen Sohn. Er kommt um den Sohn anzuflehen, nicht um ihn zurechtzuweisen, zu strafen. Was wird die Antwort sein?

In 4 und 4′  nähern wir uns dem Höhepunkt des Gleichnisses. Selten hat sich ein Mensch so sehr mit seinen eigenen Worten angeklagt, wie der ältere Sohn an diesem Punkt des Gleichnisses. Der jüngere Bruder wurde so sehr ins Erstaunen versetzt, als er die öffentliche, unerwartete Demonstration der Vaterliebe erlebte, dass seine ganze innere Haltung zum Vater, zur eigenen Schuld  sofort radikal verändert wurde. Der Ältere hatte durch seine Unverschämtheit eine ernsthafte Bestrafung heraufbeschworen. Doch der Vater verlässt das Haus, die Festgesellschaft und kommt seinem älteren Sohn flehend und bittend entgegen. Welche Auswirkung sollte dieser unerwartete öffentliche Liebesbeweis auf das Verhalten des Älteren haben? Sind nicht ähnliche Gesinnungsänderungen wie beim jüngeren Bruder zu erwarten? Leider geschieht gerade dies nicht.

 

Anstatt eines doppelten Bekenntnisses hören wir eine doppelte Beschwerde.

  • Auffällig ist schon, dass der Sohn die Rede (sie wird vom Erzähler {= Jesus} in direkte Rede gefasst) ohne die notwendige Anrede beginnt.
  • Der ältere Sohn offenbart seine sklavische Haltung gegenüber seinem Vater, indem er seinem Vater sagt: „So viele Jahre diene (douleu,w douleuœ) ich dir.“ Nichts von einer familiären Atmosphäre ist zu spüren. So kann der Ältere auch nicht verstehen, dass das Fest nicht der Gradmesser für die väterliche Wertschätzung ist, sondern für die väterliche Freude. Die Haltung des Älteren ist klar: „Ich habe gedient, wo bleibt die Knete!?!“ Er vermittelt die Atmosphäre einer Lohnverhandlungsrunde zwischen DGB und Arbeitgeberverband.
  • Der Ältere hat gerade seinen Vater ernsthaft gedemütigt und bringt doch die Unverschämtheit auf, zu sagen, dass er nie das Gebot des Vaters übertreten habe. Hier wird die pharisäische Haltung deutlich. Hier zählt sich einer zu den „99“, die der Buße nicht bedürfen, ohne zu merken, dass man im gleichen Moment das Gebot der Liebe bricht.

Der ägyptische Ausleger Sa’id vergleicht an dieser Stelle die beiden Söhne:

Der Unterschied zwischen ihm und seinem jüngeren Bruder war der, dass der Jüngere in der Ferne rebellisch war und sich vom Vater entfremdete, während der Ältere sich vom Vater entfremdete und rebellisch war, während er im Vaterhaus blieb. Die Entfremdung und Rebellion des Jüngeren waren durch das Verlassen des Vaterhauses offensichtlich. Die Entfremdung und Rebellion des Älteren wurden offensichtlich in dessen Ärger und in seiner Weigerung das Haus zu betreten (Sa’id 1970, 403).

  • Der Ältere beschuldigte seinem Vater sehr egozentrisch, er würde den Jüngeren ungerechterweise begünstigen: und du hast mir nie einen Bock gegeben, dass ich mit meinen Freunden fröhlich gewesen wäre. Er beschwert sich also: Der da bekommt ein Kalb, ich noch nicht einmal einen Ziegenbock. Sarkasmus ist kein Stilmittel der nahöstlichen Kulturen – Ironie schon – und kann deshalb hier ausgeschlossen werden. Der Vorwurf der ungerechten Begünstigung, die Forderung nach einem Bock bleibt im Raum. Doch für wen wurde das Kalb zubereitet? War es nicht für alle?
  • Der Ältere Sohn erklärt öffentlich, dass er nicht Teil der Familie ist. Sa’id bemerkt hierzu:

Er zeigt  Abscheu gegenüber sein Vaterhaus, durch die Betonung: ‚dass ich mit meinen Freunden fröhlich gewesen wäre‚. Dadurch zeigt er, dass er nicht besser ist als der verschwenderische Sohn, der sein Erbteil nahm und in die Ferne zog. Der Unterschied zwischen ihnen war, dass der verschwenderische Sohn ein ‚ehrenwerter Sünder‘ war, da er sich ganz dem Vater öffnete. Er sagte seinem Vater alles was auf seinem Herz war. Der ältere Bruder aber war der ‚heuchlerische Heilige‘, weil er seine Gefühle im Herzen verbarg. Er blieb im Hause und hasste doch den Vater. Er verleugnet jede Beziehung zum Bruder und damit auch zum Vater. Er sagt: ‚dieser dein Sohn‘ anstatt: ‚mein Bruder‘. …Mit dieser Aussage hat sich der Ältere außerhalb der heiligen Familie gestellt – er hat das Urteil eines Ausgestoßenen über sich gesprochen.

  • Der Ältere lässt durchscheinen, was für ihn Freude ist. Für ihn ist ein gutes Mahl mit seinen Kumpanen ein freudiger Anlass. Die Auferstehung des jüngeren Bruders von den „Toten“ ist kein freudiger Anlass für ihn, darum will er auch nicht am Bankett teilnehmen. Gib ihm einen Bock und lass ihn abseits der Familie „fressen und saufen“ und er wird hoch zufrieden sein. Für den Vater ist das Kalb das Symbol für die bereits vorhandene Freude. Der Sohn braucht „Bock“ um eine andere Art von Freude zu schaffen.
  • Der Ältere greift seinen jüngeren Bruder an. Er wirft dem Jüngeren vor, dieser habe das Leben (bi,oj bios) des Vaters mit Pornos/Prostituierten (po,rnh porn¢ = Huren) durchgebracht. Die Lebensgrundlage, d.h. die Pension des älteren  Vaters verschwendet zu haben, ist schlimm, doch dass dies auch noch im Rotlichtviertel geschah, ist viel schlimmer. In der Entwicklung des Gleichnisses ist dieser Umstand nicht erwähnt worden. Sa’id bemerkt hier: „.. er gibt diese Übertreibung zum Besten um seinen Bruder mit seinen verseuchten Anschuldigungen zu etikettieren.“ Er will seinen Bruder als einen rebellischen Sohn darstellen. Warum? Will er dessen Verhalten im Lichte von 5.M.21,18-21 sehen?

Wenn jemand einen widerspenstigen und ungehorsamen Sohn hat, der der Stimme seines Vaters und seiner Mutter nicht gehorcht und auch, wenn sie ihn züchtigen, ihnen nicht gehorchen will, so sollen ihn Vater und Mutter ergreifen und zu den Ältesten der Stadt führen und zu dem Tor des Ortes und zu den Ältesten der Stadt sagen: Dieser unser Sohn ist widerspenstig und ungehorsam und gehorcht unserer Stimme nicht und ist ein Prasser und Trunkenbold. So sollen ihn steinigen alle Leute seiner Stadt, dass er sterbe, und du sollst so das Böse aus deiner Mitte wegtun, dass ganz Israel aufhorche und sich fürchte.

Die Rede des Älteren ist ein brillanter Kontrast von 4 und 4′. Wir sehen einen Sohn dessen Lebenseinstellungen und Beziehungen traurig pervertiert sind. Als mildernde Umstände konnte er vorbringen, dass er bereit ist Befehle auszuführen.

Wie wird der Vater nach diesen Angriffen, die seine moralische Integrität mehr als in Frage stellten, reagieren? Schon im ersten Teil des Gleichnisses hatten wir bemerkt, dass nach dem Höhepunkt des Gleichnisses eine wesentliche neue Komponente zum Gleichnis hinzukam. Der Hörer erwartet einen explodierenden Vater, doch wieder scheint die Liebe des Vaters durch all seine Worte. Sicher er könnte seinem Sohn befehlen, die Pflichten eines ältesten Sohnes auf dem Bankett zu übernehmen. Der Sohn würde auch gehorchen. Aber was wäre gewonnen? Der Vater will keinen weiteren Sklaven – er will einen Sohn!  Der Vater übersieht die fehlende Anrede, die Bitterkeit, die Arroganz, die Beleidigung, das Durcheinanderbringen der Fakten und die ungerechten Beschuldigungen. Wir vernehmen kein Urteil, keine Kritik, keine Zurückweisung – nur das Ausströmen der Liebe.

Der Vater beginnt seine Rede mit einer gefühlvollen Anrede: „Kind“ (te,knon teknon). Er sagt nicht Sohn (ui`o,j huios), sondern Kind. Ist dies nicht bemerkenswert angesichts der Qualen, die der zurückgewiesene Vater erleiden musste? Im Fall des jüngeren Sohnes führte der öffentliche Liebesbeweis zu einer grundsätzlichen Gesinnungsänderung, zu einem demütigen Schuldbekenntnis – doch hier begegnet ihm nur Arroganz!

Die Rede in 3′ ist die verbale Entsprechung zur Aktion des Vater in 3. Folgende Punkte enthält diese Rede:

  • Die Worte des Vaters sind eine Ermahnung an seinen Sohn doch an dem Fest zum Anlass der Rückkehr seines Bruders teilzunehmen. Das Problem des älteren Sohnes bleibt auf jeden Fall: Wie kann man ein Fest feiern, wenn der verschwenderische Bruder mittellos nach solch einem Familienkrach nach Hause kommt und weder Reparationen zahlte, noch seine Ernsthaftigkeit unter Beweis stellte? Die Gleichnisse in Lk 15 haben alle das Thema Freude als Themenschwerpunkt. Hier fehlt es in dramatischer Weise. Da das Ende fehlt, wissen wir nicht, ob der Vater zum Schluss doch noch seinen 1. Sohn in Freunde „fand.“
  • Der Vater versichert seinem Erstgeborenen, dass alle seine (Erb-)Rechte auch mit der Rückkehr seines Bruders gesichert sind, trotz der väterlichen Gnade gegenüber dem Verschwender.
  • Der Vater macht seinem Sohn einfühlsam deutlich, dass er keinen Sohn in der Sklavengesinnung wünscht. Der Sohn stellt sein Dienen heraus, doch der Vater betont dessen „Allein-Erbe-Sein.“ Was will der Sohn denn noch mehr? Wartet er etwa auch darauf, dass er als Alleinerbe endlich über jeden „Bock“ frei verfügen kann? Wartet er auf den Tod des Vaters? Mit diesen unausgesprochenen, aber doch zwischen den Zeilen stehenden Aussagen nimmt der Verlauf des Gleichnisses eine Kreisform an: Wir sind wieder am Ausgangspunkt!
  • Die Rede des Vaters ist weder eine Verteidigungsrede für das Bankett, noch ein Angriff gegen den Älteren, sondern in erster Linie der Herzensschrei des Vaters, doch endlich die Gnade zu verstehen. Sicher ist die Rede der Vaters keine Entschuldigung für sein Verhalten, dies wäre kulturell sehr unüblich, aber doch verspüren wir den leidenschaftlichen Appell zur Versöhnung mit Vater und Bruder. Ist nicht der ältere Sohn in gleicher Weise wie der jüngere in Vergangenheit tot? Wird er wieder zum „Leben“ kommen?

 

Es ist sicherlich richtig, nicht einfach den Älteren mit den Pharisäern und den Jüngeren mit den Zöllnern gleichzusetzen. Nein, Jesus erläutert seinen Zuhörern zwei Klassen von Menschen. Einer ist ein Gesetzesbrecher ohne Gesetz und der andere ist ein Gesetzesbrecher mit Gesetz. Beide rebellieren. Beide brechen das Herz des Vaters. Beide enden in der Ferne, der eine physisch, der andere geistlich. Beiden wird diese unerwartete Vaterliebe in Demut offenbart. Für beide ist diese Liebe wesentlich, um von Sklaven zu Söhnen zu werden.

 

Der Patriarch Sa’id schreibt zum fehlenden Schluss (Said 1935, 404): … es ist bedauernswert, dass der Vorhang im Schlussdrama an der Stelle fällt, als der ältere Sohn immer noch draußen ist. Konnte ihn der Vater noch überzeugen? Oder blieb er am Ende draußen? Die Pharisäer selbst mussten die Antwort geben:

 

Der Zuhörer damals wie heute findet sich in der Person des älteren Sohnes wieder. Jeder Hörer/Leser muss an dieser Stelle eine persönliche Antwort geben.

 

Das theologische Bündel des Gleichnisses umfasst wenigstens folgende Themen:

  • Sünde Das Gleichnis charakterisiert beide „Sündertypen,“ die mit und die ohne Gesetz
  • Buße Die beiden Arten der Buße werden illustriert, die eine baut auf Werkgerechtigkeit die andere auf Gnade
  • Gnade Das Gleichnis beschreibt Gottes Natur, insbesondere seine freie Gnade. Die Kosten der Gnade werden genannt. Es ist eine liebende Gnade, die sucht und leidet um zu retten
  • Freude Sie wird im Finden des Sohnes und in den Feiern des Dorfes bei der „Wiedereinsetzung“ des Sohnes ausgedrückt
  • Sohnschaft Ein Sohn ist aus „Sklaverei und Tod“ wiederhergestellt. Der zweite Sohn beharrt wohl darauf, ein Sklave bleiben zu wollen.

 

Wirklich, das Gleichnis ist ein „Evangelium in Evangelio

 

Fragen:

  1. Warum blieb der ältere Sohn draußen?

 

  1. Was können wir aus der Rede des Vaters an den älteren Sohn schließen?

 

  1. Zeige auf
  2. a) welche theologischen Aussagen wir
  3. b) an welcher Stelle des Gleichnisses

zur Sünde, Buße, Gnade, Freude und Sohnschaft finden.

 

  1. Wie bringen wir diesen Botschaft zu denen, die nie weg gingen – aber dennoch weit von der Familie Gottes entfernt sind?

 

 

 

 

8.26 Der ungerechte Verwalter (HUL)

Lk 16,1-18

Meist wird das Gleichnis und die anschließende Rede über dem Umgang mit Geld in engem Zusammenhang gebracht. Doch wir wollen diese beiden Teile bewusst getrennt betrachten.

8.26.1 Der ungerechte Verwalter

Lk 16,1-8

 

Die Form, die Adressaten

Das Gleichnis ist in Form einer „parabolischen Ballade“ ausgearbeitet. Die theologischen Bündel geben uns Einsichten in die Natur Gottes, die Krise, die das angebrochene Reich Gottes für Sünder bringt und in die einzige Hoffnung für die Errettung des Menschen.

Nach V.1 und V.14 sprach Jesus auch zu den Jüngern, aber die Pharisäer waren ganz eindeutig mit in den Kreis der Jünger eingeschlossen („Dies alles aber hörten auch die Pharisäer“). Im Text wird dieses Gleichnis nicht ausdrücklich als eine Parabel erwähnt, doch steht es wohl in einer Linie mit dem einleitenden Satz von Lk.15,3.

 

Der reiche Mann/Herr

Alles deutet darauf hin, dass der reiche Mann ein aufrichtiger Mann ist. In dem unmittelbar vorausgehendem Gleichnis von den verlorenen Söhnen, ist der Vater auch klar eine noble Persönlichkeit; die beiden Söhne sind im Gegenteil dazu weniger ehrbar. Im Gleichnis vom „Armen Lazarus“ ist der Reiche, derjenige der getadelt wird, aber Lazarus erweist sich als würdig für das ewige Leben. Schon beim oberflächlichen Durchgehen des Lukasevangeliums erwartet man auch in unserem Gleichnis den gleichen Charaktergegensatz. Weiter wird der Verwalter eindeutig als ungerecht klassifiziert – allerdings wird der „reiche Mann / Herr“ mit keinem Attribut versehen. Wäre dieser genauso ungerecht, wäre er dann nicht auch eindeutig so bezeichnet worden? Außerdem lesen wir, dass der Verwalter entlassen werden sollte, er wurde aber nicht gescholten, bestraft, misshandelt oder gar inhaftiert – was für dessen ehrenwerten Vorgesetzten spricht.

 

Die Machenschaften des Verwalters

Jeder Verwalter erhielt von den Pächtern seines Herrn eine Zuwendung. In der Mischna[37] wird das Entgelt geregelt, das ein Pächter an den legalen Verwalter zu zahlen hat. Vorstellbar sind weitere Zahlungsforderungen, die „unter dem Tisch“ vorgenommen wurden. Dies ist bis heute im Orient nicht anstößig und sogar ehrenhaft. So konnte der Verwalter an Festtagen, am Ende der Erntezeit oder anderen wichtigen sozialen Gelegenheiten kleine Extragaben erwarten. Solange seine Erwartungen nicht ausuferten, würde der Verwalter auch von keinem im Dorf kritisiert werden. Wenn ein Verwalter betrügt, dann sicherlich nicht in der Art, dass er Verträge manipuliert. Viel eher würde er Gewichte, Preise etc. manipulieren.

Zum anderen regelte die Mischna (Baba Bathra X 4.) die Ausstellung der Pachtverträge: „Es dürfen keine Pachtverträge mit ertragsabhängigem oder festem Pachtzins abgeschlossen werden, es sei denn mit dem Wissen von beiden Parteien…“ Die Pachtverträge waren im Übrigen öffentlich und wurden auch intensiv in der Dorfgemeinschaft besprochen. Hätte der Verwalter die Verträge  zu seinen Gunsten verändert, hätten die Pächter immer die Gelegenheit wahrgenommen, sich beim Grundbesitzer zu beschweren, es sei denn, er würde mit ihm unter einer Decke stecken. Wenn der Verwalter tatsächlich die Pächter bis zu dem Ausmaß von 20-50% betrogen hätte, würde er von allen in der Dorfgemeinschaft so gehasst werden, dass er nach seiner Entlassung sofort die Gegend verlasen müsste, um nicht ständig gedemütigt zu werden. Kein ökonomischer Vorteil irgendwelcher Art würde ihm noch die Türen zur Dorfgemeinschaft öffnen.

Der Grundbesitzer wiederum scheint doch soweit in die Dorfgemeinschaft integriert zu sein, dass sich kein Ankläger aus dieser Gemeinschaft fand, der genug Vertrauen auf seine gute Beziehung zum Landbesitzer hatte und es wagte, dessen legalen Vertreter anzuschwärzen. Der wohlhabende, fremde, entfernt lebende und gnadenlose Landbesitzer taucht in den synoptischen Evangelien nicht auf – er war im Nahen Osten das Bild des türkischen Paschas während der vielen Jahrhunderte der Besatzung.

 

Die Funktion des Verwalters

Hier finden wir wieder im Talmud klar definierte Begriffe und Funktionen (Horrowitz 1953, 538-568):

  • Der Verwalter wurde als shaluaµ / shaliaµ Er war der bezahlte legale Vertreter des Grundbesitzers
  • Die Pächter waren µakir£n, die einen festgelegten Pachtzins jährlich in Naturalien zahlen mussten.

Das griechische Wort für Verwalter oivkonomos oikonomos. Das hebräische Wort das dem griechischen Wort entsprechen würde ist: ‚asher ‚al habbayit, auch hier wäre ein leitender Hausangestellter gemeint. Alle orientalischen Quellen sprechen also von einem angestellten, bezahlten Verwalter.

Die Mischna (Baba Metzia IX.1-10) regelt, wie der Pachtzins vereinbart werden konnte:

  • Der Pächter zahlt in Naturalien einen Anteil der jährlichen Ernte als Pacht
  • Der Pächter zahlt in Naturalien einen festen Betrag jährlich, unabhängig vom Ernteertrag
  • Der Pächter zahlt eine festgesetzte Geldsumme

Wir merken wie die zweite Regelung genau in unser Gleichnis passt. In diesem Fall schuldete der Pächter das ganze Jahr über dem Grundbesitzer seinen Pachtzins – doch am Ende der Ernte wurde er dann fällig. Darum wurde in unserem Gleichnis auch nicht sofort der Pachtzins angeschleppt und bezahlt, sondern er war dann ja erst am Ende der Ernte fällig.

Zum Schluss soll noch festgestellt werden, dass Jesus dies Gleichnis in einer ländlichen Umgebung erzählte. Es war vor diesem Hintergrund unnötig den reichen Mann/Herrn und dessen Schuldner näher zu definieren.

 

Die Struktur des Gleichnisses

Lukas 16,1-8 ist eine sorgfältig strukturierte parabolische Ballade LÜ:

 

 

 

A         Er sprach aber auch zu den Jüngern: Es war ein reicher Mann, der

hatte einen Verwalter; der wurde bei ihm beschuldigt, er

verschleudere ihm seinen Besitz.

Reicher Mann – Verwalter,

Verwalter ist ein Verschwender

 

B1       Und er ließ ihn rufen und sprach zu ihm: Was höre ich da

von dir? Gib Rechenschaft über deine Verwaltung; denn

du kannst hinfort nicht Verwalter sein.

Was tun? gefeuert als Verwalter, ohne Amt
            B2       Der Verwalter sprach bei sich selbst: Was soll ich tun?

Mein Herrn nimmt mir das Amt; graben kann ich nicht,

auch schäme ich mich zu betteln

Was tun? gefeuert als Verwalter, ohne Amt
                        C         Ich weiß, was ich tun will, wenn ich von dem Amt

abgesetzt werde, damit sie mich in ihre Häuser

                                    aufnehmen.

 

Tu dies! gefeuert als Verwalter, Aufnahme in die GEMEIN-SCHAFT
            B1′       Und er rief zu sich die Schuldiger seines Herrn, einen

jeden für sich, und fragte den ersten: Wie viel bist du

meinem Herrn schuldig? Er sprach: Hundert Eimer Öl.

Und er sprach zu ihm: Nimm deinen Schuldschein, setz

dich hin und schreib flugs fünfzig

Tu etwas, handle wie  ein Verwalter,

(ändere die Pachtverträge)gewinne Ansehen

            B2′       Danach fragte er den zweiten: Du aber, wie viel bist du

schuldig? Er sprach: Hundert Sack Weizen. Und er sprach

zu ihm: Nimm deinen Schuldschein und schreib achtzig.

Tu etwas! handle wie  ein Verwalter, gewinne Ansehen
A‘        Und der Herr lobte den ungetreuen Verwalter, weil er klug

gehandelt hatte; denn die Kinder dieser Welt sind unter ihres-

gleichen klüger als die Kinder des Lichts.

Reicher Mann – Verwalter, der Verwalter ein „weiser“ Verschwender

 

Wir beobachten sieben Strophen, mit jeweils drei Zeilen, wobei die Strophe B‘ eine zusätzliche Zeile zur Erklärung aufweist. Wir können die einzelnen Strophen auch wie folgt zusammenfassen:

Reicher Mann – Verwalter

Problem

Problem

Idee

Lösung

Lösung

Reicher Mann – Verwalter

 

Der neue Plan und die erhoffte Aufnahme in die Dorfgemeinschaft bilden den Wendepunkt des Gleichnisses, während die Probleme und die Lösungen neben dem Verhältnissen Reicher Mann – Verwalter den Rahmen bilden.

Hinweise

Zu B1: Der Verwalter wird zur Verantwortung gerufen mit den Worten (wörtlich). Was dies ich höre über dich? Dies ist eine typisch semitische Ausdrucksweise, durch das Fehlen des Hilfsverbs „ist“, wird die kurze kraftvolle Ausdrucksweise des Reichen Mannes deutlich. Diese Ausdrucksweise impliziert: Mein lieber Bursche, ich höre schon eine ganze Weile und jetzt immer noch von deinen Machenschaften!  Der Verwalter weiß natürlich jetzt nicht, über was der Vorgesetzte schon alles informiert wurde, so sagt er besser nichts über seine Verschwendungen. Er schweigt, wohl auch um nicht die Lage durch die Preisgabe weiterer Informationen zu verschlimmern.

An dieser Stelle ergeben sich zwei Fragen:

  1. Ist der Verschwender auf der Stelle gefeuert worden?
  2. Was geschieht nach der Kündigung?

 

Ist der Verschwender auf der Stelle gefeuert worden?

Als der Verwalter mit den Pächtern verhandelt, tut er ja so, als sei er noch im Amt. In V.3 spricht der Verwalter zu sich selber EÜ: „…mein Herr nimmt mir die Verwaltung….“ Weiter äußert sich der Verwalter in V.4 EÜ: „….wenn ich der Verwaltung enthoben bin…“

Auf der anderen Seite lesen wir in V.2 (eigene Übers.): „…du kannst nicht mehr Verwalter sein …“. Wir wollen hier bei der normalen Gegenwartsform bleiben.[38] Die bis heute übliche Praxis – nicht nur im Orient – ist natürlich, dass der Verwalter auf der Stelle gefeuert wird, weil sonst genau das geschieht, was in unserem Gleichnis geschildert wird. Er hat nur noch die Buchführung[39] zu übergeben und zu gehen, weil ein geschickter Buchhalter so manche Verschwendung in seinen Büchern geschickt tarnen kann. Die aramäischen Versionen unterstreichen diese Aussagen, in dem sie an dieser Stelle übersetzen: „…du wirst nie mehr  Verwalter sein können…

In unserem Fall, war es wohl so, dass der Verwalter auf der Stelle gefeuert wurde, doch hatte er bis zur Übergabe der Buchführung noch eine kurze Zeitspanne zur Verfügung. Von dieser wohl sehr kurzen Zeitspanne, in der die Entlassung des Verwalters noch nicht öffentlich bekannt war, handelt unser Gleichnis.

 

Was geschieht nach der Kündigung?

Nach der Aufforderung die Rechungsbücher zu übergeben, würde jeder Orientale ein lautes und beständiges Geschrei des Verwalters erwarten, der auch entgegen seines schlechten Gewissens, versuchen würde, auf seine Unschuld hinzuweisen. Normal wäre an dieser Stelle, dass der Verwalter allen Umständen, Personen und sogar dem Grundbesitzer selber die Schuld zuweisen würde. Doch zum Erstaunen aller Zuhörer ist der Verwalter wieder still. Dieses Schweigen nach solch einem drastischen Gesichtsverlust muss zumindest folgendes bedeuten:

Ich bin schuldig.

Der Herr kennt die Wahrheit, er weiß von meiner Schuld.

Der Herr erwartet Gehorsam, Ungehorsam zieht nur weiteres Urteil nach sich.

Ich kann meinen Job nie mehr zurückgewinnen, soviel Entschuldigungen ich auch bringen  würde.

Dies ist die kürzeste Form für einen Orientalen seine Schuld zu gestehen. So konzentriert sich der Verwalter nicht auf die Vergangenheit, sondern nur noch auf seine ungewisse Zukunft.

Etwas fällt in diesem Zusammenhang noch auf. Die Regeln der Mischna stellen klar, dass der Verwalter für alle Verluste seines Herrn haftbar gemacht werden kann. Ein Prozess und eine sofortige Untersuchungshaft wäre normal gewesen. Der Verwalter wird nicht gescholten, geschlagen – noch nicht einmal gedemütigt. Der Grundbesitzer erwartet eindeutig Gehorsam, dennoch ist er ungewöhnlich barmherzig und großzügig zu dem überführten Schuft!!

 

Zu B2: In seiner tiefsten persönlichen Krise sucht der Verwalter nun nach einer Lösung. Interessanterweise erwägt er das Graben. Klar, dass ein gebildeter Mensch mit einem guten Status, dies nicht EÜ: „kann“. Das griech. Wort weist eindeutig auf seine körperliche Schwäche als Hinderungsgrund hin. Für unseren Verwalter spricht, dass er das Betteln auch ablehnt, obwohl dies in der Gesellschaft eine, wenn auch verachtete, Einkommensquelle war. Das wirkliche Problem des Verwalters ist nicht die nächste Mahlzeit. Was er braucht ist eine Zukunft im Dorf – einen neuen Job! Er kann nie und nimmer ein Dauergast egal in welchem Dorf sein.(lies Jesu Sirach 29,28-35) Wer würde einen Verwalter einstellen, der wegen Verschwendung gefeuert wurde? Wie könnte er die Dorfgemeinschaft zu einem Gesinnungswandel bringen?

 

Zu C: Hier wird der Plan angekündigt, der sich dann vor dem Hörer/Leser entfaltet. Der Verwalter beschließt alles in Bezug auf die Barmherzigkeit seines Meisters zu riskieren. Klar, wenn das nicht gelingt landet er im Knast – doch wenn sein Plan gelingt, wird er der Held des ganzen Dorfes sein. Hinter dem dramatischen „ich weiß“, steckt der letzte Plan seines verzweifelten Hirnes. Wie oben angedeutet, liegt der Schlüssel für das Handeln des Verwalters, in dem Umstand, dass noch kein Pächter von seiner Entlassung weis. Er hat bis zur endgültigen Übergabe der Buchführung eine sehr kurze Zeitspanne zur Verfügung – die will er absolut nutzen.

Er lässt die Pächter rufen; die kommen zu ihrem „Verwalter“, wohl in der Annahme der Grundbesitzer habe ihnen durch seine Person etwas Außerordentliches mitzuteilen. Im Übrigen: die Höhe des Pachtzinses lässt vermuten, dass diese Pächter relativ wohlhabende Pächter waren. Es war keine Erntezeit – bei niemand war eine Rechnung fällig-, also musste der Landbesitzer schon was besonderes auf seinem „Herzen“ haben. Genau diesen Schein wollte der Verwalter erwecken.

 

Zu B1′: Der Verwalter ruft jeden der Pächter einzeln zu sich, so dass die sich nicht zu viel untereinander bereden und dann womöglich noch Fragen stellen. Der Verwalter ist in verzweifelter Eile, grüßt die Pächter nicht vernünftig, stellt seine Frage und sagt dem Ersten dann ausdrücklich: „Setz dich schnell und schreibe…“ Die Eile wird aus jedem Wort deutlich. Der Verwalter muss handeln so lange der Grundbesitzer noch nichts bemerkt hat, aber auch die Pächter würden nie mitmachen, wenn sie wüssten, dass sie nur einen „Ex“ vor sich haben. Das Risiko des Verwalters war, dass irgendein anderer niedrigerer Knecht den Raum betreten und laut bekannt geben würde, dass der Verwalter gefeuert wurde. Nie würden sich die Pächter, deren Lebensunterhalt von dem Verhältnis zum Grundbesitzer abhängig ist, auf eine Intrige mit einem machtlosen „Ex“ einlassen und so ihr Verhältnis zum „Boss“ verspielen. An keiner Stelle haben wir im Gleichnis einen Hinweis, dass die Pächter Schurken sind. Sie sind aufrichtige Dorfbewohner, die auf Treu und Glauben gehandelt haben. Für sie sind die plötzlichen Vertragsänderungen legal, solange es für sie noch keinen „Ex-Verwalter“ gibt. Sagt nicht auch der Verwalter EÜ:Wie viel bist du meinem Herrn schuldig?“

Die Pächter haben den Eindruck, der Verwalter habe ihren Grundbesitzer zu dieser Pachtzinsreduzierung überredet, so dass sie sofort freudig einwilligen, als dieser sie auffordert mit ihrer Handschrift die Pachtverträge zu ändern. Immerhin betragen die Reduzierungen bis zu 50%, die plötzlich aus „dem Blauen heraus“ auf sie zu kommen.

Sie wissen ganz genau, dies haben sie ihrem Verwalter zu verdanken, der hat dies schließlich dem „alten Herrn“ aufgeschwatzt. Er ist doch einer, der mit ihnen erlebte, dass der Regen schlecht, die Sonne heiß und die Schädlinge wieder aktiv waren. Plötzlich gerät der Verwalter in die Position eines Vorarbeiters, der beim „Alten“ einen Extra „Weihnachtsbonus“ herausholt. Klar der Bonus kommt vom „Alten“, doch das Lob bekommt der Verwalter, weil er so ein schlauer Kerl ist.

 

Die Problemlösung

Nach diesem kulturellen Vorspann, finden alle weiteren Aktionen schnell ihre Berechtigung. Der Verwalter holt die Verträge aus seiner „Schublade / Schrank / Ordner / Datei / Archiv“ prüft den Pachtzins, lässt sich diesen vom Pächter bestätigen und verkündet dann die Pachtzinsreduzierung, die in jedem Fall den damaligen Wert von 500 Denare ausmacht (diese gleichen Beträge weisen auch auf die Hast des Verwalters hin). Es war einfach leichter kurzerhand in jedem Vertrag die gleiche Pachtzinssenkung zugewähren, als lange über die Gerechtigkeit einer prozentualen Kürzung zu verhandeln. Übrigens muss in beiden Fällen nur jeweils ein Buchstabe, sie haben immer auch einen Zahlenwert, geändert werden: ein Qôf (=100) in ein Nun (=50) und ein Qôf in ein Pe (=80).

B1 und B2 präsentieren uns das Problem des Verwalters, dessen Lösung in B1′ und B2′ entwickelt wird. Wir erwarten an dieser Stelle, dass sich A und A‘ spiegelbildlich zueinander verhalten. Der Verwalter beendet seinen gewagten Plan, indem er die frisch veränderten Pachtverträge zusammenrafft und seinem Vorgesetzten übergibt. Der Grundbesitzer schaut sich die Unterlagen an und reflektiert über seine möglichen Reaktionen. In aller Deutlichkeit sieht er die Reaktion der Pächter, ja des ganzen Dorfes, vor sich. Überall geraten einzelne Pächter und deren Familien aus dem Häuschen über solch einen noch nie gehörten Anfall von Großzügigkeit eines Gutsbesitzers. Überall würde er als nobler (arabisch = nab£l) Ehrenbürger gefeiert werden. Dem Grundbesitzer stehen jetzt eigentlich nur noch zwei Möglichkeiten offen:

Er geht zu seinen Pächtern und erklärt ihnen allen, dass dies nur ein Missverständnis sei, der Verwalter schon aus seinem Amt entlassen gewesen wäre und darum die Pachtzinsreduzierungen durch ihn, eine illegale Aktion sei. Auf diese doch sehr kalte Dusche würden die Dorfbewohner natürlich sehr verärgert reagieren. So manches hässliche Wort, ob seines unermesslichen Geizes, würde hinter ihm hergerufen werden. – Oder er bleibt ruhig und nimmt das freudige Lob seiner Pächter entgegen und erlaubt damit seinem gewieften Verwalter auf einer Popularitätswelle durch das Dorf zu reiten.

Der Grundbesitzer in unserem Gleichnis ist ein freigiebiger, hochherziger, orientalischer Edelmann. Er hatte seinen Verwalter nach der Aufdeckung der Verschwendung weder misshandelt, geschmäht noch sofort inhaftiert. Nach seiner kurzen Reflektion wendet er sich an seinen Verwalter und lobt dessen kluges Handeln (froni,mwj phronimœs verständig, klug, einsichtsvoll). Auf eine sehr indirekte Weise bezieht sich das Lob des klugen Verwalters auf die Qualitäten seines Herrn. Der Verwalter wusste um die Barmherzigkeit und Großherzigkeit seines Vorgesetzten. Er setzte darum sein ganzes weiteres Schicksal auf diese eine Karte, also auf diese Charaktereigenschaften seines Herrn. Er gewann!! Weil der Grundbesitzer wirklich großherzig war, zahlte er den vollen Preis für die Rettung seines Exverwalters.

 

Schlussbemerkungen

Wir gehen davon aus, dass der „Herr“ von V. 8a der Grundbesitzer ist, damit ist dieser Vers der Schlusspunkt des Gleichnisses. Der Beginn von Vers 9a: „Und ich sage euch“ verstehen wir als eine Erweiterung durch Jesus zu der Aussage des Grundbesitzers. Viele Kommentatoren haben hier die große Schwierigkeit: wie kann ein Grundherr, der seinen Verwalter in V.2 fristlos entlässt, diesen dann in V.8 loben? Nach der bisherigen Entwicklung unserer Exegese, würde gerade dieser Widerspruch zum Kern des Gleichnisses gehören.

Eine Reihe von Gleichnissen Jesu haben bei genauerer Betrachtung diesen unangenehmen Beigeschmack: der hartherzige Richter, der Nachbar der in der Nacht nicht gestört werden will und dann noch dieser Gauner, der ein Feld kauft, um den Schatz seines Nachbarn einzusacken. In drei von diesen vier Fällen benutzt Jesus das rabbinische Prinzip: „vom Leichteren zum Schwereren“, was im Allgemeinen bedeutet: „wie viel mehr“. Wenn die Witwe vom ungerechten Richter bekam, was sie wollte, wie viel mehr wirst du etwas durch Gebet von Gott erhalten (18,1-9)! Wenn der Nachbar mitten in der Nacht sein Brot erhielt (11,5-7), wie viel mehr Du von Gott? Wenn der unehrliche Verwalter sein Lebensproblem durch die Barmherzigkeit seines Meisters löste, wie viel mehr wird Gott helfen, wenn du in einer Lebenskrise seiner Barmherzigkeit vertraust.

Jetzt wollen wir noch die Worte klug und loben von V.8 betrachten. Klug wird in den alten orientalischen Versionen mit µokmah = Weisheit übersetzt. In Spr.30,24-28 wird die „Weisheit“ der Ameisen, Klippdachse und Eidechsen gerühmt. Ihre Weisheit bezieht sich ja gerade auf ihr ausgeklügeltes Selbsterhaltungssystem. Diese Art von „Weisheit“ passt doch genau auf den unehrlichen Haushalter. Hat Jesus hier das aramäische Wort µokmah benutzt, dass dann später von Lukas (?) nicht mit sofi,a sophia = Weisheit übersetzt wurde, sondern mit Klugheit?

Was meinte der Herr in V.8 mit loben? Das griechische Wort evpaine,w epaineœ wird in den altsyrischen Versionen mit shabaµ (loben, preisen) übersetzt. Das altsyrische Wort hat allerdings noch die zusätzliche Bedeutung: in gutem Ruf bleiben, Anerkennung erhalten von. Gerade die letzte Bedeutungsvariante weist uns auf die Situation des unehrlichen Verwalters hin. Das griechische Wort an dieser Stelle wird im Neuen Testament oft in endzeitlichen Zusammenhängen benutzt. Das Loben bezieht sich auf das letzte Gericht. Das Lob wird der Gerechtgesprochene vom himmlischen Vater hören (1.Kor.4,5)

 

Das theologische Bündel des Gleichnisses:

Gott (der Meister) ist ein Gott des Gerichtes und der Barmherzigkeit. Wegen des Bösen, ist der Mensch (Verwalter) angesichts des kommenden Gottesreiches in eine tiefe Krise geraten. Entschuldigungen werden dem Menschen nichts nützen. Die einzige Möglichkeit besteht für den Menschen darin, alles auf die unwandelbare Barmherzigkeit Gottes zu setzen. Der Mensch darf sicher sein, Gott wird den Preis für diese Barmherzigkeit zahlen. Dieser Art von Weisheit bedarf ein Jünger von Jesus. Durch die Einteilung in „Kinder der Welt“ und „Kinder des Lichts“ wird eindeutig klar gestellt, dass nicht die Unehrlichkeit gelobt wird.

 

Fragen:

  1. Wer ist mit Wort „Herr“ in V.8a gemeint?

 

  1. Welche Aussage macht Jesus in diesem Gleichnis über den „Reichen Herrn“ und damit über Gott?
  2. Wie beurteilst du die Problemlösung des Verwalters

 

  1. Nenne ähnliche Aussagen, die sowohl im Gleichnis von den Verlorenen Söhnen als auch im Gleichnis vom Unehrlichen Verwalter zu finden sind.

8.26.2 Der Umgang mit Geld

Lk 16,9-13

 

Nach beiden Texten in Lk 16,1-13 und Lk 11,5-13 folgt eine Lehreinheit, die im engen Zusammenhang steht und doch einen ganz anderen literarischen Stil aufweist. Beide Teile sind verbunden mit der für Lukas typischen Phrase EÜ: „Und ich sage euch.“

 

Literaturstruktur des Gedichtes

Lk 19,9-13:

  1. Mammon und Gott

Und ich sage euch:

A         Macht euch

B         Freunde

C         mit dem ungerechten Mammon,

C‘         damit, wenn er zu Ende geht,

B‘         sie aufnehmen

A‘        euch in die ewigen Zelte.

 

  1. Mammon und Wahrheit

 

D         Wer im Geringsten treu ist,

der ist auch in vielem treu;

E         und wer im Geringsten ungerecht ist,

der ist auch in vielem ungerecht.

F          Wenn nun ihr mit dem ungerechten Mammon

nicht treu seid,

F‘         wer wird euch das Wahrhaftige

anvertrauen?

E‘         Und wenn ihr mit dem fremden Gut

nicht treu seid,

D‘        wer wird geben euch das Eurige?

 

III. Mammon und Gott

 

G         Kein Haussklave kann zwei Herren dienen;

H         entweder er wird den einen hassen

I           und den andern lieben,

I‘          oder er wird an dem einen anhangen

H‘        und den andern verachten.

G‘        Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon.

 

Dieses Gedicht bildet eine kraftvolle und feine gedankliche Einheit, wobei es trotz der Schlichtheit im Ausdruck, auf einer komplexen poetischen Struktur ruht.

 

Mammon und Gott

Der inverse (nach innen gekehrte) Parallelismus ist offensichtlich.

 

 

Ihr

sie (die Freunde)

Mammon

Mammon (er)

sie

ihr

 

In A und A‘ geht es um die 2. Person Plural: Ihr. Auch könnte man das machen mit den ewigen Zelten in Verbindung bringen. Bis heute denkt doch jeder Durchschnittsmensch, dass der Besitz, der Mammon, zum Bau und zur Ausschmückung der irdischen Zelte, der persönlichen Absicherung nötig ist. In dem Jesus A und A‘ gegenübersetzt, bekräftigt er seine Aussage, dass gerade dies ein Trugschluss ist. B‘ könnte auf die Engel hinweisen, die die Gläubigen im Jenseits empfangen, dann könnte man auch B die Freunde mit ihnen gleichsetzen.

 

Mammon und die Wahrheit

Die Verse 10-12 bilden die zweite Strophe. Hier finden wir sechs Gedankeneinheiten, wie auch in der dritten Strophe. Im Gegensatz zu I. besteht jeder Gedanke aus einer Doppelzeile. Im Zentrum F‘ finden wir das Wort: das Wahrhaftige. Im Aramäischen lauten sie: treu sein, das Wahrhaftige, anvertrauen  immer die gleiche semitische Wurzel.

 

Mammon und Gott

Der inverse Parallelismus in diesen sechs Zeilen ist deutlich: Zwei Herren, Hass, Liebe – Liebe, Hass, Zwei Herren.

 

Wir merken I. und III. entsprechen einander recht deutlich. Es geht in diesem Gedicht um Gott, dem Mammon und die Wahrhaftigkeit. Den Rahmen bilden die Strophen I. und III. mit ihrer Aussage, dass man mit dem Mammon Schätze im Himmel sammeln darf und man nie beidem dienen kann: Gott und dem Mammon. Der Höhepunkt in der Mitte warnt den Hörer, dass ihm die Wahrheit nicht anvertraut wird, ehe er sich nicht als vertrauenswürdig im Umgang mit dem Mammon erwiesen hat. Der Dichter fragt seine Zuhörer, ob irgendeinem unehrlichen Menschen die Wahrheit Gottes anvertraut werden kann.

 

Über die Ursprünge des Gedichtes

Was können wir über die Ursprünge dieses Gedichtes sagen? Folgende Aussagen können wir wohl mit einiger Gewissheit machen:

  • Das Gedicht ist eine Einheit und muss in seiner gegenwärtigen Form durch eine Person mit bemerkenswerten Fähigkeiten geschaffen worden sein.
  • Der hier benutzte inverse Parallelismus war bei den schreibenden Propheten weit verbreitet.
  • Das aramäische Wortspiel im Zentrum weist auf die früheste Ebene der Überlieferung hin.
  • Da es ein Gedicht ist, ist die korrekte mündliche Überlieferung wahrscheinlich. Die Prophetensprüche des Amos werden auf dieser Grundlage auch von der historisch-kritischen Wissenschaft als korrekt überliefert akzeptiert.
  • Der V. 9 ist so überraschend anders, dass niemand ihn Jesus fälschlicherweise angehängt hätte.
  • Lukas schreibt unser Material direkt Jesus zu – es bleibt wohl keine andere realistische Alternative!

Das Gedicht steht dem Gleichnis vom Armen Lazarus und dem reichen Man sehr nahe (V.19ff). Vielleicht bildet es sogar die Einleitung zu diesem Gleichnis

 

Fragen:

  1. Welchen besonderen Reiz hat Geld (viel Geld)? Was verspricht Geld angeblich?

 

  1. Was erwartet Gott von uns hinsichtlich unseres Umgangs mit Geld?

 

  1. Wie können das Geld und unser Glaube an Gott den richtigen Platz bekommen?

 

  1. Wie können wir dem „Geld“ den „Reichtum“ für uns und unsere Kinder die Maske herunterreißen? Welche Konsequenzen hat das?

 

8.27 Der reiche Mann und arme Lazarus

Lk 16,19-31

 

Lazarus ist die einzige Gestalt eines Gleichnisses, die einen Namen erhält; der Name (Gott hilft) hat also besondere Bedeutung. Lazarus ist ein Gelähmter, von einer Hautkrankheit heimgesuchter Bettler, der auf der Straße vor dem Eingangstor zum Palast des Reichen seinen Bettelplatz hat, von dem aus er die Vorübergehenden um eine Gabe anruft. Für das Vergeltungsdenken des Judentums ist er durch sein Geschick als von Gott gestrafter Sünder gekennzeichnet.

 

Es kann also übersetzt werden, das was von denen, die an der Tafel des Reichen saßen, auf den Boden geworfen wurde. Gemeint sind damit nicht die zu Boden fallenden Krümel, sonder Stücke der Brotfladen, die man zu Löffel formte und damit das Essen zum Mund führte. Nach dem Eintreten der Sättigung, aber angesichts weiterer Köstlichkeiten warfen sie die dekadenten Gäste unter den Tisch den Hunden zu.

 

Weil Jesus nicht einen frommen Schriftgelehrten beschreibt, ist das Folgende für seine Zuhörer unerwartet… Ehrenplatz beim Hausvater Abraham. Dieser Ehrenplatz ist das höchste Ziel der Hoffnung der Zeitgenossen von Jesus. Lazarus steht an der Spitze aller Gerechten. Er erlebt eine Umkehrung der Verhältnisse. Er erfährt das Gott der Gott der Ärmsten und Verlassenen ist (Jeremias 1998, 183).

 

Die Abrahamskindschaft wird anerkannt, nicht aber ihr Heilswert.

 

Die Kluft bringt die Unwiderruflichkeit der Entscheidung Gottes zum Ausdruck.

 

  1. 26 zeigt das Jesus keine Purgatoriumslehre kennt.

 

Selbst eine leibliche Auferstehung als der Gipfel der Bezeugung der Macht Gottes, bliebe ohne Eindruck auf Menschen, die nicht auf Mose und die Propheten hören – dh. ihnen gehorchen.

Dieses Gleichnis hat zwei Höhepunkte: die Umkehrung der Verhältnisse und die Abweisung der Bitten des Reichen. Jesus will nicht zum Problem Arm-Reich Stellung beziehen, auch keine Belehrung über das Leben nach dem Tod geben, sondern er erzählt das Gleichnis, um Menschen, die dem Reichen und seinen Brüdern gleichen, vor dem drohenden Verhängnis zu warnen. Der arme Lazarus ist eine Nebengestalt – die Kontrastfigur. Es geht eigentlich um die fünf Brüder des verstorbenen Reichen. Wir können darum das Gleichnis auch Von den sechs Brüdern nennen (Jeremias 1998, 185).

Begriffserklärung:

Hadesch, gr. `αδης` – Gehenna (hebr. Scheol) Ort oder Zustand ohne Rückkehr, oder Veränderung zum Besseren.

χάσμα μέγ – große Kluft, die unüberbrückbar ist.

τόπον τοῦτον τῆς βασάνου – ein Ort (Zustand) der Qual

 

  • Und wie den Menschen bestimmt ist, „einmal“ zu sterben, danach aber das Gericht: so ist auch Christus „einmal“ geopfert worden, die Sünden vieler wegzunehmen; zum zweiten Mal wird er nicht der Sünde wegen erscheinen, sondern denen, die auf ihn warten, zum Heil“ (Hebr 9,27-28).

 

Fragen:

  1. Nenne die verschiedenen Kontraste in diesem Gleichnis?

 

  1. Kommen nach diesem Gleichnis die Reichen in die Hölle und die Armen in den Himmel?

 

  1. Wo landen beide Männer nach ihrem Tod? Was wird durch die Begriffe Hölle, Abrahams Schoß angedeutet?

 

  1. Warum gibt Jesus dem armen Mann einen Namen, dem Reichen jedoch nicht?

 

  1. Haben die Rückkehrer aus dem leiblichen Tod für die Lebenden ein legitimes Zeugnis-Mandat (Jüngling von Nain, die 12 jährige Tochter des Jairus, Lazarus, Tabita-Rehe, Auf wen oder was ist zu hören, um gerettet zu werden?

 

  1. Was war die Botschaft Jesu in den 40 Tagen nach seiner Auferstehung?

8.28  Die Ungeduld und Unglaube der Brüder von Jesus

Joh 7,1-10

 

  • 1 Danach zog Jesus umher in Galiläa; denn er wollte nicht in Judäa umherziehen, weil ihm die Juden nach dem Leben trachtete. 2 Es war aber nahe das Laubhüttenfest der Juden. (3Mo 23,34) 3 Da sprachen seine Brüder zu ihm: Mach dich auf von hier und geh nach Judäa, damit auch deine Jünger die Werke sehen, die du tust. (Mt 12,46; Joh 2,12; Apg 1,14) 4 Niemand tut etwas im Verborgenen und will doch öffentlich etwas gelten. Willst du das, so offenbare dich vor der Welt. 5 Denn auch seine Brüder glaubten nicht an ihn.

6 Da spricht Jesus zu ihnen: Meine Zeit ist noch nicht da, eure Zeit ist allewege. (Joh 2,4) 7 Die Welt kann euch nicht hassen. Mich aber hasst sie, denn ich bezeuge von ihr, dass ihre Werke böse sind. (Joh 15,18) 8 Geht ihr hinauf zum Fest! Ich will nicht hinaufgehen zu diesem Fest, denn meine Zeit ist noch nicht erfüllt.

9 Das sagte er und blieb in Galiläa“ (Joh 7,1-10).

 

Kapernaum hat Jesus  ja endgültig verlassen und befand sich, wie der Text aus Johannes 7,1ff nahelegt in Nazaret oder dessen Umgebung. Ganz überraschend treten seine Brüder (Halbbrüder) an dieser Stelle auf. Vielleicht war Jesus zu dieser Zeit in Nazaret oder zumindest in dessen Nähe. Die Argumentation der Brüder von Jesus zeigt, dass er wohl längere Zeit nicht mehr in Judäa bzw. Jerusalem war. Bis dahin hat sich Jesus mehr oder weniger verborgen gehalten in Galiläa und Umgebung (Joh 7,4). Die Zurückhaltung von Jesus zusammen mit der Pilgergruppe zum Laubhüttenfest zu gehen, macht deutlich, dass er sich nicht von Menschen bestimmen lassen wollte, sondern auf den Befehl von seinem Vater wartete. Er begründet sein Verhalten mit den Worten: „Meine Zeit (καιρος-kairos[40]) ist noch nicht da, eure Zeit ist allewege“ (Joh 7,6. 8).

So blieb er in Galiläa bis die allgemeine Reisegesellschaft schon unterwegs war.

 

 

Fragen:

  1. An welche Ereignisse in der Geschichte Israels erinnert das sogenannte Laubhüttenfest?
  2. Beschreibe die familiäre und auch geistliche Situation der Brüder von Jesus zu diesem Zeitpunkt?

 

  1. Was meint Jesus mit der Aussage: „Meine Zeit ist noch nicht da, eure Zeit aber ist allewege?

 

  1. Müssen wir nicht auch in unseren Familien und Verwandschaften feststellen, dass nicht alle zur gleichen Zeit einheitliche Erkenntnisse haben und die einen entsprechend früher, andere später oder gar nicht zum Glauben an Jesus kommen?

 

8.29 Auf dem Weg durch Samaria

(Lk 9,51-56)

 

8.29.1 Wisst ihr nicht wessen Geistes Kinder ihr seid?

Auf dem Weg von Galiläa nach Jerusalem wählt Jesus die Route über Samaria. Diese Region hatte ihren Namen nach der Hauptstadt des ehemaligen Nordreiches welches 722 v. Chr. unterging. Herodes der Große und dann Archelaus regierten diese Region. Nach der Verbannung von Archelaus wurde Samaria Teil der römischen Provinz Syria. Dieser Weg ist im Vergleich zu der Pilgerroute entlang des Jordantals wesentlich kürzer. Jesus kann durch Samaria relativ unbeobachtet vom allgemeinen Pilgerstrom schnell nach Jerusalem reisen. Die zeitliche Parallele zu diesem Jerusalembesuch finden wir in Johannes 7,2-10. Der zeitliche Rahmen dieser Jerusalemreise durch Samaria wäre etwa Mitte bis Ende September 32.n.Chr.

 

Es begab sich aber, als die Zeit erfüllt war, dass er hinweggenommen werden sollte, da wandte er sein Angesicht, stracks nach Jerusalem zu wandern. Und er sandte Boten vor sich her; die gingen hin und kamen in ein Dorf der Samariter, ihm Herberge zu bereiten. Und sie nahmen ihn nicht auf, weil er sein Angesicht gewandt hatte, nach Jerusalem zu wandern. Als aber das seine Jünger Jakobus und Johannes sahen, sprachen sie: Herr, willst du, so wollen wir sagen, dass Feuer vom Himmel falle und sie verzehre. (2Kön 1,10)  Jesus aber wandte sich um und wies sie zurecht. Und sie gingen in ein andres Dorf (Lk 9,51-56).

 

Jesus sendet Boten (a;ggeloj angelos) vor sich her, um eine Übernachtung in einem Dorf Samarias vorzubereiten, doch die Dorfbewohner lehnen ab. Man kann vermuten, dass sie nichts dagegen hätten, wenn Jesus bei ihnen bleiben würde, doch die geplante Weiterreise nach Jerusalem ist für sie ein Ärgernis (Lk 9,53). Bei der ablehnenden Haltung der Samariter muss der Kontext der Beziehung von Juden und Samaritern berücksichtigt werden (Joh 4,9). Weniger nachvollziehbar ist die menschenverachtende Reaktion der Zebedäussöhne Jakobus und Johannes – wäre nicht mehr von der barmherzigen Art ihres Meisters zu erwarten gewesen? Feuer vom Himmel als Vergeltungsschlag zu erbitten, so wie Elia es tat, ist unsere menschlich zornige Art. Bis heute ist diese Reaktion eher die Regel als die Ausnahme. Wir haben solche Sätze im Ohr: „Dies lasse ich mir nicht bieten!“ Oft bleibt es nicht bei Worten und Ablehnung. Ausgrenzung wird zu oft mit Gewalt beantwortet.

Jesus hat da mehr Verständnis für die Samariter, da ihn doch so oft seine eigenen Landsleute abgelehnt und ausgegrenzt haben (zum Beispiel die Nararener Lk 4,16ff). Hier erteilt Jesus Vergeltung, Rache und menschlichem Zorn (Lk 4,28-29) eine klare Absage. Jesus begegnet seinen zwei Jüngern sehr streng und konsequent und weist sie scharf zurecht. Der griechische Begriff evpitima,w epitimaœ kann auch mit „er bedrohte[41] sie“ übersetzt werden.

Wer Jesus nicht aufnimmt, beraubt sich des Segens, den er vielleicht nie wieder erfahren kann. „Und sie gingen in ein anderes Dorf“, – man kann mit Sicherheit davon ausgehen, dass sie dort aufgenommen wurden.

 

Fragen:

  1. In welche Zeit fällt dieser Jerusalembesuch?

 

  1. Warum entscheidet sich Jesus durch Samarien zu reisen, anstatt die von den Juden vorgezogene Jordanroute zu benutzen?

 

  1. Jesus bittet um gastliche Aufnahme in einem Dorf der Samariter, warum zieht er es nicht vor im Freien zu Übernachten, es ist ja erst Spätsommer und warm?

 

  1. Warum reagieren die Samariter so ablehnend? Was ist ihnen dabei entgangen?

 

  1. Bewerte den geistlichen Stand von Johannes und Jakobus nach drei Jahren in der Jesusnachfolge?

 

  1. Wie lange folge ich Jesus nach – habe ich die Lektion in Bezug auf Jähzorn, Rachsucht schon gelernt?

 

  1. Wann dürfen wir zu einem „anderen Dorf“ bei unserem lokalen Auftrag ziehen?

8.29.2 Jesus reinigt zehn Aussätzige Männer

Lk 17,11-19

 

 

Jesus befindet sich immer noch im Grenzgebiet Galiläa/Samarien (V.11). Er hat es also nicht so eilig wie seine Brüder um nach Jerusalem zu kommen.

  • 11 Und es geschah, als er nach Jerusalem reiste, dass er mitten durch Samaria und Galiläa ging. 12 Und als er in ein Dorf einzog, begegneten ihm zehn aussätzige4 Männer, die von fern standen. 13 Und sie erhoben ihre Stimme und sprachen: Jesus, Meister, erbarme dich unser!  14 Und als er sie sah, sprach er zu ihnen: Geht hin und zeigt euch den Priestern! Und es geschah, während sie hingingen, wurden sie gereinigt. 15 Einer aber von ihnen kehrte zurück, als er sah, dass er geheilt war, und verherrlichte Gott mit lauter Stimme; 16 und er fiel aufs Angesicht zu seinen Füßen und dankte ihm; und das war ein Samariter. 17 Jesus aber antwortete und sprach: Sind nicht die Zehn gereinigt worden? Wo sind die Neun? 18 Haben sich sonst keine gefunden, die zurückkehrten, um Gott Ehre zu geben, außer diesem Fremdling? 19 Und er sprach zu ihm: Steh auf und geh hin! Dein Glaube hat dich gerettet“ (Lk 17,11-19).

Jesus geht von Dorf zu Dorf im Grenzggebiet von Galiläa und Samarien, denn aus der Zusammensetzung der zehn Aussätzigen geht hervor, dass einer ein Samariter ist, die anderen aber Juden wahrscheinlich aus dem südlichen Galiläa.

 

Die Aussätzigen stehen von Ferne, das heißt außerhalb der Siedlung. Dies entspricht der Anordnung für das Verhalten, bzw. den Aufenthalt von Unreinen durch Aussatz (3Mose 13,45).

Anders als bei der Reinigung eines Aussätzigen in der Nähe von Kapernaum, wo Jesus den Kranken berührt, halten sich die zehn auf Distanz zu Jesus. Hier heilt Jesus auf Distanz, nur mit der Aufforderung: „Geht hin und zeigt euch den Priestern“. Gemeint ist, sie sollen nach Jerusalem gehen und sich dort die Heilung von Priestern bescheinigen lassen. Damit hält Jesus sich an die Vorschriften des Gesetzes (3Mose 14,1ff). Gleichzeitig ist dies auch ein Zeugnis für die Priesterschaft (Lk 5,14).

 

Und es geschah, während sie hingingen, wurden sie gereinigt“ – die Reinigung vollzieht sich plötzlich als sie noch gar nicht weit gegangen sind. So hätten alle die Möglichkeit gehabt umzukehren und Jesus zu danken, um sich anschließend auf den weiten Weg nach Jerusalem zu machen. Jesus fordert zwar nicht den Dank, er erwartet ihn jedoch. Einer von zehn kehrt um, als er sieht, dass er rein wurde, preist Gott mit lauter Stimme, kommt zu Jesus fällt auf sein Angesicht zu den Füßen von Jesus nieder und dankt ihm. Typisch für den Evangelisten Lukas ist, dass er die Herkunft des Dankbaren als Samariter betont. Im Evangelium Lukas finden wir die ähnliche Betonung im Zusammenhang der Frage, wer ist mein Nächster (Lk 10,29. 33).

Die Frage von Jesus ist berechtigt: „Sind ihrer nicht zehn rein geworden, …, wo sind denn die neun?“ Doch hat Jesus nicht ihnen aufgetragen sich den Priestern zu zeigen –  warum ist er über die neun enttäuscht? Nun, die neun sind Juden, entweder sind sie dem Buchstaben des Gesetzes so sehr ergeben, dass sie nach Jerusalem eilen, oder aber sie sind so undankbar, dass sie weder nach Jerusalem gehen noch zu Jesus zurückkehren, sondern mit der wiedergewonnenen Gesundheit ihre Familien aufsuchen. Die Enttäuschung in den Worten Jesu lässt sogar das letztere zu. Durch den versäumten Dank für die Reinigung ihres Körpers verpassen sie die Rettung ihrer Seele. Dem Samariter spricht Jesus das Heil zu und zwar durch den Glauben an Jesus als den Messias (auf den auch die Samariter warteten, so im Textzusammenhang aus Johannes 4).

 

Fragen:

  1. Wo begegnet Jesus diesen zehn Aussätzigen?

 

  1. Welches Los teilten diese Männer?

 

  1. Wie reagiert Jesus auf ihre Bitte?

 

  1. Warum ist gerade Gehorsam so wichtig, ja sogar Voraussetzung, um unsere Bitten erfüllt zu bekommen?

 

  1. Was zeichnet den einen geheilten Samariter aus? Welcher Segen liegt in der Dankbarkeit?

 

  1. Warum liegt es besonders Lukas nahe, die Nichtjuden in seinen Geschichten hervorzuheben?

 

  1. Warum ist Jesus über die neun Männer enttäuscht, hat er nicht selber angeordnet, dass sie sich den Priestern zeigen sollen?

 

  1. Wo liegt der Unterschied zwischen dem Glauben an die Heilung des Körpers und dem Glauben, der umfassende Rettung für den gesamten Menschen zur Folge hat?

 

 

 

[1]Wir finden die Zahl 70 im Codex Sinaiticus und in vielen östlichen Texten. In den westlichen Texten (bes. in der Vulgata) findet sich die Zahl 72. Eine endgültige Klärung ist nicht möglich.

[2]Keener weist hier darauf hin, dass nach der Beerdigung in einer Grabhöhle nach ca. einem Jahr traditionell eine Umbettung der verbliebenen Knochen in ein Kästchen in der gleichen Grabhöhle statt fand. Dabei musste der älteste Sohn zwingend anwesend sein (Keener 1998 Bd.1, 350)

[3]Diese Angabe finden wir nur hier im Lukasevangelium. In den wesentlichen Manuskripten der alexandrinischen und der cäsareanischen Texttradition (bes. Codex Sinaiticus) finden wir die Zahl 70. In den Manuskipten der meisten anderen alexandrinischen und westlichen (lateinischen) Texten finden wir die Zahl 72. Die Zahl 70 finden wir häufig in Bibel (z.B. 70 Nachkommen Jakobs Gen 46,27). Die Zahl 72 finden wir im Aristeabrief – die Zahl der Übersetzer der Septuaginta. Hieronymus hat für die Vulgata die Lesart 72 gewählt. Die versch. Übersetzungen schwanken zwischen diesen beiden Zahlen.

[4]Jesus ist unterwegs nach Jerusalem zum Laubhüttenfest, also ungefähr September.

[5]Die Städte Chorazin und Bethsaida befanden sich in unmittelbarer Nähe von Kapernaum, Chorazin 4 km in nordwestlicher Richtung und Bethsaida 4 km in östlicher Richtung von Kapernaum.

[6]Im Lateinischen wird dafür der Begriff `Luzifer`verwendet und ist in der christlichen Tradition der Name für den Sstan geworden.

[7]Die Frage nach dem Zeitpunkt der Erschaffung der Engel wird zwar immer wieder gestellt, doch die Bibel macht dazu keine direkten Angaben. Die Aussage „Am Anfang schuf Gott die Himmel und die Erde“ (1Mose 1,1) könnte als indirekter Hinweiss angenommen werden auf die zeitnahe Erschaffung der himmlischen Geistwesen mit der Erschaffung des Universums.

[8]Der griechische Zeitbegriff `ωρα – ora – Stunde` wird von Jesus an einigen Stellen für die Zeit seiner Gefangennahme verwendet, doch an dieser Stelle ist es eher wörtlich zu verstehen.

[9]Der griechische Zeitbegriff `καιρος – kairos – Zeit` meint niemals einen bestimmten Zeitpunkt, sondern den Inhalt oder die Qualität der Zeit. In diesem Zusammenhang wohl `während jener geschichtlichen Abläufe`.

[10]Die Bezeichnung `γενεα-genea` kann mit Geschlecht widergegeben werden, aber auch Nachkommen eines Vorfahrs, Sippe, Rasse, gelegentlich auch die zeitgenössische Generation.

[11]Der griechische Lichtbegriff spiegelt sich auch in verschiedenen Worten der deutschen Sprache wieder, so zum Beispiel: Fosphor, Fotographie und anderen mehr.

[12]Εκατον – hundert (Mk 6,40), χυλιες – tausend (Lk 8,25; 14,31), μυριαδες – ´zehntausend´  (Apg 21,20;  Offb 5,11; 9,16).

[13]Die Substanz Sauerteig wird von Jesus nicht immer negariv in ihrer durchdringenden Art gebraucht wie wir zum Beispiel in Mt 13,33 und Lk 13,21 feststellen können, denn dort vergleicht Jesus das Reich Gottes mit der Wirksamkeit des Sauerteigs..

[14] Hier will Lukas nicht eine fixe Zeitbestimmung machen, sondern lediglich eine gewisse Einordnung dieses Gespräches in die Periode seines letzten galiläischen Wirkens.

[15] Bis heute lässt sich beobachten, dass die Opfer in der Regel nur über ihr Leiden und den Täter sprechen, nicht aber über ihr Verhalten, welches unter Umständen für den Täter als Provokation aufgefasst wurde.

[16] Jesus scheint recht gut informiert zu sein über die Ereignisse seiner Zeit in seinem Land.

[17]kairo,,j kairos – hier will Lukas nicht eine fixe Zeitbestimmung machen, sondern lediglich eine gewisse Einordnung dieses Gespräches in die Periode seines letzten galiläischen Wirkens.

[18]Dieses Ereignis finden wir sonst nicht in den historischen Quellen. Dennoch auch Josephus berichtet von einigen Aufständen (Jüdische Altertümer, 7,45-62).

[19]Da wir oft Opfer und Täter zugleich sind, hilft eine neutrale Sicht eines Dritten zur richtigen Einordnung von traumatischen Erlebnissen.

[20]Jesus scheint über die Ereignisse seiner Zeit in seinem Land recht gut informiert zu sein.

[21]Die Sache der Nationalisten attackiert Jesus auch in seiner Predigt in Nazaret Lk 4,16f.

[22]So fragten die Tempeldiener Petrus: „Pflegt euer Meister den Tempelgroschen zu geben?“

[23]Fritz Rienecker, Lexikon zur Bibel 1981, Seite 1287.

[24]Sauerteig ist ein Mittel zur Lockerung und Säuerung von Teig, das wahrscheinlich im alten Ägypten erfunden wurde. Sauerteig entsteht aus einem Gemisch von Mehl und Wasser unter Einwirkung von Wärme und der jeweils am Ort der Herstellung oder der Ernte des verwendeten Getreides befindlichen wilden Hefen (Lockerung, »Gehen«) und Milchsäurebakterien (Säuerung). Diese beiden Organismen gehen im Sauerteig eine Symbiose ein und benötigen nach ein paar Tagen (je nach Temperatur) weitere Nahrungszufuhr in Form von Mehl und Wasser. Umgangssprachlich unterscheidet man Sauerteig und Hefe. Gemeint ist dann die in Würfeln und als Pulver erhältliche Bäckerhefe, ein über Jahrzehnte aus wilden Hefen gezüchtetes robustes Produkt, das stärker und schneller zur Teiglockerung führt. hr fehlt jedoch der charakteristische Sauerteig-Geschmack, der auch durch Zugabe von Sauerteig-Extrakt oder Säuerungsmitteln wie Essig nicht ganz erreicht werden kann (Auszug aus Internet-www.sauerbrot.de/sauerteig.htm – CachedSimilar).

[25]Jesus ist mit derSchlüsselgewalt ausgestattet worden (Offb 3,7).

[26]Das griechische Wort ´καιρος – kairos´meint nicht den Zeitpunkt, sondern die verpasste Gelegenheit, die nicht genutzte Chance während der gnädigen zuwendung von Gott.

[27]Es ist fraglich, ob Herodes im Herzen an die Auferstehung der Toten glaubt, doch in diesem Zusammenhang ist ihm wohl dieser theologische Standpunkt nützlich.

[28]Wassersucht, gr. ´υδρωπικος´ ist die umgangssprachliche Bezeichnung für Flüssigkeitsablagerungen im Gewebe.

[29]In der rabbinischen Literatur finden wir eine Entsprechung bei Rabbi Simon bin Azzai (110 n. Chr.).

[30]Menschen mit diesen Behinderungen werden noch an folgenden Stellen genannt: Mt 21,14; Lk 14,21.

[31]Das griechische Wort ´μακαριος – makarios – Glückselig´, drückt ein Höchstmaß an  Freude, an Wonne, an glücklich-sein aus, welches ein Mensch emotional empfinden kann.

[32]Lies hier zum Vergleich auch das viel spätere apokryphe Thomasevangelium Logion 64. Diese Ausführungen folgen wieder den Hinweisen von K.E. Bailey.

[33]Salz vom Toten Meer ist häufig mit Gips verunreinigt und darum fad.

[34]Hirten im AT: Mose, der nach einer Legende ein verlorenes Zieglein suchte und dabei seine Berufung zum Hirten des Volkes erfuhr; David, der von der Herde weg zum König gesalbt wurde. Hesekiel bezeichnet die Könige allgemein als Hirten und besonders auch den kommenden Messias(Hes.34 23). Gott selbst wurde als Hirte bezeichnet (Ps.23).

[35]Derret, J.D.M. (Law in the NT: The Parable of the Prodigal Son NTS14, 1967 S.68) weist auf eine Beobachtung in der jüdischen Geschichte hin: Jüngere Brüder sind die traditionellen Rebellen. Der ältere Bruder ist weltlich, geizig, orthodox und heuchlerisch. Neben Abel waren alle Patriarchen nach Abraham jüngere Brüder: Isaak, Jakob, Josef, Gideon, David – später auch Judas Makkabäus. In der gleichen Linie ist auch hier der jüngere Sohn zu sehen.

[36]So wurden beim Einzug des Schahs von Persien 1943 nach Teheran hunderte Tiere geschlachtet, er musste über das Blut vor jeder Schwelle fahren (Siehe 2.Mo 12,21-27).

[37]Unterweisung, Sammlung der jüdischen Gesetzeslehre aus dem 2.Jhd n. Chr.- Grundlage des Talmuds.

[38]Zumal die byzantinische Textvariante (A)- siehe Nestle-Aland S.213 -, die ja hier die Zukunftsform liest, eindeutig durch bessere Textzeugen widerlegt wurde.

[39]to.n lo,gon th/j oivkonomi,aj ton logon t¢s oikonomias deutet mit den beiden Artikeln auf „Kassenbücher“ hin.

[40]Der griechische Begriff `καιρος`- kairos, meint nicht einen Zeitpunkt, im Sinne eines Datums. Jesus denkt immer zunächst vom Inhalt her, von einem bestimmten Ablauf innerhalb einer zeitlichen Phase. Im Gegensatz zu seinen Brüdern, deren Zeit (kairos) immer da ist, richtet sich Jesus nach den vom Vater festgelegten Abläufen innerhalb seines zeitlichen Dienstes. Brüdern fordern seine Offenbarung vor der Welt, doch doch dies ist für Jesus noch nicht dran.

[41]Mit diesem Wort weist Jesus Petrus zurecht: „Gehe hinter mich du Satan“ und mit diesem Wort beschreiben die Evangelisten Jesu machtvolles Gebieten den unreinen Geistern.

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10. Kapitel: Die Passionswoche

Abbildung 1 Modell von Jerusalem auf dem Gelände des `Holy Land` Hotels. So kann es im 1. Jh. ausgesehen haben (Foto: April 1986).

Abbildung 2 Modell des sogenannten Herodianischen Tempels. Jeden Morgen ging Jesus in den Tempel und lehrte dort (Foto: April 1986)

10. Kapitel: Die Passionswoche – Jesus in Jerusalem

Vorwort

In den folgenden 33 Abschnitten begleiten wir Jesus während der letzten Woche seines Dienstes in Jerusalem.

10.1 Ein Versuch der zeitlichen Einordnung der Passionswoche

Die Passionswoche von Jesus dauerte gerade mal sechs Tage, so Johannes 12,1a: „Sechs Tage vor dem Passa kam Jesus nach Bethanien (…)“. Hier stellt sich uns eine nicht leichte Rechenaufgabe. Denn traditionell wird angenommen, dass der Einzug von Jesus in Jerusalem auf einem Eselfohlen am sogenannten `Palmsonntag` (dem ersten Tag der jüdischen Woche) stattgefunden hatte. Diese Annahme setzt jedoch voraus, dass Jesus mit seinen Jüngern und der ihm nachfolgenden Menschenmenge am Vortag, also am Sabbat die etwa 25 Kiloometer lange Wegstrecke von Jericho nach Jerusalem hinaufgegangen war. Nach Apostelgeschichte 1,11 war ledoch das gehen am Sabbat nur für kurze Distanzen erlaubt. Daher ist Jesus entweder erst am Sonntag (erster Tag der jüdischen Woche) oder bereits zwei Tage früher, also am Freitag in Bethanien angekommen. Auf das Thema Wochentage und Tageszeiten wird später noch Bezug genommen werden. Rechnet man von Donnerstag, 15. Nisan ca. 18.39h sechs volle 24-Stundentage zurück, kommt man in den Freitaabend 9. Nisan. Jesus wäre dann etwa am Freitagnachmittag (8. Nisan) vor Sabbatbeginn am Ostabhang des Ölbergs in Bethanien angekommen.

Nach der anderen Variante, bei der Jesus erst am Sonntag vor Sonnenuntergang in Bethanien angekommen ist, wäre dieser noch nicht zu Ende gegangener Tag für unsere Sechstageszählung der erste Tag. Der eigentliche Passatag (der Donnerstagabend begann und Freitagabend endete) wäre dann auch der sechste Tag.

Wir ziehen diese zweite Variante vor, weil danach der Einzug in Jerusalem auf einem Eselfohlen, nicht auf den Sabbat (Samstag), sondern auf den Montag fällt.

ANMERKUNG: Das Losbinden der Eselin mit dem Eselfohlen am Sabbat, um diese zur Tränke zu führen (Lk 13,15) wäre erlaubt gewesen, aber um darauf zu reiten wäre nach 2Mose 20,8 Übertretung des Sabbatgebotes (Ruhe auch für das Vieh). Palmzweige abbrechen und auf den Weg streuen, würde auch zu einer Tätigkeit/Arbeit am Sabbat zählen, ähnlich wie Holz aufsammeln (4Mose 15,32-33). Dies wäre von den Schriftgelehrten und Pharisäern nicht ungetadelt geblieben.

So nehmen wir an, dass Jesus den Sabbat davor in Jericho verbrachte. Unterstützt wird dies auch durch die Aussage von Jesus gegenüber Zachäus: „heute muss ich in deinem Hause einkehren (wörtl: bleiben – Lk 19,5).

Am ersten Tag der Woche, also an einem Sonntag, zieht Jesus mit seinen Jüngern und in Begleitung vieler Menschen den steilen und beschwerlichen Weg hinauf nach Jerusalem, bzw. nach Bethanien, wo er bei seinen Freunden einkehrt und auch übernachtet (Joh 12,1-11; Mt 21,17; Mk 11,11).

Der Evangelist Markus hat den Einzug von Jesus nach Jerusalem auf einem Fohlen in den Abend des Ankunftstages (Sonntag) eingefügt (Mk 11,1-11). Die Tempelreinigung hat er erst am darauffolgenden Morgen eingefügt (Mk 11,15-19). Die Evangelisten Matthäus und Lukas haben den Einzug nach Jerusalem und die Tempelreinigung zusammenhängend am Ankunftstag eingefügt (Mt 21,1-13;  Lk 19,29-48). Davon ist wohl auch der sogenannte Palmsonntag abgeleitet worden.

Wir folgen jedoch der Chronologie des Ev. Johannes, der die Tempelreinigung logischerweise im Rahmen des ersten Jerusalembesuches von Jesus einordnet (Joh 2,13-22) und den Einzug nach Jerusalem auf den Tag nach seiner Ankunft in Bethanien, das wäre der 2. Tag der jüdischen Woche oder unser Montag (Joh 12,1+12).

Fragen / Aufgaben:

  1. Welche Bedeutung haben für dich die zeitlichen Angaben der Evangelisten?
  2. Wie lässt es sich erklären, dass die Evangelisten bestimmte Ereignisse (Einzug nach Jerusalem oder Tempelreinigung) chronologisch unterschiedlich einordnen?

10.2 Maria aus Betanien salbt Jesus zum Begräbnis

(Bibeltexte: Joh 12,1-11; 11,1-2;  Mt 26,6-13;  Mk 14,3-9)

Die Salbung durch Maria geschah sechs Tage vor dem Passa (Joh 12,1ff). Bei den Synoptikern Matthäus und Markus gibt es keine eindeutige zeitliche Angabe darüber, lediglich, dass es in der Passawoche geschah (Mt 26,6;  Mk 14,6). Wie die Gegenüberstellung zeigt, gibt es zwei zeitlich und örtlich voneinander liegende Geschichten über Salbungen von Jesus durch Frauen. Die eine in Lukas 7,36-50 beschriebene fand in einer der Städte Galiläas statt und zwar bevor Jesus nach der Chronologie des Lukas Galiläa endgültig verlassen hatte (Lk 9,51). Und die andere aus Johannes 12,1-11, um die es auch in diesem Abschnitt geht. Die nicht leicht zu beantwortende Frage ist jedoch: Handelt es sich bei der Geschichte aus Lukas 7 auch um Maria (als ehemalige stadtbekannte Sünderin), oder sind es ganz verschiedene Frauen, mit unterschiedlichen Anliegen? Ausgehend von Johannes 11,1-2 wo es heißt: „Maria aber war es, die den Herrn mit Salböl gesalbt und seine Füße mit ihrem Haar getrocknet hatte“, könnte der Eindruck entstehen, dass,Johannes auf die Salbungsgeschichte in Lukas 7,36-50 beschriebene Bezug nimmt. Doch warum sollte er nicht die von ihm selbst im darauffolgenden 12. Kapitel beschriebenen Salbung gemeint haben? Konnte er damit rechnen, dass seine Leser die Berichte des Evangelisten Lukas kannten? Es ist also dem Bibelleser nicht ganz leicht festzustellen, ob Maria, die Schwester von Martha und Lazarus aus Johannes 12,1-11; 11,1-2 dieselbe Frau ist, von der uns Lukas in Kapitel 7,36-50 berichtet und die dort nicht beim Namen genannt, sondern nur als Sünderin bezeichnet wird? Die Gegenüberstellung könnte zur Klärung beitragen.

 Die Salbung aus dem Bericht des Lukas und Die Salbung aus dem Bericht des Johannes

  • Lukas: Simon der Pharisäer wohnt in einer Stadt in Galiläa und lädt Jesus zum essen ein.
  • Johannes: Simon der (ehemals) Aussätzige wohnt im Dorf Bethanien nahe Jerusalem und in seinem Haus findet ein Abendessen statt.
  • Lukas: Simon der Pharisäer glaubt nicht an Jesus als den Messias.
  • Johannes: Simon der (ehemals) Aussätzige ist ein Jesusnachfolger.
  • Lukas: Die Frau weinte und benetzte die (nicht gewaschenen) Füße von Jesus mit ihren Tränen (sie wusch sozusagen die Füße von Jesus und trocknete diese mit ihrem Haar).
  • Johannes: Maria salbte die (bereits gewaschenen) Füße von Jesus mit dem Salböl und verrieb es mit ihrem Haar.
  • Lukas: Die Frau goß das Salböl nur auf die Füße von Jesus.
  • Johannes: Maria goß das Salböl auf die Füße von Jesus (Mt und Mk: auf das Haupt von Jesus).
  • Lukas: Bei Lukas steht die Vergebung der Sünden der Frau im Mittelpunkt der Geschichte.
  • Johannes: Bei Johannes steht die Salbung von Jesus zum Begräbnis im Mittelpunkt.
  • Lukas: Die Sünderin, namentlich nicht genannt, wohnte in einer Stadt in Galiläa und Simon kannte sie.
  • Johannes: Maria wohnte im Dorf Bethanien in Judäa und ist mit hoher Wahrscheinlichkeit Verwandt mit Simon dem (ehemals) Aussätzigen.

Aus den Erzählungen von Johannes, aber auch von Lukas (10,38-42) gibt es keinen Grund, ihr eine ungeordnete Vergangenheit zuzuschreiben. Auch mit viel Fantasie ist es schwer vorstellbar, dass Maria (in jenem Kulturkreis) als Frau ganz allein irgendwann aus ihrem Dorf weggezogen wäre in eine Stadt in Galiäa, dort ein sündiges Leben geführt hätte, um nach einer Begegnung mit Jesus in ihr Heimatdorf zu ihren Geschwistern zurückzukehren.

Nach dieser Gegenüberstellung können wir mit Sicherheit sagen, dass es sich bei diesen Geschichten erstens um zwei zeitlich und örtlich voneinander liegenden Salbungen handelt und zweitens, dass bei den Salbungen mit hoher Wahrscheinlichkeit auch zwei ganz verschiedene Frauen beteiligt waren, auch wenn es gewisse Ähnlichkeiten gibt.

Dass Jesus während seiner früheren Jerusalembesuche nach Betanien kam, ist belegt (Lk 10,38-42). Hier bei seinen Freunden findet er jedes Mal gastliche Aufnahme mit seinen zwölf Jüngern. Zu den drei namentlich genannten Personen seiner Freunde (Lazarus, Martha, Maria), die er liebte, kommt noch eine weitere Person hinzu, es ist Simon mit dem Beinamen `der Aussätzige`. Simon ist nach Matthäus und Markus der eigentliche Gastgeber dieses Abends. Martha ist, wie auch schon bei einem früheren Besuch (Lk 10,38f), für den Tischdienst (Diakonie) zuständig. Simon – Hausherr und Gastgeber, Martha in der Küche, hier scheint doch eine Verwandtschaftsbeziehung erkennbar zu sein. Sicher ist, dass Simon von Jesus bereits bei einem früheren oder gar erstem Besuch in Betanien vom Aussatz gereinigt wurde. Lazarus, den Jesus vor wenigen Wochen von den Toten auferweckte, ist natürlich mit in der trauten Runde der Männer.

Abbildung 3 Alabastergefäße benutzte man damals zur Aufbewahrung von kostbaren Salbölen. Auf dem Bild: Alabastergefäße verschiedener Größen im Museum von Limenas auf der Insel Thassos in Griechenland (Foto am 26. August 2018).

Da macht sich wieder mal Maria bemerkbar, sie öffnet ein Alabastergefäß, bzw. bricht es auf, es ist gefüllt mit sehr wertvollem, unverfälschtem Nardenöl. Sie gießt es Jesus auf sein Haupt, so Matthäus und Markus (26,7; 14,7) und auf die Füße (Joh 12,3), so ergänzend von Johannes. Damit ist der ganze Leib (Mt 26,12) gesalbt und das ganze Haus wurde erfüllt vom Duft des Salböls. Wegen der erwiesenen Güte, Liebe und Treue für die Familie, bringt sie ein vollkommenes Dankopfer dar. Und Jesus lässt sie gewähren. Diese ungewöhnliche Tat, ist für die Jünger eine große Herausforderung. Und von einem wird diese Tat völlig falsch bewertet. Nach Matthäus und Markus sind es etliche/einige Jünger (nicht alle) die sich zum Handeln von Maria unzufrieden äußern. Doch Johannes nennt den eigentlichen Verursacher des Murrens, es ist Judas, der Sohn des Iskariot, der als Kassenverwalter eine andere Beziehung zum Geld und sonstigen Wertsachen hatte.

Und er meldet sich vorwurfsvoll und voller Unzufriedenheit laut zu Wort: „Warum ist dieses Öl nicht für dreihundert Silbergroschen verkauft worden und den Armen gegeben?“ Und der Kommentar des Evangelisten: „Das sagte er aber nicht, weil er nach den Armen fragte, sondern er war ein Dieb, denn er hatte den Geldbeutel und nahm an sich, was gegeben war.“ (Joh 12,5-6; vgl. Joh 6,70). Einige Jünger schließen sich ihm an. Der Evangelist Matthäus drückt es so aus: „Als aber die Jünger das sahen, entrüsteten sie sich, (emphörten sie sich) indem sie sagten: Wozu diese Vergeudung?“ (Mt 26,8). Hier wird mal wieder deutlich, wie schnell sich negative Stimmung ausbreitet auch unter den verbindlichen und ehrlichen Jesusnachfolgern.

Es ist ein Angriff auf Maria, die sich nach der Ansicht der Jünger wieder mal ungehörig benimmt und es ist eine Lieblosigkeit gegenüber ihrem eigenen Meister. Steht ihm nicht viel mehr Wertschätzung und Ehre zu? Als Frau kann sich Maria selber nicht wehren, doch der Meister tritt für sie und auch für die Wahrheit ein: „Jesus aber sprach: Lasst sie in Frieden! Was betrübt ihr sie? Sie hat ein gutes Werk an mir getan“ (Mk 14,6). „Denn ihr habt allezeit Arme bei euch, und wenn ihr wollt, könnt ihr ihnen Gutes tun; mich aber habt ihr nicht allezeit.“ (Mk 14,7). Doch soll nicht Judas die Atmosphäre und den Inhalt des Abends  bestimmen. Und es soll schon gar nicht seine habgierige Art die Denkweise der Jünger bestimmen.

Diese falsche Denkweise korrigiert Jesus bei seinen Jüngern. Er deutet diese Salbung als eine Voraussalbung zur Bestattung: „Da sprach Jesus: Lass sie in Frieden! Es soll gelten für den Tag meines Begräbnisses.“ (Joh 12,7). Matthäus und Markus ergänzen dazu: „Wahrlich, ich sage euch: Wo dies Evangelium gepredigt wird in der ganzen Welt, da wird man auch sagen zu ihrem Gedächtnis, was sie getan hat.“ (Mt 26,13;  Mk 14,9). Jesus sieht bis tief in die Herzen der Menschen und erkennt deren Gedanken, Abwägungen und Motive für ihre Worte und Handlungen. Er ist die Wahrheit er spricht die Wahrheit, er tut die Wahrheit und durch diese Wahrheit bietet er den einen Hilfe zu Denkkorrekturen und den anderen Trost und Ermutigung.

Johannes schließt diesen Abend ab mit den Worten: „Da erfuhr eine große Menge der Juden, dass er dort war, und sie kamen nicht allein um Jesu willen, sondern um auch Lazarus zu sehen, den er von den Toten erweckt hatte. Aber die Hohenpriester beschlossen, auch Lazarus zu töten; denn um seinetwillen gingen viele Juden hin und glaubten an Jesus.“ (Joh 12,9-11).

Fragen / Aufgaben:

  1. Wann, an welchem Wochentag kommt Jesus nach Betanien?
  2. Wieviel Geschichten über die Salbung von Jesus durch Frauen gibt es? Wie oft wurde er insgesamt gesalbt?
  3. Was wissen wir über die Freunde von Jesus aus Betanien?
  4. Warum salbte Maria Jesus, was wusste sie oder was ahnte sie voraus?
  5. Wie reagieren die Jünger auf diese Handlung? Mit welchen Worten, bzw. Argumentne begründen sie ihr Unzufriedenheit gegenüber Maria?
  6. Wie schnell macht sich eine negative Stimmung breit?
  7. Denkt Jesus nicht auch an die Armen, warum schließt er sich nicht der Meinung seiner Jünger an, sondern tadelt sie?
  8. Welche Verheißung bekommt Maria für ihre Einstellung zu Jesus und ihre Tat für Jesus?
  9. Lassen sich die Jünger von Jesus korrigieren?
  10. Was löste die Ankunft von Jesus in Betanien unter den Festpilgern aus?
  11. Wie reagieren die Hohenpriester auf die aktuelle Situation?

10.3 Jesus reitet auf einem Esel-Fohlen in Jerusalem ein

(Bibeltexte: Joh 12,13-19;  Mt 21,1-11;  Mk 11,1-11;  Lk 19,28-44;  Sach 9,9;  Psalm 118,26)

Alle vier Evangelisten berichten über den Einzug von Jesus in Jerusalem auf einem Esel-Fohlen. Da die Synoptiker nur über einen Passabesuch von Jesus berichten, mussten sie zwangsläufig die Episode über die Wiederherstellung der Tempelordnung in ihren Evangelienberichten in die Passionswoche legen. Wir haben festgestellt, dass Jesus schon zu Beginn seines Dienstes die Tempelordnung wiederherstellte. Dies geschah nach Johannes 2,13-22 bei seinem ersten Jerusalembesuch (siehe die Ausführungen in Kapitel 4.1).

Der Einzug von Jesus in Jerusalem auf einem jungen Esel bildet einen Höhepunkt in seiner Laufbahn. Es markiert auch den Beginn der letzten Etappe seines Dienstes. Bis jetzt lehnte er für sich die öffentliche Ehrung als König ab (Joh 6,15). Jetzt aber leitet er diesen Höhepunkt selber ein. Johannes berichtet uns: „Als am nächsten Tag die große Menge, die aufs Fest gekommen war, hörte, dass Jesus nach Jerusalem käme, nahmen sie Palmzweige und gingen hinaus ihm entgegen.“ (Joh 12,13). Am nächsten oder folgenden Tag ist in diesem Textzusammenhang der zweite Tag der Woche, also unser Montag gemeint. Der Hauptgrund, warum so viel Volk ihm entgegen ging, war das Wunder der Auferweckung des Lazarus vor wenigen Wochen. Diese Nachricht sprach sich unter den Festpilgern schnell herum, weil sehr viele Menschen Zeugen dieses Wunderzeichens wurden (Joh 12,9). Auch hier erkennen wir, wie Jesus planmäßig vorgeht und diesen Höhepunkt vorbereitet. Bei den Jüngern, dem Volk und bei der Führung der Juden sollten keine Zweifel bleiben in Bezug auf seine Messianität, auch wenn sie dies erst nach seiner Auferstehung erkennen würden. Er wollte zum Ende seines Dienstes ganz bewusst als Messias-König auftreten, wie durch die Schriften des Alten Testamentes deutlich vorausgesagt wurde (2Sam 7,11-15;  Sach 9,9: Nachkomme Davids – König Israels).

Als Jesus und seine Jünger in die Nähe von Jerusalem kamen, nach Betfage an den Ölberg, sandte er zwei Jünger voraus und sprach zu ihnen: Geht hin in das Dorf, das vor euch liegt, und gleich werdet ihr eine Eselin angebunden finden und ein Fohlen bei ihr auf dem noch nie ein Mensch gesessen hat; bindet sie (beide) los und führt sie zu mir! Und wenn euch jemand etwas sagen wird, so sprecht: „Der Herr bedarf ihrer“. Sogleich wird er (der Herr) sie euch zurücksenden.“ (Zusammengesetzt aus den Evangelientexten).

Das Dorf Bethfage befand sich wahrscheinlich auf dem Weg von Betanien nach Jerusalem, noch auf der Ostseite des Ölbergs. Jede Handlung von Jesus hat seinen tiefen Sinn, auch wenn die Menschen ihn nicht immer verstanden haben. Er wählt sich als Gefährt ein noch unverbrauchtes und auch unerfahrenes Esel-Fohlen.

Abbildung 4 Eselin und ihr Fohlen im Gehege am Wegrand östlich der Stadt Kos auf der Ägäischen Insel Kos (Foto am 16.Mai 2015).

Und sie gingen hin und fanden das Fohlen angebunden an einer Tür draußen am Weg und banden’s los. Als sie aber das Fohlen losbanden, sprachen die Besitzer zu ihnen: Warum bindet ihr das Fohlen los? Sie aber sprachen: „Der Herr bedarf ihrer“. und die ließen’s zu. Und sie brachten die Eselin und das Fohlen und legten ihre Kleider darauf und Jesus setzte sich darauf. (aus den Evangelien zusammengesetzter Text).

Welch ein Kontrast zu dem Siegeseinzug der Weltherrscher, die hoch zu Ros in die von ihnen eroberten Städte einzogen. „Das geschah aber, damit erfüllt würde, was gesagt ist durch den Propheten, der da spricht (Sacharja 9,9): »Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig und reitet auf einem Esel und auf einem Fohlen, dem Jungen eines LasttiersDas verstanden seine Jünger zuerst nicht; doch als Jesus verherrlicht war, da dachten sie daran, dass dies von ihm geschrieben stand und man so mit ihm getan hatte.“ (aus den Evangelien zusammengesetzter Text).

Es ist nicht das eine Mal, dass die Jünger ihr eigenes Tun oder das Tun ihres Meisters nicht gleich verstehen, auch später bei der Fußwaschung soll Petrus im Vertrauen gehorchen/tun, was Jesus anordnet, das nennt man Glaubensgehorsam. Umso größer ist die Freude danach, wenn das Geheimnis gelüftet wird. Die Zusammenhänge zwischen den Aussagen der Propheten, den Aussagen von Jesus und seinem Werk der Erlösung verstanden die Jünger erst nach seiner Auferstehung und zwar erst dann, als Jesus ihnen ihr Verständnis öffnete (Lk 24,45).

Aber eine sehr große Menge breitete ihre Kleider auf den Weg; andere hieben Zweige von den Bäumen und streuten sie auf den Weg. Die Menge aber, die ihm voranging und nachfolgte, schrie: „Gelobt sei das Reich unseres Vaters David, das da kommt! Hosianna dem Sohn Davids! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe! (aus den Evangelien zusammengesetzter Text).

Das griechische `w,sanna, ösanna` kommt aus dem Hebräischen und kann sowohl als Fleh- oder Hilferuf (rette doch), aber auch als Jubelruf verstanden werden. Natürlich hatten alle Jubelnden eine falsche, bzw. materialistische Vorstellung, wie dieses Davidische Königreich aussehen wird. Und trotzdem lässt Jesus das Volk und seine Jünger gewähren, ihm in vollem Maß die Ehre zu geben. Und als er schon nahe am Abhang des Ölbergs war, fing die ganze Menge der Jünger an, mit Freuden Gott zu loben mit lauter Stimme über alle Taten, die sie gesehen hatten.“

Das gefiel nicht allen, Neid kam bei den Pharisäern auf. Der von der Führung Israels gesuchte `Aufrührer` wird so offen als König Israels geehrt.

Und einige Pharisäer in der Menge sprachen zu ihm: „Meister, weise doch deine Jünger zurecht!“ Er antwortete und sprach: „Ich sage euch: Wenn diese schweigen werden, so werden die Steine schreien.“

Bis dahin verbot er seinen Jüngern strengstens, dass sie Niemandem sagen sollten, dass er der Messias/Christus wäre (Mt 16,20;  Mk 7,36; 8,29-30; 9,9;  Lk 9,20) jetzt aber dürfen sie es hinausrufen. Ein großer Augenblick!

Und als er nahe hinzukam, sah er die Stadt und weinte über sie und sprach: Wenn doch auch du erkenntest an diesem Tag, was dir zum Frieden dient! Aber nun ist’s vor deinen Augen verborgen.Denn es werden Tage über dich kommen, da werden deine Feinde um dich einen Wall aufwerfen, dich belagern und von allen Seiten bedrängen und werden dich dem Erdboden gleichmachen samt deinen Kindern in dir und keinen Stein auf dem andern lassen in dir, weil du die Zeit (gr. kairo,n kairon) nicht erkannt hast, in der du  heimgesucht worden bist. (Lk 19,41-44).

Welch ein Kontrast! Jesus wird bejubelt, er aber weint, denn er sieht die Herzenseinstellung der großen Menge und der Einzelnen. Er weiß um die falschen Erwartungen des Volkes und deren Enttäuschung danach. Er sieht die Kurz- und Langzeitfolgen, welche diese Blindheit und Verstockung nach sich ziehen wird. Was Jesus hier über die Zerstörung Jerusalems in dramatischer Schilderung voraussagt, wiederholte er kurze Zeit später im Kreise seiner Jünger (Mt 24;  Mk 12).

,„Wenn doch auch du erkenntest“ – es gibt Gründe für die Blindheit, die Verantwortung liegt bei dem Volk. Äußerlich jubelten sie ihm zu, doch das Herz der meisten war ferne von ihm (Joh 2; 7;  Mt 10;  Lk 10). Die Begriffe, die Jesus in seiner prophetischen Voraussage unter Tränen verwendet, beschreiben den realen Zustand der Menschen trotz der gnadenvollen Zuwendung von Gott (wörtl.: die Zeit des Aufsehens – der Begriff  Zeit hier nicht im chronologischen, sondern inhaltlichen Sinne – das Aufsehen ähnlich wie beim Aaronitischen Segen: „Der Herr hebe sein Angesicht auf dich und sei dir gnädig“). Diese gnadenvolle Zuwendung zeigte sich seit dem Auftreten des Johannes (Sohn des Zacharias), dessen Name von Gott gegeben wurde und die Bedeutung hatte `Gott ist gnädig`, faktisch hatte Gott sein Volk in Gnaden angesehen.

Und als er in Jerusalem einzog, erregte sich die ganze Stadt und fragte: „Wer ist der?“ Die Menge aber sprach: „Das ist Jesus, der Prophet aus Nazaret in Galiläa.“ Das Volk aber, das bei ihm war, als er Lazarus aus dem Grabe rief und von den Toten auferweckte, rühmte die Tat. Darum ging ihm auch die Menge entgegen, weil sie hörte, er habe dieses Zeichen getan.“

  • Es war eine große Stunde für Jesus, das gesamte Volk stand hinter ihm. Und im sogenannten Schutz der Sympatie des Volkes konnte er noch einige Tage ganz frei im Tempel öffentlich auftreten. „Die Pharisäer aber sprachen untereinander: Ihr seht, dass ihr nichts ausrichtet; siehe, alle Welt läuft ihm nach.“ (Joh 12,19). Am Fuß der Tempelstufen steigt Jesus vom Esel-Fohlen, schickt es den Eigentümern wie versprochen zurück und steigt die Stufen zum Tempel hinauf. Er wird vom Volk besonders zu diesem Passafest seit Tagen erwartet (Joh 11,55-56). Doch die vom Volk erwartete Krönung des `Sohnes Davids` bleibt aus..Die Spannung muß spürbar gewesen sein wegen der Einstellung der Führung Israels gegen Jesus – sie sind fest entschlossen ihn zu töten und suchen nach einer Gelegenheit zum Angriff und Festnahme. Doch Jesus ist nicht das Opfer menschlicher boshaften Ratschlüsse, er hat sein eigenes Konzept. In diesen Tagen wird er (wie auch schon vorher) die Regie übernehmen. Er wird bestimmen, was und wann geschehen wird. Jesus kommt weder den Erwartungen des Volkes nach, noch schreckt er von den Hohenpriestern zurück, die bereits den Beschluss gefasst hatten, ihn zu töten.

Unwillkürlich werden wir an die Krönungsgeschichten aus der Königszeit Israels erinnert, auch an die Selbsternannten Könige. Welch Kontrast, hier kommt der wahre König an, lehnt die Krönung ab  und zeigt ein ganz neues Bild von König und seinem Dienst.

Anmerkung: Die sogenannte Tempelreinigung über welche alle drei synoptischen Evangelien berichten, ist gemäß dem Bericht des Evangelisten Johannes bereits bei dem ersten Jerusalembesuch von Jesus erfolgt. Die Evangelisten Matthäus, Markus und Lukas berichten über diese Tempelreinigung gleich nach dem Einzug in den Tempel. Zu erklären wäre dies damit, dass sie nur von einem Jerusalembesuch von Jesus berichten und zwar dem letzten Todes-Passa-Besuch. Wollten sie diese wichtige Episode ihren Lesern nicht vorenthalten, mussten sie diese eben am Ende des Dienstes von Jesus einfügen. Wir folgen in diesem Zusammenhang der Chronologie des Johannes und den weiteren Inhalten der Evangelisten mit dem ehrlichen Bemühen nach einer sinnvollen Reihenfolge.

Fragen / Aufgaben:

  1. Wer begleitete Jesus auf dem Weg von Jericho nach Jerusalem?
  2. Wann kam Jesus in Jerusalem, bzw. in Betanien  an, an welchem Wochentag und Tageszeit? Begründe deine Aussagen.
  3. Was geschah noch an diesem Abend und wo übernachtete er?
  4. Nächster Tag – mit welchem Auftrag schickt Jesus zwei von seinen Jüngern in das Dorf Betfage? Welche Details nennt Jesus in Bezug auf die Eigentümer der Lasttiere?
  5. Was steht hinter dieser Handlung? Nenne Eigenschaften (Charakterzüge) von Jesus, die hier sehr deutlich hervortreten?
  6. Begründe, warum lässt Jesus es an diesem Tag zu, dass seine Jünger und das Volk ihn als den David-Sohn (König Israels) ehren?
  7. Doch wer freut sich nicht, dass Jesus geehrt wird und warum?
  8. Was steckt hinter dem emotionalen Ausbruch (weinen) bei Jesus, als er die Stadt und deren Menschen vor sich sieht?
  9. Die Krönung im Tempel bleibt aus. Suche nach Krönungsgeschichten in der Zeit der Könige Israels.
  10. Was geschah mit den Lasttieren, nachdem Jesus diese nicht mehr benötigte?

10.4 Heilungen im Tempel und der Lobpreis der Kinder

(Bibeltext: Mt 21,14-17; Ps 8,3)

Was an diesem 2. Tag der Woche (Montag) im Tempel von Jesus an Taten gewirkt wurde, wird nur sehr kurz vom Evangelisten Matthäus beschrieben. Da der Lobpreis der Kinder die Ehrung des `Sohnes Davids` zum Inhalt hat, kann dieser wunderbare öffentliche Heilungsgottesdienst mit dem Einzug von Jesus in Jerusalem zusammenhängen und in denselben Tag eingeordnet werden. So schreibt der Evangelist Matthäus:

Und es traten Blinde und Lahme in dem Tempel zu ihm, und er heilte sie. Als aber die Hohenpriester und die Schriftgelehrten die Wunder sahen, die er tat, und die Kinder, die im Tempel schrien und sagten: Hosanna  dem Sohn Davids!, wurden sie unwillig (gr. ¢ganakt¢san – wurden sie entrüstet, sie emphörten sich) und sprachen zu ihm: Hörst du, was diese sagen? Jesus aber sprach zu ihnen: Ja, habt ihr nie gelesen (Psalm 8,3): „Aus dem Mund der Unmündigen und Säuglinge hast du dir Lob bereitet“? Und er verließ sie und ging zur Stadt hinaus nach Betanien und übernachtete dort. (Mt 21,14-17).

Der Evangelist Matthäus bescreibt in einem Satz, dass sich Blinde und Lahme Jesus näherten und er sie heilte. Der König als Arzt im Dienst an den Kranken! Immer wenn sich Jesus im Tempel aufhielt, entfaltete er seinen eigenen Gottesdienstablauf. In den Priesterdienst mit den Opfern mischte er sich nie direkt ein. Er hielt sich eher in den Vorhallen auf, wo auch der größte Teil des Volkes Zugang hatte (Joh 10,23). Matthäus hebt besonders „Blinde und Lahme“ hervor und zwar in der Mehrzahl und höchstwahrscheinlich waren auch Menschen mit anderen Behinderungen darunter. Doch Menschen, die mit solchen Behinderungen, konnten nur mit Mühe oder Hilfe anderer zu Jesus gelangen – die einen weil sie nicht sahen, die anderen, weil sie nicht gehen konnten. Wie aus früheren Berichten hervorgeht, fanden sich immer Verwandte oder Freunde, welche behinderte Meenschen zu Jesus brachten. Es heißt hier ausdrücklich: „Und er heilte (gr. eqera,peusen etherapeusen) sie“. Außer in wenigen Fällen ((Mt 8,28; 9,29; 20,32) wandte sich Jesus in der Regel jedem einzelnen Kranken zu, sehr oft mit Händeauflegen (Mt 9,29;  Mk 6,5; 8,23-25;  Lk 13,13).

Während wir aus Johannes 5,3 erfahren, dass die vielen Blinden, Lahmen und Ausgedorte Menschen sich am Teich Bethesda aufhielten und auf Heilung hofften, sind zu diesem Zeitpunkt viele Blinde und Lahme in den Tempel gebracht worden. Die Auferweckung des Lazarus aus dem Tod vor einigen Wochen, hatte sich herumgesprochen. Jetzt erwarteten die Kranken Menschen Jesus im Tempel. Die Therapie von Jesus war eine plötzliche und vollständige. Matthäus ist sehr zurückhaltend und beschreibt nicht die Reaktion der Geheilten. Doch aus der Geschichte mit dem Lahmen im Tempel aus Apostelgeschichte 3,1ff können wir uns lebhaft vorstellen, dass es an diesem Tag im Tempel ein Jubeln und Springen gab. Die Schriftgelehrten und Hohenpriester wurden Augenzeugen dieser erstaunlichen Wunderwerke und in ihnen wuchs die Frage nach der Vollmacht von Jesus (Mt 21,23).

Diese Heilungen geschahen nicht an einem Sabbat, so dass die Gegner von Jesus keinen Grund fanden, um ihn dafür anzuklagen. Umso mehr suchten sie nach einem passenden Angriffsgrund. Und sie finden einen, der ihnen anstößig zu sein schien. Es sind nicht die Kinder an sich, anstößig ist das, was diese aussprechen, bzw. laut ausrufen: „Hosanna dem Sohn Davids“. In diesem Zusammenhang wird Jesus nicht nur allgemein als einer der vielen Nachkommen Davids geehrt, sondern als der Nachkomme und daher ist diese Bezeichnung als messianischer Titel zu verstehen (Mt 1,1; 9,27; 12,23; 15,22; 20,30-31; 22,42;  Jes 11,10;  Jer 23,5; 33,15;  Hes 34,23.24; 37,24).

Diese Kinder rufen inhaltlich das aus, was sie von den Erwachsenen auf dem Weg vom Ölberg herab gehört hatten (Mt 21,9). Man kann sagen: Jesus wird von den Kindern als König gekrönt, was für eine Ehre für Jesus!

Doch nach der Meinung der Schriftgelehrten wurde hier im Tempel ein falscher Prophet zum König ausgerufen. Die Führung der Juden wollte nicht glauben, dass Jesus der in 2Samuel 7,11-14 verheißene Nachkomme Davids ist. Sie hatten sich nicht mal die Mühe gemacht, um die genaue Herkunft von Jesus zu ermitteln (Joh 7,42-52). Man kann ihnen sogar unterstellen, dass sie es gar nicht erforschen wollten (Mt 2,5; Joh 3,1; 5,37-44; Mt 27,18). Übrigens erkennen wir hier eine weitere Parallele, welche den zeitlichen Zusammenhang zum Einzug nach Jerusalem in den Tempel unterstreicht. Beim Abstieg vom Ölberg fordern die Pharisäer Jesus auf, seine Jünger zum schweigen zu bringen,

Hier im Tempel sind es die Hohenpriester und Schriftgelehrten, welche von Jesus das Gleiche in Bezug auf die lobpreisenden Kinder fordern (Lk 19,39;  Mt 21,14). Oder anders formuliert, sie erwarten von Jesus, dass er die Ehrung von Seiten der Kinder ablehnt. Natürlich geht Jesus auf ihre Forderung nicht ein, im Gegenteil, er begründet den Lobpreis der Kinder sogar aus der Schrift (Ps 8,3). Außerhalb des Tempels waren Erwachsene noch mutig und haben Jesus als dem Propheten aus Nazaret und Sohn Davids zugejubelt, hier im Tempel jedoch sind sie zurückhaltend mit ihrem öffentlichen Bekenntnis. Nicht so die Kinder. Sind es nicht oft gerade Kinder, die ihre Eltern an das Tischgebet erinnern, oder ohne Hemmungen vor den Ungläubigen die Geschichte aus der letzten Sonntagschule erzählen? Ja, wenn die Männer schweigen, beruft Gott die Frauen und wenn es keinen Erwachsenen mehr gibt, der Gott lobt, beruft Gott die Kinder und schließlich kann er auch `Steine` zum Reden bewegen (Hab 2,11;  Lk 19,40).

Es erstaunt immer wieder, wie sich Jesus in konkreten Situationen auf die Schrift beruft, bzw. seine Gegner (hier die Schriftgelehrten) an bestimmte Aussagen in den Schriften erinnert und diese in Bezug zur Gegenwart bringt. Er wendet sich an die theologische Elite seiner Zeit mit den Worten: „Habt ihr niemals erkannt“ (Mt 21,16)  oder: „ist euch niemals aufgefallen“? Sicher will Jesus sie nicht demütigen, erniedrigen, aber so und auf diese Weise zeigt er ihnen, wie die Schriften gelesen, verstanden und angewendet werden sollen.

Fragen / Aufgaben:

  1. Was sind die Pläne der Führung Israels in Bezug auf Jesus (Joh 11,53)?
  2. Wie sieht der Ablauf des Gottesdienstes im Tempel von Jesus an diesem Tag aus?
  3. Woher kommen so viele Blinde und Lahme in den Tempel?
  4. Warum nennt Matthäus gerade diese zwei Krankheitsarten?
  5. Behindert Jesus mit seinem Dienst an den Kranken etwa den Tempel- und Opferdienst der Hohenpriester?
  6. Schränkt er etwa den Lehrdienst der Schriftgelehrten ein?
  7. Sind Kinder ein Hindernis im Tempeldienst?
  8. Warum passt deren spontanes Auftreten den Führenden nicht?
  9. Wie ist die Reaktion der Oberen im Volk?
  10. Haben Kinder Anteil in unseren Gottesdiensten?

10.5 Jesus lehrt im Tempel

(Bibeltext: Joh 12,20-50)

Johannes berichtet uns von weiteren wichtigen Ereignissen während dieses Tages.

10.5.1 Griechische Pilger wollen Jesus sehen

Der Tempelbezirk war in verschiedene Bereiche unterteilt. Es gab nach dem Eingang einen Vorhof, in dem sich auch Heiden, bzw. Unbesschnittene aufhalten konnten. Schrifttafeln wiesen in mehreren Sprachen darauf hin, dass der weitere Zugang für Ungläubige unter Todesstrafe steht. Der Evangelist Johannes schreibt weiter:

Es waren aber einige Griechen unter denen, die heraufgekommen waren, um anzubeten auf dem Fest. Die traten zu Philippus, der von Betsaida aus Galiläa war, und baten ihn und sprachen: Herr, wir wollten Jesus gerne sehen. Philippus kommt und sagt es Andreas, und Philippus und Andreas sagen’s Jesus weiter.  Jesus aber antwortete ihnen und sprach: Die Zeit ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht werde. (Joh 12,20-23).

Nur der Ev. Johannes berichtet uns von dem Besuch der Griechen (gr. Ellhnej Ell¢nes) zum Passafest. Auf dem Hintergrund der zahllosen griechisch/römischen  Götterkulte, zog es viele Heiden zu dem Monotheismus der Juden. Es war also nichts Ungewöhnliches, dass gottesfürchtige Heiden zu den jüdischen Festen nach Jerusalem kamen um anzubeten (Apg 8,27 – äthiopischer Kämmerer). Entweder hielten sie sich im Vorhof der Heiden auf oder sie waren Proselyten – Heiden, die durch den Ritus der Beschneidung zum Judentum konvertierten mit allen Pflichten und Rechten. Diese konnten sich dann frei und ungehindert im Tempel aufhalten. Wieder sind es Ausländer, Fremde, die großes Interesse an Jesus zeigen. Interessant ist auch ihr Zugang zu Jesus, anscheinend trauen sie sich nicht zu Jesus vorzudringen. Sie sprechen Philippus an, den Jünger von Jesus, der neben seinem griechischen Namen auch noch aus dem galiläischen Betsaida kommt.

Ihre Bitte lautet: „Herr, wir wollen Jesus gerne sehen“. Vielleicht aus Sicherheitsgründen, informiert Philippus den Andreas, welcher ebenfalls aus Betsaida stammte und wahrscheinlich eine nähere Beziehung zu Jesus hatte, da er zu den zwei ersten Jüngern von Jesus gehörte (Joh 1,40). Jesus nimmt diese Nachricht und das große Interesse der Fremden sehr ernst. In den Evangelienberichten wird von keiner Begegnung mit Nichtjuden berichtet, bei der Jesus abgelehnt worden wäre, außer von den Bewohnern der Dekapolis, die vor lauter Schreck über das Geschehene, Jesus baten ihre Gegend zu verlassen (Mk 5,17) und  Pilatus, aber auch dieser suchte nach einer Möglichkeit, um Jesus freizulassen (Joh 19,12). Auch ist keine Geschichte bekannt, bei der Jesus einen Heiden oder Ausländer abgewiesen hätte. Darum können wir mit Sicherheit annehmen, dass Jesus diese griechischen Pilger zu sich ließ. Denken wir auch zurück an die Aussage von Jesus nach der sogenannte Tempelreinigung. „Und er lehrte und sprach zu ihnen: Steht nicht geschrieben (Jesaja 56,7): »Mein Haus wird ein Bethaus heißen für alle Völker«?“ (Mk 11,17; Jes 56,7).

Nun wendet Jesus sich an seine Jünger, die Griechen und das Volk mit den Worten: „Die Zeit (wörtl.: Sunde) ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht werde“. Erinnern wir uns an die Episode bei der Hochzeit in Kana zu Beginn seines Dienstes? Dort sagt er zu Maria seiner Mutter: „Meine Stunde ist noch nicht gekommen“ (Joh 2,4). Doch nun war sie angebrochen, die Stunde der Offenbarung seiner Herrlichkeit. Wenn Jesus von seiner Verherrlichung spricht, dann schließt es neben seiner Auferstehung und Erhöhung auch sein Leiden und Sterben mit ein (Hebr 2,9). Und nun werden diese Griechen Zeugen von einer Bildrede, die im Kern das Werk Christi – seinen bevorstehenden Tod – zum Inhalt hat. Sie sind gerade zur richtigen Zeit gekommen. In den nächsten Tagen werden sie Jesus sehen und erleben, wer er wirklich ist. Gott weiß also die aufrichtig suchenden Menschen zur richtigen Zeit an den richtigen Ort zu führen.

Fragen / Aufgaben:

  1. Jesus zieht in Jerusalem ein, was macht er nun, was bleit aus?
  2. Aus welcher Motivation kommen Griechen in den Tempel? Durften Nichtjuden den Tempel betreten?
  3. Was interessiert sie an diesem Tag?
  4. Warum wenden sie sich an Philippus, Philippus an Andreas? Welche Bedeutung haben auch heute Kontaktpersonen? Menschen, die in mehr als einem Kulturkreis zu Hause sind?
  5. Beschreibe die Beziehung der beiden Jünger – Philippuns und Andreas zueinander und zu Jesus?
  6. Ließ Jesus die Griechen zu sich kommen? Wie war grundsätzlich die Einstellung von Jesus zu Nichtjuden? Was bedeutet es für uns heute

10.5.2 Leben entsteht durch Sterben

Jesus spricht gerne und oft in Bildern und zwar aus den verschiedensten Lebensbereichen. Hier nimmt er ein Bild aus der Landwirtschaft und füllt es mit einem tiefen geistlichen Sinn. Er bezieht es zuerst auf sich und dann auch auf seine Nachfolger.

Abbildung von einem Weizenkorn oder Feld

Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht. Wer sein Leben (ψυχην – psychen) lieb hat, der wird’s verlieren; und wer sein Leben (ψυχην) auf dieser Welt hasst, der wird’s erhalten zum ewigen Leben (αιωνιον ζωην). Wer mir dienen will, der folge mir nach; und wo ich bin, da soll mein Diener auch sein. Und wer mir dienen wird, den wird mein Vater ehren.“ (Joh 12,24-26).

Ein Weizenkorn kann Jahre in einem trockenen Raum liegen, ohne sich in seiner Substanz zu verändern. Doch sobald es in die feuchte Erde gelangt, beginnt ein Prozess des Sterbens der verschiedenen Schichten über dem Kern, Und dieser innere Kern, welchen Gott mit Lebensfähigkeit geschaffen hat, beginnt zu keimen. Dies ist uns bekannt aus der Landwirtschaft und die Biochemiker geben die Erklärung dazu. Doch was versteht Jesus unter dem Sterben, was meint er mit „Wer sein Leben (ψυχην – psychen) verliert, oder hasst, der wird’s finden“? In erster Linie spricht Jesus von der Hingabe seines eigenen Lebens als Lösegeld wegen der Sünden zur Erlösung Vieler. Den griechischen Begriff `ψυχη – psyche` verwendet Johannes in diesem Zusammenhang für die körperliche/physische, irdische Existenz von Jesus (im Deutschen mit `Leben` übersetzt), so auch in Kapitel 10,11. 15. 17 wo Jesus ebenfalls dreimal von der Hingabe seines körperlichen Lebens (ψυχη – psyche) spricht. So auch in 1Mose 9,4 und 3Mose 17,14 wo für das physisch/körperliche Leben ebenfalls `ψυχη – psyche` steht.

Mit diesem, für diese irdische Zeit bestimmten Leben (körperliche Existenz) soll der Mensch sorgfältig umgehen, es pflegen und versorgen, denn es ist die Behausung des menschlichen Geistes und auch die Behausung des Heiligen Geistes im Gläubigen (1Kor 2,11; 6,19). Das Leben in den Tod zu geben wie Jesus es meint, hat nichts mit der Selbstgeißelung und übertriebenen körperlichen Askese zu tun. Doch sich selbst schonen, den eigenen irdischen Vorteil zu suchen oder bewahren gegen Gottes Willen und gegen die Prinzipien seines Reiches, ist Egoismus und verhindert das Entstehen von geistlichem Leben. Daher bleibt der Mensch ohne geistliche Frucht des ewigen Lebens. Erinnern wir uns an die Episode, bei der Jesus  zum erstenmal von seinem Leiden und Sterben spricht und wo Petrus sich vor den Herrn stellt und auf ihn hefrig einredet: „Der Herr sei dir gnädig, es soll nicht so geschehen“ (sinngemäß übersetzt aus Mt 16,22).

Auch dort antwortete Jesus mit ähnlichen Worten: „Wer sein Leben (ψυχην) retten will, der wird es verlieren. Wer aber sein Leben (ψυχην) verliert um meinetwillen, der wird es finden“ (Mt 16,25). So erkennen wir eine Kontinuität in der Lebenseinstellung von Jesus, die auch schon durch den Propheten Jesaja vorausgesagt wurde, dass der Messias leiden und sterben würde: „Fürwahr, er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre. Aber er ist um unsrer Missetat1 willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt. Wir gingen alle in die Irre wie Schafe, ein jeder sah auf seinen Weg. Aber der HERR warf unser aller Sünde auf ihn. Als er gemartert ward, litt er doch willig und tat seinen Mund nicht auf wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird; und wie ein Schaf, das verstummt vor seinem Scherer, tat er seinen Mund nicht auf. Er ist aus Angst und Gericht hinweggenommen.

Wer aber kann sein Geschick ermessen? Denn er ist aus dem Lande der Lebendigen weggerissen, da er für die Missetat meines Volks geplagt war. Und man gab ihm sein Grab bei Gottlosen und bei Übeltätern, als er gestorben war, wiewohl er niemand Unrecht getan hat und kein Betrug in seinem Munde gewesen ist. So wollte ihn der HERR zerschlagen mit Krankheit. Wenn er sein Leben (ψυχην) zum Schuldopfer gegeben hat, wird er Nachkommen haben und in die Länge leben, und des HERRN Plan wird durch seine Hand gelingen. Weil seine Seele sich abgemüht hat, wird er das Licht schauen und die Fülle haben. Und durch seine Erkenntnis wird er, mein Knecht, der Gerechte, den Vielen Gerechtigkeit schaffen; denn er trägt ihre Sünden. Darum will ich ihm die Vielen zur Beute geben und er soll die Starken zum Raube haben, dafür dass er sein Leben in den Tod gegeben hat und den Übeltätern gleichgerechnet ist und er die Sünde der Vielen getragen hat und für die Übeltäter gebeten“ (Jes 53,4-12). Wie ein einzelnes Weizenkorn gibt Jesus sein Leben in den Tod und erwirkt damit geistliches ewiges Leben für die Vielen.

Doch was in erster Linie in so vollkommener Weise Jesus durchlebt, mutet er auch seinen Nachfolgern zu. Sie werden zum neuen, geistlichen Leben erweckt und zu viel geistlicher Frucht befähigt, wenn sie ihr vergängliches Leben zugunsten des geistlichen ewigen Lebens hinten anstellen. Auch hier gilt es, klar den geistlichen Gehalt hinter dem Buchstaben der Worte Jesu zu erkennen.

  • Es gilt, die durch die Sünde durchtränkte Natur des verdorbenen menschllichen Herzens zu erkennen,
  • Sich zu trennen von der Sünde des Unglaubens, des Egoismus, des Stolzes, des  Neides, der Habgier, der Rechthaberei und sonstigen abgöttischen Lebensweise. Dies kann in einer Grundsatzentscheidung geschehen und dann beständig im alltäglichen Kampf gegen die Sünde fortgesetzt werden.

Jesus verspricht seinen Nachfolgern, die ihm dienen, dass sie bei ihm in der Herrlichkeit seines Vaters, die Ewigkeit verbringen werden (Joh 12,26; 14,1-3). Aber auch schon für diese Zeit sagt er uns die Zuneigung und Würdigung seines Vaters zu – welch eine Ehrung!

Fragen / Aufgaben:

  1. Was ist das Besondere an einem Weizenkorn?

10.5.3 Jesus wird vom Vater verherrlicht

Es ist erstaunlich, wie Jesus immer wieder in der Öffentlichkeit seine inneren Empfindungen offenbart. „Jetzt ist meine Seele (ψυχη) betrübt (erschüttert). Und was soll ich sagen? Vater, hilf mir aus dieser Stunde? Doch darum bin ich in diese Stunde gekommen“ (Joh 12,27). Und dann folgt ein öffentliches kurzes Gebet zu Gott, eine Bitte in vier Worten: „Vater, verherrliche deinen Namen“! Da kam eine Stimme vom Himmel: Ich habe ihn verherrlicht und will ihn abermals verherrlichen“ (Joh 12,28). Haben wir richtig gelesen? Bittet Jesus um die Verherrlichung des Vater-Namens? Hat er nicht kurz zuvor gesagt, dass die Stunde gekommen sei, wo der Menschensohn verherrlicht werde (Joh 12,23)? Doch indem der Vater vom Himmel mit hörbarer Stimme seinen Namen verherrlicht, bekennt er sich öffentlich zu seinem Sohn. Was für eine Schönheit in der Beziehung – der Sohn verherrlicht den Vater und der Vater verherrlicht den Sohn. Keine Spur von Egoismus, Ichbezogenheit bei Jesus.

Doch was hört das Volk? „Da sprach das Volk, das dabeistand und zuhörte: Es hat gedonnert. Die andern sprachen: Ein Engel hat mit ihm geredet“ (Joh 12,29). Es ist eine gewaltige Stimme vom Himmel geschehen. Sie erinnert an die Offenbarung Gottes in der Wüste am Horeb, wo Gott akustisch hörbar zu ganz Israel redete (2Mose 19,19). Ein unüberhörbares Zeichen vom Himmel, das nicht auf Bestellung von Menschen, sondern auf die ausdrückliche Bitte des Sohnes geschah. Und Jesus adressiert, kommentiert, erklärt diese Stimme sowie deren Gehalt und Auswirkung. „Jesus antwortete und sprach: Diese Stimme ist nicht um meinetwillen geschehen, sondern um euretwillen“ (V. 30). Jesus ringt um das Volk, um in ihnen Glauben zu wecken auch durch dieses Zeichen.

Und er fährt fort mit der Offenbarung dessen, was hinter den Kulissen dieser Welt nun vor sich geht: „Jetzt ergeht das Gericht über diese Welt; nun wird der Fürst dieser Welt ausgestoßen werden. Und ich, wenn ich erhöht werde von der Erde, so will ich alle zu mir ziehen; das sagte er aber, um anzuzeigen, welchen Todes er sterben würde“ (V. 30-32). Jesus spricht hier vom Gericht über die Welt und das Gericht über den Fürsten dieser Welt, so seine Erklärung in Kapitel 16,11 „über das Gericht: dass der Fürst dieser Welt gerichtet ist.“ Das Gerichtsurteil über den Feind Gottes ist gefällt, wie auch Paulus später im Brief an die Kolosser hervorhebt: „Er (Gott) hat die Mächte und Gewalten ihrer Macht entkleidet und sie öffentlich zur Schau gestellt und hat einen Triumph aus ihnen gemacht in Christus“ (Kol 2,15).

Jesus spricht im voraus von den gewaltigen Auswirkungen seines Todes und seiner Auferstehung. Es ist die Art des Vaters und auch des Sohnes, die reale Erfüllung seines Planes vorauszusagen. Mit dem Kreuzestod und der Auferstehung von Jesus, verliert der Fürst dieser Welt (der Teufel und sein Gefolge) die Macht. Denn ausgestoßen werden nach draußen (wohin auch immer) bedeutet Entfernung und daher auch Machtverlust. Ob das von Johannes geschaute und aufgeschriebene Ereignis in Offenbarung 12,10-11 identisch ist mit dem, was Jesus hier sagt: „Und ich hörte eine große Stimme, die sprach im Himmel: Nun ist das Heil und die Kraft und das Reich unseres Gottes geworden und die Macht seines Christus; denn der Verkläger (gr. κατηγορ – kategor) unserer Brüder ist verworfen, der sie verklagte Tag und Nacht vor unserm Gott.“

Bis jetzt hat Jesus immer nur seinen Jüngern von seinem Kreuzestod gesagt, nun aber offenbart er es dem Volk, so dass auch sie nach wenigen Tagen die Realität der Erfüllung mit Jesu Voraussage vergleichen könnten – auch dies ist eine Glaubenshilfe.

Da antwortete ihm das Volk: Wir haben aus dem Gesetz gehört, dass der Christus in Ewigkeit bleibt; wieso sagst du dann: Der Menschensohn muss erhöht werden? Wer ist dieser Menschensohn“ (V. 34)? Typisch für Johannes ist, dass er zweimal die Aussagen von Jesus über dessen Erhöhung aufgeschrieben hat und jedes Mal deutet er es auf seinen Kreuzestod. „Und wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, damit alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben“ (Joh 3,14-15). Auf die Frage des Volkes: „Wer ist dieser Menschensohn“, gibt Jesus keine direkte Antwort, sondern spricht wieder in der schon gewohnten Bildersprache: „Es ist das Licht noch eine kleine Zeit bei euch. Wandelt, solange ihr das Licht habt, damit euch die Finsternis nicht überfalle. Wer in der Finsternis wandelt, der weiß nicht, wo er hingeht.

Glaubt an das Licht, solange ihr’s habt, damit ihr Kinder des Lichtes werdet“ (Joh 12,35-36). Nicht nur hier, sondern in den meisten Fällen spricht Jesus von sich in der 3. Person. Das Element Licht verwendet Jesus öfters in seinen Bildreden und deutet es auf seine Person (Joh 1,5. 7. 9; 8,12 – „Ich bin das Licht der Welt“). Noch eine kleine Zeit, nur noch wenige Tage ist er leibhaftig unter den Menschen. Wiederum ein herzliches, fast bittendes Werben um Nachfolge. Er wirbt um den Glauben des Volkes, der große Auswirkungen haben könnte. Im Licht wandeln oder bleiben bedeutet bei der Wahrheit, wie sie Jesus lebte und verkündigte, zu bleiben. An das Licht glauben, bedeutet Jesus und seinem Wort völlig vertrauen. Kinder/Söhne des Lichts zu sein war für die Juden wohl bekannte Bezeichnung aus der Glaubensgemeinschaft der Essener am Nordwestufer des Toten Meeres. Doch hier ist der Licht-Bezug zur Person Jesu, als Messias für die meisten seiner Zuhörer neu.

10.5.4 Das Ergebnis dieses Tages

Das Ergebnis dieses Tages (aber auch der Gesamttätigkeit Jesu in Jerusalem) beschreibt Johannes in zweierlei Richtungen.

  1. Und obwohl er solche Zeichen vor ihren Augen tat, glaubten sie doch nicht an ihn“ (Joh 12,37). Das Volk ist hin- und hergerissen, mal erwartungsvoll begeistert, dann begierig auf Zeichen, wiederum unschlüssig, es fehlt die Bereitschaft zur letzten Konsequenz – dem offenen und mutigen Bekenntnis zu Jesus als dem Messias Israels.

Johannes fügt noch etwas Wichtiges hinzu, was gewisse Fragen in Bezug auf die Glaubensfähigkeit des Menschen aufwirft: „Damit erfüllt werde der Spruch des Propheten Jesaja, den er sagte (Jesaja 53,1): »Herr, wer glaubt unserm Predigen? Und wem ist der Arm des Herrn offenbart?«  Darum konnten sie nicht glauben, denn Jesaja hat wiederum gesagt (Jesaja 6,9-10): »Er hat ihre Augen verblendet und ihr Herz verstockt, damit sie nicht etwa mit den Augen sehen und mit dem Herzen verstehen und sich bekehren und ich ihnen helfe.« ´Das hat Jesaja gesagt, weil er seine Herrlichkeit sah und redete von ihm“ (Joh 12,38-41).

Es gibt also Zeiten, in denen Gott den Menschen zugewandt ist und es gibt Zeiten, in denen Gott sich abwendet. Das hat natürlich zum einen mit der Souveränität Gottes zu tun, aber auch mit der Verstocktheit des Menschen, wenn er die sogenannten Zeiten in denen er von Gott gnädig angesehen ist, nicht erkennt, bzw. nicht nutzt, so Jesus in Lukas 19,44: „weil du die Zeit nicht erkannt hast, in der du heimgesucht worden bist“. Zu vergleichen auch mit dem „Heute“ aus dem Nazaretbesuch (Lk 4,21) oder dem: „Heute, so ihr seine Stimme hört …“ aus dem Psalm 95,7; Hebr 3,7. 15; 4,7).

  1. Zum Ergebnis des Wirkens Jesu gehört auch folgende Feststellung des Evangelisten Johannes: „Doch auch von den Oberen glaubten viele an ihn; aber um der Pharisäer willen bekannten sie es nicht, um nicht aus der Synagoge ausgestoßen zu werden. Denn sie hatten lieber Ehre bei den Menschen als Ehre bei Gott“ (Joh 12,42-43). Mangelnde oder unklare Gotteserkenntnis, religiöser Traditionalismus, der eine halbherzige Gottesbeziehung zur Folge hat, Menschenfurcht, Ansehen in dieser Welt, Gruppendynamische Zwänge sind die Hindernisse oder Barrieren zu einem klaren und mutigen Jesus-Bekenntnis.

Doch Jesus gibt nicht auf, er winkt nicht ab, er dreht sich nicht weg, sondern wirbt unermüdlich für den Glauben, denn er will retten, erlösen, befreien. Er weiß, dass nach seinem Tod viele an ihre Brust schlagen werden als Zeichen der Reue, er weiß, dass nach etwa zwei Monaten tausende vom Volk und viele der Oberen sich öffentlich zu ihm wenden und ihn als Messias/Christus anerkennen werden. Er predigt, ruft wie ein Herold, wendet sich an den Einzelnen mit Vollmacht und Kraft des Wortes, welches Früchte tragen wird:

Jesus aber rief: Wer an mich glaubt, der glaubt nicht an mich, sondern an den, der mich gesandt hat. Und wer mich sieht, der sieht den, der mich gesandt hat. Ich bin in die Welt gekommen als ein Licht, damit, wer an mich glaubt, nicht in der Finsternis bleibe. Und wer meine Worte hört und bewahrt sie nicht, den werde ich nicht richten; denn ich bin nicht gekommen, dass ich die Welt richte, sondern dass ich die Welt rette. Wer mich verachtet und nimmt meine Worte nicht an, der hat schon seinen Richter: Das Wort, das ich geredet habe, das wird ihn richten am Jüngsten Tage. Denn ich habe nicht aus mir selbst geredet, sondern der Vater, der mich gesandt hat, der hat mir ein Gebot gegeben, was ich tun und reden soll. Und ich weiß: sein Gebot ist das ewige Leben. Darum: was ich rede, das rede ich so, wie es mir der Vater gesagt hat“ (Joh 12,44-50). Was für eine Intensität, was für eine Tiefe Ergebenheit dem Vater und dessen Auftrag!

Auch dieser zweite Tag der Woche neigte sich dem Ende zu und Jesus ging zum Tempel hinaus und: „Er verbarg sich vor ihnen“, dieser Ausdruck verrät die angespannte Situation – Jesus war lebensgefärdet. Er geht hinaus vor die Stadt nach Betanien, denn am nächsten Morgen bricht er von dort auf, um wieder nach Jerusalem zu gehen (Mk 11,12).

Fragen / Aufgaben:

  1. Wo befindet sich Jesus und was ist seine Haupttätigkeit an diesem zweiten Tag der Woche?
  2. Wer umgibt ihn und wer ist ganz besonders an ihm interessiert?
  3. Was waren die einzelnen Themen in seiner Lehrtätigkeit?
  4. Welche Bilder verwendet Jesus und welchen Sinn legt er in diese hinein?
  5. Wie intensiv ist die Beteiligung des Volkes – Anmerkungen, Fragen?
  6. Welches Ereignis/Zeichen der Herrlichkeit Gottes geschah an diesem Tag und warum?
  7. Beschreibe die Einstellung Jesu zu Gott seinem Vater und zu dem Volk.
  8. Nenne die Kurz- und Langzeitergebnisse des Dientes von Jesus.

Dann lässt er sie stehen und entfernt sich aus dem Tempel wie der Evangelist vermerkt, geht zur Stadt hinaus und übernachtet in Bethanien bei seinen Freunden (Mt 21,17)

10.6 Jesus verflucht einen fruchtlosen Feigenbaum

(Bibeltexte: Mt 21,18-20; 21-22;  Mk 11,12-14; 19-26)

Die Geschichte mit dem fruchtlosen Feigenbaum, den Jesus verdorren lässt, haben Matthäus und Markus aufgeschrieben. Beide ordnen es in die Passionswoche ein. Da der Evangelist Markus diese Geschichte in zwei Teilen beschreibt, gehen wir von seinem Text aus und ziehen die Ergänzungen bei Matthäus hinzu. So schreibt Markus:

Und am nächsten Tag, als sie von Betanien weggingen, hungerte ihn. Und er sah einen Feigenbaum von ferne (Mt: „am Wege“), der Blätter hatte; da ging er hin, ob er etwas darauf fände. Und als er zu ihm kam, fand er nichts als Blätter; denn es war nicht die Zeit (gr. kairo,j kairos – (Ernte)zeit) für Feigen. Da fing Jesus an und sprach zu ihm: Nun esse niemand mehr eine Frucht von dir in Ewigkeit! Und seine Jünger hörten das. (Mk 11,12-14). Matthäus ergänzt: „Und der Feigenbaum verdorrte sogleich. Und als das die Jünger sahen, verwunderten sie sich und sprachen: Wie ist der Feigenbaum so plötzlich verdorrt?“ (Mt 21,19b-20).

Beachten wir zunächst einige äußere Details dieser einmaligen und einzigartigen Geschichte. Früh am Morgen bricht Jesus mit seinen Jüngern von Betanien auf, um in die nur drei Kilometer entfernte Stadt Jerusalem zu gehen. Wir zählen diesen Morgen bereits dem 3. Wochentag zu – das wäre unser Dienstag. Gut möglich, dass seine Jünger im Haus des Simon durch den Dienst von Martha gefrühstückt hatten, Jesus aber die frühen Morgenstunden zum Gebet nutzte und später auf dem Weg auch etwas essen wollte. Auf jeden Fall betont Markus, dass Jesus hungrig war. Wie real menschlich war doch der Menschensohn Jesus. Von Betanien her kommend, geht Jesus an Bethfage vorbei, dem Haus der Feigen, so die Bedeutung des Ortsnamens. Seine Aufmerksamkeit wird auf einen üppig grünenden Feigenbaum gelenkt der in einiger Entfernung am Wegesrand wuchs. Aus der Entfernung ist nicht zu erkennen, ob sich unter dem dichten Laub Früchte verbergen. Nach 5Mose 23,25 war es erlaubt im Weinberg des Nachbarn Trauben zu essen, man durfte jedoch nichts mitnehmen, ähnliches Verhalten war auch für das Kornfeld vorgeschrieben (5Mose 23,26; Mt 12,1f).

Der Feigenbaum kommt in biblischen Erzählungen häufig vor (5Mose 8,8;  Ri 9,11;  1Kön 5,5; 10,27;  2Kön 18,31;  Spr 27,18;  Hl 2,13;  Jes 34,4;  Jer 5,17; 8,13;  Hos 2,14; 9,10;  Joe 1,7.12; 2,22;  Am 4,9;  Micha 4,4;  Nah 3,12;  Hab 3,17;  Hag 2,19;  Joh 1,50).

Abbildung 5 Die erste Kleidermode wurde von Eva und Adam entworfen und ausprobiert, doch Gott war damit nicht einverstanden. Das Material dieser Bekledungsart welkte und trocknete bereits nach einigen Tagen aus und wurde unbrauchbar (Foto: 30. Juni 2016).

Abbildung 6 Ein riesengroßer Feigenbaum in einem Garten auf der Insel Kos im Ägäischen Meer. Der Baum ist so groß, dass er das ganze Haus überschattet. Aus dieser Entfernung ist es wegen dem dichten Blätterlaub nicht  auszumachen ob sich darunter Früchte verbergen (Foto am 14. Mai 2015).

Der Feigenbaum ist die einzige Baumart, welche im Garten Eden namentlich erwähnt wird, wenn auch nur indirekt – 1Mose 3,7: „Sie flochten sich Röcke aus Feigenblättern“.

Als Jesus sich dem im Text erwähnten Feigenbaum nähert und Feigen sucht, findet er keine. Er stellt fest, dass der Baum fruchtlos ist. Sofort und ohne auf die Ankunft der Jünger zu warten, spricht er spontan die Worte aus: „Nun esse niemand mehr eine Frucht von dir in Ewigkeit! Und seine Jünger hörten das.“ (Mk 11,14).

Jesus geht zu ihm hin und erst aus der Nähe stellt er fest, dass der Baum fruchtlos ist. Sofort und ohne auf die Ankunft der Jünger zu warten, spricht er spontan die Worte aus: „Nun esse niemand mehr eine Frucht von dir in Ewigkeit! Und seine Jünger hörten das.“ (Mk 11,14). Die Jünger befinden sich zwar in einiger Entfernung hinter Jesus, hören aber was er ausspricht. Nach dem Bericht des Markus wenden sich die Jünger nicht sofort an Jesus, sondern erst am folgenden Morgen. Nach Matthäus 21,20b verwunderten sich die Jünger und sagten zu einander): „wie ist der Feigenbaum sofort verdorrt“? Markus fährt knapp fort mit den Worten: „Und sie kamen nach Jerusalem und Jesus ging in den Tempel.“ (Mk 11,15a). Hier stellen sich zwei Fragen:

  1. Frage: Warum sucht und erwartet Jesus Feigen, wenn er doch genau weiß, dass es noch nicht Erntezeit ist (Mk 11,13)?

Der eigentliche Grund für die Verfluchung des Feigenbaumes ist der: „Jesus fand darauf keine Frucht, nur Blätter“. An dieser Stelle ist es sinnvoll, einiges über die Beschaffenheit des Feigenbaumes zu erfahren. Obwohl die Zeit für (reife) Früchte (etwa im Juni) noch nicht da war, hätte es bei einem fruchtbaren Feigenbaum Zeichen der Früchte geben müssen. Häufig zeigen sich die kleinen  Früchteknospen (die Blühte ist innerhalb der Frucht) schon bevor Blätter sprießen. Dies gilt besonders für die milden klimatischen Verhältnisse am Osthang des Ölbergs, wo Bethfage und Betanien lagen. Oft reifen die Spätfeigen vom Vorjahr  erst in den Frühlingsmonaten voll aus (Jes 28,4; Micha 7,1). Ludwig Schneller, jahrzehntelanger evangelischer Pastor in Bethlehem zählte im Frühjahr 1888 in seinem Garten etwa 1500 solcher Spät- bzw. Frühfeigen md sagt, dass diese sehr begehrt sind wegen ihrer besonderen Süße (1994, 282).

Abbildung 7 Es ist Februar auf Südzypern, die Blätter dieses Feigenbaumes kommen erst gegen Anfang März, doch vom Vorjahr sind viele Feigen in unterschiedlicher Größe und Reife zu sehen. Zumindest einige davon würden bereits im April eßbar sein (Foto am 7. Februar 2007).

Auch solche Frühfeigen fand Jesus nicht auf dem besagten Feigenbaum vor. Dies ist ebenfalls ein Hinweis für die Fruchtlosigkeit jenes Baumes. Wenn dieser Feigenbaum gegen Ende März, Anfang April dazu noch überhaupt keine Anzeichen von Jungfrüchten hatte, dann war er fruchtlos. Nicht vorstellbar wäre eine Deutung, wonach Jesus nur aus einer Laune heraus und weil er Hunger hatte, seinem Ärger Luft gemacht hätte. Sein Urteil war daher berechtigt und begründet (vgl. dazu auch Mt 3,10; 7,19; Joh 15,6). Übrigens lässt sich im gesamten östlichen Mittelmeerraum beobachten, dass häufig Früchte (nicht nur Feigen) in noch unreifem Zustand mit besonderer Vorliebe gegessen werden,

Trotz diesen plausiblen Erklärungen stellt sich eine weitere Frage.

  1. Frage: Warum verflucht Jesus den Feigenbaum und gibt ihm keine weitere Chance mehr, wo nach seinen Worten in dem Gleichnis aus Lukas 13,6-9 einem Feigenbaum sogar nach drei fruchtlosen Jahren ein weiteres Jahr eingeräumt wird?

ANMERKUNG: Aus dem Johannesevangelium wissen wir, dass Jesus während seines Dienstes mindestens viermal nach Jerusalem hochgegangen war (Joh 2; 5; 7; 12). Da er häufig bei seinen Freunden in Betanien übernachtete, ging er jedesmal den gleichen Weg und an dem selben Feigenbaum vorüber. Möglich, dass er dessen Fruchtlosigkeit bereits seit Jahren kannte und daher war er nur ein Hindernnis und raubte dem Boden die Kraft oder machte den Boden unbrauchbar wie es der Eigentümer des Weinbergs in Lukas 13,7 ausdrückte.

Gelegentlich wird die totale Verdorrung des Feigenbaumes in der Nähe Jerusalems und zum Ende des Dienstes von Jesus, auf den Tempel bezogen, der im Jahre 70 n. Chr. von den Römern völlig zerstört und seitdem nicht mehr aufgebaut wurde (so zum Beispiel Nick Page 2011, 158). Es scheint einen gewissen Bezug dazu zu haben, doch im Text und den Erklärungen, die Jesus selbst seinen Jüngern gibt, deutet nichts darauf hin. Allerdings kann dieses totale und endgültige Verdorren des Baumes auf einzelne Menschen oder Menschengruppen gedeutet werden, die offensichtlich Gottes Gnade dauerhaft ablehnen, oder gar Missbrauchen:

  • Mt 3,10; 7,19: fruchtlose Bäume bezogen auf Menschen ohne geistliche Früchte;
  • Mt 11,21: unbußfertige Bewohner der Städte Kapernaum, Bethsaida und Korazin;
  • Mk 3,29;  Lk 12,10: bezogen auf Menschen, welche den Heiligen Geist Gottes lästern;
  • Mt 27,4-5-Judas, der Gottes Gnade missbrauchte;
  • 1Joh 5,16-17: die Sünde, welche zum Tode führt;
  • Offb 3,16: Menschen, welche weder kalt noch warm sind wird Jesus ausspeien.

Der Evangelist Markus fährt in seinem Bericht fort:

Und als sie am Morgen an dem Feigenbaum vorbeigingen, sahen sie, dass er verdorrt war bis zur Wurzel. Und Petrus dachte daran und sprach zu ihm: Rabbi, sieh, der Feigenbaum, den du verflucht hast, ist verdorrt. (Mk 11,20-21).

Dieser Morgen war auch bei Markus der Morgen des 3. Wochentages, also der Dienstag, weil er den ersten Teil dieser Geschichte in den Morgen des 2. Wochentages legt. Anscheinend hat Jesus mit seinen Jüngern wieder in Betanien übernachtet. Und wieder ist es Petrus, der das, was die Jünger am Vortag untereinander mit Verwunderung aussprachen, jetzt direkt vor Jesus ausspricht. Markus betont noch, dass der Feigenbaum bis auf die Wurzel, d.h. einschließlich der Wurzel verdorrte. Wäre die Wurzel nicht auch verdorrt, hätte der Baum erneut getrieben, wie in dem folgenden Bild ersichtlich wird.

Abbildung 8 Dieser Feigenbaum ist durch Frost, der noch im Monat April 2009 eingetreten war, erfroren. Und da es bei ihm Ende Juni immer noch kein Lebenszeichen gab, wurde er bis auf einen geringen Stumpf abgesegt. Im Frühling des darauffolgenden Jahres zeigten sich am Stumpf winzig kleine Knospen und bereits Mitte Juli hatte er üppige Zweige. Heute im Jahre 2018 ist dieser Feigenbaum etwa 3 Meter hoch und trägt reichlich Früchte (Foto: 9. Juli 2010).

Das griechische Wort welches Markus hier für `du verflucht hast` verwendet ist: `kathra,sw kat¢rasö`. Die Präposition `kat`, bzw. `kata`, unterstreicht die Endgültigkeit der Aussage von Jesus.  Daher wird dieser Feigenbaum nie mehr sprießen können (vgl. dazu Mt 25,41: „geht weg von mir ihr Verfluchten“). Die Bemerkung des Petrus nutzt Jesus zu der zentralen Aussage und Anwendung aus diesem Vorgehen mit dem Feigenbaum. So schreibt Markus weiter:

Und Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Habt Glauben an Gott! Wahrlich, ich sage euch: Wer zu diesem Berge spräche: Heb dich und wirf dich ins Meer!, und zweifelte nicht (gr. mh, diakriqh, m¢ diakrith¢) in seinem Herzen, sondern glaubte, dass geschehen werde, was er sagt, so wird’s ihm geschehen. Darum sage ich euch: Alles, was ihr bittet in eurem Gebet, glaubt nur, dass ihr’s empfangt, so wird’s euch zuteil werden. (Mk 11,22-24). Matthäus ergänzt: „Jesus aber antwortete und sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr Glauben habt und nicht zweifelt, so werdet ihr solches nicht allein mit dem Feigenbaum tun, sondern, wenn ihr zu diesem Berge sagt: Heb dich und wirf dich ins Meer!, so wird’s geschehen.“ (Mt 21,21-22).

Es fällt geradezu auf, dass Jesus sehr stark auf die Kraft und Macht des Glaubens hinweist, durch den die Jünger `Bäume verdorren und Berge versetzen` vermögen.

ANMERKUNG: Wir haben festgestellt, dass Bäume in ihrer Übertragung häufig für Menschen stehen, so können Berge für Hindernisse, Barrieren stehen, die zu Ebenen werden können (Sach 4,7;  Lk 3,5), denn wir haben kein einziges Beispiel dafür, dass die Jünger die Aussage von Jesus jemals buchstäblich angewendet hätten.

Einige mögliche Anwendungen im Dienst der Apostel:

  • In Apostelgeschichte 5,3 wird von einer ungewöhnlichen Reaktion des Petrus berichtet: „Petrus aber sprach: Hananias, warum hat der Satan dein Herz erfüllt, dass du den Heiligen Geist belogen und etwas vom Geld für den Acker zurückbehalten hast?“
  • In Apostelgeschichte 8,20-21 tritt Petrus mutig dem gleichnamigem Zauberer Simon entgegen mit den Worten: „Dein Geld fahre mit dir ins Verderben, weil du meinst, Gottes Gabe werde durch Geld erlangt. Du hast weder Anteil noch Anrecht an dieser Sache; denn dein Herz ist nicht rechtschaffen vor Gott.“
  • In Apostelgeschichte 13,9-11 tritt der Apostel Paulus entschlossen dem Zauberer Elymas entgegen. Lukas schreibt: „Saulus aber, der auch Paulus heißt, voll Heiligen Geistes, sah ihn an und sprach: Du Sohn des Teufels, voll aller List und aller Bosheit, du Feind aller Gerechtigkeit, hörst du nicht auf, krumm zu machen die geraden Wege des Herrn? Und nun siehe, die Hand des Herrn kommt über dich, und du sollst blind sein und die Sonne eine Zeit lang nicht sehen! Auf der Stelle fiel Dunkelheit und Finsternis auf ihn, und er ging umher und suchte jemanden, der ihn an der Hand führte.“
  • In Apostelgeschichte 18,6 wird die Reaktion des Paulus auf den Widerstand der Juden in Korinth mit drastischen Worten beschrieben: „Als sie aber widerstrebten und lästerten, schüttelte er die Kleider aus und sprach zu ihnen: Euer Blut komme auf euren Kopf! Ich bin rein; von jetzt an werde ich zu den Nationen gehen.“
  • In 1Korinther 5,5 ordnet Paulus in Bezug auf eine Person mit verdorbenem Lebensstil an: „(…) sollt ihr diesen Menschen dem Satan übergeben zum Verderben des Fleisches, auf dass sein Geist gerettet werde am Tage des Herrn.“
  • In 1Timotheus 1,20 erinnert der Apostel seinen Mitarbeiter: „Unter ihnen sind Hymenäus und Alexander, die ich dem Satan übergeben habe, damit sie in Zucht genommen werden und nicht mehr lästern.“
  • In 2Korinther 10,4-5 schreibt der Apostel Paulus über den Umgang mit Hindernissen: „Denn die Waffen unsres Kampfes sind nicht fleischlich, sondern mächtig im Dienste Gottes, Festungen zu zerstören. Absichten zerstören wir und alles Hohe, das sich erhebt gegen die Erkenntnis Gottes, und nehmen gefangen alles Denken in den Gehorsam gegen Christus.“

Solch ein Handeln im Glauben hat nichts mit Selbstverherrlichung oder Selbstdarstellung zu tun. Dieses Handeln im Glauben ist auf Gott ausgerichtet und von Gottes Geist gewirkt. Die Aufforderung von Jesus: „habt Glauben an Gott oder zu Gott“, steht vor dem Handeln.

Doch Jesus nennt auch ein Hindernis, das der Erhörung des Gebets und machtvollem Handeln im Wege steht – es ist der Zweifel oder das Zweifeln im Herzen. Das griechische Wort dafür ist: `dia-kriqh, diakrith¢` (vgl. dazu auch Jak 1,6). Wenn Jesus eine Antwort gibt, dann heißt es: `O Ihsou,j ap,o-kriqei,j O I¢sous apo-kritheis`. Die Antworten von Jesus sind klare und eindeutige Reaktionen auf gestellte Fragen und/oder stimmige Bewertungen (Kritiken) auf Handlungen der Menschen. Eine `diakrith¢` dagegen ist eine geteilte, ja, in sich widersprüchliche Einstellung und Bewertung gegenüber der Zusage Gottes. Einfach ausgedrückt: Wie soll Gott positiv und eindeutig auf unser `jain` antworten können?

In diesem geschichtlichen Zusammenhang nennt Jesus seinen Jüngern eine weitere wichtige Voraussetzung für erhörliches Beten. So schreibt Markus weiter: „Und wenn ihr steht und betet, so vergebt, wenn ihr etwas gegen jemanden habt, damit auch euer Vater im Himmel euch vergebe eure Übertretungen.“ (Mk 11,25-26). Den Schuldigern ihre Verschuldungen nicht anrechnen, sondern erlassen, vergeben (vgl. dazu auch Mt 6,12; 18,20-35). Im Grunde geht es bei der gesamten Geschichte um eine geklärte und geordnete Beziehung zu den Mitmenschen, sowie einen eindeutigen Glaubens- und Gehorsamsbezug zu Gott. Dieser Glaubensbezug war bei den Jüngern in anbetracht des bevorstehenden Leidensweges von Jesus mangelhaft und fehlte bei Judas gänzlich.

Fragen / Aufgaben:

  1. Beschreibe die zeitlichen und örtlichen Details dieser Geschichte.
  2. Forsche nach, wo und in welchen Zusammenhängen der Feigenbaum in der Bibel genannt wird?
  3. Beschreibe die Besonderheiten des Feigenbaumes und seiner Früchte.
  4. Wofür stehen Bäume und Berge in biblischen Erzählungen?
  5. Welche möglichen Deutungen zu dieser Geschichte sind dir bekannt und was ist der Hauptgedanke oder die Lehre daraus? Was will Jesus seinen Jüngern dadurch nahe bringen?
  6. Das Zweifeln wird dem Glauben gegenübergestellt. Erkläre diese zwei wichtigen Begriffe.
  7. Nenne weitere Hindernisse, die dem erhörlichen Gebet im Wege stehen.
  8. Welche Gefahr und Risiko liegt in einem fruchtlosen Lebensstil eines Menschen?
  9. Wie haben die Jünger Jesus verstanden und in welchen Situationen haben sie Berge versetzt und Bäume verdorren lassen?
  10. Was sind deine Erfahrungen im Bereich Berge versetzen?

10.7 Die Frage nach der Vollmacht und woher war die Taufe des Johannes?

(Bibeltexte: Mt 21,23-27;  Mk 11,27-33;  Lk 20,1-6)

Früh am Morgen des 3. Wochentages (Dienstag) kommt Jesus wieder in den Tempel. Dort geht er seiner wichtigsten Tätigkeit nach und lehrt öffentlich (Mt 21,23; Joh 18,20). Der Evangelist Lukas betont ausdrücklich, dass Jesus „lehrte im Tempel und predigte das Evangelium“ (Lk 20,1). Immer wieder lässt er sich in der Lehre unterbrechen durch die Fragen der Zuhörer. Viel Zeit investiert Jesus in die Diskussionen mit den führenden Gruppen im Judentum, den Schriftgelehrten, Pharisäern, Sadduzäern, Ältesten und Hohenpriestern. Ständig fordern sie ihn mit ihren kritischen Fragen oder Versuchungen heraus, fast immer mit der Absicht, ihm eine Falle zu stellen. Er nutzt jedoch diese Herausforderungen, um seine Gegner aus ihrer Verhärtung herauszubringen.

Der Evangelist Matthäus schreibt:

Und als er in den Tempel kam und lehrte, traten die Hohenpriester und die Ältesten des Volkes zu ihm und fragten.“ (Mt 21,23). Der Evangelist Lukas ergänzt: „Und es begab sich eines Tages, als er das Volk lehrte im Tempel und predigte das Evangelium, da traten zu ihm die Hohenpriester und die Schriftgelehrten mit den Ältesten und sprachen zu ihm. (Lk 20,1;  ähnlich auch in Markus 11,27).

Das Evangelium (gr. euange,lion euangelion – Frohe Botschaft, Gute Nachricht), ist die Überschrift der Lehr,- und Predigtdetails, welche Jesus bereits im ganzen Land verkündigt hatte und nun auch hier in Jerusalem im Tempel offenbart. Bis jetzt redete Jesus zum Volk, doch nun nähern sich ihm eine größere Abordnung aus allen leitenden Gremien des Judentums. Ja, Jesus hat die Größe, sich unterbrechen zu lassen und auf die Fragen der Tempelführung einzugehen: „Aus welcher Vollmacht tust du das? Oder wer hat dir diese Vollmacht gegeben, dass du das tust?“ (Mk 11,28;  ähnlich auch Lk 20,2; Mt 21,23).

Jesus aber antwortete und sprach zu ihnen: Ich will euch auch eine Sache fragen; wenn ihr mir die sagt, will ich euch auch sagen, aus welcher Vollmacht ich das tue. Woher war die Taufe des Johannes? War sie vom Himmel oder von den Menschen? (Markus ergänzt mit:Antwortet mir!“) Da bedachten sie’s bei sich selbst und sprachen: Sagen wir, sie war vom Himmel, so wird er zu uns sagen: Warum habt ihr ihm dann nicht geglaubt? Sagen wir aber, sie war von Menschen, so müssen wir uns vor dem Volk fürchten, denn sie halten alle Johannes für einen Propheten. Und sie antworteten Jesus und sprachen: Wir wissen’s nicht. Da sprach er zu ihnen: So sage ich euch auch nicht, aus welcher Vollmacht ich das tue.“ (Mt 21,24-27). Markus ergänzt: „Oder sollen wir sagen, sie war von Menschen? Doch sie fürchteten sich vor dem Volk; denn sie meinten alle, dass Johannes wirklich ein Prophet sei.“ (Mk 11,32). Lukas ergänzt: „Sagen wir aber, von Menschen, so wird uns alles Volk steinigen; denn sie sind überzeugt, dass Johannes ein Prophet war.“ (Lk 20,6).

Eigentlich ist es eine Doppelfrage, welche die führenden Juden an Jesus richten: „in welcher Vollmacht tust du dies oder wer hat dir diese Vollmacht gegeben?“ Der griechische Begriff `exousi,a exousia`  wird mit `Macht, Vollmacht` oder auch mit `Recht` übersetzt. Die Frage zielt auf eine Person hin, welche hinter und über Jesus steht und die Jesus bevollmächtigte zu seinem übernatürlichen Handeln. Im Grunde gibt es nur eine einzige Instanz, doch diese anzuerkennen sind die Führenden in Israel nicht bereit. Trotzdem wurde die Frage nach der Vollmacht mehrmals gestellt, wenn auch unterschiedlich formuliert. Zum ersten Mal bei seinem ersten Jerusalembesuch. So lesen wir in Johannes 2,18: „Da fingen die Juden an und sprachen zu ihm: Was zeigst du uns für ein Zeichen, dass du dies tun darfst?“ Damals betraf es die Aktion mit der Vertreibung der Händler und Geldwechsler vom Tempelgelände. Vergleicht man die Texte der drei synoptischen Evangelien, entsteht der Eindruck dass sich diese Doppelfrage der Juden auch auf die Aktion mit der Vertreibung der Händler vom Tempelgelände bezieht, weil alle drei Evangelisten darüber kurz davor berichten. Da wir aber der Chronologie des Johannes folgen, wonach die Vertreibung der Händler und Geldwechsler bereits bei dem ersten Jerusalembesuch stattgefunden hatte,  nehmen wir an, dass sieh diese Doppelfrage auf die vielen Wunderheilungen an Blinden und Lahmen vom Vortag bezog (Mt 21,15). Wahrscheinlich ist auch, dass diese Frage die führenden Juden die ganze Zeit über beschäftigte und dass diese Frage sich zum Ende seines Dienstes immer dringlicher stellte. Schon Nikodemus bemerkte bei seinem Besuch in der Nacht: „Meister, wir wissen, du bist ein Lehrer, von Gott gekommen; denn niemand kann die Zeichen tun, die du tust, es sei denn Gott mit ihm.“ (Joh 3,2). Mit anderen Worten, an deinen Wundern sehen wir deutlich, dass du von Gott bist, oder Gott mit dir ist. Doch bereits in Galiläa positionierten sich einige Pharisäer und Schriftgelehrten gegen Jesus mit der Behauptung: „Er treibt die bösen Geister nicht anders aus als durch Beelzebul, ihren Obersten.“ (Mt 12,24; Mk 3,22). Auch bei der Heilung des Blindgeborenen (Joh 9,16) stellte sich die Frage nach der Herkunft und Vollmacht von Jesus (Joh 9,17.29-33). Und diese Frage stellte sich natürlich auch besonders bei der Auferweckung des Lazarus. Die Ratlosigkeit der Führung des Volkes war offensichtlich: „Was tun wir? Dieser Mensch tut viele Zeichen (…)“ (Joh 11,47-48).

Es fällt immer wieder auf, dass Jesus sich nicht einfangen lässt, sondern die Menschen durchschaut und sie in sein eigenes Konzept einbezieht – das ist göttliche Weisheit. Er sagt nicht einfach JA oder Nein, er befriedigt nicht ihre Neugier, ihm liegt auch nicht daran, sie zu beschämen oder bloßzustellen, er will das wahre Problem seiner Gegner aufzeigen. Damit bietet er ihnen eine weitere Chance zur Umkehr. Und daher verbindet Jesus ihre Frage mit einer Gegenfrage, welche sich mit der Taufe des Johannes befasste, die bereits einige Jahre zurück lag. Merken wir, dass Jesus hier in der Vergangenheitsform spricht? Denn bereits bei Johannes wurde entschieden, wer den Messias annehmen und wer ihn ablehnen wird. Seit dem Auftreten des Johannes am Jordan ist die Führung Israels dem Volk gegenüber eine öffentliche Stellungnahme schuldig geblieben. Da ist also Nachholbedarf und Jesus fordert sie heruas und zwar in in Anwesenheit des Volkes. Doch mit dieser Reaktion von Jesus haben die Führer des Volkes nicht gerechnet. Jetzt müssen sie Farbe bekennen und zwar öffentlich vor allem Volk ihre Position zu der Johannestaufe offen legen. Offenbaren sie ihre ablehnende Einstellung zu Johannes dem Täufer, sind sie in Lebensgefahr. Bekennen sie sich zu der Johannestaufe, so müssen sie ihr gesamtes Konzept revidieren. Sie werden sich erinnert haben an die Frage der von den Juden/Pharisäern Abgesandten Hohenpriestern und Leviten zu Johannes dem Priestersohn: „Wer bist du“ (Joh 1,19)? Und dass sie sich bereits damals gegen Johannes entschieden haben. Ihnen wird schnell bewusst, dass sie sich mit ihrer Frage selber eine Falle gestellt haben.

Nun geht es ihnen nicht mehr um die Wahrheit, sondern darum wie sie aus der peinlichen, ja sogar gefährlichen Situation herauskommen könnten. „Sie bedachten bei sich selbst und sprachen“ (Mk 11,31), sie wissen sehr gut, was nach was kommt. Ihre gedanklichen Überlegungen und Abwägungen werden dann im Flüsterton untereinander ausgesprochen und man einigt sich auf eine theologisch sehr feige und ausweichende Antwort: „wir wissen es nicht“ – wie peinlich, was für eine Blamage vor dem ganzen Volk. Eigentlich haben sie eine Lüge ausgesprochen. Bei einer anderen Gelegenheit waren die Schriftgelehrten und Pharisäer mutiger. Dort wiederholt Jesus ihre laut ausgesprochene Einstellung zu Johannes dem Täufer: „Denn Johannes der Täufer ist gekommen und aß kein Brot und trank keinen Wein; und ihr sagt: Er ist von einem Dämon besessen.“ (Lk 7,30-33; Mt 11,18). Doch lieber stellen sie sich dumm vor dem Volk, als die Wahrheit zuzulassen. Gott offenbart sich den Glaubenden, den Kritikern und denen, die sich ihm mutwillig widersetzen vorenthält er das Heilige und die Perlen (Mt 7,6). Die Beziehung zwischen Führung und Volk ist gestört, nicht Vertrauen zu einander, sondern Furcht und Angst bestimmen das Verhalten zu einander. In Wahrheit ist nicht Jesus ihnen, sondern sie sind ihm eine Antwort schuldig geblieben. Und warum sollte Jesus ihnen auf ihre Frage antworten, wenn sie doch die Antwort kennen (Joh 3,2).

Fragen / Aufgaben:

  1. Wo, wann und unter welchen Umständen wurde Jesus die Frage nach der Vollmacht gestellt?
  2. Warum interessierte sich die Führung Israels nach der Vollmacht von Jesus, was bewegte sie wirklich?
  3. Die Anweisung von Jesus an seine Jünger lautete: „Eure Rede sei ja, ja, nein, nein“, warum gibt er dann in diesem Fall keine eindeutige Antwort?
  4. Warum fällt es den Pharisäern, Hohenpriestern und Ältesten des Volkes so schwer, sich vor Jesus zu beugen? Was würden sie verlieren, was gewinnen?
  5. Wie lässt sich die Beziehung der Hirten des Volkes Israels zu ihren Untergebenen beschreiben?
  6. Wer fürchtet wen mehr? Die Führung das Volk, oder das Volk die Führung (Mt 21,46;  Joh 7,13; 9,22; 19,38)?
  7. Wer ist letztlich wem eine Antwort schuldig geblieben?
  8. Fällt unser christusähnlicher Lebensstil auf, fragt man uns danach, wer hinter bzw. über unserem Leben steht, wer uns autorisiert?

10.8 Ein Mensch hatte zwei Söhne

(Bibeltext: Mt 21,28-32)

Die erste Betrachtung der Geschichte

Im Anschluss an die Frage nach der Vollmacht von Jesus (Mt 21,23-27) stellt der Evangelist Matthäus (und nur er allein) die Geschichte von einem Vater und dessen zwei Söhnen vor. Sie steht auch in direktem Zusammenhang zu der Thematik der Frage nach der Taufe des Johannes. Jesus entlässt die Fragesteller nicht so einfach aus deren Verantwortung, sind sie doch ihm eine Antwort schuldig geblieben. Er setzt das Gespräch mit ihnen fort, diesmal durch einen Vergleich. Er weiß ganz gewiss, was sie wirklich benötigen, darum versucht er mit einer Geschichte aus dem Alltag sie in ihrer Haltung zum Umdenken zu bewegen. Er fordert sie nicht nur heraus ihr logisches Denkvermögen einzusetzen, sondern auch die ii der Geschichte verborgene Wahrheit zu erkennen. Dadurch bekommen sie eine weitere Chance zur Umkehr. Und nun kommt die Geschichte, die er mit einer Frage einleitet und mit einer Frage schließt:

Was meint ihr aber? Es hatte ein Mann zwei Söhne und ging zu dem ersten und sprach: Mein Sohn, geh hin und arbeite heute im Weinberg. Er antwortete aber und sprach: Nein, ich will nicht. Danach reute es ihn und er ging hin. Und der Vater ging zum zweiten Sohn und sagte dasselbe. Der aber antwortete und sprach: Ja, Herr!, und ging nicht hin. Wer von den beiden hat des Vaters Willen getan? (Mt 21,28-31a).

Abbildung 9 Jeder Weinberg braucht regelmäßige Pflege, ansonsten verwildert er innerhalb kürzester Zeit. Dieser Weinberg befindet sich östlich der Stadt Kavala in Nordgriechenland (Foto: 28. August 2010).

Die Aufgabe, welche Jesus seinen Zuhörern stellt, ist nicht schwierig und die Antwort der Führenden im Volk kommt prommt: „Sie antworteten: „Der erste“. Sie sind imstande klar und logisch zu denken und urteilen, was positiv ist. Was ihnen jedoch nicht bewusst wird, ist die Anwendung. Höchstwahrscheinlich machten sie sich keine weiteren Gedanken darüber, dass Jesus mit dieser Geschichte sie meint, dass es ihnen gilt und sie mit ihrer Antwort über sich selbst ein Urteil gefällt haben?

Jesus sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Die Zöllner und Huren kommen eher ins Reich Gottes als ihr. Denn Johannes kam zu euch und lehrte euch den rechten Weg (auf dem Weg der Gerechtigkeit), und ihr glaubtet ihm nicht; aber die Zöllner und Huren glaubten ihm. Und obwohl ihr’s saht, tatet ihr dennoch nicht Buße (habt ihr dennoch nicht umgedacht), sodass ihr ihm dann auch geglaubt hättet. (Mt 21,31b-32).

Zunächst fällt in der Geschichte auf, dass es der Vater ist, der zu seinen Söhnen hingeht. Dem Menschen liegt es nicht, von sich aus zu Gott zu kommen und zu fragen: „Herr, was willst du, das ich tun soll?“ Durch den ersten Sohn in der Geschichte, der zunächst mit „nein, ich will nicht“ geantwortet hatte, werden die Zöllner und Huren vergliechen – die offensichtlichen Sünder. Sie lebten den ersten Teil ihres Lebens mit einem klaren und offensichtlichen `NEIN` zu Gott. „Ich will jetzt noch nicht“ oder: „lass mich in Ruhe, ich will zuerst mein Leben genießen“. Sie wussten genau dass sie Sünder sind und was sie dabei zu erwarten haben. Sicher haben summarisch nicht alle diese Menschen bei der Predigt des Johannes durch Sinnesänderung und Umkehr ihr Leben verändert. Doch ihre Offenheit den Predigten des Johannes und auch Jesus gegenüber, ist vielfach belegt. Zum Beispiel: „Es nahten sich ihm aber allerlei Zöllner und Sünder, um ihn zu hören.“ (Lk 3,12; 5,27-30; 15,1; 18,10-13; 19,1-10).

Durch den zweiten Sohn im Gleichnis, der ohne viel nachzudenken mit „Ja, Herr“ geantwortet hatte, werden die nach der Tradition erzogene und auch theologisch ausgebildete Oberschicht der Juden vergliechen. Von wenigen Ausnahmen abgesehen (Nikodemus und Josef von Arimathia), verweigerten sie mehrheitlich den Glauben und Gehorsam Gott gegenüber. Seit Beginn der Wirksamkeit des Johannes ließen diese Menschen jede ihnen angebotene Gelegenheit zur Umkehr bewusst verstreichen. So schreibt Lukas: „Aber die Pharisäer und Schriftgelehrten verachteten, was Gott ihnen zugedacht hatte, und ließen sich nicht von ihm (dem Johannes) taufen.“ (Lk 7,30; vgl. auch Mt 2,5; 3,7-8;  Mk 3,6; 16,1;  Lk 11,53;  Joh 7,49; 12,10-11. 31). Und bis zum Schluß änderten sie ihren Standpunkt nicht (Mt 26,59;  Mk 15,10).

Gerade durch diesen Vergleich gab Jesus eine (wenn auch nur indirekte) Antwort auf die Frage der Juden zu seiner Vollmacht. Hätten sie Johannes geglaubt, wäre diese ihre Frage an Jesus überflüssig geworden.

Fragen / Aufgaben:

  1. Wie sah die Vater-Söhne-Beziehung in dieser Geschichte aus?
  2. Welche Gruppe von Menschen repräsentiert der erste Sohn?
  3. Welche Gruppe von Menschen repräsentiert der zweite Sohn?
  4. Was ist die Voraussetzung, um in das Reich Gottes zu kommen?
  5. Warum fällt es Menschen mit einem guten angesehenen Lebensstandart so schwer sich vor der Autorität Jesu zu beugen und seine Gesinnung zu ändern?
  6. Wo finden wir heute diese zwei Gruppen oder Arten von Menschen?

Die zweite Betrachtung dieses Gleichnisses

Im Anschluss an die Frage nach der Vollmacht von Jesus (Mt 21,23-27) stellt der Evangelist Matthäus drei Gleichnisse zusammen:

  1. Von den ungleichen Söhnen
  2. Von den bösen Winzern
  3. Vom königlichen Hochzeitsmahl.

Im ersten Teil wird das Gleichnis erzählt (V 28 – 30). Dann wird die Frage gestellt, die schon in V 28 angedeutet wird: Wer erfüllt den Willen des Vaters? Oder anders ausgedrückt: Wer ist gerecht? Wer ist auf Gott ausgerichtet? Die Zuhörer geben die Antwort: Derjenige der die Möglichkeit wahrnimmt und umkehrt. Das Gleichnis hat die Aufrichtigkeit zum Thema. Jesus stellt die Frage: Wo sage ich mit dem Mund: Gott ist mir so wichtig, aber sobald dies Bekenntnis Zeit oder Geld kostet, ist mir anderes wichtiger. Nach großen Worten kann es mit dem Tun eng werden. Dann kommt es zu schlechten Gefühlen, kurzfristigen Absagen und aus dem Ja wird ein Nein. Oder wie im anderen Fall zu einer Kehrtwendung, zu einer Neuorientierung und aus dem Nein wird ein Ja!

Der erste Bruder, der Jasager, ist ausgesucht höflich. Auf die Bitte des Vaters, im Weinberg zu arbeiten, sagt er freundlich: „Ich gehe, Herr!“, tut aber überhaupt nicht, was der Vater von ihm verlangt. Der zweite Bruder ist weniger verbindlich. Er sagt deutlich, dass er keine Lust zur Arbeit hat. Dann aber wird er nachdenklich und geht, um den Auftrag des Vaters doch noch zu erfüllen.

Wir merken: beide sind keine Mustersöhne. Bei beiden stimmen Wort und Tat nicht überein. Aber trotz guten Umgangsformen des ersten Sohnes, ist uns der zweite sympathischer – denn wir sind durchaus der gleichen Meinung wie Jesus: Nicht auf bloße Worte kommt es an, sondern auf Taten!

Und Gott? Er scheint genauso zu denken. Nach einem Jesuswort kommt man nicht ins Himmelreich, indem man eifrig „Herr, Herr“ sagt (Mt 7,21), sondern indem man den Willen des Vaters erfüllt. In die gleiche Richtung geht der Ausspruch: „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen!“ (Mt 7,20)

Das kann uns zweierlei deutlich machen:

Sprache kann `verkleiden`, kann etwas vortäuschen, was in Wirklichkeit gar nicht so ist. Auch in der Gemeinde freuen wir uns immer, wenn sich bei der Verteilung von Arbeit jemand meldet: „JA, ich mach’s!“ Problem gelöst – weiter in der Tagesordnung! Aber manchmal kommen hinterher beim Betreffenden Zweifel. Doch im Leben gibt es plötzliche Veränderungen. Dann wollen wir reagieren und dem Vater im Himmel fragen: Wie steht es mit uns beiden – mach ich zu viel, zu wenig, bin ich gerade in einer Krise? Bin ich unrealistisch? Narren mich meine Gefühle oder sind wirklich grundsätzliche Entscheidungen dran. Wir dürfen zur Aufrichtigkeit durchdringen und uns fragen.

– Ist mir Gott wichtig – dann suche ich ihn in der Stille, im Hauskreis und im Gottesdienst

– Ist mir Gott wichtig, dann frage ich: welchen Auftrag hast du mir gegeben, wo darf ich freudig meine Zeit, Kraft, meine Gaben und mein Geld einbringen?

– Dann darf ich auch sagen: Was ist unwichtig, wie kann ich Zeit besser nutzen?

– Dann darf ich auch im Gemeinderahmen fragen: Wo habe ich mich übernommen, welche Aufgabe muss ich abgeben?

– Dann darf ich fragen, welchen Stellenwert hat meine Gemeinde in Bezug auf meine Zeit und meine materiellen Werte, und welche Stellung haben all die anderen guten Werke, Einrichtungen und Initiativen – stimmt bei mir hier die Balance? Wird deutlich wo ich zu Hause bin?

Fragen / Aufgaben:

  1. Wo führe ich mit einem schönen JA und wohlgesetzten Worten selbst und andere hinters Licht?
  2. Wo muss ich meinem Nächsten bewusster eine Chance zur Umkehr geben – gerade nach schlechten Erfahrungen?
  3. Bist du öfter als 3-mal werktags im Gemeindehaus? Das ist viel! Ist dies dein Auftrag? Bist du in 3 oder mehr Arbeitskreisen aktiv? Das ist viel! Ist dies dein Auftrag?
  4. Ertappst Du dich beim Jammern, Klagen? Bist du gefühlsmäßig überlastet? Jammern und Klagen sind sicher nicht DEIN Auftrag! Kannst Du Schritte erkennen, wie du aus dieser Situation herauskommst?
  5. Merkst du, dass der Vater im Himmel Dir eine Aufgabe geben will? Geh auf den Leitungskreis deiner Gemeinde zu und frage ob du im erkannten Bereich mithelfen könntest?
  6. (…) reden wir nicht länger darüber, handeln wir einfach!

10.9 Das Gleichnis von den bösen Weingärtnern

(Bibeltexte: Mt 21,33-44;  Mk 12,1-11;  Lk 20,9-18)

Die erste Betrachtung dieses Gleichnisses

Jesus reiht ein Gleichnis an das andere, denn die Zeit drängt, es bleiben nur noch wenige Tage bis er zum Vater zurück geht. Sein Werben um Israel wird noch intensiver. Auch das folgende Gleichnis erzählt Jesus im Tempel. Wie in der Passawoche zu erwarten ist, sind tausende Pilger schon frühzeitig in Jerusalem eingetroffen. Jesus ist bei seiner wichtigsten Tätigkeit, dem Lehren. Er ist Meister in Geschichten erzählen, sehr oft benutzt er in seiner Lehrtätigkeit Gleichnisse, (Vergleichsgeschichten aus verschidenen Lebensbereichen der Menschen). Dabei lässt er nicht locker, immer noch wendet er sich vordergründig an die Oberschicht, die Führung des Volkes.

Abbildung 10 Ein Weinberg am Südhang des Bodensee westlich des Ortes Fischbach. Es ist Herbst, die Weinernte ist bereits eingefahren, doch die Traubenstöcke stehen noch in ihrer herbstlichen Farbenpracht (Foto: 1. November 2018).

Wie der Evangelist Matthäus schreibt, wendet sich Jesus vorrangig an die Priesterschaft und die Gruppe der Pharisäer mit ihren Schriftgelehrten:

Hört ein anderes Gleichnis: Es war ein Hausherr, der pflanzte einen Weinberg und zog einen Zaun darum und grub eine Kelter darin und baute einen Turm und verpachtete ihn an Weingärtner und ging außer Landes. Als nun die Zeit der Früchte herbeikam, sandte er seine Knechte zu den Weingärtnern, damit sie seine Früchte holten. Da nahmen die Weingärtner seine Knechte: den einen schlugen sie, den zweiten töteten sie, den dritten steinigten sie. Abermals sandte er andere Knechte, mehr als das erste Mal; und sie taten mit ihnen dasselbe. (Mt 21,33-36).

Die Evangelisten Markus und Lukas berichten jeweils von nur einem Knecht, den der Weinbergeigentümer zu den Weingärtnern sendet. Diese werden jeweils misshandelt und mit leeren Händen weggeschickt. Höchstwahrscheinlich waren in der Originalversion von Jesus alle diese Aspekte vorhanden, doch die Evangelisten schrieben nur Teile der Gesamterzählung nieder. Auf jeden Fall wiederspiegeln sie die verschiedenen Behandlungsweisen der von Gott gesandten Propheten in der Geschichte Israels. So stellt Stefanus bei seinem Verhöhr wenig später vor dem Hohen Rat fest: „Welchen der Propheten haben eure Väter nicht verfolgt? Und sie haben getötet, die zuvor verkündigten das Kommen des Gerechten, dessen Verräter und Mörder ihr nun geworden seid.“ (Apg 7,52). Wir folgen weiter dem Text des Evangelisten Matthäus:

Zuletzt aber sandte er seinen Sohn zu ihnen (Markus und Lukas ergänzen: „den Geliebten“) und sagte sich: Sie werden sich vor meinem Sohn scheuen. Als aber die Weingärtner den Sohn sahen, sprachen sie zueinander: Das ist der Erbe; kommt, lasst uns ihn töten und sein Erbgut an uns bringen! Und sie nahmen ihn und stießen ihn zum Weinberg hinaus und töteten ihn. Wenn nun der Herr des Weinbergs kommen wird, was wird er mit diesen Weingärtnern tun? Sie antworteten ihm: Er wird den Bösen ein böses Ende bereiten und seinen Weinberg andern Weingärtnern verpachten, die ihm die Früchte zur rechten Zeit geben. (Mt 21,37-41).

Die Zuhörer von Jesus sind sehr aufmerksam und sie haben ein gutes Urteilsvermögen. Doch bevor Jesus zur abschließenden Anwendung kommt, fügt er noch eine weitere Episode aus der Geschichte Israels hinzu.

Jesus sprach zu ihnen: Habt ihr nie gelesen in der Schrift (Psalm 118,22-23): »Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der ist zum Eckstein geworden. Vom Herrn ist das geschehen und ist ein Wunder vor unsern Augen«? Darum sage ich euch: Das Reich Gottes wird von euch genommen und einem Volk gegeben werden, das seine Früchte bringt. Und wer auf diesen Stein fällt, der wird zerschellen; auf wen aber er fällt, den wird er zermalmen. Und als die Hohenpriester und Pharisäer seine Gleichnisse hörten, erkannten sie, dass er von ihnen redete. Und sie trachteten danach, ihn zu ergreifen; aber sie fürchteten sich vor dem Volk, denn es hielt ihn für einen Propheten. (Mt 21,42-46).

Abbildung 11 Reife Trauben am Weinstock in einem gepflegten Weingarten (Foto: 11. September 2016).

Das ist der erste Teil der Geschichte, die von Jesus verwendeten Bilder sind den Zuhörern wohl vertraut. Die Der Weinberg, der Weinstock, die Rebe, die Traube, der Traubensaft, der Wein, der Weinberggärtner und Weinbergeigentümer, sind beliebte Bilder in der Bibel (5Mose 6,11;  Hohelied;  Jesaja 5,1-7;  Joh 15,1-6).

Sünde blendet und macht unfähig wichtige geistliche Zusammenhänge klar zu erkennen, denn wahre Weisheit kommt von Gott. Erst jetzt wird der Führung klar, was Jesus mit seinen Gleichnissen erreichen will. Wie werden sie nun darauf reagieren. Werden sie diese Chance zur Umkehr nutzen, oder werden sie ihre Herzen noch mehr verhärten?

Das Volk steht hinter Jesus, will sein Leben, sein Bleiben, doch die Entscheidungsträger sind die Priester aus der Sadduzäerpartei und die Mehrheit der Schriftgelehrten aus der Pharisäerpartei. Letztlich wird Gottes vorhergesehener Plan werwirklicht und dadurch kommt Gott zu seinem Ziel, nämlich der Erlösungsmöglichkeit der verlorenen Menschen, auch derer, die ihn verurteilen werden. Noch am Kreuz betet Jesus für seine Feinde: „Jesus aber sprach: Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun“ (Lk 23,34)! Petrus stellt nach Pfingsten fest: „Nun, liebe Brüder, ich weiß, dass ihr’s aus Unwissenheit getan habt wie auch eure Oberen. Gott aber hat erfüllt, was er durch den Mund aller seiner Propheten zuvor verkündigt hat: dass sein Christus leiden sollte. So tut nun Buße und bekehrt euch, dass eure Sünden getilgt werden“ (Apg 3,17-19).

Abbildung 12 Die Südostecke der Stadtmauer von Jerusalem. Die an der Mauerecke eingebauten Steine geben eine gewisse Vorstellung von der Bedeutung der Ecksteine für die Stabilität und die ausrichtung der Mauern (Foto: Juli 1994).

Fragen / Aufgaben:

  1. Welche Bedeutungen haben diese einzelnen, aus der Landwirtschaft stammenden Bilder in biblischen Erzählungen, auch im aktuellen Gleichnis?
  2. Warum reagiert der Weinbergbesitzer nicht sofort mit einer Strafaktion?
  3. Warum reagiert der Weinbergbesitzer auch diesmal nicht mit einer Strafaktion, was sagt seine Zurückhaltung aus über seinen Charakter, seine Ziele?
  4. Macht der Weinbergeigentümer sich was vor, kennt er die Weingärtner so wenig, glaubt er wirklich an deren respektvolles Verhalten gegenüber dem Sohn, oder denkt er weiter?
  5. Welche Überlegungen stehen hinter solch einer Denkweise, ist es realistisch zu hoffen, dass der Hausherr das Ganze nun auf sich beruhen lässt? Fällt uns dabei eine alttestamentliche Geschichte ein (1Kön 21,1-29; 2Kön 9,25-26)?
  6. Wohin zielt die Frage von Jesus, warum sollen seine Zuhörer selbst die Antwort geben?
  7. Merken die Hohenpriester und Pharisäer nicht, dass sie mit dieser Antwort sich selbst das Urteil aussprechen?  
  8. Was ist die Besonderheit eines Ecksteins, seine Bestimmung, auf wen deutet Jesus diesen Eckstein?
  9. Was versteht Jesus unter der Bezeichnung „Reich Gottes“ und wer ist dieses andere Volk? Nehmen später auch die Apostel Bezug auf diese Worte von Jesus (Röm 10)?
  10. Was bedeutet die Aussage „den wird er zermalmen“?
  11. Warum sind sie so verhärtet, konnten sie nicht mehr zurück, oder wollten sie nicht?

Die zweite Betrachtung des Gleichnisses

Joachim Jeremias schreibt in Bezug auf dieses Gleichnis: Dieses an das Lied vom Weinberg (Jes 5,1-7) anknüpfende Gleichnis steht mit seinem allegorischen Charakter einzig da unter den synoptischen Gleichnissen von Jesus. Der Weinberg ist offensichtlich Israel, die Pächter seine Könige und Leiter, der Grundherr ist Gott, die Boten sind die Propheten, der Sohn ist Christus, die Bestrafung der Winzer versinnbildlicht die Verwerfung Israels, das andere Volk (Mt 21,43) ist die Gemeinde der Heiden (Jeremias 1998, 67f). Die Details haben eine erste und dann eine wesentliche zweite Bedeutung. In der Einleitung schildern die Evangelisten Markus (12,1) und Matthäus (21,33) die sorgfältige Anlage des Weinberges in engem Anschluss an das Lied Jesajas Vom Weinberg. Von dort stammen in der Fassung der LXX die Details wie Zaun, Kelter und Turm. Diese machen jedem Zuhörer deutlich, dass von Gott und Israel die Rede ist.

Der Evangelist Markus berichtet wie der Grundherr 3-mal sendet und jedes Mal werden die Boten misshandelt: verprügelt, durch Faustschläge ins Gesicht entehrt und dann getötet. Der Evangelist Markus steigert das „Mobbing“ stetig bis zum Höhepunkt: dem Mord. Der Evangelist Lukas berichtet die Tötung des dritten Knechtes und die weiteren Misshandlungen nicht. Der Evangelist Matthäus berichtet von der zweifachen Sendung einer Vielzahl von Knechten und deren Misshandlungen und der Sendung des Sohnes zum Schluss.

Die Schlussfrage Wenn nun der Herr des Weinbergs kommt, was wird er jenen Weingärtnern tun?“ findet sich bei allen drei Synoptikern. Sie knüpft an Jes 5 (aus LXX zitiert). Hier denken alle Zuhörer unwillkürlich an die erstaunliche Geduld des Grundherrn und an die sinnlose Hoffnung der Pächter, dass die Tötung des Sohnes sie in den Besitz des Weinberges bringen werde. Die Bezeichnung Sohn wurde von den Juden zurzeit von Jesus nicht ausschließlich als Messias Titel verstanden; er wird in der jüdischen Literatur auch auf den Patriarchen Jakob bezogen (Jes 9,6; 1Chr 17,13; 2Mose 4,22). Das Gleichnis schildert eine unzufriedene Stimmung der galiläischen Bauern gegen Großgrundbesitzer.

Da Jesus nicht vom Weinberg, sondern von den Pächtern spricht, hat er nicht das Volk als Ganzes im Fokus, sondern dessen Leiter aus dem Hohen Rat. Dieses sehr scharfe Drohwort an die Führer des Volkes, macht deutlich, dass das Heiligtum zur Räuberhöhle geworden ist (Mt 21,13). Nach Jesus ist das Maß der Schuld voll. Gott wird Rechenschaft fordern. Doch auch noch mit diesen Worten versucht Jesus die Leiter des Volkes noch im letzten Augenblick zu einer Wende zu bewegen – hütet euch, auch den letzten Gottesboten abzuweisen!

Fragen / Aufgaben:

(Lies bei Interesse auch zum Vergleich das viel spätere apokryphe Thomasevangelium Logion 65 (im ANHANG)

  1. Welche Details fallen auf? Was ist ihr zweiter Sinn?
  2. Warum wählt Jesus solch drastische Worte?
  3. Wo in der Geschichte des Volkes Gottes wird die „mobbing-Spirale“ deutlich?
  4. Für was macht Jesus die Leiter verantwortlich? Welche Motive unterstellt er ihnen?
  5. Welche Vorsorge können wir treffen, dass heute Gemeindeleiter, Leiter von Missionswerken, Gruppenleiter nicht auf Abwege geraten?

10.10 Das Gleichnis von der königlichen Hochzeit

(Bibeltext: Mt 22,1-14)

Das Gleichnis von der Königlichen Hochzeit hat im Lukasevangelium im Gleichnis vom Großen Abendmahl (Lk 14,15-24) seine Parallele. Es sieht so aus, dass Jesus zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten oft Gleiches oder auch Ähnliches gesagt hat. Zwar ist die große Linie dieselbe: Der Gastgeber (hier im Matthäusevangelium ein König) hat viele zum Hochzeitsmahl eingeladen, doch zur Festzeit entschuldigen sie sich kurzfristig aus verschiedenen Gründen. Da sich jedoch die Gleichnisse in vielen Einzelheiten unterscheiden, wollen wir sie getrennt betrachten.

10.10.1 Die mehrfache Einladung zum Hochzeitsmahl

(Bibeltext: Mt 22,1-10)

Dieses Gleichnis überliefert uns nur der Evangelist Matthäus, er schreibt:

Und Jesus antwortete und redete abermals in Gleichnissen (gr. parabolai,j parabolais) zu ihnen und sprach: Das Himmelreich gleicht (ähnelt) einem König, der seinem Sohn die Hochzeit ausrichtete. Und er sandte seine Knechte aus, die Geladenen zur Hochzeit zu rufen; doch sie wollten nicht kommen. Abermals sandte er andere Knechte aus und sprach: Sagt den Geladenen: Siehe, meine Mahlzeit habe ich bereitet, meine Ochsen und mein Mastvieh ist geschlachtet und alles ist bereit; kommt zur Hochzeit! Aber sie verachteten das und gingen weg, einer auf seinen Acker, der andere an sein Geschäft. Einige aber ergriffen seine Knechte, verhöhnten und töteten sie. Da wurde der König zornig und schickte seine Heere aus und brachte diese Mörder um und zündete ihre Stadt an. Dann sprach er zu seinen Knechten: Die Hochzeit ist zwar bereit, aber die Geladenen waren’s nicht wert. Darum geht hinaus auf die Ausfallstraßen und ladet zur Hochzeit ein, wen ihr findet. Und die Knechte gingen auf die Straßen hinaus und brachten zusammen, wen sie fanden, Böse und Gute; und die Hochzeit wurde gefüllt mit denen, die sich niederlegten. (Mt 22,1-10 frei übersetzt).

Die einleitenden Worte „(…) und Jesus antwortete und redete wieder in Gleichnissen zu ihnen und sprach“ (Mt 22,1) sind aufschlussreich: Jesus reagiert zwar nicht auf eine konkrete Frage, aber er antwortet auf die Situation – die feindliche Haltung der religiösen Autoritäten. Jesus vergleicht das Reich der Himmel mit der Hochzeit eines Königssohns. Das Reich der Himmel haben wir schon in Mt 4,23; 13,43; 20,1 als die freudige und herrliche Zeit in der Gott in Christus in der finalen Phase des Reiches im neuen Himmel und in der neuen Erde herrschen wird. Diese Freudenzeit wird bildlich dargestellt. Geladene kommen zu einem Mahl, legen sich auf Teppiche/Polster, sehen vor sich die herrlichsten Speisen und ein gepflegtes Tischgespräch unterhält alle. Hier in unserem Gleichnis wird das Fest als ein Hochzeitsfest beschrieben. Nach Richter 14,7-12 kann solch eine Hochzeit sieben Tage dauern, in der Regel jedoch 3-4 Tage (Joh 2,1ff). Der Königsohn soll heiraten, spielt aber sonst im Gleichnis kaum eine Rolle. König und Königssohn markieren hier die außerordentliche Wichtigkeit des Festes. Der Schwerpunkt liegt auf den zum Fest Geladenen.

Auch in diesem Gleichnis sind alle Gerufenen langfristig zur Hochzeit eingeladen worden und werden jetzt am Festtag zur Festeröffnung nochmals freundlich aufgefordert (wörtl. gerufen – kalesai, kalesai) zu kommen. Doch sie wollen nicht kommen – die stärkste Art einen Mitmenschen zu brüskieren! Hier lädt ein König ein – da muss im Verhältnis von Untertanen zum Herrscher etwas sehr schief liegen. Doch der sehr geduldige und großzügige König sendet andere Boten mit Erklärungen und der sehr demütigen Bitte: „(…) alles ist bereit. Kommt zur Hochzeit“ (Mt 22,4). Somit hatten die Gerufenen drei Einladungen gehört. Bibelleser merken, dass diese Schilderung nicht der Normalität jenes Kulturkreises entspricht. Sie merken auch, dass dieses Gleichnis eine Nähe zum vorherigen Gleichnis von den bösen Weingärtnern hat (Mt 21,33-45). Und auch dort entspricht das von Jesus geschilderte Verhalten der Pächter nicht der gewöhnlichen Erfahrung. In beiden Gleichnissen wird drei Mal eingeladen. Gott selbst sprach durch viele Propheten bis zu Johannes dem Täufer. Gott sprach durch Christus, die Zwölf, die Siebzig – doch Gott ist geduldig! Lies: Jer 7,13.25; 11,7; 25,3; Hes 18,23.32; 33,11; Lk 13,6-9; Röm 2,4; 9,22; 1Tim 1,16; 1Petr 3,20; 2Petr 3,15.

Doch die Eingeladenen reagieren auch auf die dritte Einladung gleichgültig (mein trister Alltag auf dem Feld oder im Laden ist mir wichtiger) und dann sogar feindlich bis verbrecherisch. Die Reaktion der Geladenen ist untypisch für Orientalen. Das muss den Zuhörern aufgefallen sein. Hätte der König die Steuern erhöht, wäre ihr Protest verständlich und nachfollziebar gewesen (lies dazu 2Chr 10,1-17). Aber hier geht es nicht um Steuererhöhung, sondern um die Einladung zu einem großen Fest – was für ein Privileg! Wer von seinen Zuhörern das vorhergehende Gleichnis mitbekommen hat, wird hier eine deutliche Parallele erkannt haben (Mt 21,45). Auch Stefanus wird später der Führung vorhalten: „Welchen der Propheten haben eure Väter nicht verfolgt?“ (Apg 7,52). Wir haben natürlich auch das Schicksal von Johannes dem Täufer im Sinn, wenn wir von Verfolgung, Mißhandlung und Totschlag der Propheten hören (Mt 17,12; 23,35). Doch Jesus macht in diesem Gleichnis seinen Zuhörern sehr deutlich: Gottes Geduld hat Grenzen. Lies 1Mose 6,3; Spr 29,1; Dan 5,22-31; Mt 21,40-44; Lk 13,9; Offb 2,21-22. Es scheint so, dass die Eingeladenen alle in einer eigenen Stadt wohnen, denn ein schreckliches Gericht ereilt diese: Tod und Feuer. Heutige Bibelleser denken dabei auch an Jerusalem 70 n.Chr. und die Eroberung durch Titus Flavius. Josephus berichtet darüber (Jüdische Kriege VI,250-253). Dies kam nicht von ungefähr, sondern Jesus sagte es voraus ()Mt 24,15ff). Man denke aber auch an das erste deutliche Warnsignal Gottes – die Eroberung Jerusalems durch die Babylonier im Jahre 586 v.Chr. bei der die Stadt und der Tempel zerstört und in Brand gesteckt wurden (2Kön 25,1-21; Esra 5,12).

Die ursprünglich Eingeladenen lehnten wiederholt die Einladung des Königs ab. Doch der König lässt sich nicht abhalten – die Feier findet auf jeden Fall statt. So geht die Einladung an die Menschen der Straßen. Ihr Status spielt keine Rolle – jeder wird zum Fest gebeten. Jeder jüdische Zuhörer aus der theologischen Elite sollte hier den zweiten Sinn verstehen: Andere – die Zölner und Sünder, die Samariter, die Nationen, werden ihre Einladung erhalten. Dieses universelle Heilsangebot ist ein zentrales Anliegen von Jesus und dann auch von seinen Nachfolgern (Lk 15,1f; Joh 10,16; Mt 21,31-32; 28,19: Lk 24,47; Röm 10,12-13; 1Kor 7,19; Gal 3,9; Eph 2,14.18; Phil 3,3; Kol 3,11). Vergessen wir jedoch nicht, dass Jesus selbst die Reihenfolge festgelegt hat, welche später auch seine Jünger eingehalten haben (zuerst die Juden, dann die Völker – fangt an in Jerusalem – Lk 24,47; Apg 1,8). Das Ergebnis der Einladung an alle auf den Strassen wird mit den Worten beschrieben: „Und der Hochzeitssaal wurde voll.“

10.10.2 Das fehlende hochzeitliche Gewand

Bibeltext: (Mt 22,11-14)

Dürfen wirklich alle von der Straße Eingeladenen feiern? Der Evangelist Matthäus geht in seiner Schilderung nahtlos über zu dem besonderen Vergleich mit dem fehlenden Hochzeitsgewand, wenn er die Erzählung von Jesus fortsetzt mit den Worten:

Da ging der König hinein, sich die (zu Tisch) Liegenden anzusehen, und sah da einen Menschen, der hatte kein hochzeitliches Gewand an, und sprach zu ihm: Freund, wie bist du hier hereingekommen und hast doch kein hochzeitliches Gewand an? Er aber verstummte. Da sprach der König zu seinen Dienern: Bindet ihm die Hände und Füße und werft ihn in die Finsternis hinaus! Da wird Heulen und Zähneklappern sein. Denn viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt. (Mt 22,11-14).

Hier wollen wir einigen Fragen nachgehen:

1.Frage: Warum redet der König den Menschen, der kein hochzeitliches Gewand anhatte, mit Freund an? Schließlich wirft man doch einen Freund nicht auf solch schmähliche Weise aus der Festgemeinschaft hinaus. Die Anrede `etai;re etaire` in der sehr knappen Vokativ Form (Rufform) kommt noch in Matthäus 20,13 und 26.50 vor und in keinem dieser drei Geschichten ist die angeredete Person Freund im tieferen Sinne von `file; mou phile moumein Freund`. Da Jesus auch durch dieses Gleichnjs Realitäten des Himmelreiches verdeutlichen will, ist in dem König sowohl Gott der Vater als auch der Sohn gemeint. Und Jesus redet nur die mit meine Freunde an, die seinen Willen tun (Joh 15,14-15: fi,loi mou philoi mou). Jedoch in allen drei Stellen, in denen diese ungewöhnliche Anrede gewählt wurde, ist das Verhalten der angeredeten Personen negativ, bei Judas in Matthäus 26,50 (vgl. Lk 22,48) sogar mit verräterischer Handlung verbunden. In der LXX wird dieser Begriff häufig in neutraler aber auch positiver Beziehung verwendet, allerdings nicht in der Rufform (Ri 4,17; 11,37; 2Sam 13,3; 2Sam 15,37; Hiob 8,13; 30,29; Dan 2,17). In der klassischen griechischen Literatur wird die Bezeichnung `etai;roj etairos als allgemeine Anrede an jemanden, dessen Namen man nicht weiss, verwendet. Es kann ins Deutsche  mit `Genosse, Kamerad, Freund, Gefährte` übersetzt werden (Walter Bauer 1971, 622).

Bei der Härte der verurteilenden Worte des Königs würde aber keines dieser vier Anredevarianten so richtig passen. es sei denn dass Jesus den Begriff `Freund` in sehr allgemeinem Sinne als blose Anrede gebrauchte.

2.Frage: Was ist der Sinn und die Bedeutung der hochzeitlichen Bekleidung?

Das hochzeitliche Gewand macht uns Schwierigkeiten im Verstehen. Wie kann man von Leuten, die auf den Straßen aufgelesen wurden, passende Hochzeitskleidung erwarten? Es wird jedoch ohne nähere Erklärung vorausgesetzt, dass der Gefragte in geeigneter Kleidung hätte erscheinen können. Es war wohl überflüssig extra zu betonen, dass der König für Bad und passende Festkleidung vorgesorgt hat (vgl. dazu Lk 15,22-24). Sowohl der König im Gleichnis, als auch der Herr in der Realität ist großzügig und vorsorglich den Bedürftigen gegenüber. Es lag eindeutig an dem Menschen, der die Festkleidung verweigerte, oder nachdem er sie angenommen hatte, wieder ablegte. Im Gleichnis wird nur ein Mann gefragt, wie er ohne hochzeitliches Gewand hereingekommen sei. Doch hier müssen matematische Vergleiche außen vor bleiben. Das Gleichnis hat an seinem jetzigen Platz und in seiner jetzigen Form keine Erklärung, so dass wir auf den gesamtbiblischen Kontext zurückgreifen müssen um eine mögliche Erklärung zu bekommen.

Kleider sind in der Bibel häufig Symbol für den Status eines Menschen, sie sagen aber auch etwas über sein Wesen aus, ebenso über seine Beziehung zu Gott. Hier einnige Beispiele:

  • 1Mose 3,7: „Da wurden ihnen beiden die Augen geöffnet, und sie erkannten, dass sie nackt waren; und sie banden sich Feigenblätter um und machten sich Schurze.“ Die Selbstgemachte Kleidung aus Feigenblättern wurde von Gott nicht anerkannt und er selbst machte für Adam und Eva Kleider aus Fellen (geschlachteter Tiere). So lesen wir in 1Mose 3,21: „Und Gott der HERR machte Adam und seiner Frau Kleider aus Fell und bekleidete sie.“ Sie nahmen diese von Gott gemachten Kleider an und wurden so mit Gott wieder in Gemeinschaft gebracht.
  • 2Mose 29,4ff: Aaron und seine Söhne sollten für ihren Dienst mit besonderer, von Gott vorgeschriebenen Bekleidung ausgestattet werden.
  • Wir lesen in Jesaja 61,3: „(…) um den Trauernden von Zion zu verleihen, dass ihnen Kopfschmuck statt Asche gegeben werde, Freudenöl statt Trauer und Feierkleider statt eines betrübten Geistes, dass sie genannt werden »Bäume der Gerechtigkeit«, eine »Pflanzung des HERRN« zu seinem Ruhm.“
  • In Jesaja 61,10 werden kostbare Kleider als Bild für Rettung und Gerechtigkeit durch den Herrn zugeteilt. So lesen wir: „Ich freue mich im HERRN, und meine Seele ist fröhlich in meinem Gott; denn er hat mir die Kleider des Heils (Rettung) angezogen und mich mit dem Mantel der Gerechtigkeit gekleidet, wie einen Bräutigam mit priesterlichem Kopfschmuck geziert und wie eine Braut, die in ihrem Geschmeide prangt.“ Auch hier ist von Bräutigam und der Braut die Rede – indirekter hochzeitlicher Bezug.
  • In Lukas 15,22-24 hören wir den Vater sagen: „Bringt schnell das beste Gewand her und zieht es ihm an und gebt ihm einen Ring an seine Hand und Schuhe an seine Füße und bringt das gemästete Kalb und schlachtet’s; lasst uns essen und fröhlich sein! Denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden; er war verloren und ist gefunden worden. Und sie fingen an, fröhlich zu sein.“
  • In Offenbarung 19,7-8 wird der Beginn der endgültigen und himmlischen Hochzeitsfeier bildhaft beschrieben und dabei die besondere Bekleidung der Braut (Gemeinde) hervorgehoben. Ausdrücklich heißt es, dass ihr diese Bekleidung gegeben wurde. „Lasst uns fröhlich sein und jubeln und ihm die Ehre geben! Denn die Hochzeit des Lammes ist gekommen, und seine Frau hat sich bereit gemacht.Und es wurde ihr gegeben, sich in feine Leinwand zu kleiden, rein und glänzend; denn die feine Leinwand ist die Gerechtigkeit der Heiligen.“
  • Ähnlich auch in Offenbarung 7,13-15: „Und einer der Ältesten antwortete und sprach zu mir: Wer sind diese, die mit den weißen Kleidern angetan sind, und woher sind sie gekommen? Und ich sprach zu ihm: Mein Herr, du weißt es. Und er sprach zu mir: Diese sind’s, die aus der großen Trübsal kommen und haben ihre Kleider gewaschen und haben sie hell gemacht im Blut des Lammes. Darum sind sie vor dem Thron Gottes und dienen ihm Tag und Nacht in seinem Tempel“.

Die Frage des Königs: „Wie bist du ohne Hochzeitskleid hereingekommen“ erweckt sogar den Eindruck, dass dieser Mensch sich mit einer Art List hereingeschliechen hatte. Es ist möglich, dass Jesus hier sagen will, dass sich einige zu den „Kindern des Reiches Gottes“ rechnen, die in Wirklichkeit aber eine ganz andere Gesinnung haben. Wenn dies stimmt, dann ist das Gleichnis vom Fehlenden hochzeitlichen Gewand eine Warnung gegen falsche Jüngerschaft. Nicht wer „Herr, Herr“ sagt (Mt 7,21) kommt ins Reich Gottes, sondern wer den Willen des himmlischen Vaters tut! Der Eingang und Verbleib im Reich Gottes ist nur nach den Bedingungen Gottes möglich. Gott bietet dem Menschen an seine Kleider zu wechseln. Er zieht aus die Kleider der Schuld und Sünde durch Vergebung und kleidet in seine Gerechtigkeit. Dies tut Er aufgrund des Sühnetodes seines Sohnes. Glauben bedeutet demnach des Königs Angebot anzunehmen.

3.Frage: Ist das Urteil des Königs nicht zu hart?

Der Befehl des Königs birgt in sich keinerlei Milde. „Bindet ihm Füße und Hände und werft ihn in die Finsternis hinaus, da wird Heulen und Zähneklappern sein“. Ähnliches sagte Jesus in einem anderen Zusammenhang und ohne gleichnishafte Verpackung in Lukas 13,23-30:

(…) Da wird das Heulen und das Zähneknirschen sein, wenn ihr Abraham, Isaak und Jakob und alle Propheten im Reich Gottes seht, euch selbst aber hinausgestoßen! Und sie werden kommen von Osten und von Westen, von Norden und von Süden, und zu Tisch sitzen im Reich Gottes. Und siehe, es sind Letzte, die werden Erste sein; und es sind Erste, die werden Letzte sein.“

Auch wenn diese Worte vordergründig den Zeitgenossen von Jesus gesagt wurden, so behalten sie ihre Gültigkeit für alle Menschen aller Zeiten. Der Autor des Hebräerbriefes schreibt: „wie viel schlimmerer Strafe, meint ihr, wird derjenige schuldig erachtet werden, der den Sohn Gottes mit Füßen getreten und das Blut des Bundes, durch das er geheiligt wurde, für gemein geachtet und den Geist der Gnade geschmäht hat?“ (Hebr 10,29). Das Angebot in Gottes Reich und an seinem Tisch mitzufeiern ist so gewaltig und für Gott so kostenintensiv, dass die Ablehnung oder Missbrauch der Einladung ein angemessenes und gerechtes Urteil nach sich zieht. (weitere Stellen dazu: Mt 8,11; 13,42; 13,49-50; 24,50).

4.Frage: Was bedeutet: „viele sind berufen aber wenige sind auserwählt“?

Diese zusammenfassende Schlussfolgerung von Jesus ist nicht leicht zu verstehen, hat sie doch mit der Erwählung durch Gott, aber auch mit der freien Willensentscheidung des Menschen zu tun. Die zwei griechischen Begriffe, welche hier verwendet werden sind: `,klhtoi kl¢toi – Berufene` im Nom. Pl. und `e,klektoi, eklektoi – Auserwählte` im Nom. Pl. Jesus macht eine Abstufung zwischen `berufen` und `auserwählt`, dementsprechend zwischen `Berufenen` und `Auserwählten`.

Ausgehend vom Gleichnis erging zunächst ein Ruf, eine Einladung (Berufung) zur Hochzeitsfeier an die, welche bereits eine Vorabeinladung (Erwählung) hatten. Auf jeden Fall hatten diese Menschen einen zeitlichen Vorsprung vor den anderen. Es war das Volk Israel in seiner Gesamtheit. So steht geschrieben in 5Mose 7,6-7:

Denn du bist dem HERRN, deinem Gott, ein heiliges Volk. Dich hat der HERR, dein Gott, erwählt, (e,xele,xato exelexato – auserwählt) dass du ihm zum Volk seines Eigentums wirst aus allen Völkern, die auf dem Erdboden sind. Nicht weil ihr mehr wäret als alle Völker, hat der HERR sich euch zugeneigt und euch erwählt – ihr seid ja das geringste unter allen Völkern -, sondern wegen der Liebe des HERRN zu euch, und weil er den Eid hielt, den er euren Vätern geschworen, hat.“ (vergl. auch mit Apg 13,17; „Gott hat unsere Väter auserwählt (e,xele,xato exelexato)“.

Doch es ist wichtig für uns zu beachten, dass die Auserwählung des Volkes durch Gott nicht um jeden Preis in Kraft bleibt, sondern an eine wesentliche Bedingung geknüpft wurde. Diese lautete: „Werdet ihr nun meiner Stimme gehorchen und meinen Bund halten, so sollt ihr mein Eigentum sein vor allen Völkern; denn die ganze Erde ist mein.“ (2Mose 19,5). Das gr. Verb für `auserwählt – exelexato ` hat in sich sozusagen zweimal die Präposition `ex`, was `aus, heraus` bedeutet. Es geht also um ein Aus-wählen aus dem Gesamten oder dem Allgemeinen. Israel wurde von Gott aus allen anderen Völkern aus Liebe und wegen des Eides an Abraham ausgewählt, danach aus Ägypten herausgerufen und herausgeführt. Dies tat Gott an diesem Volk jedoch nicht zu deren Selbstverwirklichung, sondern damit Gott zu seiner, ihm allein gebührenden, Ehre kommt und sein Name in aller Welt bekannt wird (5Mose 4,6-8; Jes 49,3: „Und er sprach zu mir: Du bist mein Knecht, Israel, durch den ich mich verherrlichen will.“ Hier zwar auf den kommenden Messias bezogen, doch ursprünglich war es die Aufgabe des Volkes Israel). Weil jedoch ein Teil aus diesem Volk, in erster Linie die Verantwortlichen, die Berufung und Erwählung nicht werthielten (Mt 21,43; 22,8;  Röm 11,20), darum wendet sich der König den anderen zu, denen auf der Strasse.

Natürlich denken wir da gleich an die Menschen aus den Völkern, doch sind die Menschen der Strasse nicht zunächst auch die Zöllner und Sünder, die verlorenen Schafe aus dem Hause Israel? So gebot Jesus seinen Jüngern: „geht nicht auf die Straßen der Heiden …, sondern geht hin zu den verlorenen Schafen aus dem Hause Israel.“ (Mt 10,6). Der gläubige Rest aus Israel wurde und wird gerettet werden, so auch später der Apostel Paulus in Römer 11,4-7: „Aber was sagt ihm (dem Elia) die göttliche Antwort? (1. Könige 19,18): »Ich habe mir übrig gelassen siebentausend Mann, die ihre Knie nicht gebeugt haben vor Baal.« So geht es auch jetzt zu dieser Zeit: Ein Rest ist geblieben, der erwählt ist aus Gnade (gemäß der Erwählung aus Gnade). Ist’s aber aus Gnade, so ist’s nicht aufgrund von Werken; sonst wäre Gnade nicht Gnade. Wie nun? Was Israel sucht, das hat es nicht erlangt; die Erwählten (die aus der Erwählung) aber haben es erlangt. Die Übrigen wurden verstockt.“

An Israel sehen wir, dass in der Auserwählung durch Gott, die freie Willensentscheidung des Einzelnen berücksichtigt wird. Entsprechend ist dann auch die Reaktion von Gottes Seite. Gott handelt nach bestimmten Prinzipien. „Auch die Engel, die ihren hohen Rang nicht bewahrten, sondern ihre Wohnstatt verließen, hat er für das Gericht des großen Tages aufbewahrt mit ewigen Banden in der Finsternis.“ (Judas 6).

In höchstem Maße ist sogar der Auserwählte (o e,klekto,j o eklektos) und Geliebte (,o agaphto,j o agaphtos)  – der Sohn Gottes ((Jes 42,1; Mt 12,18; Mt 3,17; 1Petr 2,4.6; Lk 9,35), der Prüfung, ja sogar der stärksten Versuchungen ausgesetzt worden (Mt 4,1-11; 26,39ff; Hebr 4,15; 1,7-8). So werden auch die Berufenen und Auserwählten den Prüfungen von Gott und den Versuchungen vom Bösen (eingeschränkt) ausgesetzt, damit ihre Treue zu Gott geprüft wird (1Petr 1,7; 1Kor 10,13; Mt 24,13.22.24).

Die Auserwählten `e,klektou,j eklektous`, werden von Jesus in der Endzeitrede hervorgehoben (Mt 24,22.24,31). Klar ist, dass die Auserwählten auch berufen wurden. Werden demnach nicht alle, welche berufen wurden auch das Ziel erreichen, also zu den Auserwählten gehören? Auch auf diese Frage gibt Jesus eine Antwort, denn er hat Einblick in das, was war, was ist und in das was sein wird (Joh 2,25; 6,64; Lk 13,28; Offb 3,4.16). Jesus sah die reale Entwicklung voraus:

  • Mt 7,14: „Wie eng ist die Pforte und wie schmal der Weg, der zum Leben führt, und wenige sind’s, die ihn finden!
  • Mt 24,12-13: „Und weil die Missachtung des Gesetzes überhandnehmen wird, wird die Liebe in vielen erkalten. Wer aber bis an das Ende geduldig ausharrt, wird gerettet werden.“
  • Offb 3,4: „Aber du hast einige in Sardes, die ihre Kleider nicht besudelt haben; die werden mit mir einhergehen in weißen Kleidern, denn sie sind’s wert.“

Wie können wir uns die Vorgehensweise von Gott vorstellen? Zunächst ist eindeutig, dass die Initiative von Gott ausgeht;

  • Wegen seiner Zielsetzung – dem Sohn eine Braut/Frau (Gemeinde) zuzuführen auserwählt er nach seinen Bedingungen (und aufgrund seines Vorherwissens) eine (für Menschen) unzählbare Schar (Eph 1,1-22; Offb 7,9).
  • Aufgrund von Gnade (nicht durch Verdienste der Menschen) und wegen seines Erbarmens sollen die vielen/alle die Möglichkeit des Heils bekommen (Mt 28,19: „allen Völkern“; Röm 5,15-19 „den Vielen“; 11,32 „aller erbarme“; 1Tim 2,4; 2Petr 3,9: „Gott will, dass alle Umkehren und gerettet werden“).
  • Zu verschiedenen Zeiten und unter den günstigsten Umständen ruft Gott jeden Menschen. Doch weil er selbst den Menschen mit der Fähigkeit der freien Willensentscheidung ausgestattet hat, beeinflusst diese den Ruf, die Berufung und Auserwählung (Jos 24,15; Joh 6,67).
  • In seiner Souverenität ruft, beruft und wählt Gott aus der Vielzahl bestimmte Menschen aus für die Verwirklichung seines Rettungsplanes. Es geht dabei um besondere Dienste: Abraham (1Mose 12), Mose (2Mose 3), David (1Sam 16), Johannes der Täufer (Lk 1; 3) Maria und Josef (Mt 1; Lk 1).
  • Aus der Vielzahl seiner Nachfolger rief, berief Jesus die zwölf Jünger (Mt 10; Mk 3). Diese (e,klexa,menoj eklexamenos – auserwählte er), so lesen wir in Johanner 15,16: „Nicht ihr habt mich auserwählt, sondern ich habe euch (e,xelexa,mhn exelexam¢n – auserwählt)“. Ähnlich bei Paulus (Apg 9). Dieselbe Initiative von Jesus wird mit denselben Begiffen auch in den übrigen Texten deutlich gemacht: Joh 6,70 13,18; 15,19 auch Apg 1,2.24. Es fällt dabei auf, dass Jesus zunächst eine Auswahl der Jünger getroffen hat und erst danach diese namentlich berief.
  • In Römer 8,33: bezogen im weiteren Sinne auf die (e,klektw,n eklektön – Auserwählten) Gottes in Rom. So auch in 1Kor 1,28: Gott hat euch (e,xele,xato exelexato – auserwählt). Eph 1,4: wie er euch (e,xele,xato exelexato – auserwählt) hat in ihm (in Christus) vor Grundlegung der Welt. Kol 3,12: (e,klektoi, eklektoi – Auserwählte) Gottes, Heilige und Geliebte. 1Tim 5,21; 2Tim 2,10: Den (e,klektou,j eklektous – Auserwählten). Tit 1,1: Den (e,klektw,n eklektön – Auserwählten) Gottes. Jak 2,5: Hat nicht Gott die Armen der Welt (e,xele,xato exelexato – auserwählt) die am Glauben reich sind? 1Petr 1,1: Die (e,klektoi,j eklektois – Auserwählten). 1Petr 2,9: Das (e,klekto,n eklekton – auserwählte) Geschlecht (bezogen auf das gesamte Volk Gottes in Anlehnung an 2Mose 19,5-6). Lk 18,7: seine Auserwählten retten. Röm 16,13: bezogen auf eine Einzelperson Namens Rufus. 2Joh 1,1: Die auserwählte Herrin.

Doch auch der, welcher den Ruf gehört und die Berufung angenommen hat, ist durch den Apostel Petrus  aufgefordert: „Darum, Brüder, befleißigt euch umso mehr, eure Berufung und Erwählung (gr. klh,sin kai e,klogh,n kl¢sin kai eklog¢n) festzumachen! Denn wenn ihr diese Dinge tut, werdet ihr niemals straucheln.“ (2Petr 1,10). Die Berufung und Auserwählung kann und wird durch den Glauben festgemacht und bewahrt, so in Offenbarung 17,14: „Die werden gegen das Lamm kämpfen, und das Lamm wird sie überwinden, denn es ist der Herr aller Herren und der König aller Könige, und die mit ihm sind, sind die Berufene und Auserwählte und Gläubige klh,toi kai e,klektoi kai pistoi, kl¢toi kai eklektoi kai pistoi.“ (weitere Stellen dazu: Mt 24,13; 1Petr 1,5; Offb 2,26).

Viele sind berufen“ kann also auf alle bezogen werden, „Wenige sind auserwählt“ – es sind nur die, welche den Ruf (die Berufung) angenommen haben und durch den Glauben ihre Rechtfertigung (Hochzeitsgewand) bewahren.

Fragen / Aufgaben:

  1. Wo und in welcher Umgebung erzählte Jesus dieses Gleichnis?
  2. Welche Unterschiede fallen dir ein, wenn du die Gleichnisse Vom großen Abendmahl und Von der königlichen Hochzeit vergleichst? Was haben diese Gleichnisse gemeinsam?
  3. Was hält die Eingeladenen damals wie heute vom Kommen ab?
  4. Sind in unserer Mitte die „von der Straße“ herzlich begrüßt und willkommen geheißen?
  5. Gehen wir noch auf die „Straßen und Kreuzungen“ um `Gute und Böse` einzuladen?
  6. Was symbolisiert das Gewand hier im Gleichnis? Welche weiteren Aussagen finden wir in der Bibel (Mk 9,3; Offb 3,4; 3,18; 22,14).
  7. Wen meint Jesus mit den `Berufenen` mit den `Auserwählten`?
  8. Können auch auserwählte straucheln, wieder verloren gehen?

10.11 Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist und Gott, was Gottes ist

(Bibeltexte: Mt 22,15-22; Mk 12,13-17; Lk 20,20-26)

Der Evangelist Matthäus (Markus und Lukas folgen ihm) berichtet, wie eine Abordnung aus der Gruppe der Pharisäer zusammen mit Gefolgsleuten des Vierfürsten Herodes zu Jesus kommen. Auslöser war ihre Verärgerung über Jesus, der in seinen Gleichnissen von den bösen Weingärtnern und der königlichen Hochzeit eindeutig auf die ablehnende Haltung der Führenden im Judentum und deren Folgen hinwies (Mt 21,45-46; 22,1-15a; Mk 12,1-13a; Lk 20,19-20a). Der Evangelist Matthäus schreibt:

Dann gingen die Pharisäer hin und hielten Rat, wie sie ihn bei einem Ausspruch fangen könnten. Und sie senden ihre Jünger mit den Herodianern zu ihm und sagen: Lehrer, wir wissen, daß du wahrhaftig bist und den Weg Gottes in Wahrheit lehrst und dich um niemand kümmerst, denn du siehst nicht auf die Person (auf das Gesicht) der Menschen. Sage uns nun, was denkst du: Ist es erlaubt, dem Kaiser Steuer (lat: census) zu geben, oder nicht? Da aber Jesus ihre Bosheit erkannte, sprach er: Was versucht ihr mich, Heuchler? Zeigt mir die Steuermünze! Sie aber überreichten ihm einen Denar (röm. Währung). Und er spricht zu ihnen: Wessen Bild (gr. ei,kw,neikön) und Aufschrift ist das? Sie sagen zu ihm: Des Kaisers. Da spricht er zu ihnen: Gebt denn dem Kaiser, was des Kaisers ist und Gott, was Gottes ist. Und als sie das hörten, wunderten sie sich und ließen ihn und gingen weg. (Mt 22,15-22).

Der Evangelist Lukas ergänzt: „Und sie beobachteten ihn und sandten Auflauerer aus, die sich stellten, als ob sie fromm (gerecht) seien, um ihn in der Rede zu fangen, damit sie ihn der Obrigkeit und der Macht des Statthalters überliefern könnten.“ (Lk 20,20). Aus Lukas 20,19 geht hervor, dass auch die Hohenpriester in diesen Rat einbezogen sind. Die Pharisäer gehen aber nicht selber zu Jesus, sondern schicken ihre Schüler zu ihm (Mt 22,16). Dies schien ihnen unauffälliger zu sein. Dass sie auch noch mit dem Herodes, der sich ebenfalls wegen des Passafestes in Jerusalem aufhält paktieren, ist nicht neu, wie wir aus Markus 3,6 erfahren. Für den Fall, dass ihr Plan aufgeht, brauchten sie auch hier die politische Macht um Jesus festzunehmen.

Die Evangelisten betonen sehr deutlich die Motive und Tricks der Gegner von Jesus. Es sind: Arglist, Bosheit, Heuchelei – vorgetäuschte Frömmigkeit und dies alles mit der Absicht, Jesus zu Fall zu bringen. Ebenso heben die Evangelisten hervor, dass Jesus sie durchschaut. Hier wird mal wieder deutlich, dass die sogenannten menschlichen Psychotricks von der Weisheit und Erkenntnis Gottes entlarvt werden.

Der Evangelist Lukas schließt ab mit der Ergänzung: „Und sie konnten ihn in seinem Wort vor dem Volk nicht fangen; und sie verwunderten sich über seine Antwort und schwiegen.“ (Lk 22,26).

Jesus lehrt gerade im Tempelbereich Jerusalems. Die beauftragten Schüler der Pharisäer sprechen als eigentliche Gegner gemeinsam Jesus an. Darum spricht Lukas von einem Auflauern und Markus davon, ihn in der Rede zu fangen. Sie geben ihrer Erwartung Ausdruck, dass Jesus gerade heraus antwortet, ohne auf jemand Rücksicht zu nehmen (Bruce, 180f). Die abgestimmte Frage bezieht sich darauf, ob die römischen Steuerforderungen in Übereinstimmung mit dem Gesetz für Israel, der Grundlage des jüdischen Volkes seien. Die Fragesteller erhoffen sich eine Antwort, die zur Anklage vor dem römischen Statthalter ausreicht (Lk 20,20).

Verschärft wurde diese Frage durch die Tatsache, dass in Galiläa die Steuern an den Sohn des Herodes des Großen: Herodes Antipas gezahlt wurde. Er war zwar unbeliebt, aber an ihm konnte man als Freund der Synagoge Steuern zahlen. In Judäa war zwar erst ein weiterer Sohn des Herodes des Großen als König (Etnarch-Volksfürst) eingesetzt, aber seine brutale Herrschaft wurde durch einen direkten römischen Statthalter abgelöst, dem man als Heiden nur sehr ungern Steuern zahlte. Das jüdische Volk war über lange Zeit an Steuerzahlungen an Fremdherrscher gewohnt. Selbst Propheten sahen, dass Gott diese Herrscher als Rute (Jes 5,10) zugelassen hatte, dem man als Anerkennung der Herrschaft Steuern zahlte (z.B. Neh 5,4). Zurzeit von Jesus gibt es aber Zeitgenossen, die der Ansicht sind, dass Gott allein der König Israels sei und man deshalb keinen heidnischen Herrscher durch Tributzahlungen anerkennen dürfe (Judas der Galiläer, Apg 5,37). Der Aufstand des Judas aus Galiläa wurde zwar niedergeschlagen, aber seine Ideen sind noch weit verbreitet.

Theologisch ist es also tatsächlich umstritten, ob man in Judäa im Gegensatz zur Diaspora Steuern an den römischen Statthalter zahlen solle. Der 10. Teil des Ertrages des Landes an den Tempel zu zahlen war selbstverständlich – aber darüber hinaus römische Steuern? Für viele Tempelbesucher war die Antwort ein offensichtliches: „NEIN!“ Solange Jesus in Galiläa war, war diese Frage nicht in der gleichen Weise akut – was auch immer er jetzt in Judäa antworten würde – er muss sich in Schwierigkeiten bringen! Ist Jesus ein schlechter Frommer und ein noch schlechterer Patriot oder ein Aufrührer gegen den römischen Statthalter?

Jesus lässt sich einen römischen Silberdenar bringen, mit der die römische Steuer bezahlt werden muss. Auf die Frage nach Bild und Aufschrift auf der Münze, geben die Fragesteller, dass dort Namen und Bild des Kaisers zu finden sei. Jesus gibt die klassisch prägnante Antwort:

„Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!.“ (Mt 22,21).

Mit dem Wort „geben“ können wir auch den Begriff: zurückgeben, was jemanden gehört“ verbinden.

Bedeutet dies die unausgesprochene Anerkennung der römischen Herrschaft? In gewisser Weise – ja! Jesus hat in keiner Form vor, die Unabhängigkeit Judäas von Rom auszurufen. Aber in anderer Hinsicht wollen streng gläubige Juden diese Münzen weder anschauen, geschweige denn besitzen, da dort ein Bild zu finden ist. Sie begründen dies mit 2Mose 20,4. Also taugen diese Münzen nicht für Gläubige und sollen schnell dorthin zurückgebracht werden, woher sie kamen. Der Anspruch Gottes wird durch ein solches Zurückgeben nicht verletzt.

Jetzt kommt es natürlich darauf an, zu erkennen, was denn alles „Gottes ist?“ Welche Ansprüche hat Gott im Himmel? Hier geht Jesus in der Karwoche wohl sehr viel radikalere Wege, als die Fragesteller ahnen können.

Jesus geht nicht in die Falle und kann sein Hauptanliegen nochmals klar formulieren.

Obwohl sie über die Antwort von Jesus sehr staunten und sich zurückzogen, werden sie in einigen Tagen die Steuerfrage vor Pilatus erneut vorbringen, diesmal in verdrehter Form als Anklagepunkt (Lk 23,2).

Fragen / Aufgaben:

  1. Wer tat sich da mit wem zusammen und mit welcher Zielsetzung?
  2. Wie bewertet Jesus ihre Herzenseinstellung und wie bezeichnet er sie?
  3. Warum wurde die Steuerfrage erst in Judäa so akut? Warum gerade nach dem öffentlichen Einzug von Jesus in Jerusalem?
  4. Warum wurden römische Münzen mit Namen und Bild des Kaisers geprägt?
  5. Wie verstehen wir 2Mose 20,4? Welche Begründung haben wir für unseren lockeren Umgang mit Abbildungen, Ikonen, Statuetten?
  6. Wie sollen sich Christen in Steuerfragen verhalten? Welche Hinweise geben uns dazu die Apostel des Herrn?
  7. Welche Ansprüche hat denn nun Gott in unserem Leben?

10.12 Gibt es die Auferstehung von den Toten? Was sagt Jesus dazu?

(Bibeltexte: Mt 22,23-33; Mk 12,18-27; Lk 20,27-40)

Die theologische Auseinandersetzung von Jesus mit den Sadduzäern über die Auferstehung der Toten wird in allen drei synoptischen Evangelien beschrieben.Die Texte ergänzen einander, wir folgen dem Bericht des Matthäus mit еrgänzenden Aussagen des Lukas.

An jenem Tag kamen Sadduzäer zu ihm, die da sagen, es gebe keine Auferstehung; und sie fragten ihn und sprachen: Lehrer, Mose hat gesagt: Wenn jemand stirbt und keine Kinder hat, so soll sein Bruder seine Frau heiraten und soll seinem Bruder Nachkommenschaft erwecken. Es waren aber bei uns sieben Brüder. Und der erste heiratete und starb; und weil er keine Nachkommenschaft hatte, hinterließ er seine Frau seinem Bruder. Ebenso auch der zweite und der dritte, bis auf den siebten. Zuletzt aber von allen starb die Frau. Wessen Frau von den sieben wird sie nun in der Auferstehung sein? Denn alle hatten sie. Jesus aber antwortete und sprach zu ihnen: Ihr irrt, weil ihr die Schriften nicht kennt noch die Kraft Gottes; denn in der Auferstehung heiraten sie nicht, noch werden sie verheiratet, sondern sie sind wie Engel im Himmel (Lk ergänzt: „die aber, die für würdig gehalten werden, jener Welt teilhaftig zu sein und der Auferstehung aus den Toten (….) denn sie können auch nicht mehr sterben, denn sie sind Engeln gleich und sind Söhne Gottes, da sie Söhne der Auferstehung sind). Was aber die Auferstehung der Toten betrifft: Habt ihr nicht gelesen, was zu euch geredet ist von Gott, der da spricht: „Ich bin der Gott Abrahams und der Gott Isaaks und der Gott Jakobs“? (Lk ergänzt: Dass aber die Toten auferweckt werden, hat auch Mose beim Dornbusch angedeutet, wenn er den Herrn „den Gott Abrahams und den Gott Isaaks und den Gott Jakobs“ nennt). Gott ist nicht der Gott von Toten, sondern von Lebenden (Lk ergänzt: denn für ihn leben alle). Und als die Volksmengen es hörten, erstaunten sie über seine Lehre. (Lk ergänzt:  „Da antworteten einige der Schriftgelehrten und sprachen: Meister, du hast recht geredet. Denn sie wagten nicht mehr, ihn etwas zu fragen“).  (Mt 22,23-33).

Abbildung 13 Die Sand- und Steinwüste im Wadi Rum ist keineswegs vegetationslos. Die Dornbüsche haben oft mehrere Meter tiefe Wurzeln.  (Foto: 6. November 2014).

Mose aber hütete die Schafe Jitros, seines Schwieger-vaters, des Priesters in Midian, und trieb die Schafe über die Wüste hinaus und kam an den Berg Gottes, den Horeb. Und der Engel des HERRN erschien ihm in einer feurigen Flamme aus dem Dornbusch. Und er sah, dass der Busch im Feuer brannte und doch nicht verzehrt wurde. Da sprach er: Ich will hingehen und diese wundersame Erscheinung besehen, warum der Busch nicht verbrennt.  

Als aber der HERR sah, dass er hinging, um zu sehen, rief Gott ihn aus dem Busch und sprach: Mose, Mose! Er antwortete: Hier bin ich. Er sprach: Tritt nicht herzu, zieh deine Schuhe von deinen Füßen; denn der Ort, darauf du stehst, ist heiliges Land! Und er sprach weiter: Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs. Und Mose verhüllte sein Angesicht; denn er fürchtete sich, Gott anzuschauen.“ (2Mose 3,1-6).

ANMERKUNG: Mit dem Hinweis auf den Dornbusch aus 2Mose 3,1ff (bei Markus und Lukas), unterstreicht Jesus wenn auch nur indirekt, die Historizität des Ereignisses in der Wüste am Berg Horeb.

Nun sind die Sadduzäer an der Reihe und sie kommen mit ihrem Anliegen zu Jesus. Es geht um die Frage der Auferstehung der Toten. Matthäus hebt gleich hervor, dass die Sadduzäer an die Auferstehung der Toten nicht glaubten (Mt 22,23). In der Apostelgeschichte 23,6-8 ergänzt Lukas: „(…), denn die Sadduzäer sagen, es gebe keine Auferstehung noch Engel noch Geist; die Pharisäer aber bekennen beides.“ Die Sadduzäer beginnen mit: „Lehrer, Mose hat geboten“, damit bringen sie zum Ausdruck, dass ihnen die Schriften des Mose bekannt sind und sie diese als Grundlage für ihre Lebenspraxis anerkennen. Die sogenannte Schwagerehe ist im Gesetz geregelt gewesen, damit Grundbesitz einer Familie, einer Sippe oder eines Stammes nicht verlorengeht (5Mose 25,5-9). Liebe oder Zuneigung bei der Heirat spielten eher eine untergeordnete Rolle, sachliche und wirtschaftliche Gründe überwogen. Bereits vor der Gesetzgebung am Sinai waren solcherlei Gepflogenheiten in der Praxis, wie die kuriose Geschichte aus 1Mose 38,6ff nahe legt. Aus der Richterzeit ist eine eher romantische Geschichte von Ruth und Boas überliefert worden (Ruth 4,1ff).

Ob die Geschichte mit der die Sadduzäer Jesus beeindrucken wollen echt oder erdacht war, lässt sich nicht feststellen. Immerhin sagen sie: „es waren bei uns sieben Brüder“. Was jedoch klar ist, die Sadduzäer wollen Jesus in eine theologische Schwierigkeit bringen, um ihren Standpunkt gegenüber den Pharisäern (die dabeistanden) zu rechtfertigen. Jesus kennt ihre Motive und daher geht er mit ihnen nicht gerade zimperlich um. In diesem Fall weist er auf ihre totale Verirrung hin und dies aus zwei wichtigen Gründen. Sie wissen oder kennen  die Schriften nicht, noch die Kraft Gottes.

Und nun beginnt Jesus mit der Klärung der Missverständnisse. Er macht unmissverständlich klar:

  • Dass die Ehe und die damit einhergehenden Rechtsbestimmungen nur für dieses irdische Leben in Kraft sind;
  • Dass Diejenigen, welche würdig sind die himmlische Welt und die Auferstehung von den Toten zu erreichen (gemeint sind hier die Gläubigen) werden den Engeln gleichen, so der griechische Begriff `i,sa,ggeloi isangeloi. Die geschlechtsspezifischen Merkmale und Verhaltensweisen sind dort aufgehoben.
  • Dass sie Söhne Gottes sind;
  • Dass sie Söhne der Auferstehung sind und daher nicht mehr sterben können.

Was für klare Aussagen von dem, der aus jener Welt kommt und davon genaue Kenntnis hat. Da die Sadduzäer sich hauptsächlich auf die fünf Bücher Moses, die Thora stützten, fehlte ihnen der Zugang zu vielen wichtigen Aussagen zum Thema Auferstehung aus den Psalmen und den Propheten, wie zum Beispiel:

  • Psalm 16,9-10: „Darum freut sich mein Herz, und meine Seele ist fröhlich; auch mein Leib wird sicher wohnen. Denn du wirst meine Seele nicht dem Tode lassen und nicht zugeben, dass dein Heiliger die Grube sehe (LXX: verwese).“
  • Jesaja 26,19: „Aber deine Toten werden leben, deine Leichname werden auferstehen. Wachet auf und rühmet, die ihr liegt unter der Erde! Denn ein Tau der Lichter ist dein Tau, und die Erde wird die Schatten (Totengeister) herausgeben.“
  • Daniel 12,2 „Und viele von denen, die im Staub der Erde schlafen, werden aufwachen; die einen zum ewigen Leben, die anderen zur ewigen Schmach und Schande.“
  • Daniel 12,13: „Du aber, Daniel, geh dem Ende entgegen, und ruhe, bis du aufstehst zu deinem Erbteil am Ende der Tage!
  • Weitere (wenn auch indirekte) Hinweise auf die ‚Auferstehung der Toten finden wir in 2Mose 32,32-33; Psalm 17,15; 69,29; Hesekiel 37,1-14; Hosea 6,2. Die Verheißung eines neuen Himmels und einer neuen Erde in Jesaja 65,17-19; 66,22 macht nur Sinn, wenn es die Auferstehung von den Toten gibt.

Diese Schriftaussagen waren den Sadduzäern nicht bekannt oder sie hatten für sie nicht den gleichen Stellenwert wie die fünf Bücher Moses. Doch Jesus macht sie aufmerksam auf eine wesentliche Aussage aus den Schriften, welche sie anerkannten.

Nun führt Jesus seine Zuhörer in die göttliche Hermeneutik ein. Denn die Schrift birgt in sich göttliche Gedanken. Die Beachtung grammatischer Details erschließt tiefe göttliche Inhalte. Durch die Redewendung: „Ich bin der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs. Gott ist nicht ein Gott der Toten, sondern der Lebenden, denn sie leben ihm alle“, wird zum einen das ewige, immerwährende Sein Gottes bekräftigt und zum anderen die unaufhörliche Existenz der genannten Personen angedeutet. Sogar noch mehr, es besteht eine Wechselbeziehung zwischen Gott und den entschlafenen Gläubigen.

Am Ende des Gesprächs breitet sich ein Staunen aus unter der Volksmenge. Den Fragestellern bekräftigt Jesus noch einmal: „darum irret ihr sehr“. Die Sadduzäer können mit solch einem Lehrer und dessen vollmächtiger Schriftauslegung nicht mithalten, sie trauen sich nicht, weitere Fragen zu stellen. Wahrscheinlich zogen sie sich beschämt zurück. Aus der Gruppe der Pharisäer, die diese Diskussion sicherlich aufmerksam mitverfolgten, kommt eine positive Reaktion. „Lehrer, du hast gut geredet“. In dieser so wichtigen theologischen Wahrheit wissen sie sich von Jesus bestätigt.

Fragen / Aufgaben:

  1. Welche Gruppe aus den Juden wollte Jesus in eine theologische Falle führen?
  2. Was glaubten sie, bzw. was glaubten sie nicht im Gegensatz zu den Pharisäern?
  3. Wie ist es zu erklären, dass bei der Vielzahl direkter und indirekter Aussagen über die Auferstehung von den Toten in den Psalmen und Propheten, die Sadduzäer daran nicht glaubten?
  4. Wie ist es mit der Geschichte, welche sie Jesus vortrugen, könnte sie in echt gewesen sein?
  5. Suche im Alten Testament nach Textstellen, in denen diese besonderen Fälle der sogenannten Schwagerehe geregelt werden.
  6. Wie reagiert Jesus auf das Anliegen der Sadduzäer?
  7. Welchen Einblick gibt Jesus in jene Welt und was hat dies mit der Ehe hier auf Erden zu tun?
  8. Wie begründet Jesus seinen Standpunkt in Bezug auf die Auferstehung der Toten?
  9. Sind die Sadduzäer zufrieden mit der Antwort von Jesus? Wie reagiert die Menschenmenge? Wie reagieren die Pharisäer?
  10. Wie fest ist unsere Zukunftshoffnung? Wie glaubhaft ist unser Zeugnis für das ewige Leben?

10.13 Lehrer, welches ist das erste und größte Gebot im Gesetz?

(Bibeltexte: Mt 22,34-40;  Mk 12,28-34)

Nach den Sadduzäern (Mt 22,23) kommen wieder Vertreter der Pharisäer zu Jesus. Im Gegensatz zu den Sadduzäern glauben Pharisäer an eine Auferstehung der Toten (Apg 23,6-8). Trotz mancher gemeinsamer Lehrmeinungen mit Jesus (Mt 23,3) berichten uns die Evangelisten von ihrer Ablehnung des Messias Jesus Christus. So schreibt der Evangelist Matthäus:

Als aber die Pharisäer hörten, dass er den Sadduzäern das Maul gestopft hatte, versammelten sie sich. Und einer von ihnen, ein Lehrer des Gesetzes, versuchte ihn und fragte: Meister, welches ist das höchste (große, größte) Gebot im Gesetz? Die Antwort von Jesus (bei Markus) lautete: Das erste Gebot ist das: »Höre, Israel, der HERR, unser Gott, ist HERR einer (der Einzige)). Mt: Jesus aber sprach zu ihm: »Du sollst lieben den HERRN, deinen Gott, von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt« (5. Mose 6,4-5). Dies ist das höchste (große, größte) und erste Gebot. Das andere aber ist dem gleich (ähnlich): »Du sollst lieben deinen Nächsten wie dich selbst« (3. Mose 19,18). In diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten. (Mt 22,34-40).

Nach einer Zusammenkunft der Pharisäer, tritt einer aus ihrer Gruppe gezielt vor Jesus. Er hatte mitbekommen, wie treffend Jesus den Sadduzäern geantwortet hatte. Wahrscheinlich spricht er im Auftrag und Absprache mit den anderen und stellte Jesus due Frage nach dem ersten Gebot. Der Evangelist Matthäus beschreibt ihn hier mit dem seltenen Begriff Gesetzeslehrer, Gesetzeskundiger (gr. nomiko,j – nomikos), Die Überlieferung dieses Wortes ist in den besten griechischen  Handschriften uneinheitlich. Markus bezeichnet sie schlicht als Schriftgelehrte (gr. grammateu,j – grammateus). Wir haben den Eindruck aus dem folgenden Gespräch, dass ein beiderseitiger Respekt die Grundlage für dieses Gespräch bildet. Trotzdem schreibt Matthäus, dass dieser Gesetzeslehrer Jesus versuchte. Das griechjsche Verb `peira,zwn – peirazön` kann Versuchung (negativ) oder auch Prüfung (positiv) bedeuten. Die vorangegangene Absprache in der Gruppe der Pharisäer erweckt den Eindruck, dass mit der Frage des Gesetzeslehrers Jesus herausgefordert werden sollte. Wird er sich zu dem einen HERRN/Gott bekennen? Sie werden keinesfalls vergessen haben, dass er sich als Gottes Sohn ausgab und Gott seinen eigenen Vater nannte (Joh 10.36; Joh 2,16; 5,17-19; 5,43.45; 6,32.40; 8,19.38.49.54; 10,15.18.25.29.37; 12,26; 14,2.7.21.23.26; 15,1). Dies war für sie Gotteslästerung und des Todes würdig.

Zweifellos aber standen viele der Pharisäer mit ihrer Erkenntnis dem Reich Gottes nahe (Joh 3,1-2; Mt 23,3). Die Frage dieses eher noblen Zeitgenossen passt gut zu einem Denkrahmen: die im späteren Judentum zu 613 Geboten, davon 248 positiv und 365 negativ, zusammengefasst werden. „Lehrer, welches ist das größte Gebot im Gesetz“ (Mt 22,36)? Die Frage nach dem Superlativ der Gebote ist wesentlich, um eine Rangfolge erstellen zu können. Nach Markus antwortet Jesus mit den einprägsamen Worten des Sch`ma Israel aus 5Mose 6,4-5: „Höre, Israel, der HERR, unser Gott, ist HERR einer (ei-j eis  – einer, Einziger) – im gr. als Zahlwort im Maskulinum (so auch in Eph 4,6; 1Tim 2,5). Für Jesus war es überhaupt kein Widerspruch zwischen: es gibt nur einen HERRN / Gott und der Aussage: „ich und der Vater sind eins“ (Joh 10,30 als Zahlwort oder: „ich bin Gottes Sohn“ (Joh 10,36).

Matthäus fährt fort mit den Worten von Jesus über die Einzigartigkeit der Beziehung des Menschen zu Gott: „Du sollst lieben den HERRN, deinen Gott, mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deinem ganzen Verstand. (Mk ergänzt: „und mit all deiner Kraft). Dies ist das größte und erste Gebot. Das zweite aber ist ihm gleich (gr. o,moi,aomoiaähnlich): «Du sollst lieben deinen Nächsten wie dich selbst.» An diesen zwei Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten“ (Mt 22,37-40).

Jesus lehrt hier, dass das gesamte geistlich-moralische Gesetz in einem Wort zusammengefasst werden kann: Liebe! (Röm 13,9; 1Kor 13,1-13). Jesus weist auf die Ausrichtungen dieser Liebe: auf Gott hin (5Mose 6,4-5) und auf den Nächsten (3Mose 19,18). Herz, Seele, Verstand und Kraft in ihrer Ganzheit wirken zusammen diese Gottesliebe:

Herz (gr. kardi,a – kardia): der Sitz der Persönlichkeit, die Schaltzentrale des menschlichen Seins, sein Geist

Seele (gr. yuch, – psych¢): der Sitz der Gefühle, die Summe der Empfindungen (der Begriff wird auch für das physische Leben verwendet). Man könnte sagen: die Einheit von Leib und Geist (Odem von Gott) ergibt lebendige Seele (1Mose 2,7)

Verstand (gr. dianoi,a – dianoia): das Denkvermögen, das Unterscheidungsvermögen, die Weisheit des Lebens

Bei Markus lesen wir, dass diese Liebe aus „deiner ganzen Kraft (gr. iscu,oj – ischyos)auf Gott ausgerichtet sein soll. Hier ist kein Platz für jede Art von Halbherzigkeit. Wenn Gott seinen Sohn gibt – sich selbst gibt, wie kann dann der Mensch ein wenig lieben (Eph 5,1.2)? Und die Liebe zum Nächsten in der Art und Weise sein soll, wie die Liebe zu sich selbst. Zur Zeit des Reiches Israel war das Gebot der Nächstenliebe in der Praxis eingeschränkt. Christus zeigt in seinem Umgang mit verschiedenen Menschen ganz praktisch wer für ihn der Nächste ist und klärt eindeutig darüber auf, was es heißt seinen Nächsten zu lieben – lies hier Lk 10,29-37. Doch auch die Basis: sich selbst lieben findet in seiner Lehre Beachtung (Mt 7,12).

Die vollmächtige Schriftauslegung von Jesus, hat tiefe Wirkung auf den Schriftgelehrten, entsprechend ist seine Reaktion. Er antwortete seinerseits mit: „Recht (gut), Lehrer, du hast nach der Wahrheit geredet; denn er ist einer (er ist der Einzige), und es ist kein anderer außer ihm;“ Im folgenden wiederholt der Schriftgelehrte das Gebot der Gottesliebe und Nächstenliebe mit dem Zusatz: dies „ist viel mehr als alle Brandopfer und Schlachtopfer.“ (Mk 12,32-33; 1Sam 15,22; Ps 51,18-19; Hos 6,61). Ein bewegender Augenblick tritt ein, denn nicht allzu oft gab es solch vollkommene Übereinstimmung in einer zentralen theologischen Frage. Und es folgt eine Bemerkenswerte Schlussfolgerung von Jesus: „Und als Jesus sah, dass er vernüftig antwortete, sagte er ihm: Du bist nicht ferne vom Reich Gottes. Und es wagte niemand mehr, ihn zu befragen.“ (Mk 12,34). Jesus hat immer die besten Antworten und daher wird er auch immer das letzte Wort haben. Es scheint, als ob der Fragekatalog an Jesus zu Ende ist, aber wie ist es bei Jesus, hat er noch Fragen an die Menschen? Siehe nächsten Abschnitt.

Fragen / Aufgaben:

  1. Welche Karikaturen von Pharisäern kennen wir? Treffen diese immer und auf alle zu?
  2. Warum steckt in uns selbst so viel von einem Pharisäer?
  3. Warum ist die Frage nach dem höchsten Gebot auch heute im Alltag wesentlich?
  4. Welchem Gottesbild, Gottesvorstellung begegnen wir heute? Wie stellt Jesus den einen Herrn und Gott vor?
  5. Wie antworten wir auf den Vorwurf – ihr Christen glaubt an drei Götter.
  6. Können wir mit Liebe wirklich der Not dieser Welt begegnen? Ist Liebe nicht zu etwas romantischem eingeengt worden?
  7. Was heißt es mit aller Kraft aus Herz, Seele und Verstand zu lieben?
  8. Was heißt es in geistlicher Weise und ausgewogen sich selbst zu lieben?
  9. Sind die Pharisäer mit der Antwort von Jesus zufrieden geblieben? Wie war die Reaktion des Schriftgelehrten?
  10. Wie genau weis Jesus den wahren Stand eines Menschen? Was bedeutet es für uns?

10.14 Wessen Sohn ist der Messias / Christus?

(Bibeltexte: Mt 22,41-44; Mk 12,35-37; Lk 20,41-44; Ps 110,1)

Jesus befindet sich, wie der Evangelist Markus betont immer noch auf dem Tempelgelände. Nun ist er dran den Pharisäern eine Frage zu stellen und zwar in Gegenwart des Volkes. So schreibt der Ev. Markus:

Und während Jesus im Tempel lehrte, hob er an und sagte: Wieso sagen die Schriftgelehrten, daß der Christus Davids Sohn ist? Er selbst, David, hat im Heiligen Geist gesagt: (Lukas ergänzt: „im Buch der Psalmen): „Der HERR hat gesagt zu meinem Herrn: Setze dich zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde unter deine Füße lege!“ Er selbst David, nennt ihn Herr, und woher ist er sein Sohn? Und die zahlreiche Menge hörte ihn gern. (Mk 12,35-37).

Nach Markus wendet sich Jesus ganz allgemein an die zahlreiche Menschenmenge, die im Tempel versammelt war und ihn gerne hörte. Dabei zitiert er die Schriftgelehrten in deren Auslegung über die Herkunft und Identität des Messias.

Der Ev. Matthäus ergänzt: „Als aber die Pharisäer versammelt waren, fragte sie Jesus und sagte: Was meint ihr über den Christus? Wessen Sohn ist er?“ Gezielt stellt Jesus die Frage an die Pharisäer, aus deren Reihen haptsächlich die Schriftgelehrten kommen. Er fordert sie zum Nachdenken heraus. Anstatt aber nachzudenken und ganz neu zu überlegen, antworten sie prompt mit der Standartaussage ihrer Schriftgelehrten. „Sie sagten zu ihm: – Davids.Dabei stützte man sich wohl auf Aussagen wie zum Beispiel:

  • 2Sam7,11-14a: Wenn nun deine Zeit um ist und du dich zu deinen Vätern legst, will ich dir einen Nachkommen erwecken, der von deinem Leibe kommen wird; dem will ich sein Königtum bestätigen. Der soll meinem Namen ein Haus bauen, und ich will seinen Königsthron bestätigen ewiglich. Ich will sein Vater sein, und er soll mein Sohn sein.
  • Jeremia 23,5: „Siehe, es kommt die Zeit, spricht der HERR, dass ich dem David einen gerechten Spross erwecken will. Der soll ein König sein, der wohl regieren und Recht und Gerechtigkeit im Lande üben wird.“ (ähnlich auch Jer 33,15).

Wenn sie sich auf diese Aussagen stüzten, dann dachten sie auch nicht falsch, sogar der Engel Gabriel zitiert (wenn auch nur auszugsweise) die Verheißung aus 2Samuel 7,12-14 im Gespräch mit Maria (Lk 1,31ff). Doch bestimmte Schriftaussagen blieben den Schriftgelehrten in ihrer tiefen Bedeutung verborgen. Und darin offenbart sich die Weisheit Gottes in seinem Sohn, weil nur er imstande ist die göttlichen Gedanken Gottes, die unter der Oberfläche des Buchstabens verborgen lagen, ans Licht zu bringen (Mt 11,27). Dies trifft auch auf den von Jesus zitierten Psalm 110,1 zu. „Er sagte zu ihnen: Wie nennt ihn denn David im Geist (Mk: „im Heiligen Geist“) Herr, wenn er sagt:Der HERR sprach zu meinem Herrn: / »Setze dich zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde zum Schemel unter deine Füße legeWenn nun David ihn Herr nennt, wie ist er denn sein Sohn?“ (Mt 22,44-45). Des Rätsels Lösung ist für die Pharisäer nicht möglich, weil sie den Messias nur als einen irdischen, menschlichen Erlöser und König ansahen. Da Jesus sich bereits mehrmals in der Öffentlichkeit als Sohn Gottes zu erkennen gab (Joh 5,17-19; 10,30-36), tut er es an dieser Stelle nur indirekt. Sie sollen selber darüber nachdenken und ihre Erkenntnisse überprüfen. Weil niemand weitere Fragen stellt, bleint offen, inwieweit sie Jesus verstanden haben oder verstehen wollten.

ANMERKUNG: Damit der Bibelleser erkennen kann, an welcher Stelle in der hebräischen Bibel `JHWH` steht, schreiben einige deutsche Übersetzungen `HERR` mit Großbuchstaben, wo `Adonai` steht, mit `Herr` kleingeschrieben.

An dieser Stelle ist es dran über die Bedeutung und Inhalt der beiden Begriffe `HERR, bzw, Herr` aus Psalm 110,1  nachzudenken. In den griechischen Text des Neuen Testamentes in denen Psalm 110,1 zitiert wird, steht: „ei,pen o ku,rioj tw, kuriw, mou – eipen o kyrios tö kyriö mou – es sprach der Herr zu meinem Herrn“. Im hebräischen Text des Alten Testamentes stehen die Begriffe „נאם יהוה לאדני – spricht JHWH zu Adonai (meinem Herrn). Wie auch immer heute im Judentum `adonai` verwendet wird, die Übersetzer des hebräischen Alten Testamentes (der LXX) übersetzten `adonai` aus (Ps 110,1) mit `kyriö mou – zu meinem Herrn`. Und diese Übersetzung haben auch die neutestamentlichen Autoren übernommen (Mt 22,44; Mk 12,36; Lk 20,42; Apg 2,34).

ANMERKUNG: Nach 2Mose 6,3 war der Name Gottes JHWH den Vätern Abraham, Isaak und Jakob nicht offenbart. Wenn wir trotzdem diesen Namen im ersten Mosebuch vorfinden, dann war es Mose, der nachträglich die Urgeschichte aufgeschrieben hat. Erst dem Mose offenbarte sich Gott unter diesem Namen, so lesen wir in 2Mose 3,13-15: „Mose sprach zu Gott: Siehe, wenn ich zu den Israeliten komme und spreche zu ihnen: Der Gott eurer Väter hat mich zu euch gesandt!, und sie mir sagen werden: Wie ist sein Name?, was soll ich ihnen sagen?  Gott sprach zu Mose: Ich werde sein, der ich sein werde. Und sprach: So sollst du zu den Israeliten sagen: »Ich werde sein«, der hat mich zu euch gesandt. Und Gott sprach weiter zu Mose: So sollst du zu den Israeliten sagen: Der HERR (JHWH), der Gott eurer Väter, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks, der Gott Jakobs, hat mich zu euch gesandt. Das ist mein Name auf ewig, mit dem man mich anrufen soll von Geschlecht zu Geschlecht.“ Und etwas später lesen wir: „Da stieg der HERR in der Wolke herab, und er trat dort neben ihn und rief den Namen des HERRN aus. Und der HERR ging vor seinem Angesicht vorüber und rief: Jahwe, Jahwe, Gott, barmherzig und gnädig, langsam zum Zorn (großmütig) und reich an Gnade und Treue (Wahrheit).“ Mit seinem Namen offenbart Gott seine Wesenszüge.

Da man es im Judentum aus Angst vor Missbrauch vermied den Namen Gottes `JHWH` auszusprechen, verwendete man dafür die Anrede `Adonai`. So wundert es nicht, dass man im griechischen Alten Testament sowohl die Anrede (אדני – Adonai) als auch den Namen Gottes (יהוה – JHWH) mit `kyrios – Herr` übersetzte und sie damit in Bezug auf Gott gleichstellte. Daher werden sie auch als Synonyme verwendet. Hier einige Beispiele als Begründung.

  • 1Mose 15,2+8: „Abram sprach aber: „Herr HERR, (Adonai JHWH) was willst du mir geben?“ Oder: „Abram aber sprach: Herr HERR (Adonai JHWH), woran soll ich merken, dass ich’s besitzen werde?“ Zuerst kommt die ehrerbietende Anrede `mein Herr` und dann nennt er den Eigennahmen `JHWH`, dabei handelt es sich um dieselbe Person.
  • 1Mose 18,1: „Und der HERR (JHWH) erschien ihm bei den Terebinthen von Mamre“. 1Mose 18,2-3: „sobald er sie sah, lief er ihnen vom Eingang des Zeltes entgegen und verneigte sich zur Erde und sagte: Herr (Adonai – mein Herr), wenn ich denn Gunst gefunden habe in deinen Augen, so geh doch nicht an deinem Knecht vorüber!“ JHWH besucht Abraham im Hain Mamre (bei Hebron) in Begleitung zweier Boten. Abraham redet `JHWH` in Vers 3 mit `Adonai` an. Im folgenden Verlauf des Gesprächs (Verse 13,17.20.22.33) ist die von Abraham in Vers 3 angeredete Person immer `JHWH`. Es handelt sich hier um dieselbe Person. Jesus bestätigt, dass der Messias von Abraham gesehen wurde. In Johannes 8,53-59 fragen die Pharisäer Jesus: „Bist du etwa größer als unser Vater Abraham, der gestorben ist? Und die Propheten sind gestorben. Was machst du aus dir selbst? Jesus antwortete: Wenn ich mich selbst ehre, so ist meine Ehre nichts; mein Vater ist es, der mich ehrt, von dem ihr sagt: Er ist unser Gott.  Und ihr habt ihn nicht erkannt, ich aber kenne ihn; und wenn ich sagte: Ich kenne ihn nicht, so würde ich euch gleich sein: ein Lügner. Aber ich kenne ihn, und ich bewahre sein Wort. Abraham, euer Vater, jubelte, dass er meinen Tag sehen sollte, und er sah ihn und freute sich. Da sprachen die Juden zu ihm: Du bist noch nicht fünfzig Jahre alt und hast Abraham gesehen? Jesus sprach zu ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ehe Abraham war (wurde), bin ich.“ Das ist ein Hinweiss, dass der dem Abraham Erschienene `Herr` Christus war.
  • Jesaja 6,1: „Im Todesjahr des Königs Usija, da sah ich den Herrn (hebr.: אדני – Adonai) sitzen auf hohem und erhabenem Thron,“ Jesaja 6,3: „Und einer rief dem andern zu und sprach: Heilig, heilig, heilig ist der HERR  (hebr.: יהוה – JHWH) der Heerscharen!“ Jesaja 6,5: „Da sprach ich: Wehe mir, denn ich bin verloren. Denn ein Mann mit unreinen Lippen bin ich, und mitten in einem Volk mit unreinen Lippen wohne ich. Denn meine Augen haben den König, den HERRN (hebr.: יהוה – JHWH) der Heerscharen, gesehen.“ Jesaja 6,8: „Und ich hörte die Stimme des Herrn (hebr.: אדני – Adonai), der sprach: Wen soll ich senden, und wer wird für uns Bote sein.“ Zweimal wird dieselbe Person auf dem erhabenen Thron bei seinem Eigennamen (JHWH) genannt oder angerufen und zweimal einfach nur mit der ehrenvollen Anrede `Adonai`. In Johannes 12,39-41 bestätigt Jesus, dass Jesaja die Herrlichkeit (des Messias) gesehen hat: „(…). Dies sprach Jesaja, weil er seine Herrlichkeit sah und von ihm redete.“ (Jes 6,9-10). Da niemand jemals Gott gesehen hat, kann hier nur von dem Messias, dem Gottessohn die Rede sein (2Mose 33,20; Joh 1,18; 6,46; 1Joh 4,12; Röm 1,20; Kol 1,15; 1Tim 1,17; 6,15-16).
  • Psalm 8,1+9: „Dem Chorleiter. Nach der Gittit. Ein Psalm. Von David. HERR (JHWH), unser Herr (Adonai), wie herrlich ist dein Name auf der ganzen Erde, der du deine Hoheit gelegt hast auf den Himmel! Aus dem Munde der Kinder und Säuglinge hast du Macht gegründet wegen deiner Bedränger, um zum Schweigen zu bringen den Feind und den Rachgierigen. Wenn ich anschaue deinen Himmel, deiner Finger Werk, den Mond und die Sterne, die du bereitet hast: Was ist der Mensch, dass du sein gedenkst, und des Menschen Sohn, dass du dich um ihn kümmerst? Denn du hast ihn wenig geringer gemacht als Engel (hebr.: Elohim-Gott), mit Herrlichkeit und Pracht krönst du ihn. Du machst ihn zum Herrscher über die Werke deiner Hände; alles hast du unter seine Füße gestellt: Schafe und Rinder allesamt und auch die Tiere des Feldes, Vögel des Himmels und Fische des Meeres, was die Pfade der Meere durchzieht. HERR (JHWH), unser Herr (Adonai), wie herrlich ist dein Name auf der ganzen Erde!“ Die Aussage in Vers 3: „Aus dem Munde der Kinder und Säuglinge hast du Macht gegründet“, wird in Matthäus 21,16 von den Kindern im Tempel laut zur Ehre von Jesus, dem Sohn Davids gerufen. Und in Hebräer 2,5-10 wird dieser Psalm auszugsweise zitiert und ebefalls auf Jesus den Menschensohn gedeutet.

Natürlich wird die Bezeichnung `Adonai/Herr` auch allgemein für geachtete oder höhergestellte Personen, Könige, Statthalter Götter Engel verwendet.

  • 1Mose 18,12: Sara nennt ihren Mann Abraham `Adonai – mein Herr`;
  • 1.Mose 19,2: Lot redet die beiden Männer (Engelboten), mit `Adonai – meine Herren` an;
  • 1Mose 23,6-15: Efron, der Hetiter redet Abraham mit `Adonai – mein Herr` an, ebenso Abraham den Efron;
  • 1Mose 24,14; Elieser der Knecht spricht von Abraham als `Adonai – seinem Herrn`;
  • 1Mose 24,18: Rebekka nennt sogar Elieser den Knecht Abrahams mit `Adonai – mein Herr`;
  • 1Mose 31,35: Rahel nennt ihren Vater `Adonai – mein Herr`;
  • 2Mose 32,22: Aaron nennt seinen Bruder Mose `Adonai – mein Herr`.

Doch erst aus dem Kontext ist ersichtlich wer die mit `Adonai – mein Herr` angeredete Person gemeint ist. In seinem Status als souveräner König, hatte David außer Gott niemanden als höhere Autorität über sich, die er als `Adonai – mein Herr` bezeichnen brauchte. Gerade in diesem Fall wird Davids Anrede in Psalm 110,1: `Adonai – meinem Herrn` in der Würdigung des Gottessohnes gerecht.

Und damit auch niemand auf die Idee käme, den `Adonai – meinem Herrn` aus Psalm 110,1 auf einen der höchsten Engelfürsten zu beziehen, schreibt der Autor des Hebräerbriefes: „Denn zu welchem Engel hat Gott jemals gesagt (Psalm 2,7): »Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt«? Und wiederum (2. Samuel 7,14): »Ich werde sein Vater sein und er wird mein Sohn sein«? Und abermals, wenn er den Erstgeborenen einführt in die Welt, spricht er (Psalm 97,7): »Und es sollen ihn alle Engel Gottes anbeten.« Von den Engeln spricht er zwar (Psalm 104,4): »Er macht seine Engel zu Winden und seine Diener zu Feuerflammen«, aber von dem Sohn (Psalm 45,7-8): »Gott, dein Thron währt von Ewigkeit zu Ewigkeit, und das Zepter der Gerechtigkeit ist das Zepter deines Reiches. Du hast geliebt die Gerechtigkeit und gehasst die Ungerechtigkeit; darum hat dich, Gott, dein Gott gesalbt mit Freudenöl wie keinen deiner Gefährten.« Und (Psalm 102,26-28): »Du, Herr, hast am Anfang die Erde gegründet, und die Himmel sind deiner Hände Werk. Sie werden vergehen, du aber bleibst. Und sie werden alle veralten wie ein Gewand; und wie einen Mantel wirst du sie zusammenrollen, wie ein Gewand werden sie gewechselt werden. Du aber bist derselbe, und deine Jahre werden nicht aufhören.« Zu welchem Engel aber hat er jemals gesagt (Psalm 110,1): »Setze dich zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde zum Schemel unter deine Füße lege«? Sind sie nicht allesamt dienstbare Geister, ausgesandt zum Dienst um derer willen, die ererben sollen die Seligkeit?“ (Hebr 1,5-14).

Die Pharisäer sind verblüft, an solche Deutung hätten ihre Schriftgelehrten nie gedacht. Es bedurfte des Hinweises von Jesus, dass man sich über diese tiefe Bedeutung erstmals Gedanken machte. So wurndert auch die Reaktion der Pharisäer nicht „Und niemand konnte ihm ein Wort antworten und seit jenem Tag wagte niemand mehr ihn zu fragen.“ (Mt 22,46).

Mit dieser Fragestellung will Jesus keinesfalls seine irdische Herkunft schmälern oder gar verleugnen, stand es doch gar nicht zur Debatte und wurde auch von niemandem angezweifelt. Doch ihm war wichtig, dass die Juden die himmlische und göttliche  Herkunft des Messias erkennen und anerkennen. Denn von dieser Anerkennung im Glauben hing ihre Erlösung ab. „Denn Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit ihm selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung.“ (2Kor 5,19).

Bibeltexte, nach welchen die Würde des Vaters auch dem Sohn zukommt.

  • Der Ap. Paulus schreibt: „Und obwohl es solche gibt, die Götter genannt wrden, es sei im Himmel oder auf Erden, wie es ja viele Götter und viele Herren gibt, so haben wir doch nur einen (Zahlwort) Gott ((εἷς θεὸς – eis theos), den Vater, von dem alle Dinge sind und wir zu ihm, und einen (Zahlwort) Herrn (εἷς κύριος – eis kyrios), Jesus Christus, durch den alle Dinge sind und wir durch ihn.“ (1Kor 8,5-6).
  • 5Mose 10,17: „Denn der HERR, euer Gott, ist der Gott aller Götter und der Herr über alle Herren,“ 1Timotheus 6,15: „welche uns zeigen wird zu seiner Zeit der Selige und allein Gewaltige, der König aller Könige und Herr aller Herren,“
  • Offenbarung 17,14: „Die werden gegen das Lamm kämpfen, und das Lamm wird sie überwinden, denn es ist der Herr aller Herren und der König aller Könige, und die mit ihm sind, sind die Berufenen und Auserwählten und Gläubigen.“
  • Offenbarung 19,16: „und trägt einen Namen geschrieben auf seinem Gewand und auf seiner Hüfte: König aller Könige und Herr aller Herren.“

Fragen / Aufgaben:

    1. Welche Vorstellungen hatten die Juden über den Messias?
    2. Die Frage nach der Identität des von den Juden erwarteten Messias, war eine der die zentralsten im Judentum. Was hing damit alles Zusammen?
    3. Warum war und ist die Frage nach der Herkunft, bzw. Identität  des Messias so wichtig?
    4. Wie begründet Jesus seine göttliche Herkunft?
    5. Haben die ‚Pharisäer Jesus verstanden? Warum konnten sie nichts dagegen sagen?
    6. In welchem Zusammenhang steht die Anrede `Adonai – Herr` und der Name Gottes `JHWH` und wie werden diese verwendet?
    7. Warum ist es notwendig, dass wir Jesus sowohl als Menschensohn, als auch Gottesohn anerkennen?
    8. Wie begründest du deine Glaubensbeziehung zu Gott dem Vater und seinem Sohn Jesus Christus im Gespräch mit Zeugen Jehovas, mit Juden oder Moslems?

10.15 Weherufe über die Schriftgelehrten und Pharisäer

(Bibeltext: Mt 23,1-39)

Dieser Abschnitt gliedert sich in 4 Teile:

V.1-3a             Folgt den Schriftgelehrten und Pharisäern

  1. 3b-12 Die Sünden der Schriftgelehrten und Pharisäer
  2. 13-36 7 Weherufe gegen die Schriftgelehrten und Pharisäer
  3. 37-39 Trauer über Jerusalem

Jesus entwertet nicht die Worte der Gesetzestexte – diese sind zu folgen. Doch Jesus zeigt die Differenz zwischen Anspruch und Wirklichkeit auf. Die folgenden Vorwürfe von Jesus sind zusammenzufassen in:

– mangelnde Aufrichtigkeit

– mangelndes Mitgefühl

– mangelnde Demut

Aufgeladene Lasten erdrücken die Menschen, ohne dass ein Finger von den angeblichen Vorbildern gerührt wird. Der Unterschied zwischen der gezeigten öffentlichen Frömmigkeit und der wirklich gelebten ist zu offensichtlich. Die Suche nach Anerkennung und Ehre zeigt die tieferliegenden Motive auf.

Die 7 Weherufe erheben den Vorwurf, dass die Schriftgelehrten und Pharisäer:

– die Tür zum Himmelreich anderen verschließen

– die Proselyten verderben

– das Gebot vom Schwören auf den Kopf stellen

– die Rangfolge von Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Treue gegenüber dem Zahlen des Zehnten umkehren

– die Rituale gegenüber dem gelebten Glauben zu stark erhöhen

– das Glaubensleben immer mehr veräußerlichen

– in Bezug auf ihre Güte nicht sehen wollen, dass sie keineswegs besser sind als ihre Vorfahren, die Propheten töteten

Wie Johannes der Täufer (Mt 3,7) nennt Jesus seine Gegner Schlangen! Otternbrut!noch immer verführen sie zum Bösen. Das Gericht der Hölle (Gehenna = Aufenthaltsort der Bösen nach dem Gerichtstag) wartet auf sie. Jesus stellt die zeitgenössischen Frommen in eine Linie mit den Eiferern der alten Tage, die Propheten ermordeten. Den genauen Wortlaut, den Jesus hier ausspricht finden wir nicht im Alten Testament – doch Jesus verbindet die Vergangenheit mit der nahen Zukunft. Wieder werden die wahren Frommen aus blindem religiösem Eifer getötet, gekreuzigt, gegeißelt und verfolgt werden. Jesus zeigt auf, dass dies vom ersten Buch des Tenach (jüdischem ersten Testament mit der hebräischen Reihenfolge der Bücher) – also von 1. Mose (= Abel 1Mose 4,8)) – bis zum letzten Buch – also Buch der Chroniken (= Secharja 2Chr 24,20ff)  – so geschehen ist. Hier und in Sach 1,1 wird Secharja als Sohn des Berechjas genannt, doch in 2Chr als Sohn des Priesters Jojada. Dem Strom des Blutes wird nach den Worten von Jesus ein Gericht folgen.

Jesus sieht dieses Gericht und trauert über Jerusalem aus tiefem Herzen. Die Verdopplung im Trauerruf unterstreicht die Tiefe dieser Trauer. Jesus lässt mit dem genutzten Bild tief in seine eigenen Gefühle blicken: Er vergleicht sich mit einer Glucke, die ihre Küken um sich oder gar unter sich schart. … ihr habt nicht gewollt!

Das Haus „Jerusalem“ samt Tempel wird öde werden. Wenn Jesus sagt: „…von jetzt an…“ meint er tatsächlich die folgenden Tage der Passion bis zu seinem zweiten Wiederkommen (Offb 1,7!).

Fragen / Aufgaben:

  1. Vergleiche die Vorwürfe von Mt 23,34.35 mit Jer 7,25-29.
  2. Welche Propheten, Weisen und Schriftgelehrten sandte Jesus?
  3. Wo im Neuen Testament lesen wir von Menschen, die getötet, gekreuzigt, gegeißelt und verfolgt werden?
  4. In wieweit stehen wir unter den Sünden unserer Vorfahren?
  5. Wie verstehst du von Abel bis Secharja? Was weißt du über die jüdische Bibel?
  6. Jesus bezieht das eher weibliche Bild der Glucke auf sich – passt es zu einem Mann?
  7. Wie verhält es sich mit Willen Gottes und dem menschlichen Willen? Ist alles vorherrbestimmt (=qismet) oder gibt es ein Zusammenwirken von Gottes- und Menschenwillen?

10.16 Das Opfer der armen Witwe

(Bibeltext: Lk 21,1-4)

Noch in Arbeit

10.17 Die Ankündigung der Zerstörung Jerusalems

(Bibeltexte: Mt 24,1-44; lies auch Mk 13,1-33; vgl. Lk 21,5-33)

Dieser Text kann in in folgende Abschnitte eingeteilt werden:

– V. 1-3           Der Sitz im Leben – Einleitung

– V. 4-14         Die kommenden Ereignisse

– V. 15-28       Die weltweite Verkündigung und die große Trübsal

– V. 29-31       Das Zeichen des Sohnes am Himmel

– V. 32-35       Die Lehre des Feigenbaums

– V. 36-44       Der Aufruf zur Wachsamkeit

Abbildung 14 Vom Ölberg aus überblickt man das darunter liegende Kidrontal mit dem Garten Gethsemane, der Ostmauer und dem ehemaligen Tempelberg, in dessen Mitte heute der sogenannte Felsendom steht. Dahinter erstreckt sich die heutige Altstadt von Jerusalem (Foto: Juli 1994).

Wenige Tage vor dem – seinem – Passa verlässt Jesus den Tempel. Er befindet sich mit seinen Jüngern auf dem westlichen Abhang des Ölberges, von wo aus man den gesamten Tempelbereich überblicken kann. Die aus Galiläa stammenden Jünger sind beeindruckt vom Gebäude – doch Jesus sieht schon in die Zukunft und ist beeindruckt von der kommenden Zerstörung: nicht einer dieser massiven Steine wird auf dem anderen bleiben. Jesus geht weiter zum damals eher stillen Ölberg und setzt sich dort – wahrscheinlich mit Aussicht über das Tal auf den Tempelberg. Die Jünger Petrus, Jakobus, Johannes und Andreas (Mk 13,3) wagen es die Stille zu durchbrechen und fragen nach den Zeichen der Ankunft und Vollendung. Die Jünger fragen nach dem Ende der Zeit und dem Beginn der vollkommenen messianischen Herrschaft.

Jesus weist auf falsche Messiase (Apg 4,36f; 21,38) hin. Kriege sind nicht nur die Jüdischen Kriege der Jahre 66-70 n.Chr. Der göttliche Plan wird auch künftig in allen Wirren durch die kurzen Worte …es muss geschehen… . (Mt 22,6) ausgedrückt. Das Ende wird nicht durch Kriege gesetzt, sondern es sind schmerzhafte Wehen. Die kommenden Katastrophen wie Gesetzlosigkeit, Abtrünnigkeit, Verrat, gegenseitiger Hass, Irrglaube und Lieblosigkeit werden überhand nehmen. Die Treuen aller Zeiten werden dennoch gerettet werden. Die Verkündigung des Evangeliums, d.h. die Mission wird bis zum Ende ihren Platz haben.

Das Greuelbild der Verwüstung (aus Dan 9,27; 11,31) kann auf die römischen Standarten bei der Belagerung 68-70 n.Chr. hinweisen – hier wie an anderen Stellen wird gerne auf eine zweite oder dritte Erfüllung in einem „Endzeitfahrplan“ hingewiesen. Doch Jesus spricht hier nicht von verschiedenen zeitlichen Ebenen – wir haben den Eindruck der einen Ebene, die weniger die zeitlichen, sondern mehr die inhaltlichen Aspekte hervorheben. Manche Aspekte treffen auf die Zeit rund um 70 n.Chr. gut zu (Flucht vieler Christen aus Jerusalem nach Pella) andere sind kaum auf eine Zeitschiene zu legen, sondern haben sich in den Jahrhunderten zu verschiedenen Zeiten an verschiedenen Orten ereignet. Das Kommen des Herrn wird nicht lokalisierbar sein, sondern es wird jenseits von Raum und Zeit für alle sichtbar werden. Die große Trennung wird stattfinden – die einen werden in Trauer und Verzweiflung geraten, die anderen werden um Jesus gesammelt werden.

Jesus fährt fort mit dem Hinweis auf den wachsamen Hausherr der mit einem robusten Mandat versehen, sein Haus bewachen wird, denn er weiß zu welcher Nachtwache (Nachtzeitraum) der Dieb kommt. So wird auch die Zeit des Zweiten Kommens überraschend für viele kommen.

Deshalb seid auch ihr bereit!

Fragen / Aufgaben:

  1. Wie oft erwähnt Jesus ausdrücklich das irdische Israel in dieser Endzeitrede?
  2. Weist uns Jesus auf ausdrücklich auf unterschiedliche Zeitabschnitte hin? Wie sind die Worte: … es ist noch nicht das Ende; es ist der Anfang der Wehen; ausharren bis zum Ende; dann wird das Ende kommen; wenn ihr sehen werdet; und dann wird das Zeichen des Sohnes; erkennen, dass es nahe an der Tür ist; dies Geschlecht wird nicht vergehen, bis dies alles geschehen ist; von jenem Tag aber und jener Stunde weiß niemand; ihr wisst nicht an welchem Tag euer Herr kommt; in der Stunde in der ihr es nicht meint kommt der Sohn des Menschen zu verstehen? Können wir einen Fahrplan für die Endzeit aufstellen?
  3. Erwähnt Jesus ausdrücklich ein Tausendjähriges Reich? Erwähnt Jesus ausdrücklich einen Zweiten/Dritten Tempel?
  4. Was sagen wir zu Predigten, die uns das Zweite Kommen von Jesus als Zeitpunkt oder Zeitraum präzise angeben?
  5. Was bedeutet es heute „bereit“ zu sein? Welche plötzlichen Veränderungen stellen uns in das Licht der Ewigkeit?

10.18 Das Gleichnis von der Wachsamkeit

(Bibeltexte: Mt 24,45-51; lies auch Lk 12,42-46)

In diesem Gleichnis begegnet uns ein mit der Aufsicht betrauter Knecht (= Sklave). Er hat eine Vertrauensstellung inne. Sein Meister muss verreisen und vertraut ihm alles an. Er ist in besonderer Weise für das Wohlergehen der Mitknechte verantwortlich. Bei der unerwarteten Rückkehr seines Herrn von der Reise wird sich zeigen, ob er das Vertrauen seines Herrn wert ist: Glückselig jener Knecht, den sein Herr, wenn er kommt, bei solchem Tun finden wird! Oder ob er sich von der Verzögerung zu Nachlässigkeit, Terror und ausschweifendem Leben verleiten lässt. Aktiver dienender Gehorsam wird vom Meister erwartet (Röm 1,9; 2Tim 1,3). Auch die Belohnung ist bemerkenswert: noch mehr Verantwortung! Die Strafe dagegen unvorstellbar: in Stücke zerschnitten und mit den Heuchlern verbannt. Das raue römische Reich ist uns sehr fern!

Den Zuhörern ist die Bezeichnung der führenden Schicht des Volkes als Knechte Gottes geläufig. Auch die Schriftgelehrten sind die von Gott eingesetzten Verwalter, denen die Schlüssel des Himmelreichs anvertraut sind (Mt 23,14; Lk 11,52). Daher denken die Zeitgenossen beim Hören des Gleichnisses zuerst an die religiösen Leiter ihrer Zeit. Dieses Gleichnis hat seinen Platz in der Reihe der wiederholten Weckrufe von Jesus in Jerusalem. Die Rechenschaftsforderung steht bald an, bei der Gott prüfen wird, ob das gewährte Vertrauen gerechtfertig ist – oder missbraucht wird.

Fragen / Aufgaben:

  1. Welche Rolle wird Gemeindeleitern in diesem Gleichnis zu gedacht?
  2. Was wird von Leitern erwartet?
  3. Welche Art von Machtmissbrauch kann sich in eine Gemeindeleitung einschleichen?
  4. Werden wir den Lohn annehmen?
  1. Kennen wir zerrissene ehemalige Leiter?
  2. Wer kann mich für das Wohlergehen der Anvertrauten einsetzen?

10.19 Das Gleichnis von den zehn Jungfrauen

(Bibeltext: Mt 25,1-13)

Das Gleichnis ist eines der Gleichnisse mit dem typisch aramäischen Dativanfang: „Dem Königreich Gottes ist gleich….“ Der Vergleichspunkt sind nicht die Jungfrauen, sondern das Königreich Gottes wird mit einer Hochzeit verglichen. Von der Braut ist leider keine Rede.

Fünf der außerordentlich geehrten Brautmädchen haben als Kennzeichnung wenig schmeichelhaft den Begriff töricht. Dies wird im Gleichnis so erklärt: sie waren so kurzsichtig, nicht mit einer Verzögerung der Hochzeitsfeier zu rechnen und kamen deshalb nicht auf den Gedanken, dass sie Öl zum Nachtränken der Lampen/Fackeln nötig haben würden. Was für ein Alptraum für die jungen Mädchen! Die anderen Fünf haben für Ersatzöl gesorgt und werden als klug bezeichnet. Der Unterschied macht die persönliche individuelle Vorbereitung (Edersheim, V 453). In der Regel wird zurzeit von Jesus die Braut vom elterlichen Haus zum Haus der Sippe des Bräutigams „heimgeholt“. Dort hat der Bräutigam das Heim bereitet. Das Kommen des Bräutigams zum Haus der Braut ist eine der Schlüsselszenen einer Hochzeit. Sie und den Zug zum hochzeitlichen Baldachin vor dem Hochzeitshaus zu verpassen heißt die eigentliche Hochzeit zu verpassen. Zum Verständnis: Der Bräutigam kam pünktlich, denn er setzt die Zeit. Pünktlichkeit ist bis heute im Nahen Osten nichts Abstraktes, sondern personengebunden! Ich bin da, also fängt das Fest an – kann die Hauptperson sagen.

Das Gleichnis ist eines der Krisisgleichnisse. Der Hochzeitstag ist angebrochen, das Festmahl ist bereitet. Nur wer diesen Jubelklang, mit dem das Gleichnis in V. 1 beginnt, nicht überhört, kann den Ernst der Mahnung ermessen. Umso mehr gilt es jetzt sich auf die Sunde der Probe und der Trennung zu rüsten. Diese Stunde wird so plötzlich kommen wie der Bräutigam um Mitternacht. Wehe denen, die dann den Törichten gleichen und denen die Tür zur Hochzeitsfeier verschlossen bleibt (Jeremias 1998, 175). Natürlich ist eine verschlossene Tür während einer Hochzeitsfeier damals wie heute etwas dramatisch Auffallendes! Hier sprengt das Gleichnis die zeitgenössischen Vorstellungen einer turbulenten Hochzeit, bei er es ein ständiges Kommen und Gehen gibt. Auch werden bei dieser Hochzeit keine Fremden zugelassen – ja die zu spät gekommenen werden als unbekannte Fremde bezeichnet, denen der Zutritt verwehrt wird.

Die persönliche individuelle Nachlässigkeit oder Vorbereitung macht den Unterschied!

Fragen / Aufgaben:

  1. Wir als Gemeinde warten schon lange auf den „Bräutigam“ sind wir eingeschlafen?
  2. Wie können unsere persönlichen und individuellen Vorbereitungen aussehen?
  3. Wo erkennen wir nachlässige Oberflächlichkeit?
  4. Was zerstören wir mit unserer westlichen Besessenheit von angeblicher Pünktlichkeit?
  5. Warum werden wir alle vom Kommen des Herrn überrascht werden?
  6. Warum sind nur persönlich vorbereitete bekannte Gäste zugelassen?
  7. Auf was weist die Tür?

10.20 Das Gleichnis vom  anvertrautem  Geld

(Bibeltexte: Mt 25,14-30 lies auch Lk 19,12-25)

Beide Evangelisten arbeiten theologisch, in dem sie das jeweilige Gleichnis in eine Rahmenhandlung setzen. Uns erscheinen die beiden Gleichnisse in den Details so unterschiedlich, dass wir sie getrennt betrachten. Dennoch gibt es auch einige Übereinstimmungen.

In diesem Gleichnis haben wir die Geschichte von einem reichen, von seinen Knechten als rücksichtslos und habgierig gefürchteten Großkaufmann vor uns. Er beschließt eine weite Reise anzutreten. Selbst bei guter Planung ist die Rückkehr angesichts der unsicheren Wege und Transportmittel immer ungewiss. Er gibt dreien seiner verlässlichsten und gewissenhaftesten Knechte je 5, 2 und 1 Talent zur Nutzung. Der genaue Wert eines Talents schwankt zwar, aber wir gehen von 50.000, 30.000 und 10.000 Denare (= Tageslöhnen) aus. Er will entweder lediglich sein Geschäftskapital während seiner Abwesenheit nicht brachliegen zu lassen, oder darüber hinaus seine Knechte auf die Probe zu stellen. Auf jeden Fall fordert er bei der Rückkehr Rechenschaft. Die beiden treuen Knechte werden mit vermehrter Verantwortung belohnt. Der Ton liegt auf der Abrechnung mit dem dritten Knecht, der eine faule Ausrede vorbringt, er habe sein Geld aus ängstlicher Vorsicht ungenutzt vergraben, weil er die Raffgier seines Herrn kenne und befürchtet habe, dass dieser bei Misslingen der geschäftlichen Operationen in äußerste Wut über den Verlust des Geldes geraten würde. Vergraben war immerhin besser als das bloße Verstecken in einem Tuch (Lk 19,20).

Fragen ( Aufgaben:

  1. Auf welche Personen beziehen die Zuhörer diese Details?
  2. Was ist ihnen anvertraut: Gottes Wort,
  3. Wann werden die Zuhörer von Jesus Rechenschaft ablegen müssen?
  4. Dieser Weckruf wurde auch in der ersten Gemeinde gehört – gilt er auch uns?
  5. Welche Reaktionen zeigen wir?
  6. Welche Kräfte können und müssen wir noch mobilisieren?
  7. Wie sieht hier die Belohnung und Bestrafung aus?
  8. Warum bekommt derjenige der viel hat noch mehr? Gilt dies auch für den geistlichen Bereich?

10.21 Der wiederkommende König

(Bibeltext: Mt 25,31-46)

Jesus beschreibt das Kommen des Menschensohnes und sein Sitzen auf dem messianischen Herrlichkeitsthron. Jesus hat oft die Arbeit der Hirten vor Augen, wenn er in bilderreichen Gleichnissen tiefe theologische Aussagen macht. Die Sammlung der zerstreuten Herde ist Kennzeichen der Heilszeit (Joh 10,16). Hier verbindet es Jesus mit dem Gericht über alle Menschen. Der Erlöser ist der Hirte, der wie zurzeit von Jesus in Palästina nicht Schafe und Böcke (männliche und weibliche Tiere) trennt, sondern Schafe und Ziegen, die tagsüber in gemeinsamen Herden weiden, aber abends getrennt werden (Ziegen bedürfen nachts mehr Wärme als Schafe). Schafe sind die wertvolleren Tiere und ihre häufig weiße Farbe macht sie Gegensatz zu den meist dunkleren Ziegen zum Symbol der Gerechten. Die Trennung der beiden Tierarten ist bildet den Auftakt zum Weltgericht.

Ab Vers 34 wird nur die Urteilsverkündung geschildert. Das Kriterium des Gerichtsurteils werden sechs Liebeswerke sein. Diese Anzahl ist wohl eine Auswahl, die nicht erschöpfend sein will:

mich hungerte, und ihr gabt mir zu essen;

– mich dürstete, und ihr gabt mir zu trinken;

– ich war Fremdling, und ihr nahmt mich auf;

– ich war nackt, und ihr bekleidetet mich;

– ich war krank, und ihr besuchtet mich;

– ich war im Gefängnis, und ihr kamt zu mir.

Das letzte Liebeswerk findet sich nicht in jüdischen Aufzählungen ähnlicher Art. Im weiteren Verlauf des Gleichnisses wird deutlich, dass diese Liebestaten nicht Jesus persönlich getan wurden, sondern seinen Brüdern und dadurch ihm selbst. Dieser Gedanke findet sich schon in 5.Mo 15,7-11. Jesus meint hier mit den Brüdern nicht die Jünger, sondern tatsächlich irgendeinen der aller Geringsten Bedrängten und Notleidenden. Die Verurteilten haben gerade sie übersehen – für Luft geachtet. Ihnen wird nicht eine grobe Sünde vorgeworfen, sondern die Unterlassung der Liebestat.

Typisch Jesus: Er verheißt allen, die ihren Glauben im Alltag leben, freie Gnade. Hier ist den Gerechten noch nicht einmal die gute Tat für Jesus bewusst – denn auch sie fragen wo und wann sie Jesus Gutes taten. Ihnen begegnet im notleidenden Bruder/notleidenden Mitmensch der verborgene Christus. Hiermit jeder Gedanke an einen Heilsverdienst bei Seite geschoben. Das Gerichtskriterium ist das Liebeswerk. Die Scheidung wird in ewige Strafe (in seiner Schrecklichkeit beschrieben mit den Begriffen Feuer, Teufel und seinen Engeln) oder ewiges Leben erfolgen. Später wird Jakobus dieses wesentliche Gerichtskriterium als das königliche Gesetz bezeichnen (Jak 2,8).

Das tiefe Geheimnis dieser Liebe, die die gelebte Jüngerschaft bezeichnet, ist die Bereitschaft zur vorbehaltlosen Annahme und Vergebung des Nächsten. Er mag noch sehr von der Sünde gezeichnet sein – Christus ist sein Bruder. Die erfahrene Vergebung Gottes, die unsere Kriterien weit übersteigt, macht uns zu mutigen Menschen der Liebestaten.

Fragen ( Aufgaben:

  1. Ist die Botschaft von der Trennung der Menschen am Ende der Tage – Teil der frohen Botschaft?
  2. Jesus und die Hirten – was fand er bei ihrer Arbeit erwähnenswert?
  3. Welches der sechs Liebeswerke fällt leichter – welches haben wir fast vergessen?
  4. Warum fragt Jesus jeden von uns persönlich welches Liebeswerk er tut – warum nicht uns als Gemeinde oder gar als Gemeindebund? Warum delegieren wir diese Aufgaben gerne an andere weiter?
  5. Taugt „Liebe“ als Gerichtskriterium?
  6. Wer wird in diesem Gericht bestehen?
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GOLGATHA-Schädelstätte und die Begräbnisstätte

10.35 Golgatha

(Bibeltexte: Mt 27,32-56;  Mk 15,21-41;  Lk 23,27-49; Joh 19,17-37)

Wieder wird Jesus entkleidet – diesmal ziehen sie ihm das Purpurgewand aus (wahrscheinlich auch die Dornenkrone) – und sie ziehen dem wohl stark Geschwächten seine eigene Kleidung an. Nach römischem Recht müssen zwischen Urteil und Vollstreckung zwei Tage liegen – doch diese Regel scheint wie auch manch andere bei diesem Provinzprozess nicht beachtet zu werden. Der Verurteilte wird unter der Leitung von einem Centurion (Hauptmann über 100, bzw. 80 Soldaten), von vier Soldaten, die mit  Hammer, Nägeln, Holz und Nahrung für die Mannschaft zum Hinrichtungsplatz geführt.

10.35.1 Und Jesus trug sein Kreuz, oder war es Simon?

Der Ev. Johannes, der den Prozessverlauf am detailliertesten aufgezeichnet hat, schreibt: „Sie nahmen ihn aber und er trug sein Kreuz und ging hinaus zur Stätte, die da heißt Schädelstätte, auf Hebräisch Golgatha.“ (Joh 19,16b-17).

Der Text des Ev. Matthäus lautet: Und als sie hinausgingen, fanden sie einen Menschen aus Kyrene mit Namen Simon; den zwangen sie, dass er ihm sein Kreuz trug. (Mt 27,32). Der Ev. Markus ergänzt:  „(…) Simon von Kyrene, der vom Feld kam, den Vater des Alexander und des Rufus, dass er ihm das Kreuz trage (nachtrage).“ (Mk 15,21;  Lk 23,26).

Gelegentlich wird von Kritikern der Evangelien-Berichte in diesem Abschnitt ein Widerspruch gesehen und hervorgehoben. Dabei ist die Lösung des scheinbaren Widerspruchs so einfach. Zuerst trägt Jesus sein Kreuz selbst, wie es üblich war in solchen Fällen. Der Zug verlässt das Prätorium des Statthalters (ehemalige Residenz von Herodes dem Großen) in nördlicher Richtung. Dann verlassen sie die Stadt entweder im Westen (Genna-Tor) oder im Norden (Damaskus-Tor). Es geht bergauf. Jesus ist körperlich sehr geschwächt, nicht allein wegen der schlaflosen Nacht, sondern auch wegen den vielen körperlichen Misshandlungen. Wahrscheinlich bricht er unter der Last des Kreuzes zusammen. Da kommt es zur Begegnung mit Simon aus Kyrene (heute Libyen). Ungewöhnlicherweise kommt er am Festtag vom Feld her. Der Ev. Markus nennt die Namen seiner Söhne, die später in der Gemeinde bekannt sind (Mk 15,21;  Röm 16,13). Er wird von der Wachmannschaft gezwungen Jesus die Last des Kreuzes abzunehmen und für ihn und hinter ihm nachzutragen. Was für eine einmalige Erfahrung für Simon – das Kreuz von Jesus und für Jesus zu tragen! Eigentlich wäre ein anderer Simon dran gewesen dies zu tun. Die Treuebekundung wurde von jenem am Vorabend gemacht: „Er (Simon Petrus) aber sprach zu ihm: Herr, ich bin bereit, mit dir ins Gefängnis und in den Tod zu gehen.“ (Lk 22,33).

Diese römische Exekutionsart – Kreuzigung – eigentlich aus Phönizien importiert (https://de.wikipedia.org/wiki/Kreuzigung) – wird von Juden zutiefst verabscheut (5Mose 21,23;  Gal 3,13). Zwei weitere Verurteilte ebenfalls mit ihrer jeweiligen Wachmannschaft gesellen sich zu diesem traurigen Zug. Die Verurteilten haben üblicherweise das Holzkreuz oder ein Teil davon zu tragen. Es gibt drei Kreuzformen:

– das Andreaskreuz crux decussata (in X-Form)

– das T-Kreuz crux commissa

das Lateinische Kreuz crux immissa (in +-Form)

Wir denken mit Justin dem Märtyrer und Irenäus an die letzte Form. Hier ist dann auch Platz zur Anbringung der Tafel an der Spitze über dem Haupt des Gekreuzigten.

Fragen / Aufgaben:

  1. Simon – ein Beispiel für unfreiwillige Nachfolge.Was empfindet ein Mensch, wenn er zu etwas beschämendem gezwungen wird?
  2. Was erfahren wir über Simons Familie?
  3. Wofür steht das Kreuz als Symbol?
  4. Was bedeutet es für uns sein eigenes Kreuz auf sich zu nehmen und Jesus nachzutragen, nachzufolgen, wohin denn? Wie ist es, wenn uns ein fremdes Kreuz auferlegt wird und gibt es so etwas?
  5. Was ist der Unterschied zwischen: das Kreuz auf sich täglich zu nehmen (Lk 9,23) und: das Joch von Jesus auf sich zu nehmen (Mt 11,28-30)?

10.35.2 Jesus wendet sich an die weinenden Frauen

Es folgte ihm aber eine große Volksmenge und Frauen, die klagten und beweinten ihn. Jesus aber wandte sich um zu ihnen und sprach: Ihr Töchter von Jerusalem, weint nicht über mich, sondern weint über euch selbst und über eure Kinder. Denn siehe, es wird die Zeit kommen, in der man sagen wird: Selig (glückselig) sind die Unfruchtbaren und die Leiber, die nicht geboren haben, und die Brüste, die nicht genährt haben! Dann werden sie anfangen zu sagen zu den Bergen: Fallt über uns!, und zu den Hügeln: Bedeckt uns! Denn wenn man das tut am grünen Holz, was wird am dürren werden? (Lk 23,27-31).

Der Evangelist Lukas erwähnt eine Menschenmenge – besonders Frauen, die Jesus klagend und weinend durch die Stadt bis zum Hinrichtungsplatz vor die Stadt hinausbegleiten. Es sind sehr oft gerade Frauen, die in der Geschichte eine viel größere Offenheit gegenüber Jesus und dem Evangelium zeigen. Sie zeigen keine Angst vor den Gegnern Jesu und schreiten mutig weinend und klagend in Hörweite hinter Jesus her. Gerade für sie hat Jesus eine besondere Botschaft. Er bleibt stehen und wendet sich um. Der gesamte Zug kommt ins Stocken. Ungewöhnlich, doch aus seiner Person geht eine Würde und Autorität hervor, der sich die Gegner nicht widersetzen vermögen. Seine Worte haben prophetischen Inhalt und korrigieren die falsche Denkweise der Frauen. Nicht er soll bemitleidet werden, sondern sie sind mit ihren Kindern die Beklagenswerten. Wegen der Verwerfung des Messias, kommt nicht nur Zorn über dies Volk, sondern auch die Unbeteiligten werden unter den Folgen leiden müssen. Die Prophetie, die Jesus hier ausspricht, ist in Teilen nicht ganz neu. Schon der Prophet Hosea schrieb ähnliche Worte Gottes für seine Generation auf:

Die Höhen des Frevels werden verwüstet, auf denen sich Israel versündigte; Dornen und Disteln wachsen auf ihren Altären. Dann werden sie sagen zu den Bergen: Bedeckt uns!, und zu den Hügeln: Fallt über uns! Israel, du hast seit den Tagen von Gibea gesündigt; dabei sind sie geblieben. (Hosea 10,8-9).

Die Prophetie von Jesus bezieht vordergründig auf die nähere Zukunft – die Zerstörung Jerusalems und das große Leid, welches insbesondere schwangere und stillende Frauen treffen wird (Mt 24,19). „Weh aber den Schwangeren und den Stillenden in jenen Tagen! Denn es wird große Not auf Erden sein und Zorn über dies Volk kommen.“ (Lk 21,23). In der Tat haben die Bürger von Jerusalem ab dem jüdischen Aufstand im Jahre 66 und während der dreijährigen Belagerung und bis zur endgültigen Eroberung durch die Römer im Jahre 70 unbeschreibliche Not erlitten. Die Prophetie, die Jesus hier ausgesprochen hatte, erfüllte sich. Doch der Inhalt ist weitreichender Natur, da sich diese Aussage zu verschiedenen Zeiten immer wieder erfüllt. Wie der Text in Offenbarung 6,14-17 deutlich macht:

Und der Himmel wich wie eine Schriftrolle, die zusammengerollt wird, und alle Berge und Inseln wurden wegbewegt von ihren Orten. Und die Könige auf Erden und die Großen und die Obersten und die Reichen und die Gewaltigen und alle Sklaven und alle Freien verbargen sich in den Klüften und Felsen der Berge und sprachen zu den Bergen und Felsen: Fallt über uns und verbergt uns vor dem Angesicht dessen, der auf dem Thron sitzt, und vor dem Zorn des Lammes! Denn es ist gekommen der große Tag ihres Zorns und wer kann bestehen?

Nach dieser eindringlichen Botschaft schreitet Jesus weiter hinauf zur Felskuppe genannt `Schädel-Stätte`, Hebräisch: `Golgotha`, Griechisch: `Κρανίου Τόπος`, hinter ihm Simon mit dem Kreuz. Der genaue Ort von Golgatha und der Kreuzigung bleibt wohl unbekannt, sicher aber ist er:

  • außerhalb der Stadtmauern von Jerusalem (Mt 28,11;  Hebr 13,12),
  • in der Nähe der Stadt (Mt 27,38),
  • in der Nähe von Gärten, Gräbern (Joh 19,41),
  • und in der Nähe einer Straße (Mt 27,39).

Als wahrscheinlich wird Golgatha in der Gegend um die sogenannte Grabeskirche lokalisiert. Dieser Ort gilt seit Konstantin dem Großen (1. Hälfte des 4. Jahrhunderts) als der Ort der Kreuzigung, Grablegung und Auferstehung von Jesus. Wahrscheinlich gab es davor auch schon eine lokale Tradition, auf die man sich damals stützte.

Fragen / Aufgaben:

  1. Was drücken die klagenden Frauen Jerusalems aus? Warum nur Frauen?
  2. Was ist der Inhalt der Botschaft an die Frauen?
  3. Was meint Jesus mit dem „grünen“ und dem „dürren“ Holz?
  4. Wo erfüllten sich die Worte von Jesus in der Geschichte Israels? Wo und wie zu anderen Zeiten?

10.35.3 Jesus wird gekreuzigt und verspottet

(Bibeltexte: Mt 27,33-56;  Mk 15,22-41;  Lk 23,33-49;  Joh 19,18-37)

Der Ev. Lukas schreibt:

Es wurden aber auch andere hingeführt, zwei Übeltäter, dass sie mit ihm hingerichtet würden. Und als sie kamen an die Stätte, die da heißt Schädelstätte, kreuzigten sie ihn dort und die Übeltäter mit ihm, einen zur Rechten und einen zur Linken. Jesus aber sprach: Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun!] Und sie verteilten seine Kleider und warfen das Los darum. Und das Volk stand da und sah zu. Aber die Oberen spotteten und sprachen: Er hat andern geholfen; er helfe sich selber, ist er der Christus, der Auserwählte Gottes. Es verspotteten ihn auch die Soldaten, traten herzu und brachten ihm Essig und sprachen: Bist du der Juden König, so hilf dir selber! (Lk 23,32-37).

Und der Evangelist Markus hält fest, wann Jesus gekreuzigt wurde: „Und es war die dritte Stunde, als sie ihn kreuzigten.“ (Mk 15,25; vgl. Vers 33-34. 42). Die dritte Stunde bedeutet bei Markus etwa 9 Uhr morgens. Der Evangelist Johannes bemerkt: „Pilatus aber schrieb eine Aufschrift (gr. τίτλος – titlos) und setzte sie auf das Kreuz; und es war geschrieben: Jesus von Nazareth, der Juden König. Diese Aufschrift lasen viele Juden, denn die Stätte, wo Jesus gekreuzigt wurde, war nahe bei der Stadt. Und es war geschrieben in hebräischer, lateinischer und griechischer Sprache.“ (Joh 19,19-20).

Es fällt auf, dass die Evangelisten nur wenige Einzelheiten zur Kreuzigung aufgeschrieben haben. In Psalm 22 steht geschrieben: „Ich bin ausgeschüttet wie Wasser, / alle meine Gebeine haben sich zertrennt; mein Herz ist in meinem Leibe wie zerschmolzenes Wachs. Meine Kräfte sind vertrocknet wie eine Scherbe, / und meine Zunge klebt mir am Gaumen, und du legst mich in des Todes Staub. Denn Hunde haben mich umgeben, / und der Bösen Rotte hat mich umringt; sie haben meine Hände und Füße durchgraben. Ich kann alle meine Gebeine zählen; sie aber schauen zu und weiden sich an mir.“ (Psalm 22,15-18). Beachten wir auf der einen Seite die verbalen Bemerkungen der Vorübergehenden und anschließend der Obersten aus dem Volk, der Schriftgelehrten, Hohenpriester und der Ratsmitglieder. Durch ihren Spott, Schmähung, Lästerung und Hohn wollen sie absichtlich Jesus weh tun, ihn erniedrigen und verletzen. So schreibt der Evangelist Markus:

Und die vorübergingen, lästerten ihn und schüttelten ihre Köpfe und sprachen: Ha, der du den Tempel abbrichst und baust ihn auf in drei Tagen, hilf dir nun selber (Mt: wenn du Gottes Sohn bist) und steig herab vom Kreuz! Desgleichen verspotteten ihn auch die Hohenpriester (Mt: mit den Ältesten) untereinander samt den Schriftgelehrten und sprachen: Er hat andern geholfen und kann sich selber nicht helfen. Ist er der Christus,(Lk: der Auserwählte Gottes) der König von Israel, so steige er nun vom Kreuz, damit wir sehen und glauben. (Mt: Er hat Gott vertraut; der erlöse ihn nun, wenn er Gefallen an ihm hat; denn er hat gesagt: Ich bin Gottes Sohn). Und (Mt: die Räuber) die  mit ihm gekreuzigt waren, schmähten ihn auch. (Mk 15,29-32; Mt 27,39-44; Lk 23,35).

Wir werden an die prophetischen Worte aus Psalm 22,8-9 erinnert: „Alle, die mich sehen, verspotten mich, sperren das Maul auf und schütteln den Kopf: »Er klage es dem HERRN, der helfe ihm heraus und rette ihn, hat er Gefallen an ihm

Der Apostel Petrus schrieb später im Rückblick über das Verhalten von seinem Herrn am Kreuz folgende Worte:

(…) er, der keine Sünde getan hat und in dessen Mund sich kein Betrug fand; der nicht widerschmähte, als er geschmäht wurde, nicht drohte, als er litt, er stellte es aber dem anheim, der gerecht richtet; der unsre Sünde selbst hinaufgetragen hat an seinem Leibe auf das Holz, damit wir, der Sünde abgestorben, der Gerechtigkeit leben. Durch seine Wunden seid ihr heil geworden.d. (1Petr 2,22-24).

Fragen / Aufgaben:

  1. An welchem Wochentag und um welche Uhrzeit wurde Jesus gekreuzigt?
  2. Wie verhalten sich die Hohenpriester und Ältesten gegenüber dem leidenden Jesus?
  3. Wie lautete die Aufschrift, welche Pilatus schrieb und über dem Haupt von Jesus anbringen ließ?
  4. Warum lehnt Jesus den von den Soldaten angebotenen Weinessig mit der Myrrhe-Mischung ab?
  5. Warum sind die Evangelisten so zurückhaltend mit Einzelheiten über den Kreuzigungsvorgang? Was bedeutet es für uns?

10.35.4 Die Soldaten teilen die Kleider von Jesus unter sich auf

Es verspotteten ihn auch die Soldaten, traten herzu und brachten ihm Essig und sprachen: Bist du der Juden König, so hilf dir selber! (Lk 23,36-37).

Die Soldaten sind ja Zeugen geworden vom Prozess vor Pilatus und waren beteiligt bei der anschließenden Geißelung im Palasthof des Statthalters. Daher auch ihre Verspottung mit diesen Worten. Die Evangelisten halten zwei spezifische Handlungen der Soldaten fest.

Erste Handlung der Soldaten

Sie geben Jesus Wein mit Myrrhe gemischt zu trinken, doch er nimmt es nicht an  (Mk 15,23). Der Evangelist Matthäus schreibt: „gaben sie ihm Wein zu trinken mit Galle vermischt; und da er’s schmeckte, wollte er nicht trinken.“ (Mt 27,34). Dies könnte eine Anlehnung an Psalm 69,22 sein, dort heißt es: „Sie geben mir Galle (gr. colh/j –cholès) zu essen und Essig zu trinken für meinen Durst.“ Myrrhe wird von dem Myrrhe Strauch gewonnen, hat eine gelb-braune Farbe und bitteren Geschmack, wahrscheinlich auch deswegen von dem Evangelisten Matthäus als Galle bezeichnet. Wem Markus von Wein und Matthäus von Essig spricht, so wird es sich bei diesem Getränk wohl um Weinessig handeln. Vielleicht war es üblich, dass den Verurteilten dieses Getränk als eine Art Betäubungsmittel angeboten wurde. Doch Jesus lehnt es ab, zum einen will er ein ganz klares Denken bis zum Ende bewahren und zum anderen will er selber festlegen, wann er etwas Trinkbares zu sich nehmen will.

Zweite Handlung der Soldaten

Der Evangelist Johannes, der nahe am Kreuz, an der Seite der Maria stand,  hat weitere Einzelheiten festgehalten, wenn er schreibt:

Die Soldaten aber, da sie Jesus gekreuzigt hatten, nahmen seine Kleider  und machten vier Teile, für jeden Soldaten einen Teil, dazu auch den Rock. Der aber war ungenäht, von oben an gewebt in einem Stück. Da sprachen sie untereinander: Lasst uns den nicht zerteilen, sondern darum losen, wem er gehören soll. So sollte die Schrift erfüllt werden, die sagt (Psalm 22,19): »Sie haben meine Kleider unter sich geteilt und haben über mein Gewand das Los geworfen.« Das taten die Soldaten.“ (Joh 19,23-24).

Jesus trug ein Obergewand, welches recht umfangreich gewesen sein musste, da es sich in vier Teile teilen ließ. Dieses Obergewand (gr. imatia) legte er bei der Fußwaschung seiner Jünger ab und umgürtete sich mit einem Lendenschurz (lention Joh 13,4). Den sehr wertvoll gearbeiteten Rock (gr. chitœna) trug Jesus unter dem Obergewand. Sehr wahrscheinlich trugen die Juden auch einen Lendenschurz unter dem Rock. So lesen wir in 2Mose 28,42 von der Bekleidung der Priestersöhne: „Und du sollst ihnen leinene Beinkleider machen, um ihre Blöße zu bedecken, von den Hüften bis an die Schenkel.“

In dem Zusammenhang könnten auch die Aussagen über `Nacktsein` in Markus 14,51-52 und Johannes 21,7 verstanden werden. Der Evangelist Johannes schreibt am Ende dieses Vorgangs: „Das taten die Soldaten“. Sie hatten keine Ahnung, dass ihr Vorgehen bereits eintausend Jahre vorher prophezeit wurde. Gott weiss im voraus, was Menschen tun werden. Und seine Voraussagen haben einen bestimmten Zweck, sie sollen den Glauben und das Vertrauen in Gott stärken. So sagte Jesus in Johannes 13,19: „Jetzt sage ich’s euch, ehe es geschieht, damit ihr, wenn es geschehen ist, glaubt, dass ich es bin.“ Von den Soldaten heißt es danach: „Und sie saßen da und bewachten ihn.“ (Mt 27,36).

Das versammelte Volk aber schaute zu. Ein Großteil des versammelten Volkes war seit den frühen Morgenstunden bereits beim Prozess dabei gewesen. Doch es kamen noch viele hinzu, so lesen wir, dass das Volk zu Pilatus hinaufging, um ihn nach der Freilassung eines Gefangenen zu bitten (Mk 15,8)

Fragen / Aufgaben:

  1. Was tun die Soldaten und was erfüllte sich durch ihre Handlung?
  2. Wie verhält sich die dabeistehende Volksmenge? Sind es nur Schaulustige und Befürworter der Hinrichtung von Jesus?

10.35.5 Jesus: Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun

Von den sogenannten sieben Worten, bzw. Aussagen Jesu am Kreuz lautet das erste: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Für wen tritt er da in seiner Fürbitte ein? Die hier Handelnden sind ja vordergründig die römischen Soldaten, verständlich, dass sie nicht oder vielleicht nur wenig Ahnung von ihrem Unrecht haben. Aber bittet Jesus auch für die Spötter unter der Ältestenschaft Israels und für das schaulustige Volk? Ja, sicher schließt er in seiner Fürbitte niemand aus. Bereits der Prophet Jesaja sagte vom leidenden Messias voraus: „(…) den Übeltätern gleichgerechnet ist und er die Sünde der Vielen getragen hat und für die Übeltäter gebeten.“ (Jes 53,12b). Und damit bekräftigt und erfüllt er selbst, was er seinen Nachfolgern bereits zu Beginn seines Dienstes aufgetragen hat zu tun: „segnet, die euch verfluchen; bittet für die, die euch beleidigen.“ (Lk 6,28). Oder in Matthäus 5,44-45: „Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen, auf dass ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel. Denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.“

  • Damit siegt er über das Böse
  • und bietet den Übeltätern Raum zur Umkehr (1Petr 3,9; Röm 12,21; Röm 2,4).
  • Damit besiegt er auch den Bösen. Welch eine göttliche Einstellung und Haltung?

Während Jesus am Kreuz hing, erfüllte sich auch, was er bereits zu Beginn seines Dienstes bei seinem ersten Jerusalembesuch gesagt hatte:

Und wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, damit alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben. Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn gerettet werde. (Joh 3,15-17).

Und zum Ende seines Dienstes, ebenfalls in Jerusalem, zeigte er dem gesamten Volk an, welchen Todes er sterben würde.

Und ich, wenn ich erhöht werde von der Erde, so will ich alle zu mir ziehen. Das sagte er aber, um anzuzeigen, welchen Todes er sterben würde. Da antwortete ihm das Volk: Wir haben aus dem Gesetz gehört, dass der Christus in Ewigkeit bleibt; wieso sagst du dann: Der Menschensohn muss erhöht werden? Wer ist dieser Menschensohn? (Joh 12,32-34).

Die Antwort auf ihre Frage bekamen die Menschen nach nur wenigen Tagen. So erkennen wir auch, dass Jesus es mit seinen Voraussagen den Menschen leicht gemacht hat zu glauben. Denn zwischen der Voraussage und der Erfüllung lag nur eine kurze Zeitspanne, so dass die meisten von ihnen die Erfüllung miterleben konnten. Und schon bald werden wir sehen, wie seine Fürbitte geistliche Frucht brachte, indem Menschen umkehrten und ihn als Retter/Erlöser und Christus annahmen.

Fragen / Aufgaben:

  1. Wie reagiert Jesus auf den Spott und die Schmähungen der Obersten des Volkes und der Soldaten?
  2. Was motiviert ihn so zu reagieren und was erreicht er damit?
  3. Welche Voraussage von Jesus erfüllte sich, als er am Kreuz hing?

10.35.6 Jesus: Heute wirst du mit mir im Paradies sein

(Bibeltexte: Lk 23,39-43; Mt 27,44; Mk 15,32)

Der Ev. Lukas schreibt: „Und als sie kamen an die Stätte, die da heißt Schädelstätte, kreuzigten sie ihn dort und die Übeltäter mit ihm, einen zur Rechten und einen zur Linken (Joh: Jesus aber in der Mitte).“ (Lk 23,33; Joh 19,18). Auch hier setzt sich fort, was Jesus bereits am Vorabend in einem anderen Zusammenhang gesagt hatte: „Denn ich sage euch: Es muss das an mir vollendet werden, was geschrieben steht.“ (Jesaja 53,12): »Er ist zu den Übeltätern gerechnet worden.« Denn was von mir geschrieben ist, das wird vollendet“ (Lk 22,37). Die Evangelisten Matthäus und Markus schildern die Reaktion der Mitverurteilten nur mit einer pauschalen Bemerkung. „Desgleichen schmähten ihn auch die Räuber, die mit ihm gekreuzigt waren.“ (Mt 27,44;  Mk 15,32). Dies muß wohl am Anfang gewesen sein. Aber nach und nach erkennt der eine Verurteilte, wer Jesus wirklich ist. Und er ändert seine Gesinnung und auch seine Worte. Der Evangelist Lukas berichtet ausführlich vom Gespräch unter den Todeskandidaten, während ihrer extremen Schmerzen.

Aber einer der Übeltäter, die am Kreuz hingen, lästerte ihn und sprach: Bist du nicht der Christus? Hilf dir selbst und uns! Da wies ihn der andere zurecht und sprach: Und du fürchtest dich auch nicht vor Gott, der du doch in gleicher Verdammnis bist? Wir sind es zwar mit Recht, denn wir empfangen, was unsre Taten verdienen; dieser aber hat nichts Unrechtes getan. Und er sprach: Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst! Und Jesus sprach zu ihm: Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein. (Lk 23,39-43).

Der eine schließt sich der Lästerung der Hohenpriester, Schriftgelehrten und Ältesten an (Mt 27,41-44) – wissend, dass sie beide als Mitverurteilte schuldig sind, während Jesus unschuldig ist. Dies bringt der andere Verurteilte zum Ausdruck: „dieser aber hat nichts Unrechtes getan.“ (Lk 23,41). Jesus stirbt nicht für ein Verbrechen, noch für eine politischen Bewegung, sondern weil er die Erfüllung der Verheißungen Israels für sich beansprucht. Dies verstehen Menschen meist nur sehr langsam – doch der andere Verurteilte versteht dies plötzlich glasklar: der mit ihm verurteilte Jesus erträgt die Kreuzigung in dieser Weise – weil er der verheissene Messias/Herr ist! Nur er kann im ersten grausamen Schmerz für die Peiniger beten! Nur er kann die Schmähungen so ertragen! Hier kann er sein Erkennen nur noch in diese kurze Bitte fassen: „Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst!“

  • Der Mitverurteilte ist sich seiner Schuld bewusst und er bekennt sie auch öffentlich;
  • Der Mitverurteilte erkennt die königliche und göttliche Gestalt von Jesus an, dessen tiefste menschliche Herabsetzung!.
  • Er erkennt Jesus als den König Israels an und zwar nicht auf dem Thron, wie ihn Zeitgenossen erwarteten, sondern am Kreuz.
  • Der Mitverurteilte spricht von dem zukünftigen, doch Jesus antwortet mit dem Heute!
  • Der Mitverurteilte spricht vom Reich – doch Christus spricht vom Paradies in dem beide sein werden. Paradies (gr. παράδισος – paradisos) ist demnach eine auserirdische und zwar göttliche Sphäre in die Jesus bei seinem Tod hineinging und aus der er bei seiner Auferstehung mit einem verklärten Leib hervorging und seinen Jüngern 40 Tage lang erschien bevor er gen Himmel aufgenommen wurde. Es ist demnach auch die Sphäre. in der die verstorbenen Gläubigen die Auferstehung des Leibes erwarten.

Christus lenkt weg von materiellen, diesseitigen Erwartungen, hin zu den tröstenden geistlichen Dimensionen. Nach der Vergebung der Sünden ist für jeden Gläubigen die Tür zum ewigen Himmelreich offen.

Fragen / Aufgaben:

  1. Erkläre die Unterschiede zwischen den Mitverurteilten? Für welche Gruppen stehen sie heute?
  2. Was ist die „Schächer-Gnade“ – die Gnade kurz vor dem Tod zum Glauben zu kommen?
  3. Welche Botschaft hat Jesus für alle Sünder, die nichts mehr gut machen können?
  4. Was ist die Botschaft für den Mitverurteilten, der seine Schuld einsieht, bekennt und um Gnade bittet?
  5. Was ist wichtig für unsere Seelsorge an Sterbebetten?

10.35.7 Jesus: Frau, das ist dein Sohn

Alle vier Evangelisten berichten vom Mut der Frauen, die Jesus bis in die Nähe des Kreuzes begleiten. Der Evangelist Lukas schreibt allgemein: „Es standen aber alle seine Bekannten (Verwandten) von ferne, auch die Frauen, die ihm aus Galiläa nachgefolgt waren, und sahen das alles.“ (Lk 23,49). Wir müssen bedenken, dass in dieser Phase die Brüder (Halbbrüder) Jesu von dessen besonderer Sendung noch nicht überzeugt waren (Joh 7,1-5). Der Evangelist Johannes schreibt daher über eine kleinere Gruppe von Frauen, die in Begleitung von Johannes in unmittelbarer Nähe zum Kreuz standen: „Es standen aber bei dem Kreuz Jesu seine Mutter und seiner Mutter Schwester, Maria, die Frau des Klopas, und Maria von Magdala.“ (Joh 19,25). Von den vielen Frauen werden vier namentlich genannt:

  1. Die Mutter von Jesus (Joh 19,25;  Mk 15,40). Markus nennt die Mutter Jesu auch als Mutter des Jakobus des kleinen und des Joses (zwei der vier Halbbrüder von Jesus).
  2. Die Schwester seiner Mutter, wahrscheinlich Salome: Ehefrau des Zebedäus und Mutter von Jakobus und Johannes, so der Vergleich von Johannes 19,25 mit Markus 15,40: „(…) unter ihnen Maria von Magdala und Maria, die Mutter Jakobus‘ des Kleinen und des Joses, und Salome.“ (Vgl. auch mit Mt 27,56).
  3. Maria des Kleopas Frau (Joh 19,25). Wahrscheinlich handelt es sich um den Kleopas aus dem Ort Emmaus (Lk 24,18).
  4. Maria aus Magdala ((Joh 19,25;  Mk 15,40;  Mt 27,56).

Wir können uns vorstellen, dass Johannes Jesus in der Nacht (im Gegensatz zu Petrus und den anderen Jüngern) nicht verlassen hat. Dass er noch in der Nacht oder früh am Morgen die Frauen über die Ereignisse während der Nacht informiert hat. Nur so können wir die Präsenz der Frauen am Kreuz erklären. Johannes steht also an der Seite der Frauen, dicht vor dem Kreuz und so erleben sie die besondere Fürsorge des leidenden Jesus. „Als nun Jesus seine Mutter sah und bei ihr den Jünger, den er lieb hatte, spricht er zu seiner Mutter: Frau, siehe, das ist dein Sohn! Danach spricht er zu dem Jünger: Siehe, das ist deine Mutter! Und von der Stunde an nahm sie der Jünger zu sich.“ (Joh 19,26). Selbstvergessen spricht Jesus aus einer göttlichen Ruhe und ordnet seine Familie neu. Er weiß um die prophetische Aussage des Simeon in Bezug auf Maria – seine Mutter und kennt den Schmerz ihres Herzens (Lk 2,35:  „(…) – und auch durch deine Seele

wird ein Schwert dringen, damit vieler Herzen Gedanken offenbar werden.“). Darum befiehlt er seine Mutter der besonderen Pflege und Aufmerksamkeit durch seinen Lieblingsjünger Johannes. Neffe und Tante sollen in einem besonderen Verhältnis stehen.  Dies löst nicht die Pflichten der anderen Geschwister – sondern erweitert die Verantwortung des Johannes. Dieser ist zur bestimmten Zeit am richtigen Ort. Dass Jesus seine Mutter mit `Frau` anredet, soll uns nicht befremden, redete er sie doch schon am Anfang seines öffentlichen Wirkens so an (Joh 2,4). Trug sie für ihn doch nur eine bestimmte Zeit die Verantwortung und zwar für sein irdisches Wohlbefinden. Sie ist begnadet, Mutter des Menschensohnes zu sein. Ihre Seligkeit (Errettung/Erlösung) erhielt sie durch Glauben aufgrund von Gnade (Lk 1,38. 45).

Fragen / Aufgaben:

  1. Was bewegt die vier Frauen Jesus bis ans Kreuz zu begleiten? Was wissen wir von ihnen?
  2. Was bewegt Johannes allein von allen Jüngern Jesus bis ans Kreuz zu begleiten?
  3. Was drückt Jesus aus, als er seine Beziehung zu seiner Mutter neu ordnet?
  4. Was empfand Maria, die Mutter von Jesus in diesen Stunden? Hatte sie schon früher so etwas geahnt?

10.35.8 Das Phänomen der Finsternis

Der Evangelist Matthäus schreibt dazu: „Und von der sechsten Stunde an kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde.“ (Mt 27,45; Ähnlich auch der Evangelist Markus: „Und zur sechsten Stunde kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde.“ (Mk 15,33). Der Evangelist Lukas ergänzt ein wenig mit der Aussage: „Und es war schon um die sechste Stunde, und es kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde und die Sonne verlor ihren Schein.“ (Lk 23,44-45a).

Dieses Ereignis war kein Naturphänomen, welches sich gelegentlich oder in regelmäßigen Abständen in der Natur ereignet. Die sogenannte totale Sonnenfinsternis, wie wir sie in unregelmäßigen Abständen auf der Erde beobachten können, bei der sich der Mond vor die Sonne schiebt, dauert nur etwa 7-8 Minuten. Dabei wird es keineswegs ganz finster. Die Finsternis am Freitag, des 14. Nisan (3. April 33) war die Folge des außerordentlichen Eingreifens Gottes in die Naturgesetze, ähnlich wie es in Ägypten zur Zeit Moses geschehen war (2Mose 10,21-23). Dort dauerte die totale Finsternis drei Tage und war lokal, auf das von den Ägyptern bewohnte Territorium beschränkt.

Der Prophet Joel sagte eine Verfinsterung der Sonne voraus (Joel 3,4). Der Apostel Petrus erwähnt dieses Zitat des Propheten, ohne jedoch einen konkreten Bezug zum Pfingstgeschehen herzustellen (Apg 2,20). Doch auch Jesus selbst spricht von der Verfinsterung der Sonne kurz vor seiner Wiederkunft (Mt 24,29).

Alle drei synoptischen Evangelisten bezeugen, dass es etwa drei Stunden lang finster war über dem ganzen Land. Die Wendung der Evangelisten: „über das ganze Land“ – epi` pa`san th`n gh`n` – epi pasan t¢n g¢n`, beschränkt sich nicht zwingend auf das Land Palästina, sondern kann sich auch auf die gesamte Erde beziehen.

Zeugnisse der frühen Historiker, welche dieses Phänomen zeitlich und räumlich in ihren Schriften erwähnen:

Ereignisse in Rom 33: Tacitus (römischer Historiker – ca. 58-120), Annalen, vi, 20 ff. Die Finsternis bei der Kreuzigung: Dieses Phänomen ist offenbar in Rom, Athen und anderen Städten am Mittelmeer sichtbar gewesen. Nach Tertullian (christlicher Schriftsteller 150 – ca. 220), Apologeticus, xxi, 20 war es  ein „kosmisches“ oder „Weltereignis“. Phlegon, ein griechischer Autor aus Caria, der bald nach 137 eine Chronologie schrieb, berichtete, dass im Jahr 4. der 202. Olympiade (d.h. A.D. 33) die größte Sonnenfinsternis gewesen und es in der sechsten Stunde des Tages, d.h. mittags, stockdunkel geworden sei, so dass selbst die Sterne am Himmel sichtbar wurden. (Paul L. Maier, „ Pilatus, sein Leben und seine Zeit nach Dokumenten“, Seite 363, R. Brockhaus Verlag, Wuppertal).

Fragen / Aufgaben:

  1. Nenne einige Beispiele aus der Schrift, wo von außergewöhnlicher Finsternis die Rede ist?
  2. Welche Bedeutung hat Finsternis in der Bibel?
  3. Warum trat diese dreistündige Finsternis  deiner Meinung nach ein?
  4. Nenne einige Zeugnisse aus der Weltliteratur, welche dieses besondere Phänomen bezeugen?

10.35.9 Jesus: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?

Von dem Einsetzen der Finsternis, etwa um 12 Uhr mittags, bis kurz vor dem Sterben Jesu, gegen 15 Uhr, scheint eine Stille eingetreten zu sein. Bei dieser Finsternis wurde jede Arbeit im Tempel unmöglich und jedes Lästern unter dem Kreuz verstummte.

Vielleicht gegen Ende der Finsternis rief Jesus mit lauter Stimme: „Eli, Eli, lama asabtani? Das heißt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Einige aber, die da standen, als sie das hörten, sprachen sie: Der ruft nach Elia. Und sogleich lief einer von ihnen, nahm einen Schwamm und füllte ihn mit Essig und steckte ihn auf ein Rohr und gab ihm zu trinken. Die andern aber sprachen: Halt, lasst uns sehen, ob Elia komme und ihm helfe! (Mt 27,46-49; Mk 15,34).

Jesus schreit zu Gott. Der, aus dem Hebräischen, ins Griechische übertragene Text des Evangelisten Matthäus lautet: hli hli, lema sabacqani? tou`t` e`stin: qee`, mou qee` mou, inati me e,nkate`lipej – ¢li ¢li, lema sabachthani? touto estin: thee mou, thee mou, inati me enkatelipes`? Markus hat in der Anrede die Schreibweise: elwi elwi, – elöi elöi, gewählt und so auch ins Griechische übertragen. Höchstwahrscheinlich hat Jesus dieses Gebet in Hebräisch gerufen, warum sollte er sich auch an den Vater wenden in einer anderen Sprache, als der, in der sich Gott dem Volk Israel in schriftlicher Form geoffenbart hatte? Allerdings ist er von einigen Dabeistehenden missverstanden worden. Eli hat im Hebräischen die Bedeutung von `mein Gott`, so in den Namen Eli-melech (mein Gott ist König), Eli-ja (mein Gott ist Jachwe) erkennbar. Merkwürdig, dass die Schriftgelehrten oder deren Diener (es waren keineswegs die römischen Soldaten) eher an den Propheten Elia, als Helfer in Not und nicht an Gott selbst denken.

Diese Hinwendung zu Gott erinnert uns an das Gebet Davids aus dem Psalm 22,2a: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Warum betet Jesus hier so?

  • Hat ihn Gott wirklich verlassen? Hat er nicht kurze Zeit davor seinen Jüngern gesagt: „Und der mich gesandt hat, ist mit mir. Er lässt mich nicht allein; denn ich tue allezeit, was ihm gefällt.“ (Joh 8,29).
  • Hat Jesus sich vielleicht nur verlassen gefühlt – empfindungsmäßige Gottferne?
  • Wenn er aber verlassen wurde, dann für wie lange und warum?

Der griechische Begriff: `enkate`lipej  – enkatelipes `, der auch in Psalm 22,2a (LXX: Ps 21) verwendet wird, kommt auch bei Paulus in 2Timotheus 4,10 und 16 vor. Einmal wurde der Apostel von seinem Mitarbeiter Demas verlassen und bei seinem ersten Verhör verließen in alle. Paulus empfand hier, dass er von seinen Mitarbeitern im Stich gelassen wurde, so ähnlich wie auch Martha empfand, von Maria allein gelassen worden zu sein (Lk 10,40). Das Wort kann auch den Sinn haben von `zurück lassen`, so in Apg 18,19 – Priszilla und Aquila werden in Ephesus zurückgelassen und Paulus wird als Gefangener in Cäsarea zurückgelassen (Apg 24,27).

In Römer 9,29 und 11,4 (mit Bezug auf Jes 1,10; 1Kön 19,10) wird der gleiche Begriff  `me enkate`lipej – me enkatelipesmich verlassen` in der gleichen grammatischen Form gebraucht, allerdings geht hier die Initiative von Gott aus, bzw. es wird aus seiner Sicht gesprochen. „Hätte uns der Herr Zebaoth nicht übriggelassen“ oder „Ich habe mir übrig gelassen siebentausend“. Und da ist der Gedanke von – Gott hat für sich aufbewahrt.

Könnte es sein, dass Jesus sich als Menschensohn allein gelassen empfand, aber aus Gottes Sicht der Übriggelassene war, der Aufbewahrte, der Geschützte, über den Gott seine Hand gehalten hatte? So in Hebräer 13,5: „Niemals werde ich dich verlassen“.

Vielleicht liegt das Geheimnis des von `Gott verlassen sein` auch in der Anrede: „Mein Gott, mein Gott`. Als göttlicher Sohn des Vaters konnte er nicht verlassen werden, war er doch nach dem Geist unsterblich, aber als Menschensohn in seinem physischen Leben (Psyche/Seele Joh 10,18) sterblich. Er nahm ja die gesamte Schuld der Menschheit auf sich und so mußte es zur Trennung von dem Heiligen Gott kommen, wahrscheinlich die drei Stunden, in denen es Finster war.  Ja, Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber, doch in den physischen Tod ging der Sohn Gottes als Menschensohn, ganz allein – der Sohn starb, nicht der Vater. Das war wohl der größte Schmerz, den Jesus jemals empfand. Die gesamte Last der Sünden lag auf ihm: „Aber der HERR warf unser aller Sünde auf ihn.“ (Jes 53,6).

  • Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt.“ (Jes 53,5).
  • Er wurde zum Fluch: „Christus aber hat uns losgekauft von dem Fluch des Gesetzes, da er zum Fluch wurde für uns – denn es steht geschrieben (5. Mose 21,23): »Verflucht ist jeder, der am Holz hängt« (Gal 3,13),
  • Das Kreuz als Symbol des Todes: „der unsre Sünden selbst hinaufgetragen hat an seinem Leibe auf das Holz, damit wir, den Sünden abgestorben, der Gerechtigkeit leben. Durch seine Wunden seid ihr heil geworden.“ (1Petr 2,24).
  • Er litt und starb stellvertretend für alle: „Denn er hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, auf dass wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt.“ (2Kor 5,21).
  • Es war ein Triumpfzug: „Er hat die Mächte und Gewalten ihrer Macht entkleidet und sie öffentlich zur Schau gestellt und hat einen Triumph aus ihnen gemacht in Christus.“ (Kol 2,15).

Fragen / Aufgaben:

  1. Warum wendet sich Jesus zu seinem Vater mit der Anrede `Gott`?
  2. Was bedeutet der Ruf: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“
  3. Welche Inhalte birgt das griechische Wort für `verlassen`?
  4. Was empfand Jesus in diesen letzten Minuten seines physischen Lebens?
  5. Hast du dich mal verlassen gefühlt? Wie empfandest du dabei?
  6. Was hilft uns, damit wir aus einer Art Depression wieder herauskommen können?

10.35.10 Jesus: Mich dürstet

Der Ev. Johannes schreibt als Einziger von diesem Ausruf:

Danach, als Jesus wusste, dass schon alles vollbracht war, spricht er, damit die Schrift erfüllt würde: Mich dürstet. Da stand ein Gefäß voll Essig. Sie aber füllten einen Schwamm mit Essig und legten ihn um einen Ysop und hielten ihm den an den Mund. Da nun Jesus den Essig genommen hatte, sprach er: Es ist vollbracht. Und neigte das Haupt und verschied. (Joh 19,28-30).

Wahrscheinlich spricht Jesus hier in Kurzform das aus, was in Psalm 22,15-16 in Bezug auf den leidenden Messias vorausgesagt wurde: „Ich bin ausgeschüttet wie Wasser, / alle meine Gebeine haben sich zertrennt; mein Herz ist in meinem Leibe wie zerschmolzenes Wachs. Meine Kräfte sind vertrocknet wie eine Scherbe, / und meine Zunge klebt mir am Gaumen, und du legst mich in des Todes Staub.“ (vgl. auch das durstige Verlangen des Leidenden in Psalm 42,3; 63,2; 143,6). Ja, Jesus war ein Mensch, wie alle Menschen und empfand Durst und er gab es auch zu. Den Ausruf: „Mich dürstet“ sprach Jesus sehr wahrscheinlich gleich nach dem Ausruf: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“ aus. So der Zusammenhang in Matthäus 27,46-49 und Markus 15,34 „Und sogleich lief einer von ihnen, nahm einen Schwamm und füllte ihn mit Essig und steckte ihn auf ein Rohr und gab ihm zu trinken. Die andern aber sprachen: Halt, lasst uns sehen, ob Elia komme und ihm helfe!“  Dieser eine, der ihn tränkte war wohl ein Soldat, die anderen eher aus der Gruppe der Führenden Israels, welchen die alttestamentlichen Geschichten über Elia wohl vertraut waren. Einer der Soldaten taucht einen Schwamm in das Gefäß mit Essig (Weinessig) steckt ihn auf einen etwa 50 cm langen Ysop Zweig und hält ihn Jesus vor den Mund. Jetzt nimmt Jesus das angebotene Getränk zu sich, am Anfang des Kreuzesleidens hatte er es abgelehnt (Mt 27,34; Mk 15,23).

Fragen / Aufgaben:

  1. Was bedeutet der Ausruf: „Mich dürstet?“ Sagt er dies nur, damit die Schrift erfüllt wird, oder empfand er tatsächlich Durst?
  2. Warum lehnte er das Getränk ab, als es ihm am Anfang angeboten wurde?
  3. Hast du mal wirklichen Durst erlebt? Wie und was empfandest du dabei?
  4. Was löscht am meisten den Durst?

10.35.11 Jesus: Es ist vollbracht (vollendet)

Die Evangelisten Matthäus und Markus sind sehr kurz in ihren Berichten über die letzten Minuten des Lebens von Jesus. Sie schreiben: „Aber Jesus schrie abermals laut und verschied.“ (Mt 27,50; Mk 15,37). Die Verwandten und Bekannten von Jesus, einschließlich Matthäus und auch Markus, waren zwar Zeugen der Kreuzigung, doch standen sie in einiger Entfernung und hörten demnach Jesus nur laut schreien. Doch dieses laute Schreien war der kulminative Ausdruck seines gesamten Dienstes und die Vollendung des Heilsplanes, welches ihm vom Vater aufgetragen war.

Der Evangelist Johannes jedoch, der in unmittelbarer Nähe zum Kreuz stand, hat genau gehört was Jesus so laut schrie, er schreibt: „Da nun Jesus den Essig genommen hatte, sprach er: Es ist vollbracht (…).“ (Joh 19,30a-b). Die kurzen Worte „Es ist vollbracht“ sind im Griechischen ein Wort: `tete`lestaitetelestai `. Diesen Begriff gebraucht Johannes in dieser grammatischen Form nur zweimal (Joh 19,28.30). Doch er drückt etwas als abgeschlossen, erfüllt, vollendet aus. Man könnte auch mit `es ist vollendet` oder  „es ist erfüllt“,übersetzen, da ihm die Wortwurzel `telos` als Ende, Erfüllung zugrunde liegt. Um was ging es, was ist denn nun vollendet, was ist erfüllt wordem?

In einigen Stellen kommt durch den Gebrauch dieses Wortes zum Ausdruck, was für Jesus der Hauptinhalt seines Dienstes darstellte. So sagt er zu seinen Jüngern am Jakobsbrunnen: „Meine Speise ist die, dass ich tue den Willen dessen, der mich gesandt hat, und vollende `teleiw`sw teleiösö sein Werk.“  (Joh 4,34). Und zu den Pharisäern in Jerusalem sagt er: „Ich aber habe ein größeres Zeugnis als das des Johannes; denn die Werke, die mir der Vater gegeben hat, damit ich sie vollende `teleiw`sw teleiösö“, eben diese Werke, die ich tue, zeugen von mir, dass mich der Vater gesandt hat.“ (Joh 5,36). Und am Ende seines Dienstes, im Gebet zum Vater sagt er: „Ich habe dich verherrlicht auf Erden und das Werk vollendet `teleiw`saj teleiösas` das du mir gegeben hast, damit ich es tue.“ (Joh 17,4). Das große und umfassende Werk beinhaltete viele einzelne Taten und Worte – nichts hat Jesus ausgelassen.

Das Kreuz, der Tod von Jesus ist sozusagen der Abschluss und die Zusammenfassung seines Lebenswerkes.

Fragen / Aufgaben:

  1. Was bedeutet die Aussage von Jesus: „Es ist vollbracht“?
  2. Welche Auswirkungen für uns Menschen hat das vollbrachte Werk Christi am Kreuz?
  3. Wie und was empfindest du nach einer gelungenen und abgeschlossenen Arbeit?

10.35.12 Jesus: Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist

Das sind die eigentlichen letzten Worte von Jesus am Kreuz. Nur der Ev. Lukas hat sie aufgeschrieben. So schreit Jesus noch ein letztes mal laut: „Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände! Und als er das gesagt hatte, verschied er.“ (Lk 23,46). Da Jesus sich in seinem lauten Rufen „mich dürstet“ und „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“ auf Aussagen in den Psalmen stützt, ist anzunehmen, dass auch sein letzter lauter Ausruf ebenfalls den Psalmen entnommen ist. In Psalm 31,6 heißt es: „In deine Hände befehle ich meinen Geist; du hast mich erlöst, HERR, du treuer Gott.“

An dieser Stelle ist es angebracht zu betonen, dass der Geist von Jesus Christus nicht in die sogenannten `untersten Örter der Erde` hinabgestiegen ist, sondern in den treuen und allmächtigen Händen des Vaters,  bis zur Auferstehung am dritten Tage, aufbewahrt wurde.

Die Zusage an den bußfertigen Mann am Kreuz: „Wahrlich ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein“ bestätigt zusätzlich, dass Jesus (sein Geist) sich während seines physischen Todes in göttlicher Sphäre befand (Lk 23,43).

Fragen / Aufgaben:

  1. Wie lauten die letzten Worte von Jesus am Kreuz und wo kommen diese im Alten Testament vor?
  2. Wie gehen wir mit verschiedenen Spekulationen über den Aufenthalt von Jesus während der drei Tage um?
  3. Was können wir mit Gewissheit zum Aufenthalt des Körpers von Jesus und seinem Geist während der drei Tage sagen?

10.35.13 Der Tod von Jesus am Kreuz – wie und warum starb Jesus?

Der Tod von Jesus am Kreuz ist eine historische Tatsache, die von den meisten neutestamentlichen Autoren vielfach und detailliert beschrieben wird. Wie wir bereits gesehen haben, geben die Texte der Evangelien in ihrer Zusammenfassung und Reihenfolge Aufschluss über die letzten Minuten im Leiden von Jesus. Nachdem er seinen Geist in die Hände seines Vaters übergeben hatte, heißt es bei Johannes: „Als nun Jesus den Essig genommen hatte, sprach er: Es ist vollbracht!, und neigte das Haupt und verschied.“ (Joh 19,30). Und der Evangelist Lukas ergänzt: „Und Jesus rief laut: Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände! Und als er das gesagt hatte, verschied er.“ (Lk 23,46). Bis dahin hielt Jesus sein Haupt aufrecht, er konnte alle und alles sehen und er nahm auch alles bewusst wahr was gesagt wurde. Doch reagierte er nicht auf die vielfältigen Schmähungen und Lästerungen von Menschen, sondern konzentrierte sich in seinen letzten Stunden allein auf die Erfüllung der Schriften entsprechend dem Willen seines Vaters. Er erkannte, dass nun alles erfüllt war, was über ihn und von ihm vorausgesagt wurde. Sein physischer Tod tritt nicht vorrangig wegen körperlichem Versagen ein. Diese Beobachtung wird durch folgende Aussagen bestätigt:

  1. Die Soldaten waren über den schnellen Tod von Jesus überrascht. „Als sie aber zu Jesus kamen und sahen, dass er schon gestorben war, brachen sie ihm die Beine nicht (…).“ (Joh 19,33).
  2. Als Josef von Arimathäa den Statthalter um den Leichnam von Jesus bittet, ist dieser über dessen schnellen Tod sehr erstaunt. „Pilatus aber wunderte sich, dass er schon tot sei, und rief den Hauptmann und fragte ihn, ob er schon lange gestorben sei?“ (Mk 15,44).
  3. Über sein physisches Leben (gr. yuch` – psych¢) sagt Jesus: „Niemand nimmt es  von mir, sondern ich selber lasse es. Ich habe Macht, es zu lassen, und habe Macht, es wieder zu nehmen. Dies Gebot habe ich empfangen von meinem Vater.“ (Joh 10,18).

Warum Jesus letztlich gestorben ist, war die Sündenschuld aller Menschen, die er auf sich nahm, wie es schon der Prophet Jesaja vorausgesagt hatte:

Fürwahr, er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre. Aber er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt. Wir gingen alle in die Irre wie Schafe, ein jeder sah auf seinen Weg. Aber der HERR warf unser aller Sünde auf ihn. Als er gemartert ward, litt er doch willig und tat seinen Mund nicht auf wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird; und wie ein Schaf, das verstummt vor seinem Scherer, tat er seinen Mund nicht auf. Er ist aus Angst und Gericht hinweggenommen. Wer aber kann sein Geschick ermessen? Denn er ist aus dem Lande der Lebendigen weggerissen, da er für die Missetat meines Volks geplagt war. (Jes 53,4-8).

In diesem Text werden acht Aussagen, die das stellvertretende Leiden und Sterben von Jesus für sein Volk, hervorgehoben. Auch die Apostel bestätigen in ihren Predigten und Schriften den freiwilligen und  stellvertretenden Tod von Jesus als das Lamm Gottes (Joh 1,29;  Gal 1,4;  Röm 5,6. 8;  1Kor 15,3;  1Petr 1,18-21;  1Joh 2,2).

Bemerkenswert ist auch die letzte Aussage von Jesus: „Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist“. Sein Leib wird von treuen Menschen in ein Felsengrab gelegt, seinen Geist jedoch übergibt er in die Hände des Vaters. Diese klare Übergabe des Geistes in die Hände (Obhut) seines himmlischen Vaters steht im krassen Gegensatz zu den vielfältigen Spekulationen über den Verbleib oder die Tätigkeiten von Jesus während der drei Tage.

Fragen / Aufgaben:

  1. Warum ist die Verkündigung des physischen Todes von Jesus als historische Tatsache so wichtig? Von welchen Menschen wird diese Tatsache angezweifelt oder gar abgelehnt?
  2. Wo und wie ist das Sterben des Messias im Alten Testament vorausgesagt oder vorausgebildet worden?
  3. Warum und wodurch unterscheidet sich das Sterben Jesu vom Sterben aller anderen Menschen?
  4. Welche positiven Auswirkungen hat der Tod Christi für uns?

10.36 Zwischen Tod und Auferstehung

(Bibeltexte: Mt 27,50-66; Mk 15,37-47; Lk 23,46-56; Joh 19,30-42)

In der Zeit zwischen dem Tod von Jesus am Freitagnachmittag und seiner Auferstehung am frühen Morgen des ersten jüdischen Wochentages hat sich vieles ereignet. Diese einzelnen Ereignisse wollen wir in diesem Abschnit der Reihe nach kennenlernen.

10.36.1 Die Begleiterscheinungen beim Tod von Jesus

Es scheint, als ob die Begleiterscheinungen beim Tod von Jesus nicht genug Beachtung bekommen. Dabei geht es nicht nur um das Naturereignis – Erdbeben, sondern auch um die Reaktionen der Menschen, sowohl unter den Juden als auch unter den Heiden.

Der Vorhang im Tempel zerreißt und die Erde erbebt

So Berichtet der Evangelist Markus: „Und der Vorhang im Tempel zerriss in zwei Stücke von oben an bis unten aus.“ (Mk 15,38; Lk 23,45). Der Evangelist Matthäus ergänzt: „Und die Erde erbebte, und die Felsen zerrissen (…).“ (Mt 27,51).

Die Naturkräfte sind dem Willen Gottes unterworfen und er kann sie so präzise einsetzen und lenken, dass sie als Zeichen für die Menschen offensichtliche Wirkung zeigen, aber auch in Grenzen tätig sind. Während Felsen zerbarsten, blieben die drei Kreuze stehen (vgl. dazu auch Apg 16,26). Dieses Ereignis blieb nicht ohne Wirkung auf die Menschen. So schreibt Matthäus: „Als aber der Hauptmann und die mit ihm Jesus bewachten das Erdbeben sahen und was da geschah, erschraken sie sehr und sprachen: Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen!“ (Mt 27,54). Beachten wir, dass nicht nur der Hauptmann, sondern auch seine Soldaten dieses Bekenntnis aussprechen. Der Evangelist Markus formuliert etwas differenzierter, indem der Hauptmann den Tod von Jesus bestätigt, was in seiner Verantwortung lag (Mk 15,44): „Der Hauptmann aber, der dabeistand, ihm gegenüber, und sah, dass er so verschied, sprach: Wahrlich, dieser Mensch ist Gottes Sohn gewesen!“ (Mk 15,39). Der Evangelist Lukas hebt hervor, das der Hauptmann mit seinem Bekenntnis Gott verherrlichte: „Als aber der Hauptmann sah, was da geschah, pries (verherrlichte) er Gott und sprach: Fürwahr, dieser ist ein frommer Mensch gewesen!“ (Lk 23,47). Somit erkannte und bekannte der Hauptmann:

  1. Dass Jesus ein gerechter Mensch war und
  2. Dass Jesus Gottes Sohn war.

Die Hohenpriester, welche zu der Zeit im Tempel den Opferdienst für das Passahfest versahen, wurden Augen- und Ohrenzeugen eines Ereignisses, das sie in großes Erstaunen, vielleicht sogar in Erschrecken versetzt haben muss. Der kunstvoll gewebte Vorhang, der im Tempel das sogenannte `Heilige` von dem `Allerheiligsten` trennte, zerriss in zwei Stücke und zwar von oben nach unten (Mt 27,51; vgl. dazu auch 2Mose 26,31-33; 40,21; 1Kön 6,2-31). Dies zeigt an:

  1. Dass es nicht von Menschenhand geschah
  2. Dass der Zugang zum Allerheiligsten, der bis dahin nur dem Hohenpriester vorbehalten war, nun frei ist für alle
  3. Dass die Gegenwart Gottes nicht mehr in dem sogenannten `Allerheiligsten` zu finden ist

Genau genommen, endete in diesem Augenblick die Bestimmung des von Menschenhand gebauten Tempels mit seinem Opferdienst. So schreibt der Hebräerbriefschreiber: „Denn Christus ist nicht eingegangen in das Heiligtum, das mit Händen gemacht und nur ein Abbild des wahren Heiligtums ist, sondern in den Himmel selbst, um jetzt für uns vor dem Angesicht Gottes zu erscheinen.“ (Hebr 9,24). Auch heißt es dort von Jesus: „Er ist auch nicht durch das Blut von Böcken oder Kälbern, sondern durch sein eigenes Blut ein für alle Mal in das Heiligtum eingegangen und hat eine ewige Erlösung erworben.“ (Hebr 9,12).

Doch die Führung Israels erkannte dieses offensichtliche Zeichen nicht und so lief der Opferdienst im Tempel durch die Priester weiter, jedoch ohne die ursprüngliche Wirkung – der Vergebung der Sünden und Versöhnung des Volkes mit Gott.

Die Reaktion des Volkes

Der Evangelist Lukas schreibt als Einziger: „Und als alles Volk, das dabei war und zuschaute, sah, was da geschah, schlugen sie sich an ihre Brust und kehrten wieder um.“ (Lk 23,48). Mit diesen knappen Worten beschreibt der Evangelist die Reaktion des Volkes, das zuschaute und alles mitbekam was geschah. Das sich ´an die Brust schlagen` drückt mindestens `Einsicht und Reue` aus, wenn man dazu das Verhalten des Zöllners vergleicht (Lk 18,13).

Fragen / Aufgaben:

  1. Sind Erdbeben (oder auch andere Naturereignisse) immer ein Zeichen Gottes an die Menschen?
  2. Wie reagieren Menschen heute auf Naturkatastrophen?
  3. Warum waren gerade Nichtjuden oft empfänglicher für Wahrheit und Glauben?
  4. Welche Bedeutung und Maße hatte der innere Vorhang im Tempel und warum ließ Gott ihn zerreißen?
  5. Wie lässt sich die Reaktion des Volkes bewerten?

10.36.2 Ihr sollt ihm kein Bein zerbrechen

Der Evangelist Johannes, der in unmittelbarer Nähe des Kreuzes stand und somit Augenzeuge folgender Ereignisse wurde, schreibt dazu:

Weil es aber Rüsttag war und die Leichname nicht am Kreuz bleiben sollten den Sabbat über – denn dieser Sabbat war ein hoher Festtag -, baten die Juden Pilatus, dass ihnen die Beine gebrochen und sie abgenommen würden. Da kamen die Soldaten und brachen dem Ersten die Beine und auch dem andern, der mit ihm gekreuzigt war. Als sie aber zu Jesus kamen und sahen, dass er schon gestorben war, brachen sie ihm die Beine nicht; sondern einer der Soldaten stieß mit dem Speer in seine Seite, und sogleich kam Blut und Wasser heraus. Und der das gesehen hat, der hat es bezeugt, und sein Zeugnis ist wahr, und er weiß, dass er die Wahrheit sagt, damit auch ihr glaubt. Denn das ist geschehen, damit die Schrift erfüllt würde (2.Mose 12,46): »Ihr sollt ihm kein Bein zerbrechen.« Und wiederum sagt die Schrift an einer andern Stelle (Sacharja 12,10): »Sie werden den sehen, den sie durchbohrt haben.« (Joh 19,32-37).

Der Evangelist betont die Bedeutung des auf den Freitag (Rüsttag, Vorbereitungstag) folgenden großen Sabbat, der sozusagen entheiligt würde, wenn Leichname Gekreuzigter an den Kreuzen hängen blieben. Wir sehen, auf was damals die frommen Juden geachtet haben. Auf die Einhaltung äußerer Reinheitsvorschriften legten sie großen Wert. Das Recht, die Barmherzigkeit, die Liebe und der Glaube blieben dabei sehr oft auf der Strecke (Joh 18,28; Hosea 6,6; Mt 12,7; 23,23). Doch auch diesen menschlichen Eingriff in das Geschehen um den Tod von Jesus, wendet Gott dahin, dass die prophetischen Voraussagen auf  den Christus zu ihrer Erfüllung kommen. Denn bereits in Ägypten, etwa 1500 Jahre zuvor, ordnete Gott durch Mose an, dass dem Passahlamm keine Knochen gebrochen werden dürfen (2Mose 12,46). Ging es Gott damals um die Opferlämmer, oder vielmehr um seinen Sohn, der als das wahre Lamm Gottes zu seiner Zeit sterben ürde? Was für eine weise Vorausschau Gottes. Übrigens heißt es bei der Einsetzung des Bundesmahls durch Jesus: „Dies ist mein Leib, der für euch gegeben wird“, also nicht gebrochen wird. Das Brot jedoch wurde gebrochen (Mt 26,26-28).

An diesem Tag kommt Pilatus nicht zur Ruhe, ständig wird er von den Hohenpriestern um etwas angegangen.

  • Bereits am frühen Morgen wegen dem Prozess und der Verurteilung von Jesus.
  • Kurz danach wegen der Aufschrift „Jesus von Nazareth, der Juden König“, die sie geändert haben wollten.
  • Jetzt am Spätnachmittag: Lass ihnen die Beine brechen, damit sie sterben und von den Kreuzen abgenommen werden können.
  • Am nächsten Tag: Lass das Grab bewachen, damit nicht seine Jünger kommen und ihn stehlen.

Die Soldaten führen den Befehl aus und brechen beiden Verurteilten die Beine, als sie jedoch zu Jesus kommen, überzeugen sie sich, dass er bereits gestorben war. Der eine Soldat, der ihn mit einem Speer in die Seite stößt, weiß nicht, dass damit eine prophetische Schriftaussage, welche bereits etwa 450 Jahre zuvor gemacht wurde, erfüllt wird (Sacharia 12,10). Johannes, der nahe am Kreuz steht, wird Augenzeuge von all dem, was mit Jesus gemacht wird – Blut und Wasser fließt aus dem Körper von Jesus heraus. Er wird Augenzeuge, wie Schriftaussagen in solch einer Dichte an Jesus in Erfüllung gehen. Er bestätigt in schriftlicher Form die Wahrheit des Geschehens, damit Glauben geweckt und gestärkt wird.

Fragen / Aufgaben:

  1. Worum sind die Hohenpriester bemüht, was ist ihnen wichtig?
  2. Was geschieht (oder geschieht nicht) wenn sich Christen in verschiedene Äußerlichkeiten verfangen?
  3. Wie oder wodurch erfüllt Gott, was er durch Propheten vorausgesagt hat?
  4. Wozu dienen die Prophetien, was ist ihr Zweck und Ziel?
  5. Welcher Zusammenhang besteht zwischen dem Brechen von Beinen (was bei Jesus nicht gemacht wurde) und dem Abendmahlsbrot?

10.36.3 Die Grablegung von Jesus

Der Evangelist Lukas schreibt über die Grablegung von Jesus folgendes:

Und siehe, da war ein Mann mit Namen Josef, ein Ratsherr, der war ein guter, frommer Mann und hatte ihren Rat und ihr Handeln nicht gebilligt. Er war aus Arimathäa, einer Stadt der Juden, und wartete auf das Reich Gottes. Der ging zu Pilatus und bat um den Leib Jesu und nahm ihn ab, wickelte ihn in ein Leinentuch und legte ihn in ein Felsengrab, in dem noch nie jemand gelegen hatte.“ (Lk 23,50-53).

Pilatus erreicht ein seltsames Eilanliegen: ein wohlbekannter, reicher Ratsherr: Josef aus dem Ort Arimathäa bittet um eine würdige Bestattung des gehenkten Jesus von Nazaret. Josef wird uns als ein frommer aber heimlicher Jünger von Jesus geschildert, der von Furcht erfüllt, sich noch bis vor kurzem im Verborgenen hielt. Doch in dem nächtlichen Prozess stimmt er (wahrscheinlich zusammen mit Nikodemus) offen gegen den Beschluß des Hohen Rates. Höchstwahrscheinlich war er Zeuge der Kreuzigung geworden. An diesem Abend trifft er eine weitere mutige Entscheidung und entschließt sich Jesus einen letzten Liebesdienst zu erweisen, um ihn nach jüdischer Sitte möglichst schnell aber auch würdevoll zu bestatten. Damit bekennt sich jetzt Josef vor Heiden und Juden öffentlich zu Jesus! Keine Zeit ist nun zu verlieren, denn der Tag neigt sich dem Ende zu. Pilatus ist erstaunt über den schnellen Tod von Jesus und lässt sich diesen vom herbeigerufenem Hauptmann bestätigen. Dann erteilt er die Erlaubnis zur Herausgabe des Leichnams (Mk 15,44). In der angesagten Eile vor dem anbrechenden Sabbat entschließt sich Josef zur Bestattung in seine, eigentlich für ihn selbst, vorgesehene Grabhöhle in der niemand zuvor bestattet war. So schreibt der Evangelist Matthäus: „(…) und legte ihn in sein eigenes neues Grab, das er in einen Felsen hatte hauen lassen, und wälzte einen großen Stein vor die Tür des Grabes und ging davon.“ (Mt 27,60).

Diese Grabhöhlen sind dem Leser dieser Ausarbeitung schon von der Bestattung des Lazarus bekannt. Der Evangelist Johannes ergänzt dazu: „Es kam aber auch Nikodemus, der vormals in der Nacht zu Jesus gekommen war, und brachte Myrrhe gemischt mit Aloe, etwa hundert Pfund.“ (Joh 19,39). So eilt Josef und wahrscheinlich auch Nikodemus zum Kreuz, nehmen den Leichnam von Jesus ab indem sie die  Nägel aus den Händen und den Füßen herausziehen. Dann wickeln sie  ihn wie üblich in ein Leinentuch und tragen ihn zur Grabhöhle. Dort wird er wahrscheinlich in einem Eilverfahren gereinigt und gesalbt und anschließend in Leinentücher eingewickelt. Das Haupt wird mit einem besonderen Tuch umbunden, wie später der Evangelist Johannes beschreibt (Joh 20,7).

Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich auch Johannes der Jünger an der Abnahme des Leichnams vom Kreuz und der Bestattung beteiligte, hatte er sich bis jetzt nicht geschämt für seinen Meister, warum hätte er bei diesem Dienst tatenlos den anderen nur zugeschaut? Aber auch die Frauen sind Josef und Nikodemus zur Grabhöhle gefolgt. Ja, wieder sind es die Frauen, die Jesus treu auch auf der letzten Strecke begleiten. Maria aus Magdala und Maria, Mutter des Joses, und andere Frauen beobachten aus nächster Nähe, wo und wie der Leichnam bestattet wird.

So schreibt der Evangelist: „Und es war Rüsttag und der Sabbat brach an (strahlte auf). Es folgten aber die Frauen nach, die mit ihm gekommen waren aus Galiläa, und beschauten das Grab und wie sein Leib hineingelegt wurde. Sie kehrten aber um und bereiteten wohlriechende Öle und Salben. Und den Sabbat über ruhten sie nach dem Gesetz.“ (Lk 23,54-56). Auch hier fällt auf, dass über die Jünger nichts gesagt wird, wohl aber über die Frauen, die nicht einfach in ihrer Traurigkeit versanken, sondern aus Ergebenheit und Liebe, von ganz pragmatischen Überlegungen her Jesus bis zur Bestattung begleiteten. Sie beschließen schon dort, später zu einer ordentlichen Salbung des Körpers hierher zurück zu kommen.

Abbildung 13 Grabstein im sogenannten Gartengrab in Jerusalem (Foto: April 1986)

Eilig rollt Josef einen großer Stein vor den Eingang des Grabes. Dann eilen alle zurück in die Stadt und in ihre Unterkünfte. Sie ruhten nach dem Gesetz am Sabbat.

Auch über die Bestattung des Messias hat der Prophet Jesaja eine Aussage gemacht: „Und man gab ihm sein Grab bei Gottlosen und bei Übeltätern, als er gestorben war, wiewohl er niemand Unrecht getan hat und kein Betrug in seinem Munde gewesen ist.“ (Jes 53,9). Allerdings stellen wir zwischen der Prophetie des Jesaja und der Erfüllung eine Schwierigkeit fest, denn Josef war zu diesem Zeitpunkt nicht gottlos und auch kein Übeltäter. Es sei denn, dass damit die allgemeine Sündhaftigkeit und Gottferne aller Menschen (auch des Josef) hervorgehoben wird. „Bei Gottlosen“ (im Plural) meint vielleicht auch das allgemeine Umfeld der Begräbnisstätte und nicht den Josef als Einzelnen, der mit seiner Tat seine Glaubensbeziehung zu Jesus bezeugte.

Auch der Apostel Paulus bestätigt später, dass Jesus begraben wurde gemäß den Schriften (1Kor 15,4). Jesus hat bereits während seines Dienstes in Galiläa den kritisch eingestellten Pharisäern von seiner Grablegung vorausgesagt und erinnert an die einmalige Geschichte des Jona (Mt 12,40; Jona 2,1). Dann erklärte er, dass der Menschensohn ebenso drei Tage und drei Nächte inmitten der Erde sein wird. Die Wendung „drei Tage und drei Nächte“ bedeutet nicht zwingend volle 72 Stunden. Jeder noch nicht zu Ende gegangener Nacht/Tag sowie gerade begonnener Nacht/Tag werden als volle Nacht/Tage gerechnet (der Vergleich von Mt 16,21 mit Mk 8,31 sowie Mt 27,63 macht dies deutlich).

10.36.4 Tage-Tabelle (Hebräisch)

Für den Bibelleser kann es etwas verwirrend sein, wenn es um die Tageszeiten geht, welche die Evangelöisten angeben. Folgende Erklärung kann eine Orientierung geben.

Der jüdische Tag beginnt (auch heute noch) mit dem Sonnenuntergang. So lesen wir in 1Mose 1,2ff: „Da war aus Abend und Morgen der erste Tag.“ Den lichten Teil des Tages zählte man von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, was etwa 12 Stunden ausmachte. So sagte Jesus zu seinen Jüngern: „Hat nicht der Tag zwölf Stunden?“  (Joh 11,9). Daher geben die meisten Autoren der neutestamentlichen Schriften diese lichte Tageszeiten an. So ist die dritte Stunde des Tages = ca. 9 Uhr morgens, die elfte Stunde ca. 17 Uhr (Mt 20,3-9; Apg 2,15). Ähnlich rechnete man auch für die zwölf Stunden der Nacht, so in Apostelgeschichte 23,23: „dritte Stunde der Nacht“ = zwischen 21-22 Uhr. Nur der Evangelist Johannes scheint gelegentlich von dieser Tageszählweise wegzukommen (Joh 19,14).

Demnach war Jesus nur ca. 38 Stunden Tot und verbrachte ca. 35 Stunden im Grab. Schon der Psalmist David sagte durch den Heiligen Geist voraus dass der Messias nicht wie andere Menschen der Verwesung überlassen wird: „Darum freut sich mein Herz, und meine Seele ist fröhlich; auch mein Leib wird sicher liegen. Denn du wirst mich nicht dem Tode überlassen und nicht zugeben, dass dein Heiliger die Grube sehe (verwese).“ (Psalm 16,9-10; Apg 2,25; 13,35).

Fragen / Aufgaben:

  1. Was halten wir von heimlichen Nachfolgern/Gläubigen?
  2. Was bewegt die beiden Ratsherren an Karfreitag?
  3. Was bedeutet es, etwas weertvolles, das man für sich bereitet hatte, an einen anderen abzutreten? Josef ahnte ja nicht, dass er sein Felsengrab wieder zurückbekommen wird.
  4. Wie bewerten wir die Treue der Frauen – besonders der Maria aus Magdala?
  5. Wo und was wurde über die Bestattung von dem Messias vorhergesagt?
  6. Was ist über den Körper des Messias vorausgesagt worden?

10.36.5 Die Versiegelung und Bewachung des Grabes

(Bibeltexte: Mt 27,62-66)

Bei dieser Geschichte kommt nur der Evangelist Matthäus zu Wort, er schreibt:

Am nächsten Tag, der auf den Rüsttag folgt, kamen die Hohenpriester mit den Pharisäern zu Pilatus und sprachen: Herr, wir haben daran gedacht, dass dieser Verführer sprach, als er noch lebte: Ich will nach drei Tagen auferstehen. Darum befiehl, dass man das Grab bewache bis zum dritten Tag, damit nicht seine Jünger kommen und ihn stehlen und zum Volk sagen: Er ist auferstanden von den Toten, und der letzte Betrug ärger wird als der erste. Pilatus sprach zu ihnen: Da habt ihr die Wache; geht hin und bewacht es, so gut ihr könnt. Sie gingen hin und sicherten das Grab mit der Wache und versiegelten den Stein.“ (Mt 27,62-66).

Am folgenden Tag (das heißt am Sabbat) melden sich noch mal die jüdischen Leiter (Hohepriester und Pharisäer) bei Pilatus. Sie erinnern sich an Worte des getöteten Rabbis Jesus: „Ich will nach drei Tagen auferstehen.“ (Mt 27,63). Woher haben sie diese Information? Wenn Jesus über seinen Tod und Auferstehung sprach, tat er es meistens im Kreis seiner Jünger. Seine bildhafte Rede in Bezug auf seinen Tod und Auferstehung aus Johannes 2,19 haben sie ja nicht verstanden. Doch bei einer anderen Gelegenheit bekamen sie von Jesus selbst (wenn auch nur einen indirekten)

Hinweis zu seinem Begräbnis und seiner Auferstehung: „Denn wie Jona drei Tage und drei Nächte im Bauch des Fisches war, so wird der Menschensohn drei Tage und drei Nächte im Herzen der Erde sein“ (Mt 12,39-40; 16,1. 4;  Mk 8,11-12;  Lk 11,29-30). Natürlich glaubten sie nicht daran, doch aus der Verdorbenheit ihres eigenen Herzens lasten sie den arglosen und völlig verängstigten Jüngern etwas an, was sie wahrscheinlich in deren Situation selber tun würden. Sie wollen damit einer für sie bösen Überraschung vorbeugen. Dass sich ihre Vorsorge und Sicherheitsmaßnahme gegen sie selbst als Falle heraustellen wird, kam ihnen zu dem Zeitpunkt nicht in den Sinn.

Für die Bewachung des Grabes hätten sie genug eigenes Wachpersonal von der Tempelwache beauftragen können, doch die Gekreuzigten sind von den Römern verurteilt worden und somit waren diese auch für deren Leichname zuständig. Pilatus zeigt sich auch hier großzügig, lässt sich nicht auf Diskussionen ein und stellt den jüdischen Führern eine Wachmannschaft zur Verfügung. Die Soldaten werden vor dem Grab postiert und zusätzlich wird der Stein am Eingang zum Grab versiegelt. Die ganze Aktion, einschließlich der Versiegelung des Grabes, ist eigentlich Arbeit am Sabbat, doch gegenüber sich selbst sind die Pharisäer und Hohenpriester nachsichtig, nicht so gegen andere (Joh 5,10). Im Gegensatz zu ihnen ist das Verhalten der Frauen gesetzeskonform (Lk 23,56).

Fragen / Aufgaben:

  1. Was wurde in alttestamentlichen Schriften über die Bestattung des Messias und die Dauer seines Todes gesagt?
  2. Was war die Sorge der Hohenpriester und Pharisäer? Glaubten sie an die Auferstehung der Toten (Apg 23,8)?
  3. Pilatus geht auf die Bitte der jüdischen ´Führung anscheinend sofort ein. Wie lässt sich das erklären?

10.36.6 Die Tage der Trauer für die Jünger von Jesus

Für die Juden ist dieser Sabbat ein großer Festtag, nicht so für die Jünger von Jesus. Was diese in der Zeit empfinden, wissen wir  aus den Worten von Jesus, die er am Vorabend seiner Hinrichtung den Jüngern sagte:

Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht mehr sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen. Da sprachen einige seiner Jünger untereinander: Was bedeutet das, was er zu uns sagt: Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen; und: Ich gehe zum Vater? Da sprachen sie: Was bedeutet das, was er sagt: Noch eine kleine Weile? Wir wissen nicht, was er redet. Da merkte Jesus, dass sie ihn fragen wollten, und sprach zu ihnen: Danach fragt ihr euch untereinander, dass ich gesagt habe: Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen? Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ihr werdet weinen und klagen, aber die Welt wird sich freuen; ihr werdet traurig sein, doch eure Traurigkeit soll in Freude verwandelt werden. Eine Frau, wenn sie gebiert, so hat sie Schmerzen, denn ihre Stunde ist gekommen. Wenn sie aber das Kind geboren hat, denkt sie nicht mehr an die Angst um der Freude willen, dass ein Mensch zur Welt gekommen ist. Und auch ihr habt nun Traurigkeit; aber ich will euch wiedersehen, und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen. (Joh 16,16-22).

Die Begriffe: weinen, klagen und trauern, drücken sehr deutlich den emotionalen Zustand der Jünger aus während dieser drei Tage. Auch der Evangelist Markus bestätigt das Weinen und Leid tragen der Jünger: „Und sie ging hin und verkündete es denen, die mit ihm gewesen waren, die da Leid trugen und weinten.“ (Mk 16,10; dazu auch Lk 24,17). Eine große Traurigkeit legte sich auf die Jünger, denn ihre Erwartungen und Hoffnungen dass „er Israel erlösen wird“ haben sich so nicht erfüllt (Lk 24,21). Nicht Unglaube insgesamt, aber doch mangelnder Glaube waren für diese Verzagtheit der Grund und die Ursache. So sagte Jesus fast vorwurfsvoll den zwei Jüngern unterwegs nach Emmaus: „O ihr Toren, zu trägen Herzens, all dem zu glauben, was die Propheten geredet haben!“ (Lk 24,25). Doch soll dieser Glaubensmangel und der daraus entstandene Zustand der Traurigkeit nicht lange andauern. Ihre Traurigkeit wird bald von der immerwährenden Freude abgelöst werden, welche niemand von ihnen mehr wegnehmen kann.

Fragen / Aufgaben:

  1. Beschreibe den emotionalen Zustand der Jünger von Jesus während der drei Tage.
  2. Was war der Hauptgrund, die Hauptursache für ihre Verzagtheit?

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Der Prozess vor Pontius Pilatus und vor Herodes Antipas

10.34 Der Prozess vor Pontius Pilatus und vor Herodes Antipas

(Bibeltexte: Mt 27,1-30;  Mk 15,1-20;  Lk 23,1-25;  Joh 18,29-19,16)

Hier das Video:

https://www.youtube.com/watch?v=-efi-GM0JvU?rel=0&wmode=transparent&autoplay=1

Der gesamte Gerichtsprozess vor dem römischen Statthalter Pilatus wird, wie der Evangelist Lukas berichtet, durch ein Verhör vor Herodes Antipas unterbrochen. Es ist ein Versuch, den Prozessablauf nach den Texten aller vier Evangelien zu rekonstruieren, um ein vollständigeres Bild zu bekommen.

 

10.34.1 Die Auslieferung an den Statthalter Pilatus

Der Evangelist Matthäus schreibt dazu:

Am Morgen aber fassten alle Hohenpriester und die Ältesten des Volkes den Beschluss über Jesus, ihn zu töten, und sie banden ihn, führten ihn ab und überantworteten ihn dem Statthalter Pilatus. (Mt 27,1-2;  Mk 15,1;  Lk 23,1;  Joh 18,29).

Diesen Vorgang hatte Jesus seinen Jüngern bereits vor mehr als einem halben Jahr vorausgesagt. So lesen wir in Markus 10,33:

Siehe, wir gehen hinauf nach Jerusalem, und der Menschensohn wird überantwortet werden den Hohenpriestern und Schriftgelehrten, und sie werden ihn zum Tode verurteilen und den Heiden überantworten.

Zur Zeit des öffentlichen Wirkens von Jesus, war Pontius Pilatus der Statthalter (Präfekt) von Judäa, Idumäa und Samarien. Er war de facto der oberste Richter in diesen Regionen, war jedoch dem syrischen Legaten unterstellt. Dieses Amt hatte er von 26-36 n. Chr. inne. Der Evangelist Johannes ergänzt die Übergabe, bzw. Auslieferung von Jesus an den Statthalter Pilatus mit den Worten:

Da führten sie Jesus von Kaiphas zum Prätorium; es war früh am Morgen. Und sie gingen nicht hinein, damit sie nicht unrein würden, sondern das Passamahl essen könnten. (Joh 18,29).

Das Prätorium war der Sitz des römischen Statthalters, wenn er sich in Jerusalem aufhielt. Durch seine Anwesenheit während der Feste war die Gefahr eines bewaffneten Aufstandes gemindert. Im Prätorium wurde auch Gericht gehalten und zwar nach römischem Recht. Dieser Platz war sozusagen heidnisches Territorium und galt den Juden als unrein. Daher warteten die Ankläger draußen. Auf die Einhaltung der Reinheitsvorschriften waren sie  bedacht, nicht jedoch auf das gerechte Urteil im Falle von Jesus.

 

Fragen / Aufgaben:

  1. Was war die Begründung für die Verurteilung Jesu zum Tode?
  2. Warum achteten die Hohenpriester an diesem Tag besonders auf die Einhaltung der Reinheitsvorschriften?
  3. Wer ist Pilatus und warum hält er sich in Jerusalem auf?

 

10.34.2 Judas bereut seine Tat und begeht Selbstmord

Der Evangelist Matthäus berichtet als Einziger der vier Evangelisten über das Ende des Judas Iskatiot, der Jesus ausgeliefert hatte. Doch auch Petrus erwähnt diese traurige Episode in der Apostelgeschichte und zwar im Zusammenhang mit der Wahl des Matthias zum Apostel an Stelle von Judas (Apg 1,15-20). Der Text in Matthäus 27,3-10 liest sich wie ein Einschub. Nach diesem Text ist das Ende des Judas zeitlich nach der Verurteilung Jesu durch den Hohen Rat und vor dem Verhör beim Statthalter einzuordnen. So schreibt der Evangelist Matthäus:

Als Judas, der ihn verraten hatte, sah, dass er zum Tode verurteilt war, reute es ihn, und er brachte die dreißig Silberlinge den Hohenpriestern und Ältesten zurück und sprach: Ich habe Unrecht getan, dass ich unschuldiges Blut verraten habe. Sie aber sprachen: Was geht uns das an? Da sieh du zu! Und er warf die Silberlinge in den Tempel, ging fort und erhängte sich. Aber die Hohenpriester nahmen die Silberlinge und sprachen: Es ist nicht recht, dass wir sie in den Gotteskasten legen; denn es ist Blutgeld. Sie beschlossen aber, den Töpferacker davon zu kaufen zum Begräbnis für Fremde. Daher heißt dieser Acker Blutacker bis auf den heutigen Tag. Da wurde erfüllt, was gesagt ist durch den Propheten Jeremia, der da spricht: »Sie haben die dreißig Silberlinge genommen, den Preis für den Verkauften, der geschätzt wurde bei den Israeliten, und sie haben das Geld für den Töpferacker gegeben, wie mir der Herr befohlen hat« (Jeremia 32,9;  Sacharja 11,12-13).

Besonders dem Evangelisten Matthäus liegt es am Herzen, bestimmte Ereignisse im Leben von Jesus mit entsprechenden Prophetien aus dem Alten Testament zu verknüpfen. Dadurch wird nicht nur die gute Bibelkenntnis des Evangelisten deutlich, sondern in besonderer Weise die Führung durch den Heiligen Geist. Beachten wir, dass Judas Reue empfand und bestimmte Schritte unternahm.

  • Er ging zu den Hohenpriestern
  • Er bekannte vor ihnen: „Ich habe Unrecht getan, dass ich unschuldiges Blut verraten habe.
  • Er brachte die dreißig Silberstücke zurück und warf sie in den Tempel

Ihn reute (gr. μεταμεληθείς – metameletheis) seine Tat, weil er mit solch einem Ausgang wahrscheinlich nicht gerechnet hatte. Die Reue  ist ein wichtiger Schritt, doch Judas tat keine Buße. Es tat ihm zwar Leid, er fühlte sich sehr unwohl, aber bis zur echten Buße, der Sinnesänderung (gr. μετανόια – metanoia), kam er nicht.

Die Reaktion der Priester ist verblüffend: „Was geht uns das an? Da sieh du zu!Die Seelsorger des Volkes kümmern sich nicht um die Gewissensnot ihres Komplizen. So kommt Judas in die Verzweiflung und mit dem Teufel/Satan im Herzen beendet er sein Leben (Joh 13,2; 27).

 

Fragen / Aufgaben:

  1. Judas bereute seine Tat, was bewirkte dies?
  2. Warum war er nicht mehr fähig zur echten Buße/Umkehr?
  3. Bewerte das Verhalten der Hohenpriester gegenüber Judas?

10.34.3 Das erste Verhör vor Pilatus

Da kam Pilatus zu ihnen heraus und fragte: Was für eine Klage bringt ihr gegen diesen Menschen vor? Sie antworteten und sprachen zu ihm: Wäre dieser nicht ein Übeltäter, wir hätten ihn dir nicht überantwortet. (Joh 18,30).

Die Antwort der jüdischen Führung  ist pauschal und hört sich ziemlich arrogant an. Pilatus hat nach einem klaren und für die Römer nachvollziehbaremn Anklagepunkt gefragt. Als er diesen zunächst nicht bekommt, weist er die Angelegenheit an die Juden zurück.

Da sprach Pilatus zu ihnen: So nehmt ihr ihn hin und richtet ihn nach eurem Gesetz. Da sprachen die Juden zu ihm: Wir dürfen niemand töten.

Und der Evangelist Johannes sieht darin einen Zusammenhang:

So sollte das Wort Jesu erfüllt werden, das er gesagt hatte, um anzuzeigen, welchen Todes er sterben würde. (Joh 18,31-32; 12,32-33).

Durch die Aussage der Juden: „Wir dürfen niemand töten“, konnte Pilatus merken, dass es sich um eine Anklage zum Tode handelt. Nun werden die Anklagepunkte konkreter. Der Evangelist Lukas ergänzt dazu:

(…) und fingen an, ihn zu verklagen, und sprachen: Wir haben gefunden, dass dieser unser Volk aufhetzt und verbietet, dem Kaiser Steuern zu geben, und spricht, er sei Christus, ein König. (Lk 23,2).

Die Anklagepunkte sind also:

  • Volksaufhetzung,
  • Steuerverweigerung,
  • Selbstbezeichnung als Christus/Messias/Gesalbter,
  • Selbstbezeichnung als König.

 

Pilatus hört Jesus an

Der Evangelist Johannes berichtet im folgenden Text über die Anhörung von Jesus und zwar im Inneren des Prätoriums, das heißt, dass die Juden draußen dieses Gespräch gar nicht mitbekamen.

Da ging Pilatus wieder hinein ins Prätorium und rief Jesus und fragte ihn: Bist du der König der Juden? Jesus antwortete: Sagst du das von dir aus oder haben dir’s andere über mich gesagt? Pilatus antwortete: Bin ich ein Jude? Dein Volk und die Hohenpriester haben dich mir überantwortet. Was hast du getan? Jesus antwortete: Mein Reich ist nicht von dieser Welt. Wäre mein Reich von dieser Welt, meine Diener würden darum kämpfen, dass ich den Juden nicht überantwortet würde; nun aber ist mein Reich nicht von dieser Welt. Da fragte ihn Pilatus: So bist du dennoch ein König? Jesus antwortete: Du sagst es, ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, dass ich die Wahrheit bezeugen soll. Wer aus der Wahrheit ist, der hört meine Stimme. Spricht Pilatus zu ihm: Was ist Wahrheit? (Joh 18,33-38a;  Mt 27,11;  Mk 15,2;  Lk 23,3).

Von den vier Anklagepunkten interessiert Pilatus nur einer: „Bist du der König der Juden?“ Die anderen drei Punkte scheint er den Juden nicht abzunehmen. Jesus lässt Pilatus seine Erhabenheit spüren, indem er diesen nach der Informationsquelle fragt. Dies ist in einem Gerichtsprozess ungewöhnlich, denn in der Regel stellte der Angeklagte keine Fragen an den Richter. Dass der Angeklagte sich nicht fürchtet, spürt Pilatus sehr deutlich und diese mutige Haltung von Jesus ärgert und beeindruckt ihn zugleich. So entfaltet sich ein inhaltsvolles Gespräch, Jesus bezeugt seine Souveränität als König, dessen Reich von anderer Beschaffenheit ist als die Reichssysteme dieser Welt. Jesus ist die Wahrheit und er redet Wahrheit. Diese Botschaft trifft Pilatus ins Innere, denn Wahrheit kannte er nicht. Was er kannte, waren Heuchelei, politische Intrigen, Korruption, Selbstsucht, Machtgier. Wahrheit und Gerechtigkeit wurde auch im Römischen Reich allzu oft nach Bedarf definiert und angewendet. Das Ganze erhielt dann eine offizielle und gesetzmäßige Form. Hinter der Frage des Pilatus: „Was ist Wahrheit?“ steht die traurige Erfahrung, dass das gesamte Leben in den Reichssystemen dieser Welt (auch in Israel) von Ungerechtigkeit und Lüge durchdrungen war. Doch in diesem Fall kann er eindeutig erkennen, dass von Jesus keine politische Gefahr für die römischen Behörden ausgeht.

 

Pilatus findet keine Schuld an Jesus

 

Und als er das gesagt hatte, ging er wieder hinaus zu den Juden und spricht zu ihnen: Ich finde keine Schuld an ihm.“ (Joh 18,38b). Auch der Evangelist Lukas schreibt: „Pilatus sprach zu den Hohenpriestern und zum Volk: Ich finde keine Schuld an diesem Menschen. (Lk 23,4).

Als erfahrener Richter hat Pilatus ein sachlich gutes Empfinden für Schuld oder Unschuld. Wie so oft im Leben ist der erste Eindruck der Richtige. Dachte Pilatus, dass die Angelegenheit damit beendet sei? Aber die Hohenpriester und der Ältestenrat gaben so schnell nicht auf.

 

Jesus schweigt zu den Anklagen der Hohenpriester

Die Juden wiederholen ihre Anklagepunkte. „Und als er von den Hohenpriestern und Ältesten verklagt wurde, antwortete er nichts.“ (Mt 27,12;  Mk 15,3). Jesus macht auch hier keinen Gebrauch von seinem Recht, sich zu verantworten oder zu verteidigen. „Pilatus aber fragte ihn abermals: Antwortest du nichts? Siehe, wie hart sie dich verklagen! Jesus aber antwortete nichts mehr, sodass sich Pilatus verwunderte.“ (Mk 15,4-5). Der Evangelist Matthäus ergänzt: „Und er antwortete ihm nicht auf ein einziges Wort.“ (Mt 27,13-14). Es scheint, als ob sein Schweigen sie noch mehr aufbringt. Sie greifen den ersten Anklagepunkt wieder auf und nennen seine Lehrtätigkeit, die sich nicht nur auf Judäa, sondern auch auf Galiläa erstreckte.

Sie aber wurden noch ungestümer und sprachen: Er wiegelt das Volk auf damit, dass er lehrt hier und dort in ganz Judäa, angefangen von Galiläa bis hierher. Als aber Pilatus das hörte, fragte er, ob der Mensch aus Galiläa wäre. Und als er vernahm, dass er ein Untertan des Herodes war, sandte er ihn zu Herodes, der in diesen Tagen auch in Jerusalem war. (Lk 23,5-7).

Pilatus konnte aufatmen, denn die Juden haben ihm über Jesus eine Information geliefert, aufgrund derer er die, für ihn ohnehin unangenehme Gerichtsangelegenheit, an Herodes abgeben konnte. Jener war für Jesus, als einen galiläischen Bürger, juristisch zuständig. Die Priesterschaft und der Ältestenrat mitsamt ihrer Dienerschaft machen sich auf den Weg zum Vierfürsten Herodes, um dort ihre Anklagen gegen Jesus vorzutragen.

 

Fragen /Aufgaben:

  1. Welche Anklagepunkte bringen die Hohenpriester gegen Jesus vor? Was ist an ihnen dran?
  2. Für welchen der vier Anklagepunkte interessiert sich Pilatus und warum?
  3. Es erstaunt, dass Jesus den Pilatus in ein tiefes Gespräch hineinführt, warum?
  4. Welche Unterschiede erkennst du zwischen den Reichen dieser Welt und dem Reich Gottes?
  5. Die Frage nach Wahrheit bewegte Pilatus, doch wie ging er in der konkreten Situation damit um?
  6. Wie bewertet Pilatus die Anklagen der Juden gegen Jesus?
  7. Warum ist Pilatus sichtlich erleichtert, als er hört, dass Jesus aus Galiläa kommt?

 

10.34.4 Jesus vor Herodes Antipas

Herodes Antipas bekam einen vierten Teil des Gebietes, welches sein Vater Herodes der Große beherrschte. So unterstand ihm ganz Galiläa, dazu Peräa, ein kleineres Gebiet im Ostjordanland auf der Höhe von Jericho im Nordosten des Toten Meeres. Seine Residenz in Galiläa war Sephoris, etwa acht Kilometer nordwestlich von Nazaret gelegen. Seine Präsenz am Passahfest in Jerusalem war eher religionspolitisch motiviert als aus echter Frömmigkeit. Doch was er seit geraumer Zeit wünschte, erfüllte sich überraschend. Hier ist es wieder nur der Evangelist Lukas, der diese Episode als Ergänzung zu dem gesamten Gerichtsprozess beschreibt.

Als aber Herodes Jesus sah, freute er sich sehr; denn er hätte ihn längst gerne gesehen; denn er hatte von ihm gehört und hoffte, er würde ein Zeichen von ihm sehen. (Lk 23,8).

Zunächst freut sich Herodes Jesus endlich zu sehen. Gehört hatte er über ihn schon viel und seine Neugier wurde immer wieder geweckt. Übernahm er doch die Auffassung einiger aus dem Volk: Johannes der Täufer sei von den Toten auferstanden und daher wirkten in ihm solche Kräfte (Lk 9,7;  Mt 14,2). Er scheint wenig an einem rechtsmäßigen und ordentlichen Gerichstprozess interessiert zu sein. Wie auch die Juden aus der Pharisäer- und Sadduzäerpartei, so will auch er Zeichen sehen (Mt 16,1). Doch lässt sich Jesus niemals in selbstsüchtige Wünsche oder gar Vorderungen von Menschen einspannen. Herodes bewegt nicht die Buße zu Gott wegen seines gottlosen und unmoralischem Lebensstils, sondern Neugier, vielleicht sogar gewisse Erwartung auf Rechtfertigung seines Handelns. Und so ungeordnet verläuft auch das Verhör. Der Evangelist Lukas fährt in seinem Bericht fort: „Und er fragte ihn viel. Er aber antwortete ihm nichts.“ (Lk 23,9). Inzwischen ist für uns das Schweigen von Jesus nicht mehr ungewöhnlich. „Die Hohenpriester aber und Schriftgelehrten standen dabei und verklagten ihn hart.“ (Lk 23,10). Vermutlich verklagten sie Jesus wegen angeblicher Aufhetzung des Volkes und seines Anspruchs `König zu sein`. Besonders Letzteres wird erkennbar durch die spöttische und verachtende Geste (leuchtendes Gewand) wie Lukas berichtet: „Aber Herodes mit seinen Soldaten verachtete und verspottete ihn, legte ihm ein weißes  Gewand an und sandte ihn zurück zu Pilatus.“ (Lk 23,11). Herodes hört sich zwar die vorgetragenen Anklagen der Hohenpriester an, doch für ihn sind sie nicht stichhaltig genug um Jesus zu verurteilen. Wäre von Jesus eine Gefahr für Volk und Staat, ja sogar für den Vierfürsten ausgegangen, hätte er dies bereits früher in Galiläa bemerkt (Lk 9,9). Um ihn jedoch wegen mangelnder Beweise zu entlasten und freizusprechen, dafür ist er den Anklägern gegenüber zu feige. Nach der Charakterisierung durch Jesus glich er einem Fuchs (Füchsin), der mit List seinen eigenen Vorteil sucht (Lk 13,32). Und so überspielt er seine innere Zerrissenheit mit verachtenden und spöttischen Äußerungen gegenüber Jesus. Damit erniedrigt und demütigt er Jesus vor seinen Soldaten und der jüdischen Elite. Jesus aber lässt sie jetzt gewähren. So schickt Herodes ihn zu Pilatus zurück mit dem symbolischen Hinweis: „Keinerlei Schuld, die den Tod verdient hätte“. Doch was bewegt den Vierfürsten?

  • Den Hohenpriestern und Schriftgelehrten will er mit einer Verurteilung des Angeklagten keinen Gefallen tun, wusste er nur zu gut um die Unschuld Jesu. Ebenso weiß er aus eigener Erfahrung, wie belastend es für das Gewissen ist, einen Propheten zu töten (Mt 14,9;  Lk 9,9).
  • Um Jesus jedoch freizusprechen, wozu er befugt war und auch Grund gehabt hätte, war er zu feige, zu stolz und ehrgeizig.
  • Wenn er Jesus zu Pilatus zurückschickt, bekundet er seine Anerkennung dem Präfekten gegenüber und seine Loyalität zu Rom. Das nützt ihm persönlich am meisten.

So ziehen die Hohenpriester, die Schriftgelehrten und Ältesten mit dem gebundenen Jesus wieder zurück zum Prätorium des römischen Statthalters. Welch eine Ironie: Eigentlich sollte sich die Priesterschaft an diesem Tag mit dem Opfern der Passahlämmer im Tempel beschäftigen. Sie aber sind voller Unruhe und beeilen sich das wahre Opferlamm Gottes zu schlachten (Jes 53;  Joh 1,29;  Mt 20,18).

Und der Evangelist Lukas schließt diese Episode ab mit einem politischen Detail: „An dem Tag wurden Herodes und Pilatus Freunde; denn vorher waren sie einander Feind.“ (Lk 23,12). Natürlich handelt es sich hier um politische Freundschaft, nicht um echte und aufrichtige Beziehung.

 

Fragen / Aufgaben:

  1. Was ist der Grund für die Freude des Herodes als er Jesus sieht?
  2. Werden seine Erwartungen erfüllt?
  3. Warum reagiert Jesus auch hier mit Schweigen?
  4. Beschreibe die innere Zerrissenheit des Herodes, welche Motive bewegen ihn?

 

10.34.5 Jesus Barabbas – Aufrührer und Mörder

Bei dem Versuch den Ablauf des Prozesses chronologisch darzustellen, liefert uns der Evangelist Johannes die meisten Informationen. Einen breiten Platz im Prozessverlauf nimmt die Debatte über die Freilassung des Barabbas, der kurioserweise auch den Vornamen Jesus trägt.

In Jerusalem, in der Burg Antonia war eine römische Garnison stationiert, deren Aufgabe es war, das Geschehen in der Stadt und insbesondere auf dem Tempelgelände ununterbrochen zu beobachten. Die Zeloten (Eiferer) nutzten die Zusammenkünfte des Volkes bei den Festen, um Aufstände gegen die römischen Besatzer zu organisieren. Bei solch einem lokalen Aufstand in der Stadt, kam es zu einer blutigen Auseinandersetzung mit den römischen Legionären. Die Anführer des Aufstandes wurden festgenommen und nun warteten sie auf ihren Prozess mit anschließender Hinrichtung. Der Evangelist Markus schreibt dazu: „Es war aber einer, genannt Barabbas, gefangen mit den Aufrührern, die beim Aufruhr einen Mord begangen hatten.“ (Mk 15,6b-7). Barabbas bedeutet Sohn des Abbas und der Evangelist Matthäus ergänzt dies, indem er noch dessen persönlichen Namen nennt: „(…) der hieß Jesus Barabbas.“ (Mt 27,16 – im griechischen Text des NT ist diese Bemerkung in eckige Klammern gesetzt, weil sic nicht in allen alten Handschriften zu finden ist). Nach den Worten des Evangelisten Lukas könnte man sogar annehmen, dass er bei dem Aufstand den Mord begangen hatte. So schreibt er von ihm: „Der war wegen eines Aufruhrs, der in der Stadt geschehen war, und wegen eines Mordes ins Gefängnis geworfen worden.“ (Lk 23,19 vgl. mit Apg 3,14). Johannes schreibt dem Barabbas auch noch räuberische Tätigkeiten zu: „ (…) Barabbas aber war ein Räuber.“ (Joh 18,40).

 

Fragen / Aufgaben:

  1. Wie kamen die lokalen Aufstände in Judäa zustande?
  2. Was wurde Barabbas angelastet?

 

10.34.6 Der 1. Versuch des Pilatus Jesus freizulassen

Die Hohenpriester, Schriftgelehrten und Ältesten treffen mit dem gebundenen Jesus wieder am Prätorium des Statthalters ein. Auch immer mehr Menschen aus dem Volk versammeln sich vor dem Prätorium. Der Grund ist das Zugeständnis des Präfekten – zum Passahfest einen Gefangenen, den das Volk wünschte, freizulassen. So schreibt der Evangelist Matthäus:

Zum Fest aber hatte der Statthalter die Gewohnheit, dem Volk einen Gefangenen loszugeben, welchen sie wollten. (Mt 27,15;  Mk 15,7). Der Evangelist Markus ergänzt: „Und das Volk ging hinauf und bat, dass er tue, wie er zu tun pflegte.“ (Mk 15,8). Viele Schaulustige und Neugierige aus dem Volk wollen sich dieses Spektakel nicht entgehen lassen. „Pilatus aber rief die Hohenpriester und die Oberen und das Volk zusammen und sprach zu ihnen: Ihr habt diesen Menschen zu mir gebracht als einen, der das Volk aufwiegelt; und siehe, ich habe ihn vor euch verhört und habe an diesem Menschen keine Schuld gefunden, derentwegen ihr ihn anklagt; Herodes auch nicht, denn er hat ihn uns zurückgesandt. Und siehe, er hat nichts getan, was den Tod verdient. Darum will ich ihn schlagen lassen und losgeben.“ (Lk 23,13b-17). Wir stellen fest, dass dem Pilatus viel daran gelegen war Jesus freizulassen, zumal ihn darin auch seine Frau bestärkte. Und er weiß um die Hintergründe und Motive der Hohenpriester: „Denn er wusste, dass sie ihn aus Neid überantwortet hatten.“ (Mt 27,18). Ihm ist bestimmt auch nicht entgangen, dass der überwiegende Teil des Volkes mit Jesus sympatisierte. Und so greift er nach der Möglichkeit das Volk für sein Konzept, der Freigabe von Jesus, zu gewinnen. Eindeutig wendet sich Pilatus an das Volk mit den Worten: „Es besteht aber die Gewohnheit bei euch, dass ich euch einen zum Passafest losgebe; wollt ihr nun, dass ich euch den König der Juden losgebe?“ (Joh 18,39). Der Evangelist Markus ergänzt: „(…) denn er erkannte, dass ihn die Hohenpriester aus Neid überantwortet hatten.“ (Mk 15,10). Er hegt begründete Hoffnung, dass das Volk sich für die Freilassung von Jesus, dem Messias/König, entscheidet. Womit er nicht rechnet, ist der überaus starke Einfluß der Hohenpriester und Ältesten auf das Volk. Die Hohenpriester wissen um die Sympatie des Volkes gegenüber Jesus und stacheln auf eine freche Art das Volk gegen Jesus auf. So schreibt der Evangelist Matthäus: „Aber die Hohenpriester und Ältesten überredeten das Volk, dass sie um Barabbas bitten, Jesus aber umbringen sollten.“ (Mt 27,20). In Matthäus 27,17 lesen wir: „Und als sie versammelt waren, sprach Pilatus zu ihnen: Welchen wollt ihr? Wen soll ich euch losgeben, Jesus Barabbas oder Jesus, von dem gesagt wird, er sei der Christus?“ Und der Evangelist Markus ergänzt: „Aber die Hohenpriester reizten das Volk auf, dass er ihnen viel lieber den Barabbas losgebe.“ (Mk 15,11). Auch nach Matthäus 27,21a-23 wendet sich Pilatus erneut an das Volk mit den Worten:

Welchen wollt ihr? Wen von den beiden soll ich euch losgeben? Sie sprachen: Barabbas! Pilatus sprach zu ihnen: Was soll ich denn machen mit Jesus, von dem gesagt wird, er sei der Christus? Sie sprachen alle: Lass ihn kreuzigen! Er aber sagte: Was hat er denn Böses getan? Sie schrien aber noch mehr: Lass ihn kreuzigen!“ (vgl. Mk 15,14).

Seit wann fragt ein oberster Richter die Menge des Volkes, was er denn mit einem unschuldigen Gefangenen machen soll? Immerhin fragt er nach stichhaltigen Anklagepunkten, doch außer lautem Geschrei bekommt er nichts zu hören. Der Evangelist Lukas ergänzt: „Da schrien sie alle miteinander: Hinweg mit diesem, gib uns Barabbas los!“ (Lk 23,18). Und Lukas hebt die erneute Bemühung des Statthalters – Jesus freizulassen – hervor:

Da redete Pilatus abermals auf sie ein, weil er Jesus losgeben wollte. Sie riefen aber: Kreuzige, kreuzige ihn! Er aber sprach zum dritten Mal zu ihnen: Was hat denn dieser Böses getan? Ich habe nichts an ihm gefunden, was den Tod verdient; darum will ich ihn schlagen lassen und losgeben. Aber sie setzten ihm zu mit großem Geschrei und forderten, dass er gekreuzigt würde. Und ihr Geschrei nahm überhand.“ (Lk 23,20-23).

Auch der erneute Versuch, vom Volk verwertbare Gründe für eine Verurteilung zu bekommen, schlägt fehl. Gegen die geballte Macht der Oberen und der aufgewiegelten Menge kommt Pilatus nicht an. So schreibt der Evangelist Matthäus:

Als aber Pilatus sah, dass er nichts ausrichtete, sondern das Getümmel immer größer wurde, nahm er Wasser und wusch sich die Hände vor dem Volk und sprach: Ich bin unschuldig an seinem Blut; seht ihr zu! Da antwortete das ganze Volk und sprach: Sein Blut komme über uns und unsere Kinder! (Mt 27,24-25).

Der Sammelbegriff „das ganze Volk“ muß hier in der Relation zu den Zehntausenden nicht daran beteiligten gesehen werden. Auch sind in erster Linie die vielen Knechte und Diener der Priesterschaft und der Ältesten dabei, welche sagen müssen, was ihnen ihre Herren befahlen (Joh 19,6). Trotzdem repräsentieren sie und alle Anwesenden mit den Oberen an diesem Morgen das Volk im Allgemeinen. Hier stellen sich folgende Fragen:

  • Kann ein Richter sich die Hände in Unschuld waschen, wenn er gegen sein besseres Wissen einen unschuldigen Menschen der Willkür der Menge überlässt? Hier kommt Jesus zu Wort und urteilt: „Darum: der mich dir überantwortet hat, der hat größere Sünde.“ (Joh 19,11). Ja, Pilatus trägt Mitschuld an der Verurteilung Jesu.
  • Inwieweit kann sich der Fluch des am Gerichtsprozess beteiligten Volkes auch auf ihre Nachkommen auswirken?

Sicher ist die Sünde nicht übertragbar, doch wenn Eltern auf ihre Kinder einen Fluch aussprechen, hat dies Folgen.

Da gab er ihnen Barabbas los, aber Jesus ließ er geißeln und überantwortete ihn, dass er gekreuzigt werde.“ (Mt 27,26). Der Evangelist Markus ergänzt: „Pilatus aber wollte dem Volk zu Willen sein und gab ihnen Barabbas los.“ (Mk 15,15). Der Evangelist Lukas fügt hinzu: „Und Pilatus urteilte, dass ihre Bitte erfüllt werde, und ließ den los, der wegen Aufruhr und Mord ins Gefängnis geworfen war, um welchen sie baten; aber Jesus übergab er ihrem Willen. (Lk 23,24-25).

So gibt er dem Willen des Volkes nach, lässt den frei, um den sie bitten, einen, der in der Tat das Volk gegen die Römer aufhetzte und aller Wahrscheinlichkeit nach einen römischen Legionär tötete (Apg 3,14). Was für ein ungerechtes Urteil!

 

Fragen / Aufgaben:

  1. Was bedeutete das Zugeständnis des Statthalters an das Volk – zum Passahfest einen Gefangenen auf Wunsch freizulassen? Was erhoffte sich Pilatus davon?
  2. Beschreibe die Taktik des Pilatus in diesem Prozess?
  3. Warum suchte nach Möglichkeiten, um Jesus freizulassen?
  4. Wie ist der starke Einfluss der Hohenpriester auf das Volk zu erklären?
  5. Welche Charakterzüge des Pilatus treten bei diesem Prozess deutlich ans Licht?

 

10.34.7 Jesus wird von den römischen Soldaten verspottet und geschlagen

(Bibeltexte: Mt 27,27-30;  Mk 15,15-19;  Joh 19,2-3)

 

Nun beginnt die letzte Phase des Prozesses gegen Jesus. Der Evangelist Johannes schreibt:

Da nahm Pilatus Jesus und ließ ihn geißeln. (Joh 19,1).

Ab hier folgen wir nun dem vollständigeren Bericht des Evangelisten Matthäus:

Da nahmen die Soldaten des Statthalters Jesus mit sich in das Prätorium in den Palast, und sammelten die ganze Abteilung um ihn. Und zogen ihn aus und legten ihm einen Purpurmantel an und flochten eine Dornenkrone und setzten sie ihm aufs Haupt und gaben ihm ein Rohr in seine rechte Hand und beugten die Knie vor ihm und verspotteten ihn und sprachen: Gegrüßet seist du, der Juden König!, und spien ihn an und nahmen das Rohr und schlugen damit sein Haupt. (Mt 27,27-30;  Mk 15,15-19;  Joh 19,2-3).

Der Evangelist Markus ergänzt: „(…) fielen auf die Knie und huldigten ihm.“ (Mk 15,19).

 

  • Jesus wird erniedrigt und gedemütigt,
  • verhöhnt und verspottet,
  • geschlagen und bespuckt.

Er erduldete diese Schmach und setzte sich nicht zur Wehr. So sieht seine Herrschaft aus, die Herrschaft über die Sünde, so besiegt er das Böse.

Damit führt er ganz praktisch die Prinzipien des Gottesreiches in dieser Welt ein.

 

Fragen /Aufgaben:

  1. Wenn Pilatus von der Unschuld Jesu überzeugt war, warum ließ er Jesus dennoch geißeln?
  2. Welche Bedeutung hatte die Geißelung der Angeklagten?
  3. Warum wehrt sich Jesus nicht wenigstens mit Worten gegen seine Peiniger?
  4. Was wird in seinem Verhalten offenbar?

 

10.34.8 Der 2. Versuch des Pilatus Jesus freizulassen

Nun folgen wir dem detaillierten Bericht des Evangelisten Johannes:

Da ging Pilatus wieder hinaus und sprach zu ihnen: Seht, ich führe ihn heraus zu euch, damit ihr erkennt, dass ich keine Schuld an ihm finde. Und Jesus kam heraus und trug die Dornenkrone und das Purpurgewand. Und Pilatus spricht zu ihnen: Seht, welch ein Mensch! Als ihn die Hohenpriester und die Knechte sahen, schrien sie: Kreuzige!  Kreuzige! Pilatus spricht zu ihnen: Nehmt ihr ihn hin und kreuzigt ihn, denn ich finde keine Schuld an ihm. Die Juden antworteten ihm: Wir haben ein Gesetz und nach dem Gesetz muss er sterben, denn er hat sich selbst zu Gottes Sohn gemacht. (Joh 19,4-7).

Erst jetzt nennen die Hohenpriester den für sie wichtigsten theologischen Anklagepunkt, wohl wissend oder mindestens ahnend, was er bei Pilatus bewirken kann. Denn für einen loyalen Römer war seit der Zeit des Kaisers Augustus in Rom `υιος του θεου – hyos tou theou – Sohn Gottes `. Der römische Senat hatte den durch Brutus und Cassius im Jahre 44 v. Chr. ermordeten Julius Cäsar `göttlich` gesprochen. Daher galten seine Nachkommen als Söhne des Göttlichen. Es ist eigentlich ein Wahnsinn, doch damit folgten sie dem ägyptischen und babylonischem Vorbild.

 

Pilatus sucht erneut das Gespräch mit Jesus

Dieser Hinweis ruft bei Pilatus große Furcht hervor.

Als Pilatus dies Wort hörte, fürchtete er sich noch mehr und ging wieder hinein in das Prätorium und spricht zu Jesus: Woher bist du? Aber Jesus gab ihm keine Antwort. Da sprach Pilatus zu ihm: Redest du nicht mit mir? Weißt du nicht, dass ich Macht habe, dich loszugeben, und Macht habe, dich zu kreuzigen? Jesus antwortete: Du hättest keine Macht über mich, wenn es dir nicht von oben her gegeben wäre. Darum: der mich dir überantwortet hat, der hat größere Sünde. (Joh 19,8-11).

Große Furcht befällt Pilatus, er kennt den sogenannten `Sohn des Göttlichen` in der Person des Kaisers. Und er weiß, wie diese Herrscher oft willkürlich regieren. Hier jedoch steht einer vor ihm, dessen Herrschaft sich ganz anders ausdrückt. Die Würde, die Selbstbeherrschung, der Blick frei von Hass, Verachtung und Vergeltung, keine Klage gegen seine Feinde und Peiniger. Noch nie hat er solch einen Gefangenen vor sich gehabt. In Jesu Verhalten kommt das wahre Göttliche zum Ausdruck. In der Tat, nicht Jesus fürchtet sich vor diesem Gericht, sondern Pilatus fürchtet sich vor Jesus, welcher der eigentliche Richter in diesem Prozess ist.

 

Fragen / Aufgaben:

  1. Warum interessiert sich Pilatus für die Herkunft von Jesus?
  2. Wer war nach griechisch-römischer Auffassung der `Sohn Gottes`?
  3. Beachte und beschreibe das Verhalten von Jesus? Was drückt es aus?
  4. Wie bewertet Jesus Sünde und Verantwortung?
  5. Wer ist der eigentliche Richter in diesem Prozess?

 

10.34.9 Der 3. Versuch des Pilatus, Jesus freizulassen

Von da an trachtete Pilatus danach, ihn freizulassen. Die Juden aber schrien: Lässt du diesen frei, so bist du des Kaisers Freund nicht; denn wer sich zum König macht, der ist gegen den Kaiser. Als Pilatus diese Worte hörte, führte er Jesus heraus und setzte sich auf den Richterstuhl an der Stätte, die da heißt Steinpflaster, auf Hebräisch Gabbata. (Joh 19,12-13).

Die Oberen der Juden sind hartnäckig, jede Gottesfurcht ist von ihnen gewichen. Sie greifen zum letzten Argument, dem sich Pilatus schließlich, wenn auch widerwillig, beugt. In ihrem Argument verbirgt sich eine versteckte Drohung. Eine Klage beim Legaten in Syrien hätte möglicherweise Pilatus den Posten gekostet. Dieses Risiko ist er nicht eingehen. Diesen Preis ist er nicht bereit zu zahlen.

 

Pilatus wird von seiner Frau gewarnt

Auch bei den Römern hatten die Frauen in der Öffentlichkeit nicht viel zu sagen, umso mehr jedoch im privaten Bereich. Die Frau des Pilatus brachte den Mut auf, um sich mit ihrem Plädoyer für Jesus in den Prozessverlauf einzumischen. So schreibt der Evangelist Matthäus:

Und als er auf dem Richterstuhl saß, schickte seine Frau zu ihm und ließ ihm sagen: Habe du nichts zu schaffen mit diesem Gerechten; denn ich habe heute viel erlitten im Traum um seinetwillen. (Mt 27,19).

Auch wenn sie keine Details ihres Traumes nennt, so wird dadurch doch deutlich, dass Gott sich auf eigenartige Weise Menschen offenbart – hier einer heidnischen Frau, deren Mann als korrupt, machtgierig und wankelmütig charakterisiert werden kann. Trotz ihres Appells bringt Pilatus nicht den Mut auf, gerecht zu urteilen.

 

Fragen / Aufgaben:

  1. Wie stark war der Einfluss der Frauen im Römischen Reich?
  2. Welchen Wert hatte das Plädoyer der Frau des Pilatus im Zusammenhang des Prozesses gegen Jesus?
  3. Wenn ihr Traum von Gott war, was sollte er dann bewirken?

 

10.34.10 Pilatus auf dem Richterstuhl – Jesus wird zum Tode verurteilt

Den Verlust des Titels `Freund des Kaisers` will Pilatus nicht opfern. Letzlich wird doch das Recht und die Wahrheit dem Machterhalt zum Opfer fallen.

Es war aber am Rüsttag für das Passahfest um die sechste Stunde. Und er spricht zu den Juden: Seht, das ist euer König! Sie schrien aber: Weg, weg mit dem! Kreuzige ihn! Spricht Pilatus zu ihnen: Soll ich euren König kreuzigen? Die Hohenpriester antworteten: Wir haben keinen König als den Kaiser. Da überantwortete er ihnen Jesus, dass er gekreuzigt würde. (Joh 19,14-16).

Nach außen hin erwecken die Hohenpriester den Eindruck, als wären sie dem Kaiser ergebener als Pilatus. Bis zuletzt versucht dieser Jesus freizubekommen, doch ohne Erfolg. Zu viel und zu oft fragt er als Richter, was er denn tun solle. Bemerkenswert ist aber auch der Tatbestand, dass es letztlich die Hohenpriester waren, die mit Nachdruck den Tod Jesu forderten. Sie waren es letztlich, die den Hohen Rat stark beeinflussten, ihren Knechten befahlen, das Volk überredeten und gegen Jesus aufhetzten.

Das Unfassbare geschieht – die Verurteilung des Gerechten durch die Hand der Heiden wird durchgesetzt. Es kam, wie Jesus es voraussagte (Mt 20,19). Schon nach fünf Wochen nimmt Petrus das Volk und die Oberen der Juden in die Verantwortung mit den Worten:

Der Gott Abrahams und Isaaks und Jakobs, der Gott unsrer Väter, hat seinen Knecht Jesus verherrlicht, den ihr überantwortet und verleugnet habt vor Pilatus, als der ihn loslassen wollte. Ihr aber habt den Heiligen und Gerechten verleugnet und darum gebeten, dass man euch den Mörder schenke. (Apg 3,13-14).

Mit der Aussage: „Wir haben keinen König als den Kaiser.“ verleugneten die Hohenpriester Jesus. Auch der Apostel Paulus hebt im Rückblick die bewusste Verleugnung Jesu durch die Führung Israels hervor:

Und obwohl sie nichts an ihm fanden, das den Tod verdient hätte, baten sie doch Pilatus, ihn zu töten. (Apg 13,28).

 

Fragen / Aufgaben:

  1. Wie ist es zu erklären, dass die Juden immer wieder neue Argumente gegen Jesus aufbringen?
  2. Was zählte letztlich bei Pilatus? Was beinhaltet die Bezeichnung `Freund des Kaisers`?
  3. Was sagen die Juden mit dem Bekenntnis „Wir haben keinen König als den Kaiser“ aus?
  4. Was bewog letzlich Pilatus Jesus zu verurteilen?

 

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Der Triumph in der Nacht – Jesus vor dem Hohen Rat

Jesus wird von dem Hohenpriester Hannas verhört

(Bibeltexte: Joh 18,12-14; 19-24;  Lk 22,54. 63-65)

Kapitel 2

Kapitel 1
https://www.youtube.com/watch?v=1YeqSj4KVa4?rel=0&wmode=transparent&autoplay=1

Abbildung: Ein uralter Olivenbaum im Garten Gethsemane auf dem Westabhang des Ölbergs. Hier verbrachte Jesus die letzte Stunde vor der Gefangennahme im Gebet zu seinem Vater im Himmel (Foto: April 1986).

Abbildung : Das Modell der Stadt Jerusalem zur Zeit von Jesus. Im südlichen Teil auf dem Tempelgelände tagte seit dem Jahre 30 n.Chr. das Synedrium – der Hohe Rat. (Foto: April 1986).

 

Der Ev. Johannes schreibt: „Die Schar aber und ihr Anführer  und die Knechte der Juden nahmen Jesus und banden ihn und führten ihn zuerst zu Hannas; der war der Schwiegervater des Kaiphas, der in jenem Jahr Hoherpriester war. Kaiphas aber war es, der den Juden geraten hatte, es wäre gut, „ein“ Mensch stürbe für das ganze Volk. (Joh  18,12-14; 11,49-52).

Der Ev. Johannes schreibt: „Die Schar aber und ihr Anführer  und die Knechte der Juden nahmen Jesus und banden ihn und führten ihn zuerst zu Hannas; der war der Schwiegervater des Kaiphas, der in jenem Jahr Hoherpriester war. Kaiphas aber war es, der den Juden geraten hatte, es wäre gut, „ein“ Mensch stürbe für das ganze Volk. (Joh  18,12-14; 11,49-52).

Der Ev. Lukas ergänzt dazu: „Sie ergriffen ihn aber und führten ihn ab und brachten ihn in das Haus des Hohenpriesters. (Lk 22,54). Gemeint ist hier wohl das Haus des Hohenpriesters Hannas, welches sich im Palasthof (gr. αὐλῇ  – aul¢) der Hohenpriesterfamilie befand, so die Zusammenhänge aus Mt 26,58 „Petrus aber folgte ihm von ferne bis zum Palast (Palasthof) des Hohenpriesters“ (Mt 26,69;  Mk 14,54;  Lk 22,66).

Ausdrücklich betont der Ev. Johannes, dass Jesus zuerst zu dem Hohenpriester Hannas geführt wurde. Dies setzt eine klare Absprache unter den Hohentpiestern voraus. Von diesem inoffiziellen Verhör im Haus bei Hannas berichtet nur der Ev. Johannes. Doch auch im Text des Ev. Lukas ist eine Zweiteilung dieses nächtlichen Prozesses erkennbar. Hannas war der Schwiegervater des amtierenden Hohenpriesters Kaiphas. Durch die Heirat seiner Tochter mit Kaiphas blieb die Macht in der Familie des Hannas. Für dieses bewusst  geplante Vorverhör  gibt es verschiedene Gründe.

  • Zum einen wurde dem Älteren, sozusagen emeritierten Hohenpriester die Ehre erwiesen, sich als Erstem ein Bild über Jesus zu machen;
  • Als erfahrener Richter konnte er dem Prozessverlauf die Richtung angeben;
  • Dadurch wurde Zeit gewonnen für den Hauptprozess, der erst in den frühen Morgenstunden stattfand (Lk 22,66);
  • Dazu suchte man noch in der Nacht händeringend nach Zeugen (Mt 26,59; Mk 14,55).

Die Befragung findet im Haus statt. Petrus aber war draußen im Hof inmitten der Knechte an einem Feuer. Gerade hier und in dieser ersten Phase des Verhörs findet die Verleugnung des Petrus statt (Joh 18,15-18; 25-27).

Der Hohepriester befragte nun Jesus über seine Jünger und über seine Lehre. Jesus antwortete ihm: Ich habe frei und offen vor aller Welt geredet. Ich habe allezeit gelehrt in der Synagoge und im Tempel, wo alle Juden zusammenkommen, und habe nichts im Verborgenen geredet. Was fragst du mich? Frage die, die gehört haben, was ich zu ihnen geredet habe. Siehe, sie wissen, was ich gesagt habe. (18,19-21).

Es wäre sehr ungewöhnlich, wenn Hannas bis dahin nicht mitbekommen hätte, wer seine Jünger sind, was er lehrt und tut. Einen seiner Jünger – Johannes, kennt er sogar persönlich. Eigentlich lagen den Hohenpriestern viele Detailinformationen vor über die Tätigkeit von Jesus wie folgender Text bestätigt: „Da versammelten die Hohenpriester und die Pharisäer den Hohen Rat und sprachen: Was tun wir? Dieser Mensch tut viele Zeichen.,  Lassen wir ihn so, dann werden sie alle an ihn glauben, und dann kommen die Römer und nehmen uns Land und Leute.“ (Joh 11,47-48). Und bereits damals vor etwa 2 Monaten beschlossen sie Jesus (und sogar auch Lazarus) zu töten. Dieses Verhör zielte keineswegs auf einen gerechten Prozessverlauf ab (Mt 26,3; Mk 12,12; Lk 20,19; Mk14,1).

Der Ev. Johannes schreibt nur von zwei Aspekten der Frage des Hannas, nicht jedoch den originalen Wortlaut. Dieser wird in seiner Tiefe erst erkennbar in der Antwort von Jesus. Hannas verfolgt ein Ziel: Er will feststellen, dass Jesus mit seinen Jüngern eine Untergrundtätigkeit ausübt und durch seine Lehre Anhänger um sich sammelt. Dies wäre typisch für die Vorbereitung eines Aufstandes. Genau so lautete später auch eine der Hauptanklagepunkte vor Pilatus: „Sie aber bestanden darauf und sprachen: Er wiegelt das Volk auf, indem er in ganz Judäa lehrt, angefangen in Galiläa bis hierher!“ (Lk 23,5). Dieser Anklagepunkt musste jetzt sorgfältig vorbereitet und später vor Pilatus begründet werden. Das war die Hauptaufgabe von Hannas. Denn später im Hauptprozess wird es vorrangig um theologische Fragen gehen.

Jesus durchschaut die List und Bosheit des Hannas und wert sich entschieden gegen den Verdacht etwas Heimliches im Verborgenen gelehrt oder gemacht zu haben. Dazu. könnte Hannas alle seine Diener befragen, denn jene wurden Zeugen der öffentlichen Lehren von Jesus. So schreibt der Ev. Johannes:„Nun kamen die Diener zu den obersten Priestern und Pharisäern zurück, und diese sprachen zu ihnen: Warum habt ihr ihn nicht gebracht? Die Diener antworteten: Nie hat ein Mensch so geredet wie dieser Mensch!“ (Joh 7,45-46). Doch jetzt will Hannas diese Zeugen keineswegs zu Wort kommen lassen. Seine Absicht ist klar: Er will Jesus in dessen eigenen Worten fangen. Aber Jesus lässt sich auf sein Konzept nicht ein. Hannas hat sich nun selbst in eine Sackgasse hinein manövriert. In dieser für ihn unangenehmen Situation greift einer seiner Diener ungefragt ein. So berichtet der Ev. Johannes weiter: „Als er so redete, schlug einer von den Knechten (gr. υπερετών – ypereton – Diener), die dabeistanden, Jesus ins Gesicht und sprach: Sollst du dem Hohenpriester so antworten?“ (Joh 18,22).  Will er mit dieser verachtenden Geste seinem Dienstherrn imponieren? Dies nimmt Jesus jedoch keineswegs stillschweigend hin. „Jesus antwortete: Habe ich übel geredet, so beweise (bezeuge), dass es böse ist; habe ich aber recht geredet, was schlägst du mich.“ (18,23). Was für eine Antwort von Jesus! Doch an dieser Stelle erinnern wir uns natürlich an die Aussage von Jesus: „Und wer dich auf die eine Backe schlägt, dem biete die andere auch dar.“ (Lk 6,29; Mt 5,39). Hält sich Jesus selber nicht an das, was er die Jünger lehrte? Nun ist folgendes zu beachten, nicht alles was Jesus sagte, ist immer und in jedem Fall wörtlich oder buchstäblich zu nehmen, weil es die Möglichkeiten der Reaktion einschränken würde. Jene seine Aussage muss in erster Linie von seiner eigenen Anwendung her verstanden werden. Daher beobachten wir genau, wie Jesus hier und in den folgenden extremen Situationen das praktiziert, was er in der Theorie gesagt hat.

Hätte Jesus sein Gesicht zum zweiten Schlag hingehalten, hätte sich der Schläger im Recht gewusst. Mit seiner Gegenfrage schlägt Jesus nicht zurück, er tritt auch nicht einfach nur für sein Recht ein, sondern mit seiner Antwort/Frage gibt er dem Schläger die Möglichkeit sein Verhalten selbst zu beurteilen. Es gibt auch Situationen, in denen Jesus schweigend die Schläge erduldete (Mt 26,67). Auf Gewalt zu reagieren mit angemessenen Worten, ist nicht nur angebracht um seiner selbst willen, sondern auch um das Unrecht des Gewalttäters zu benennen, zu beurteilen und damit dem Gegner die Möglichkeit der Umkehr zu geben. Auf jeden Fall ist hier durch das weise Verhalten von Jesus der Konflikt entschärft worden. Hannas sieht keinen Anlass mehr, die Befragung fortzuführen. Da er den ungerechten Eingriff seines Dieners nicht tadelt, macht er sich zum Mittäter. Doch wer genau hinschaut, stellt fest: Nicht Jesus steht als Angeklagter vor dem Richter, sondern Hannas ist der eigentliche Angeklagte, denn er disqualifiziert sich als Richter (Joh 3,19).  Der Ev. Johannes berocjtet weoter: „Und Hannas sandte ihn gebunden zu dem Hohenpriester Kaiphas. (Joh 18,24). Doch bevor Jesus dort ankommt, bzw. bevor der Hohe Rat in den frühen Morgenstunden zusammenkommt, wird Jesus von den Knechten misshandelt (Lk 22,65-66). Der Ev. Lukas ergänzt dazu:  „Die Männer aber, die Jesus gefangen hielten, verspotteten ihn und schlugen ihn, verdeckten sein Angesicht und fragten: Weissage, wer ist’s, der dich schlug? Und noch mit vielen andern Lästerungen schmähten sie ihn. (Lk 22,63-65).

Das rauhe und gewalttätige Verhalten des einen Dieners und die stillschweigende Billigung des Hannas, lösten eine ganze Lawine von lästerlichen Schmähungen aus, die von Gewalt begleitet waren. Doch jetzt schweigt Jesus.  Dies bezeugt Petrus Jahre später mit den Worten: „als er geschmäht wurde, schmähte er nicht wieder, als er litt, drohte er nicht, sondern übergab es dem, der gerecht richtet.“ (1Petr 2,23).

 

Fragen / Aufgaben:

  1. In welchem zeitlichen Rahmen fand dieses nächtliche Verhör statt?
  2. Sammle Informationen zur Leitungsstruktur im Judentum zur Zeit von Jesus und welche Funktionen hatten die beiden, im Text erwähnten Personen – Hannas und Kaiphas?
  3. In welchem Zusammenhang ist die Aussage des Kaiphas: „es wäre gut, „ein“ Mensch stürbe für das ganze Volk“ gemacht worden? (vgl. Joh 18, 14b mit 11,49-52).
  4. Erforsche und nenne einige Gründe, warum Jesus zuerst zu Hannas geführt wurde?
  5. Warum interessiet sich Hannas für die Jünger von Jesus und seine Lehre? Hat er darüber keine Kenntnisse? Was für ein Ziel verfolgt er mit seiner Doppelfragen?
  6. Warum beantwortet Jesus nicht die Fragen des Hannas? Warum offenbart Jesus bei dieser besonderen Gelegenheit nicht wer er wirklich ist? Warum sagt Jesus nichts von seinem Evangeliums? Was ist der eigentliche Inhalt seiner Antwort?
  7. Aus welchen Grund schlägt der Diener Jesus ins Gesicht?
  8. Versuche die Reaktion von Jesus zu erklären. Warum verteidigt er sich hier mit Worten, aber bei einer anderen Gelegenheit nimmt er Schläge stillschweigend hin?
  9. Warum stellte Hannas keine weiteren Fragen an Jesus?

 

Jesus vor Kaiphas und dem Hohen Rat

(Bibeltexte: Mt 26,57-68;  Mk 14,57-65;  Lk 22,66-71)

 

1. Die Informationsquellen

Wir haben  festgestellt, dass nur der Ev. Johannes von dem nächstlichen Verhör Jesu vor dem Hohenpriester Hannas berichtet.  Über den weiteren Verlauf macht er jedoch keine Angaben, lediglich den Hinweiss, dass Jesus zu Kaiphas überstellt wurde.

Die Evangelisten Matthäus und Markus berichten Auszugsweise und einander ergänzend über das  nächtliche Verhör bei Kaiphas (Mt 26,57-68;  Mk 14,57-65). Der Ev. Lukas schreibt von dem Verhör des Hohen Rates, der erst bei Tagesanbruch stattfand. Damit entsteht der Eindruck, dass es sich um den offiziellen Prozess handelt und zwar im Gerichtsgebäude das sich ab dem Jahre 30 n.Chr. auf dem Tempelgelände befand. „Und als es Tag wurde, versammelten sich die Ältesten des Volkes, die Hohenpriester und Schriftgelehrten und führten ihn vor ihren Rat.“ (Lk 22,66). Der Hohe Rat (Sanhedrin – Synedrion – Synedrium), gehörten parteiübergreifend siebzig (71) Personen an – Hohepriester, Schriftgelehrte und angesehene Älteste des Volkes. Diese Personen waren kurzfristig über die bevorstehende Gefangennahme Jesu informiert worden. Ursprünglich war die Festnahme von Jesus während der Festtage nicht geplant, weil ein Volksaufstand zu befürchten war (Mt 26,4-5; Mk 14,2).  Doch Judas bot den Hohenpriestern seine Dienste an zwei Tage vor dem Fest und darum beschleunigte sich sowohl die Festnahme, als auch der Prozess und schließlich die Hinrichtung am Passatag. (Mt 26,16).  Dazu kommt noch hinzu, dass Jesus den Judas nach dem Passamahl drängte zu gehen und zu tun, was er sich im Herzen vorgenommen hatte (Joh 13,28-29). Hier stellen wir fest, dass letztlich Gott über allem Planen der Menschen steht. Er bestimmt seinen Sohn Jesus Zeit, Tag und sogar Stunde und nicht seine Gegner (Joh 13,1-3). Dadurch bringt er die Pläne der Führung Israels völlig durcheinander. Unter chaotischen Umständen stellt Judas in dieser feierlichen Nacht die gesamte Führung Israels auf die Beine. Die Priesterschaft beruft den Hohen Rat ein, informiert die Tempelwache, bezieht sogar den römischen Oberhauptmann von der Burg Antonia ein und ziehen unter der Führung von Judas zum Garten Gethsemane (Joh 18,1-11). Der Ev. Matthäus schreibt: „Die aber Jesus ergriffen hatten, führten ihn zu dem Hohenpriester Kaiphas, wo die Schriftgelehrten und Ältesten sich versammelt hatten.“ (Mt 26,57;  Mk 14,53).  Hier im Haus des Kaiphas wurde Jesus nun zum zweiten Mal verhört.

 

2 Die Begriffe, welche ein Gerichtsverfahren beschreiben

Für Gericht hat die griechische Sprache den Begriff `κρίσις  – krisis`. Durch die verschiedenen Vorsilben zu diesem Wort werden bestimmte Aspekte eines Gerichtsverfahrens beschrieben. Zur Zeit Jesu war das Synedrium-Hohe Rat, sozusagen die oberste Gerichtsinstanz, an dessen Spitze der amtierende Hohepriester als oberster Richter `κριτής – krit¢s` stand.

  1. κατηγορῖα – kat¢goria – Anklage (Lk 23,10; Mk 15,4). Gelegentlich wurde ein ρήτοροςr¢toros – retor als Ankläger beauftragt (Apg 24,1-2) Kein Gerichtsprozess durfte ohne Zeugen geführt werden (5Mose 17,6; 19,15). In der Regel traten die Zeugen als Ankläger auf ((Mt 26,59-61; Mk 14,57).
  1. Ανα-κρισιςana-krisis – Untersuchung des Falles durch Anhörung, das Verhör (Lk 23,14; Apg 26,26). Die Vorsilbe `ana` hebt die Aufklärung des Falles hervor. Es geht um das Aufdecken, ans Licht bringen von tatsächlich Geschehenem. In einer Diskussion der führenden Juden beanstandet Nikodemus mutig eine Vorverurteilung Jesu mit dem Hinweis auf die Vorgaben im Gesetz. „Richtet (κρίνει – krinei) denn unser Gesetz einen Menschen, ehe man ihn verhört und erkannt hat, was er tut?“ (Joh 7,51).
  2. Απο-κρισιςapo-krisis – Antwort, es geht darum, dass sich der Angeklagte ver-antworten konnte (Mk 15,4). Durch den Begriff `απο-λογία – apo-logia` wird auch die Möglichkeit der Verteidigung ausgedrückt (Apg 25,8).
  3. Υπο-κρισιςypo-krisis, meint Heuchelei, Schauspielerei. In einem Gerichtsprozess wurde häufig geheuchelt, wie es die Schauspieler auf der Bühne taten. Im Judentum zählte die Selbstanklage nicht, man fürchtete zum Beispiel, dass der Angeklagte sich stellvertretend für einen anderen ausgibt. Dafür brauchten die Richter ein gutes Urteilsvermögen, welches durch den folgenden Begriff ausgedrückt wird.
  4. Δια-κρισιςdia-krisis, – meint Unterscheidung, Beurteilung. Es geht um die Trennung der Wahrheit von der Lüge (siehe das weise Urteil Salomos 1Chr).
  5. Κατα-κρισιςkata-krisis ist die Verurteilung, das Verdammungsurteil (Mk 14,64; Mt 27,3).

Welche von diesen Aspekten kommen im Rahmen der nächtlichen Verhöre und des Gerichtsprozesses von Jesus vor und wie wurden sie angewendet?

3. Die Zeugenaussagen

Der offizielle Gerichtsprozess, der (wie der Bericht des Ev. Lukas vernuten lässt) auf dem Tempelgelände im Gebäude des Hohen Rates stattfand,  versuchten die Hohenpriester nun der Vorverurteilung die Legitimität, das heißt, die Rechtsmäßigkeit zu geben. Doch im Grunde könnte dieser Prozess als ein Scheinprozess gewertet werden. Denn die eigentlichen Motive für diesen Prozess zum Tode waren: Neid, Missgunst, Angst um Machtverlust. Diesen Einblick geben uns die Evangelisten:

  • Kaiphas sagte: „Lassen wir ihn so, dann werden sie alle an ihn glauben, und dann kommen die Römer und nehmen uns Land und Leute.“ (Joh 11,48).
  • Und sie beobachteten ihn und sandten Auflauerer aus, die sich stellten, als ob sie fromm seien, um ihn in der Rede zu fangen, damit sie ihn der Obrigkeit und der Macht des Statthalters überliefern könnten.“ (Lk 20,20).
  • Denn er (Pilatus) erkannte/wusste, dass ihn die Hohenpriester aus Neid überantwortet hatten.“ (Mk 15,10;  Mt 27,18).

Aus dem folgenden Text wird deutlich, nicht Jesus ist im Zugzwang, sich zu verteidigen, sondern der Hohepriester und die Ältesten des Volkes suchen nach Beweismaterial, um Jesus verurteilen zu können. So schreibt der Ev. Matthäus: „Die Hohenpriester aber und der ganze Hohe Rat suchten falsches Zeugnis gegen Jesus, dass sie ihn töteten. Und obwohl viele falsche Zeugen herzutraten, fanden sie doch nichts. Zuletzt traten zwei herzu und sprachen: Er hat gesagt: Ich kann den Tempel Gottes abbrechen und in drei Tagen aufbauen.“ (Mt 26,59-61; Mk 14,57). Der Ev. Markus ergänzt: „Und einige standen auf und gaben falsches Zeugnis ab gegen ihn und sprachen: Wir haben gehört, dass er gesagt hat: Ich will diesen Tempel, der mit Händen gemacht ist, abbrechen und in drei Tagen einen andern bauen, der nicht mit Händen gemacht ist. Aber ihr Zeugnis stimmte auch so nicht überein.“ (Mk 14,58-59). Ausdrücklich betonen die Evangelisten, dass die Zeugnisse nicht übereinstimmten. Nach dem Gesetz mussten mindestens zwei Zeugen unabhängig voneinander das Gleiche aussagen (5Mose 17,6; 19,15). Man legte also Wert auf übereinstimmende Aussagen der Zeugen, die getrennt voneinander gehört wurden: „Denn viele gaben falsches Zeugnis ab gegen ihn; aber ihr Zeugnis stimmte nicht überein.“ (Mk 14,56). Von den vielen Zeugenaussagen, die gemacht wurden, sind von den Evangelisten zwei aufgezeichnet worden, die zwar an Jesu Worte aus Johannes 2,20-21 erinnern, doch weder der Originalaussage Jesu entsprachen, noch in ihrem Wortlaut einander gleich waren. Die Originalaussage von Jesus lautete: „Brecht diesen Tempel ab und in drei Tagen will ich ihn aufrichten. Da sprachen die Juden: Dieser Tempel ist in sechsundvierzig Jahren erbaut worden, und du willst ihn in drei Tagen aufrichten? Er aber redete von dem Tempel seines Leibes.“

Der Hohepriester Kaiphas hatte nun ein Problem. Es gab kein einziges verwertbares Zeugnis gegen Jesus. Der Ev. Markus schreibt weiter: „Und der Hohepriester stand auf, trat in die Mitte und fragte Jesus und sprach: Antwortest du nichts auf das, was diese gegen dich bezeugen? Er aber schwieg still und antwortete nichts.“ (Mk 14,60-61a;  Mt 26,62-63a). Was soll Jesus zu den Falschaussagen auch sagen? Der gesamte Hohe Rat wurde Zeuge dieser Falschaussagen – wie beschämend. Denn alle, von ihnen gefundenen und aufgestellten Zeugen, konnten mit ihren Aussagen Jesus nicht belasten. Es wurde solch ein Aufwand betrieben, um Jesus rechtsmäßig verurteilen zu können und es gab keinen Grund dazu.

4. Der Hohepriester fordert Jesus unter Eid heraus

Das Verhalten von Jesus ist hier ungewöhnlich, da er von seinem Recht, sich zu verantworten (apo-krisis), verteidigen  oder zu rechtfertigen, kein Gebrauch macht. Hier wurde das Recht in höchstem Maße gebeugt und Jesus lässt sie gewähren. Er denkt nicht an sich, sondern an seinen Vater, dessen Willen er nun bereit war zu tun.

Der Ev. Matthäus schreibt weiter: „Und der Hohepriester sprach zu ihm: Ich beschwöre dich bei dem lebendigen Gott, dass du uns sagst, ob du der Christus bist, der Sohn Gottes.“  (Mt 26,63b).

Und der Ev. Markus ergänzt: (…) der Sohn des Hochgelobten. (Mk 14,61b)?

Die Doppelfrage des Hohenpristers war sehr bewusst und überlegt vorgetragen worden. Es handelte sich dabei um die zentrale Frage in der Theologie des Judentums. Beide Teile der Frage sind untrennbar miteinander verknüpft:

  1. Bist du der Christus“ (der Messias, der Gesalbte)?
  2. der Sohn Gottes, des Hochgelobten“?

Nach dem `Sch`ma Israel` über den einen Gott (5Mose 6,4) ist die Person des Messias die Wichtigste im Judentum. Die Frage, ob er der Christus sei, wurde Jesus von den Juden bereits vor drei Monaten gestellt zur Zeit der Tempelweihe als er im Tempel lehrte. Das war Ende Dezember des Jahres 32. Der Ev. Johannes schreibt davon: „Da umringten ihn die Juden und sprachen zu ihm: Wie lange hältst du uns im Ungewissen? Bist du der Christus, so sage es frei heraus.“  (Joh 10,24). Damals antwortete Jesus: „Ich habe es euch gesagt und ihr glaubt nicht. Die Werke, die ich tue in meines Vaters Namen, die zeugen von mir. Aber ihr glaubt nicht, denn ihr seid nicht von meinen Schafen.“ (Joh 10,25-26).

Nach dem Text des Ev. Lukas wurde die gleiche Frage des Hohenpriesters von mehreren aus dem Rat gestellt. Ihnen antwortet Jesus: „Sage ich’s euch, so glaubt ihr’s nicht; frage ich aber, so antwortet ihr nicht.“ (Lk 22,67-68;  Mk 11,33). Die Ratsmitglieder waren demnach gar nicht interessiert an einer offenen Debatte. Bei all den früheren öffentlichen Diskussionen über theologische wie auch praktische Fragen war ihnen Jesus immer überlegen (Joh 5,42-45;  Lk 17,20;  Mt 22,17-21. 34. 42-44).

Der zweite Teil der Frage des Hohenpriesters – bist du der Sohn Gottes – ist von den Juden vorher in dieser Form nicht gestellt worden. Jesus aber hat, obwohl er sich meistens als Menschensohn bezeichnete, keinen Hehl daraus gemacht, dass er der Sohn Gottes ist, weil er Gott auch regelmäßig seinen eigenen Vater nannte. So steht in Johannes 5,18: „Darum trachteten die Juden noch viel mehr danach, ihn zu töten, weil er nicht allein den Sabbat brach, sondern auch sagte, Gott sei sein Vater, und machte sich selbst Gott gleich (ισον θεω – ison the÷).

Dazu einige Stellen aus dem Johannesevangelium:

Mein Vater, der mir sie gegeben hat, ist größer als alles, und niemand kann sie aus des Vaters Hand reißen. Ich und der Vater sind eins. (Joh 10,29-30).

Weit mehr als zwanzig Mal sprach Jesus vor den Juden von seinem Vater (so in Johannes 2; 5; 6; 8; 10; 11; 12). Dies musste auch dem Hohenpriester bekannt gewesen sein. Und das war nach dem Verständnis der Juden über die Personalität Gottes – es ist nur ein Gott – pure Lästerung und verdiente den Tod (3Mose 24,16). Allerdings muß den Juden der Zusammenhang von `Messias – König – Sohn Gottes` bekannt gewesen sein, so der Zusammenhang des Textes in 2Samuel 7,11-14: „Ich will ihm Vater sein und er soll mir Sohn sein (…)“ und dem Text aus Psalm 2,7: „Du bist mein sohn, heute habe ich dich gezeugt.

Und Jesus suchte zu seiner Zeit die theologische Engsicht der Juden zu erweitern mit seiner Frage von der Herkunft und dem Status des Messias und brachte damit die Schriftgelehrten in theologische Erklärungsnot. Seine Frage lautete:

Was denkt ihr von dem Christus? Wessen Sohn ist er? Sie antworteten: Davids Da fragte er sie: Wie kann ihn dann David durch den Geist Herr nennen, wenn er sagt (Psalm 110,1): »Der Herr sprach zu meinem Herrn: Setze dich zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde unter deine Füße lege«? Wenn nun David ihn Herr nennt, wie ist er dann sein Sohn? Und niemand konnte ihm ein Wort antworten, auch wagte niemand von dem Tage an, ihn hinfort zu fragen. (Mt 22,42-46;  2Sam 7,11-14;  Ps 110,1).

Von der Schrift her leiteten die Schriftgelehrten die Herkunft des Messias von David ab. Nach ihrer Erkenntnis sollte der Messias aus Bethlehem kommen (Mt 2,4-6;  Micha 5,1;  Joh 7,41), aber nach ihrem Wissensstand kam Jesus aus dem galiläischen Nazaret (Joh 7,52). Von der natürlichen Herkunft der Person Jesu hatten sie eine völlig falsche Kenntnis (Joh 7,41-42). Niemand aus der Führungsschicht aber auch aus dem Volk, erinnerte sich noch an die Ereignisse vor 33 Jahren in Bethlehem (Lk 2,1-21;  Mt 2,4-6). Oder wussten die Älteren noch davon und hielten diese Informationen für sich zurück, weil diese die Messianität Jesu bestätigt hätten?

 

5. Das Bekenntnis Jesu

Auf die Frage des Hohenpriesters antwortet Jesus mit: „Du sagst es.“ (Mt 26,64a). Der Ev. Martkus ergänzt: „Ich bin`s!“ (Mk 14,62a). „Doch sage ich euch: Von nun an werdet ihr sehen den Menschensohn sitzen zur Rechten der Kraft und kommen auf den Wolken des Himmels.“ (Mt 26,64b;  Mk 14,62). Der Ev. Lukas hat noch eine Ergänzung: „Aber von nun an wird der Menschensohn sitzen zur Rechten der Kraft Gottes. Da sprachen sie alle: Bist du denn Gottes Sohn? Er sprach zu ihnen: Ihr sagt es, ich bin es.“ (Lk 22,69-70). Es scheint so als ob Jesus bewusst dieses direkte Bekenntnis bis auf diese entscheidende Stunde aufbewahrt hatte. Die kurze, prägnante Antwort: „Du  sagst es, Ihr sagt es, ich bin`s“, drückt folgendes aus:

  1. Die Frage des Hohenpriesters wertet Jesus als eine Aussage – „Du sagst es.“ Wer so fragt, muß eine Ahnung haben über die Zusammenhänge von Messias und Sohn Gottes. Der Hohepriester und der Hohe Rat sind in der Kenntnis und daher auch in der Verantwortung. Sie sagen etwas in Frageform aus, um damit Jesus in die Falle zu locken. Jesus aber rechnet es ihnen an als eine Zeugenaussage, die dem Schriftzeugnis und der Wirklichkeit entspricht.
  2. Das „Ich bin`s“ erinnert an die Selbstbezeichnung Gottes am brennenden Dornbusch in der Wüste am Fuße des Berges Sinai (2Mose 3,14). Im griechischen Alten Testament, der Septuaginta (LXX) steht an dieser Stelle „ego eimi“ „Ich bin“, so auch im Text des griechischen Neuen Testamentes (Mt 22,32). Sicher hat Jesus im Hohen Rat Hebräisch gesprochen und auch das hebräische Wort für `Ich bin – ani hu` verwendet, das neben der Selbstbezeichnung (Joh 8,58 – „ehe Abraham wurde, bin ich – ego eimi“) von Jesus auch verwendet wird, wenn er sich als das Licht der Welt, die Wahrheit, das Leben oder die Auferstehung bezeichnet (Joh 8,12; 14,6; 11,25). Die Emphörung des Kaiphas ist nur nachzuvollziehen, wenn man annimmt, dass seiner Erkenntnis zufolge das Wesen des Messias nicht über das eines Menschen hinausgeht. Göttlichkeit oder gottgleichsein des Messias fand keinen Platz in ihrer Messiologie (Joh 5,18; 10,30). Wie auch immer der Hohe Rat und Kaiphas das Selbstzeugnis Jesu verstanden oder verstehen wollten, sicher verwendet Jesus das „ani huego eimi – Ich bin es“ im Vollsinn des Wortes.
  3. Die Zusatzaussage: „Des Menschensohn wird sitzen zur Rechten der Kraft Gottes und kommen in den Wolken des Himmels“, erinnert an Daniel 7,13: „Ich sah in diesem Gesicht in der Nacht, und siehe, es kam einer mit den Wolken des Himmels wie eines Menschen Sohn und gelangte zu dem, der uralt war, und wurde vor ihn gebracht“ und an Psalm 110,1 „Der HERR sprach zu meinem Herrn: / »Setze dich zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde zum Schemel deiner Füße mache.« In dem Bekenntnis von Jesus vor dem höchsten Gremium Israels und dem Hohenpriester Kaiphas wird die zentrale `Theologie – Gotteslehre`  offenbart – Gott der Vater sendet seinen Sohn als Messias, er wird Menschensohn – er wird erhöht zur Rechten Gottes – er kommt mit den Wolken des Himmels (zum Gericht).

Wir können feststellen, dass Jesus auch diese Zusatzaussage mit den Schriftgelehrten bereits vor einigen Tagen angesprochen hatte (Mt 22,42-46). Doch sie ließen sich weder in ihrem theologischen Standpunkt, noch in ihrem bereits gefassten Beschluß nicht korrigieren. Der Hohepriester Kaiphas reagiert gesetzeswidrig: „Da zerriss der Hohepriester seine Kleider (das Zerreisen der Kleider war dem Hohenpriester untersagt (3Mose 21,10) „und sprach: Er hat Gott gelästert! Was bedürfen wir weiterer Zeugen? Siehe, jetzt habt ihr die Gotteslästerung gehört. Was ist euer Urteil? Sie antworteten und sprachen: Er ist des Todes schuldig“ (Mt 26,65-66;  Mk 14,63-64). Im Lukastext übernehmen die Ältesten die Worte des Kaiphas und sprechen das Urteil über Jesus gemeinsam oder auch einzeln aus: „Sie aber sprachen: Was bedürfen wir noch eines Zeugnisses? Wir haben’s selbst gehört aus seinem Munde.“ (Lk 22,71).

Die Bermerkung: „(…) der ganze Hohe Rat“, ist hier eine Pauschalaussage, denn mindestens zwei Ratsmitglieder willigten nicht ein in dieses Urteil. Der Ev. Lukas bemerkt später: „Und siehe, da war ein Mann mit Namen Josef, ein Ratsherr, der war ein guter, frommer Mann und hatte ihren Rat und ihr Handeln nicht gebilligt.“ (Lk 23,50-51). Das Gleiche kann man auch von Nikodemus sagen, der bereits im Vorfeld das eigentliche Denken der Führenden aufzeigte und zwischendurch für Jesus eintrat und später bei der Grablegung zusammen mit Josef, Jesus einen wertvollen Dienst erwies (Joh 3,1-2; 7,50-51; 19,39). Doch diese zwei  Stimmen wurden von der Mehrheit nicht berücksichtigt.

Das Unfassbare geschieht, der Schuldlose wird der schlimmsten Gotteslästerung beschuldigt. Das Urteil lautet: „Er ist des Todes schuldig“.

Da fingen einige an, ihn anzuspeien und sein Angesicht zu verdecken und ihn mit Fäusten zu schlagen und zu ihm zu sagen: Weissage uns! (Matthäus ergänzt: „Weissage uns, Christus, wer ist’s, der dich schlug?“). Und die Knechte schlugen ihn ins Angesicht. (Mk 14,65; Mt 26,67-68).

Die menschliche Bosheit schwappt hier über alle Ufer. Zügellos und ohne jegliche Hemmungen schlagen die Knechte auf Jesus mit Fäusten ein, speien ihnn ins Angesicht und höhnen ihn.

 

Fragen / Aufgaben:

  1. Was waren die eigentlichen Gründe für die Führung der Juden, Jesus zu töten?
  2. Was waren die wesentlichen Elemente im Ablauf eines Gerichtes in Israel?
  3. Warum suchten die Mitglieder des Hohen Rates nach falschen Zeugen?
  4. Warum schweigt Jesus zu den Falschaussagen?
  5. Vor welchem Problem stand der Hohepriester KAiphas?
  6. Was waren die zentralen theologischen Themen bei dieser Gerichtsverhandlung?
  7. Jesus bekennt sich zu seinem Messias-Sein und Gottes Sohn-Sein, was mit den Schriften übereinstimmt. Warum bewertet der Hohepriester es als Gotteslästerung?
  8. durfte der Hohepriester seine Kleider zerreißen?
  9. Nach dem Urteil wird Jesus misshandelt und geschlagen. Wovon zeugt die Brutalität der Knechte mit der sie auf Jesus einschlagen? Lies Jesaja 50,6ff.
  10. Wer stimmte der Verurteilung von Jesus nicht zu? Und was lehrt uns diese mutige Haltung?

 

 

 

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Ist die Seele unsterblich?

Seele – Psyche

 

In dieser Begriffstudie wollen wir uns mit der Frage beschäftigen, was versteht die Bibel unter der im Deutschen so geläufigen Bezeichnung `Seele`? Es stellen sich Fragen wie:

  • Ist Seele eines der drei Bestandteile der Persönlichkeit des Menschen – Leib, Seele, Geist? Wenn ja, wo ist dann der Sitz der Seele?
  • In welcher Beziehung steht sie zum Leib und Geist?
  • Werden die Begriffe Seele und Geist auch als Synonyme, also austauschbar gebraucht?
  • Ist Seele wie auch der Geist, im Gegensatz zum Körper, unsterblich?
  • Haben Tiere auch eine Seele?
  • Meint Seele etwa das lebendige Wesen des Menschen, sein pulsierendes Leben?

Beeilen wir uns nicht Behauptungen aufzustellen und voreilige Schlüsse zu ziehen, indem wir eine dieser Fragen mit ja oder nein beantworten, sondern machen wir uns auf den mühsamen aber auch lohnenden Weg viele Texte der Bibel zu erforschen, um einer Erkenntis näher zu kommen. Die gewonnene Erkenntnis kann uns helfen, die Zusammenhänge unseres Menschseins besser zu verstehen und der Bereitschaft uns einer Jesusgemäßen Therapie zu unterziehen. Sie kann auch hilfreich werden im Dienstbereich Seelsorge und Gesprächsführung in der Gemeinde.

 

Überall, wo wir in den deutschen Übersetzungen das Wort `Seele` vorfinden, steht im Griechischen `ψυχὴpsych¢`. Davon sind dann die Fachbegriffe wie: Psychologie, Psychiatrie, Psychiater Psychoanalyse, Psychose, Psychotherapie, Psychopharmaka, abgeleitet. Es fällt jedoch auf, dass an vielen Stellen, in denen das griechische Wort `ψυχὴpsych¢` steht, es nicht mit Seele, sondern mit Leben übersetzt wird. Dieser Tatbestand ermutigt uns zum genaueren Betrachten des Wortes `ψυχὴpsych¢`, sowohl im unmittelbaren Text als auch dem Gesamtzusammenhang der Heiligen Schriften.

 

1.  Der Status des Menschen bei seiner Erschaffung

 

In 1Mose 1,26-28 lesen wir: „Und Gott sprach: Lasst uns Menschen machen in unserm Bild, uns ähnlich. Sie sollen herrschen über die Fische des Meeres und über die Vögel des Himmels und über das Vieh und über die ganze Erde und über alle kriechenden Tiere, die auf der Erde kriechen! Und Gott schuf den Menschen nach seinem Bild, nach dem Bild Gottes schuf er ihn; als Mann und Frau schuf er sie. Und Gott segnete sie, und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und vermehrt euch, und füllt die Erde, und macht sie euch untertan…“ Und aus 1Mose 2,7 erfahren wir bestimmte Details über die Erschaffung des Menschen. „da bildete Gott, der HERR, den Menschen, aus Staub vom Erdboden und hauchte in seine Nase Atem des Lebens (πνοὴς ζωὴςpno¢s ¢s); so wurde der Mensch eine lebende Seele (ψυχὴν ζῶσαν – psych¢n z÷san)“. (vgl. mit Apg 17,25: „Gott gibt Leben und Odem – ζωὴν καὶ πνοὴν – ¢n kai pno¢n“ Joh 20,22: „Er hacute sie an – ἐνεφύσησεν – enefys¢sen“). Zum ersten Mal begegnen wir in diesem Text dem Begriff `ψυχὴ – psych¢`. fGott schuf den Körper des Menschen von dem Staub der Erde und hauchte den Odem des Lebens in das Angesicht des Menschen und dadurch wurde der Mensch zu einer lebenden Seele. Demnach ist die lebende Seele das  Ergebnis der Vereinigung des Lebensodems aus Gott mit dem aus der Erde geschaffenem Körper des Menschen durch Gott. Eine Vereinigung des Himmlischen mit dem Irdischen, des Göttlichen mit dem Menschlichen fand dort statt. Der Umkehrschluss wird uns in dem Schöpfungspsalm 104,29-30 beschrieben. „Du verbirgst dein Angesicht: Sie erschrecken. Du nimmst ihren Lebensatem (LXX: τὸ πνεῦμα αὐτῶν – to pneuma aut÷n – ihren Geist) weg: Sie vergehen und werden wieder zu Staub. Du sendest deinen Lebenshauch (LXX: τὸ πνεῦμά σου,- to pneuma sou – deinen Geist) aus: Sie werden geschaffen; du erneuerst die Flächen des Ackers.“ (Nach LXX: Ps 103,29-30).  Aus diesen Texten geht hervor, dass Lebensoden und Geist als Synonyme verwendet werden. Der Stand und der Zustand des Menschen nach der Erschaffung war sehr gut. Er war ausgestattet mit allen Vollmachten und Fähigkeiten für die Verwaltung der Erde. Für den Fortbestand bekam er den Segen Gottes. Lebensmittel gab es in Hülle und Fülle. Das Klima war sehr angenehm. Und er brauchte sich vor niemand auf dieser Erde fürchten. Scham und Unrecht kannte er nicht. Das war PARADIES auf Erden!

 

2.  Der Zustand des Menschen nach ihrem Ungehorsam

 

Hier gehen wir der Frage nach: Was hat sich nach der Übertretung des Gebotes im menschlichen Wesen geändert? Was bedeuten die Worte Gottes: „denn an dem Tag, da du davon isst, musst du sterben (stirbst du) (LXX: θανάτῳ ἀποθανεῖσθε – thanat÷ apothaneisthe werdet ihr des Todes sterben)“. Da der Mensch und seine Frau nicht sofort tot umgefallen sind, stellt sich die Frage: Was Gott mit Sterben gemeint hat? Könnte es sein, dass ihnen `ψυχὴpsych¢ – Seele(irdusches, physisches Leben)` in minderer Qualität  blieb,  aber `ζῶσαν – z÷san – (geistlich/göttliches) Leben`  verloren ging? Sicher ist, dass sich in der Lebensqualität beim Menschen etwas drastisch verschlechtert hatte (1Mose 3,16-19).  Die Folgen des Ungehorsams zeigten sich auch recht bald bei ihnen und den nachfolgenden Generationen. Was nun der Mensch konkret verloren hat geht aus dem Rückschluss  der Worte von Jesus hervor: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat ewiges Leben (ζωὴν αἰώνιον – ῆn ai÷nion) und kommt nicht ins Gericht, sondern er ist aus dem Tod (θανάτῳ – thanat÷) in das Leben (ζωήν – ῆn) übergegangen. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, dass die Stunde kommt und jetzt da ist, wo die Toten (νεκροὶnekroi) die Stimme des Sohnes Gottes hören werden, und die sie gehört haben, werden leben (ζήσουσινzῆsousin).“ (Joh 5,24-25; vgl. mit Eph 2,1-6). Demnach ist der Mensch (Adam) nicht gestorben im Sinne von nicht mehr existent.  Das Sterben bezog sich auch nicht primär auf seinen Körper, immerhin lebte er insgesamt 930 Jahre. Sondern sie wurden von der Quelle des Lebens aus Gott getrennt und kamen in die Sphäre der (geistlichen) Finsternis und auch unter die Macht der Finsternis, unter die Macht der Sünde und folglich unter die Macht des Todes (Röm 6,23; 7,11; Apg 26,18).

 

3.  Der Begriff  `Psych¢` steht für den ganzen Menschen

 

In 5Mose 10,22 wird der Begriff `psych¢` entsprechend 1Mose 2,7  als Synonym für Personen gebraucht: „Deine Väter zogen hinab nach Ägypten mit siebzig Seelen (ἑβδομήκοντα ψυχαῖς – ebdom¢konta psychais); aber nun hat dich der HERR, dein Gott, zahlreich gemacht wie die Sterne am Himmel.“ Der Verwendung dieses Begriffes bezogen auf Personen begegnen wir in vielen Texten des Alten und Neuen Testamentes. (1Mose 14,21; 36,6; 46,18; 4Mose 9,13;  Apg 2,41; 3,23; 7,14; 27,22.37). Nach diesen Texten umfasst der Begriff `ψυχῆ – psych¢ ` den ganzen Menschen, sein ganzes Wesen.

 

4.  Psych¢ beschreibt das physische Leben des Menschen (aber auch der Tiere)

 

Desweiteren erfahren wir, dass ein enger Zusammenhang zwischen dem Blut und dem physischen Leben besteht, so dass sogar Blut gelegentlich mit Leben bezeichnet wird. In 1Mose 9,4 steht geschrieben: „Nur Fleisch in dem Blut des Lebens (ἐν αἵματι ψυχῆς – en aimati  psych¢s), sollt ihr nicht essen!“ Dies kann folgendes bedeuten:

  • Der Begriff `ψυχὴpsych¢` wird auch auf das (biologische) Leben im Blut der Tiere angewendet.
  • Daher muss das Blut der Tiere abgelassen werden, bevor das Fleisch zum Verzehr freigegeben wird.
  • Das Blut selbst ist nicht für den Verzehr vorgesehen.

Dieser Gedankengang wird in 3Mose 17,11-14 aufgegriffen und präzisiert: „Denn die Seele (psych¢ – Leben) alles Fleisches ist in seinem Blut, und ich selbst habe es euch auf den Altar gegeben, Sühnung für eure Seelen (psych¢n – Leben) zu erwirken. Denn das Blut ist es, das Sühnung tut durch die Seele (psych¢ – Leben) in ihm.“ Wenn also der reumütige Sünder mit seinem Lamm zum Priester kam, wurde das Lamm geschlachtet. Das Blut wurde auf den Altar gegossen. Damit wurde symbolhaft angedeutet, dass das Leben des unschuldigen Tieres Sühne erwirkte für den Sünder und er frei ausgehen konnte. So ist zu erklären, warum Gott das Blut nicht für den Verzehr sondern für die Sühnung vorgesehen hatte.

Durch den Propheten Jesaja klärt Gott die Israeliten darüber auf, dass sein Gesalbter wie ein Lamm für die Schuld der Menschen durch die Hingabe seines Lebens (psych¢) Sühnung erwirken wird.

Aber dem HERRN gefiel es, ihn zu zerschlagen; er ließ ihn leiden. Wenn er sein Leben psych¢) zum Schuldopfer gegeben hat, so wird er Nachkommen sehen und seine Tage verlängern; und das Vorhaben des HERRN wird in seiner Hand gelingen. Nachdem seine Seele psych¢) Mühsal erlitten hat, wird er seine Lust sehen und die Fülle haben; durch seine Erkenntnis wird mein Knecht, der Gerechte, viele gerecht machen, und ihre Sünden wird er tragen. Darum will ich ihm die Vielen zum Anteil geben, und er wird Starke zum Raub erhalten, dafür, dass er seine Seele (psych¢) dem Tod preisgegeben hat und sich unter die Übeltäter zählen ließ und die Sünde vieler getragen und für die Übeltäter gebetet hat. (Jes 53,10-12).

Gott schützte zur Zeit der Kindheit das irdische, physische Leben (psych¢n) von Jesus. Und Gott sprach zu Josef im Traum: „Steh auf, nimm das Kind und seine Mutter und zieh in das Land Israel, denn die nach dem Leben (psych¢n) des Kindes trachteten sind gestorben.“ (Mt 2,20). Doch während seines Dienstes sprach Jesus immer wieder von der freiwilligen Hingabe seines Lebens unter dem Aspekt der Sühnung: „Denn der Sohn des Menschen ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und gebe sein Leben (psych¢n) als Lösegeld für die Vielen.“ (Mk 10,45; vgl. mit Mt 20,28; 1Joh 3,16; ähnlich wie in 3Mose 17,11-14 symbolhaft vorgebildet war).

Im Zusammenhang der Lehre über den guten Hirten, sagte Jesus von sich selbst: „Ich bin der gute Hirte, der gute Hirte lässt sein Leben (psych¢n) für die Schafe.“ (Joh 10,11). Gemeint ist hier sein (sündloses) physisches Leben. Genau so auch in 10,15: „Wie der Vater mich kennt, so kenne ich den Vater  und ich gebe mein Leben (psych¢n) für die Schafe.“ Und Joh 10,17: „Deswegen liebt mich der Vater, weil ich mein Leben (psych¢n) hingebe, damit ich es wieder nehme.“ (Vgl. auch mit Joh 15,13). Der Schluss seiner Aussage macht deutlich, dass er aus dem Tod wieder zurückkehren wird. Allerdings ist es bei Jesus nach der Auferweckung, ein Leben in einem verwandelten Körper (vgl. dazu auch Ps 16,8-11 mit Apg 2,31; 13,32-37; Phil 3,20-21).

 

5. „Wer sein Leben liebt, wird es verlieren…“ – was meint Jesus damit?

 

In Johannes 12,23-25 zeigt Jesus die Notwendigkeit auf, wie die Jünger die Prioritäten in ihrem Leben richtig setzen sollen: „Wer sein Leben (psych¢n) liebt, der wird es verlieren, wer aber sein Leben (psych¢n) hasst in dieser Welt, wird es bewahren für das ewige Leben (ζωὴν αἰώνιον – Z÷¢n ai÷nion)).“ (ähnlich auch in Mt 10,39: 16,25-26; Lk 9,24-25; 17,33; 21,19). Mit der Bildrede vom Weizenkorn macht Jesus deutlich, dass er als Erster bereit ist den Weg der Lebenshingabe zu gehen und damit für seine Nachfolger zum Vorbild wurde.

Anmerkung: Jesus schützt das Leben der Menschen (Lk 6,9; 9,56?). Sein ganzer Dienst an Menschen bestätigt seine postitive Einstellung zum physischen Leben des Menschen.

 

Die übermütige Selbsteinschätzung des Petrus: „warum kann ich dir diesmal nicht folgen? Ich will mein Leben (psych¢n) für dich lassen“, weist Jesus zu diesem Zeitpunkt zurück (Joh 13,37). Die Motivation stimmt bei Petrus nicht, weil er dem Wort von Jesus nicht glaubt und weil er seinen Willen durchsetzen will, dies kann Jesus nicht gebrauchen. Es wäre oft einfacher, in einem kurzen Prozess den Märtyrertod zu erleiden, als das gesamte Leben in der Hingabe und der Selbstaufopferung zu leben.

An der Einstellung und dem Verhalten des Ap. Paulus erkennen wir, wie er die Prioritäten in seinem Leben richtig gesetzt hatte.  „Aber auf das alles nehme ich keine Rücksicht; mein Leben (psych¢n) ist mir auch selbst nicht teuer, wenn es gilt, meinen Lauf mit Freuden zu vollenden und den Dienst, den ich von dem Herrn Jesus empfangen habe, nämlich das Evangelium der Gnade Gottes zu bezeugen.“ (Apg 20,24; 15,24-26).

 

Fortsetzung folgt

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Ist es egal wie oder was wir essen? Jesus und die Apostel antworten auf die Fragen über dem Umgang mit Lebensmitteln

7.8 Jesus bezieht Stellung zu den Reinheitsvorschriften der Ältesten und tadelt die Pharisäer wegen der Missachtung der Gebote Gottes

(Bibeltexte: Mt 15,1-20; Mk 7,1-23)

7.8.1 Der Vorwurf der Pharisäer und die Stellungnahme von Jesus

In der Zeit zwischen der bedeutenden Rede von Jesus in der Synagoge zu Kapernaum und dem Ausflug nach Syro-Phönizien, berichtet sowohl Matthäus als auch Markus über eine heftige Diskussion mit den religiösen Leitern des Volkes. Pharisäer und einige Schriftgelehrte waren aus Jerusalem angereist. Diese Diskussion fand in der Öffentlichkeit statt und zwar bei einer Gelegenheit, während Jesus zum Volk redete (Mk 7,14a).Wahrscheinlich befand sich Jesus noch in Kapernaum.

Abbildung 13 Ein Teil der Stadt Kapernaum wurde freigelegt. Hier sind Fundamentreste von Wohnhäusern zu erkennen. In den Evangelien werden die Häuser von: Petrus, Matthäus, Jairus, vom römischen Hauptmanns, dem königlichen Beamten erwähnt und sicher hatte die Familie des Zebedäus dort auch ein Haus (Foto am 23. Januar 2019).

Die pauschale Anklage der Pharisäer lautete: die Jünger von Jesus missachten die Überlieferungen der Ältesten. Der konkrete Punkt ist die Unterlassung der rituellen Waschung der Hände vor dem Essen. So schreibt der Ev. Markus:

Und es versammelten sich bei ihm die Pharisäer und einige von den Schriftgelehrten, die aus Jerusalem gekommen waren. Und sie sahen, dass einige seiner Jünger mit unreinen, das heißt ungewaschenen Händen das Brot aßen. Denn die Pharisäer und alle Juden essen nicht, wenn sie nicht die Hände mit einer Handvoll Wasser gewaschen haben, und halten so an der Überlieferung der Ältesten fest; und wenn sie vom Markt kommen, essen sie nicht, bevor sie sich gewaschen haben. Und es gibt viele andre Dinge, die sie zu halten angenommen haben, wie: Becher und Krüge und Kessel und Bänke zu waschen. Da fragten ihn die Pharisäer und die Schriftgelehrten: Warum wandeln deine Jünger nicht nach der Überlieferung der Ältesten, sondern essen das Brot mit unreinen (gemeinen) Händen?“ (Mk 7,1-6).

Die Pharisäer wussten sich zuständig für die Einhaltung des Gesetzes (entsprechend der Auslegung der Ältesten) sowie deren genauen Anwendung im Alltag. In diesem Fall haben sie die Jünger von Jesus beim Essen, bzw. vor dem Essen genau beobachtet und gemerkt, dass einige von ihnen ihre Hände nicht gewaschen hatten. Dies nehmen sie zum Anlass, um bei Jesus (der als Rabbi für seine Jünger verantwortlich war) vorzusprechen. „Warum übertreten deine Jünger die Überlieferungen der Ältesten; denn sie waschen ihre Hände nicht wenn sie Brot essen.“ Wir merken sofort, worauf sie ihren Vorwurf gründen. Nicht auf die Vorschriften Gottes im Mosaischen Gesetz, sondern auf die Überlieferungen der Ältesten (gr.  παράδοσιν των πρεσβυτερων paradosin tön presbyterön). Das im Deutschen oft verwendete Wort `Tradition`, kommt aus dem Lateinischen  und meint auch `Überlieferung`. Oft handelte es sich dabei um eine erweiterte Erklärung bestimmter Aussagen aus dem Gesetz Moses.

Der griechische Begriff `κοινόν – koinon – gemein`,

wird in den meisten Übersetzungen mit `unrein` wiedergegeben, dadurch ist der Text einfacher zu verstehen. Doch eigentlich steht dort nicht `un-rein`, sondern `gemein`. womit der absolute Gegensatz von `rein` exakt herausgestellt wird. Natürlich bedarf dieses Wort der Erklärung. Die Kriterien im Gesetz Moses für `rein` oder `gemein` waren für alle Lebensbereiche festgelegt. Sie sind jedoch durch die Überlieferungen der Ältesten erweitert worden. So war etwas oder jemand `gemein`, wenn es (er, sie) dem rituellen Reinheitsstandart nicht entsprach. Wenn es sich außerhalb der für Gott geweihten, geheiligten Sphäre befand und daher unbrauchbar, verwerflich, unrein wurde (3Mose 11,2-22; Apg 10,15.28; 11,3-9; 21,28: „diese Stätte gemein gemacht und daher entweiht“). 

Als nächstes fragen wir, ob der Vorwurf der Pharisäer berechtigt ist? Die Formulierung: „mit unreinen (gemeinen), das heißt mit ungewaschenen Händen“, war laut dem Verständnis der Pharisäer: ungewaschen = gemein/unrein, auch wenn die Hände an sich sauber sind. Die Folge: Wenn die nicht gewaschenen Hände als gemein angesehen werden, dann hat es Auswirkungen auch auf die ansonst reinen Speisen, weil diese mit der Hand in den Mund geführt werden. Denn nach dem Gesetz wurde die Unreinheit durch Berührung übertragen (4Mose 19,22: „Und alles, was der Unreine berührt, wird unrein werden, und wer ihn berührt, soll unrein sein bis zum Abend.“ Es ist jedoch nicht vorstellbar, dass sich Jesus und seine Jünger bewusst und absichtlich mit schmutzigen Händen an den Tisch gesetzt hätten. So bezeugt Petrus noch Jahre später: „O nein, Herr; denn es ist nie etwas Gemeines oder Unreines in meinen Mund gekommen.“ (Apg 11,8). Der Vorwurf an die Jünger traf bei einer anderen Gelegenheit auch Jesus selbst. So lesen wir in Lukas 11,38: „Als das der Pharisäer sah, wunderte er sich, dass er (Jesus) sich nicht vor dem Essen gewaschen hatte.“ Es bestand demnach für Jesus (und zwar konkret in diesem Fall) nicht die Notwendigkeit zur Waschung, denn bei einer anderen Gelegenheit hätte Jesus sehr gerne eine Waschung (Fußwaschung) in Anspruch genommen, doch dort wurde diese ihm verweigert (Lk 7,44).

Eigentlich deckt der von den Pharisäern ausgesprochene Vorwurf an die Adresse der Jünger, die Oberflächlichkeit der überlieferten Vorschrift auf. Weil dabei nicht die Frage nach der Notwendigkeit des Händewaschens gestellt wurde, sondern, nach der äußeren Befolgung der Vorschrift – eine handvoll Wasser und der Buchstabe ist erfüllt. Die Verordnung `Hände waschen` ist in den Reinheitsvorschriften des Mosaischen Gesetzes explizit für die rituelle Reinheit und Dienstbereitschaft der Priester vorgeschrieben worden (2Mose 30,19-20; 2Mose 40,32 u.a.m.). Ansonsten ist öfters von `Füße waschen` die Rede, aber auch Waschungen zum Zwecke der rituellen Reinheit (1Mose 18,4; 24,32; 3Mose 15,11 u.a.m.). Vielleicht kommt die Verordnung für das Händewaschen nicht so oft vor, weil beim Waschen anderer Körperteile, Kleider oder Gegenstände, die Hände gleichzeitig auch gewaschen wurden. Jedoch ist das Waschen der Hände `vor dem Essen` im Gesetz Moses nicht ausdrücklich vorgeschrieben. Aus rein praktischen, gesundheitlichen Überlegungen und zum Zwecke der Erfrischung, nutzte man gerne die Gelegenheiten für körperliche Hygiene (1Mose 43,31; 2Sam 12,20; Hes 16,9; Joh 2,6).

Es fällt auf, dass Jesus in diesem Fall auf den Vorwurf der Pharisäer zunächst nicht eingeht. Doch bei einer anderen Gelegenheit (bei der Jesus selbst das Händewaschen unterlassen hatte) tadelt er sehr bewusst die Pharisäer mit den Worten: „Ihr Pharisäer, ihr haltet die Becher und Schüsseln außen rein; aber euer Inneres ist voll Raub und Bosheit. Ihr Narren, hat nicht der, der das Äußere geschaffen hat, auch das Innere geschaffen? Doch gebt als Almosen von dem, was da ist; siehe, dann ist euch alles rein.“(Lk 11,37-41; vgl. auch mit Mt 23,25-26). Mit dem „Äußeren“ meint Jesus sehr wahrscheinlich den Körper, mit dem „Inneren“ das Herz, den inneren Menschen. Der Ev. Markus erläutert im Detail die von Jesus angesprochene Praxis der Pharisäer. „Wenn die Juden vom Einkaufen nach Hause kommen, waschen sie mit einer Hand voll Wasser ihre Hände vor dem Essen. Auch achteten sie sorgfältig darauf, ihre Trinkgefäße, Kessel und Tonkrüge zu waschen (Mk 7,3-4). Auf diese Weise entwickelte sich im Laufe der Zeit aus einer durchaus sinnvollen Waschungspraxis eine feste Tradition, bei der nicht mehr der tiefe Sinn, sondern die äußere Form im Vordergrund stand. Und dies tadelte Jesus, nicht jedoch die Waschung an sich, wenn die Notwendigkeit und auch die Möglichkeit dazu bestand.

 

7.8.2 Jesus tadelt die Pharisäer wegen der Auflösung der Gebote Gottes

Jesus nennt die Pharisäer „Heuchler“ (Schauspieler), weil er ihr Herz sieht und weiß, was sie denken und aus welchem Grund sie seine Jünger anklagen. Denn die Anklage der Jünger ist auch eine Anklage an deren Lehrer. Seine Antwort, die er mit einem Jesajazitat belegt, macht dies deutlich: „Dies Volk ehrt mich mit den Lippen; aber ihr Herz ist fern von mir. Vergeblich dienen sie mir, weil sie lehren solche Lehren, die nichts sind als Menschengebote“ (Jes 29,13).

Jesus hat sicherlich nichts gegen persönliche Hygiene einzuwenden, hatte er doch selber beim Besuch des Pharisäers Simon bemängelt, dass jener ihm kein Wasser gegeben hatte, um seine Füße zu waschen (Lk 7,44). Er will aber deutlich machen, dass die Pharisäer die Praxis dieses Rituals nicht wegen der Liebe zu Gott, sondern wegen ihres eigenen Ansehens einhalten und von anderen einfordern (Joh 5,42; Lk 11,46). Durch die penible (legalistische – gesetzliche) Einhaltung dieser äußerlichen Verordnungen, traten die viel wichtigeren Gebote Gottes in den Hintergrund. Durch die einseitige Überbetonung, wurde die Absicht der Gebote Gottes falsch verstanden und sogar verdreht, wie das nächste Beispiel von Jesus zeigt.

Ihr verlasst Gottes Gebot und haltet der Menschen Satzungen“. Und er sprach zu ihnen: „Wie fein hebt ihr Gottes Gebot auf, damit ihr eure Satzungen aufrichtet! Denn Mose hat gesagt (2Mose 20,12; 21,17): »Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren«, und: »Wer Vater oder Mutter flucht, der soll des Todes sterben.« Ihr aber lehrt: Wenn einer zu Vater oder Mutter sagt: Korban – das heißt: Opfergabe soll sein, was dir von mir zusteht -, so lasst ihr ihn nichts mehr tun für seinen Vater oder seine Mutter und hebt so Gottes Wort auf durch eure Satzungen, die ihr überliefert habt; und dergleichen tut ihr viel“ (Mk 7,10-13).

Jesus will das die Pharisäer ihr Denken und ihre Lebenspraxis korrigieren, indem er ihre Lehr- und Lebensweise im Lichte der alttestamentlichen Schriftaussagen bewertet. Seit der Zeit von Jesaja hat sich wohl nichts geändert, denn was Gott vor Jahrhunderten durch seinen Propheten dem Volk vorgeworfen hat, bezieht Jesus ebenfalls auf seine Landsleute und Zeitgenossen. Dabei greift er aus der Vielzahl ein konkretes Beispiel heraus und beleuchtet es. Das Stichwort ist `Korban (hebr.)`, so ist es auch in die griechische und deutsche Sprache übernommen worden. Glücklicherweise wird der Begriff entweder durch Jesus selbst oder den Evangelisten erklärt, mit: „Opfergabe ist (soll sein), was ich (euch Eltern) schulde“. Im Gesetz verankert war nicht nur das Verbot, was Kinder niemals tun sollten, nämlich: den Eltern `fluchen`, sondern auch das Gebot `Eltern zu ehren`. Dies schloss nicht nur Unterordnung und Respekt ein, sondern bei Bedarf auch jede Art Hilfeleistung. Ehre und Achtung der Eltern bestand eben auch darin, dass die Kinder (Söhne) ihre Eltern im Alter materiell versorgten. Die `Korban–Opfergabe` wollte Gott nicht, aber die Priester im Tempel nahmen diese gern an, weil dadurch der Tempelschatz zusätzlich aufgefüllt wurde.

Jesus selbst ist im Bereich „Ehre Vater und Mutter“ uns ein Vorbild:

  • Jesus rief Simon zwar von der Familie weg in seine Nachfolge, doch er kümmerte sich für dessen Schwiegermutter, heilte sie und „sie stand auf und diente ihnen“ (Lk 4,39).
  • Dort wo kein Mann und Sohn mehr da war, kümmerte er sich um die Witwe: „Und als der Herr sie (die Witwe) sah, erbarmte er sich über sie und sprach zu ihr: Weine nicht! Und er trat hinzu und rührte den Sarg an; die Träger aber standen still. Und er sprach: Junger Mann, ich sage dir: Steh auf! Und der Tote setzte sich auf und fing an zu reden; und er gab ihn seiner Mutter.“ (Lk 7,13-15).
  • Sorgte er sich noch um seine Mutter, als er sich selbst in großen Schmerzen und Leiden des Todes befand: „Darauf spricht er zu dem Jünger: Siehe, deine Mutter! Und von der Stunde an nahm sie der Jünger zu sich.“ (Joh 19,27).
  • In der Situation, in der die Witwen (meist waren es Frauen) von ihren Familienangehörigen (aus welchen Gründen auch immer) nicht versorgt wurden, übernahm die Gemeinde diese Fürsorgepflicht (Apg 6,1ff).
  • Auch der Ap. Paulus hebt die Verantwortung der Kinder und sogar Enkel gegenüber ihren Eltern und Großeltern hervor: „Wenn aber eine Witwe Kinder oder Enkel hat, so sollen diese zuerst lernen, am eigenen Haus gottesfürchtig zu handeln und den Eltern Empfangenes zu vergelten; denn das ist gut und wohlgefällig vor Gott., sich um die verwitwete Mutter zu kümmern“ (1Tim 5,4).

Werden sich die Pharisäer von Jesus überzeugen und korrigieren lassen? Werden sie einsichtig und Jesus recht geben? Werden sie sich demütigen unter das Wort Gottes und die Autorität von Jesus?

 

7.8.3 Jesus wendet sich an das Volk und disqualifiziert die Pharisäer

Bis jetzt hatte sich Jesus den Pharisäern und Schriftgelehrten zugewandt, doch als er merkt, dass sie sich nicht belehren lassen wollen, wendet er sich von ihnen ab und dem Volk wieder zu. So schreibt der Ev. Matthäus:

Und er rief das Volk zu sich und sprach zu ihnen: Hört zu (Mk: Hört mir alle zu) und begreift: Nicht (Mk: nichts) was zum Mund hineingeht, macht den Menschen unrein (gemein); sondern was aus dem Mund herauskommt, das macht den Menschen unrein (gemein). Da traten die Jünger hinzu und sprachen zu ihm: Weißt du auch, dass die Pharisäer an dem Wort Anstoß nahmen, als sie es hörten? Aber er antwortete und sprach: Alle Pflanzen, die mein himmlischer Vater nicht gepflanzt hat, die werden ausgerissen. Lasst sie, sie sind blinde Blindenführer! Wenn aber ein Blinder den andern führt, so fallen sie beide in die Grube.“ (Mt 15,10-14).

Wir merken gleich, dass Jesus, wie bereits bei anderen Vergleichen, sehr scharfkantige Aussagen macht. Doch das Volk ist mit der kurzen Aussage herausgefordert nachzudenken und sich darüber selbst ein Urteil zu bilden. Aber wir fragen: meint Jesus wirklich buchstäblich, dass es egal ist, was sich ein Mensch in den Mund steckt? Sicherlich nicht, denn er bewegt sich mit der scheinbar weitreichenden Aussage im Rahmen der angesprochenen Thematik und auch im Rahmen des Gesetzes? An anderer Stelle warnt er eindringlich vor Maßlosigkeit gerade beim Essen und Trinken: „Wenn aber jener Knecht in seinem Herzen sagt: Mein Herr lässt sich Zeit zu kommen, und fängt an, die Knechte und Mägde zu schlagen, auch zu essen und zu trinken und sich vollzusaufen,“ (Lk Lk 12,45).

Doch wer sich laut zu Wort meldet, sind die Pharisäer. Sie tun es aber nicht so offensichtlich vor Jesus, sondern sprechen sich wohl eher untereinander aus. Ihre Reaktion ist `Verärgerung, gr. eskandalisth¢san – sie nahmen Anstoß` an der Aussage  von Jesus. Es wundert darum nicht, dass sie Jesus vorwarfen `Fresser und Weinsäufer` zu sein“ (Mt 11,19). Die Reaktion der Pharisäer als Verärgerung, übermitteln die Jünger ihrem Lehrer. Doch Jesus bleibt gelassen. Menschen, die sich Gott und seinem Wort verschließen und sogar widersetzen, sind gleich dem Unkraut, welches zu seiner Zeit entfernt wird (Mt 13,30). Jesus bezeichnet sie als blinde Blindenführer, das ist ein hartes Wort und ein denkbar schlechtes Zeugnis, damit disqualifiziert er sie ihrer theologischen Kompetenz und ihres Amtes als Hirten des Volkes (Hes 34; Joh 10,1ff; Mt 23).

7.8.4 Jesus erklärt seinen Jüngern den tiefen Sinn dieses Gleichnisses

So schreiben die Evangelisten Markus und Matthäus weiter:

Markus: „Und als er von dem Volk ins Haus ging, fragten ihn seine Jünger nach diesem Gleichnis.“ Matthäus: „Da antwortete Petrus und sprach zu ihm: Deute uns dies Gleichnis! Er sprach zu ihnen: Seid denn auch ihr noch immer unverständig? Versteht ihr nicht, dass alles, was zum Mund hineingeht, das geht in den Bauch und wird danach in die Grube ausgeleert? Was aber aus dem Mund herauskommt, das kommt aus dem Herzen, und das macht den Menschen unrein (gemein). Denn aus dem Herzen kommen böse Gedanken, Mord, Ehebruch, Unzucht, Diebstahl, falsches Zeugnis, Lästerung. Das sind die Dinge, die den Menschen unrein (gemein) machen. Aber mit ungewaschenen Händen essen macht den Menschen nicht unrein (gemein).“ (Mt 15,15-20).

Als Jesus mit seinen Jüngern allein im Hause ist, meldet sich Petrus (in Absprache mit den anderen Jüngern) bei seinem Lehrer: Deute uns dies Gleichnis. Jesus ist nicht ungeduldig, doch will er schon mal von seinen Jüngern etwas mehr Mitdenken und Verstehen erwarten. Trotzdem wiederholt er seine Sicht, dass alles, was zum Munde eingeht, den Menschen nicht unrein (gemein) macht. Und die Ergänzung bei Markus: „denn es geht nicht in sein Herz, sondern in den Bauch und kommt heraus in die Grube. Damit erklärte er alle Speisen für rein.“ (Mk 7,19). Das griechische Wort: `afedröna` kommt zwar nur in diesem Zusammenhang vor, doch beschreibt es die Grube (den Abort), entsprechend der Vorschrift im Gesetz Moses (5Mose 23,14).

Und dann fügt der  Ev. Markus noch hinzu: „Damit erklärte er (Jesus) auch alle Speisen für rein“ (Mk 7,19b). Der griechische Text ist an dieser Stelle sehr kurz und nicht ganz eindeutig: „καθαρίζων πάντα τὰ βρώματα katharizön panta ta brömata – reinigend alle Speisen“.

Diese Deutung haben die meisten deutschen Übersetzungen. Damit hätte Jesus (zumindest andeutungsweise) die Einschränkungen im jüdischen Speiseplan, bzw. Teilung in `rein und gemein`, aufgehoben (3Mose 11,1-47). Dies wäre für die Pharisäer durchaus ein Grund gewesen, sich über Jesus zu ärgern. Aber hat Jesus dies gemeint oder sagen wollen? Wollte er für die Juden diese Begrenzungen aufheben?

Allerdings gibt es auch eine andere Variante der Übersetzung dieses Textes, wie zum Beispiel

  1. Schlachter 2000: „und wird auf dem natürlichen Weg, der alle Speisen reinigt, ausgeworfen“, oder
  2. Menge: „und auf dem natürlichen Wege, der alle Speisen reinigt, wieder ausgeschieden wird“, ähnlich auch
  3. Elberfelder in der Fußnote.

Dies ergibt dann einen anderen Sinn, weil sich der Zusatz ` katharizönreinigend` auf den Verdauungsprozess und die Ausscheidung in die Grube bezieht. Damit hätte Jesus die Vorschriften für reine und unreine Speisen (Tiere, Vögel, Fische aus 3Mose 11,1-47) nicht aufgehoben. Hat er doch erst gerade den Pharisäern vorgeworfen, die Gebote Gottes aufgehoben zu haben. Doch eigentlich geht es Jesus nicht um die Aufhebung der Speiseverordnungen Gottes an Israel, auch nicht um die Frage: was ist für den menschlichen Körper mehr oder weniger bekömmlich, was ist mehr oder weniger gesund oder sogar giftig, sondern es geht um dass Grundprinzip, nämlich: die Speisen, welche den Mund passieren (mit oder ohne Handwäsche) gehen in den Bauch und nicht ins Herz. Damit spielen alle Speisen, im Vergleich zu den Ausscheidungen des Herzens, eine untergeordnete Rolle und können (wie wir später sehen und erkennen werden) in dem jeweiligen zeitlichen und kulturellen Kontext angemessen bewertet und angewandt werden. In dem aktuellen Kontext geht es zunächst um die Waschung der Hände vor einer Mahlzeit und indirekt auch um die vom Gesetz definierten reinen Speisen. Hat sich doch Jesus selbst an alle Vorgaben des Gesetzes gehalten, sicher auch an die Speisevorschriften. Es geht hier in erster Linie und vordergründig um die Frage: Werden Speisen, Körper und sogar das Herz gemein/unrein, wenn jemand seine Hände vor dem Essen nicht gewaschen hat? Und Jesus sagt: „Aber mit ungewaschenen Händen essen, das verunreinigt den Menschen nicht“, oder: „das macht ihn nicht gemein“ (Mt 15,20).

 

Trotzdem wollen wir uns in diesem Zusammenhang mit der Frage beschäftigen, wie sich Christen damals in Bezug auf Speisen verhalten haben? Gibt es in Bezug auf Speisen in der Bibel eine Kontinuität – Festlegung für alle Zeiten und für alle Menschen, oder erkennen wir eine Diskontinuität, eine Vielfalt nach dem Motto: „Alles ist mir erlaubt — aber nicht alles ist nützlich! Alles ist mir erlaubt — aber ich will mich von nichts beherrschen lassen! Die Speisen sind für den Bauch und der Bauch für die Speisen; Gott aber wird diesen und jene wegtun.“ (1Kor 6,12-13). Aber nun der Reihe nach.

Was steht im Anfang, bevor das Gesetz durch Mose gegeben wurde, in Bezug auf die Speisen für den Menschen? Im Garten Eden konnte sich der Mensch (von einer Ausnahme abgesehen) nach Belieben von den Früchten der Bäume ernähren (1Mose 2,15-17). Bei der Aufnahme der Tiere in den Kasten (die Arche) machte Gott einen Unterschied zwischen reinen und unreinen Lebewesen – sieben Paare, bzw. zwei Paare (1Mose 7,2). Nach der Flut brachte Noah Gott Brandopfer (Ganzopfer) dar von reinem Vieh und reinen Vögeln (1Mose 8,20; vgl. 1Mose 4,4). Danach lesen wir  in Bezug auf die Nahrung für den Menschen folgendes: „Alles, was sich regt und lebt, soll euch zur Nahrung dienen; wie das grüne Kraut habe ich es euch alles gegeben. Nur dürft ihr das Fleisch nicht essen, während sein Leben, sein Blut, noch in ihm ist!“ (1Mose 9,3-4). Für die Opferung kamen auch nach der Sintflut nur reine Tiere in Frage (1Mose 8,20; 4,4). Aber für den allgemeinen Verzehr gab der Herr eine große Auswahl an Fleischspeisen frei. Es gab nur eine Einschränkung – kein Blut, bzw. kein Fleisch, in dem noch Blut ist, dies bedeutete auch kein Fleisch erstickter Tiere. Auf dem Speiseplan standen auch allerlei Kräuter.

In 3Mose 11,1-47 jedoch listet Gott Tiere, Vögel und Fische auf und nennt bestimmte Kriterien, anhand derer die Israeliten die reinen von unreinen unterscheiden können. Seit der Zeit gibt es in Israel ein eingeschränktes aber doch ausreichendes Menüangebot für gesunde Ernährung. Diese Einschränkung könnte ihre Begründung im Gesamtkontext der vielseitigen Absonderung des Volkes Israel von den Heiden und deren Gebräuchen, haben (5Mose 18,9-15; Esra 9,11). Dazu gab es in der Geschichte Israels weitere Einschränkungen für Menschen in bestimmten Diensten (Ri 13,1-14; Dan 11,1-14; Lk 1,15). Doch häufig hilten sich die Israeliten nicht an die Vorgaben des Herrn (Jes 65,4; 66,17).

Doch Petrus hat sich noch Jahre später an die jüdischen Speiseeinschränkungen gehalten (Apg 10,14-15; 11,9). Die Stimme aus dem Himmel: „Was Gott gereinigt hat, mache du nicht gemein“ bezog sich im übertragenen Sinne auf Menschen nicht jüdischer Herkunft, wie die Interpretation des Petrus bei Kornelius deutlich macht (vgl. Apg 10,15 mit 10,28.34-35). Aber steckt da vielleicht auch schon ein indirekter Hinweis darauf, dass Gott die Einschränkung (bei den Israeliten) um des Evangeliums willen (den Nationen) nicht auflegen wird? Sicher ist, dass diese Speiseeinschränkungen bei dem Aposteltreffen in Jerusalem im Jahre 48 n.Chr. den Heidenchristen nicht auferlegt wurden (unter Verbot stand weiterhin: Blut oder Fleisch in dem noch das Blut ist und Ersticktes, so wie Götzenopferfleisch und Unzucht Apg 15,5.23-29). Damit haben sich die Apostel und Älteste in Jerusalem sehr wahrscheinlich auf 1Mose 9,3-4 bezogen, also auf die Praxis, die vor dem Mosaischen Gesetz für alle Menschen üblich war. Das Verbot des Verzehrs von Götzenopferfleisch wurde später von dem Ap. Paulus in 1Kor 8,1-13 detailiert erklärt. Er gibt die meisten Erklärungen zu diesem Thema in seinen Briefen (vgl. Röm 14,1-23; 1Tim 4,3-5. In Kolosser 2,16-17 schreibt er: „So lasst euch von niemand richten wegen Speise oder Trank, oder wegen bestimmter Feiertage oder Neumondfeste oder Sabbate, 17 die doch nur ein Schatten der Dinge sind, die kommen sollen, wovon aber der Christus das Wesen hat.“ Ähnlich schreibt auch der Autor des Hebräerbriefes: „allein mit Speise und Trank und verschiedenen Waschungen. Dies sind irdische Satzungen, die bis zu der Zeit der Besserung auferlegt sind.“ (Hebr 9,10).

Fazit: Die Gläubigen an Jesus Christus aus den Nichtjuden bekamen, was die Äußerlichkeiten wie zum Beispiel: (Essen, Trinken, Kleidung, Waschungen, sonstige Rituale) betrafen, große Freiheit. Doch wurden sie angehalten, Rücksicht zu nehmen auf ihre Glaubensgeschwister aus den Juden und ebenso Rücksicht auf die Schwachen im Glauben. Auch für uns heute gilt: weises und rücksichtsvolles Verhalten in dem jeweiligen Kulturkreis um des Evangeliums willen, nach dem Vorbild des Apostels Paulus: „Denn obwohl ich frei bin von jedermann, habe ich doch mich selbst jedermann zum Knecht gemacht, auf dass ich möglichst viele gewinne. 20 Den Juden bin ich wie ein Jude geworden, damit ich die Juden gewinne. Denen unter dem Gesetz bin ich wie einer unter dem Gesetz geworden – obwohl ich selbst nicht unter dem Gesetz bin –, damit ich die unter dem Gesetz gewinne. 21 Denen ohne Gesetz bin ich wie einer ohne Gesetz geworden – obwohl ich doch nicht ohne Gesetz bin vor Gott, sondern bin im Gesetz vor Christus –, damit ich die ohne Gesetz gewinne. 22 Den Schwachen bin ich ein Schwacher geworden, damit ich die Schwachen gewinne. Ich bin allen alles geworden, damit ich auf alle Weise etliche rette. 23 Alles aber tue ich um des Evangeliums willen, auf dass ich an ihm teilhabe.“ (1Kor 9,19-23).

Jesus geht insbesondere auf die Frage seiner Jünger ein, denn auch sie hatten den Kern der Aussage nicht verstanden. Es geht um das verdorbene Herz des Menschen, aus dem viele böse Dinge durch den Mund herauskommen und den Menschen unrein (gemein) machen. Die Liste bei Markus ist lang und wird von Matthäus noch ergänzt:

Böse Gedanken – οἱ διαλογισμοὶ οἱ κακοὶ – oi dialogismoi oi kakoi (jm Plur., auch bei Mt). An für sich ist dieses Wort `dialogismos` wertneutral. Die Vorsilbe `dia – durch`, hat teilende Wirkung; die Wortwurzel `logis`, erinnert an Logik; die Endung `moi` bezeichnet die Mehrzahl. So kann das griechische Wort besser mit einem `Dialog in Gedanken, Überlegungen` wiedergegeben werden. In diesem Text werden böse Gedanken im Herzen hin und her bewegt, um anschließend eine innere Teilung vorzunehmen und eine bewusste Entscheidung zu treffen. (Beispiele: Lk 2,35; Mk 2,6;  Lk 5,22; 6,8; 9,46; Mt 16,8; Lk 24,38; Röm 1,21). Und nun folgen die einzelnen bösen Dinge, welche Jesus beim Namen nennt:

  1. Unzucht – πορνεῖαι – porneiai (im Plur., auch bei Mt). Sexualität gehört nach Gottes Wort und Willen in die Ehe zwischen Mann und Frau (1Mose 1,26-28; 2,24-25; 4,1). Der Begriff `porneia`, (im Text Plural) umfasst alle Arten und Formen von geschlechtlicher (sexueller) Entgleisungen, immer beginnend in Gedanken des Herzens
    • Mt 5,28-32; 19,9: Fremdgehen in Gedanken ist Ehebruch und Ehebruch ist `porneia – Unzucht`. Und  wenn jemand (ein Ehepartner) eine sexuelle Beziehung mit einer dritten Person eingeht (fremdgeht) begeht er Ehebruch, auch dies bezeichnet Jesus als `porneia – Unzucht`. und fügt hinzu, dass `porneia` ein Grund für Scheidung wäre.
    • Mt 21,31-32: Nach den Worten von Jesus haben die `pornai – Unzüchtigen` eher eine Chance ins Reich Gottes zu kommen, als die widerspenstigen und selbstgerechten Pharisäer, welche Jesus mit Heuchler bezeichnete.  
    • ; Lk 15,30; Joh 4,17-18; 8,41; Apg 15,20; 21,25; Röm 1,27-31; 1Kor 5,1.9.10.11; 6,9.13.15.16.18; 7,2.21; 10,8; 2Kor 12,21; Gal 5,19; Eph 5,3.5; Kol 3,5; 1Thes 4,3; 1Tim 1,10; Hebr 11,31; 12,16; 13,4; Jak 2,25; Offb 2,14.20.21; 9,21; 14,8; 17,1.2.4.5.15.16; 18,3.9; 19,2; 21,8; 22,15).
  2. Diebstähle – κλοπαί – klopai (im Plur., auch bei Mt). Auch dieser Begriff ist umfassen und bezeichnet die verschidenen Arten von `an sich nehmen`, was einem nicht gehört oder `zurückbehalten`, was einem  nicht zusteht (Joh 10,1.8.10; 12,6; Röm 2,21; 1Kor 6,10; Eph 4,28; 1Petr 4,15).
  3. Morde – φόνοι – fonoi (im Plur., auch bei Mt). 2Mose 20,13; Mt 5,21: „töte nicht – οὐ φονεύσεις – ou foneuseis“. Mord ist Tötung mit bewusster und gezielter Absicht (Mk 15,7: Mt 22,7;  Apg 9,1; Der Teufel wird von Jesus `gr. anthropoktonos – Menschenmörder genannt (Joh 8,44); Wer seinen Bruder hasst, ist auch Menschenmörder (1Joh 3,15; 2Petr 4,15).
  4. Ehebruch – μοιχεῖαι – moicheiai (im Plur., auch bei Mt). Ehebruch ist wie Treuebruch mit schwerwiegenden Folgen.
  5. Habgier – πλεονεξίαι – pleonexiai (im Plur.). Lk 12,15: „hütet euch vor jeder Art von Habgier“; Röm 1,29; 1Kor 9,5; Eph 4,19; 5,3; Kol 3,5; 1Thes 2,5: 2Petr 2,3.14.
  6. Bosheit – πονηρίαι – pon¢riai (im Plur.). Auch die Bosheit, gleich Schlechtigkeit äußert sich in verschiedenen Varianten des menschlichen Verhaltens: Mt 5,11.37.39.45; 6,13.23; 7,11.17.18: 9,4; 12,34.35.39.45;13,19.38.49; 16,4; 18,32; 20,15; 22,10.18; 25,26.
  7. Arglist – δόλος – dolos . Arglistig, tückisch, hinterhältig, Falschheit, in den Rücken fallen (Joh 1,47: ohne falsch; Apg 13,10: voller Arglist; Röm 1,29: voller Arglist; 2Kor 4,2: ohne falsch; 1Petr 2,1: voller Arglist; 1Petr 2,22: Jesus war frei davon; 3,10: „der hüte seine Zunge, dass sie nicht Falsches redet“),
  8. Ausschweifung – ἀσέλγεια – aselgeia. Maßlosigkeit, hemmungslose Hingabe an Genüsse: Lk 21,34; 2Kor 12,21; Gal 5,19; Eph 4,19; 2Petr 2,7; 1Kor 15,32-33.
  9. Missgunst – ὀφθαλμὸς πονηρός – ofthalmos pon¢ros (wörtlich – böses Auge. So auch in Mt 20,15). Weitere Beispiele: 1Mose 26,14; 37,4 (Apg 7,9); 1Sam 18,8-9).
  10. Lästerung – βλασφημία – blasf¢mia (auch bei Mt). 3Mose 24,11; Mt 12,31; 26,65; 27,39; Mk 2,7; 3,28-29; 15,29; Lk 12,10; 23,39; Joh 10,33.36; Apg 6,11; 13,45; 18,6; 19,37; 26,11; Röm 2,24; 3,8; 14,16; 1Kor 10,30; Eph 4,31; Kol 3,8; 1Tim 1,13.20; 6,1.4; 2Tim 3,2; Tit 2,5; 3,2; Jak 2,7; 1Petr 4,4; 2Petr 2,2.10.11.12; Jud 8.9.10; Offb 2,9; 13,1.5.6; 17,3.
  11. Hochmut – ὑπερηφανία – yper¢fania. Überheblichkeit, Übermut, Hochmut, Stolz, Die Vorsilbe `ὑπερ – yper`,  überhöht die Wortwurzel `φαν – fan – scheinen`, das heißt: sich auf ein übermäßig hohes und irreales Niveau zu stellen. In unserem Text spricht Jesus von einem Menschen, der über jedes normale Maß hinaus, viel von sich hält, sich über andere erhebt, auf andere herablassend herabschaut und diese Haltung in seinen Überlegungen, seinen Worten und seinem Handeln ausdrückt. Der oben genannte Begriff kommt an folgenden Stellen des AT und NT vor: 2Mose 18,21: Mose soll siebzig Männer zu Ältesten berufen, welche die Überheblichkeit und den Hochmut hassen – μισοῦντας ὑπερηφανίαν“; 3Mose 26,19: „und ich werde den Übermut (die Anmaßung) eures Hochmuts brechen – καὶ συντρίψω τὴν ὕβριν τῆς ὑπερηφανίας ὑμῶν“;  5Mose 17,12: „wenn jener in seinem Hochmut (seinem Übermut, seiner Vermessenheit) dem Pridester nicht gehorcht – ἂν ποιήσῃ ἐν ὑπερηφανίᾳ τοῦ μὴ ὑπακοῦσαι τοῦ ἱερέως“: Ps 101,5: „hochmütiges Auge – ὑπερηφάνῳ ὀφθαλμῷ“; Lk 1,51: „die Hochmütigen im Denken ihres Herzens – ὑπερηφάνους διανοίᾳ καρδίας αὐτῶν“; Röm 1,30: „Übermütige (extreme Ausdrucksform der Selbstüberschätzung), Hochmütige, Prahler – ὑβριστὰς ὑπερηφάνους ἀλαζόνας“; 2Tim 3,2: „prahlerisch, Hochmütig, Lästerer – ἀλαζόνες ὑπερήφανοι βλάσφημοι“; Jak 4,6: „Gott widersteht den Hochmütigen (Übermütigen, Überheblichen), aber den Demürigen gibt er Gnade – ὁ θεὸς ὑπερηφάνοις ἀντιτάσσεται, ταπεινοῖς δὲ δίδωσιν χάριν.“ (So auch in 1Petr 5,5). Sowohl Jakobus als auch Petrus zitieren aus Sprüche 3,34 nach der LXX Übersetzung.
  12. Unvernunft – ἀφροσύνη – afrosyn¢. Unvernünftig, unverständig, unkluug (Mt 6,24; 7,24; 10,16; Lk 11,40; Röm 1,31;; 2Kor 11,1.16.17.19.21; Eph 5,17; 2Petr 2,15). Im Gegenteil dazu steht die Vernunft, die Klugheit, der Kluge, Vernünftige: Mt 24,45; 25,2.4.8.9;  Mk 5,15.
  13. Falsche Zeugnisse – ψευδομαρτυρίαι – pseudomartyriai (im Plur., nur bei Mt). 2Mose 20,16; 1Kön 21,1-20; Mt 19,18; 26,60; Apg 6,13.

Alle diese bösen Dinge kommen aus dem Inneren des menschlichen Herzens heraus und machen den Menschen gemein/unrein (Mk 7,21-23;  Mt 15, 19-20).

Fragen / Aufgaben:

  1. Wo fand diese Diskussion statt und wer war dabei beteiligt?
  2. Was war der Anlass zu dieser Diskussion?
  3. Warum beachtete Jesus und seine Jünger gelegentlich nicht die Waschung ihrer Hände vor einer Mahlzeit? Hat Jesus etwas gegen körperliche Reinheit oder Körperpflege?
  4. Wie ist die Motivation der Pharisäer und Schriftgelehrter bei ihrer Fragestellung einzuschätzen? Um was ging es ihnen eigentlich?
  5. Welche Kenntnisse hast du über die Reinheitsvorschriften im Alten Testament und wozu wurden sie gegeben?
  6. Warum reagiert Jesus mit solch einer Schärfe? In welchen Situationen ist Klarheit und Eindeutigkeit heute gefragt?
  7. Die speisevorschriften, bzw. Einschränkungen nahmen in Israel einen breiten Raum ein. Wurden diese immer eingehalten?
  8. Welche zusätzliche Sonderregelungen gab es in Israel im Bereich essen und trinken?
  9. Hielt sich Jesus selbst an die regulären Einschränkungen aus 3Mose 11,2-22?
  10. Wie verstehst du die Erklärung des Evangelisten Markus: „damit erklärte er alle Speisen für rein“? Wären durch diese Aussage die alttestamentlichen Speisevorschriften aufgehoben? Gibt es auch eine Alternative zu dieser Übersetzung und mit welchem Ergebnis?
  11. Wie wurde dieser Bereich in der neutestamentlichen Gemeinde geregelt? Was blieb, was wurde verändert?
  12. Wie gehen wir heute mit den verschiedenen Ansichten in Bezug auf Speisevorschriften um? Welche Hilfestellung gibt uns der Apostel Paulus dazu?
  13. Erstelle eine Liste von den bösen Dingen, welche Jesus beim Namen nennt und vergleiche diese mit den Sündenlisten bei den Aposteln.
  14. Wie ist es zu erklären, dass im Herzen des Menschen so viele bösen Dinge verborgen sind?
  15. Welche Hilfestellung gibt es, um von diesen Dingen loszukommen?
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JESUS – der Fremdling

 

JESUS – der Fremdling

 

Er kam in sein Eigentum; und die Seinen nahmen ihn nicht auf. Wie viele ihn aber aufnahmen, denen gab er das Recht Gottes Kinder zu werden, allen, die an seinen Namen glauben“ (Joh 1,11-12:).

 

 

 

 

 

 

Abbildung 1 Ismailia – die Stadt liegt am Westufer des Suezkanals. Der Verlauf des Suezkanals vom Mittelmeer bis zum Roten Meer markiert den Übergang von der Wüstenlandschaft des nördlichen Sinai zur fruchtbareren Landschaft des östlichen Nildeltagebietes, wo das Land (Landschaft) Gosen zu suchen ist (Foto: Juli 1985).

Im Lande Gosen, einer Art Provinz im Alten Ägypten, lebten die Israeliten lange Zeit als Fremdlinge (2Mose  Kapitel 1-12). So sollte auch Jesus einige Zeit als Fremdling in Ägypten verbringen, weil der damalige König Herodes im Lande Israel aus Angst vor Konkurrenz, Jesus bereits als Kind umbringen wollte (Matthäus Kapitel 2).

Ob Jesus heute in unserem Land und unseren Häusern (Familien) willkommen ist? Doch er hat ein ZUHAUSE, er ist bei seinem Vater im Himmel und er lädt uns zu sich ein wenn er sagt: „In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen“ (Joh 14,1-6).

 

Wir wünschen euch als Familie, dass Jesus durch den Glauben in eurer Familie und euren Herzen gegenwärtig sein möge und dass ihr auch in seinem Zuhause zu Hause seid.

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Jona, wohin fliehst du?

JONA bestieg das Schiff – O, WEH!

Die faszinierende Geschichte eines Mannes, der von Gott fliehen wollte und durch den Gott letztlich viele Tausend Menschen rettete. Doch zuerst ging es in die Tiefe der Tiefen. Seit dem wurde bei Stürmischer See auf den Schiffen immer wieder die Frage gestellt: Gibt es einen JONA unter uns?

Hier zum nachlesen:

Abbildung 1 Ein Zweimaster im östlichen Mittelmeer. In der Antike reiste niemand mit dem Schiff zum Vergnügen, zu beschwerlich und gefährlich waren Schiffsreisen. Aber oft kam man mit dem Schiff schneller ans Ziel als über Land. Dies traf besonders auf den Großraum des Mittelmeeres zu  (Foto: 17. April 1011).

Beltexte: Jona 1,14-2,11:

„Da riefen sie (die Schiffsleute) zum HERRN und sagten: Ach, HERR, lass uns doch nicht umkommen um der Seele dieses Mannes willen und bringe nicht unschuldiges Blut über uns! Denn du, HERR, hast getan, wie es dir gefallen hat. 15 Und sie nahmen Jona und warfen ihn ins Meer. Da ließ das Meer ab[ von seinem Wüten. 16 Und die Männer fürchteten den HERRN mit großer Furcht, und sie brachten dem HERRN Schlachtopfer dar und gelobten ihm Gelübde.“

2,1-11: „Aber der Herr bestellte (bestimmte) einen großen Fisch, Jona zu verschlingen. Und Jona war im Leibe des Fisches drei Tage und drei Nächte.

2 Und Jona betete zu dem HERRN, seinem Gott, im Leibe des Fisches

3 und sprach:

„Ich rief zu dem HERRN in meiner Angst, und er antwortete mir. Ich schrie aus dem Rachen des Todes, und du hörtest meine Stimme.

4 Du warfst mich in die Tiefe, mitten ins Meer, dass die Fluten mich umgaben. Alle deine Wogen und Wellen gingen über mich,

5 dass ich dachte, ich wäre von deinen Augen verstoßen, ich würde deinen heiligen Tempel nicht mehr sehen.

6 Wasser umgaben mich bis an die Kehle, die Tiefe umringte mich, Schilf bedeckte mein Haupt.

7 Ich sank hinunter zu der Berge Gründen, der Erde Riegel schlossen sich hinter mir ewiglich.

Aber du hast mein Leben aus dem Verderben geführt, HERR, mein Gott!

8 Als meine Seele in mir verzagte, gedachte ich an den HERRN, und mein Gebet kam zu dir in deinen heiligen Tempel.

9 Die sich halten an das Nichtige, verlassen ihre Gnade.

10 Ich aber will mit Dank dir Opfer bringen. Meine Gelübde will ich erfüllen. Hilfe ist bei dem HERRN.

 

11 Und der HERR sprach zu dem Fisch, und der spie Jona aus ans Land.“

Abbildung 2 Zu dieser Jahreszeit kann es im Mittelmeer sehr stürmisch werden. Doch Jona befand sich auf einem Schiff in der Jahreszeit der sicheren Schifffahrt. Doch damals wurde der Sturm vom Herrn geschickt, dem sich Wind und Wellen unterordnen (Auf dem Foto vom 5. Februar 2007 sieht die Südküste auf Zypern sehr bedrohlich aus).

 

Jon 4,2 „und betete zum HERRN und sprach: Ach, HERR, das ist’s ja, was ich dachte, als ich noch in meinem Lande war. Deshalb wollte ich ja nach Tarsis fliehen; denn ich wusste, dass du gnädig, barmherzig, langmütig und von großer Güte bist und lässt dich des Übels gereuen.“

 

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Wann kam der Schächer ins Paradies?

 

 

Eine Frage, die immer wieder gestellt wird, lautet: Wie soll die Aussage von Jesus an den Schächer am Kreuz gelesen und verstanden werden?

  1. Wahrlich, ich sage dir: „Heute wirst du mit mir im Paradies sein“ Oder:
  2. Wahrlich, ich sage dir heute: „du wirst mit mir im Paradies sein“.

Diese Unsicherheit entsteht zum einen, weil es in den Handschriften des Urtextes und natürlich auch in den Abschriften (Kopien) keinerlei Interpunktionen (Satzzeichen) gab, zum anderen, weil eine vorgefasste Meinung durch eine bestimmte Auslegung zu Grunde gelegt wird.

Die Schriftforscher wurden natürlich vor eine große Herausforderung gestellt. Sie mussten den fortlaufenden Text in einzelne Sätze aufteilen und auch innerhalb eines Satzes entsprechende Satzzeichen setzen.

Im Text des altgriechischen Neuen Testamentes von Nestle Aland wurde ein Komma nach „ich sage dir“ gesetzt. „καὶ εἶπεν αὐτῷ· ἀμήν σοι λέγω, σήμερον μετ᾽ ἐμοῦ ἔσῃ ἐν τῷ παραδείσῳ“. Die zehn gängigen deutschen Bibelübersetzungen haben nach dem „ich sage dir“ einen Doppelpunkt gesetzt. Damit wird betont, dass der Schächer (nach Jesu Wort) noch am selben Tag (heute) zusammen mit Jesus im Paradies sein wird.

 

In Markus 14,30 haben wir eine ähnliche Formulierung: „Und Jesus sprach zu ihm (zu Petrus): Wahrlich, ich sage dir: Heute, in dieser Nacht, ehe denn der Hahn zweimal kräht, wirst du mich dreimal verleugnen.“

In beiden Fällen brauchte Jesus ja nicht extra betonen, dass er diese Aussage `heute` macht, wozu denn auch? Wie klingt es denn: „Wahrlich, ich sage dir heute: In dieser Nacht …“. Zwischen der Aussage und der Erfüllung lagen gerade mal 4-5 Stunden, da das `Heute` mit dem Sonnenuntergang begann und in derselben Nacht (Donnerstag auf Freitag) Petrus seinen Herrn nach dem zweiten Hahnenschrei verleugnete.

Ähnlich auch auf Golgatha. Bevor der Tag (Freitag)  mit Sonnenuntergang zu Ende war, starb Jesus und ging ins Paradies (die göttliche Sphäre) ein (Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände). Nach kurzer Zeit, ebenfalls noch am selben Tag vor Sonnenuntergang, wurden den beiden Gekreuzigten die Beine gebrochen, so dass sie starben. Der (erlöste und geistlich auferweckte) Geist des Schächers ging dorthin, wo Jesu Geist war – im Paradies Gottes.

Fazit: Das `Heute` bezieht sich also auf den Inhalt der Aussage von Jesus, auf das, was noch am gleichen Tag mit dem Schächer und der gleichen Nacht mit Petrus geschehen wird.. Dass Jesus diese Aussage `heute` macht, brauchte er nicht extra betonen.

Auch bei allen anderen Aussagen, die Jesus gemacht hat, lässt sich immer nach dem „ich sage dir“ oder: „Ich sage euch“ ein Doppelpunkt setzen, erst danach kommt die inhaltliche Aussage.

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